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Christian Stückl Spielen

In der derzeitigen Coronakrise bin ich mit vielen Politikern d’accord. Wir mussten die Theater schließen. Und ich finde es gut, dass viele Leute da mitgehen und dieses Tücherl vor der Nase tragen, auch wenn es manchmal furchtbar ist. Auch in meinen demokratischen Rechten fühle ich mich nicht eingeschränkt. Ich kann weiter nachdenken, mich öffentlich äußern. Letztlich aber habe auch ich es nicht mehr ausgehalten. Man sitzt am Schreib tisch und fragt sich: Wie geht es weiter? Wie sieht die neue Normalität aus, die Vizekanzler Olaf Scholz ins Leben gerufen hat? Wie für das Theater? Wenn ich vorgestern Rheinland-Pfalz’ Ministerpräsidentin Malu Dreyer sagen höre: Ja, für das Theater werden wir auch noch eine Lösung finden – im Herbst, war klar: Wir müssen warten. Die Kultur wird totgeschwie gen. Und das geht nicht! Ulrich Matthes hat vor zwei Tagen gesagt, er laufe auf seelischem Not aggregat. Genauso geht es mir. Und wenn unsere Wartezeit sogar sieben Monate dauern soll, dann brennt dieses Notaggre gat bei mir durch. Also haben wir uns gesagt: Wir müssen eine Idee entwickeln. Das Internet haben schon viele gefunden, und ich finde das auch total spannend. Ich aber will nicht ins Internet, ich bin zu sehr analog. Ich will spielen. Ich will da sein. Wir wollen zurück auf die Bühne! So schnell wie möglich. Das sind wir unse rem Publikum und auch uns schuldig. Daher haben wir ein Konzept entwickelt. Wir gehen jetzt in die Sommerpause, um am 15. Juli mit den Proben für die nächste Spielzeit zu beginnen. Wir wollen fünf Produktionen rausbrin gen, die neu überlegt werden müssen, auf Abstand inszeniert, um coronatauglich zu sein. Am 24. Juli wollen wir dann in die neue Spielzeit starten. Natürlich gibt es dafür ein Hygienekonzept. Wir werden aus dem Zuschauerraum, in den 600 Leute passen, jede zweite Reihe ausbauen. Auf die Bühne bauen wir ein zweites Podest. Gespielt wird zwischen den beiden Tribünen. Am Ende würden wir etwa hundert Leute ins Theater bringen. Wir haben gesagt: Lieber spielen wir vor hundert Leuten als gar nicht. Die Produktionen sollen nur eine oder eineinhalb Stunden lang sein, so können wir eventuell zweimal am Abend spielen. Wenn es in der Kirche möglich ist, mit Abstand zu spielen, dann wollen auch wir mit Abstand spielen dürfen. Der Fußball soll spielen. Die Gastronomie soll spielen. Und wir wollen auch spielen. Wir wer den Pläne entwickeln, wie die Leute aufs Klo gehen, wie sie ins Haus rein- und wieder rausgehen. Wir legen Namenslisten an, um Infektionsketten rückverfolgen zu können. Die Bühnenbilder werden zunächst reduziert sein, um auch in den Werkstätten in kleinen Teams und mit Abstand arbeiten zu können. Wie aber inszeniert man eine coronataugliche Liebesszene? Ich weiß es selbst nicht. Ich habe mal in Indien gearbeitet. Da ist es absolut nicht möglich, dass man sich auf der Bühne küsst. Stattdes sen erklingt ein hackbrettähnliches Instrument, das heißt dann: Kuss! Ob das bei uns funktioniert? Vielleicht müssen wir auch an die Wand beamen: Jetzt käme Kuss. Das ist eine Herausforderung. Aber die Herausforderung anzunehmen, ist besser als gar nichts zu tun. Die Bamberger Symphoniker haben schon Blasproben ge macht, um zu schauen, wie weit da der Virus hinausfliegt. Wir werden bei besonders lauten Szenen vielleicht mit Mikroport arbeiten. Neben den fünf Inszenierungen, die coronatauglich sind, die womöglich auch die Spuckrichtung eines Schauspielers be achten, wollen wir auch in den Garten gehen, da lässt sich für fünfzig Zuschauer etwas machen. Für die Vormittage wollen wir Kinderprogramme entwickeln, abends soll es musikalische Dämmerschoppen geben, denn es gibt derzeit so viele Musiker ohne Arbeit. Und ich fordere jetzt schon alle Musiker auf: Wer denkt, dass er corona tauglich ist, der soll sich melden. Was mir wirklich wichtig ist: Wir, die wir an den Stadt- und Staats theatern in einer recht sicheren Position sitzen, dürfen uns nicht dazu verleiten lassen, einfach zu warten. Natür lich hat auch der Oberbürgermeister gesagt: Schick so viele wie möglich in Kurzarbeit. Aber ich hab’ gesagt: Ich will keine Kurzarbeit! Ich will spielen! Dieses auf Sicht fahren, ich kann’s nicht mehr hören, denn ich weiß schon gar nicht mehr, wo ich hin schauen soll. Wir müssen die neue Normalität selbst schaffen. Daher danke ich in erster Linie allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Haus, die diesen Weg mitgehen. Es ist nicht selbst verständlich, auf einen Teil des Sommerurlaubs zu verzichten. Es ist auch nicht ganz leicht, den Rhythmus, den man über Jahre gewohnt war, umzuwälzen, Veränderung zuzulassen. Also bitte, Staatsregierung, bitte, Kunstminister! Die Stadt steht schon hinter uns, unser Kulturreferent Anton Biebl ist hier. Lasst uns gemeinsam Ideen entwickeln, damit wir wieder auf die Bühne können. Vielleicht haben wir nicht die Lobby des Fußballs oder der Kirche, aber wir sind da, und wir müssen uns melden. Ich will nicht totgeschwiegen werden. Wir lassen uns nicht auf Trockeneis legen. Ich möchte selber dampfen. Vielleicht werden auch fünf coronataugliche Inszenierungen furchtbar fad, wir sind darin ja auch noch nicht geschult, aber wir werden es machen! Wir freuen und sehnen uns nach euch. Nach eurem Applaus und nach euren Buhs. Danke! // Bei diesem Text handelt es sich um eine redaktionell bearbeitete und gekürzte Rede, die der Intendant des Münchner Volkstheaters Christian Stückl bei einer Pressekonferenz am 6. Mai hielt.

Spielen! Wir müssen die neue Normalität selbst schaffen – ein Aufruf von Christian Stückl

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