Extrablatt für Medienschaffende
Gewerkschaft Medien und Kommunikation Branche Presse und elektronische Medien www.syndicom.ch facebook.com/syndicom @syndicomTweets Editorial
Liebe Kolleginnen und Kollegen
© SABINE ROCK
angestellt. Zu schlechteren Bedingungen natürlich. PikettWir Journalistinnen und Journalisten berichten nicht über Dienste werden kaum entschädigt oder kompensiert. Die die Arbeitsbedingungen in unserer eigenen Branche. In un Arbeitszeit wird nicht erfasst, obwohl das Gesetz es ver seren Zeitungen interviewen wir gestresste Pöstlerinnen, langt. Dass wöchentlich unbezahlte Überstunden geleis drehen Reportagen über streikende Tankstellenmitarbei tet werden müssen, gehört faktisch zum Stellenbeschrieb. ter, schreiben über Dumpinglöhne auf dem Bau und kom Praktikantinnen arbeiten in der Westschweiz heute schon mentieren Massenentlassungen in der Industrie. Aber wie gratis, ein bezahltes Volontariat bekommt nur, wer schon es um uns selber steht, erfahren unsere Zuschauerinnen fertig studiert und bereits gear und Leser selten. beitet hat. Im Namen aller stummen Journalisten, Foto Aber wir, wir schreiben nicht grafinnen, Produzenten und Grafikerinnen: Um darüber. Weil unser Beruf der uns steht es schlecht. Seit zehn Jahren haben wir tollste ist, «eine Berufung», un keinen Gesamtarbeitsvertrag mehr, der uns ei sere Leidenschaft und uns Geld nen Mindeststandard bei Löhnen und Arbeits überhaupt nicht wichtig ist. zeit garantieren würde. Die Honorare für die Nur: Das ist Blödsinn. Wenn wir Freien sind ein Hohn: 140 Franken für eine gan unseren Beruf dermassen lie ze Seite im Feuilleton einer renommierten Ta ben, dann verteidigen wir ihn geszeitung, 50 Franken für ein Aufmacherbild. «Wenn wir unseren Beruf auch. Dann sorgen wir gemein Erinnern wir uns: Ein Bild kostet laut Lohnregu lieben, dann verteidigen sam dafür, dass unsere Arbeits lativ 203 Franken, der Tagesansatz für freie Jour bedingungen qualitativ wert nalistinnen und Journalisten liegt bei 516 Fran wir ihn auch.» ken. Redaktorinnen und Redaktoren müssten Sina Bühler (li.), freie Journalistin, volle Beiträge ermöglichen, dass die stratosphärischen Ge in den Städten Bern, Basel und Zürich mit und Silvia Luckner, Fotografin winne der Verlage wieder in 5933 Franken Lohn in den Beruf einsteigen, aus den Journalismus gesteckt wer serhalb der Zentren mit 5515 Franken. den, in uns, die Fotografen, Journalistinnen, Grafiker und Inzwischen brauchen die Redaktionen immer mehr freie Produzentinnen. Wir haben die Verlage erst wertvoll ge Mitarbeitende. Die Massenentlassungen häufen sich, bei macht. Tun wir uns zusammen und reden darüber. jeder Zeitungsübernahme werden wieder ein paar Stellen abgebaut. Und die vom Management der grossen Verla ge angebotenen Sozialpläne sind eine Frechheit. Die eine Sina Bühler und Silvia Luckner, Co-Präsidentinnen im oder der andere Entlassene wird nur Wochen später wieder Branchenvorstand Presse und elektronische Medien syndicom
Die Dienstleistungen für unsere Mitglieder: Beratung und Berufsrechtsschutz: Von syndicom bekommst du Unterstützung bei Fragen rund um das Arbeitsverhältnis. Ob Arbeitsrecht, Sozialversicherungen, Urheberrecht, Medienrecht usw., bei uns erhältst du fachkundigen Rat und wenn nötig Rechtsschutz. Weiterbildung: Mit dem gewerkschaftlichen Bildungsinstitut Movendo organisieren wir Kurse, die dich am Arbeitsplatz weiterbringen. Einen Kurs pro Jahr kannst du gratis besuchen. Weitere Infos gibts auf M ovendo.ch. Sonstige berufliche Weiterbildung unterstützen wir mit bis zu 500 Franken jährlich. Ausbildungsbons: Wer Vollzeit in Ausbildung ist, bekommt als Beitrag für den Kauf von Fachbüchern und Lehrmitteln von der Gewerkschaft pro Kalenderjahr einen Bon von 100 Franken. Vergünstigungen: Verschiedene Versicherungsrabatte und verbilligte Reka-Checks sind zusätzlich attraktive Angebote. Die Gewerkschaftszeitung: Jeden Monat gibt es im Verbandsorgan «syndicomZeitung» Neuigkeiten aus allen Branchen der Gewerkschaft.
