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«ALS HÄTTEN WIR UNS INEINANDER VERLIEBT»
Yutaka Sado blickt auf zehn Jahre mit dem Tonkünstler-Orchester zurück.
Im Jahr 2015 wurde ich zum Chefdirigenten ernannt – aber wie doch die Zeit verfliegt: Schon ist es so weit, dass ich, nunmehr im zehnten Jahr, meine letzte Konzertsaison mit dem Orchester bestreite.
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1987 kam ich auf Drängen meines Mentors Leonard Bernstein zum ersten Mal nach Wien. Ich besuchte ungezählte Proben, Aufführungen und seine Aufnahme-Sitzungen mit den Wiener Philharmonikern. Außerdem kaufte ich mir Stehplatz-Karten für den Musikverein und die Staatsoper und erlebte dort drei Jahre lang jeden Abend die größten Dirigenten der Welt. Dann vergingen noch 25 Jahre bis zu meiner Ernennung zum Chefdirigenten des Tonkünstler-Orchesters.
Ob Sie sich die Freude vorstellen können, die es für mich bedeutete, am Dirigentenpult eines jener Orchester zu stehen, zu denen ich einst aufblickte? Immer noch laufen mir Schauer über den Rücken angesichts der Ehre, dass mir dieses kostbare Jahrzehnt in der mehr als 100-jährigen Geschichte des Orchesters anvertraut wurde.
Das Tonkünstler-Orchester hat an seinen drei großen Spielstätten – in St. Pölten, Grafenegg und im Wiener Musikverein – ein begeistertes Publikum, das uns bei jedem Abonnementkonzert auf seine Weise willkommen geheißen hat, und ich bin sehr dankbar dafür, dass wir in den vergangenen zehn Jahren diese Veranstaltungsreihen gemeinsam haben wachsen und gedeihen sehen. Bei den Fest- und Galakonzerten in Grafenegg war in der wunderschönen Naturkulis se das Musikerlebnis im Einklang mit dem
Publikum ungeahnt intensiv. Nie werde ich den Besuch des niederösterreichischen Landesrats Dr. Martin Eichtinger und der Freunde der Kultur in St. Pölten bei unserem Gastspiel in Hamburg vergessen. Und die vielen denkwürdigen CD-Aufnahmen mit dem Tonkünstler-Orchester auf der Spitzenbühne des Musikvereins sind ein wertvoller Teil meiner Dirigentenlaufbahn geworden.
Bei den Plugged-In-Konzerten hatte ich Gelegen heit, den Stolz Japans, Musik mit dem Jazzpianisten Yo¯suke Yamashita, und mit dem Sirba Octet zu Gehör zu bringen, für dessen Kombination aus Klezmer und Gypsy Jazz ich mich schon seit vielen Jahren begeistere. Gleichzeitig habe ich durch diese Reihe neue, mir unbekannte musikalische Welten entdeckt und kennengelernt. Stolz bin ich auch darauf, Ihnen die jungen japanischen Musiker Nobuyuki Tsujii und Kyohei Sorita vorgestellt zu haben, mit denen ich auch befreundet bin.
Meine schönsten Erinnerungen sind mit unseren Japan-Tourneen in den Jahren 2016 und 2018 verbunden. Für mich als Japaner erscheint es wie ein Wunder, dass ich mit meinem Orchester aus Österreich eine triumphale Rückkehr in die Heimat erleben und Tag für Tag Musik von Gustav Mahler, Johannes Brahms, Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethoven in vollen Häusern aufführen konnte. Eine Tournee mit sage und schreibe 14 Auftritten, das hat es so noch nicht gegeben, obwohl jedes Jahr viele renommierte Orchester aus der ganzen Welt Japan besuchen. Das war etwas Einmaliges! Besonders gern erinnere ich mich an die ausgelassene Feier am Ende unserer Japan-Tournee 2018, zusammen mit sämtlichem Personal.
