Kultur
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K U N S T R AU B
Madonna in der Dachkammer Unbehelligt von den Behörden konnte ein Antiquitätenhändler mitten in München geraubte Kunstwerke horten – im Wert von 70 Millionen Mark.
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er Jäger war eine Frau. Immer wieder hatte die zypriotische Honorarkonsulin in Den Haag, Tasoulla Hadjittofi, 38, Hinweise aus aller Welt erhalten. Selbst in der Unterwelt hatte sich herumgesprochen, daß sie verschwundenen Heiligen und Madonnen ihrer griechisch-orthodoxen Religionsgemeinschaft auf der Spur war. Am vorvergangenen Freitag, auch Interpol ermittelte inzwischen, war es endlich soweit.
Gewändern an die Gottesmutter wendet; ein Engel, ungefähr 13. Jahrhundert – allem, was da notdürftig mit Pappen umhüllt oder auf Bauschaumplatten lose fixiert war und zum Teil Wand an Wand mit einem griechischen Reisebüro lagerte, bescheinigt Johannes Georg Deckers, Professor für Kunstgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität, „eine ganz außergewöhnliche Qualität“. Allein der Apostel Thomas, ein byzantinisches Mosaik aus dem sech-
R. ZIMPEL
Werke umfassende Einweihungsschau amerikanischer und europäischer Klassiker: Kandinsky, Kirchner, de Kooning, Kounellis, Kiefer, Matisse, Merz, Picasso, Pollock, Chagall, Chillida, Clemente, Dubuffet, Warhol und Weiner. Eine Seitengalerie ist für Picassos großes Antikriegsgemälde „Guernica“ reserviert, ein baskisches Nationalheiligtum, das zwar nach Bilbao kommen sollte, aber von Konservatoren für nicht transportfähig erklärt wurde, was Krens sehr geärgert hat. Jetzt beherbergt diese Galerie die Formaldehyd-Skulpturen des alternden britischen Wilden Damien Hirst. Weder die Ausstellung noch die ersten Ankäufe des Museums lassen großes Interesse an einheimischer baskischer Kultur erkennen. Von New York aus wirkt das einleuchtend: Auch das Guggenheim Bilbao ist eben ein Guggenheim, der Sammlungsidee des Mutterhauses verpflichtet – und der Wirtschaftlichkeit: Bei jeder Ausstellung, die gleich für eine ganze Guggenheim-Tournee konzipiert wird, verteilen sich die anfallenden Kosten für Transporte, Versicherungen und Kataloge. Jede reine Ausstellungsdependance – etwa Bilbao oder der alte Peggy-Guggenheim-Palazzo in Venedig – ist obendrein billig, weil mit minimaler Manpower ausgestattet. Krens, der fast jede Woche nach Europa oder Asien jettet, will nun das Wunder von Bilbao wiederholen. Nur: Wie viele verzweifelte, statusgeile Provinz-Kulturpolitiker gibt es, die für das Renommée des Guggenheim-Namens derartige Dollarbeträge lockermachen werden? Etliche hochfliegende Pläne sind geplatzt: Erst sollte in Salzburg ein phantastischer Bau des Architekten Hans Hollein in den Mönchsberg gehauen werden, bis die Stadt-Altvorderen einen Rückzieher machten; dann stand Krens in Verhandlungen mit Wien, bis auch die Hauptstadt ausstieg; zwischendurch hieß es, das Guggenheim sei ein Anwärter auf das Management des Martin-GropiusBaus in Berlin. Pustekuchen. Statt dessen wird jetzt Anfang November – auf Initiative der Deutschen Bank – eine sehr viel bescheidenere Ausstellungshalle mit dem vermurksten Namen „Deutsche Guggenheim Berlin“ im Hauptquartier des Geldinstituts eingeweiht, einem Zwanziger-Jahre-Bau Unter den Linden. Hier sollen unter