Winter 2015/16
Made in Brazil
Gisele Bündchen – eine Liebeserklärung Seite 120
GLOBALE ENTSPANNUNG
Majestät wünschen Farbe
Eine Deutschlandreise um 1900 Seite 36
Yoga in Ost und West
les liaisons dangereuses
Die unverschämte Rheims–Retrospektive
Seite 26
DELFTER LICHTSPIELE Vermeer in Cinemascope
Seite 12
Verschnupft Gay Talese reicht Frank Sinatra ein Taschentuch Seite 82
Matthew Weiners Mad Men Geständnisse eines Serientäters
Seite 96
Est. 1980 Stay flexible!
Seite 62
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Bringt auf Ideen! Das TASCHEN-Magazin zum Jahreswechsel
Viel Spaร beim Stรถbern! Noch mehr von Bettina Rheims auf S. 26. Foto: Charlotte Gainsbourg. Bettina Rheims, 2007.
Est. 1980
Never bore, always excite!
Front cover: The Penis Lift. Haridwar, November 16, 2007 © Michael O’Neill.
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All photographs © TASCHEN GmbH unless noted otherwise: 12–17 © bpk | Gemäldegalerie, SMB | Volker Schneider; 18 © National Gallery of Art, Washington, DC; 19 © The Frick Collection, New York; 20 © National Gallery of Ireland, Dublin; 21 © Margareta Svensson, Amsterdam; 22/23 © The Frick Collection, New York; 25 © Kunsthistorisches Museum, Wien; 26–35 © Bettina Rheims; 50/51, 54/55, 61: © The Collection of Kendra and Allan Daniel; 52, 56b: © National Library of Norway; 62–74 © 2015 Michael O’Neill; 75 © Photo: Bia Setti; 76–80 ©
Carrie Solomon; 82/83 © John Bryson/Sygma/Corbis; 92–93t © Phil Stern Estate, courtesy of the Fahey/Klein Gallery, Los Angeles; 94 Photo: Burt Glinn; 96–107 © 2015 AMC Network Entertainment LLC. All rights reserved; 108–119 © 1998–2015 NK Guy; 122/123 © Rankin/Trunk Archive; 124 © Paulo Vainer, Vogue Brasil; 125 © Inez & Vinoodh; 126–127 © Mario Testino/Art Partner licensing; 128 © Henrique Gendre, Vogue Brasil; 129 © Mert Alas & Marcus Piggott/Art Partner licensing; 130 © Brett Doonan; 131 © Juergen Teller; 134/135 © Tó Mané; 136 © John Severson; 139 © Bev Morgan; 140 © Ed Freeman; 141 © Jeff Divine; 142, 145 © LeRoy Grannis; 144 © Earl Newman; 147 © Don Trunick
Text: Harald Hellmann Design: Andy Disl & Benedikt Taschen Koordination: Florian Kobler & Martin Holz Produktion: Claudia Frey & Ute Wachendorf Directed and produced by Benedikt Taschen Printed in Germany Halbjährlich herausgegeben von TASCHEN Hohenzollernring 53, D–50672 Köln Tel: +49-221-20 18 00. contact@taschen.com Anfragen für Inserate an: media@taschen.com
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Liebe dein TASCHEN-Buch
Buchempfehlungen von prominenten Buchwürmern
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ALL AROUND THE WEIHNACHTSBAUM
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Geschenktipps vom TASCHEN-Team
Die Akte Perlenohrring
Neu ausgeleuchtet – Vermeer und sein Werk
Theater des Frivolen
Skandal garantiert – 35 Jahre Bettina Rheims
Kaiserwetter
Deutschland unter Wilhelm Zwo in Farbe
50
ART NOUVEAU UNTERM NORDLICHT
Kay Nielsen zieht durch die skandinavische Märchenwelt
120
Yoga zwischen Archaik und Lifestyle
WIR ENTSCHLEUNIGEN
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WENN DER KLEINE HUNGER KOMMT
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Kühlschrankcheck bei Sterneköchen
82 Altes
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Blauauge
Verschnupft: Frank Sinatra; inspiriert: Gay Talese
MEIN HAUS, MEINE FRAU, MEIN WERBEETAT
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Hinter den Kulissen von Matthew Weiners Mad Men
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DIE WÜSTE BRENNT
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Prinzessin Honigteint
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ENDLOSER SOMMER
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Burning Man – Megahappening im Nirgendwo Anschauen macht glücklich: Gisele Bündchen
Wie Surfen modern wurde – eine (Pop-)Kulturgeschichte
BILD dir deine Meinung
Über 60 Jahre! 760 Titelseiten!! Das BILD-Buch!!!
Die Backlist sei mit uns
Von Bauhaus bis Wright – Premiumcontent so weit das Auge reicht
Die Welt ist lesbar
… mit der Bibliotheca Universalis
Kunst mit schlankem FuSS
Basic Art: Monografisches im Slimline-Format
Druckfrische Zwanziger
Blühende Buchkultur: 1.000 Cover aus der Weimarer Republik
TASCHEN Gallery
Neues von unserem Hotspot in der Stadt der Engel
Statt Betongold
Unsere neuesten Collector’s Editions
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Mein Lieblingsbuch von TASCHEN ist … Prominente Buchwürmer empfehlen ihre TASCHEN-Lieblinge
Vivienne Westwood „Was für den Planeten gut ist, ist auch gut für den Menschen.“
Donna Karan „Eine wunderbare Reise durch die Welt des Yoga, die Geist und Seele seiner Lehrer, ihre Übungen, ihr Land und ihre Leute einfängt. Sich mit diesem Vermächtnis auseinanderzusetzen und Indien durch Michaels Augen erleben zu können ist ein Genuss für Körper, Kopf und Seele – eine wahrhaft transformative Erfahrung, die ich niemals vergessen werde.“
„Andys geniale Polaroids alle in einem Buch – und ich bin dabei. Wahnsinn!“
Bjarke Ingels Illustrationen von Robert Nippoldt
Debbie Harry
„Burning Man ist wie eine vom Menschen gemachte Fata Morgana, ein surrealer Traum, der Wirklichkeit wird. Momentaufnahmen von Kunst und Kultur einer flüchtigen Zivilisation.“
Ai Weiwei
„Eine ungeheure Fülle an Material und großartig aufbereitet. Es vermittelt einen überaus lebendigen Eindruck vom Alltag in der ehemaligen DDR.“
Nastassja Kinski „Es macht mich so stolz, die unbeschreibliche Freude beim Fall der Mauer miterlebt zu haben. Beyond the Wall zeigt die Welt dahinter, die uns alle zu neuen Menschen machte – von den dunklen Anfangsjahren des Kalten Kriegs bis zu dessen vielbeklatschtem Ende.“
„Ein faszinierender Einblick in ein untergegangenes Land und seine Kultur. Das Buch zieht jeden in seinen Bann, der es aufschlägt, ob er sich nun für Geschichte interessiert oder nicht.“
Oren Peli
„In Beyond the Wall begegnet man einer überdrehten Sammlung zeittypischer Produkte, die drollig, sehr menschlich und oft geradezu rührend sind.“
Steve Martin
„Endlich ein angemessener Tribut an das neue Golden Age des Fernsehens.“ — Empire Magazine, London
„Und wieder macht TASCHEN Stanley Kubrick alle Ehre.“ — Film Chronicles, London Die besten TV-Serien. TASCHENs Auswahl der letzten 25 Jahre € 49,99
The Making of Stanley Kubrick’s 2OO1: A Space Odyssey € 59,99
Geschenktipps NICE PRICE
unter
„Ein actionreicher Nostalgietrip durch die Filmabenteuer des smartesten Agenten Ihrer Majestät.“ — Classic Driver, St Albans
Das James Bond Archiv Originalausgabe € 150 Aktualisierte SPECTRE-Ausgabe 2015 € 49,99
„Man kann Weihnachten retten, indem man den Bildband Michelangelo schenkt“ — Front, Berlin
Michelangelo. Das vollständige Werk Originalausgabe € 150 Aktualisierte Ausgabe 2015 € 49,99
„Betörende Fotos, die Sie veranlassen werden, Ihren Platz im Universum zu überdenken.“ — buzzfeed.com
NICE PRICE
Leonardo da Vinci. Sämtliche Gemälde und Zeichnungen Originalausgabe € 150 Aktualisierte Ausgabe 2015 € 49,99
„So viel Leonardo war noch nie! Ein bibliophiler Schatz.“
Expanding Universe. Photographs from the Hubble Space Telescope € 49,99
— Berliner Kurier
100 €
„Höchstwahrscheinlich haben Sie noch nie einen PirelliKalender besessen. Hier ist die Gelegenheit, alle auf einen Schlag zu bekommen – und noch ein paar Extras dazu!“ — i-D Magazine, London
Andy Warhol. Polaroids € 74,99
„Das Staraufgebot ist ebenso spektakulär wie Warhols Polaroids selbst.“ — Wired.com
Sebastião Salgado. GENESIS € 49,99
„Diese Bilder sind ein Hochamt: sie zelebrieren die Kostbarkeit des Lebens.“ — Stern, Hamburg
Pirelli – The Calendar. 50 Years And More € 49,99
William Blake. Die Zeichnungen zu Dantes Göttlicher Komödie € 99,99
„Ein Monstrum, das selbst etwas Göttliches hat, und dabei sündhaft schön. Das Prunkstück meiner Sammlung.“ — Skin Deep, London
Hieronymus Bosch. Das vollständige Werk € 99.99
Wunderwelten NYT. 36 Hours. World (3/36/365) Englische Ausgabe € 99,99
„Dem Buch liegt eine Keycard bei, mit der Sie auch unterwegs sofortigen Zugriff auf alle Restaurantund Ausflugstipps haben.“ — InStyle.com
„Selbst nach den hehren TASCHENQualitätsmaßstäben ein Meisterwerk.“ — Empire Magazine, London
Das Charlie Chaplin Archiv € 150
ab
„Ein großartiger und vielfältiger Einblick in die Seele der Rolling Stones … Für die Stones ist dieses Buch ihr offizielles fotografisches Archiv.“ — ARD ttt, Leipzig
The Rolling Stones € 99,99
„Besitzen Sie ein Stück Kunstgeschichte.“
100 €
— Quintessentially, London
Helmut Newton. SUMO. Revised by June Newton € 99,99
„Ein in jeder Hinsicht unverzichtbarer Forschungsbeitrag … Brillante Falttafeln bieten großformatige Ansichten, einzelne Vergrößerungen geben faszinierende Einblicke ins Detail.“ — Kunstchronik, München
Gustav Klimt. Sämtliche Gemälde € 150
„Testinosteron!“ — Madame Figaro, Paris
Mario Testino. SIR Limitierte Auflage von 1.000 signierten Exemplaren € 500
Luxus-
ausgaben
über
Hugh Hefner’s Playboy Limitierte Auflage von 1.500 signierten Exemplaren € 1.000 Neuer Preis ab 2016: € 1.200
„Die Lebensbeschreibung eines Mannes, der unbestreitbar die Welt verändert hat … das bislang beste Geschichts buch, das im 21. Jahrhundert erschienen ist.“ — The Independent, London
Mick Rock. The Rise of David Bowie, 1972–1973 Limitierte Auflage von 1.772 signierten Exemplaren € 500 Neuer Preis ab 2016: € 750
„Im Namen von Ziggy Stardust, diese Fotos von Bowie sind einfach grandios.“ — The Huffington Post, New York
Robert Crumb. Sketchbooks 1982–2011 Limitierte Auflage von 1.000 signierten Exemplaren € 750
„Eine der beeindruckendsten Skizzenbuch-Sammlungen, die man je sehen wird.“ — Complex.com
300 € Ai Weiwei Limitierte Auflage von 1.000 signierten Exemplaren € 1.000
„Noch nie gesehene Bilder, Interviews und ein einzigartiges Design fügen sich zu einem umfassenden Gesamtporträt eines der führenden Konzeptkünstler unserer Zeit.“ — Arts & Collections, London
Annie Leibovitz Limitierte Auflage von 9.000 signierten Exemplaren € 2.000
„Seit Jahren hat mich kein Buch so inspiriert. Es erinnert mich daran, wie viel Kraft in einem einfachen, gradlinigen Foto steckt.“ — thesartorialist.com National Geographic. In 125 Jahren um die Welt Limitierte Auflage von 125.000 Exemplaren € 399
Date mit der Kunstgeschichte Brandneue Fotografien f체r Vermeer: Das vollst채ndige Werk
Gem채ldegalerie Berlin, 29. Juni 2015, 13:33 Uhr Fotograf: Volker Schneider.
Es ist zweifellos ein Privileg, sich beruflich mit der Kunst befassen zu dürfen, und wir bei TASCHEN schätzen uns darüber sehr glücklich. Eine Verpflichtung ist es jedoch auch: Wir bemühen uns, allen Künstlern den Respekt und die bestmögliche Behandlung angedeihen zu lassen, die sie – und unsere Leser – verdienen, ganz gleich, ob es sich um eine Künst lerin oder einen Künstler unserer Tage handelt oder um einen alten Meister. So investieren wir viel Zeit, Mühe, ja, und auch Geld, das Werk eines Künstlers im optimalen Licht erschei nen zu lassen, und lassen Gemälde daher häufig mit modernster Technik neu fotografieren, sodass ihre Abbildung in unseren Büchern dem Original so nahe wie möglich kommt. Im Falle von Vermeer: Das vollständige Werk ließen wir 18 von insgesamt 35 existierenden Gemälden neu ablichten, und zwar in enger Zusammenarbeit mit einigen der renommier testen Museumssammlungen der Welt, wie dem Metropolitan Museum und der Frick Collection in New York, der National Gallery of Art in Washington, dem Koninklijk Kabinet van Schilderijen Mauritshuis in Den Haag, dem Städel Museum in Frankfurt am Main und der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden.
Das Verhältnis der beiden Figuren
in Das Glas Wein (um 1658–1660, Detail) ist ebenso viel schichtig wie hintergründig. Das Bild markiert einen Quantensprung in Vermeers psychologischer Durchdringung des Themas, der seine Entsprechung in der gereiften Darstellung des Raums findet.
Das Glas Wein wurde in der Berliner Gemäldegalerie fotografiert. Nun ist ein altes Gemälde zwar kein kapriziöses Topmodel mit Allüren, aber es erwartet doch einiges an Aufmerksamkeit, und ein Fototermin mit ihm kann zu einer Nervenprobe geraten. Schon allein das Problem der Zeitplanung: Aufgrund der umfang reichen Anforderungen, die solche Aufnahmen stellen, können sie nur stattfinden, wenn das Museum geschlossen ist. Dann muss das Werk ausgerahmt werden, was ein ganzes Team aus Kurato ren, Fotografen, Konservatoren und Sicherheitsleuten erfordert, die sicherstellen, dass das Werk jederzeit und nach allen Seiten geschützt ist. Und schließlich müssen die Fotografen selbst mit den modernsten Aufnahmetechniken arbeiten, um beispielsweise unerwünschte Spiegelungen der Krakelüre (Oberflächenrisse, die durch die Alterung der Farben entstanden sind) zu vermeiden und das Gemälde in all seiner Pracht zu erfassen. Wenn die Fotografien fertig sind, gleicht unsere Produktionsabteilung sie noch einmal mit den Originalgemälden ab, um zu gewährleisten, dass alle Farben und Einzelheiten mit höchstmöglicher Genauigkeit wiedergegeben wurden. Was danach geschieht, verraten wir Ihnen beim nächsten Mal: wie ein TASCHEN-XL-Buch gedruckt und gebunden wird.
Delfter Illusionen
Lichtzeichen aus dem 17. Jahrhundert – Johannes Vermeer in XL
„Jedes Gemälde, jede Frau, die er malt, birgt so viele Geheimnisse, so viele angedeutete, aber nicht erzählte Geschichten.“ — Tracy Chevalier, 2014
In Junge Dame mit Perlenhalsband (um 1663/64, Detail) sehen wir eine junge Frau, die gerade ihre Toilette vollendet. Wie sein bekanntestes Gemälde, Das Mädchen mit dem Perlenohrring, zeigt dieses Werk Vermeers absolute Meisterschaft in der Darstellung der Oberflächen und Strukturen von Stoffen und Schmuck.
