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Wie ist der Behindertensport in der Schweiz organisiert? Menschen mit Beeinträchtigung

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Der Behindertensport in der Schweiz ist in verschiedenen Verbänden organisiert. Doch wie hängen diese zusammen respektive wo liegen die Unterschiede? GYMlive ist der Frage nachgegangen und versucht, euch einen Überblick zu geben.

PluSport Schweiz, Procap Sport und die Schweizer Paraplegiker-Vereinigung (SPV / Rollstuhlsport Schweiz) sind die drei grössten Verbände im Schweizer Behindertensport und haben das gemeinsame Ziel, einen zeitgemässen und attraktiven Sport für Menschen mit Behinderung anzubieten. Die drei Verbände pflegen unter sich sowie mit Vereinen und Verbänden des Regelsports als auch Schulen und Ausbildungsinstitutionen einen regen Austausch. Dabei ist die Förderung von Integration und Inklusion im und durch den Sport ein wichtiger Pfeiler. Die Stiftung Special Olympics Switzerland organisiert primär Wettkämpfe für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung in verschiedenen Sportarten. Clubs von PluSport, Procap und anderen Organisationen für Sportlerinnen und Sportler mit geistiger Behinderung nehmen an ihren Wettkämpfen – beispielsweise an Regional- oder National Games teil. Auch hier gibt es einen internationalen Verband (SOI) und International Games.

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Die Aufgaben und Wirkungsbereiche dieser Organisationen sind teilweise unterschiedlich. PluSport ist ein reiner Sportverband, Procap und die SPV bieten weitere Dienstleistungen wie Rechts- und Bauberatung an. PluSport und Procap sind offen für alle Behinderungsarten, die SPV bietet vorwiegend Angebote für Rollstuhlsportlerinnen und -sportler an.

Förderung vom Breiten- bis zum Spitzensport

PluSport und die SPV sind Träger von Swiss Paralympic. Das Swiss Paralympic Committee selektioniert SpitzensportAthletinnen und -Athleten mit einer Kör-

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per- oder Sinnesbehinderung für internationale Wettkämpfe und finanziert deren Teilnahme. Ein Ziel ist es, Elite-Athletinnen und -Athleten an die Paralympics zu bringen. Diese sind das Pendant zu den Olympischen Spielen. Die beiden Verbände kümmern sich auch um die Förderung von Menschen mit Behinderung vom Breiten- bis zum Spitzensport: «Wir setzen uns dafür ein, Breitensport, Spitzensport und Nachwuchsförderung nahtlos miteinander zu verbinden, damit Integration und Inklusion durch Sport in der ganzen Schweiz gelebt werden», lautet der Leitsatz von PluSport. Procap Sport ist ausschliesslich im Breitensport aktiv.

In Sachen Ausbildung arbeiten PluSport, Procap, die SPV, SDS und Special Olympics zusammen. Mit Jugend + Sport haben sie ein gemeinsames interdisziplinäres Modul «Sport und Handicap» erarbeitet. Ausserdem bilden alle Organisationen Aus- und Weiterbildungskurse für angehende Leitende an, die sich im Behindertensport engagieren wollen. Für Quereinsteigende gibt’s verkürzte Ausbildungsmöglichkeiten.

Barrierefreie und integrative Sportvereine schaffen

Seit einiger Zeit gibt es Bestrebungen, Menschen mit Beeinträchtigung in gewöhnlichen Sport- und Turnvereinen zu integrieren. PluSport verfügt über 60 Jahre Erfahrung im Sport für und mit

Ein Ziel ist es, Elite-Athletinnen und -Athleten an die Paralympics zu bringen.

Swiss Paralympics

Menschen mit Behinderung und bietet interessierten Vereinen Unterstützung an, damit Sportlerinnen und Sportler mit Behinderung an den Angeboten von Regelsportvereinen teilnehmen können. Auch das Programm «Unified» von Special Olympics zielt darauf ab, dass es in Regelsportvereinen Trainings für Menschen mit Behinderung gibt. Die Aus- und Weiterbildungen der Behindertensportverbände stehen auch Leitenden aus Regelsportverbänden offen. PluSport führt zudem Module für angehende Sportfachpersonen an Universitäten und Fachhochschulen durch und gibt Inputs bei unterschiedlichen Organisationen zur Sensibilisierung.

Akzeptanz vermitteln

«Um Integration und Inklusion zu ermöglichen, muss man die Kultur ändern und das Bewusstsein schärfen», sagt Giada Besomi (siehe auch Spalteninterview Seite 15), Ausbildungsverantwortliche von PluSport im Tessin und Gründerin des Vereins «New Ability» (Organisation für die Inklusion von Menschen mit Behinderung auf allen Ebenen im Tessin). Dies könne nur durch eine adäquate Ausbildung erreicht werden. «Und wenn wir mit Menschen, die anders sind, nicht ständig über ihre Besonderheit, sondern über andere, alltägliche Dinge reden», so Besomi weiter. Ein kultureller Wandel braucht viel Zeit und ist nicht einfach. Man müsse Akzeptanz vermitteln, und dies Schritt für Schritt und durch die einfachsten Dinge: Sport, Kultur und Freizeit. Der Zweck aller BehindertensportOrganisationen besteht darin, das Ziel der Inklusion bestmöglich zu erreichen. Dafür ist es notwendig, gut zusammenzuarbeiten. In diesem Punkt sind sich alle Organisationen einig.

