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Spezial: Das Schützenmuseum war wegen des Coronavirus geschlossen. Diesen Umstand nutzte das Team für einen virtuellen Auftritt
«BIS AUF WEITERES GESCHLOSSEN»
Wegen des Coronavirus musste das SCHWEIZER SCHÜTZENMUSEUM erstmals in seiner 135-jährigen Geschichte seine Tore schliessen. Um weiterhin präsent zu sein, hat das Team ein virtuelles Museum lanciert, das sich als grosse Chance entpuppt hat – ein Erfahrungsbericht von Direktorin Regula Berger. Text: Regula Berger, Direktorin Schweizer Schützenmuseum Bern Bilder: Michael Schenk, zVg
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An der Vorstandssitzung des Vereins der Museen der Stadt Bern vom 24. Februar fielen die Be griffe Coronavirus und Museum zum ersten Mal in einem Satz, nämlich im Kontext der Berner Museumsnacht vom 20. März. Die Diskussion über eine allfällige Absage des Grossanlasses mit jeweils weit über 100’000 Besucherinnen und Besuchern war zu diesem Zeitpunkt rein theoretischer Natur, gab es doch noch keinen einzigen bestätigten Fall von SARS-CoV-2 in der Schweiz. Das änderte sich rasch, als der Bundesrat am 5. März Grossveranstaltungen verbot, so dass nach einigem Hin und Her das Virus der Museumsnacht den Stecker gezogen hatte – jenem Anlass, der dem Schützenmuseum beinahe die Hälfte seiner jährlichen Besucherzahlen be schert. Der Betrieb im Schützenmuseum lief vorerst weiter, nur für Veranstaltungen und Führungen galten Einschränkungen. Aus hygienischen Gründen wurde zudem das Schiessen auf der Kleider-Frey-Luftgewehranlage nicht mehr angeboten. Vorläufig war die Beschaffung von Handalkohol zur Desinfektion sowie von Papierhandtüchern die grösste Herausforderung.
Auch nachdem am 13. März sämtliche Schulen geschlossen wurden, waren kulturelle Institutionen noch nicht betroffen. Trotzdem entschied ich nach Absprache mit dem Stiftungsratspräsidenten, am folgenden Montag die Museumspforten zu schliessen – weniger wegen gesunkener Besucherzahlen, als vielmehr zum Schutz der Museumsaufsichten, die fast alle zur Risikogruppe gehören. Abends folgte dann der bundesrätlich verordnete ge samtschweizerische Lockdown.
PLÖTZLICH ZEIT FÜR DIE FORSCHUNG Arbeiten unter Einhaltung von SocialDistancing-Regeln in einem geschlossenen Museum bedürfen eines raschen Umdenkens in Bezug auf Arbeitsprozesse einerseits und Arbeitsinhalte andererseits. Ich selbst arbeite inzwischen mit einem gestrandeten Zweitklässler an der Seite von zu Hause aus. Auf dem Stubentisch liegen – in unheiliger Allianz vereint – Laptop, Museumsakten, Mathematik-, Deutsch- und Singhefte sowie eine Globikassette. Dabei kämpft man mit schlechtem Gewissen, weder dem Direktorenjob, noch demjenigen einer Hilfslehrerin gerecht werden zu können, während der Schüler seiner -
AUF DEM STUBENTISCH LIEGEN – IN UNHEILIGER ALLIANZ VEREINT – LAPTOP, MUSEUMSAKTEN, MATHEMATIK-, DEUTSCH- UND SINGHEFTE SOWIE EINE GLOBIKASSETTE. Regula Berger Direktorin Schweizer Schützenmuseum
seits in kreativster Weise versucht, seine Lernpflichten zu umgehen. Diese besondere Situation eröffnet aber auch neue Wege. Der Kalender, in der Regel voll mit Sitzungen, Terminen und Veranstaltungen, leert sich. Plötzlich ist Zeit, wo vorher keine war, wie etwa für das längst überfällige Studium alter Museumsakten und die Gelegenheit, Erkenntnisse aus den verstaubten Dossiers, muffigen Jahresberichten und «verrupften» Protokollen für die Nachwelt festzuhalten.