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Engagement bringt Erfolge
Kämpfen lohnt sich syndicom in der Gewerkschaftsbewegung Wir gehören zum Schweizerischen Gewerkschaftsbund SGB und zur sowohl zur Europäischen (EFJ) als auch zur Internationalen Föderation der JournalistInnen (IFJ). Zusammen mit diesen Dachorganisationen setzen wir uns für gute Sozialversicherungen, einen griffigen Arbeitnehmendenschutz und anständige Arbeitsbedingungen ein. syndicom am Arbeitsplatz In vielen Redaktionen gibt es keine oder nur schwache Personalkommissionen. syndicom hilft, starke interne ArbeitnehmendenVertretungen zu gründen, zum Beispiel beim «Tages-Anzeiger» und bei der «Berner Zeitung». Die Gewerkschaft begleitet die PeKos bei Verhandlungen und stärkt sie mit Rat und Tat. syndicom am Verhandlungstisch Die Gewerkschaft erkämpft Sozialverträge, zum Beispiel im Juli 2009: comedia, Impressum und die Personalkommission des «TagesAnzeigers» einigen sich mit Tamedia über einen Sozialplan für die ausgesprochenen Massenentlassungen. Er liegt weit über dem ursprünglichen Angebot des Verlags. syndicom vor Gericht Ein Beispiel von vielen: syndicom-Mitglied (damals SJU) Max Messerli macht 1978 eines der berühmtesten Fotos von Bob Marley. Eine Fotoagentur verkauft danach das Bild tausendfach als Poster weiter. Messerli klagt vor Gericht. Die Anwaltskosten übernimmt die Gewerkschaft. Die Vorinstanz spricht dem Bild jeglichen Urheberrechtsschutz ab. Erst das Bundesgericht anerkennt: Die Fotografie ist ein urheberrechtlich geschütztes Werk. syndicom in der Medienpolitik Durch das Engagement im Presserat, bei der Presseförderung, in der Aus- und Weiterbildung der Medienschaffenden und im Medienmagazin «Edito + Klartext» wird syndicom zur treibenden Kraft in der Medien- und Berufspolitik. syndicom gegen Diskriminierungen Viele Mitgliedergruppen sind am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft immer noch mit Benachteiligungen und Ungerechtigkeiten konfrontiert. Dazu gehören insbesondere Frauen, Junge, MigrantInnen, RentnerInnen und Freischaffende. syndicom setzt sich für eine diskriminierungsfreie Gesellschaft ein. syndicom an der Urne Wir setzen uns auch auf politischer Ebene für soziale Gerechtigkeit ein: So ergreift syndicom (damals noch GeKo und comedia) gemeinsam mit den anderen SGB-Gewerkschaften das Referendum gegen eine geplante Senkung der Renten der zweiten Säule.
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syndicom – Gewerkschaft Medien und Kommunikation
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Florian Niedermann, «Limmat taler Zeitung» «Ich engagiere mich in der Gewerkschaft, weil ich nicht zu den vielen Journalisten und Journalistinnen
Daniel Sager, Tele Top «Als Lohnabhängiger ist es für mich selbstverständlich, mich gewerkschaftlich zu organisieren. Dies aus der Einsicht heraus, dass wir unsere gemeinsamen Interessen nur kollektiv verteidigen und durchsetzen können. Sich gewerkschaftlich zu organisieren bedeutet für
Mitgliederporträt David Bruderer
mich aber mehr, als nur den Mitgliederbeitrag zu zahlen. Denn zu einer starken gesellschaftlichen Kraft kann eine Gewerkschaft nur werden, wenn sie aus einer aktiven und selbstbestimmten Basis besteht.»
deshalb erscheint mir die Mitgliedschaft bei einer Gewerkschaft schlicht elementar. Vor allem heutzutage, wo das Metier radikal umgestaltet wird und wo es in der Deutschschweiz und im Tessin immer noch keinen GAV gibt.»