Maler, Mädchen, Perlenohrring Vermeers Spur durch die Kunstgeschichte
Der in Delft geborene und tätige Johannes Vermeer gilt neben Rembrandt als berühmtester und bedeutendster Vertreter des Goldenen Zeitalters der Niederlande, welches eine unvergleichliche künstlerische Blüte hervorbrachte. Vermeer verkörpert seine Epoche in beispielhafter Weise, sein Werk vereint alles, was wir als charakteristisch und herausragend an der holländischen Kunst seiner Zeit empfinden: Realitätssinn, genaue Beobachtung und Abkehr von jeglicher Idealisierung. Hinzu kommt eine überragende Beherrschung der handwerklichen Methoden und Materialien der Malerei. Der alles überragende Illusionismus der Oberflächenwirkung beruht auf dem besonderen Schmelz der in winzigen Tupfen aufgetragenen Farbe, eine Technik, die ein Erkennungszeichen des Künstlers ist. Die besondere Ausstrahlung seiner Bilder und ihre starke Wirkung auf den Betrachter beruht nicht zuletzt auf dieser für den Künstler typischen Technik.
junge Frauen, Damen beim Empfangen oder Schreiben von Briefen und Paare, die gemeinsam Musik machen oder sich beim Wein unterhalten. Trotz oder vielleicht gerade wegen dieser Beschränkung gilt Vermeer als wichtigster Zeuge holländischen Lebens im Goldenen Zeitalter. Mit Werken wie dem Milchmädchen, dem Mädchen mit dem Perlenohrring oder der Ansicht von Delft schuf er Gemälde, die das visuelle Gedächtnis unserer gesamten Kultur prägen, und entwarf ein Bild der holländischen Nation, in dem diese sich selbst erkennt und von der Welt erkannt wird. Das Milchmädchen steht, ohne ins Klischee abzugleiten, wie kaum ein anderes Werk
„Der Illusionismus der Oberflächenwirkung, ein Erkennungszeichen des Künstlers, beruht auf dem besonderen Schmelz der in winzigen Tupfen aufgetragenen Farbe.“ Nach drei kurz hintereinander gemalten Jugendwerken entstanden nahezu ausschließlich Interieurs. In immer wieder variierten, aber ähnlichen Räumen stellte Vermeer seine stillen Szenen mit meist einer oder zwei, manchmal auch mehreren Figuren dar. Die Motive sind beschränkt: Am häufigsten finden sich musizierende Gegenüber: Mädchen mit rotem Hut (um 1665– 1667, Detail) kombiniert ausgeprägt individuelle Gesichtszüge mit extravaganter, exotischer Garderobe. Rechts: Kavalier und junges Mädchen (um 1657–1659) gehört zu einer Serie von Bildern Vermeers zum Motiv der Verführung. — 19 —
für den Inbegriff holländischen Wesens. Das Mädchen mit dem Perlenohrring wurde schon bald nach seiner Wiederentdeckung als Meisterwerk und „holländische Mona Lisa“ gepriesen und ist spätestens seit dem gleichnamigen Film von 2003 Vermeers bekanntestes Werk. Die Ansicht von Delft, Vermeers einzige Landschaft, zeigt seine Heimatstadt und zugleich eine holländische Stadt schlechthin, am Wasser gelegen, von Kanälen durchzogen und von einem Himmel mit rasch ziehenden Wolken überspannt. Marcel Proust nannte diese Stadtansicht das „schönste Bild der Welt“. Vermeer galt lange als großer Unbekannter, der aus dem Nichts auftauchte und
Sonnenlicht flutet durch ein Buntglasfenster. Detail aus
Briefschreiberin und Dienstmagd (um 1670/71). Heute weltweit gerühmt, blieb die ses Bild zu Lebzeiten Vermeers unverkauft. Nach dessen Tod übergab es seine Witwe dem Delfter Bäcker Hendrick van Buyten als Pfand für unbeglichene Rechnungen.
„Das Zitronengelb, das blasse Blau und Hellgrau zu vereinen ist bei ihm so kennzeichnend wie bei Velázquez die Harmoni sierung von Schwarz, Weiß, Grau und Rosa.“ — Vincent van Gogh, 1888
außer seinen wenigen Bildern keine Spuren hinterließ. Bis in die Gegenwart blieb die Faszination dieses Mythos erhalten, noch immer gilt, mittlerweile völlig zu Unrecht, Vermeer als Maler, über dessen Leben wir wenig wissen und der uns Werke von rätselhafter Bedeutung hinterlassen hat. Tatsächlich sind von Vermeer außer seinen Bildern keinerlei Selbstzeugnisse überliefert, wir verfügen weder über schriftliche Aufzeichnungen noch über Briefe aus seiner Hand. Die wenigen Dokumente aus seinem Umfeld zeichnen jedoch das Bild eines Malers, der unter Kollegen einiges Ansehen genoss. Zu Lebzeiten ging Vermeers Bekanntheit über seine Heimatstadt Delft und einen engen Kreis von Auftraggebern kaum hinaus, sein Name geriet nach seinem Tod fast in Vergessenheit und war nur wenigen holländischen Kunstsammlern und Händlern bekannt. Außer-
„Vermeer galt lange als großer Unbekannter, der aus dem Nichts auf tauchte und außer seinen wenigen Bildern keine Spuren hinterließ.“ halb seiner Heimat liefen seine Bilder unter dem Namen anderer Künstler. Vermeer starb bereits mit 43 Jahren, aus 22 Jahren künstlerischen Schaffens blieben nicht mehr als 35 überwiegend klein- und mittelformatige Bilder erhalten – ein schmales künstlerisches Werk, das sich zudem auf wenige, aus dem Leben des holländischen Bürgertums gegriffene Themen beschränkt. Erst 1860 wurde er wiederentdeckt, erlebte dann allerdings binnen weniger Jahrzehnte einen spektakulären Nachruhm. Nicht nur das Leben und Wirken Vermeers, sondern auch sein familiäres Umfeld, ja die gesamten Lebensumstände in einer holländischen Stadt des Goldenen Zeitalters wurden greifbar, als der Wirtschaftshistoriker John Michael Montias in den 1970er- und 1980er-Jahren bislang unerschlossene Quellen aus dem Delfter Stadtarchiv erforschte. Seither wissen wir, dass Vermeers Vater nicht nur als Seidenweber, sondern auch als Gastwirt und Oben: Mit schimmerndem Perlenohrring wendet sich Vermeers berühmtestes Modell uns zu, mit glänzenden, geöffneten Lippen, als würde sie sagen ... was? Nur kurze Zeit nach seiner Entdeckung im späten 19. Jahrhundert wurde Das Mädchen mit dem Perlenohrring (um 1665– 1667) als „holländische Mona Lisa“ bejubelt. Das faszinierende Rätsel um dieses kleine Bild inspirierte später den gleichnamigen Bestsellerroman und dessen Verfilmung 2003.
Kunsthändler tätig war, und wir lernten seine selbstbewusste und durchsetzungsstarke Schwiegermutter Maria Thins genauer kennen. Seit der Wiederentdeckung vor 150 Jahren ist die Literatur, die sich mit Vermeer beschäftigt, auf eine unübersehbare Menge angewachsen. Die Interpretationen bewegen sich in großer Bandbreite: Auf der einen Seite steht die Annahme, dass die alltäglichen Szenen über die Wiedergabe des Gesehenen hinaus keine Bedeutung haben, auf der anderen Seite die Vermutung, dass sie einen tiefen philosophisch oder religiös grundierten Sinngehalt tragen. Die ältere Theorie von der Bedeutungslosigkeit der Bilder verlor mehr und mehr an Boden, die These vom verborgenen Sinn der Bilder gewann in den letzten Jahrzehnten allgemeine Anerkennung. Zwei Themen haben in den letzten Jahren die Forschung besonders beschäftigt, einmal die kontrovers dis— 21 —
kutierte Frage, ob Vermeer bei der Anlage seiner Bilder optische Geräte wie die Camera obscura als Hilfsmittel benutzte, zum anderen die im Kontext der gegenwärtigen Genderforschung geführte Diskussion über die zentrale Rolle der Frauen in seinen Bildern und die Aussagekraft seiner Werke zur Stellung der Frau in der holländischen Gesellschaft des 17. Jahrhunderts. Anders als diese jüngeren Spezialstudien ist dieser opulent illustrierte Band als eine Darstellung angelegt, die alle Aspekte von Leben und Werk dieses Genies der Weltkunst umfasst.
Ein Hauch von Zweifel und Zögern scheint in
Briefschreiberin und Dienstmagd (um 1666/67, Detail) in der Luft zu liegen. Dieses Bild ist eines von Vermeers frühesten Werken, sein souveräner Umgang mit Gesten und Blicken ist jedoch bereits erkennbar.
Das Sichtbare und das Unsichtbare – Vermeers Alltagsszenen voller Geheimnis in XL Rechts: Die Malkunst (um 1666–1668, Detail) zeigt ein weibliches Modell, das als Clio, die Muse der Geschichte, kostümiert ist. Dieses Bild stellt in vielerlei Hinsicht eine Ausnahme in Vermeers Œuvre dar. Es zeigt keine aus dem Alltag der holländischen Gesellschaft gegriffene Genreszene, sondern ist eine Allegorie auf den Akt des Malens.
Johannes Vermeer. Das vollständige Werk Karl Schütz Hardcover mit 3 Ausklappern, 29 x 39,5 cm, 258 Seiten XL € 99,99
Dieser Gesamtkatalog der Werke Vermeers zeigt seine ruhigen, aber fesselnden Gemälde im opulenten XL-Format mit qualitativ unübertroffenen Reproduktionen. Besonders auf drei Ausklappseiten zeigt sich im Detail Vermeers einzigartige visuelle Grammatik, sein Talent für lebendig wirkende Genreszenen, seine subtile Lichtregie mit ihren Randunschärfen und seine Gabe, mit nur einer flüchtigen Geste oder einem Blick eine ganze Geschichte zu erzählen.
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Dekadenz und Eigensinn Moralische Lockerungs端bungen mit Bettina Rheims
Madonna Blue, smiling in shiny blue underpants, September 1994, New York.
Oben: William, Juli 1990, Paris. Gegenüber: Lara, Januar 2008, Paris (Art Edition Nr. 1–100). — 28 —
Verpassen Sie nicht Bettina Rheims’ große Retrospektive im Maison Européenne de la Photographie, Paris; 27. Januar – 27. März 2016.
Gegenüber: Rose McGowan sinking in a bath of roses, September 1996, New York. Oben: Nu de dos attaché à mon lit, Februar 1981, Paris. Unten links: 20 février I, Februar 1991, Paris. Unten rechts: 20 février III, Februar 1991, Paris.
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Oben: Sibyl rouge avec un chandail vert, Januar 1996, Paris. Gegenüber: Close-up of Karolína Kurková, the most beautiful girl in town, Dezember 2001, Paris. — 33 —
Links: Gina and Elizabeth kissing, März 1995, Los Angeles. Gegenüber: Marthe en guêpière, Februar 1987, Paris (Art Edition Nr. 101–200).
Limitierte Collector’s Edition von 1.000 Exemplaren, signiert von Bettina Rheims Seit sie in den späten 70er-Jahren zur Fotografie fand, hat Bettina Rheims ein Faible dafür, anzuecken und gängige Erwartungshaltungen zu torpedieren. Von ihrer Serie über die Stripperinnen vom Pigalle (1980) bis zum Zyklus über das Leben Jesu in I.N.R.I. (1998), von ihrer Chanel-Werbung bis hin zu Gender Studies (2011): Ihre Arbeit hat die traditionelle Ikonografie gehörig durchgerüttelt und unermüdlich die Bruchstelle zwischen zwei Gebieten ausgelotet, die die Menschen seit jeher faszinieren – Schönheit und Verfall. Diese Ausgabe ist mit über 500 Fotografien aus 35 Jahren die ultimative Rheims-Retrospektive. Von Rheims persönlich ausgewählt und zusammengestellt, setzt sie bekannten Serien wie Chambre Close viele bisher unveröffentlichte Bilder aus ihrem Archiv entgegen. Ein „persönliches Tagebuch“ in einem kleinen separaten Buch zeigt private Erinnerungsfotos und erlaubt einen Blick auf ihre Arbeitsweise.
XL XL
Art Edition Nr. 1–100
Lara, January 2008, Paris (Seite 29) C-Print auf Kodak RC Satin-Papier,
Art Edition Nr. 101–200
Marthe en guêpière, February 1987, Paris (gegenüber). Inkjet-Print auf Harman-Glanzpapier, auf der Rückseite von Bettina Rheims signiert und datiert, Papierformat: 30 x 40 cm je € 1.250
Collector’s Edition Nr. 201–1.000
Bettina Rheims Herausgegeben von Patrick Remy Hardcover (454 Seiten) und Begleitband (146 Seiten) in einer Schlagkassette, 30,5 x 39 cm
Limitierte Ausgabe von 800 Exemplaren, signiert von Bettina Rheims € 500 — 35 —
Schwerin, groĂ&#x;herzogliches Schloss, Ostseite.
Die verlorene Zeit Das Wilhelminische Deutschland auf alten Photochromen
Kein schöner Land
Seen links, Schlösser rechts – deutsche (Seelen-)Landschaften um 1900
Belle Époque, Wilhelminisches Kaiserreich, erstes deutsches Wirtschaftswunder. Das Deutschland an der Schwelle zum 20. Jahrhundert hat diverse „Untertitel“ bekommen. Für viele Zeitgenossen ist es eine Zeit von wirtschaftlicher und kultureller Blüte, von Wohlstand und Optimismus. Vor allem aber ist es eine ungewöhnlich lange Zeit des Friedens am Ende eines turbulenten, von historischen Umwälzungen in Politik, Wirtschaft, Industrie, Verkehr und Gesellschaft geprägten 19. Jahrhunderts. Die letzte große kriegerische Auseinandersetzung war der Deutsch-Französische Krieg 1870/1871, dessen Ende Oben: Schloss Sigmaringen, Residenz der fürstlich-schwäbischen Linie der HohenzollernDynastie. Gegenüber: Eisenach, Hohe Sonne mit Blick auf die Wartburg.
Deutschland nicht nur enorme Reparationszahlungen des unterlegenen Frankreich bringt (ein wichtiger Motor des gründerzeitlichen Aufschwungs), sondern auch die
„Die Bilder entführen nicht nur die damals Reisenden in ein nostalgisches ‚Anderswo‘.“ Gründung des Deutschen Reichs (1871– 1918). Der preußische König Wilhelm I. aus dem Hause Hohenzollern wird zum Deutschen Kaiser proklamiert. Dieses Deutschland, ein Bundesstaat mit einer konstitutionellen Monarchie unter der Hegemonie Preußens, besteht aus den vier Königreichen Preußen (mit seinen vielen Provinzen), Bayern, Württemberg und Sachsen, — 39 —
aus sechs Großherzogtümern, fünf Herzogtümern, sieben Fürstentümern, den drei freien Hansestädten Lübeck, Hamburg und Bremen – und dem Reichsland ElsassLothringen, von den Deutschen gegen den Willen der dort lebenden Bevölkerung annektiert und wie eine preußische Provinz behandelt. Von Juni 1888 bis zum Ende des Ersten Weltkriegs und seiner Abdankung am 28. November 1918 regiert Kaiser Wilhelm II. das Reich. Eine ganze Epoche wird nach ihm benannt! Der „Wilhelminismus“ steht für äußeren Pomp, jedoch auch für eine von inneren Spannungen geprägte Gesellschaft. Um 1890 setzt ein dynamischer Wirtschaftsaufschwung ein, der bis zum Ersten Weltkrieg fast ununterbrochen andauert. Wichtige Wachstumsimpulse gehen vor allem von den „neuen“ Industrien (Fahrzeugbau, Elektrotechnologie,
Basteibr체cke vom Ferdinandstein aus gesehen. 195 Meter steil von der Elbe herauf steigt die markante Felsformation der Bastei, einer der beliebtesten Aussichtspunkte der S채chsischen Schweiz. Grandios ist der Blick von hier oben ins Elbtal und auf das Elbsandsteingebirge.
optische und chemische Industrie) aus. Erstmals arbeiten mehr Beschäftigte in der Industrie als in der Landwirtschaft. Deutschland entwickelt sich endgültig vom
„Die Bilder muten vielfach erstaunlich ‚ruhig‘ an… lassen die ‚guten alten Zeiten‘ in voller Pracht wieder auferstehen.“ Agrar- zum Industriestaat mit all seinen Vor- und Nachteilen. Vor allem das mittlere und gehobene Bürgertum profitiert von den technischen und wirtschaftlichen Fortschritten, verfügt zunehmend über Geld und Freizeit und kann beides, ganz „Belle Époque“, auf den Boulevards der Metropolen, in Cafés, Salons, Theatern, Seebädern und Sommerfrischen genießen, während die große Zahl der Arbeiter nach langen Stunden in der Fabrik oder auf dem Feld in die dunklen Hinterhofquartiere der schnell wachsenden Städte oder in kleine Häuser auf dem Land zurückkehrt. Dank der Entwicklung des Verkehrswesens sind inzwischen auch immer mehr Menschen in einem vorher nicht gekannten Ausmaß mobil. Eisenbahn, elektrische Straßenbahnen und Dampfer gehören zur Selbstverständlichkeit. Hier und da sieht man auch schon ein Automobil auf den Straßen. In
diesen Jahren liegen auch die Anfänge der Luftfahrt: Am 2. Juli 1900 steigt über dem Bodensee der erste Zeppelin auf, und 1891 erhebt sich Otto Lilienthal als erster Mensch in einem Hängegleiter in die Lüfte, wenn auch nur 25 Meter weit. Die Revolution im Verkehrswesen und die zunemende Freizeit fördern ganz entscheidend die Touristik. Von den Nordseeinseln bis zu den Alpen wird Deutschland ein attraktives Reiseland, der Fremdenverkehr zum wichtigen Geschäft. Gereist wird nicht mehr nur im Auftrag oder aus Notwendigkeit, sondern zum Vergnügen, als Freizeitgestaltung, um dem Alltag zu entfliehen. Waren im frühen 19. Jahrhundert die meisten Reisenden noch auf eigene Faust unterwegs,
Oben: Schloss Neuschwanstein, Schlafzimmer mit Bildern aus der Tristan-Sage. Rechts: Germanisches Nationalmuseum, alte deutsche Küche. Gegenüber: Die Burg Rheinstein, ursprünglich eine mittelalterliche Zollburg und im 17. Jahrhundert zur Ruine verfallen, galt als Inbegriff der Rheinromantik. — 42 —
entwickelt sich das Reisen nun Richtung „Massenphänomen“, noch immer etwas exklusiv und nicht für jeden Durchschnittsbürger möglich, aber auch nicht mehr das Privileg nur weniger. Reiseveranstalter haben Hochkonjunktur, bieten Touren aller Art an, legen Reiseprospekte auf. Der Baedeker, 1832 erstmals erschienen, ist für die meisten ein unverzichtbarer Reiseführer geworden. Touristen verschicken Dutzende von Ansichtskarten – oder kaufen als bildhafte Erinnerungen die neueste, aufsehenerregende Erfindung: Photochrome! Deren auf den Tourismus ausgerichteter Verwendungszweck erklärt dann auch die Motivwelt, mit der sich dieses Deutschland um die Jahrhundertwende in den Photochromen in unserem Buch präsentiert: Wir sehen keine umfassende Dokumentation über das ganze Land mit allen Sonnen- und Schattenseiten, sondern einen ganz auf bekannte Sehenswürdigkeiten und Sehenswertes fokussierten Bilderbogen. Vor dem Hintergrund der oben beschriebenen dynamischen Entwicklungen muten die Bilder vielfach erstaunlich „ruhig“ an. Gepaart mit dem charmanten, ganz besonderen Charakter des Photochrom-Kolorits vermitteln sie eine Atmosphäre von Harmonie und ein gutes Stück malerischer Romantik und entführen nicht nur die damals Reisenden in ein nostalgisches „Anderswo“, sondern tun es auch heute noch. Umso mehr, als sie eine Zeit lebendig werden lassen, die von den Zeitläuften und den verheerenden Zerstörungen der Kriege im 20. Jahrhundert vielfach verschüttet wurde. Der „SouvenirFotografie“ haben wir es zu verdanken, dass die „guten alten Zeiten“ in voller Pracht auferstehen, den virtuosen Photochromisten, dass sie es in Farbe tun!
