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Unser Burgtheater

Die Reise zurück in die Vergangenheit beginnt im Hier und Jetzt, in der heutigen Spielstätte des Bautzener Puppentheaterensembles: dem Burgtheater auf der Ortenburg. Es scheint uns selbstverständlich, mit sechs Puppenspieler*innen und einem Regie führenden Spartenleiter, einer Puppengestalterin und einer Dramaturgin sowie zwei Technikern, einem Technischen Leiter und einer Disponentin an einem Ort proben, arbeiten und spielen zu können, der Publikum und Künstler*innen höchsten (Puppen)Theatergenuss ermöglicht. Das Puppentheaterensemble sitzt geradezu im gemachten Nest. Es verfügt über zwei bestens ausgestattete Theatersäle – einen kleinen (für ca. 70 Zuschauer*innen) und einen großen Saal (für bis zu 150 Zuschauer*innen) – sowie einen eigenen Probenraum und zahlreiche Lagerräume, in denen Puppen aus 60 Theaterjahren sowie die Ausstattungen der derzeitigen Repertoire-Stücke aufbewahrt werden können.

Der Blick zurück zeigt: Das war nicht immer so und ist nicht selbstverständlich, sondern das Ergebnis jahrzehntelanger Entwicklung, größter Anstrengung und Durchhaltevermögens und der Leistung von Mitarbeiter*innen, die lange vor uns mit Leidenschaft für ihr Puppentheater wirkten. Am 12. September 2003 wurde diese dritte Spielstätte nach dreijähriger Bauzeit feierlich eröffnet. Einen Tag später feierte die erste Inszenierung, das Stück „Der Drache“ von Jewgeni Schwarz in der Regie von Spartenleiter Peter Stahl, im Burgtheater Premiere. Von nun an wurden alle Neuinszenierungen für Erwachsene in das Abonnement des Deutsch-Sorbischen Volkstheaters integriert. Drei Jahre später gingen Stahl und die langjährige Dramaturgin Hildburg Zschiedrich, die

Burgtheater – Dźiwadło na hrodźe

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seit 1973 dem Puppentheaterensemble angehörte und somit die bewegende Geschichte des Puppentheaters miterlebt hatte, in den Ruhestand. Ihm folgte für kurze Zeit Rike Reiniger, die 2007 mit „Frau Sonne und Herr Mond machen Wetter“ Bildertheater für die Jüngsten ab 2 Jahre als „Theater von Anfang an“ initiierte. Ab 2008 war dann Therese Thomaschke Leiterin des Puppentheaters. Sie stellte ein umfassendes Repertoire mit vielfältigen Spielformen für jede Altersgruppe zusammen. Manche Kinderproduktionen erhielten Einladungen zum Osterzgebirgischen Puppentheaterfest in Bärenfels. Sie rief das Format des „Spieltriebs“ ins Leben, das die Spieler*innen darin unterstützt, eigene Ideen in einer Theaterproduktion umzusetzen, sowie die bis heute erfolgreiche Reihe „Puppen, Wein und Kerzenschein“ für Erwachsene im Burgtheater. Thomaschke konnte nach Holger Vandrich die renommierten Puppenbauer Christian Werdin (2009–2012) und Udo Schneeweiß (2013–2018) für das Haus gewinnen. Mit ihren Ausstattungen entstanden sehr erfolgreiche und bildgewaltige Inszenierungen, wie etwa „Faust.“ oder die Marionettenoper „Philemon und Baucis“ – eine opulente Koproduktion mit den Landesbühnen Sachsen. In Thomaschkes Ära fiel außerdem das 50-jährige Jubiläum des Puppentheaters, das mit einer eindrucksvollen Festwoche gefeiert wurde: Die fünf sächsischen Ensemble-Puppentheater aus Leipzig, Dresden, Chemnitz, Zwickau und Bautzen zeigten ausgewählte Inszenierungen und präsentierten sich mit rund 400 Exponaten erstmals gemeinsam in einer Puppen-Ausstellung unter dem Titel „Lebendige Puppen“ im Bautzener Stadtmuseum. 2015 setzte Thomaschke auf dem Höhepunkt der sogenannten Flüchtlingskrise mit ihrer Inszenierung „Wintermärchen“ ein Plädoyer für Mitgefühl und Menschlichkeit. In dieser Zeit lud das Puppentheater mehrmals geflüchtete Familien zu einem Probenbesuch mit kreativem Rahmenprogramm ins Burgtheater. Die Spielzeit 2016/17 stellte Thomaschke unter das Thema „Märchen der Welt“ und nahm in sechs unterschiedlichen Inszenierungen die kleinen und großen Zuschauer*innen mit auf Reisen nach Japan, Norwegen, Tansania und Russland. In ihrer letzten Spielzeit als Leiterin wurde die Initiative KuBi-Mobil gegründet, dank der nun mehr Schul- und Kindergartengruppen aus dem Umland zu Theaterbesuchen kommen können.