Dominique Hartmann, «Le Courrier» «Journalismus als Beruf ist geprägt von Individualismus und Konkurrenzdenken,
Daniele Fontana, Journalist «Im Tessin bleibt die Anzahl Titel dank dem Aufkommen des Webs weiterhin hoch. Das äussert sich jedoch nicht in
einer echten Zunahme der Pluralität. Die Lage auf dem Verlagsmarkt ist sehr angespannt. Ergebnis? Die Journalistinnen und Journalisten geraten immer mehr unter Druck, ihre Arbeitsbedingungen verschlechtern sich, und die Qualität der Produkte nimmt ab. All das erfordert eine Gewerkschaftsbewegung, welche die Interessen der Journalistinnen und Journalisten wirklich vertritt und die Qualität
der Information sicherstellt.» Thomas Leuzinger, Journalist «Es ist beschämend, wie manche freien MitarbeiterInnen von den Verlagen abgespeist werden. Angesichts der Tatsache, dass in den Redaktionen abgebaut und folglich vermehrt auf Freie zurückgegriffen wird, braucht die Branche dringend einen GAV. Nur schon deshalb ist die Arbeit der Gewerkschaft nötig.» © SABINE ROCK
gehören will, die nur über ihre Arbeitsbedingungen jammern, aber nichts dagegen tun. Die Branche braucht wieder einen GAV. Vor allem um die Situation der Freischaffenden zu verbessern.»
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gerungen› machen die Medienkonzerne wieder satte Gewinne. Ist das die Zukunft des Journalismus? Der Demokratie? Wir müssen uns wehren. Wenn wir uns nicht einmischen, tun es andere für uns.»
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Roman Berger, Journalist, pens. Redaktor «Tages-Anzeiger» «Nur noch drei Verlagskonzerne kontrollieren in der Schweiz siebzig Prozent der Medien, die politische Nachrichten verbreiten. Auf zusam mengesparten ‹Kernredaktionen› arbeiten immer mehr Journalisten und Journalistinnen, die als ‹Content-Provider› am Fliessband News fabrizieren. Dank diesen ‹Effizienzstei-
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Patrick Gutenberg, freier Bildjournalist «Ein GAV würde eine Honorar-Untergrenze definieren, die auch den freischaffenden BildjournalistInnen ein existenzsicherndes Einkommen ermöglicht.»
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nalismus schon gar nicht. Ich möchte mich mit meiner Gewerkschaft für gute Arbeitsbedingungen, für faire Löhne und eine sinnvolle Medienpolitik einsetzen.»
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Sabine Arnold, Journalistin «Ich wollte als Journalistin nie nur Inhalt abfüllen und sah mich nie als Manövriermasse der Verlagschefs. Genau das habe ich als fest angestellte Journalistin aber auch schon erlebt. Kolleginnen und Kollegen wurden eingestellt und wieder entlassen, weil ein Medienhaus auf dem Reissbrett eine Wachstumsstrategie verfolgte. Um Menschen ging es da nie. Um guten Jour-
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Branche Presse und elektronische medien: Die vorstandsmitglieder
Mitgliederporträt Antoine Grosjean
Mitgliederporträt Susan Boos
«Eine Gewerkschaft ist nur so gut wie ihre Mitglieder»
«Wer, wenn nicht wir, kämpft bei den Verlagen um die Qualität?»
