Medien-GAV-Zeitung

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Saubere Büros mehr wert als saubere Recherchen? Der Hauswart einer Zürcher Wohnbaugenossenschaft verdient 6200 Franken im Monat. Was ist der Wert journalistischer Arbeit?

n Michael Stötzel

umgehen können. Alle können sofort sehen, ob er gut gearbeitet hat. Die Klospülung darf eben nicht nur irgendwie tröpfeln, die Birne nicht nur hin und wieder leuchten.

5843 Franken, das ist weniger, als ein Hauswart bei einer Zürcher Wohnbaugenossenschaft verdient. Diesen Mindestlohn würde gemäss einer Umfrage von impressum und syndicom jedoch eine Mehrheit der befragten Journalistinnen und Journalisten akzeptieren. Dies entspricht dem Betrag im Gesamtarbeitsvertrag der Romandie.

Es fehlt an Zeit Viel schwieriger zu fassen sind die Prinzipien journalistischer Qualität. Recherche und Faktentreue brauchen Zeit. Ar gumentation und Haltung gehen im hektischen Alltag bisweilen unter. Eines allerdings ist unbestreitbar: Die Arbeitsbedin­gungen werden immer schlech-

Arbeit lässt sich beurteilen Nichts gegen die 6000 bis 6200 Franken des Hauswarts. Ohne ihn geht es nicht. Er braucht Kenntnisse in vielen handwerklichen Berufen, muss organisieren und mit geplagten Menschen

ter. Neugier und Hartnäckigkeit? Geschenkt. Dazu fehlt schlicht die Zeit. Das hat nur noch wenig zu tun mit der grossen Reportage, der aufsehen­ erregenden Enthüllung, der investigativen Recherche, von der BerufseinsteigerInnen träumen. Es passt nicht zur Überzeugung, nicht einen Beruf auszuüben, sondern einer Berufung nachzugehen: Mit grosser Leidenschaft und ohne auf Verdienst, Arbeitszeit oder Ferien zu achten – sofern die Miete bezahlt ist und andere sich um die Kinder kümmern ...

GAV als Lösung Auf Dauer geht das nicht gut. Ein GAV würde dies ändern. Gleiche Mindestlöhne im ganzen Land: Immerhin ein Anfang.

Kaum zu glauben! «Das ist fatal für den Das sagte Lebrument Journalismus» n Marco Geissbühler

Protesterklärung an Lebrument. Und forderten neue VerhandSeit 12  Jahren haben Medien- lungen. Auch in den folgenden schaffende keinen GAV und da- Jahren bemühten sich die Jourmit keine Lohnganalisten-Organisationen immer rantien mehr. Das wieder um einen hängt untrennbar GAV. Doch Lebru-­ mit der Person ment blieb stur. Hanspeter Lebruments zusammen. Auf seine Stur2004 versprach er heit ist er auch als neuer Verlenoch stolz: «Ärgerpräsident: «Ich gern würde mich, verhandle nicht wenn jemand über einen GAV, schreibt, dass ich Hanspeter Lebrument herum­eiere.» der Mindestlöhne regelt.» Seither Jetzt, wo seine Bazieht er das durch. Auch sonst sis von ihm Verhandlungen verist Lebrument nicht um markige langt, tritt er zurück. Worte verlegen. 1999 will Lebrument seine ArSpiele unser beitgeberin Südostschweiz Meinteraktives Quiz dien übernehmen. Er droht dem letzten Verbleibenden der Verlebit.ly/2bQB9cS ger-Familie Gasser, keine Dividenden mehr auszuzahlen: «Du kannst deine Aktien nehmen, im WC aufhängen und jeden Tag anschauen. Du wirst keinen Stutz mehr sehen ...» Gasser lenkt ein. Lebrument wird Verleger.

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Wir haben keinerlei Anzeichen, dass den Journalisten überhaupt etwas an einem GAV liegt.»