Westerland, Sandburgen und D端nen.
Im Seebad trifft man auch „den Herrn von Welt“, und nicht wenige Mütter versuchen, für ihre Töchter eine gute Partie zu angeln. Die feine Gesellschaft findet man selbst am Strand elegant heraus geputzt. Ausgelassener Badespaß nach heutigem Verständnis findet noch nicht statt, und geschwommen wird sowieso nicht. Es ist eher ein „Aufenthalt im Wasser“. Der Badetourismus, ursprünglich der Gesundheit wegen ins Leben gerufen, ist um die Jahrhundertwende zum gesellschaftlichen Ereignis par excellence geworden.
Die Reichsgründung 1871 bedeutet für Berlin eine „Beförderung“: von der Hauptstadt des Königreichs Preußen zur Hauptstadt ganz Deutschlands. Zwar sehen nicht alle Zeitgenossen Berlin dieser Aufgabe gewachsen, doch unbestreitbar mausert sich „Spree-Athen“ in den folgenden drei Jahrzehnten von einer provinziellen königlichen Residenz- zu einer weltbürgerlichen Großstadt. Angesichts des enormen Tempos, in dem der Auf- und Umbau geschieht, erklärt Mark Twain Berlin 1892 gar zum „europäischen Chicago“.
Berlin, Dom und Friedrichsbr端cke.
Hildesheim, Knochenhaueramtshaus. Gegen端ber: Wernigerode, Rathaus.
Von der Nordsee bis in die Alpen
Die Wilhelminische Ära in Glanz, Gloria und – in Farbe! Rund 800 Photochrome (ein frühes, auf Schwarz-Weiß-Fotografien basierendes lithografisches Farbdruckverfahren) öffnen ein Zeitfenster in eine längst versunkene Epoche. Von der Nordsee bis in die Alpen führt die Reise durch eine junge, prosperierende und selbstbewusste Nation an der Jahrhundertwende. Idyllische Landschaften, mittelalterliche Städte, moderne Boulevards und ländliches Brauchtum – ein prachtvoller Bilderbogen voller Nostalgie und von träumerischer Intensität.
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XL Deutschland um 1900. Ein Porträt in Farbe Marc Walter, Sabine Arqué, Karin Lelonek Hardcover mit Ausklappern, 29 x 39,5 cm, 612 Seiten € 150
Ein Prinz und eine Prinzessin begeben sich auf die Suche nach dem Herz eines Riesen
in dem M채rchen Von dem Riesen, der kein Herz im Leibe hatte.
Art nouveau on Ice Nordische M채rchenklassiker illustriert von Kay Nielsen
Die Brüder Grimm des Nordens Noel Daniel
Im Jahr 1840 legten die norwegischen Volkskundler Peter Christen Asbjørnsen und Jørgen Engebretsen Moe letzte Hand an ihre erste Sammlung von Volksmärchen, die sie aus den kargen, entlegenen Gebirgsgegenden, Hochebenen und Küstenregionen Norwegens zusammengetragen hatten. Jahrelang waren die beiden Jugendfreunde mit der gemeinsamen Leidenschaft für
Volksdichtung – jeder für sich und zu Fuß – durchs Land gezogen, um in uralten Bauern-, Fischer- und Bergbaugemeinden heimische Sagen von Trollen und Hexen direkt an der Quelle niederzuschreiben. Sie waren fasziniert von diesen Zauberwelten, in denen sich heidnische Mythologie, altnordische Wikingersagen und örtliche Bräuche mit mittelalterlichen Sitten
mischten, die christliche Missionare fast 1000 Jahre zuvor ins Landesinnere getragen hatten. Asbjørnsen und Moe schickten sich an, eine Schatzsammlung an überliefertem norwegischen Märchengut zusammenzustellen. Als die beiden jedoch mit ihrem ersten Konvolut an Märchen bei Verlagen vorstellig wurden, hatten sie alle Mühe, Interesse zu wecken. Die Verleger befanden die Märchen für trivial und infantil und glaubten nicht, dass sich eine Leserschaft dafür finden würde. Als die Sammlung 1841 schließlich anonym in einer kleinen Ausgabe erschien, stieß sie in den literarischen Kreisen Norwegens und andernorts in Europa augenblicklich auf Resonanz.
„ Sie waren fasziniert von den einzigartigen Zauberwelten, in denen sich heidnische Mythologie, altnordische Wikingersagen und mittelalter liche Sitten mischten.“ Die Brüder Grimm, deren Sammlung deutscher Volksmärchen aus dem Jahr 1812 Asbjørnsen und Moe die Anregung zu ihrem Unterfangen geliefert hatte, bezeichneten den Inhalt des norwegischen Bändchens als „die besten Märchen, die es gibt“. Kurz darauf erschienen weitere Märchen und 1851/52 schließlich eine umfangreiche Sammlung mit 60 Erzählungen (darunter auch die meisten der in diesem Buch enthaltenen Geschichten), die im Lauf der folgenden Jahre auf über 100 Märchen anwuchs und auf Norwegens nationale Links: Asbjørnsens und Moes norwegische Volksmärchen spielen vor der Kulisse schroffer Landschaften, die von Trollen, Hexen und Riesen bevölkert sind. Diese Ansicht, etwa um 1880 von Axel Lindahl aufgenommen, zeigt das spektakuläre Nærøy-Tal in Mittelnorwegen. Rechts: In der Geschichte Die drei Prinzessinnen aus Witenland zieht ein junger König aus, um seine Gemahlin wiederzufinden. „Als er ein Ende gegangen war, begegnete ihm einer, der war Herr über alle Tiere im Walde, der gab ihm ein Paar Schneeschuhe.“ — 52 —
In Die drei Prinzessinnen aus Witenland verliert ein Fischer
durch einen Schwur seinen Sohn, für den eine lange Irrfahrt beginnt: „So kommst du zu drei Prinzessinnen, welche in die Erde gesenkt stehen, sodass nur der Kopf hervorragt.“
„ Nielsen schwelgte in leuchtenden Farben, reichen Ornamenten und orientalischen Fantasien. Er ließ sich von seiner Liebe zu früher italienischer Malerei, grazilen persischen Miniaturen und indischen und chine sischen Landschaften leiten.“ — The Daily Telegraph, London
Identität und Sprache gewaltigen Einfluss werden? Die Märchen gaben dem Volk eine hatte, der noch heute deutlich zu spüren ist. Geschichte – setzten die Gegenwart in Trotz seiner reichen mündlichen Erzähltra- Bezug zu den Stimmen, Bräuchen und Tradition und weit fortgeschrittener Alphabeditionen von gestern, in denen eine unvertisierung hatte Norwegen bis zu diesem wechselbare norwegische Volkskultur Zeitpunkt kaum eigene Literatur hervorge- fernab der in Kopenhagen herrschenden bracht, da es 400 Jahre lang unter däniMächte zum Ausdruck kam. Es war ein scher Vorherrschaft gestanden hatte, wähErbe, auf dessen Grundlage sich eine rend derer nur Dänisch als Schriftsprache Gesellschaft in die Moderne bewegen erlaubt gewesen war. Mit ihrer Anthologie konnte, ohne dabei den Kontakt zu ihren machten Asbjørnsen und Moe das reiche Wurzeln zu verlieren. Die AnfangsjahrErbe der norwegischen Erzähltradition, die zehnte des 19. Jahrhunderts hatten den vorwiegend mündlich und regional Verbrei- ländlichen Regionen Norwegens, die Astung fand, für jedermann zugänglich. Die bjørnsen und Moe später bereisten, viel Sammlung bot den Norwegern eine sprach- Leid gebracht. Die Menschen waren arm; liche Mischform, die das Dickicht der die Kindersterblichkeit lag bei 40 Prozent, Mundarten lichtete und die norwegische die Lebenserwartung der eine Million EinSchriftsprache neu belebte. Sie lieferte eine wohner starken, aufkeimenden Nation lag Vorlage für künftige Weiterentwicklungen bei unter 50 Jahren, und politisch war Norder Schriftsprache und die Grundlage für wegen im Tauziehen zwischen Dänemark eine von zwei noch heute amtlich anerund Schweden gefangen. Am größten war kannten Varietäten des Norwegischen. die Not in den entlegenen ländlichen RegioDer weitverbreitete Glaube, aus den Märnen, doch gerade in der dortigen bäuerlichen spreche die Stimme einer eigenständi- chen Kultur fand sich die reichhaltigste gen norwegischen Kultur, verlieh der mündliche Erzähltradition, begünstigt Sammlung durch die noch mehr Isolation und „Asbjørnsen und Moe halfen Bedeutung. lange skandigenau den Menschen, deren Sie gab Antnavische Erzähltradition sie zu bewahren wort auf eine WinterFrage, die im abende, die suchten, eine kulturelle Identität Zuge der ersdie Kunst des auszubilden.“ ten norwegiGeschichtenschen Verfaserzählens sung, mit der Norwegen 1814 die Teilförderten. Wie die Brüder Grimm folgten unabhängigkeit von Dänemark erlangte, auch Asbjørnsen und Moe einer dem Zeitdie Öffentlichkeit bewegte: Wer genau sind alter der Romantik entsprungenen Bestrewir eigentlich, wenn wir nicht fremdregiert bung, Volksdichtung schriftlich festzuhal-
ten. Doch während die Brüder Grimm sich dabei hauptsächlich auf einige wenige Geschichtenerzähler sowie schriftliche Quellen stützten, verkörperten Asbjørnsen und Moe als durch die Lande ziehende Geschichtenjäger das Idealbild des Volkskundlers im 19. Jahrhundert. Sie halfen genau den Menschen, deren Erzähltradition sie zu bewahren suchten – und dies sogar noch eifriger als die Brüder Grimm in Deutschland –, eine kulturelle Identität in der realen Welt auszubilden, und ihre Märchensammlungen sollten Norwegen auf dem langen Weg in die Unabhängigkeit begleiten, die es 1905 vollständig erlangte. 1914, neun Jahre später, beschloss das innovative Londoner Verlagshaus Hodder and Stoughton die Veröffentlichung einer neu illustrierten Ausgabe der Märchen von Asbjørnsen und Moe für eine internationale, des Englischen kundige Leserschaft. Seit 1879 waren mehrere illustrierte Ausgaben der Märchen erschienen, doch in AnbeOben: 2008 erzielte ein signiertes Exemplar der Erstausgabe von Nielsens Östlich der Sonne und westlich des Mondes den höchsten Preis, der je für ein illustriertes Kinderbuch auf einer Auktion geboten wurde. Links: Die ausgeprägteste Erzähltradition fand sich in den ländlichen Regionen Norwegens. Diese Fotografie, etwa um 1880 auf einem Bauernhof im Landesinneren von dem berühmten schwedischen Fotografen Axel Lindahl aufgenommen, zeigt eine Frau mit Korb und eine Braut, rechts, im traditionellen Hochzeitsgewand. Rechts: In Die drei Königstöchter im blauen Berge findet ein Soldat in einem Schrank eine alte verrostete Pfeife. „‚Es könnte ja ganz nett sein, zu probieren, ob irgendeine Melodie darin sitzt‘, dachte er und setzte die Pfeife an den Mund. Ehe er sich darüber klar wurde, begann es von allen Seiten her zu sausen und zu brausen, und zugleich ließ sich eine so große Schar Vögel vor ihm nieder, dass der Boden ganz schwarz war.“
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tracht der Fortschritte im Farbdruck schien lywood beschäftigt. Dass ein dänischer den Verlegern das Potenzial gegeben, etwas Künstler Asbjørnsens und Moes norwegiGrößeres und Besseres zu schaffen. Assche Märchen illustriert, wäre ein Jahrbjørnsen und Moes Norwegische Volksmär- hundert zuvor angesichts der belasteten chen waren 1859 von Sir George Webbe Vorgeschichte der beiden Nationen noch Dasent ins Englische übersetzt worden, und blanke Ironie gewesen. Doch nun, 100 die Verleger Jahre später, beschlossen, „Östlich der Sonne und westlich des im harten 13 der Kampf und Mondes verhalf Nielsen letztlich Dasent-ÜberPoker des zum Durchbruch und unterstreicht setzungen internationaseinen Stellenwert als einer der zusammen len Verlagsmit einer bedeutendsten Künstler aus dem gol- geschäfts, Übertragung denen Zeitalter der Buchillustration.“ gab es keine von H. L. Einwände Brækstad und mit dem neu übersetzten gegen den Dänen Nielsen als Illustrator (nicht in der Sammlung von Asbjørnsen dieser Märchen. Man musste kein Deutund Moe enthaltenen) dänischen Märchen scher sein, um die Grimm’schen Märchen „König Lindwurm“ in einem Band zu publi- zu bebildern, und ebenso wenig schloss zieren, für den sie Illustrationen bei Kay Nielsens dänisches Erbe aus, dass er sich Nielsen in Auftrag gaben, der sich gerade der norwegischen annahm. Im Lauf seiner einen Namen machte. Karriere sollte Nielsen Märchen aus NorSie benannten das Buch nach einem der Hauptmärchen, Östlich der Sonne und westlich des Mondes, das unseren Kompass völlig neu ausrichtet, nach verwirrenden Koordinaten, die in einen fantastischen Kosmos führen. Trotz der nationalistischen Tendenzen der Romantik verhalf das Interesse an der eigenen Volkskultur auch dazu, über Landesgrenzen hinwegzublicken. Obwohl sich Folklore auf die Alltagssprache und Gebräuche ganz bestimmter Landesregionen bezog, gehörten die Künstler, die die darauf basierenden Anthologien illustrierten, einer internationalen, städtischen Klasse an, die dem Auf und Ab künstlerischer Strömungen folgte, die über Landesgrenzen hinwegflossen, wie etwa die Artsand-Crafts-Bewegung, Jugendstil, Art déco und der Modernismus. Aus ganz Europa reisten Künstler wie Nielsen in die großen Städte, um dort zu studieren und zu arbeiten. Sie trugen mit dazu bei, dass London, Paris, Berlin, Wien, München und New York ein jeweils eigenes, unverwechselbares kulturelles Profil entwickelten. Nielsen kam aus Dänemark, studierte in Paris, agierte in der Kopenhagener Theaterszene, wurde in London zum Star und war später als Artdirector in HolLinks: In der Geschichte Das blaue Band finden eine Bettlerin und ihr Sohn ein blaues Zauberband. Mit dem Talisman am Leib entwickelt der Sohn übermenschliche Kräfte und kann sich einer Reihe von Angreifern erwehren. Schließlich verspricht ihm die Tochter des Königs von Arabien ihre Hand. Rechts: In dem Märchen Der Sohn der Witwe schickt eine arme Witwe ihren Sohn in die Welt hinaus. Er tritt in den Dienst eines grausamen Trolls, kann jedoch fliehen und kommt, verkleidet als schöner Recke, zu einem Königsschloss. Nachdem die Prinzessin ihn ohne Verkleidung erspäht, verliebt sie sich in ihn. — 59 —
wegen, Deutschland, Dänemark, Frankreich und Arabien illustrieren. Tatsächlich verhalf ihm Östlich der Sonne und westlich des Mondes letztlich zum Durchbruch und unterstreicht seinen Stellenwert als einer der bedeutendsten Künstler aus dem goldenen Zeitalter der Buchillustration. Und so belegt dieses Buch nicht nur die Bedeutung der ursprünglichen Märchen – mögen sie ihrem Charakter nach auch spezifisch norwegisch erscheinen –, sondern auch die des Künstlers, der diese Sammlung mit seinen Illustrationen zu einem Schatz des frühen 20. Jahrhunderts machte. Von dieser Warte betrachtet, ist Östlich der Sonne und westlich des Mondes letztlich der wahre Leitstern der Kinderbuchillustration eingangs des 20. Jahrhunderts, und stets aufs Neue hat sich seither gezeigt, dass die Beliebtheit dieser Märchen keine Grenzen kennt.