Zusammenstellung: Lara Rigamonti / Alexandra Herzog

DIE VERSCHIEDENEN ORGANISATIONEN IM KURZÜBERBLICK

PluSport

Dachverband Sport für Menschen mit Behinderung (rund 12 000 Mitglieder) und Fachstelle für Inklusion im und durch den Sport. Angegliedert sind 80 Mitgliederclubs in der ganzen Schweiz mit regelmässigen Angeboten. Der Dachverband führt jährlich 110 Sportcamps durch sowie diverse Anlässe (z. B. den nationalen PluSport-Tag) und wirkt bei zahlreichen Projekten mit (z. B. Eidgenössisches Turnfest). Zudem berät und unterstützt PluSport seine Partner bei der Umsetzung der Inklusion im Sport.

Procap

Procap ist eine Selbsthilfeorganisation. Procap engagiert sich insbesondere im Bereich Breiten-, Freizeit- und Erlebnissport und organisiert spezielle Projekte und Angebote in der Gesundheitsförderung für Menschen mit Behinderung. Die rund 30 Procap-Sportgruppen bieten Sport- und Bewegungskurse überall in der Schweiz an. Über 1500 Aktivmitglieder nehmen an den regelmässigen Treffen teil.

Swiss Paralympic

Die Stiftung Swiss Paralympic selektioniert die Schweizer Behindertenspitzensportler und -sportlerinnen (primär mit Körper- und Sinnesbehinderungen) für Paralympics, Welt- und Europameisterschaften. Dazu gehören auch die Finanzierung und Organisation dieser Teilnahmen. Als nationales Komitee ist die Organisation Mitglied und Ansprechpartnerin des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC) in Bonn, welches das Pendant zum Internationalen Olympischen Komitee (IOC) ist.

Special Olympics

Special Olympics international ist die weltweit grösste Sportorganisation für Menschen mit geistiger Behinderung. Special Olympic Switzerland ist eine unabhängige nationale Stiftung, die zahlreiche Wettkämpfe in verschiedenen Sportarten durchführt. Special Olympics setzt sich auch dafür ein, dass Sportangebote inklusiv werden, damit Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Beeinträchtigung einfachen Zugang zu Sport und Bewegung haben.

Schweizer Paraplegiker-Vereinigung (SPV)

Dachverband der Querschnittgelähmten mit mehr als 10 000 Mitgliedern. Rollstuhlsport Schweiz verfügt über 27 Rollstuhlclubs, die zur Hilfe zur Selbsthilfe in alle Regionen der Schweiz beitragen. Förderung von Menschen mit Behinderung vom Breiten- bis hin zum Spitzensport. Für alle Zielgruppen, Altersklassen, Behinderungsformen, in unterschiedlichen Sportarten und stets mit dem Ziel der Integration und Inklusion.

Förderung und Durchsetzung der Interessen von Menschen mit Behinderung in sozialer, wirtschaftlicher, beruflicher, rechtlicher und gesellschaftlicher Hinsicht.

Gezielte Förderung des Schweizer Behindertenspitzensports, damit die Athletinnen und Athleten der verschiedenen Sportarten regelmässig durch Spitzenleistungen sowohl auf der nationalen als auch auf der internationalen Bühne in Erscheinung treten.

Förderung von Sport für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit geistiger Beeinträchtigung in allen Regionen der Schweiz.

Förderung und Vertretung der Anliegen der Para- und Tetraplegiker sowie weiterer Mitglieder.

LEIDENSCHAFT, MUT UND ZEIT

Foto: zvg

Giada Besomi

Ausbildungsverantwortliche PluSport Tessin und Gründerin des Vereins «New Ability»

Was ist in der Schweiz die Hauptschwierigkeit im Bereich Integration von Behinderten in der Sportwelt?

Giada Besomi: Es erfordert einen Mentalitäts- und einen Kulturwandel. Auch heute noch wird die Vielfalt nicht von allen als Mehrwert angesehen. Ausserdem waren die Gruppen, die für Menschen mit Behinderungen geschaffen wurden, in vielerlei Hinsicht nicht inklusiv. Dieses Modell zu ändern und sich in Richtung Inklusion zu bewegen, erfordert viel Mut, grosse Veränderungen und die Hoffnung, dass es vielleicht eines Tages keine spezifischen Organisationen mehr braucht, weil der Sport einfach für alle da sein wird.

Ist es möglich, behinderte Menschen in einen gewöhnlichen Turnverein zu integrieren? Was muss in dieser Hinsicht getan werden?

Ja, es gibt bereits solche Gruppen. Zunächst einmal braucht es eine spezifische Ausbildung zum Thema Sport und Behinderung, dann ist alles einfacher. Es gibt auch Fachleute, die in besonderen Situationen praktische Ratschläge geben können. Integration, Inklusion oder Barrierefreiheit werden nicht einfach so erreicht. Der Weg dorthin ist gesäumt von Niederlagen. Aber das Ziel kann erreicht werden, wenn man Schritt für Schritt nimmt, mit viel Leidenschaft, Mut und Zeit.

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