In die vergangenen zehn Jahre fiel auch die Corona-Zeit, mit überaus schmerzhaften Erfahrungen für die Menschen auf der ganzen Welt. A uc h wir mussten viele Konzerte absagen, so dass ich nicht behaupten kann, nur glückliche Erinnerungen zu haben. Ich bin jedoch stolz darauf, sagen zu können, dass vom Moment der ersten Begegnung mit dem Tonkünstler-Orchester an der Funke übersprang, als hätten wir uns ineinander verliebt. So haben wir uns seither sehr gut kennengelernt und einen eigenen Klang entwickelt, den nur wir hervorbringen können, einen einzigartigen Sinn für Phrasierung und Ausrichtung. Das Orchester hat einen sehr warmen Klang, voll, aber nie aufdringlich. Meiner Meinung nach ist dies das Ergebnis des guten Einverständnisses zwischen allen Orchestermitgliedern. Auf den CDs, die wir aufnahmen, kommt das besonders gut bei Mahlers dritter und Anton Bruckners achter Symphonie zum Ausdruck.
Mein Vertrag als Chefdirigent endet im Jahr 2025, aber ich hoffe aufrichtig, dass unsere Freundschaft und der warme Klang noch viele Jahre andauern werden.
Yutaka Sado ist einer der wichtigsten und bekanntesten japanischen Dirigenten unserer Zeit. Seit der Saison 15–16 ist er Chefdirigent des Tonkünstler-Orchesters. Im Juni 2025 endet seine Amtszeit. Dem Orchester bleibt er auch in Zukunft freundschaftlich verbunden; die ersten Gastdirigate sind bereits fixiert.
Übersetzung aus dem Japanischen: Irmela Hijiya-Kirschnereit
«TIEFER EINTAUCHEN IN DIE MUSIK»
Maria Fomina über die unbeschreibliche Energie in gewissen Momenten
Den weitaus größten Teil meiner Zeit im Tonkünstler-Orchester habe ich mit Yutaka Sado verbracht. In all diesen Jahren durfte ich miterleben, wie weit unser Orchester in Richtung Klangfarbenvielfalt, Ausdrucksfreiheit und -intensität gegangen ist – auf diesem unendlichen und spannenden Weg unterwegs zu sein, ist ein sehr schönes Gefühl! Mich hat immer wieder überrascht und erstaunt, dass Yutaka mich mit seiner Wortknappheit und Expressivität motiviert hat, tiefer in die Musik einzutauchen und mir selbst ebenso wie meinen Kolleginnen und Kollegen achtsamer zuzuhören. So entstehen die vielen wunderbaren Momente, in denen man sich nicht mehr wie ein einzelner inmitten vieler zusammenspielender Menschen empfindet, sondern mit dem Gesamtklang gewissermaßen verschmilzt. Die enorme Energie, die dabei zwischen dem Dirigenten, dem Orchester und dem Publikum entsteht, ist unbeschreiblich!
Maria Fomina musiziert seit 2012 im TonkünstlerOrchester.
«CHEFDIRIGENT DER HERZEN»
Sobald Yutaka Sado vor das Orchester tritt, stellt sich bei Alexander Gheorghiu ein Gefühl der Freude und der Erleichterung ein –noch immer
Chefdirigent. Zugegeben, mit diesem Begriff habe ich ein Thema. Nicht, weil es mir schwerfiele, seine Autorität zu akzeptieren, sondern ganz im Gegenteil: Im Grunde genommen sollte jeder Dirigent, der vor dem Orchester steht, ein Chef sein – oder eine Chefin halt.
Ist der Chefdirigent jetzt der Chef aller Chefs wie der Chefkoch eines Haubenlokals? Darüber kann man spekulieren. Denn vor dem Orchester ist alles dann doch anders: Jeder Augenblick zählt, jeder Atemzug, jede einzelne Geste, die Arbeitsweise sowohl im Detail als auch im Großen und Ganzen. Sicher, Anwesenheit und Repertoirehoheit machen einen großen Musiker aus –aber nicht nur! Ich kenne exzellente Orchester, die ganz gut ohne Chef auskommen.
Vor diesem Hintergrund finde ich es unglaublich, dass es so etwas jenseits der geschönten Biografien noch gibt: einen Dirigenten, der einlädt zur künstlerischen Gestaltung. Jemanden, der nicht die Fehler anderer Musiker zählt, sondern für das Wesentliche in der Musik eintritt. Einen Gastgeber für die Form und die Freiheit, für die Momente der ungeahnten Möglichkeiten vor allem im Konzert.
