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Wild und frei
Über “City Horses”
Eine Herde von Frauen galoppiert unerschrocken durch die Straßen Berlins. Sie besetzt öffentliche Plätze und wiehert berühmte Denkmäler und Skulpturen an, die Männer auf Pferden darstellen. “City Horses” ist eine Kollaboration der bildenden Künstlerin Helena Byström und der Choreografin Anna Källblad. Beatrix Joyce spricht mit ihnen über ihr nomadisches Projekt und den öffentlichen Raum als Bühne der Befreiung.
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Beatrix Joyce: Wie ist “City Horses” entstanden?
Helena Byström: Wir waren für ein internationales Projekt gemeinsam in Skopje, Nordmazedonien. Während eines Spaziergangs durch das Stadtzentrum kam uns die Idee zu “City Horses”. Skopje wurde 2014 einer architektonischen Neugestaltung unterzogen. Die Regierung ließ Straßen aus Marmor verlegen und kitschige Fassaden in altgriechischer Aufmachung und Scheinbalkone an Häuser anbringen. Und sie stellte gigantische Kriegerstatuen und Bronzeskulpturen von mächtigen Männern auf Pferden auf. Das war eine Machtdemonstration, aber auch eine Suche nach einer eigenen kulturellen Identität nach dem Zerfall Jugoslawiens. Auf uns wirkte das alles sehr seltsam, schließlich baut heutzutage niemand mehr solche Städte.
Anna Källblad: Genau, wir wollten als Künstlerinnen und Frauen darauf reagieren. Denn was uns besonders beschäftigt hat, war die Abwesenheit von Frauen. Sie fehlen in unseren Geschichtsbüchern, in historischen Denkmälern und auch in der Kunst im öffentlichen Raum. Wie kommt es, dass die Geschichten von Frauen nicht dargestellt werden? Wir wurden mit dieser männlichen Dominanz im öffentlichen Raum konfrontiert. Der Impuls, als Frau zu einem Pferd zu werden, war eine verzweifelte und körperliche Reaktion darauf. Mit dieser performativen Geste möchten wir eine Leerstelle füllen und den Körper nutzen, um Frauen anders darzustellen. Damit stellen wir die Frage: Wie wird kontrolliert, nahegelegt und interpretiert, wie sich Frauen bewegen? Die Objektivierung und Kontrolle des weiblichen Körpers im öffentlichen Raum ist mit Fragen von Macht und Eigentum verbunden. Nach Skopje wollten wir auch andere Räume ‘erobern’. Wir wollten “City Horses” in unsere eigenen Städte bringen und auch an europäische Orte, deren Geschichte von Expansion und Kolonialismus gezeichnet ist.
BJ: Wie findet ihr eure Tänzerinnen? Und wie bereitet ihr sie auf die Performance vor?
AK: Nach einer offenen Ausschreibung stellen wir eine Gruppe von Tänzerinnen zusammen, die sich aus lokalen Performerinnen und drei Performerinnen der vorherigen Show zusammensetzt. Wir arbeiten mit ihnen im Studio und gehen auch zu einer nahe gelegenen Weide oder einem Reiterhof, um Pferde zu beobachten. Tänzerinnen sind besonders geschult darin, Bewegungen und nonverbale Kommunikation zwischen Körpern zu beobachten, und diese Kompetenz wenden sie auch bei der Betrachtung von Pferden an. Wir bitten unsere Tänzerinnen, sich in die Präsenz der Pferde einzufühlen und ihre Reaktionen genau zu beobachten – so lernen sie, Pferde zu verkörpern.
HB: Ich glaube außerdem, dass man in der Nähe von Pferden sehen und spüren kann, wie kraftvoll und erhaben sie sind. Wir hoffen, dass unsere Tänzerinnen sich davon inspirieren lassen und eine ähnliche Präsenz verkörpern; es geht um das Gefühl, dazustehen und von niemandem bewegt werden zu können, egal, was passiert.
AK: Ja. Und wenn sie sich bewegen, dann nur, weil sie es wollen, weil ihnen danach ist. Die Frauen in dieser Arbeit bewegen sich nicht, um irgendjemandem zu gefallen. Sie bewegen sich, weil sie sich dazu entschieden haben. Dadurch entsteht eine andere Form von Besitz, sowohl am weiblichen Körper als auch am öffentlichen Raum.
HB: Genau, und sie können sich überall hinbewegen! Wie eine Herde von Wildpferden, nomadisch und frei. Und diese Freiheit sieht für alle anders aus. Es macht einen Unterschied, ob ich mich als Frau in Spanien oder Deutschland oder Norwegen bewege. Wir möchten uns mit den Tänzerinnen darüber austauschen, sie zusammenbringen und verstehen, wie die Erfahrungen in den verschiedenen Kulturen voneinander abweichen. Und wir wollen fragen, welche Erfahrungen wir vielleicht gemeinsam haben.
BJ: Auch die Reaktionen des Publikums fallen in verschiedenen Ländern bestimmt anders aus. Was für eine Resonanz habt ihr bisher beobachtet?
AK: Die Performance an sich ist sehr humorvoll: Es sieht albern aus, eine Gruppe erwachsener Frauen zu sehen, die herumgaloppieren. Das hat schon eine komische Note! Die meisten Leute starren, lachen oder sind völlig verwundert und überrascht. Aber genauso viele bleiben, schauen zu und lassen die Arbeit auf sich wirken.
HB: Manche lachen einfach, andere sind irritiert. An ihren Reaktionen kann man ablesen, dass sie das Gefühl haben, die Frauen nähmen zu viel Platz auf dem Gehweg ein. Aber dann gibt es auch diejenigen, die einfach mitmachen: Kinder rennen neben den Frauen her und ahmen ihre Bewegungen nach. Das kann sehr spielerisch sein. Viele Menschen können damit etwas anfangen, weil ihnen das Bild junger Mädchen, die auf dem Schulhof so tun, als würden sie Pferde reiten, vertraut ist. Im Grunde geht es darum, einen spielerischen Zugang zu einem ernsten Thema zu finden. T
Aus dem Englischen übersetzt von Astrid Zimmermann & Tabea Magyar für Gegensatz Translation Collective.