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Bioenergiedorf und Dichterstätte

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30. Kanonenfest

30. Kanonenfest

Fährt man von Neulobeda/Ost kommend in Richtung Schöngleina, durchquert man Schlöben, ein schmuckes Dorf, eingebettet in die sanfte Landschaft am Fuße des Höhenzuges Wöllmisse. Es gibt vieles, worauf die Schlöbener und die Bewohner der Ortsteile Gröben, Rabis, Mennewitz, Trockhausen und Zöttnitz stolz sein können, gepflegte Ortskerne und Anwesen, liebevoll restaurierte Kirchen mit engagierter Kirchgemeinde, ein vielseitig genutztes Familienzentrum, Kita und Grundschule, eine aktive Vereinslandschaft mit Feuerwehrverein, Maibaumgesellschaft, Sportverein, Heimatverein „realia“ in Gröben und mit den rührigen Mitgliedern der „Geschichtskonferenz Schlöben e.V.“, die sich schon viele Jahre um die Aufarbeitung der Geschichte ihrer Orte bemühen. Einer dieser erfahrenen Chronisten ist Lorenz Hempel, mit dem ich mich getroffen habe und der mir viel Wissenswertes und Interessantes über seinen Heimatort erzählte. So besaß die Familie eines der bedeutendsten Dichter der deutschen Romantik, Georg Friedrich Philipp von Hardenberg, der sich Novalis (der „ Neuland-Erschließende“ oder „de novali“) nannte, in Schlöben ein Rittergut (von1727–1940), wo sich die Familienmitglieder regelmäßig aufhielten und auch Novalis Teile seiner Kindheit und Jugend verbrachte. Später als Student begegnete Novalis Friedrich Schiller, der ihn tief beeindruckte und er fand auch bald Kontakte zu dem Jenaer Frühromantikerkreis um die Brüder Schlegel, Friedrich Schelling und Ludwig Tieck, talentierte junge Dichter, Schriftsteller und Philosophen mit fortschrittlichen Ansichten zu Politik, Philosophie und Poesie. Novalis korrespondierte regelmäßig mit ihnen und besuchte sie – zu Fuß oder zu Pferde – in Jena, wenn er in Schlöben weilte. Das heutige Schlöben versteht sich als besonderer literarischer Ort. Ideenreich pflegt man die Erinnerung an den berühmten Dichter, der sich, umfassend gebildet, auch mit Naturwissenschaften, Technik und Bergbau beschäftigte. Zwar wurde das ehemalige Schloß abgerissen und die Nebengebäude anderen Zwecken zugeführt, aber die Grundschule im Ort trägt stolz den Namen „Novalis“. In der Kirche, deren Bau vom Onkel des Novalis 1734 in Auftrag gegeben wurde, steht eine Orgel des bekannten Lindiger

Orgelbaumeisters Justinus Ehrenfried Gerhard, auch „Thüringer Silbermann“ genannt. Sie wird heute als „Novalis-Orgel“ bezeichnet, da überliefert ist, dass der junge Dichter bei seinen Aufenthalten des Öfteren auf diesem Instrument musizierte. Auf dem Schlöbener Kirchhof findet man Grabsteine der von Hardenbergs, Novalis selbst ist in Weißenfels begraben. Um die Verbindung zwischen dem Jenaer Romantikerhaus, der ehemaligen Wohn-und Wirkungsstätte der Frühromantiker und Schlöben zu würdigen, entwickelte man gemeinsam einen „Novalis-Wanderweg“, einen ca. 15 km langen, landschaftlich reizvollen Rundweg vom Romantikerhaus nach Drackendorf, über die Wöllmisse, das Vorwerk Burgrabis (Luftschiff) bis nach Schlöben und eine Alternativroute für den Rückweg. Das Wegzeichen ist eine stilisierte „blaue Blume“, das berühmte Symbol der Romantik, sie steht für Sehnsucht, Ferne und Liebe sowie für das damalige metaphysische Streben nach dem Unendlichen. Auf Initiative ansässiger Künstler und als Ergebnis von Bildhauersymposien, die zwischen 2013 und 2015 stattfanden, wurden siebzehn prächtige Steinskulpturen geschaffen, die nun den „Novalis-Skulpturen-Wanderweg“ bis nach Schlöben hinein säumen und dem Wanderer viel Raum für Interpretationen lassen. 2022 wird vielerorts der 250. Geburtstag des viel zu früh verstorbenen Dichters begangen. In Schlöben wird man dieses Jubiläum mit einem Lesekonzert am 30. September (Beginn: 19:30) in der Schlöbener Kirche ehren. Neben ausgewählten Musikstücken auf der Novalis-Orgel werden Texte von und über Novalis dargeboten. Dass die Schlöbener nicht nur ihre Geschichte würdigen, sondern auch verantwortungsbewußt ihre Zukunft gestalten, darauf weist die Bezeichnung „Bioenergiedorf“ hin. Dahinter verbirgt sich ein langer Weg, den die Gemeinde unter Federführung ihres langjährigen Bürgermeisters Hans-Peter Perschke, gemeinsam mit Matthias Klippel, Vorstand der Geschäftsleitung des ansässigen Agrarunternehmens „Wöllmisse“ Schlöben e.G. und mit weiteren Verbündeten gegangen ist. Schon 2006 fasste man den Beschluss, eine autarke, nachhaltige, umweltschonende Energieversorgung für den Ort aufzubauen. Viele Aktivitäten waren notwendig, um in enger fachlicher Zusammenarbeit mit der Genossenschaft schlüssige Konzepte zu erarbeiten und Fördermittel zu erlangen. Ganz entscheidend war die Überzeugungsarbeit, die man in vielen Gesprächen mit den – anfangs skeptischen – Bürgern vor Ort zu leisten hatte. 2009 ist der Erfolg da, die Gemeinde wird deutschlandweit Wettbewerbssieger und heißt nun, gemeinsam mit ihren Mitstreitern „Bioenergieregion Jena-Saale-Holzland“. Noch im gleichen Jahr erfolgt durch fünf Gründer die Errichtung der „Bioenergiedorf Schlöben eG“. Und als Krönung konnte die Gemeinde 2012 den 1. Platz des „1. Thüringer Zukunftspreises“ erringen. Seit etlichen Jahren erzeugt man in Schlöben nun eigenen Strom und eigene Wärme durch die Nutzung von Bioenergie. Wie richtig und wichtig Nachhaltigkeit und die Versorgungssicherheit vor Ort sind, verdeutlichen uns die aktuellen Ereignisse um die deutschlandweite Gas- und Stromversorgung nur zu genau. Schlöben hat seinen Weg bereits gefunden. Dörthe Rieboldt Ansprechpartner: Lorenz Hempel, Schlöben, Geschichtskonferenz Schlöben e.V. Tel. 036428/13844, Fotos: Lorenz Hempel, perspektivische Anpassung Detlev Sommer

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