Stolz auf seine Sturheit Mit den Fakten nimmt es der oberste Verleger der Schweiz zuweilen nicht so genau. In seiner «Südostschweiz» behauptete er vergangenes Jahr: «Wir haben keinerlei Anzeichen, dass den Journalisten überhaupt etwas an einem GAV liegt.» Bereits 2004 unterschrieben über 2000 Medienschaffende eine

Vor 12 Jahren wurde der GAV in der Deutschschweiz und im Tessin abgeschafft. Warum eigentlich? Und was können wir JournalistInnen tun? Stephanie Vonarburg (syndicom) und Janine Teissl (impressum) geben Antworten.

Ein Viertel weniger

Widerstand gegen Entlassungen zahlt sich aus: Die Betroffenen beim «Tagi» profitierten vom Sozialplan.

Warum kennt die Presse im Tessin und der Deutschschweiz keinen GAV mehr? Vonarburg: Verlegerpräsident Hanspeter Lebrument wollte keinen Dialog mit den Sozialpartnern, Deregulierung war das Zauberwort. Gegen tausend Medienschaffende wurden in den letzten Jahren gekündigt – da passten verbindliche Arbeitsbedingungen nicht ins Konzept.

Was sind die Folgen für den Journalismus und für die Mitarbeitenden? Teissl: Sie haben bei Stellenabbau weniger Zeit und weniger Geld zur Verfügung, um sich neu zu orientieren. Die Arbeitsbedingungen sind schwieriger geworden, die Angst vor einer Kündigung wächst. Viele wechseln die Seite. Für den Journalismus ist dieser Braindrain fatal. Es sen-

det auch ein negatives Signal an den Nachwuchs: Journalismus verkommt zu einem «Job», einer Zwischenstation.

sondern Verhandlungspartner. In letzter Zeit wird nicht verhandelt, sondern diktiert.

Warum bleibt der Protest aus? Könnten sich die Verlage einen GAV überhaupt leisten? Vonarburg: Natürlich, es ist eine Frage der Prioritäten. Gerade grosse Unternehmen wie Tamedia, NZZ, Ringier halten sich jetzt schon an einen Teil der Bedingungen eines GAV. Aber sie unterlaufen die Regeln, wenn es um Sozialpläne, Lohnerhöhungen oder die Honorare und Urheberrechte von Freien geht. Gäbe es einen GAV, wären die Mitarbeitenden nicht Bittsteller,

Was bisher geschah Kollektivverträge gibt es in der Medienbranche seit 1919. Im Sommer 2003 kommt es zum Bruch: Der Verlegerverband kündigt den Presse-GAV per August 2004. Seither herrscht in der Deutschschweiz und im Tessin der vertragslose Zustand, Verlegerpräsident Lebrument blockiert jeden Vermittlungsversuch. Mit der Aktionsserie «Jetzt schlägts 13» machen syndicom und impressum auf die verschlechterten Arbeitsbedingungen aufmerksam. Sie zeigen 2014 die grossen Verlage wegen Verletzung des Arbeitsgesetzes an. Auch Medien­wissenschaftler und Politikerinnen kritisieren die Verleger. Im April 2015 mischt sich gar Medienministerin Doris Leuthard ein: sie wünscht sich vom Verband Schweizer Medien Verhandlungsbereitschaft Richtung GAV.

Teissl: Medienschaffende sind es nicht gewohnt, für die eigenen Rechte einzustehen. Sie konzentrieren sich lieber auf den Inhalt ihrer Arbeit, nicht auf die Rahmenbedingungen. Und viele sind am Anfang noch idealistisch und kümmern sich wenig um die Arbeitsbedingungen.

Wird es wieder einen GAV geben? Vonarburg: Am Verlegerkongress 2015 wurde klar gesagt, dass es wieder einen GAV braucht. Doch der Verhandlungsstart wird hinausgezögert. Arbeitnehmerseitig sind wir längst bereit.

Was können wir Journalisten tun? Teissl: Den GAV aktiv einfordern. Wenn die JournalistInnen im Kollektiv einen GAV verlangen, dann wird es einen geben. Anna Miller online weiterlesen bit.ly/2bV9cCM

Fotos: Keystone (2), syndicom, zvg

ZEITUNG FÜR GUTE ARBEITSVERHÄLTNISSE


Warum Marc Ismail froh war um den Westschweizer GAV

24 Stunden

Die Leere nach dem R

Früher ging Vater werden so: Man rauchte während der Geburt ein Paket Zigaretten. Dann kam die Schwester, sagte «Gratulation, ein Junge» oder das Gegenteil, man brachte der Gattin Blumen, zählte Finger und Zehen des Kinds nach und lud die Kollegen in eine Bar ein. Dafür war ein Tag Urlaub perfekt.

