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Doppelnutzen mit Agri-Photovoltaik
Doppelte Ernte: Oben Solarstrom, unten Ackerkulturen. Dank grossem Boden- und Zwischenreihenabstand ist die Bewirtschaftung mit
Maschinen möglich und die Verschattung ist nur leicht. Bild: Tommsdorff
Agri-PV – Doppelnutzen mit Zukunft?
Mit Agri-PV-Anlagen könnte man in der Schweiz über 3,6 Terawattstunden Strom pro Jahr produzieren. Dies entspricht etwa sechs Prozent des aktuellen Stromverbrauchs in unserem Land. Befürworter sagen, dass man nicht achtlos auf dieses Potential verzichten sollte.
Ruedi Hunger
«Agri-PV» steht für die kombinierte Nutzung einer Landfläche. Einerseits für die landwirtschaftliche Produktion als Hauptnutzen, anderseits für die Stromerzeugung mit Photovoltaik als Zweit- oder Sekundärnutzung. Dabei folgt Agri-PV der Idee, dass Nahrungsmittel- und Energiesicherheit nicht als konkurrierende Ziele betrachtet werden, beide sollten zum gegenseitigen Nutzen integriert werden. Das bedeutet letztlich einen Doppelnutzen auf einer landwirtschaftlichen Fläche. Das ist doch prima, darauf haben wir gewartet – doch ganz so einfach und eindeutig ist es nicht.
Verschiedene Sichtweisen
• Sicht der Energiewirtschaft Aus Sicht der Energiewirtschaft sollte der Ausbau der PV-Stromproduktion in der Schweiz mindestens dreimal schneller erfolgen als bisher. Dies, damit die Klima- und Versorgungsziele erreicht werden. Der Bau von PV-Anlagen (PVA) auf Dächern kann aus verschiedenen Gründen nicht schnell genug und effizient umgesetzt werden. Haupthemmnisse sind beispielsweise die vielen kleinen Dächer von Einfamilienhäusern, welche womöglich jeweils noch eine andere Dachausrichtung haben, und die verlängerte Planungsphase, weil das Alter des Dachs unter Umständen eine Gesamtsanierung nach sich zieht, und viele andere Gründe. Die Forschungsgruppe Erneuerbare Energien an der ZHAW in Wädenswil geht ebenfalls davon aus, dass die jährliche Stromproduktion aus Photovoltaik in der Schweiz mindestens dreimal schneller
ausgebaut werden müsste, um das Ziel der Energiestrategie 2050 zu erreichen. Es braucht daher andere Potentiale wie die Agri-PV, die rasch erschlossen werden können.
• Sicht des Gesetzgebers Aus Sicht des Gesetzgebers sind AgriPVA eine Neuheit, die noch Regelungsbedarf aufweist. Seit Mitte des laufenden Jahres gibt es aber Rahmenbedingungen. Agri-PVA sind seit dem 1. Juli 2022 «bewilligungsfähig». Dies wurde durch die Revision der Raumplanungsverordnung möglich. Vorher wurden sie als Freiflächenanlagen angesehen und auch so behandelt, daher waren sie nicht bewilligungsfähig. Jetzt können (oder müssen) sie die zonenüblichen Bewilligungsverfahren durchlaufen. Grundsätzlich sind folgende Gesetze und Verordnungen massgebend: – Bundesgesetz über die Landwirtschaft vom 29. April 1998 (LwG; SR 910.1) – Verordnung über die Direktzahlungen (DZV; 910.13) – Verordnung über landwirtschaftliche