Unter Trollen – ein Märchenklassiker im Dansk Design Unglückliche Liebende, edle Prinzen, magische Winde, unterirdische Paläste, hohe Burgen und abscheuliche Trolle – Östlich der Sonne und westlich des Mondes ist eine klassische Sammlung skandinavischer Märchen, die seit ihrer Erstveröffentlichung Mitte des 19. Jahrhunderts zahllose Auflagen erlebt hat. Die wohl schönste wurde 1914 von Kay Nielsen (1886–1957) im Stile von Aubrey Beardsley illustriert. TASCHENs Neuausgabe zeigt diesen Klassiker in einem Layout, das Nielsens Detailreichtum und künstlerische Finesse zu neuem Leben erweckt – größer und farbenprächtiger denn je. Das im Fünffarb-druck produzierte Buch enthält 46 Illustrationen (darunter viele Detailvergrößerungen der Original-Aquarelle).
Kay Nielsen. Östlich der Sonne und westlich des Mondes Herausgegeben von Noel Daniel Hardcover im Schuber, mit Leseband, 23 x 28,7 cm, 168 Seiten € 29,99
Weitere TASCHEN-Märchenbücher, herausgegeben von Noel Daniel:
je € 29,99 — 60 —
Entspannung global Zwischen Archaik und Moderne – eine Yoga-Weltreise
Urdhva Dhanurasana (Haltung des nach oben weisenden Bogens). Gangesufer, Haridwar, 20. M채rz 2010.
„ Yoga befindet sich an einem Scheideweg seiner langen Geschichte. Ich wollte der Ahnenreihe des klassischen Yoga meine Reverenz erweisen und diesen einzigartigen Moment begreifen, ehe er vorĂźber ist.“
Geometrie der Liebe Von Michael O’Neill
„Wer Gott nicht in allem sehen kann, kann Gott überhaupt nicht sehen.“ — Yogi Bhajan
Einige Jahre bevor ich mich ernsthaft mit Yoga zu befassen begann, machte ich eine Porträtserie von Seiner Heiligkeit, dem Dalai-Lama. Dazu hatte ich mir aus New York mehrere mit Blattgold überzogene Stellwände schicken lassen, die wir an einem heißen Sommertag vor Ort aufbauten. Wir bekamen einige wunderbare Bilder von Seiner Heiligkeit beim Meditieren, und am Ende der Sitzung war ich schweißgebadet. Das Protokoll verlangt, dass man etwas niedriger sitzt als Seine Heiligkeit, weshalb ich zu seiner Linken kniete. Mit einem Lächeln beugte er sich zu mir herab und strich mir mit der Seite seines Zeigefingers sacht an der Wange empor, um meine Schweißtropfen aufzufangen und fortzunehmen. Es war eine so schlichte, von Herzen kommende Geste, und mit einem noch größeren Lächeln sagte er: „Sie haben so hart gearbeitet.“ Meine Arbeit als Auftrags- und später Porträtfotograf war ein ständiges, nie endendes Streben nach Perfektion und maximaler Qualität. Nach rund 35 Jahren des Herumreisens, der 14-Stunden-Tage und der Anspannung, von denen hoch konzent-
Rechts: Yoga ist die Wissenschaft der Winkel und Dreiecke. Die Geometrie der Liebe zu verkörpern erfordert inneres Verlangen, Anleitung und Disziplin. Yoga Nidrasana (Haltung des Yogaschlafs) mit abgewandelter Handhaltung. Kumbh Mela, Allahabad, 22. Januar 2007. Gegenüber: Der Berg, Tadasana, mit dem unbeirrten Blick. Die schiere Glut dieser Augen, die sich durch jede falsche Fassade hindurchbrennen. Bevor wir uns im Ramamani-Institut an die gemeinsame Arbeit machen konnten, musste ich B. K. S. Iyengar wie jeder vor mir, der gekommen war, um ihm seine Ehrerbietung zu erweisen, Rede und Antwort stehen – nicht, um von ihm beurteilt zu werden, sondern damit er mich spirituell lesen konnte. Ich durfte ihn als einziger Fotograf in seinem Privattempel porträtieren, der um eine Mittelsäule herum erbaut ist. Als Rückgrat des Gebäudes reprä sentiert sie die Kundalini-Energiekanäle, die auf dem Dach in einer Krone aus sieben Kobras gipfeln. Für die Verbreitung dieser Art uralten Wissens und im Einsatz für Frieden, Gesundheit und Gewaltlosigkeit war Iyengar von immenser Bedeutung. Er war der YogaGenius und definitiv nobelpreiswürdig. Privater Hanuman-Tempel, B. K. S. Iyengar, Pune, 8. März 2006.
rierte Porträtsitzungen geprägt sind, landete ich auf einem OP-Tisch, weil irgendwelche Nerven in meinem Nacken verkalkt waren. Als ich wieder aus dem OP kam, war mein rechter Arm – der für meine Arbeit wichtigere Arm – gelähmt. Der Neurologe eröffnete mir, dass ich ihn nie wieder würde bewegen können. — 65 —
Ich versuchte, damit fertigzuwerden, doch nachts fand ich oft keine Ruhe und hörte so manches Mal morgens um drei Rachmaninoff, den Blick aus dem Fenster auf die Türme des World Trade Center gerichtet. Ich hätte mich damit abfinden, den Chirurgen wegen eines Kunstfehlers verklagen, mich in das Leben mit einer Behinderung
fügen können. Stattdessen beschloss ich, einen anderen Weg zu wählen, und lenkte meine Pläne in eine wesentlich positivere Richtung. Der erste Schritt, den ich tun konnte, um dem, was ich durchmachte, wirklich zu begegnen, war Meditation – ich lernte, ganz für mich alleine dazusitzen und die Angst zu beschwichtigen. Anschließend trainierte ich mit einem hervorragenden Hydrotherapeuten und schaffte es mit seiner Hilfe, den Arm gegen den Widerstand des Wassers wieder zu bewegen, Zentimeter um Zentimeter. Gleichzeitig unterwies mich der Molekularbiologe und Achtsamkeitslehrer Jon Kabat-Zinn in Meditation. Gegen Ende des ersten Jahres hatten sich genau die Nerven, die die Mediziner für abgestorben erklärt hatten, fast vollständig regeneriert, und mein Arm war wieder einsatzfähig. Yoga und Meditation waren für mein Leben unabdingbar geworden.
Die nächste Etappe dieser Reise begann ich schließlich darauf zu sprechen kam, dass ich liebend gerne ein Portfolio der vier Jahre nach meiner Operation. Es war Meister und Gurus des Yoga realisieren in New York, während der Hundstage, und endlich, nach so vielen schwülheißen würde. Susan sagte nur: „Mach das, unbeNächten, ein kühler Abend, der Himmel dingt“, und fügte hinzu: „Und dann ein Buch.“ Und so wurde die Idee zu diesem herrlich indigoblau. Ich kam gerade aus einer YogaBuch geboren. stunde, als ich „ Sowohl Yoga als auch fotografisches Sie riet mir, Arbeiten verlangen Unvoreinge auf der Fifth Graydon Carter, dem HerausgeAvenue eine nommenheit, um sehen zu können, Frau in blüten- was wirklich da ist.“ ber von Vanity weißer Bluse Fair, ein Exposé bemerkte, die mich anlächelte. Es war zu schicken. Ich hatte zwei Tage Zeit, es zu Susan White, eine gute Freundin und Bild- schreiben, bevor mein Flieger nach chefin von Vanity Fair. Wie merkwürdig, Chengdu in China ging, wo ich Pandabären dass es in einer Acht-Millionen-Stadt mög- fotografieren sollte. Vier Monate später lich ist, zufällig einem Bekannten über den bekam ich grünes Licht. Weg zu laufen. „Du machst also auch Das Projekt veränderte mein Leben. Ich Yoga?“, fragte sie mich mit einem Nicken in hatte mich bereits gefragt, welche TransRichtung der eingerollten Matte, die ich formation als Nächstes kommen würde. Und nun hatte ich eine Antwort. Die Yogaunter dem Arm trug. Wir unterhielten uns serie gab mir einen neuen Fokus. Das Proüber unsere jeweiligen Yogaübungen, bis jekt war meine Idee, meine Leidenschaft, so viel mehr als nur irgendein Auftrag. Ich beschloss schon im Vorfeld, die Bilder dafür ganz bewusst nicht aufzunehmen, sondern zu machen, wollte versuchen, zu jedem, den ich porträtierte, jene emotionale und spirituelle Verbindung herzustellen, die das Medium transzendieren und etwas Tiefergehendes entstehen lassen würde. Yoga befindet sich an einem Scheideweg seiner langen Geschichte. Die Tradition, in der es bisher gelehrt wurde, wird sich unausweichlich weiterentwickeln und verändern, je mehr Menschen Yoga neu für sich entdecken und interpretieren. Gegenwärtig sind einige der großen Meister des Ostens, deren Ahnenreihe Jahrhunderte zurückreicht, wohlauf und erfolgreich, doch sie werden es nicht ewig sein. Schon jetzt hinterlassen die ersten westlichen Meister in der Wissenschaft unauslöschliche Spuren. Mein einziges Anliegen war es, der Ahnenreihe des klassischen Yoga meine Reverenz zu erweisen und diesen einzigartigen Moment zu begreifen, ehe er vorüber ist. Ich bin gewissermaßen zum Anthropologen geworden. Dieses Projekt hat ganze zehn Jahre meines Lebens in Anspruch genommen. Die Auswahl der Fotografien umfasst verschiedene Zeitabschnitte, verschiedene Geisteshaltungen. Ich benutzte eine kleine Kamera, eine große Kamera, eine noch größere Kamera. Ich arbeitete mit einem Links: Yoga will dem Praktizierenden zu dem verhelfen, was Guru Prem Singh Khalsa „divine alignment“, göttliche Ausrichtung, nennt, und zwar mittels einer Reihe von Haltungen, die die Stille in Herz und Geist fördern und die ihn der Berührung mit dem Unendlichen näher bringen. Durvasasana (Haltung des zornigen Weisen Durvasa in gehockter Ausführung), Nageshwar Giri. Haridwar, 20. März 2010. — 66 —
Dharma Mittra erinnerte mich an ein Kind, das sich in Angeberpose wirft, nicht um anzugeben, sondern um in reiner, göttlicher Freude die Vollkommenheit seiner Asanas zu demonstrieren. Eines klaren, kühlen Morgens hatten wir schließlich ein Stelldichein auf dem Kopfsteinpflaster des nahe gelegenen Meatpacking District, der damals noch relativ authentisch war. Einen Heizstrahler neben uns, synchronisierten Dharma und ich unser Timing auf den Bruchteil einer Sekunde, als seine Hände sich den Oberschenkeln näherten. Er erwischte den Ruhepunkt, und ich machte die Aufnahme.
„Der Geist hat keine spezielle Form oder Gestalt, er hat keine andere Funktion als die der Reflexion. So, wie ein Kristall jede Farbe in seiner Nähe reflektiert, reflektiert der Geist, wenn er durch die Augen und andere Sinnesorgane nach außen auf seine Umwelt gerichtet wird, die Welt.“ — Eddie Stern
Team aus Führern, Dolmetschern, Assistenten und Fahrern, unter harten Bedingungen und ganz auf mich gestellt, mit nichts als einem Handheld. Ich erinnere mich an Nächte im Himalaya, in denen ich bei Sherpas auf der blanken Erde schlief, bei Temperaturen von teils unter null Grad – drinnen. Ich erinnere mich auch an einen Abendspaziergang am Ganges, bei dem ich einfach eins mit den Geräuschen, Unten: Das Handwerkszeug für Yoga hilft uns, kristalline Klarheit zu erlangen. Dhanurasana (Bogenhaltung), Christy Turlington Burns, Amagansett, 22. August 2006. Gegenüber: Seit seinen frühesten Anfängen galt Yoga nicht als Kunst oder Übung oder Religion, sondern als Wissenschaft. Wer die Wissenschaft des Yoga praktiziert, kann zu einer direkten Wahrnehmung seiner selbst gelangen. Natarajasana (Haltung des Tänzers), Shiva Rea. El Mirage Lake, Kalifornien, 25. Oktober 2006.
der Bewegung, dem Fluss des heiligen Stromes war. Es waren Höhepunkte meines Lebens, mit einigen der Meister zu meditieren, von ihnen unterwiesen zu werden, von ihnen gesegnet zu werden und als einer von 70 Millionen Menschen während der Kumbh-Mela-Feste im Ganges zu baden. Jedes Mal kam ich aus Indien krank zurück. Meine brasilianische Frau sagte immer: „Não mais“, nicht noch einmal, aber es sollten noch acht weitere Reisen folgen. Ganz zu schweigen von den Reisen quer durch die USA, um amerikanische Meister und Prominente zu fotografieren, denen es gelungen war, Yoga in ihr ansonsten äußerst öffentliches Leben zu integrieren. Es war ein besonderer Glücksfall für mich, dass die große Lehrerin Gurmukh einwilligte, sich fotografieren zu lassen. Sie begriff die Notwendigkeit für ein solches fotografisches Dokument. Sie zählt, nebenbei, zu
„Dieser Bildband ist das Standardwerk über die Yogis von heute … die einzigartige und kostbare Chronik einer uralten Tradition.“ — Guru Dharam Khalsa
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meinen wichtigsten Lehrmeistern, und wir sind recht eng befreundet, wir hatten uns gemeinsam im Geländewagen auf Pilgerreise (Yatra) durch Tibet zum Berg Kailash begeben. Es war ihr Wunsch, am Goldenen Tempel fotografiert zu werden, der heiligsten Stätte der Sikhs. Etwas an dieser Aufnahme in Amritsar, ihr feinsinniges, heiliges Lächeln, verrät, dass ihre Meditation dort eine völlig andere war als in ihrem GoldenBridge-Yogazentrum in Santa Monica. Sie sagte etwas, das für mich all die Reisestrapazen, all die Bilder, die ich machte, all die Darmgrippen, die ich mir einfing, all die Zeit, die ich fern von meiner Familie verbrachte, aufwog. Sie glaubt, dass ich als Medium benutzt werde. „Die yogischen Traditionen fließen von den Ahnen durch dich hindurch.“ Ich weiß nicht, ob das wahr ist, aber es gefällt mir.
„Ein Guru ist ein Mensch, der die Dunkelheit fortnimmt vom Licht unseres Geistes.“ — Michael O’Neill
Erst mit den Mystikern und Yogis kamen die Fragen auf:
Wonach suchen wir wirklich? Worin kann wahre Erf端llung bestehen? Wer bin ich? Baba Dhuna Giri an seinem Dhuni. Haridwar, 13. November 2007.
Unten: Asana bedeutet wörtlich „der Sitz“. Ursprünglich diente dieser Sitz als Ausgangs basis, um ein körperliches, inneres Gleichge wicht zu finden. Schwebender Lotus. Varanasi, 21. Februar 2009.
„Was die Konzentration betrifft, sind Yoga und fotografisches Arbeiten ein und dasselbe. Beides verlangt Unvoreingenommen heit, um sehen zu können, was wirklich da ist. Beides erfordert Geduld und belohnt Übung. Beides ist insofern Meditation, als man davon voll und ganz in Anspruch genommen wird. Wenn man sich in diesem Moment, in diesem Fluss befindet, existiert nichts anderes mehr.“ — Michael O’Neill
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Beim Spaziergang am Ganges eins sein mit den Ger채uschen, der Bewegung, dem Fluss des heiligen Stromes. Triveni Sangam nennt sich der Zusammenfluss von Ganges und Yamuna mit dem mystischen unterirdischen Fluss Sarasvati. Hier liegt die heiligste der heiligen Stellen am Ganges. Kumbh Mela, Allahabad, 21. Januar 2007.
Brücke zwischen den Kulturen Yoga in Ost und West
Oben: Ganz entspannt im Hier und Jetzt – ein glücklicher Michael O’Neill mit den ersten Exemplaren seines Buches. Om! Gegenüber: Über dem Fotografieren von Menschen, die Yoga praktizieren, ging mir auf, dass ich sowohl an der Vollkommenheit ihrer Absicht und Energie als auch an der Voll kommenheit ihrer Haltungen interessiert bin. Rajender Dhobal. Manasarovar, Tibet (heiligster See für vier Religionen), Juni 2006.