Da liegt es dann und sieht dich ernst aus schwarzen Alienaugen an. Und du merkst, hui, Babys sind kein weisses Blatt Papier, sondern schon sehr jemand. Und du sagst zum Bündel: «Sie sind das also, der der wichtigste Mensch in meinem Leben sein wird.» Du lernst massenweise Neues in den nächsten Tagen: Das Wickeln, das Tragetuch und dass Neugeborene scheissen wie Champagnerflaschen – bis zur Wand gegenüber vom Wickel­ tisch. Du lernst die Müdigkeit kennen, die Erschöpfung und auch die Angst: Wenn du das endlich schlafende Baby vorsichtig wie eine Bombe in die Wie­ ge legst – und dann wacht es wieder auf und schreit. Du weisst nicht, ob es eine Minute schreit oder eine Stunde. Das bricht dich. Ein Neugeborenes zu haben heisst: Deine Planungsgewiss­ heit sinkt auf unter drei Minuten. Bei einem Kind treffen Anfänger auf Anfänger. Zwar sind Babys erstaun­ lich unzerbrechlich, auch erstaunlich verständlich, nur leider nicht immer. Sie nähren sich von Milch, Aufmerk­ samkeit und Schmerz: Kinder, so süss sie sind, wissen mit Instinkt, was dir unangenehm sein könnte. Längst hat sich das Leben von dir und deiner Frau in Organisation verwandelt: Ihr eilt zwischen Büro und Krippe und Zuhause durch den Nahverkehr. Schon bald kennst du das Gemeindezentrum auswendig und das Gespräch mit den anderen Eltern auch. Es sind Dienstboten­ gespräche: Meine Herrschaft isst oder schläft gut oder schlecht und redet im Fall zweisprachig.

Auspfiff für Tamedia

Die Redaktion des «Landboten» protestiert 2014 gegen den Stellenabbau. Mangels GAV kam kein Sozialplan zustande. Fotos: syndicom (2), Keystone, Gregor Fischer, Olivia Item/Die Südostschweiz, Büro4 (Grafik)

Heute läuft es so: Man ist dabei, bei den Schmerzen, den Entscheidungen, leicht betäubt durch den Herzschlag des bald geborenen Kindes am Monitor. Es klingt wie ein Pferd, das durch weiches Moos galoppiert, und du denkst: Solange das Pferd galoppiert, lebt das Kind. Liegt das Baby quer, hältst du beim Kaiser­ schnitt ihre Hand und bekommst das kaum vom Blut gesäuberte Bündel in den Arm gedrückt.

n Anna Miller

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Leistungen der Arbeitgeber haben sich seit 2004 laufend verschlechtert.»

GAV in Gefahr

Nach der Kündigung ihres GAV erkämpften sich die Westschweizer Journalisten 2014 eine Erneuerung.

Das fordern Journalisten 95 Prozent der Journalistinnen und Journalisten wollen einen Min­ destlohn im Gesamtarbeitsvertrag. Das zeigt eine Umfrage von impres­ sum und syndicom auf der Website Medien­GAV.ch. Der Mindestlohn soll gemäss der grossen Mehrheit mindestens so hoch sein wie in der Convention Col­ lective (CCT) der Romandie. Der Ein­ stiegslohn unserer Westschweizer KollegInnen beträgt 5843 Franken pro Monat.

Soziale Sicherheit Du bist dabei, wie das Kind sein erstes Wort spricht, Erkältungen hat und die ersten Schritte macht. Jetzt, da es alles erreichen kann, siehst du in seinen machtberauschten Augen den ganzen Wahnsinn der Menschheit. Und dann wankt es zu dir und umarmt dich. So läuft das heute. Und um all das zu lernen, hast du weiterhin einen Tag Urlaub.

