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"Das Schönste ist unser neues Leben in Freiheit"
VOM GLÜCK VERLASSEN
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«DAS SCHÖNSTE IST UNSERNEUES LEBEN IN FREIHEIT»
«Für meinen Sohn war es Schock und Abenteuer zugleich», sagt Vanessa Mägli. Sie und ihr elfjähriger Sohn haben eine lange Reise hinter sich: von Brasilien zurück in die Schweizer Heimat, über das Passantenheim der Heilsarmee Bern in ein neues Leben.
«Ich bin eine tropische Schweizerin», meint Vanessa mit einem Schmunzeln. Die 49-jährige Mutter wirkt selbstbewusst und ausgeglichen – eine Frau, die mit beiden Beinen im Leben steht. Auf den ersten Blick würde niemand vermuten, dass sie noch vor wenigen Monaten auf die Hilfe der Heilsarmee angewiesen war.
Doch nach ihrer turbulenten Rückkehr aus São Paulo in Brasilien war das Passantenheim Bern die einzige Hoffnung für sie und ihren Sohn, um in der Schweiz einen Neustart zu schaffen. Ihre Geschichte zeigt, wie verschieden die Menschen sind, die in einem Passantenheim der Heilsarmee ein kurz- oder langfristiges Zuhause finden.
Guetzli backen gegen das Heimweh
Vanessa verbrachte den Grossteil ihres Lebens in São Paulo. Schon als dreijähriges Mädchen wanderte sie zusammen mitihrer Familie in die brasilianische Metropole aus. Hier war alles anders als in der Schweiz: das Klima, die Sprache und die riesige Stadt. Sie wuchs behütet auf, besuchte die Schweizer Schule und studierte an der Universität von São Paulo.
Nach ihrem Abschluss fasste sie Fuss in der Arbeitswelt und führte sogar eine Zeit lang ihr eigenes Geschäft: Unter dem Namen «Dolce Mägli» verkaufte sie Mailänderli nach original schweizerischem Rezept. In São Paulo lernte sie auch ihren Mann kennen – und bald freuten sie sich über Nachwuchs: Ihr Sohn kam auf die Welt.
Trotz der vielen schönen Momente, die das Leben für Vanessa bereithielt, wurde sie von Heimweh geplagt. Und als Mutter sorgte sie sich um das Wohl ihres Sohnes, denn der Alltag in Brasilien wurde immer gefährlicher.
Viele Menschen in São Paulo leben in Armut: Die Kriminalität ist hoch, Überfälle und Morde sind an der Tagesordnung. «Unsere Autoscheiben waren aus Panzerglas. Ob man zum Einkaufen fährt oder in einem Park spazieren geht, die Angst begleitet einen», berichtet Vanessa. Für ihren Sohn wünschte sie sich ein Leben in Freiheit – und nicht in einem goldenen Käfig.
Sosehr sie es auch versuchte, Vanessa wurde in Brasilien nicht mehr glücklich. Nach 26 Jahren Ehe kam es zur Scheidung, zu unterschiedlich waren die Vorstellungen und Bedürfnisse zwischen ihr und ihrem Mann. Vanessa sehnte sich nach einer Rückkehr in die Schweiz, weg von den Problemen in São Paulo. Sie fasste einen Entschluss und buchte einen Flug nach Zürich für sich und ihren Sohn – ohne Rückflugticket.
Das Passantenheim Bern als Basis für ein neues Leben
«Ich bin eine Kämpferin», sagt Vanessa. «Ich wollte mich mit eigener Kraft durchbeissen. Wir sind mit fünf Koffern in Zürich angekommen, unserem ganzen Hab und Gut.» Doch wohin jetzt? Ohne ein Zuhause ist jeder Anfang schwierig.
Ihr erster Schritt führte sie nach Bern, Vanessas Geburtsstadt und dem früheren Zuhause ihrer Familie. Vom Sozialamt erfuhren sie vom dortigen Passantenheim der Heilsarmee. Nach einem guten Gespräch mit dem Institutionsleiter bezogen die beiden ein Zimmer im Haus an der Muristrasse. «Wir wurden sehr herzlich aufgenommen», erzählt Vanessa. «Die Mitarbeiter halfen mir bei der Wohnungssuche und mit den Einreisepapieren.» Alle waren hilfsbereit: Die Bewohner spielten Pingpong mit ihrem Sohn, zusammen schauten sie die Spiele der Fussball-Weltmeisterschaft. Auch Vanessa unterstützte ihre Mitbewohner mit ihrem Wissen und ihrer Tatkraft.
Trotzdem war die Zeit vor allem für ihren Sohn nicht einfach: «In São Paulo sind Arm und Reich klar getrennt, im Passantenheim gibt es keine solche Grenze. Man bekommt die Probleme der Mitbewohner hautnah mit. Es hat nicht nur schöne Tage gegeben, sondern auch Erlebnisse, die für ihn schwer zu verarbeiten waren», erzählt sie. Nach einem Monat im Passantenheim zahlte sich ihre Geduld aus – sie fanden in Köniz eine Wohnung.
Neustart geglückt
Am schönsten sei für sie beide die neue Freiheit, die sie in der Schweiz geniessen: «Einfach dorthin zu gehen, worauf man Lust hat – das ist in São Paulo undenkbar gewesen. Ich bin der Heilsarmee sehr dankbar, dass sie uns auf diesem Weg unterstützt hat.» Wenn man Vanessa fragt, ob sie heute noch einmal so handeln würde, beantwortet sie die Frage überzeugt mit ja: «Du entscheidest, was du aus deinem Leben machst.»
Unkomplizierte Hilfe für Menschen in Wohnungsnot Menschen in allen Lebenslagen ein Dach über dem Kopf zu ermöglichen – das ist ein zentrales Anliegen der Heilsarmee. Im Passantenheim Bern leistet man dafür einen wertvollen Beitrag: Opfer von häuslicher Gewalt, Obdachlose, gestrandete Touristen oder Familien mit Wohnungsproblemen wie Vanessa Mägli: Sie alle finden hier ohne grosse bürokratische Hürden eine kurz- bis langfristige Unterkunft. Falls nötig kann jemand mitten in der Nacht anklopfen, die Türen stehen rund um die Uhr offen. Das Haus bietet 50 Schlafplätze, in Notsituationen wie extremer Kälte kann die Bettenanzahl noch aufgestockt werden. Die 12 Mitarbeiter unterstützen die Bewohner unter anderem bei der Wohnungs- und Jobsuche, vermitteln zwischen Beratungsstellen oder helfen mit, einen Nachfolgeplatz in einer anderen Institution zu finden. Als Teil des Sozialwerks der Heilsarmee richtet sich das Passantenheim Bern an den christlichen Grundwerten und dem Auftrag zur Nächstenliebe aus.
heilsarmee.ch/wohnen
Text: Marco Meier | Fotos: Ruben Ung