New Yorker Ägide kleinere Kabinettausstellungen stattfinden. Die Wahrheit aber ist: Die mit Kunst vollgestopften Weltstädte des Westens brauchen keine Guggenheim-Filialen, schon gar nicht zu den Kunst-statt-Cash-Bedingungen, die Krens anzubieten hat. Deswegen verhandelt er unerbittlich andernorts, im Fernen Osten etwa. Das Interesse ist ausgesprochen groß. McGugg wird das Welt-Museum des 21. Jahrhunderts. Das wichtigste, lärmendste, bekannteste. Der Global Player Krens wird gewinnen. „Wollen wir wetten?“ fragt er. Und lächelt sein Haifischlächeln. ™
Geraubte Kunstschätze: „Jeder, der genug bietet, kann alles kaufen“
Gegen 18 Uhr stürmte ein gutes Dut- sten Jahrhundert, soll rund 15 Millionen zend Zivilpolizisten des bayerischen Lan- Mark wert sein. deskriminalamts ein unauffälliges GeDie schönen Madonnen und der Aposchäftshaus hinter dem Münchner Haupt- stel stammen aus dem Kloster Antifonibahnhof. Im fünften Stock verhafteten die tis/Kalogrea und der Panagia-KanakariaBeamten vom Dezernat 62 den türkischen Kirche im nordzyprischen Lythrankomi. Bewohner Aydin Dikmen, 60. Sie wurden wie Dutzende christlicher In der Dachkammer zu seiner Miet- Gotteshäuser, Museen und Landsitze wohnung und im Keller fanden die Kunst- griechischer Zyprioten auch geplünfahnder, wonach Wissenschaftler, Regie- dert und zerstört, nachdem türkische rungsbeauftragte, private Sammler und in- Militärs 1974 in den Norden der Mitternationale Händler fast 20 telmeerinsel einmarschiert Jahre lang gesucht hatten: waren. Fresken, Madonnen und HeiAm 7. November 1979 erAls die Türken ligenbilder im Schätzwert von fuhr Athanasios Papageorghiu, den Norden 70 Millionen Mark. Zwei IkoDirektor der für Antiquitäten Zyperns besetz- verantwortlichen griechischen nen lagen in einer zusätzlich ten, wurden angemieteten Wohnung. Verwaltung in Nikosia, von eiEin Bildnis der Maria mit nem Touristen, daß in der 1400 Dutzende Jesuskind auf dem Arm aus Jahre alten Kirche Panagia KaKirchen dem 14. oder 15. Jahrhundert; nakaria Ziegen umherliefen, geplündert eine Stifterdarstellung, auf der die Mosaike von den Wänden sich eine Familie in westlichen gebrochen worden seien. d e r
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Die Feindschaft zwischen nach München kamen, ist Griechen und Türken auf noch nicht geklärt – Aydin der geteilten Insel verhinDikmen sitzt in der Unterderte jeden Kontakt miteinsuchungshaftanstalt Stadelander, was denn auch die heim und schweigt. Suche nach den entführten Der kleine, unauffällige Schätzen erheblich erMann, der seit 1979 mit Frau schwerte. und Tochter in München Theophilos Theophilou, wohnt, war 1992 wegen seiZyperns Botschafter in nes US-Geschäfts ins Visier Bonn, ist sicher, daß „die soder Fahnder geraten – allergenannte türkische Adminidings in das der Finanzstration die Raubzüge zubeamten. mindest geduldet, wenn Weil er seinen Anteil nicht sogar vom Verkauf (350 000 Dollar) aus dem profitiert hat“. Die Türken Geschäft mit der Amerikadagegen behaupten, sehr nerin ebensowenig versteuwohl nach den verschwunert hatte wie andere undenen Kunstschätzen gedurchsichtige Antiquitätenfahndet zu haben – wenn Kirche Panagia Kanakaria: Mosaike von den Wänden gebrochen verkäufe, wurde Dikmen auch ohne Erfolg. wegen Steuerhinterziehung Nur im Drogen- und Waffenhandel wird