Constantin Seibt

der Westschweiz gibt es den GAV für JournalistInnen noch. Sobald Die Kündigung kam am ersten Ar­ 10 Prozent der Belegschaft und beitstag nach den Ferien, im Feb­ mindestens fünf ­Mitarbeitenden ruar. Die letzten vier Redaktoren gleichzeitig gekündigt wird, muss von «Télétop Ma­ das Unternehmen tin» und «Guide an den Verhand­ TV» wurden entlungstisch. ­Ismael lassen. Marc Is­ bekam drei Mo­ mail war einer nate Kündigungs­ von ihnen. Er ist frist plus 1,5 Mo­ 38 Jahre alt, hat nate Salär und Familie, war zehn war per sofort Jahre im Journa­ Stephanie Vonarburg, syndicom freigestellt. lismus tätig. Zu­ «Der Sozialplan letzt diese 60-Prozent-Stelle, ein innerhalb des GAV ist auch ein finanzielles Polster gab es nicht. Zeichen dafür, dass der Arbeit­ Doch er hatte immerhin einen geber mit den Leuten nicht ein­ Gesamtarbeitsvertrag. Und da­ fach machen kann, was er will», mit auch einen Sozialplan, der sagt Dominique Diserens von im­ zur Anwendung kam. Denn in pressum. Man habe bei den Ent­

Aber auch Elternurlaub, zwingende Sozialplanverhandlung bei Massen­ entlassungen und die Verankerung bezahlter Weiterbildungsmöglich­ keiten gehören laut Umfrageergeb­ nissen in einen künftigen GAV der Medien­schaffenden im Tessin und in der Deutschschweiz. Die Umfrage – an der man immer noch teilnehmen kann – kann auf MedienGAV.ch eingesehen werden. Die wichtigsten Forderungen und Antworten haben wir in der Infografik rechts zusammengestellt.


Rausschmiss lassungsrunden bei «Le Temps» Leistungen für Entlassene haben und «Journal Agefi» gute Erfah- sich drastisch verschlechtert. Während beim Magazin «Facts» rungen gemacht. In der Deutschschweiz sieht 2007 noch Abgangsentschädies anders aus. Hier kennen die gungen gezahlt wurden, gab es JournalistInnen in Print und beim «Zürcher Landboten» ledigOnline seit 12 Jahren keinen lich eine Verlängerung der Kündigungsfrist. Die GAV mehr. Der ÜberbrückungsVerlegerverband rente für Frühhatte ihn 2003 pensionierte hat gekündigt. Besich fast halbiert. gründung: Kein Natürlich ändern Bedarf. Seither sich auch mit sind die Kondieinem GAV und tionen bei einer mit SozialplanverEntlassung für handlungen nicht Angestellte wie alle Dinge zum Freelancer in der Deutschschweiz Dominique Diserens, impressum Guten. Doch der GAV gibt Menund im Tessin im freien Fall. «Die Leistungen der schen wie Marc Ismail Zeit, um Arbeitgeber sind seit 2004 im- mal durchzuatmen und sich neu mer schlechter geworden», sagt zu orientieren. «Es wäre sonst Stephanie Vonarburg, Zentralse- vieles schwieriger gewesen», kretärin bei syndicom. Das setze sagt er. Er wechselt nun in den Lehrerberuf. Dort, sagt er, finde Entlassene unter hohen Druck. Dieser Ansicht ist auch Dise- man innerhalb von drei Monaten rens: Man müsse heute viel stär- einfacher einen Job. ker um Leistungen kämpfen als früher. Weil viele während der online weiterlesen dreimonatigen Kündigungsfrist noch Vollzeit arbeiten, bleibe kaum Zeit für die Suche nach bit.ly/2bRxAr4 einer neuen Stelle. «Ältere Mitarbeitende stehen nach einer Entlassung lange auf der Strasse – oder finden überhaupt keinen Job mehr vor Erreichen des Rentenalters.» Es entstehen Lücken Laut GAV haben die welschen in AHV und Pensionskasse. Medienschaffenden: Unternehmen wie Tamedia • 5843 Franken Mindestlohn, verfügen noch immer über So• 3826 bis 4694 Franken für zialpläne. Da sie aber nicht mit Stagiaires, den Gewerkschaften zusam• eine zusätzliche Ferienwoche menarbeiten, ist die Beziehung bei regelmässiger Nachtarbeit, unilateral: Tamedia entscheidet • bezahlte Weiterbildung. alleine, welche Leistungen sie anbieten möchte. Vergleiche der Weitere Vorteile findest du auf Sozialplaninhalte des UnternehSeite 4 und auf MedienGAV.ch. mens 2009 und 2014 zeigen: Die