Vermehrt der Forschung widmen kann sich auch Peter Weber, Leiter des Inventarisierungsprojekts, denn das bisherige Inventarisieren in Zweierteams ist unter Einhaltung der Verhaltensre geln kaum mehr möglich. Bearbeitet werden können zurzeit nur jene Sammlungsbereiche, die eigenständig in der Datenbank erfasst werden können. Der Wegfall der Teamarbeit bedeutet zwar eine Verlangsamung und Umstellung des Arbeitsprozesses, gleichzeitig aber die Möglichkeit für die eingehendere Auseinandersetzung mit dem einzelnen Gegenstand. Weil nun im Depot nur noch eingeschränkt gearbeitet werden kann, haben wir unsere Schutzmasken im Rahmen einer Aktion der Berner Museen dem Inselspital gespendet, wo sie dringender gebraucht werden. Getragen wurden solche Masken bislang bei der Arbeit mit vermeintlich mit Bioziden kontaminiertem Sammlungsgut wie beispielsweise Textilien.
JEDEN TAG EIN SAMMLUNGSOBJEKT Gemäss Definition in den ethischen Richtlinien für Museen von ICOM ist «ein Museum [...] eine gemeinnützige, auf Dauer angelegte, der Öffentlichkeit zugängliche Einrichtung im Dienste der Gesellschaft und ihrer Entwicklung, die zum Zwecke des Studiums, der Bildung und des Erlebens materielle und immaterielle Zeugnisse von Menschen und ihrer Umwelt beschafft, bewahrt, erforscht, bekannt macht und ausstellt.» Auch hinter geschlossenen Türen kann man beschaffen, bewahren und erforschen - die Resultate können aber derzeit in unseren Räumen nicht zugänglich gemacht werden. So entstand das «virtuelle Museum». Seit dem 17. März wird auf Facebook werktäglich ein Sammlungsobjekt vorgestellt, wobei ein besonderer Link zwischen Gegenstand und aktuellem Datum hergestellt wird (siehe nächste Doppelseite). Angefangen hat die Serie mit Bruder Klaus, der stellvertretend für den irischen Nationalheiligen am St.- Patrick’s-Day als Hoffnungsträger prä sentiert wurde. Es folgten viele weitere. Die wissenschaftlichen Begleittexte werden von Peter Weber sowie von Ludovico Zappa, unserem wissenschaftlichen Mitarbeiter, als Resultat ihrer nun intensivierten Forschungsarbeit verfasst.
VIRTUELL AUF ERFOLGSKURS Das alles ersetzt keinen Besuch im realen Museum, wo Objekte «erlebt» werden können, aber der digitale Gang lie
Schiesssportgeschichte trifft auf Globi und Zweitklässler-Mathematik: Museumsdirektorin Regula Berger im Homeoffice.
fert unsere teils wenig beachteten Preziosen für eine begrenzte Zeit lang frei Haus, verbunden mit dem Wunsch, vermeintlich Unsichtbares sichtbar zu machen. Bereits der erste Beitrag erreichte 118 Facebook-User, 5 davon haben ihn «geliked» oder, in übertragenem Sinne, «virtuell» das Museum betreten. Dieser Kreis erweiterte sich kontinuierlich, anfangs April erreichten die Beiträge bereits über 600 Leute. Viele davon haben vermutlich bis dahin nie etwas vom Schützenmuseum gehört, womit sich das «virtuelle Museum» für uns auch als Chance entpuppt.
Die aktuelle Situation ist für alle schwierig, für einige existenzbedro hend; auch für uns hat die Krise Folgen. Auswirkungen auf die Besucherzahlen und auf laufende Projekte etwa, aber auch der Wegfall von Einnahmen über Spenden oder Veranstaltungen bedeu ten für uns einen zwar tragbaren, aber dennoch spürbaren finanziellen Scha den. Im Wissen darum, ein funktionierendes, starkes Team zu sein und die Chancen, die sich boten, genutzt zu haben, werden wir trotzdem gestärkt daraus hervorgehen.