Dieses außergewöhnliche Buch erzählt die Geschichte des Yoga, wie sie noch nie erzählt wurde. Mit rund 200 Bildern dokumentiert es die Spurensuche des Fotografen und Yogi Michael O’Neill, der zehn Jahre lang Indien und die USA durchreist hat, um das traditionelle wie das moderne Gesicht des Yoga zu erforschen. Er fotografierte prominente Adepten wie Sting, Donna Karan und Trudie Styler oder den Gründer des Iyengar-Yogas B.K.S. Iyengar, und den im US-Fernsehen bekannt gewordenen Rodney Yee. Er meditierte mit Mönchen im tibetischen Hochland, lebte während der Kumbh Mela in den Zelten der Sadhus und bestaunte in der Ringerschule von Kochi Jungen, die die kaum bekannte Disziplin des Mallakhamba übten. O’Neills eigene Reiseeindrücke werden ergänzt durch Essays der Meditationsmeister Swami Chidanand Saraswatiji und des Ashtanga-Gurus Eddie Stern.
„Dieses Buch beschert seinen Lesern eine neue Yogaerfahrung. Während sie in den Bildern die Einswerdung von Licht und Dunkel, Künstler und Motiv, Form und Bewegung, Leben und Tod betrachten, werden sie erleben, ... wie Einheit, wahres Yoga, in ihnen selbst erblüht.“ — Swami Chidanand Saraswatiji
XL
Michael O’Neill. Über Yoga: Die Architektur des Friedens Eddie Stern, Swami Chidanand Saraswatiji Hardcover, 26,7 x 37,4 cm, 290 Seiten € 49,99 — 75 —
Ein Blick in James Henrys ‌
und José Avillez’ Kühlschrank
Die erste Köchin, die sich außerhalb von Frankreich mit drei Michelin-Sternen schmücken durfte, isst meistens in ihrem Restaurant in Florenz, obwohl sie in ihrem kleinen Kühlgerät immer einige Grundzutaten aufbewahrt: Im oberen Kühlschrankfach liegen Schinken und Mozzarella, Mayonnaise und Tom-YumPaste, Sardellen, Kaviar und Sardellenpaste. „Damit kann man ganz leicht tolle Sachen wie Salatsauce machen.“
Annie Féolde
Toskanische Bohnen Für 6 Personen 300 g getrocknete Cannellini-Bohnen Olivenöl Salz frisch gemahlener schwarzer Pfeffer (nach Belieben)
Die Bohnen 5 cm hoch mit Wasser bedecken und 12 Stunden einweichen. Abgießen und abspülen. Die Bohnen mit 900 ml Wasser in einem großen Topf zum Kochen bringen. Die Temperatur reduzieren und die Bohnen etwa 2 Stunden köcheln lassen, bis sie gar sind. Abgießen. Mit einem guten Schuss Olivenöl sowie Salz und schwarzem Pfeffer aus der Mühle würzen.
James Henry James Henry ist der Punk unter den jungen Küchenchefs von Paris. Das Kochen hat er während Teilzeitjobs in seiner Heimat Australien gelernt. Der kleine Kühlschrank, den er sich mit seinen Mitbewohnern (hauptsächlich Köche) teilt, ist ein rein funktionales Requisit. Neben einigen Lieblingslebensmitteln besteht der Inhalt fast zur Hälfte aus Bier, Flaschen mit Wodka und Hustensaft, Sardellen in Salzlake aus Sizilien und Ziegenkäse vom Supermarkt.
Penne mit Kohlrabiblättern und Stracciatella Für 4 Personen 60 ml Olivenöl, aufgeteilt 2 Schalotten, fein gehackt 2 Knoblauchzehen, fein gehackt 3 kleine, getrocknete rote Chilis 6 Sardellenfilets von bester Qualität 400 g Penne, vorzugsweise Martelli 100 g Kohlrabiblätter, gehackt Saft von ½ Zitrone 100 g Stracciatella di bufala, grob gehackt
30 ml Olivenöl auf mittlerer Stufe in einem großen Topf erhitzen. Schalotten, Knoblauch und Chilis darin braten. Wenn der Knoblauch Farbe annimmt, die Sardellenfilets zufügen und weiterbraten, bis sie zerfallen. Inzwischen die Penne al dente garen. Abgießen und dabei 150 ml des Kochwassers auffangen. Die Kohlrabiblätter zur Sardellenmischung in den Topf geben und bei mittlerer Hitze dünsten, bis sie weich werden. Etwas vom aufgefangenen Nudelwasser zugeben und kochen lassen, bis es leicht reduziert ist. Die Penne zufügen und gründlich mischen. Das restliche Olivenöl sowie Zitronensaft und Stracciatella-Käse zufügen und unterheben. Die Chilis entfernen.
José Avillez Avillez, der dynamischste Koch Portugals, ist in vielen Medien präsent und sieht sich als Vorreiter einer traditionellen portugiesischen Küche mit modernem Touch. Sein gepflegter Bosch-Kühlschrank ist gut bestückt mit saisonalen Produkten, Rotbarsch, Schafskäse, Kirschen vom Nachbarn und einer Wurst aus Lammkutteln.
Garnelen
mit Knoblauch, Zitrone und Koriander (À Bulhão Pato) Für 4 Personen 800 g mittelgroße rohe Garnelen, ausgelöst und Darmfäden entfernt 1 TL Salz 30 ml Olivenöl 50 g Knoblauch, in dünne Scheiben geschnitten 80 ml Weißwein 4 Minzeblätter, gehackt 1 Bund Koriander mit zarten Stängeln, gehackt Zitronensaft
Hähnchen-Tagine
mit Feigen und Mandeln Für 6–8 Personen 120 ml Olivenöl, aufgeteilt 1 küchenfertiges Hähnchen (1,5 kg), vorzugsweise aus Freilandhaltung, in Stücke zerteilt 3 kleine Zwiebeln, fein gehackt 2 Knoblauchzehen, zerdrückt 1 TL fein gehackte Ingwerwurzel 5 Safranfäden ½ TL Salz 1 Bund Koriander, gehackt 750 ml Wasser, aufgeteilt 500 g getrocknete Feigen 100 g Zucker 1 TL Zimt 100 g Butter 100 g blanchierte Mandeln 10 g Sesamsaat 1 getrocknete Rosenknospe (zum Servieren)
Die Garnelen mit dem Salz würzen. Das Olivenöl bei niedriger Stufe in einer beschichteten Pfanne erhitzen und den Knoblauch darin 30 Sekunden garen. Er sollte nicht braun werden. Die Garnelen zugeben und sanft braten. Mehrmals wenden, damit sie gleichmäßig garen. Weißwein, Minze und Koriander unterrühren, dann vom Herd nehmen. Nach Geschmack mit Zitronensaft würzen. Abschmecken und bei Bedarf nachsalzen.
Fatéma Hal
60 ml Olivenöl in einer großen gusseisernen Pfanne oder einem Bräter auf mittlerer Stufe erhitzen. Hähnchenteile, Zwiebeln, Knoblauch, Ingwer, Safran, Salz und Koriander zugeben. 500 ml Wasser zugießen und unter gelegentlichem Rühren 30 Minuten garen. Inzwischen Feigen und Mandeln vorbereiten. Die Feigen mit 250 ml Wasser, Zucker, Zimt und Butter in einen kleinen Topf geben. Zum Kochen bringen, dann bei niedriger Temperatur 20 Minuten köcheln lassen, bis die Sauce reduziert ist und eine honigartige Konsistenz hat. Die Feigen in Scheiben schneiden. 15 ml Olivenöl in einer kleinen Pfanne erhitzen und die Mandeln darin rösten. Aus der Pfanne nehmen und abkühlen lassen.
Das Fleisch aus dem Bräter nehmen, den Bratensud aufbewahren. Das restliche Olivenöl in einer großen Pfanne erhitzen. Die Hähnchenteile darin – falls nötig, portionsweise – braun braten. Auf einer großen Servierplatte anrichten und den Bratensud darübergeben. In Scheiben geschnittene Feigen, geröstete Mandeln und Sesam darauf anrichten. Die Rosenknospe als Garnierung in die Mitte legen.
Fatéma Hal hat sich in Marokko und in ihrer neuen Heimat Frankreich einen Namen gemacht, weil sie uralte, traditionelle und oft unbekannte Gerichte aufspürt und dokumentiert. In ihrem privaten Kühl schrank stehen Grundzutaten wie Bio-Honig, fertig gekauftes Würzgemüse, Paprika, aber auch exotische Produkte wie Absinthblätter, nordafrikanische Feigen und marokkanischer Safran aus Taliouine.
Kalt erwischt Kühlschrankcheck: Europas Spitzenköche privat
„Wir erhielten Zutritt zu spärlich möblierten SingleApartments von Bistroköchen und zu noblen Residenzen von Starköchen. Das Ergebnis unserer Spurensuche? Eine aufschlussreiche neue Reihe, in der Spitzenköche – vom klassischen Koch bis zum talentierten Autodidakten – ihre Grundzutaten, ihre bevorzugten regionalen Aromen und ihre besten Rezepte verraten. Schauen Sie bei den Gourmetgurus vorbei und erleben Sie die kulinarischen Genies zu Hause.“ — Carrie Solomon, Adrian Moore
Wir leben in der Ära der Starköche. Noch nie zuvor standen erlesene Speisen und die Menschen, die diese kreieren, derart im Fokus der Öffentlichkeit. Medien verfolgen das Treiben der großen Köche in und außerhalb der Küche, Kochwettbewerbe gehören zu den beliebtesten TV-Shows, und vor den Gourmettempeln stehen die Gäste Schlange. Aber wie sieht es eigentlich bei der Koch-Prominenz zu Hause aus? Wie alltagstauglich ist die Haute Cuisine? Inside Chefs’ Fridges besucht 40 europäische Spitzenköche in ihren heimischen Küchen und schaut nach, was sich dort im Kühlschrank findet – investigativer Journalismus, der durch den Magen geht. Die Gastgeber verraten darüber hinaus ihre besten Hausrezepte und die Geheimnisse ihrer regionalen Spezialitäten. Die erste Ausgabe widmet sich den europäischen Spitzenköchen, darunter Joan Roca, Massimo Bottura, Fergus Henderson, Yotam Ottolenghi, Marco Pierre White, Hélène Darroze, Inaki Aizpitarte, Mauro Colagreco, Thierry Marx und Christian F. Puglisi.
Inside Chefs’ Fridges. Europe Spitzenköche öffnen ihre privaten Kühlschränke Carrie Solomon, Adrian Moore Hardcover, 21 x 30 cm, 328 Seiten € 39,99 — 81 —
Frankieboy ist unp채sslich Gay Taleses legend채re Sinatra-Reportage, bebildert von Phil Stern und zum ersten Mal im im traditionellen, stilvollen Hochdruckverfahren gedruckt
Rat-Pack-Kumpel Dean Martin und Frank Sinatra vor seinem Learjet, 1965. Foto: John Bryson.
„Er verkörpert den Champ, dem das große Comeback gelungen ist, den Mann, der alles besessen, alles verloren und es sich zurückgeholt hat, der alle Hindernisse aus dem Weg räumt und in die Tat umgesetzt hat, was nur wenige fertigbringen …“ — Gay Talese
Die Erstausgabe dieses Bandes ist auf 5.000 Exemplare limitiert, signiert von Gay Talese. Der Text wurde in einer Miller Banner gesetzt und im traditionellen Hochdruckverfahren auf ungestrichenem Naturpapier gedruckt. Faksimilereproduktionen der Autorennotizen von November 1965 bis März 1966 wurden auf den Kapiteleingangsseiten eingeklebt, so wie auch dieser farbenfrohe Entwurf für die Szenen III–VI von Frank Sinatra Has a Cold. — 86 —
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Ganz oder gar nicht Wie man aus nichts New Journalism macht
Im Winter 1965 schickte mich Esquire nach Los Angeles, um ein Interview mit Frank Sinatra zu machen, das der Pressesprecher des Sängers mit dem Chefredakteur der Zeitschrift vereinbart hatte. Doch nachdem ich im Beverly Wilshire eingecheckt, einen Wagen gemietet und mir in meinem Zimmer einen dicken Packen Hintergrundmaterial über Sinatra, dazu ein ebenso dickes Steak und eine gute Flasche kalifornischen Burgunders zu Gemüte geführt hatte, erhielt ich einen Anruf von Sinatras Büro, das meinen Interviewtermin am kommenden Nachmittag absagte. Der Anrufer erklärte, Mr. Sinatra habe sich sehr über die neuesten Schlagzeilen bezüglich seiner angeblichen Verbindungen zur Mafia aufgeregt, und fügte hinzu, dass Mr. Sinatra zudem erkältet sei, weshalb womöglich obendrein ein Aufnahmetermin später in der Woche verschoben werden müsse, von dem ich mir die Gelegenheit erhofft hatte, dem Sänger bei der Arbeit zuzusehen. Vielleicht, fuhr der Anrufer fort, könne der Interviewtermin neu angesetzt werden, wenn es Mr. Sinatra wieder besser gehe, und vielleicht wäre es auch
hilfreich, wenn ich mein Interview Sinatras Management vor der Veröffentlichung im Esquire vorlegen würde. Nachdem ich mein Bedauern über Mr. Sinatras Schnupfen und die neuen Artikel über die Mafia zum Ausdruck gebracht hatte, setzte ich ihm höflich auseinander, dass es meinem Redakteur vorbehalten sei, als Erster über meine Arbeit zu urteilen. Aber ich fragte, ob ich im Lauf der Woche noch einmal durchrufen könne. Vielleicht sei Mr. Sinatra ja bis dahin so weit genesen, dass er mir einen kurzen Besuch gewähren würde. Selbstverständlich, erwiderte der Mitarbeiter, aber er könne mir nichts versprechen. Nachdem ich Harold Hayes, meinen Redakteur bei Esquire, über die Lage informiert hatte, vereinbarte ich Interviews mit einer Reihe von Schauspielern und Musikern, Studiobossen, Plattenproduzenten, Restaurantbesitzern sowie weiblichen Bekanntschaften Sinatras, die im Lauf der Jahre auf unterschiedlichste Art und Weise Kontakt zu ihm gepflegt hatten. Von den meisten von ihnen bekam ich etwas: hier ein Bröckchen Information, dort ein biss— 92 —
chen Kolorit, lauter Steinchen, die sich, wie ich hoffte, zum Mosaik einer Persönlichkeit zusammenfügen würden, die jahrzehntelang im Scheinwerferlicht gestanden und einen langen Schatten auf die so wankelmütige Unterhaltungsindustrie und das amerikanische Bewusstsein geworfen hatte. Nachdem ich im Lauf der zweiten Woche erfolglos versucht hatte, einen neuen Interviewtermin mit Sinatra zu bekommen (man sagte mir, er sei immer noch erkältet), traf ich mich weiter mit Leuten, die in Sinatras vielen Unternehmen angestellt waren, seinem Plattenlabel, seiner Filmproduktionsfirma, seiner Immobiliengesellschaft, seiner Firma für Raketenbauteile oder seinem Flugzeughangar; außerdem sprach ich mit Leuten aus Sinatras engerem persönlichem Umfeld, etwa seinem Sohn, dem es nie gelungen ist, aus dem Schatten seines Vaters herauszutreten, seinem bevorzugten Herrenausstatter in Beverly Hills, einem seiner Leibwächter (einem ehemaligen professionellen Footballspieler) und einer kleinen, grauhaari-
„Doch nachdem ich im Beverly Wilshire eingecheckt hatte, erhielt ich einen Anruf von Sinatras Büro, das meinen Interview termin am kommenden Nachmittag absagte.“ gen Dame, die auf Sinatras Tourneen mit ihm durchs Land reiste und die Tasche mit seinen sechzig Toupets hütete. Ich blieb noch drei Wochen in Los Angeles, brachte es auf eine Spesenrechnung von fast fünftausend Dollar, kehrte nach New York zurück und verbrachte weitere sechs Oben: Phil Stern auf dem Motorrad von James Dean; Sunset Boulevard nahe Laurel Canyon, Los Angeles, März 1955.
Wochen damit, einen fünfundfünfzigseitigen Artikel zu schreiben, der zum großen Teil auf meiner zweihundertseitigen Chronik basierte, in der Gespräche mit mehr als hundert Interviewpartnern festgehalten und Sinatra beschrieben war, etwa in einer Bar in Beverly Hills (wo er in einen Streit geriet), einem Casino in Las Vegas (wo er ein kleines Vermögen beim Blackjack verlor) und dem NBC-Studio in Burbank (wo die Show noch einmal aufgezeichnet worden war und er nach seiner Genesung von der Erkältung wunderschön sang). Obwohl ich nie Gelegenheit hatte, ein persönliches Gespräch allein mit Frank Sinatra zu führen, stellt dieser Umstand
womöglich gerade eine der Stärken meines Textes dar. Was hätte er (eine der bestabgeschirmten öffentlichen Personen) mir sagen können oder wollen, das mehr über ihn verraten hätte als der aufmerksame Blick eines Journalisten, der ihn in Aktion und unter Stress beobachtet, sich mit offenen Augen und gespitzten Ohren am Rand seines Lebens umgehört und aufgehalten hatte? Dieses Verfahren, dabei zu sein, sorgfältig zuzuhören und Szenen zu beschreiben, die Einblicke in den Charakter und die Persönlichkeit eines Menschen gewähren – eine Methode, die eine Generation zuvor New Journalism genannt worden war –, wurde
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in seiner besten Form von den Prinzipien des Old Journalism, unermüdlicher Laufarbeit und Faktentreue, untermauert. Und so zeitraubend und kostspielig sie auch gewesen sein mag, so war es doch genau diese Art der Recherche, die meine Sinatra-Reportage und Dutzende weiterer Magazinartikel auszeichnete, die ich in den Sechzigerjahren publizierte.