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Die Pflicht zum Sozialplan verhindert, dass die Verleger mit den Leuten machen können, was sie wollen.»

Romandie

Dumpinglöhne für Journalisten Von Luft und Liebe leben – für viele JournalistInnen ist dies ein Albtraum: ihr Lohn reicht für wenig mehr als das. Wehren tut sich kaum einer. n Rachel Van der Elst JournalistIn werden? Der spannendste Job der Welt! Aber davon leben? Nur bedingt. Vor allem wenn man sich seine Sporen erst verdienen muss. Wer beispielsweise im Bündner Medienkonzern Somedia einsteigt, muss sich auch nach absolviertem Studium mit weniger als 4000 Franken zufriedengeben. «Löhne, mit denen man kaum ein Abo für die eigene Zeitung bezahlen kann», sagt ein ehemaliger Somedia-Mitarbeiter.

rum wehren sich die JournalistInnen der Somedia nicht? Als der Konzern Anfang des Jahres bekannt gab, 500 Stellenprozente zu streichen, gab es, anders als bei den Massenentlassungen beim «Tages-Anzeiger» 2009, keinen Aufstand der Belegschaft und keine Solidarisierung. «Ich glaube, das liegt daran, dass im Bündnerland noch immer die Überzeugung vorherrscht, dass man froh sein muss, wenn man einen Job hat», sagt ein ehemaliger Somedia-Journalist. Die Stimmung im Konzern ist dem Vernehmen nach miserabel; jeder hat Angst, der Nächste zu sein, dem gekündigt wird. Dass immer weniger Angestellte – minus 69 in den letzten drei Jahren – die gleich gebliebene Arbeit machen müssen und das Medienhaus in dieser Zeit 10 Millionen Franken Gewinn einfuhr, ist intern ebenfalls kein Grund zum Aufstand.

Seit 1998 stagnieren oder sinken laut einer Untersuchung die Lohnsummen der Medienhäuser.

Das «günstige Landleben» Begründet wurde der Minderlohn gegenüber vergleichbaren Salären bei Tamedia und Ringier damit, dass auf dem Land das Leben billiger sei als in der Stadt. Das mag sein, aber wenn Sonntagszuschläge in der Höhe von höchstens 20 Franken pro Tag dazukommen, die Ausbildung am Medienausbildungszentrum MAZ teilweise selbst bezahlt werden muss und der Feriensaldo die Kompensation für Abend- und Wochenendeinsätze beschränkt, dann darf man sich schon fragen: «Warum tue ich mir das an?» Dabei würde sich auch noch eine andere Frage stellen: Wa-

Lohnsumme stagniert oder sinkt Auch bei der «Zürichsee-Zeitung» (ZSZ) müssen sich die Mitarbeitenden die immer selbe Leier vom billigeren Landleben anhören. Die ZSZ gehörte ursprünglich einem unabhängigen Verlag und wurde von Tamedia mit den

Tagi-Regionalausgaben «Linkes Seeufer» und «Rechtes See­ufer» in die Knie gezwungen, bis als Ausweg nur noch der Verkauf übrig blieb. Dass die Angestellten der ZSZ weniger Lohn bekamen, als sie noch eigenständig war, ist vielleicht noch nachvollziehbar. Dass sich die Löhne seither nicht oder nur wenig bewegt haben, erstaunt dann schon. Vor allem: 5000 Franken sind für eine Einzelperson je nach Wohngegend und Arbeitsort schon knapp; falls man damit eine Familie ernähren muss, wird es schwierig bis unmöglich.