Kleiner Saal, eingerichtet für die Reihe „Puppen, Wein und Kerzenschein“

➝ Die Figuren der „Allegorie der Tragödie“ von Ernst Rietschel, am 12.09.2003 um 22.00 Uhr feierlich im Burghof enthüllt

2018 ging Therese Thomaschke in Rente und übergab Stephan Siegfried, von 2011 bis 2014 selbst Puppenspieler in Bautzen, die Leitung. Seine eindrucksvolle Inszenierung „Der Besuch der alten Dame“ mit der kongenialen Ausstattung von Marita Bachmaier (2017–2019 feste Puppengestalterin am Haus) wurde 2019 zum Internationalen Puppentheaterfestival in Zwickau eingeladen. Siegfried führt das Konzept seiner Vorgängerin fort, ein vielfältiges Puppentheater für alle Zielgruppen anzubieten. Während sich etwa die Spieltrieb-Produktion „T.Räume“ an die Allerkleinsten richtet, lockt „50 Shades of Red“ Freunde des Improtheaters und der Comedy ins Haus. Mit dem interaktiven Stück „Die Reise zum Mittelpunkt des Raumes – das Bauhaus lebt!“ wurde nach „Orest aus Stein“ aus dem Jahre 2009 erstmals wieder eine Produktion für Kinder ab 10 Jahren inszeniert. Die Probenarbeit eröffnete den besetzten Puppenspieler*innen einen großen Gestaltungsspielraum, es wurden eine besondere Zuschauer-Darsteller-Situation erprobt und ungewöhnliche Figuren entwickelt. Auch das gemeinsam mit den Spielerinnen entwickelte Stück „Arche Nora“ brachte fantasievolle Objekt-Kreaturen hervor. So folgte das Ensemble in der Spielzeit 2019/20 in flachhierarchischen Arbeitsformen in besonderem Maße der eigenen Experimentier- und Entdeckerlust, die im besten Falle auf die kleinen und jugendlichen Zuschauer überspringt. Zudem war das Jahr 2020 stark von der Corona-Pandemie geprägt, sodass „Arche Nora“ und die Neuinszenierung für Erwachsene „Hallo Nachbar“ die ersten Corona-konformen Premieren am Haus waren. Bemerkenswert bei „Hallo Nachbar“ ist aber vielmehr, dass es als Stückauftrag von der renommierten Dramatikerin Ingeborg von Zadow explizit für das Bautzener Puppentheater geschrieben wurde und in enger Zusammenarbeit mit der Regie entstand.

So mag es weitergehen: in der Geschichte und Tradition verwurzelt Neuland betreten, mit Leidenschaft an Spiel und gemeinsamer Kreativität.

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v. l.: Krokodil, Kasper („Kasper und das Wahrheitstuch“), Fliege 2, Fliege, Fuchs („Nur ein Tag“), Henriette, König Matthias, Constanze, Maximilian („Die Salzprinzessin“), Wildschwein („Nur ein Tag“), Mirabelle („Die kleine Meerjungfrau“), Mammoud, Elfriede („Godow & Somorrha“)

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