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Pörtner in Winterthur
Surprise-Standort: Bahnhof
Einwohner*innen: 120 955
Sozialhilfequote in Prozent: 24,8
Anteil ausländische Bevölkerung in Prozent: 5,6
Anzahl Museen: 16
Die hintere Unterführung des Bahnhofs Winterthur ist der Verkaufsplatz von Seynab Ali Isse, deren Kolumnen hin und wieder hier spielen. Heute ist sie nicht da, das neue Heft erscheint erst morgen. Es wäre auch kein guter Verkaufstag, nach einer Woche Regen scheint endlich wieder die Sonne, die Leute sind draussen. Die Unterführung ist modern und sauber, herausgeputzt und gemieden. An der Seite verläuft ein Veloweg, was auf den ersten Blick verwirrt, wenn plötzlich Velos durch die Unterführung flitzen. Doch fahren sie auf einer eigenen, abgegrenzten Spur, die andernorts definitiv fehlt.
Wahrscheinlich bietet die Unterführung Zugang zu den beiden Velostationen Stellwerk und Rudolf, letztere nach der Rudolfstrasse benannt und nicht nach dem Winterthurer alt Bundesrat Rudolf
Friedrich, dem die Winterthurer Anarchist*innen einst das Gartenhaus in die Luft gesprengt hatten, oder war es der Rollladen?
Neben einem Geschäft, das «Frau Hund» heisst, aber keinen Tierbedarf anbietet, gibt es vor allem Essen zu kaufen. Es findet sich auch ein Wartesaal, in dem ein Jugendlicher sitzt und auf dem Handy Videos schaut. Das passt, auch auf der Leuchtreklame sind Jugendliche abgebildet.
Die Bank ist bequem, USB-Steckdosen stehen bereit, die Lampen sind hübsch und geben warmes Licht. Es erstaunt, dass dieser Raum einfach so zu betreten ist, ohne dass ein Ticket vorgewiesen werden oder man einem Member- oder Executive-Programm angehören muss. Solche offenen Räume ohne Konsum- zwang sind selten geworden. Nichtsdestotrotz ist das Wetter zu schön, um hier zu verweilen.
«Lust, etwas zu erleben?» fragt ein Schild, auf dem im Übrigen nur Winterthur.com steht, doch gleich nebenan werden verschiedene Vorschläge gemacht, in Winterthur etwas zu erleben, in der kleinsten Grossstadt oder, je nach Blickwinkel, der grössten Kleinstadt der Schweiz. Als solche verfügt sie über ein ausgeklügeltes Bussystem, das die Menschen vom und zum Bahnhof bringt, farbkodierte Plakate weisen den nicht immer einfachen Weg zur richtigen Kante.
Weil sich hier eine grosse Hoch- und auch sonst eine Menge Schulen befinden, ist das Mittagspublikum auffällig jung, modisch und Take-away-affin. Entsprechend erfolgreich ist, trotz aufziehender Wolken und rasch sinkender Temperaturen, die Verteilaktion einer Glace-Herstellerin. Eine Frau, Telefon am Ohr, geht eiligen Schrittes vorbei, aus ihrer Tasche ragt ein Heft mit dem Titel «Schritte Plus».
In der Bahnhofshalle ist das W mit Herz, das Logo der Stadt, wieder zu sehen, das Tourismusbüro ist gross, es bietet unter anderem Stadtwesten an: «lokal, reflektierend, modisch». So könnte sich auch manche Winterthurer*in beschreiben. Die ausgestellten Prospekte werben unter anderem für die vielen Museen, die mit demselben Tagespass besucht werden können, was allerdings ein etwas dichtes Programm wäre, die Erlebniskarte bietet weitere Attraktionen und Rundgänge.
Wer die Stadt bisher nicht als Tourismusdestination auf dem Schirm hatte, wird hier eines Besseren belehrt, allerdings erst hier, am Bahnhof Winterthur.
Der Zürcher Schriftsteller Stephan Pörtner besucht Surprise-Verkaufsorte und erzählt, wie es dort so ist.