Oben: Wie Talese war auch Phil Stern mit Sinatras Launen wohlvertraut. Unten: Gay Talese in seinem heimischen „Bunker“ beim Signieren von Frank Sinatra Has a Cold. New York, 2015. Foto: Jeremiah Wilson.
42nd Street, New York City, ca. 1960. Foto: Burt Glinn.
Gay Taleses schillerndes Porträt Frank Sinatras gilt als Glanzstück des „New Journalism“: Die 1966 erstmals ver öffentlichte Reportage verbindet sorgfältige Recherche mit lebendiger Darstellung und erzählt dabei ebenso viel über Prominenz im Allgemeinen wie über Frank Sinatra selbst. In dieser Collector’s Edition erscheint Frank Sinatra Has a Cold, auf unterschiedlichem Papier teilweise im tradi tionellen Hochdruckverfahren gedruckt, zusammen mit einer Einleitung von Gay Talese und Faksimiledrucken von Manuskriptseiten, Briefwechseln und anderen Dokumenten aus dem Archiv des Verfassers.
Gay Talese. Phil Stern. Frank Sinatra Has a Cold Hardcover im Schuber, im traditionellen Hochdruckverfahren auf zwei verschiedenen Papiersorten gedruckt, mit einer Ausklapptafel und 8 eingeklebten, faksimilierten Manuskriptseiten, 24 x 34 cm, 244 Seiten Englische Ausgabe € 200
Neben dem Text gewähren die Fotos des legendären Phil Stern Einblicke in das Leben von „Ol’ Blue Eyes“. Daneben finden sich klassische Motive führender Bildjournalisten der 60er-Jahre wie John Bryson, John Dominis und Terry O’Neill.
Collector’s Edition in einer Auflage von 5.000 nummerierten Exemplaren, signiert von Gay Talese.
Unter der Rubrik TASCHEN-Literatur präsentieren wir klassische Reportagen und Essay illustriert mit Bildern aus der großen Zeit des Fotojournalismus.
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In Planung sind u.a.: The Fight (Der Kampf) von Norman Mailer, The Electric Kool-Aid Acid Test (Unter Strom. Die legendäre Reise von Ken Kesey und den Pranksters) und The Right Stuff (Der Stoff, aus dem die Helden sind) von Tom Wolfe sowie The Fire Next Time (Hundert Jahre Freiheit ohne Gleichberechtigung) von James Baldwin.
Ein Traum von einem Filmset
Jon Hamm vor dem Haus der Drapers in Los Angeles im Mid-Century-Baustil, einem der zahlreichen historischen Sets, die Szenenbildner Dan Bishop schuf.
“We’re flawed because we want so much more. We’re ruined because we get these things and wish for what we had.” — Don Draper in „The Summer Man“ („Wind und Sonne“), Staffel 4, Folge 8
„Das beste Kompliment, das ich je erhielt, war: ,Mad Men fühlt sich an, als hätten Woody Allen und David Lynch ein Kind bekommen.‘ Ich nehme dieses Kompliment an.“ — Matthew Weiner
Am letzten Drehtag der letzten Folge der Serie, „Person to Person“ („Sie erkannten einander“), erhält John Hamm Regieanweisungen von Matthew Weiner, 3. Juli 2014.
Glamour der Getriebenen “When a man walks into a room, he brings his whole life with him. He has a million reasons for being anywhere. Just ask him. If you listen, he’ll tell you how he got there. How he forgot where he was going and then he woke up. If you listen. He’ll tell you about the time he thought he was an angel or dreamt of being perfect. And then he’ll smile with wisdom, content that he realized the world isn’t perfect. We’re flawed because we want so much more. We’re ruined because we get these things and wish for what we had.” — Don Draper, „The Summer Man“ („Wind und Sonne“), Staffel 4, Folge 8
Die Entstehung von Mad Men Durch die Pilotfolge von Mad Men kam ich an den Job bei The Sopranos (Die Sopranos). Ich schrieb sie, während ich bei der Sitcom Becker arbeitete. Ich war dort nicht gerade glücklich, sonst hätte ich Mad Men nicht geschrieben. Es war eine Abwechslung von meinem Joballtag, und ich schrieb das Drehbuch abends nur so zu meinem Privatvergnügen. Dahinter stand kein Auftrag, kein Studio, kein Scheck, niemand, dem ich die Idee hätte vorstellen können. Letztlich hieß es: „Hier ist ein fertiges Skript. Will das nicht irgendjemand kaufen?“ Ich wusste, dass ich es nicht pitchen konnte. Ich versuchte es ein paarmal, aber die Antwort war immer:
„Was? Sie arbeiten beim Fernsehen – aber schauen Sie auch jemals fern? Na, ob Sie das loswerden …“ Schließlich war es ein Period Piece, sehr amerikanisch, und sie schätzten es als unverkäuflich ein. Als wir das Drehbuch dann realisierten, war es im Grunde auch nicht kommerzieller geworden, denn es gab keine Stars. Es ist schwierig, das auf die Schnelle zu erklären. Ein Period Piece zu drehen kostet viel Geld. Es wird ununterbrochen geraucht – und der Held betrügt auch noch seine Ehefrau. Ich kann gar nicht alles aufzählen, was daran kein Kaufanreiz für das Publikum war. Hinzu kommt die Tatsache, dass das amerikanische Fernsehen, damals wie heute, vom Auslandsverkauf besessen ist, was ich
Notizen erschienen ursprünglich in Esopus 20: Special Collections. Entwurf: Tod Lippy, © The Esopus Foundation Ltd.
Matthew Weiner über die Entstehungsgeschichte seines Serien-Hits. Auszüge aus J. C. Gabels Exklusivinterview mit Matthew Weiner
überhaupt nicht verstehe, denn schließlich haben wir hierzulande so viele Menschen, die genug Geld auszugeben bereit sind. Aber man schätzte die Geschichte als so amerikanisch ein, dass sich niemand sonst auf der Welt dafür interessieren würde. Ich dagegen dachte: „Das ist doch genau das Amerika, das alle lieben.“ Ich glaube, ich kann ganz gut einschätzen, wo ich als Autor stehe, was ich zu sagen habe, was eine Geschichte ausmacht und was ein intelligentes Publikum versteht. Am Schluss schaute ich durch meine Notizen und fand sehr wenig von dem wieder, was mir eigentlich vorgeschwebt hatte, aber dann stieß ich auf ein altes Drehbuch, das ich in den Neunzigern geschrieben und wieder aufgegeben hatte. Es war 80 Seiten lang, trug den Titel The Horse Shoe („Das Hufeisen“) und handelte von einem Typen namens Peter Whitman und wie es dazu kam, dass seine Generation, die während der Weltwirtschaftskrise aufgewachsen war, schließlich das Land regierte. Es war der Lebensweg eines Menschen, der sich Oben: Blick hinter die Kulissen eines TVMeisterwerks: Donald Draper (Jon Hamm), aufgenommen von Chris Manleys Kamera während eines Takes zu „In Care Of,“ („So frei“), der Schlussepisode der sechsten Staffel, 2013. Unten: Notizen von Schöpfer und Showrunner Matthew Weiner.
den jeweiligen Gegebenheiten anpasst und seine Persönlichkeit verändern kann, ein amerikanischer Archetyp wie Jay Gatsby, und basierte auf diversen Biografien, die ich gelesen hatte, von Menschen wie Sam Walton, Bill Clinton, Rockefeller, Lee Iacocca … Selfmademen, die damals das Land am Laufen hielten. Ursprünglich hatte ich vorgehabt, die Geschichte in Rückblenden zu erzählen, kam aber nie dazu, diesen Teil zu schreiben.
Ich hatte dieses Drehbuch irgendwann 1996 oder 1997 aufgegeben. Ich las es nun noch mal, und auf der letzten Seite stand: „Ossining, 1960“. Als ich den Piloten für Mad Men schrieb, waren mindestens vier Jahre vergangen, seit ich dieses Skript aufgegeben hatte, und dann vergingen weitere drei, bis AMC Interesse zeigte, aber ich war wohl immer noch von diesem Typen fasziniert. Ich dachte: „Oh, mein Gott! Das ist Don Draper! Das ist dieser Typ!“ Ich prä-
sentierte ihnen also diese Geschichte. Die letzte Szene in dem Ding zeigt, wie er seiner eigenen Beerdigung beiwohnt, was wir dann am Ende der ersten Staffel machten. Viele der Rückblenden basieren auf Ideen aus diesem alten Drehbuchentwurf – der Penner, der Halbbruder, der Identitäts tausch in Korea, das Silo, das niedergebrannt wird, der Vater, der von einem Pferd ins Gesicht getreten wird –, all das stand schon in dem alten Skript, das ich während meiner jahrelangen Arbeitslosigkeit nach Abschluss der Filmhochschule geschrieben hatte. Als ich ihnen diese Story auseinan-
dersetzte – dass er nicht wirklich Don Draper ist –, waren sie davon so begeistert, dass sie die Serie machen wollten.
Werbung war ebenfalls ein bedeutender Teil der Kultur, und Werbeleute wurden damals verehrt wie Rockstars.. Sie verkörpern den amerikanischen Traum, dass man einer schöpferischen Arbeit nachgeht, mit der man auch noch Geld verdient. Außerdem war die Vorstellung von Werbung als Spiegel der Kultur und nicht unbedingt Triebfeder der Kultur interessant, und ich identifizierte mich mit den Menschen dieser Ära. Diese ganze Generation, die aus dem Krieg kommt, die während der Weltwirtschaftskrise in ländlicher Armut aufwuchs – das ist die Generation der späteren Führungskräfte. Es ist eine, in der man sich vollständig selbst erfinden muss. Man kann nach New York gehen, wo jeder alles sein kann, sogar als Ausländer. Es gibt sehr wenige Orte auf der Welt, wo man als Priestersohn
Die Evolution des Don Draper Ich liebte Werbung und interessierte mich sehr für die Fünfziger, weil es eine Zeit war, in der Amerika erwachsen wurde und ein gewisser intellektueller Idealismus die amerikanische Kultur prägte. Die populäre Massenkultur war sehr intellektuell ausgerichtet. Catch-22 stand auf der Bestsellerliste. Man erwartete von den Leuten eine anständige Allgemeinbildung.
Gegenüber und oben: Janey Bryants Entwurf und Stoffprobe für das inzwischen berühmte rote Kleid von Joan Holloway (Christina Hendrick), das in „Babylon“ („Babylon“), Staffel 1, Folge 6, und in diesem Werbefoto zu sehen ist. Unten: Im Lauf der Serie führte Executive Producer Scott Hornbacher bei neun Folgen Regie, so auch bei „Time Zones“ („Zeichen der Zeit“), der ersten Folge der siebten Staffel. Hornbacher ist hier bei Außenaufnahmen mit Kameramann Christopher Manley zu sehen, als sie Dons Ankunft in Los Angeles aufnehmen, wo er seine Frau Megan (Jessica Paré) trifft.
aus West Virginia hingehen kann und es am Ende zum Magnaten bringt, ohne eine Ölquelle zu finden. Man kann sich einfach zum Erfolg hochquatschen. Dieser Nachgeschmack von Entbehrung und diese düstere innere Zerrissenheit durch die Kriegserfahrung prägen den Charakter, wie bei den Helden des Film noir. Ich begann, Biografien zu lesen und die Welt eines Menschen zu konstruieren, der in jener Zeit zu einem Mann heranwuchs,
der jederzeit alles stehen und liegen lassen konnte, weil seine Identität so fließend war, dass er überall überleben konnte. Und ganz egal, wie es ausging: Dieses arme Kind, das in einem Landpuff in Pennsylvania aufwuchs, verwaist, inmitten einer Revolution, am Rande von Kommunismus, Sozialismus, Nationalsozialismus und allem, was in den Vereinigten Staaten im Schwange war, schleppte all das mit sich. Immer trug man irgendeinen inneren Kampf aus, wie es alle Männer taten und wie auch ich es getan hatte an diesem Punkt meines Lebens. Ich war 35 Jahre alt. Warum steckten da zwei Seelen in meiner Brust? Ich wollte ein abenteuerlustiger Pirat sein, der durch die Welt segelt, und zugleich Vater und Ehemann? Diese beiden Dinge widersprachen sich. Das ist der eigentliche innere Antrieb der Hauptfigur – diese düstere Vergangenheit und die gespaltene Persönlichkeit. Dass der Held tatsächlich zwei verschiedene Identitäten besaß, darauf kam ich erst später. Im Piloten ging es einzig um Identität und diese Generation. Sally Draper empfand ich immer als idealen Einstieg für das gesamte Publikum, nicht nur für diejenigen, die diese Zeit als Kinder miterlebt hatten. Ihre Situation kann jeder sofort nachfühlen. Das Kind weiß nicht, was los ist. Alles ist Ironie.
Die Sechziger und das Goldene Zeitalter des Fernsehens Fernsehen ist Teamarbeit, aber das Interessante ist, dass an jeder Folge andere Autoren und Regisseure arbeiten und doch alles einheitlich daherkommt. Als Fernsehautor musst du dich bewusst an die anderen anlehnen. Die Stunde der Autoren kommt eigentlich in der Phase des Handlungsaufbaus. Das Drehbuch an sich – ganz gleich, wessen Name darauf steht – läuft über meinen Computer, damit es in der Serie keine Unstimmigkeiten gibt. Ich schreibe ständig alles um – lasse mich aber manchmal auch von Leuten, die es besser wissen als ich, Leuten aus dem Autorenstall und meiner Frau, dazu überreden, wieder zum ersten Entwurf zurückzukehren. Manchmal glaube ich, etwas zu verbessern, vermassele es aber in Wirklichkeit. Ich versuche, möglichst keine Sachen herauszuwerfen, nur weil sie nicht von mir sind. Wenn sich jemand persönlich eingebracht hat, sage ich „fantastisch“, weil ich selbst nicht darauf gekommen bin. Ich möchte, dass sich die Autoren einbringen, ohne die Grundidee zu verfälschen. Sie sind alle hier, weil sie die kreativen Herausforderungen der Serie befriedigend finden, und das bedeutet nicht nur, es mir recht zu machen, es bedeutet auch, selbst damit
zufrieden zu sein. Das heißt, dass Leute bei dieser Serie eine größere Verantwortung für ihre Tätigkeit tragen als bei jedem anderen Job, den sie jemals hatten. Eine der Stärken des Mediums ist, im Unterschied zum Kinofilm, dass man die Geschichte nicht jedes Mal auflösen muss. Sie muss nur einmal pro Staffel aufgelöst werden. Dinge enden, und nächste Woche ist man wieder da. Was passiert, hat Konsequenzen. Don hatte eine Reihe von Affären. Wir tun nicht so, als hätte es diese Frauen nie gegeben, sondern
„Werbeleute wurden damals verehrt wie Rockstars. Sie verkörpern den amerikanischen Traum, dass man einer schöpferischen Arbeit nachgeht, bei der man auch noch Geld verdient.“ — Matthew Weiner
wir werden von der Vorstellung eingelullt: „Hier ist er wieder bei Megan. Er versucht wirklich, seine Ehe zu retten.“ Peggy gibt ihr Baby auf. Peggy hat mit Pete geschlafen. Wir tun nicht so, als wäre das nie passiert. Ich wusste, dass in Peggy ein ehrgeiziger Mensch steckte. Sie hatte das Zeug zur Schriftstellerin. Sie war etwas unbedarft, eine Art Landei. Sie war aus Brooklyn – eine völlig antiquierte Sicht, denn Brooklyn ist die Stadt, aber ich habe die gleiche Einstellung zu New York, weil ich nicht von dort
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stamme. Sie würde durch puren Zufall erfolgreich und einflussreich werden. Joan war ursprünglich als beste Freundin für Peggy gedacht. Sobald ich Christina Hendricks traf, wusste ich, dass Joan etwas von einer Kurtisane haben musste. Eine der Geschichten, die mir sofort für sie einfiel, war ihre Affäre mit Roger. Sie war eine mächtige Frau im Büro, die wirklich so weit gegangen war, wie sie konnte, und das verkörperte diese Dynamik zwischen The Feminine Mystique (Bestseller von Betty Friedan, 1963; dt. Der Weiblichkeitswahn, 1966) und Sex and the Single Girl, auf die es mir ankam. Sie hatte keine moralischen Bedenken gegen außerehelichen Sex, und eine der großen Sachen an der Serie war ja, dass sie zeigte, dass so etwas damals keineswegs tabu war. Auch wenn sie uns etwas anderes erzählen wollen, der Sex wurde nicht erst in den Sechzigern erfunden. Den gab es auch schon davor. Wir entschieden, dass sich Joan wie eine Nonne kleiden sollte und all die sexuelle Spannung in der Serie daraus erwachsen würde, dieses hübsche Geschenk auszupacken. Auf der einen Seite ein Bild des Anstandes, doch wenn man ihr Outfit genauer betrachtet – so hauteng und maßgeschneidert, dass man alles sieht, was sich darunter versteckt –, dann gibt sie eine
Matthew Weiner’s Mad Men Hardcover, 2 Bände im Schuber, 36 x 22,5 cm, 1040 Seiten € 150 Englische Ausgabe Erscheinungstermin Januar 2016
Eine persönliche Geschichte Ich hätte nie geahnt, dass mich eine solche Aufsteigergeschichte interessieren würde. Kreativer Erfolg, finanzieller Erfolg – das waren Dinge, über die ich früher schlau daherreden konnte. Aber dies alles nun zu erleben und die Angst kennenzulernen, alles wieder zu verlieren, die ganze Komplexität und die Konflikte, die damit einhergehen – diese Erfahrung verdanke ich dieser Serie. Mich interessierte mehr, dass Don zu Beginn der Serie eine solch große Angst hatte, dass seine Identität aufgedeckt Gegenüber: „Noch mal das Gleiche. Einen Oldfashioned, bitte.“ Don Draper arbeitet auch, während er in der Kneipe sitzt – hier in der Eröffnungsszene der Pilotfolge „Smoke Gets In Your Eyes“ („Schall und Rauch“). Oben: „Stimmungsentwürfe“ der Kostümbildnerin Janey Bryant für die Figur Joan Holloway. Unten: Jon Hamm als Don Draper in einer Werbeaufnahme für die vierte Staffel, 2010.