Bereits 1983 hatten ein Londoner Kunst- verhaftet. Nach einem Jahr Untersumehr verdient als in der internationalen händler griechischer Herkunft und der Di- chungshaft wurde er 1994 zu zwei Jahren grau-schwarzen Kunstmarktszene. Am rektor der renommierten Menil-Sammlung Gefängnis mit Bewährung verurteilt. Milliardengeschäft mit illegal beschaff- in Houston (US-Staat Texas) einige der geDie Strafverfolger konnten ihm damals ten Antiquitäten beteiligen sich kleine raubten Kanakaria-Mosaike bei Dikmen nichts mehr anhaben: Die Tat von 1989 war Hehler bis hin zu angesehenen Auktions- in München entdeckt. Die schönsten verjährt. Auf die Idee, seinen Speicher nach häusern. Stücke kauften die Experten ihm ab, stell- weiteren vermißten Kanakaria-Mosaiken „Derzeit wird der Nahe Osten ausver- ten sie eine Weile in Texas aus und gaben zu durchsuchen, kam bei der Polizei ofkauft“, sagt Deckers. Solange niemand sie später den Zyprioten zurück. Über die fenbar niemand. Geld bereitstelle, um auch die Kunstwerke Herkunft schwiegen sich die Herren aus. Erst die Honorarkonsulin Hadjittofi setzjenseits der Touristenzentren zu katalogi- Die Polizei wurde nicht eingeschaltet. te sich hartnäckig auf die Fährte der gesieren und durch Veröffentlichung etwa im 1988 kaufte eine Galeristin aus dem US- raubten Heiligen ihrer Kirche. Sie war 15 Internet bekanntzumachen – und damit zu Bundesstaat Indiana für über eine Million Jahre alt, als ihre Familie von den Türken schützen –, könne „jeder, der genug Geld Dollar über zwielichtige Mittelsmänner ein aus der Heimatstadt Famagusta vertrieben bietet, alles kaufen“. Mosaik des Erzengels Michael aus der Ka- wurde. Die Fresken und Ikonen kennt sie Unverständlich ist, warum die einzigarti- nakaria-Kirche und einige andere Stücke. nur von Fotos. „Aber ich weiß“, sagt die gen Artefakte, die von der Unesco teilwei- Verkäufer war Aydin Dikmen. Computerspezialistin, „was dieses kultuse dem Weltkulturerbe zugerechnet werDer Deal flog auf, als die unbedarfte relle Erbe für mein Volk bedeutet.“ den, nicht schon lange vorher von den Bilderhändlerin ihr Schnäppchen für 20 Der Apostel Thomas und die anderen Behörden sichergestellt werden konnten. In Millionen Dollar an das Getty-Museum im Heiligen lagern vorerst im Keller des Laneinschlägigen Kreisen war der jetzt festge- kalifornischen Malibu weiterverkaufen deskriminalamts. Demnächst sollen sie aus nommene Dikmen als Dealer von Werken wollte. Die zypriotische Regierung forder- der Diaspora in ein neues Exil gebracht zweifelhafter Herkunft seit den achtziger te ihr Eigentum zurück. Die Galeristin werden – ein griechisch-orthodoxes GotJahren bekannt. In ihrem Buch „Quedlin- weigerte sich, wurde aber vom Bundes- teshaus im Süden Zyperns. burg–Texas und zurück“ beschrieben SPIE- distriktgericht in Indianapolis 1989 zur Dem Türken Dikmen soll nach dem WilGEL-Redakteur Siegfried Kogelfranz und Rückgabe verurteilt. Dikmen aber blieb len des zypriotischen Bezirksgerichts der der Beutekunst-Spezialist Willi A. Korte zunächst unbehelligt. Prozeß in Nikosia gemacht werden. Die schon 1994 detailliert die Verwicklungen des Wann genau im Laufe dieses beispiello- Griechen haben bei den deutschen BehörTürken in den illegalen Kunsthandel. ™ sen Kunstkrimis die spätantiken Schätze den dessen Auslieferung beantragt.