Begriffe und die Anerkennung von Betriebsformen (LBV; SR 910.91) – Ausführungsbestimmungen zur Agrarpolitik 2014–2017
• Agronomische Sicht Neben der Produktion von Strom interessieren in der Landwirtschaft die Auswirkungen der Überdeckung. Diese verursacht je nach Kultur eine Abschattung mit unterschiedlichen Auswirkungen. Massgebend ist dabei die photosynthetisch aktive Strahlung (PAR). Positiv zu werten sind im Apfelanbau beispielsweise die Verdunstungsminderung (weniger Trockenstress) oder die Hitzeminderung während der Fruchtreife (bessere Fruchtqualität). In Frankreich wurde auf Aprikosen-Betrieben im Rahmen einer Fallstudie eine 70-prozentige Wasserersparnis festgestellt. Generell sind Kulturen unter Agri-PVA besser vor Unwettern und Schadorganismen geschützt. Noch nicht abschliessend bestätigt sind die Auswirkungen auf Blattkrankheiten durch Regenschutz und trockene Blätter. Auf der Versuchsfläche in einem Rebberg in Walenstadt (SG) wurde ein reduzierter Befall durch den Falschen Mehl-
tau festgestellt, gleichzeitig aber ein erhöhter Befall an Echtem Mehltau. Trotz verminderter nächtlicher Abstrahlung schützt eine Agri-PVA nur bedingt vor Frühjahrsfrost. Agri-PVA haben das Potential, das bäuerliche Einkommen zu stabilisieren und zu diversifizieren. Nicht zu vernachlässigen sind laut Bundesamt für Landwirtschaft BLW aber die Auswirkungen auf den Bodenmarkt (Flächenkonkurrenz) mit evtl. steigenden Bodenpreisen bzw. Pachtzinsen.
Welche Flächen bieten sich an
Nach Berechnungen der ZHAW sind in der Schweiz nur rund 3000 ha Beeren- und Obstanlagen für Agri-PV geeignet. Nur ca. 50% der Beeren- und Obstanlagen in der Schweiz sind gedeckt. Prädestiniert sind Beerenkulturen, wo das Agri-PV-System den Folientunnel ersetzen kann, oder Obstkulturen, wo sich nachher der Hagelschutz erübrigt. Auch für Rebberge eignet sich PVA. Die PV-Module können entsprechend der Hangneigung geneigt montiert werden. Auch Treib- und Gewächshäuser eignen sich. Agri-PVA über Ackerkulturen sind machbar, das zeigen Beispiele im Ausland. Allerdings ist damit zu rechnen, dass diese Variante in der Schweiz erst in zweiter Priorität umgesetzt wird. Ebenso Vertikalanlagen auf Gras- und Weideland, wo die landwirtschaftliche Nutzung zwischen und nicht unter den PV erfolgt. Derzeit ist der Wegfall der Direktzahlungen auf diesen Flächen noch ein Haupthemmnis. Nach Auskunft von Fachleuten sind aber Verhandlungen mit den Bundesbehörden im Gang. Ebenfalls eine interessante Möglichkeit sind Vertikalanlagen als Zäune, beispielsweise bei der Geflügelhaltung.