würde, aber dennoch so stolz war, dass er es im Falle von Pete zuließ. Dass er bereit war, mit Rachel davonzulaufen, und zu einem Mann wurde, der seinen falschen Namen an der Eingangstür eines Gebäudes hat. Was war passiert? Er wurde älter. Die Gesellschaft veränderte sich. Die Weltwirtschafts-
krise, der Zweite Weltkrieg, Korea und McCarthy, das versank immer mehr in der Vergangenheit. Es zu akzeptieren, dass man damit durchkommt und dass die Gesellschaft sich wandelt, daran kann man ablesen, wie sehr ein Mensch sich wirklich verändert. Nun blickt er auf ein langes Sündenregister zurück, das letztlich einer Art sehr komplizierter Existenzangst geschuldet ist. Das ist spannend. Ich hatte mir ausgemalt, dass die Serie sechs oder sieben Jahre laufen würde und man sich nach der letzten Folge noch mal die
Pilotfolge ansehen würde, um sich in nostalgischer Wehmut an all die gesehenen Lebensgeschichten zu erinnern, auch wenn sie frei erfunden waren. Vielleicht überlegt man, wo man selber gerade war, als man sie zum ersten Mal sah, aber man würde auch daran denken, wie ahnungslos diese Figuren damals noch waren und welche Irrungen und Wirrungen des Lebens ihnen noch bevorstanden.
Series Artwork & Supplementary Materials ™, ® & © 2015 Lions Gate Entertainment Inc. All Rights Reserved. Select photography provided by AMC Network.
unglaublich aufregende Silhouette ab. Aber gleichzeitig eben auch sehr schicklich.
Die ultimative Mad Men-Edition
Limitierte Art Edition von 512 Exemplaren; signiert von Matthew Weiner
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Art Edition Nr. 1–512
Limitierte Art Edition von 512 Exemplaren; signiert von Matthew Weiner: – 2 Leinenbände im Schuber – die kompletten Drehbücher in sieben Halbleinenbänden im Schuber – ein von Illustrator Brian Sanders signierter Art Print der Postervorlage zu Staffel 6 € 750 – Nr. 1–12 liegt ein Exemplar des Originaldrehbuchs der Pilotfolge von 2005 bei, signiert von allen Stars
€ 4.500
Rahmen nicht enthalten — 107 —
Die Sonne geht auf hinter dem riesigen MAN von 2014,
entworfen von Andrew Johnstone, dahinter der Ring aus „Suk“-Zelten.
„Wenn Sie nicht selbst zu dem notorisch wilden Burning Man-Festival kommen können, sind Sie mit diesem Buch ganz nah dran.“ — Interviewmagazine.com
Kunst in Flammen Pyrotechnik und kollektiver Rausch in der Black Rock Desert
Die Füße auf glühend heißem Wüstensand, im Sucher riesige, surreale Skulpturen – Fotograf NK Guy präsentiert Burning Man, das Happening in der Wüste von Nevada, das alljährlich 65.000 Besucher anlockt.
Diese rollenden Cupcakes und Muffins beim Burning Man 2006
wurden von Elektromotoren angetrieben, gespeist aus Akkus, die wiederum mit Sonnenenergie geladen wurden, und sie waren bis zu knapp 30 km/h schnell. Jedes Fahrzeug war einzigartig und als persönliches Projekt seines jeweiligen Besitzers und in Zusammenarbeit mit anderen „Muffinieuren“ entstanden.
Bedrohliche, aber zum Glück meist zahnlose düstere Regenwolken brauen sich über dem Schiffswrack der LA LLORONA („die Weinende“) zusammen,
einer einst uneinnehmbaren, aber inzwischen abgetakelten spanischen Galeone. PIER 2 und LA LLORONA von Kevan Christiaens, Matt Schultz und der Pier Group wurden für Burning Man 2011 gebaut, wobei die Galeone 2012 hinzukam.
Explosion der Fantasie Ein Interview mit dem Fotografen NK Guy
Wie würden Sie Burning Man jemandem beschreiben, der noch nie dort war? Am einfachsten so: Burning Man ist eine zeitlich begrenzte Stadt mit 65.000 Einwohnern, die einmal im Jahr eine Woche lang auf einer ausgedehnten windgepeitschten Wüstenebene im nördlichen Nevada entsteht. Aber diese Beschreibung wird dem Ereignis nicht gerecht, weil es sich um ein einzigartiges und facettenreiches kreatives Erlebnis handelt, das sich für jeden Teilnehmer anders gestaltet. Für manche Leute ist es einfach eine geile Party, für andere ein gesellschaftliches Experiment, eine spirituelle Reise, ein Raum für die freie Entfaltung der Persönlichkeit.
auf der playa praktisch nicht vorhanden ist. Kunst ist das zentrale Thema der Veranstaltung, von der ersten Burning Man-Figur 1986 bis zu den gewaltigen Werken, die heute für das Treffen charakteristisch sind. Gemeinschaftsgeist ist auch lebenswichtig. Die endlose Wüste inspiriert zur Schaffung gewaltiger Installationen, die man auf keinen Fall in einer Galerie bauen oder zeigen
„Kunst ist das zentrale Thema der Veranstaltung, von der ersten Burning Man-Figur 1986 bis zu den gewaltigen Werken, die heute für das Treffen charakteristisch sind.“ Genau so, wie die Veranstaltung eine leere Leinwand ist, auf der sich Menschen ausdrücken können, so ist die Wüste (auch als playa [„Strand“] bekannt) eine leere Leinwand, um riesige physische Kunst aufzubauen und darzustellen. Es ist in der Tat zur größten Ausstellung interaktiver, ortsspezifischer und zeitlich begrenzter Kunst auf dem Planeten geworden, und ich war in der glücklichen Lage, sie über die letzten 16 Jahre dokumentieren zu können. Was sind die wesentlichen Bestandteile der Veranstaltung? Kunst ist absolut zentral. Es gibt unzählige andere Festivals rund um den Globus, aber bei den meisten geht es um Musik, Performance oder Religion. Ganz wenige konzentrieren sich auf Kunst. Und interessanterweise bedeutet dies, dass der Promikult, der die meisten Festivals beherrscht („Wer spielt in diesem Jahr auf der Hauptbühne?“), Rechts: Eine Gruppe von Teilnehmern rudert mit ihren Freunden in einem kleinen landgebundenen Beiboot in der Nähe des Projekts PIER 2 ins Nirgendwo. — 113 —
könnte. Und das verändert alles, weil der Maßstab von einem einzelnen Künstler allein nicht zu bewältigen ist. Nirgendwo sonst schließen sich Gruppen von Freunden und Fremden und bisweilen sogar Feinden zusammen, um solch riesige Werke vergänglicher Kunst zu schaffen. Interaktivität ist eine weitere Schlüsselkomponente. Die Kunst von Burning Man
ist dazu gedacht, dass man sie erkundet und mit ihr interagiert. Es ist nicht bloß eine Galerie, in die man hineinspaziert und wo man aus einem Abstand kleine Kunstwerke betrachtet. Die Künstler werden ermutigt, Kreationen zu bauen, die Betrachter in Mitmachende verwandeln. Und nicht zuletzt fehlt fast jeder kommerzielle Charakter. Wir leben in einer Gesellschaft, die Links: 2013. MAN BURN. Das Niederbrennen des Mannes ist in vollem Gang, wobei der Sockel zu einer glühenden Untertasse aus Licht wird. Eine der letzten Aufnahmen, die ich von meinem ursprünglichen Standort im Großen Kreis machen konnte, bevor mich die Hitze zu größerem Abstand zwang. Ich habe herausgefunden, dass man die Hitze eines Feuers normalerweise anhand der Menge brennbaren Materials vorhersagen kann, das senkrecht aufragt, da es die Hitze stärker in die Menge abstrahlt. Ein dünner Turmbau wird nicht so heiß, eine hohe Mauer hingegen schon. — 114 —
auf jeder Ebene von Konsum und finanziellen Transaktionen beherrscht wird. Abgesehen von den eigenen vier Wänden und religiösen Stätten gibt es nicht viele Orte, an denen man sich dem entziehen kann.
„Die Kunst von Burning Man ist dazu gedacht, dass man sie erkundet und mit ihr interagiert.“ Aber beim Burning Man geht das. Abgesehen von Eis und Kaffee darf man dort nichts kaufen oder verkaufen. Die Veranstaltung bewirbt eine „Kultur des Schenkens“, die Menschen dazu ermutigt, anderen freimütig etwas zu geben, ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten. Das ist ein faszinierendes und erfrischendes Kulturexperiment.
Was war Ihr erstes Erlebnis beim Burning Man? Mein erstes Mal war ähnlich wie das vieler anderer Leute. Es war im Frühjahr 1998, und ich war auf der Suche nach einer coolen Wochenendstation auf einem sommerlichen Roadtrip und vielleicht noch ein bisschen Party. Ich hatte Fotos von dem ersten Burning Man 1990 gesehen, aber ich war nicht auf diese riesige quirlige Stadt der Kunst und des Erlebens vorbereitet, die ich dort vorfand. Ich war alleine aus Kanada angereist, und weil ich niemanden hatte, mit dem ich das Erlebnis teilen konnte, ertappte ich mich dabei, die Kunst im Foto festzuhalten. Das war die Keimzelle dessen, was zu einer sechzehn Jahre überspannenden Saga wurde, die mich Jahr für Jahr wieder, mit der Kamera in der Hand, in die Wüste führte. — 115 —
Oben: 2013. RAISING THE MAN. Das teuerste Foto des Buches, weil ich meinen Flug in die USA zweimal umbuchen musste, um rechtzeitig an der Baustelle zu sein! Normalerweise wird der Mann kopflos auf seinen Sockel gehievt und der Kopf später aufgesetzt, doch 2013 wurde der Zugang durch die riesige Untertasse erschwert, sodass er in einem Stück aufgestellt wurde.
Stach für Sie irgendein Kunstwerk besonders hervor? Das ist eine knifflige Frage. Nicht nur, weil ich die Gefühle all jener Künstler verletzen könnte, die ich nicht nenne, sondern weil es einfach unmöglich ist, ein einzelnes Stück zu nennen, das alle anderen übertrifft. Aber ich denke, dass die stärkste kollektive Gruppe von Werken die Tempel von Burning Man sind. Jedes Jahr wird ein neuer Tempel gebaut und dann niedergebrannt, bis er dem weiten Wüstenboden gleich ist.
Wie eine Weltraumrakete aus dem Golden Age der Science Fiction wirkt das zwölf Meter hohe RAYGUN GOTHIC ROCKETSHIP der Five Ton Crane Arts Group, das erstmals 2009 in der Black-Rock-Wüste von Nevada auf der Erde landete. 2009.
zu erzählen, ein Gefühl heraufzubeschwören oder eine Installation zu vermitteln. Alles hängt mit jemandes Geschichte zusammen, und das ist eines der Dinge, die ich in dem Buch herüberbringen wollte. Und schließlich, als es um die Erstellung des Buches selbst ging, lag eine der größten Herausforderungen in der Organisation. Ich habe rund 65.000 Fotos, und die Frage, wie man das zu einem Buch mit 280 Seiten komprimieren kann, war nicht leicht zu beantworten. Die Lösung fand dann ein Designer bei TASCHEN: ewige Kreisläufe. Sie werden bemerken, dass das Buch nach Tageszeiten strukturiert ist. Wir beginnen mit dem warmen Licht der Morgendämmerung, bewegen uns weiter zur Gluthitze und zum Staub des Tages, dann zur Kühle des Sonnenuntergangs und schließlich zum bunten Treiben der Nacht. Diese Tempel, die ursprünglich von David Best und seinem Team geschaffen wurden, entwickelten sich auf ungeahnte Weise zum emotionalen Kern der Veranstaltung. Sie wurden zu einem säkularen geweihten Ort, an dem sich Menschen versammeln können, um zu trauern oder über Verluste aller Art zu meditieren. Bis zum Ende der Woche, wenn der Tempel schließlich abgebrannt wird, ist er mit Notizen, Briefen und persönlichen Gegenständen geschmückt, die es jedem Teilnehmer ermöglichen, ein Stück
von sich in das Gebäude einzubringen. Diese Art der geteilten persönlichen Trauererfahrung ist nichts, was man beim gewöhnlichen Sommerfestival erwarten würde. Wie glauben Sie diese Veranstaltung in Ihrem Buch darstellen zu können? Meine Fotografie beim Burning Man begann auf einer sehr persönlichen Ebene, auch wenn sie dieser inzwischen entwachsen ist. Ich brauchte Jahre, um zu lernen, wie ich Elemente der Szene am besten isoliere und komponiere, um eine Geschichte
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Oben: MANTIS von Kirk Jellum und Kristen Ulmer. Die Gottesanbeterin wurde auf dem Fahrgestell eines Kipplasters aufgebaut, kann sich, wenn der Wagen steht, „aufbäumen“ und, wenn die Ladefläche waagerecht steht, 30 Menschen befördern. Unten: EL PULPO MECANICO von Duane Flatmo und Jerry Kunkel. EL PULPO ist eines der gefeiertsten Kunstwerke auf der playa, entstanden aus Metallschrott, den Duane im Laufe der Jahre gesammelt hatte. Das Basisfahrzeug ist mit Aluminiumschrott verziert, darunter auch Teile seines früheren CRUSTACEAN WAGON. Der Krake besteht hauptsächlich aus rostigem Stahl, 2014.
Unten: THE TEMPLE OF JOY (2002) von David Best und der Temple Crew. Dieser Tempel besaß im oberen Stockwerk eine Öffnung über die gesamte Gebäudetiefe. Ein starker Laser – LASER BEACON von Ingenieur Russell Wilcox – wurde mit einem Vierfachteiler im leuchtturmähnlichen Mann-Sockel installiert. Der 12‑UhrStrahl wurde sorgfältig so ausgerichtet, dass er durch diese Öffnung verlief, 2002.
Gegenüber: EMBRACE, rund 21 Meter hoch, entstand mit einem Budget von 250.000 Dollar. Ungewöhnlich war, dass dieses gewaltige Werk am frühen Morgen, kurz nach Sonnenaufgang, niedergebrannt wurde – sowohl aus künstlerischen als auch aus sicherheitstechnischen Gründen. Erstens war es ein Symbol für eine neue Dämmerung und einen neuen Anfang. Zweitens trug man damit Bedenken Rechnung (die sich glücklicherweise nicht bewahrheiteten), dass die dünne „Holzhaut“ beim Abbrennen durch die Luft fliegen und in der Dunkelheit Verletzungen verursachen könnte. EMBRACE, 2014, von K. Christiaens, K. Owens, B. Tubman, J. Olivier, M. Schultz und der Pier Group.
„… Als Hommage an Burning Man, aber auch als Erläuterung für alle, die damit nicht vertraut sind, erklärt das Buch den Ursprung der tempelähnlichen Kunstwerke, die alljährlich auf der playa auftauchen.“ — The Huffington Post, New York
Art of Burning Man NK Guy Hardcover mit Ausklappseiten, 26 x 34 cm, 280 Seiten € 39,99
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Rankin, Big Magazine (unverÜffentlicht), 1998. Š Rankin/Trunk Archive
S*U*P*E*R*M*O*D*E*L* Hommage an eine einzigartige Karriere. Auf 1.000 Exemplare limitierte und von Gisele Bßndchen signierte Collector’s Edition, zusammengestellt und gestaltet von Giovanni Bianco. Bilder von Mario Testino, Steve Meisel, Peter Lindbergh, Juergen Teller und vielen anderen.