Sportreporter David Bruderer ist in der Personalkommission der «Zürichsee-Zeitung» und muss zusätzlich in Winterthur arbeiten, seit der «Landbote» Tamedia gehört. Sina Bühler
Susan Boos ist Redaktionsleiterin der Wochenzeitung WOZ. Sie setzt sich für die Aus- und Weiterbildung in der Branche ein. Sabine Arnold
Antoine Grosjean ist bei der «Tribune de Genève». Er setzt sich dafür ein, dass syndicom in der Romandie endlich als Sozialpartner anerkannt wird. Dominique Hartmann
Am 1. Juni 2014 hat sich David Brude rers Arbeitsweg um zwei Stunden ver längert. Seit die Tamedia nicht nur die «Zürichsee-Zeitung» (ZSZ) und den «Zürcher Unterländer», sondern auch den Winterthurer «Landboten» über nommen und die drei Titel unter dem Dach der Zürcher Regionalzeitungen AG zusammengefasst hat, hat sich ei niges geändert. So entstand in Winterthur eine ge meinsame Sportredaktion. Jede drit te Woche hat Bruderer dort Dienst, die übrige Zeit schreibt er Artikel auf der ZSZ-Redaktion in Stäfa. Sein Pen sum hat der Familienvater von 90 auf 80 Prozent reduziert. «Donnerstag ist mein fixer Papitag.» Wegen der beiden Söhne und dem Haus in Hombrechti kon kam ein Umzug nie in Frage. Bruderer lacht: «Ich kann nicht jedes Mal zügeln, wenn die ZSZ Redaktionen zusammenlegt! Ich arbeite bereits am dritten Standort.» Umstrukturierun gen sind inzwischen üblich, die Regi onalzeitungen hat es aber besonders getroffen. Mit den Kollegen der Personalkommis sion hat David Bruderer wenigstens da für sorgen können, dass die Folgen et was gemildert wurden. «Ich wusste selber lange nicht, ob ich meine Stel le behalten kann», sagt der 39-jährige Hombrechtiker. «Es waren drei Zeitun gen mit zwei PeKos involviert. Am An fang hat uns die Tamedia immer se parat eingeladen. Wir haben uns aber abgesprochen und traten unterstützt von den beiden Gewerkschaften im mer gemeinsam auf.» Die PeKos sam melten Unterschriften und organisier ten mehrere Kundgebungen. Dass die Tamedia den 2009 erkämpften, fairen Sozialplan anwenden würde, haben diese Aktionen nicht bewirkt. «Wir ha ben damit aber signalisiert, dass wir uns nicht alles gefallen lassen. Und der Chefredaktor bemühte sich, individu elle Lösungen für Betroffene zu finden, beispielsweise in anderen Ressorts.» David Bruderer wurde schon als Bub politisiert. Seine prägnanteste Erin nerung ist, wie er 1983 mit den Eltern
«Ein Atomausstieg sähe anders aus», sagt Susan Boos. Die Atomkatastrophe von Fukushima liegt mehr als drei Jah re zurück. Im ersten Jahr seien noch alle aufgeregt, interessiert und kritisch gewesen, sagt sie. «Im zweiten Jahr war man noch etwas nachdenklich, im drit ten war schon fast alles wieder verges sen.» Immerhin seien die geplanten AKW-Neubauprojekte gestoppt wor den. «Dafür lässt man die alten unbe schränkt weiterlaufen.» Die 51-jährige Journalistin gilt nicht nur bei AtomkraftgegnerInnen als kompetente unabhängige Expertin für Kernenergie in der Schweiz. Im Herbst 2011 reiste sie zweimal nach Japan. Da nach schrieb sie in nur drei Monaten ihr drittes Buch zum Thema Kernener gie. «Das hatte etwas von einem Klos terleben: essen, schlafen, schreiben und sonst kein Vergnügen. Aber span nend war es.»
Unterschriften gegen den Waffenplatz in Rothenthurm SZ sammelte. Die In itiative wurde 1987 an der Urne ange nommen. «Jedes Mal, wenn ich von Bi berbrugg nach Arth-Goldau fahre, wird mir wieder bewusst, was man gemein sam erreichen kann.» Das wünscht er sich auch für Journalisten-Zusammen halt. Und er nimmt damit jedes ein zelne Gewerkschaftsmitglied in die Pflicht: «Wir müssen den Leuten klar machen, dass wir uns organisieren müssen.» Bruderer ist ein begeisterter Hand baller, spielte einst mit Stäfa in der Nationalliga B. Noch vor Abschluss der Kantonsschule zog er sich einen Kreuz bandriss zu. Während der Rekonva leszenz begann er die ersten Match berichte für die «Zürichsee-Zeitung» zu schreiben. Der Verletzung wegen überdachte er auch seinen damaligen Berufswunsch, Sportlehrer, und nahm
ein Geografie-Studium auf. Nach eini gen Semestern sattelte er nochmals um und begann die Ausbildung zum Se kundarlehrer. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich als Journalist, zuerst als Freier, später an zwei Nachmittagen die Woche als Redaktor der «Vermisch ten Meldungen» bei der ZSZ. Der dorti ge Sportchef wollte ihn schon vor dem Studium als Redaktor anstellen. «Wir haben uns vorerst auf einige Nachtund Sonntagsdienste geeinigt», sagt Bruderer. Erst mit dem Lehrerpatent im Sack liess er sich 2002 fest anstellen. An seinem Beruf schätzt er besonders, Athletinnen und Athleten vom Zürich see während ihrer ganzen Karriere be gleiten zu können: «Es ist schön zu se hen, wie sie sich entwickeln, im Sport und als Menschen.» Näher als ein Regionalsportredaktor kommt den Stars von morgen kaum jemand.