16% haben weniger als 4000.– Eine diesen Juli veröffentlichte Untersuchung des Branchenmagazins «Schweizer Journalist» zeigte auf, dass die Lohnsummen der Verlagshäuser seit 1998 stagnieren – oder gar gesunken sind. Als Grund wird unter anderem genannt, dass NeueinsteigerInnen billiger verpflichtet werden. Gestützt wird diese These von einer Studie der Hochschule Winterthur. Demnach sollen rund 16 Prozent der Schweizer Journalisten weniger als 4000 Franken verdienen. Eine Situation, die ein GAV beenden würde.

Impressum Medien-GAV jetzt! Herausgeber: Eine gemeinsame Produktion von ­syndicom – Gewerkschaft Medien und Kommunikation und impressum – Die Schweizer Journalistinnen. www.medienGAV.ch Redaktion: Marco Geissbühler, Nina Scheu, Janine Teissl, Stephanie Vonarburg Beiträge: Rachel Van der Elst, Constantin Seibt, Michael Stötzel, Anna Miller, Peter Studer Layout: Lukas Blatter Produktion: Katja Leudolph, Ulrike Krüger Adresse: Monbijoustrasse 33, Postfach, 3001 Bern Druck: Bubenberg Druck AG, Bern

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Journalisten sind wie Polizisten: Sie brauchen gute Arbeitsbedingungen, damit sie nicht korrumpierbar werden. Ein GAV gehört dazu.» Sarah Jäggi, «Die Zeit» Schweiz

Bei der Umfrage mitmachen svy.mk/1TCB0em


Medienqualität: nötiger denn je

Wenn du diese 5 Gründe liest, willst du sofort Französisch lernen

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Geregelte Mindestlöhne Die CCT sieht 5843 Franken als Einstiegslohn vor. Die Mindesthonorare sind mit einem Tagesansatz von 563.90 geregelt.

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Sozialpartnerschaft In der Romandie muss die Redaktion bei kollektiven Entlassungen immer konsultiert werden, ein Sozialplan ist Pflicht.

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Mehr Elternurlaub

Gesicherte Weiterbildung

Mütter haben Anrecht auf 16 Wochen Mutterschaftsurlaub zum vollen Lohn. Vätern stehen immerhin 5 Tage zu.

Über 5 Wochen Ferien Die CCT sieht bei regelmässiger Nachtarbeit eine pragmatische Regelung von einer zusätzlichen Ferienwoche vor. Teste dein Wissen Kannst du die Aussagen von Rupert Murdoch, Anna Wintour und ­Hanspeter Lebrument auseinanderhalten? Weisst du, ob ein Zitat vom Chef des «Daily Bugle» in «Spiderman», vom Medienmogul und 007-Bösewicht oder doch vom Verlegerpräsidenten stammt? Dann beweise es uns online im inter­ aktiven Quiz. Kommst du Lebrument auf die Schliche oder kriechst du ihm auf den Leim? Hier findest du es heraus! Auf zum Quiz!

In der Romandie werden Weiterbildungen paritätisch finanziert und Medienschaffende erhalten Weiterbildungsurlaub.

bit.ly/2bQB9cS

Die geliebte Freiheit: Ein Hungertuch Freie JournalistInnen sind frei von nervenden Vorgesetzten, frei vom Zwang, nervende Themen umzusetzen – und frei von einem sicheren Einkommen. Je länger, je mehr. Vorbei ist die Zeit, in der ein GAV bestimmte, dass nicht nach Umfang, sondern nach Auf­ wand bezahlt wird. Seither sind die Honorare unaufhörlich ge­ sunken.

Jeden Tag drei Artikel Rechnet man das mittlerweile üb­ liche Honorar für 3000 Zeichen (150 bis 250 Franken) gemäss alten GAV-Ansätzen in Zeitauf­ wand um, so sollte der Artikel in spätestens vier Stunden geschrie­ ben sein, Recherche inklusive.