Gegenüber: Paulo Vainer, Vogue Brasil, 2015. Unten: Inez & Vinoodh, V, 2004.
„Spektakuläre Bilder von Gisele, dem letzten echten Supermodel, dem Mädchen aus Horizontina, Brasilien, das kurz vor der Jahrhundertwende die Catwalks und Magazincover eroberte und zu einem der eindrucksvollsten Symbole weiblicher Schönheit aller Zeiten wurde.“ — Esquire, New York
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© Mario Testino/Art Partner licensing
Gegenüber: Mario Testino, Vanity Fair, 2009. Unten: Mario Testino, Mario de Janeiro Testino, 2001.
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Š Mario Testino/Art Partner licensing
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A�����B��� F��� A�����D����� I�� D�WNLO�D�F�R�F�E�
© Mert Alas & Marcus Piggott/Art Partner licensing
Unten: Mert Alas & Marcus Piggott, Pirelli Calendar, 2006.
„So haben ihre Fans sie noch nie gesehen – souverän präsentiert sie ihren Körper in unzähligen Posen und Settings.“ — New York Daily News
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Limitiert auf 1.000 Exemplare, signiert von Gisele Bündchen
Unsere großformatige Collector’s Edition mit über 300 Bildern wurde von Giovanni Bianco zusammengestellt und entworfen. Von Irving Penns legendärem Aktfoto, unserem Coverbild, bis hin zu ikonischen Aufnahmen von Starfotografen wie David LaChapelle, Juergen Teller, Inez & Vinoodh, Mert Alas & Marcus Piggott und Corinne Day ist dies ein einmaliges Porträt der Frau, die zusammen mit Pelé und Ayrton Senna der berühmteste Exportschlager Brasiliens und zugleich das bestbezahlte Model der Welt ist. Der Band wird ergänzt durch Beiträge von Giseles engsten Freunden und Angehörigen und prominenten Stimmen aus der Modebranche.
Art Edition Nr. 1–100
XL Collector’s Edition
Limitiert auf 100 nummerierte Exemplare, Fine Art Print Gisele Bündchen, W, 2005 (gegenüber) auf Epson Giclee-Print auf Canson BarytaFotopapier, signiert von Juergen Teller, 31 x 41,5 cm (Papiergröße)
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€ 1.500
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Limitiert auf 900 von Gisele Bündchen signierte Exemplare. Hardcover, Schweizer Bindung, im Acrylschuber, 28,1 x 39 cm, 536 Seiten € 500
NIGE E W OCH N NUR
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Gegenüber: Juergen Teller, W, 2005 (Art Edition). Unten: Gisele Bündchen unterzeichnet die 1.000 Signierblätter, New York, 2015 (© Brett Doonan).
„In den vergangenen 20 Jahren hatte ich das Privileg, mit einigen der talentiertesten Künstler und Fotografen der Welt arbeiten zu dürfen. All meine Erlöse aus diesem Projekt werden einer karitativen Einrichtung zugutekommen, die mir besonders am Herzen liegt.“ — Gisele Bündchen
Buchhandelsausgabe erhältlich ab Januar 2016 € 59,99
„ Wunderschöne Hochglanzbilder – atemberaubende Glamourshots“ —Bild.de
Am „Big Monday“, dem 28. Januar 2013, brach der Big-Wave-Surfer Garrett McNamara seinen eigenen Guinness-Buch-Weltrekord mit dem Ritt auf einer Welle von 100 Fuß. Nazaré, Portugal. Foto: Tó Mané.
Sind Surfen!
Sport, Lifestyle, Weltanschauung – Wellenreiten und wie es in die Welt kam
Renny Yater; Santa Barbara, Kalifornien, 1960. Die Bretter, die Yater entwarf, waren die besten f端r die Besten seiner Surfergeneration. Foto: John Severson.
Die PERFEKTE WELLE Unterwegs in einem endlosen Sommer – eine Surflegende Von Steve Barilotti
Indien, Anfang Dezember 1963. In dem feuchtheißen Gewimmel und dem currylastigen Gestank des Flughafens Bombay reihte sich Surfer Mike Hynson aus San Diego mit der gespielten Gleichgültigkeit eines erfahrenen Juwelenschmugglers in die Zollschlange. Natürlich war Hynson mit seinem blonden Haarschopf, seiner Jugend und seinem guten kalifornischen Aussehen schon in dem Moment für eine Leibesvisitation prädestiniert, als er bei der Zwischenlandung dem Flugzeug aus Südafrika entstiegen war. Sein drei Meter langes Surfboard, das Hynson selbst gebaut und mit einem rotweiß-blauen amerikanischen Motiv verziert hatte, war den indischen Zollbeamten ohne viel Federlesen sofort zugeschoben worden, zusammen mit der Filmausrüstung seiner Begleiter Bruce Brown und Robert August. Mit seiner blickdichten Ray Ban und seinem ausdruckslosen Gesichtsausdruck schob sich Hynson zum Schalter vor, während ihm der Angstschweiß von der Stirn perlte. Der Grund waren nicht die kleine Plastiktüte mit minderwertigem mexikanischen Pot oder die Rolle mit Amphetaminpillen, die in Hynsons Hose versteckt war. Der 21 Jahre alte Surfer – der sich unter anderem auf Weltreise begeben hatte, um sich seiner Einberufung zu entziehen – hatte bereits ohne Probleme vier afrikanische Länder durchreist. Aber Indien war anders. In Durban hatte ein südafrikanischer Surfer, der gerade nach Hause zurückgekehrt war, Hynson gewarnt, dass der indische Zoll ausländische Journalisten ins Visier genommen habe, vor allem Berufsfotografen, die im Verdacht standen, religiöse Stätten fotografieren zu wollen oder das Elend und die Armut im Lande, was die Nehru-Regierung im Ausland womöglich in ein schlechtes Licht gerückt hätte. Sämtliche Kameras wurden bei der Ausreise beschlagnahmt und nur nach intensivem Verhör und gegen Zahlung von Bestechungsgeld wieder freigegeben. In vielen
Fällen wurden die Filme vernichtet. Unter Hynsons verschwitztem Hawaiihemd hatte er sechs flache Metalldöschen auf seine strammen Surferbauchmuskeln geklebt. Jedes enthielt einen unentwickel-
Rechts: Postkarte, Mid-Pacific Carnival, 1914. — 135 —
ten 15 Meter langen Film mit Surfaufnahmen, die vor weniger als einer Woche an einem entlegenen südafrikanischen Strand namens Cape St. Francis am Indischen Ozean bei Durban gedreht worden waren.
Diese 16‑Millimeter-Filmbilder, die während eines kurzen, aber günstigen Zeitfensters von 90 Minuten entstanden waren, als Gezeiten, Dünung und Licht in optimaler Weise zusammentrafen, belegten den beliebten Spruch, dass auch Gott ein Surfer sein müsse. In das Zelluloid war ein makelloses Juwel von einer kopfhohen Welle gebrannt, die sich in exquisiter Weise vor einem blauen südafrikanischen Bilderbuchhimmel entrollte. Das war die mythische „perfekte Welle“, filmisch verewigt, die dafür sorgen sollte, dass sich über die nächsten fünfzig Jahre Tausende von Surfern auf die Suche nach diesem heiligen Gral begeben würden. Hynson, Brown und August waren mit einem Billigticket für eine Weltumrundung zügig durch Afrika gereist, um Browns bisher noch titellosen sechsten Surffilm zu drehen. Er sollte beweisen, dass man – hinreichend Zeit und Geld vorausgesetzt – den Jahreszeiten folgen und so einen endlosen Sommer des Surfens erleben konnte. Mit einem lächerlich kleinen Budget drehten Brown und seine beiden Surfer eine hektische Billigversion jenes Traums. Doch bislang war das Ergebnis eher enttäuschend gewesen … hauptsächlich kleine, zusammenhanglose Wellen, die mit jenen vergleichbar waren, die sie in Kalifornien hinter sich gelassen hatten. Aber die Landschaft war sensationell, die Einheimischen waren exotisch, und das wohlwollende Aufeinanderprallen der Kulturen, wenn die unbedarften Surfer aus der kalifornischen Mittelschicht die Dritte Welt bereisten, sorgte zwischendurch für einige Erheiterung. Es blieb ihnen weniger als eine Woche, die Küste des Indischen Ozeans nach Durban hoch zu reisen, bevor sie nach Australien flogen, als sich Brown entschied, auf gut
Glück dem Hinweis des Surfers John verrückt filmte und die Filmrollen wechWhitmore aus Kapstadt zu folgen, der von selte. Dann änderte das Wasser unmerkpotenziellen Weltklassewellen bei Cape St. lich die Fließrichtung, und die Brandung Francis erzählte, einem kleinen Fischerverschwand so schnell, wie sie gekommen dorf auf halber Strecke zwischen Kapstadt war. Gegen Mittag waren sie wieder unterund Durban. Nach drei anstrengenden wegs und drei Tage später auf dem Weg Tagen unbequemer Fahrt über kurvenreiüber Saudi-Arabien, Indien, Ceylon (heute che Schotterpisten auf einer erfolglosen Sri Lanka) und Singapur nach Perth. Aber Suche nach Brandung quartierten sie sich sie alle wussten, dass sie den Höhepunkt in ein paar Touund den ristenhütten im „Eine gottgesandte Traumwelle – HandlungsfaWindschatten den des Films in Form und Temperament etwa so, bei sich trudes Kaps ein, wo wie man sie in Malibu vielleicht ein- gen – und eine sie spät in der Nacht angekom- mal im Jahr erlebt, aber schneller, Vorahnung men waren. hohler und wundersam leer. Kurzum: von etwas Hynson war bei sehr viel GröSie erlebten eine Offenbarung.“ Tagesanbruch ßerem. bereits auf den Brown, der Beinen und entdeckte eine Welle, die sich nicht willens war, das Material der interrund 800 Meter entfernt an dem weißsan- nationalen Post anzuvertrauen, schlief mit digen Strand brach. Nachdem er Brown den Rollen in einem Bett. und August aus dem Bett gescheucht hatte Zurück zum Flughafen: Hynson ging auf und das Trio zu der fraglichen Stelle marden mürrischen Zollbeamten zu und setzte schiert war, fanden sie dort weniger eine die Tasche auf den Schalter, die er als Welle als einen brennenden Dornbusch Kabinengepäck mitgenommen hatte. Aus vor: eine gottgesandte Traumwelle – in dem Augenwinkel sah er, wie Brown und Form und Temperament etwa so, wie man Oben: Fremdenverkehrsbroschüre, 1922. Die markante Silhouette von Diamond Head wurde sie in Malibu vielleicht einmal im Jahr rasch zum Symbol für „Paradies“. erlebt, aber schneller, hohler und wunderUnten: Werbung, Dewey Weber Surfboards, sam leer. Kurzum: Sie erlebten eine 1967 (Ausschnitt). Mit der Zeit orientierte sich die Surfindustrie immer mehr am Vorbild groOffenbarung. ßer Werbeagenturen und setzte z. B. gezielt Hynson und August surften sich etwas Elemente der Pop-Art ein – in diesem Fall, um mehr als eine Stunde lang satt an tadellos für ein Customizing der Konfektionsware im Stil gepflegten Wellen, während Brown wie der Autoindustrie zu werben.
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Wende Wagner und Tom Carlin, Hawaii, 1957.
Regisseur Billy Wilder fiel Wagner ins Auge, als sie in der Nähe von Coronado (Kalifornien) schwamm, wo Wilder 1958 Außenaufnahmen für Some Like It Hot (Manche mögen’s heiß) drehte. Von ihrer exotischen Schönheit fasziniert, bot er Wagner Probeaufnahmen an, doch ihre Eltern verboten es ihr bis zum Abschluss der Highschool. Sie wurde danach zu einem international bekannten Model, spielte in Filmen mit und machte Unterwasserstunts. Foto: Bev Morgan, mit freundlicher Genehmigung von Surfing Heritage.
Outer Reef, Nordk端ste, Hawaii, 2008. Foto: Ed Freeman.
August an den Nachbarschaltern wegen der konfiszierten Filmkameras ausgequetscht wurden. Hynsons Handgepäck, vollgestopft mit Surfhosen, Wachs und Rasiercreme, wurde nur flüchtig geschüttelt, dann winkte man ihn zum Weiterflug durch. Hynson behielt die Nerven, atmete tief durch und schlenderte gemütlich zum Wartebereich für den Abflug. Im Vorbeigehen bemerkte er, dass man sein Surfbrett praktisch ignorierte, bis es von den Gepäckabfertigern aufgegriffen wurde. Während der nächsten beiden Monate absolvierte die Crew den restlichen Teil der Reise im verschärften Tempo, mit Aufenthalten in Perth, Melbourne, der Nordinsel von Neuseeland und Tahiti. Sie fanden nie wieder eine Welle, die mit der am Cape St. Francis vergleichbar war, doch der Abwechslungsreichtum der einzigartigen Schauplätze bildete einen hübschen Rahmen für diese eine perfekte Welle. Oben: Poster, 1966. Der Plakatentwurf des 22jährigen Grafikers und Surfers John Van Hamersveld für Bruce Browns Endless Summer wurde tausendfach kopiert, zweckentfremdet und parodiert und schließlich – gemeinsam mit dem Film – im Smithsonian musealisiert. Unten: David Nuuhiwa und John Gale; Laguna Canyon, Kalifornien, 1971. Nuuhiwa spielte – gemeinsam mit seinen Surfkollegen Mike Hynson, Herbie Fletcher, Les Potts und Barry Kanaiaupuni – in dem vom Brotherhood finanzierten Film Rainbow Bridge mit, in dem Jimi Hendrix kurz vor seinem Tod einen Gastauftritt hatte.
Nach der Rückkehr nach Kalifornien arbeitete Brown rasch und produzierte einen von ihm selbst kommentierten 16‑mm-Film, ein Mittelding aus einem Surffilm für eingefleischte Fans und einer Reisedokumentation. The Endless Summer („Der ewige Sommer“) wurde im Santa Monica Civic Auditorium im Sommer 1964 uraufgeführt und war bei den kalifornischen Surfern sofort ein Renner, der sieben Abende hintereinander ausverkauft war. Von diesem Erfolg ermutigt, packte Brown seine beiden Surfstars in ein Wohnmobil und führte den Film an drei Küsten und im ganzen Land vor, wobei August und Brown das Publikum anlockten, indem sie vor den Kinos Skateboard fuhren. Bis zum Sommer 1966 war die Begeisterung für den Film – inzwischen auf 35 Millimeter vergrößert und von einer großen Verleihfirma vertrieben – auf ein riesiges nichtsurfendes Massenpublikum ebenso übergesprungen wie auf Kritiker, die Brown als den „Fellini der Gischt“ priesen. Der Film spielte schätzungsweise 30 Millionen Dollar ein. Wenn man vom Hype einmal absieht, gibt es doch zahlreiche Verflechtungen zwischen The Endless Summer, der Surfkultur und der Popkultur generell. Der Film repräsentiert Surfen von seiner besten und ursprünglichsten Seite und gehört zu den Gründungslegenden des
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Sports. Die mythische Suche nach der perfekten Welle wurde zu einem Archetyp, der wiederum eine Massenkultur und eine globale Lifestyle-Industrie hervorbrachte, die heute Milliarden von Dollar umsetzt.
San Onofre, Kalifornien, 1963. Foto: LeRoy Grannis.
„Surfkultur und Nachkriegskultur sind untrennbar miteinander verbunden.“
Rechts: Werbeplakat, US-Surfmeisterschaft, 1971/72. Entwurf: Earl Newman. Unten: Surfer, 1970. Innerhalb von fünf Jahren hatte sich das öffentliche Erscheinungsbild des Surfsports – und die Einstellung dazu – radikal verändert. Gegenüber: Waimea Bay, Hawaii, 1966. Foto: LeRoy Grannis.
„In dieser hektischen, überlaufenen Welt findet der Surfer immer noch den perfekten Tag und die perfekte Welle, um mit seinen Gedanken und der Brandung allein zu sein.“ — John Severson
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Rahmen nicht enthalten
Im Waschgang
In der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts noch eine Subkultur, ist das Surfen heute ein Massensport mit internationalen Wettbewerben, Stars und spektakulären Events. Mit über 900 Fotos und Essays brandungserprobter Surf-Journalisten spürt unser voluminöser Bildband der Gischtspur nach, die das Wellenreiten durch nahezu jeden Bereich unserer Populärkultur gezogen hat, durch Musik, Mode, Kunst und Fotografie. Eine bildgewaltige Hommage an den Traum vom endlosen Sommer.
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Limitiert auf 125 von Jim Heimann signierte Exemplare in einer Schlagkassette. Mit dem Print Wild Angels, 2006 (oben), von John Severson, 40 x 60 cm (Papiergröße) € 750
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XL
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„Es gab noch nie ein Buch wie dieses, und es wird auch nie wieder etwas Vergleichbares geben.“ — Steve Barilotti
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