© URSUL A HÄNE
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«Vor Fukushima haben viele mein In teresse nicht richtig verstanden», sagt sie, «der Link zur Realität hat ihnen ge fehlt.» An der Atomenergie zeige sich, wie eine Gesellschaft funktioniere und welchen Illusionen sie sich hingebe. Keine Meinung zu haben, kommt für die Journalistin nicht in Frage. «Bezieht man keine Stellung, stellt man sich au tomatisch auf die Seite der Definitions macht. Es ist immer aufwendiger, kri tisch zu sein. Man muss mehr wissen und mehr recherchieren.» Susan Boos stieg als 20-Jährige bei der «Ostschweizer AZ» in den Journalis mus ein, finanzierte sich damit einen Teil des Studiums, brach das schliess lich ab, als sie Redaktorin bei demsel ben Blatt wurde. Zwei Jahre später ging sie zur WOZ. Seit 2005 ist sie in der Re daktionsleitung der genossenschaft lich organisierten Zeitung. Alle, die bei der WOZ arbeiten, sind Genossen
schaftsmitglieder und besitzen die Zei tung. Sie erhalten einen Einheitslohn von 5000 Franken. Weshalb ist Boos trotz diesen egalitären Arbeitsverhält nissen syndicom-Mitglied? Sie trat be reits Ende der 80er-Jahre der Schwei zerischen Journalisten-Union bei. Ihr sei der Rechtsschutz immer wichtig gewesen. Sie selbst habe ihn zwar nie gebraucht, andere WOZ-Mitarbeitende hingegen schon. Boos sorgt sich zudem um ihren Berufs stand. Hinsichtlich der Löhne kristalli siere sich langsam eine «3-Klassen-Ge sellschaft» heraus: «Die obersten zehn Prozent – alte Hasen bei den nationalen Zeitungen und SRG-Journalisten – ver dienen richtig gut. Wer bei regionalen Printprodukten arbeitet, erhält ordent liche Löhne. Die andern, etwa OnlineJournalistInnen oder Freie, müssen zu nehmend unten durch.» Wie in den USA drohe sogar Gratisarbeit. Aus der Perspektive der WOZ könn te sie sich über die immer schlechter werdende Konkurrenz zwar freuen. Doch für sie sind Redaktionen keine Fabriken, die Infos produzieren. «Un sere direkte Demokratie ist auf profes sionelle Journalistinnen und Journa listen angewiesen. Diese Leute sollen für die Denkarbeit, die sie leisten, an ständig bezahlt werden.» Wie kann die Gewerkschaft dem entgegenwirken? «Eine Gewerkschaft ist nur so gut wie ihre Mitglieder», sagt Boos. Die Redak tionen hätten Pepp verloren: «Früher gab es noch ab und zu einen Streik.» Eine JournalistInnengewerkschaft könnte auch bei der Weiterbildung einhaken und etwa Recherchierkurse anbieten. Nicht als Konkurrenz zu de nen am MAZ, wo sie selbst Dozentin ist, sondern «mehr auf Augenhöhe» und in Form von Netzwerken. Dass eine sorgfältige und intensive Denk- und Sprachschulung gute JournalistInnen hervorbringe, die zudem eine Haltung hätten, zeige die WOZ. Sie funktioniere wie ein kleiner Fussballclub, der Nach wuchs ausbildet: Immer wieder wer ben ihr grosse Medienhäuser die guten SchreiberInnen ab.