Spezielle Module notwendig
Eine komplette Beschattung der Unterkultur durch Module kommt für AgriPV nicht in Frage. Deshalb kommen spezielle Module, welche 20% bis 50% des Lichts passieren lassen, zum Einsatz. Generell kann aber bei Agri-PVA davon ausgegangen werden, dass eins und eins nicht einfach zwei gibt. Soll heissen, weder beim Unternutzen (vor allem Ackerkulturen) noch beim Obernutzen (Strom) kann trotz Doppelnutzen zweimal 100% erreicht werden. Aufgrund der Lichtdurchlässigkeit produzieren Agri-PV-Module weniger Strom als «normale» PV-Module. Die Auswirkungen der ganzjährigen Beschattung auf Boden und Kulturen sind noch nicht in jedem Fall geklärt. Beeren- und Obstanlagen sind möglicherweise besser geeignet als Ackerkulturen. Noch besteht Forschungsbedarf. Diesem Forschungsbedarf ist einerseits das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme, mit dem Leitfaden Agri-Photovoltaik: «Chance für Landwirtschaft und Energiewende», und anderseits die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften
Vor- und Nachteile von Agri-PVA
Vorteile der Agri-PVA
• Keine Landnutzungsänderung • Landsparend, erhöhte Landnutzungseffizienz • Sonnen- und Hagelschutz für Pflanzen • Anpassung an die Erderwärmung • Weniger Wasser-Evaporation und -Transpiration • Abfallreduzierung, da bestehende
Anbausysteme mit Folien ersetzt werden • Kühleffekt erhöht PV-Modul-Effizienz • Höhere soziale Akzeptanz • Regenwassermanagement berücksichtigen • Anlagen stehen 20 Jahre, Flexibilität eingeschränkt • Abschattung ganzjährig • Nicht für alle Anbausysteme geeignet • Hohe Investitionen • Komplexität grösser als bei PV auf Dächern • Deutlich aufwändigere Projektentwicklung • Forschungsbedarf, kaum Praxisanlagen in der Schweiz • In der Schweiz hat es rund 3000 ha geschützte Beeren- und Obstanlagen, die auch für Agri-PV geeignet sind. • Auf diesen Anlagen könnte man 3,6 TWh
Strom/Jahr produzieren, was etwa 6% des aktuellen CH-Strom-Verbrauchs entspricht. • Zusätzliches Potential über Reben und
Gewächshäusern
Nachteile der Agri-PVA Potential für Agri-PVA (CH)
Arten von Photovoltaik
Gebäude
Auf Dächern und an Gebäudefassaden.
Infrastruktur
Bereits genutzte, bebaute Flächen.
Lärmschutzwände, Staumauern, Seen, Kläranlagen, Strassen, Parkplatzüberdachungen, Lawinenverbauungen
Agri-PV
Auf Ackerflächen mit landwirtschaftlicher Hauptnutzung kann bei entsprechendem Anstellwinkel der Flächenertrag bis 735 MWh/ha hoch sein. Auf Flächen, auf welchen sonst keine oder nur geringe Nutzung stattfindet.
Freiflächen
Alpine Anlagen, Brachland, aride Flächen
ZHAW, mit der «Machbarkeitsstudie zu Agri-PVA in der Schweizer Landwirtschaft», nachgekommen. Ebenfalls sehr informativ war der Forumstag «Klartext Solar» an der Olma 2022.
Verbreitung von Agri-PVA
Agri-PVA sind mit Abstand in China am weitesten verbreitet. Ebenso in weiteren fernöstlichen Ländern wie Japan. In Frankreich gibt es derzeit rund 100 Anlagen, bis 2025 sollen es 400 sein. In Deutschland gibt es noch wenige Anlagen. Bekannt ist das Projekt «Resola» in Heggelbach am Bodensee. Diese Pilotanlage, unter der Kleegras, Sellerie, Kartoffel und Winterweizen angebaut werden, hat die Unterstützung des Fraunhofer-Instituts. Ein weiteres Forschungsvorhaben steht an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf. In der Schweiz forscht die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW unter anderem in einem Rebberg in Walenstadt (SG). Fachleute aus der Forschungsgruppe Erneuerbare Energien empfehlen, vier bis sechs grosse Projekte zu realisieren und wissenschaftlich zu begleiten. Laut ZHAW gibt es noch Forschungsfragen bezüglich Temperatur, Lichtverhältnissen und Mikroklima (Wasser).
Fazit
«Unten Beeren, oben Solarstrom». Im Allgemeinen haben Agri-Photovoltaikanlagen neutrale oder negative Auswirkungen (Ertrag) auf die landwirtschaftliche Produktion. Agri-PV-Systeme auf Flächen mit einer landwirtschaftlichen Hauptnutzung ermöglichen diesen Doppelnutzen, auch wenn eins und eins für einmal nicht ganz zwei gibt. Trotz Kompromissen (oder Einbussen) kann eine Agri-PV-Anlage für spezialisierte und experimentierfreudige Landwirtschaftsbetriebe einen interessanten Doppelnutzen bringen.