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Der Beruf der Journalistin, des Journalisten muss wieder die Wertschätzung erhalten, die er verdient. Ein GAV schafft ein Umfeld, in dem man arbeiten will, und ist Voraussetzung für Qualität und Nachhaltigkeit.» Miriam Suter, «annabelle»

Eine Filmkritik, für die keine 100 Franken bezahlt werden, wäre fertig, bevor der Abspann läuft. Wer davon leben will, muss zwei, besser drei Artikel pro Tag ver­ kaufen – da ist es mit der Freiheit nicht mehr weit her.

Zweitverwertung war gestern 7 Franken zahlt Tamedia, wenn ein Tagi-Artikel auch in einem anderen Titel des Konzerns er­ scheint. Neben Honoraren und Nutzungsrechten bestimmt ein GAV die Umgangs­regeln mit Freien, setzt Normen in der artge­ rechten Mitarbeiterhaltung. Nor­ men, auf die auch RedaktorInnen bei der Auftragsvergabe zurück­ greifen könnten. Nina Scheu

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Das Einkommen von freien Journalisten ist seit Jahren unter Druck. Deshalb braucht es einen GAV mit vernünftigen Mindesthonoraren sowie kostendeckenden Entschädigungen für Material und Arbeitsplatz.» Markus Forte, freier Fotograf

Fotos: Keystone (5), Max Spring (Cartoon), zvg

In der Westschweiz gibt es den GAV – fünf Vorteile, die Romands nicht missen wollen:

Medienqualität ist ein grosses Wort. Eine der Qualitätsfragen lautet, ob das Medienprodukt die verbrieften Regeln des Medienrechts und der Medienethik einhält. Medienrecht ist ein Querschnitts­ recht, dessen Normen in viele Gesetze verstreut sind: Persönlich­ keits­schutz zum Beispiel findet sich im Zivilgesetzbuch (ZGB) und im Strafgesetz (StGB). Wo der rasante technische Medien­ wandel nach Gesetzesänderungen ruft, bedarf es eines kundigen Gesetz­ gebers. Der scheint sich gelegentlich schwerzutun, etwa mit der längst fälligen Aufhebung oder mindestens Lockerung des Strafartikels 293, der JournalistInnen büsst, wenn sie einen formell als geheim erklärten Kommis­ sions­vorgang publizieren. Häufig ohne Abwägung, ob das formelle Geheimnis wirklich schutzwürdig ist. Der medienethisch grundierte Journa­ listenkodex des Presserats beruht auf Freiwilligkeit. Der Presserat würde seine Schlagkraft steigern, wenn er umstrittene Medienkampagnen ver­ mehrt von sich aus aufgreifen würde, ohne auf eine Beschwerde zu warten. Mit dem Internet und seinen «Shit­ storms» begegnet die Medienethik ganz neuen Herausforderungen. Hier unter höchstem Zeitdruck die Grenzmarken der Information richtig zu setzen, fällt oft schwer. Ein letzter heikler Punkt zwischen ­medialem Arbeitsrecht und Wirtschaftsfreiheit ist zu nennen: Besonders den Medienleuten in den Printmedien geht es schlecht; die Ertragsbasis hat sich verknappt. Inserateplantagen sind ausgedorrt, Abonnementszahlen traditioneller Blätter schrumpfen; Gratis-Pendlerzei­ tungen mit Unterhaltungscharakter breiten sich aus. Löhne und Honorare stagnieren. Grenzen zwischen Wer­ bung und politischer Unabhängigkeit werden unterlaufen, ohne dass der Presse­rat entschieden interveniert. Gesamtarbeitsverträge mit klaren be­ rufsethischen Regeln und wirtschaft­ licher Abfederung bei Entlassungen wären notwendig, gerade auch zum Schutz der Medienqualität. Die meisten Zeitungsredaktionen loben zwar Gesamtarbeitsverträge, weil sie den Arbeitsfrieden stützen. Aber die Verleger verweigern sie den eigenen JournalistInnen. Medienministerin Doris Leuthard mahnt die Verleger zu grösserem Entgegenkommen. Aber immer noch türmen sich Hindernisse. Es sollte vorwärtsgehen. Sonst wandern beste Berufsleute weiterhin in die Public Relations oder in die Behördenkommunikation ab.

Peter Studer


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