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«Es geht einfach nicht anders: wir müssen uns organisieren»
Antoine Grosjean, 42-jährig, seit 2003 Journalist bei der «Tribune de Geneve», sieht es so: «Der Beruf steht derzeit vor vielen Herausforderungen. Die umfas senden Sparmassnahmen in den Re daktionen sowie die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und der sozia len Errungenschaften zeigen, dass wir mehr denn je eine starke, offensive Ge werkschaft brauchen.» Grosjean trat im Jahr 2003 zu Beginn seines journalistischen Praktikums in die Gewerkschaft ein, damals die co media. «Die Mitgliedschaft ermöglicht mir, mich für den Schutz der Arbeit nehmenden einzusetzen sowie über die Kräfteverhältnisse und die Lage im Mediensektor auf dem Laufenden zu bleiben, und zwar nicht nur in der Westschweiz, sondern auch in der Deutschschweiz und im Tessin, wo
ein Gesamtarbeitsvertrag seit Jahren fehlt.» Die Entwicklung des Journalis musberufs, vor allem bei den gedruck ten Medien, bereitet ihm Sorgen. «Der Zwang zur Geschwindigkeit, dem wir mit gleich viel oder sogar weniger Personal unterliegen, gefährdet die Qualität unserer Arbeit. Auch das Inter net zwingt uns, immer gehetzter zu ar beiten, und lässt uns oft keine Zeit, die Informationen zu ordnen oder zu ver tiefen und die Sachverhalte nuanciert darzustellen. Um das Berufsethos steht es oft schlecht. Um es zu verteidigen, müssen wir gegenüber den Verlegern darum kämpfen.» Grosjean setzt hier auf die Gewerkschaft syndicom. Antoine Grosjean hatte die Fusion zwischen comedia und der Gewerk schaft Kommunikation nicht ohne Skepsis verfolgt: «Als Medienschaffen
de sind wir hier eine Minderheit. Trotz dem bleibe ich Mitglied – aus Loyali tät gegenüber meiner Gewerkschaft und weil ich es wichtig finde, dass es mehrere Journalistenorganisationen gibt, auch wenn sie möglichst oft zu sammenarbeiten sollten. Zudem sind wir als Organisation stärker geworden mit nunmehr 39 000 syndicom-Mit gliedern.» Die politische Ausrichtung sei dafür wohl etwas weniger deutlich links als bei der comedia. Dabei hatte gerade dies seinerzeit den Ausschlag gegeben: «Die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen entschieden sich damals für Impressum, welche ich eher als Berufs verband wahrnahm. Unsere Gewerk schaft hat ein offensives Image; das ge fiel mir von Anfang an.» Bei syndicom seien auch alle anderen Berufe der Me dienbranche organisiert, «und nicht nur die ‹Journalisten-Elite›, die reicht halt für die Herstellung einer Publika tion nicht ganz aus», sagt Grosjean mit einem Lächeln. Als die Verleger den Westschweizer GAV aufkündigten und Tamedia einen Sparplan in Millionenhöhe ankündig te, sah sich Antoine Grosjean in sei ner Wahl bestätigt – auch wenn syndi com vom Verband Schweizer Medien in der Romandie immer noch nicht als GAV-Partnerin anerkannt wird. «Wenn meine Gewerkschaft von den Verhand lungen ausgeschlossen wird, empfin de ich das als Verletzung meiner Ge werkschaftsfreiheit», gesteht er, der heute in der Société des rédacteurs et du personnel bei der «Tribune de Ge nève» sowie in der Redaktionskoordi nation von Tamedia Publications Ro mandes sitzt. «Ich hoffe, dass die verschiedenen Journalistenorganisationen den einge schlagenen Weg der Annäherung wei ter gehen, auch wenn ich noch nicht von der Gründung einer einzigen gros sen Gewerkschaft überzeugt bin. Für einen Berufsstand in dauerndem Wan del wird es in den Verhandlungen mit den Verlegern immer wichtiger, dass alle am gleichen Strick ziehen.»