www.schuetzenmuseum.ch
AUS DEM VIRTUELLEN
MUSEUM
Die Verschiebung des EIDGENÖSSISCHEN
SCHÜTZENFESTS 2020 in Luzern ist kein Einzelfall. Ähnliches passierte bereits im 19. Jahrhundert. Text: Peter Weber & Ludovico Zappa, Schweizer Schützenmuseum Bern Bild: zVg
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Am Freitag, 3. April, gaben der SSV und das Organi sationskomitee bekannt, dass das Eidgenössische Schüt zenfest 2020 in Luzern wegen des Coronavirus um ein Jahr verschoben werden muss. Was einmalig erscheint, ist es nicht: Bereits die Schiessanlässe von 1846 in Glarus und 1871 in Zürich waren vom selben Schicksal betroffen. So hatte der Glarner Kantonalschützenverein bereits nach dem ESF 1840 in Solothurn um die Ehre gebeten, das nächste Treffen aller Schwei zer Schützen veranstalten zu dürfen. Die folgenden Feste fanden jedoch in Chur (1842) und Basel (1844) statt. 1844 wiederholten die Glarner den Wunsch, indem sie folgenden Aufruf an das SSVZentralkomitee schrieben: «Eine geringe Zahl Jahre noch und ein
halbes Jahrtausend ist verflossen, seit die Glarner dem Bunde der Eidgenossen beigetreten, seit sie befreit vom Joche fremder Tirannen, mit ihren Bundesbrüdern einstunden mit Gut und Blut, zu dem Kampfe für Leben und Freiheit. Treu haben sie gehalten am Bunde der Väter und der Eidge nossen Sache jederzeit zur ihrigen gemacht. Auch heute noch beseelt den Glarner das gleiche vaterländische Gefühl; das Blut der Ahnen, der bei Näfels und an der Birs gefallenen Ahnen rinnt durch seine Adern und freudig bietet er auch jetzt noch seine Kraft zum Besten des Vaterlandes.»
SPANNUNGEN UND MISSERNTEN Die Anfrage wurde positiv beschieden, und so sollte entsprechend dem zweijährigen Turnus
das nächste Schützenfest 1846 in Glarus stattfinden. Allerdings war die damalige Situation in der Schweiz für die Abhaltung eines patriotischen Festes eher unge eignet. Einerseits gab es eine konfessionelle und politische Spaltung zwischen den Kantonen, einen offenen Konflikt zwischen Liberalen und Konservativen so wie die Diskussion um einen Bundesstaat oder Staatenbund. Kurzum, die Schweiz war tief gespalten. Politisch waren die meisten Schützenvereine vom Liberalis mus geprägt. Es wurde nun weithin befürchtet, dass das ESF zur Bühne für neue Angriffe auf den katholisch-konservativen Sonderbund werden und damit die Stabilität des Landes weiter gefährden könnte. Ausserdem reduzierten Missernten die zur Verfügung stehenden Nahrungsmittel drastisch, eine Kartoffelkrankheit vernichtete einen Grossteil der Ernte. So kam es im Winter 1845/46 zu einer schweren Lebensmittelknappheit und dadurch zur Verteuerung der wichtigsten Nahrungsmittel.
LETZTES EIDGENÖSSISCHES FEST VOR DEM SONDERBUNDSKRIEG Angesichts dieser Rahmenbedingungen prüfte das Komitee eine Verschiebung des Festes auf das nächste Jahr. Die eingeholten Meinungen im und ausserhalb des Kantons waren widersprüchlich. Aufgrund der unsicheren Lage beschloss der kantonale Schützenverein auf seiner Versammlung vom 7. Mai 1846 die Verschie bung: «Das schweizerische Schützenfest soll ein Nationalfest sein. Nicht ein Theil des schweizeri schen Volkes, nein! Die ganze Eidgenossenschaft muss sich dabei betheiligen und Kräftigung darin finden. Am eidg. Schützenfeste soll jegliches Kantonalleben schwinden, da muss man sich als die einigen Söhne der Freiheit und als die eidg. Brüder kennen, lieben und achten lernen; da muss der unverwüstliche Grund einer le bendigen und kräftigen Eidgenossenschaft in die Herzen aller ihrer Bürger gelegt und Begeisterung für alles Wahre und Gute ge schöpft werden. […]. Das schweizerische Vaterland trauert. Die
Die Lithographie «Das Eidgenössische Freischiessen zu Glarus. Im Juli 1847.» des Glarner Buchdruckers und -händlers Jakob Vogel (1816-1899) zeigt den Festplatz mit Festhalle, Schiessstand und Gabentempel.
Zerrissenheit desselben erfüllt den Vaterlandsfreund mit bangen Ahnungen. Die Folgen der unglücklichen Ereignisse lasten schwer auf verschiedenen Kantonen. […]. Mancher biedere Eidgenosse, dessen Herz warm und treu für’s Vaterland schlägt, ist tief gebeugt; mancher edle Familienvater, mancher kräftiger Jüngling blickt kummervoll nach der helfenden Hand der Brüder. Ist bei solcher Wirklichkeit an ein Nationalfest zu denken?» Die Entscheidung wurde schweizweit stillschweigend angenommen. Das Fest fand schliesslich vom 18. bis 25. Juli 1847 in Glarus statt und war die letzte Gelegenheit vor dem Sonderbundskrieg für eine eidgenössische Begegnung und brüderliches Feiern.