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syndicom – Gewerkschaft Medien und Kommunikation
Kommission der freischaffenden Journalistinnen
mitglied werden
Freie Medienschaffende stehen zusammen Die Freienkommission («FreKo») von syndicom setzt sich für die Belange der freien Medienschaffenden und die Anerkennung ihrer Arbeit ein. Helen Weiss Zeitungsredaktionen könnten kaum ihre Seiten füllen, Radio und Fernsehen hät ten nichts zu melden und Fachzeitschrif ten und Onlinemagazine könnten einpa cken ohne freie Medienschaffende, die ihnen News, Bilder und Videobeiträge lie fern. Keine Frage: Ohne freie Journalisten und Fotografinnen würden Hintergrund artikel, Radionachrichten und Fernsehre portagen mager ausfallen. Trotzdem verläuft die Zusammenarbeit zwischen Redaktionen und Freien häufig unharmonisch: Die Verlage diktieren die Honorare und verlangen immer öfter die Abtretung sämtlicher Nutzungsrechte für ein einmaliges Entgelt, das zudem immer tiefer angesetzt wird. Und sie haben leich tes Spiel, denn die freien Journalistinnen und Fotografen sind schlecht organisiert
und wehren sich kaum gegen DumpingHonorare. In den letzten Jahren hat sich die Situation für freie Medienschaffen de weiter zugespitzt. Festanstellungen bekommt man immer seltener, dafür wächst die Konkurrenz unter den Tausen den Freien. Gerade für Einsteiger und Ein steigerinnen, die noch nicht die nötigen Erfahrungen gesammelt haben, sind die ersten Jahre der Selbständigkeit riskant.
Tipps & Tricks und «Tag der Freien» Die Freienkommission der Gewerkschaft syndicom vertritt nicht nur die Interes sen von Freischaffenden in verschiede nen Medienberufen, sondern steht auch angehenden Freien mit Rat zur Seite. Die FreKo erarbeitet Unterlagen wie die «Tipps & Tricks für freie Medienschaf
fende» und organisiert Veranstaltungen, etwa den jährlichen «Tag der Freien». Hier können freie Journalisten und Fo tografinnen – und solche, die es werden wollen – sich informieren, austauschen und netzwerken. Der «Tag der Freien» bietet Text- und BildjournalistInnen in Print- wie elektronischen Medien Wei terbildung zu aktuellen Themen des be ruflichen Alltags. Im Mittelpunkt der Veranstaltung steht der Informationsund Erfahrungsaustausch zwischen Frei en und Redaktionsmitgliedern.
In der Freienkommission arbeiten derzeit mit: Patrick Bachmann, Martin Bichsel, Markus Forte, Theodora Peter, Pieter Poldervaart, Barbara Saladin, Lukas Unseld, Michael Walther.
Geschichte
Wir haben eine Geschichte Die Journalistinnen und Journalisten bei syndicom haben eine vierundvierzigjährige, eine bewegte Geschichte. Stefan Keller rin musste einige Zugeständnisse machen – und die GewerkschafterInnen fühlten sich im Kampf gestärkt. Zu den wichtigsten Erfahrungen des zwei ten Jahrzehnts gehörte der beginnen de Umbau der Medienlandschaft, den die SJU mit engagierten Vernehmlassun gen und Kommentaren, sogar mit einer
eigenen medienpolitischen Buchreihe (im Lenos-Verlag) begleitete. Das dritte Jahrzehnt sah die JournalistInnengewer kschaft – inzwischen nicht nur mit erhöh tem Frauenanteil, sondern auch mit einer Frauensekretärin – als Mitunterzeichne rin des seit 1918 bestehenden P resse-GAV
für die Deutschschweiz und das Tessin, der im vierten Jahrzehnt, nämlich 2004, von den Verlegern jedoch gekündigt und nie mehr ersetzt worden ist.
1999 misslang ein dringend notwendiger Versuch, alle JournalistInnen und Es war im Oktober 1970, als sich gegen sechzig JournalistInnen in einem Sit zungsraum des VPOD trafen, um eine neue Gewerkschaft zu gründen. Die Leu te trugen Namen wie Anton Schaller, Max Jäggi, Heinz Däpp, Frank A. Mey er, Ludwig A. Minelli und Sil Schmid; zu fünf Sechsteln waren sie männlichen Geschlechts und jene 33, die sich der Gewerkschaft dann sofort anschlossen, stimmten mit grosser Mehrheit für den Namen Schweizerische JournalistenUnion (SJU) – in Anlehnung an die Deut sche Journalisten-Union (DJU), die neben dem VPOD als wichtigste Patin des Pro jektes galt. Einige Mitglieder waren zuvor im traditi onsreichen Verein der Schweizer Presse organisiert, wie der heutige JournalistIn nenverband Impressum damals hiess. Aber in der Zeit nach 1968 hatte man ge
nug von braven Standesorganisationen, man wollte eine richtige, eine kampfbe reite Gewerkschaft. Als Unterorganisation des VPOD pro fitierte die SJU vom gewerkschaftlichen Know-how der SekretärInnen, von einer ausgebauten Infrastruktur und von finan ziellen Ressourcen. Ein Jahr später wa ren schon über hundert JournalistInnen in der SJU organisiert, zehn Jahre später waren es 500, zwanzig Jahre später 1500, allerdings fast nur aus der deutschen Schweiz und dem Tessin. Zu den wichtigsten Erfahrungen des ers ten Jahrzehnts gehörte der Streik in der
Redakt ion der Tageszeitung «Tat», die von ihrer Verlegerin, der Migros, im Herbst 1978 eingestellt wurde. Es war der erste Zeitungsstreik überhaupt in der Schweiz, das Ende der «Tat» wurde damit zwar nicht verhindert, doch die Verlege
übrigen Medienleute in einer einzigen Gewerkschaft – der comedia – zu verei nen. Im letzten Moment zogen sich die SRG-Hausgewerkschaft SSM und der Be rufsverband SVJ (wie Impressum damals hiess) von der Fusion zurück. Die Verleger nützten das später aus. Heute sind von den GründerInnen nicht mehr viele dabei. Manche haben den Beruf verlassen. Andere haben die Sei te gewechselt. Doch die Gewerkschaft ist weitergewachsen, glücklicherweise jetzt auch in der Westschweiz. Seit im Januar 2011 comedia mit der Gewerk schaft Kommunikation zu einer grossen Dienstleistungsgewerkschaft fusionierte, sind über 2000 Journalistinnen und Journalisten bei syndicom organisiert. Mit der Aktionsreihe «Jetzt schlägts 13!» brachte die Branche seit 2014 die Arbeits bedingungen in den Medien wieder an die Öffentlichkeit.
Unsere Dienstleistungen für Medienschaffende: Presseausweis: Ob Berufsregister, Branchenausweis oder internationaler Presseausweis, das Dokument hilft dir im Berufsalltag weiter. Vergünstigungen und Rabatte gibt es mit dem Presseausweis bei Mobility, Kredit karten, Autovermietung und Autokauf, Fluggesellschaften, Presse-Abos. Ratgeberliteratur: Die Gewerkschaft gibt bewährte, in der Branche breit anerkannte Ratgeber heraus, namentlich die «Tipps und Tricks für freie Medien schaffende» und das «FotoBüro». Zweite Säule: Die Pensionskasse Freelance sichert kompetent und spezialisiert die zweite Säule der Freien ab. Eine für Freie unerlässliche und vergleichsweise günstige Krankentaggeldversicherung bietet syndicom bei der Helsana. Medienmagazin «Edito + Klartext»: Als Mitglied in der Branche Presse und elektronische Medien bekommst du «Edito + Klartext» zugestellt. syndicom.ch: Nimm Kontakt auf mit dem zuständigen Regionalsekretariat – wir sind für dich da! Unsere Gewerkschaft bringt dir neben sozial- und medienpolitischem Engagement eine ganze Palette von Dienstleistungen. Presse und elektronische Medien Deine Ansprechpersonen sind: Stefanie Fürst (Bern) stefanie.fuerst@syndicom.ch; Tel. 058 817 18 49 Idris Djelid (Zürich) idris.djelid@syndicom.ch; Tel. 058 817 19 00 Stephanie Vonarburg (Zentralsekretariat) stephanie.vonarburg@syndicom.ch; Tel. 058 817 18 73
Jetzt beitreten! syndicom.ch impressum redaktion: Stephanie Vonarburg, Tamara Gerber, Sina Bühler, Tel. 058 817 18 18, medien@syndicom.ch layout: Katja Leudolph korrektorat: Ulrike Krüger druck: gdz AG, Spindelstrasse 2, 8041 Zürich verlegerin: syndicom – Gewerkschaft Medien und K ommunikation, Monbijoustrasse 33, Postfach 6336, 3001 Bern, Tel. 058 817 18 18, Fax 058 817 18 17, mail@syndicom.ch 2. Auflage 2015