Yutaka Sado hat dem Tonkünstler-Orchester große Momente der Gestaltung und der musikalischen Freiheit geschenkt, wie ich sie in dieser Form noch bei keinem anderen Dirigenten erlebt habe. Eine Freiheit, die mitnichten anarchistisch oder unkontrolliert ist, sondern aus einer stillen gegenseitigen Übereinstimmung erwächst. Subtil und ohne Zw ang. Die ein Blick auf der Bühne sein kann, eine Geste, ein Was-auch-immer.
Denn besonders für Konzerte gilt: Zu Tode geprobt ist auch gestorben. Ich bin Yutaka Sado unendlich dankbar, dass er uns das erspart hat. Freilich braucht es, um dahin zu kommen, absolutes gegenseitiges Vertrauen. Yutaka Sado darf man sich in musikalischer Hinsicht als einen Gastgeber vorstellen, der einem zur Begrüßung erst einmal ein gutes Glas Rotwein reicht. Natürlich hat man dann auch als Gast so seine Verpflichtungen, und ich hoffe ja immer, dass wirklich alle Gäste diese freundschaftliche Geste gut und richtig verstehen … In all den Jahren unserer Zusammenarbeit mit Yutaka Sado gab es nie eine Situation, die Zweifel aufkommen ließ an seiner respektvollen Haltung für unser Orchester. Seine Herzlichkeit, gepaart mit höchsten künstlerischen Ansprüchen und dem absoluten Durchblick durch die Partitur – keine Kleinigkeit bleibt ihm verborgen – erstaunt mich immer noch und immer wieder, ebenso wie seine Virtuosität im Verzicht auf unnötige Status symbole. Seit ihrem Beginn ist unsere Zusammenarbeit eine Begegnung auf Augenhöhe, auch auf unseren schönen gemeinsamen Tourneen! Für sein Vertrauen, uns nach Japan, in sein Land, mitzunehmen, bin ich ihm sehr dankbar.
Das Tonkünstler-Orchester, wie ich es seit mittlerweile 25 Jahren kenne, hatte in seiner Vergangenheit durchaus auch kontroversielle Beziehungen zu Chefdirigenten. Nicht immer war das Finale einer Amtsperiode besonders schön, manchmal gab es Animositäten wie in einer Ehe, über deren Ende man eher froh sein darf. Ganz anders mit Yutaka Sado! Noch immer stellt sich ein Gefühl der Freude und der Erleichterung ein, wenn er den Probensaal oder das Konzertpodium betritt. Die Begegnung mit ihm ist nach wie vor ein großer warmer Händedruc k, eine wortlose Einladung an das möglich Unmögliche. So möge es noch lange weiter gehen! Nach dem Ende seiner Amtsperiode werden wir ihn als Chefdirigenten der Herzen begrüßen.
Alexander Gheorghiu wurde 1998 Konzertmeister im Tonkünstler-Orchester. Vor Yutaka Sado erlebte er vier andere Chefdirigenten.
KENNE»
Lukas Palfy-Ströcker über ansteckende Energien und gemeinsame Leidenschaften
Im selben Jahr, in dem ich meine Stelle im Tonkünstler-Orchester antrat, wurde Yutaka Sado Chefdirigent – und damit verbindet uns eine gemeinsame Dekade auf und abseits der Bühne. In diesen zehn Jahren habe ich unzählige musikalische Höhepunkte mit ihm erlebt. Ich bin immer wieder beeindruckt, mit wie viel Temperament und Leidenschaft Yutaka Sado unsere Konzerte leitet. Sonst sehr ruhig und ausgeglichen, entwickelt er in den Aufführungen eine Energie, die ansteckend ist. In diesen Momenten möchte man als Musiker alles geben! Er dirigiert eine Sinfonie von Joseph Haydn mit großer Leichtigkeit und Fröhlichkeit und im nächsten Moment ein Werk von Gustav Mahler mit der nötigen Tiefe, Empfindsamkeit und Ironie.
Auch privat teilen wir eine Leidenschaft: das Golfspielen. Sein Spitzname für mich ist «Dangerous Luki», weil ich den Ball sehr weit schlagen kann, aber manchmal Probleme mit der Richtung habe. Nie vergessen werde ich die Konzertreisen nach Japan, bei denen mich Yutaka Sado in seine Welt mitnahm. Wir spielten auf den schönsten Golfplätzen, badeten in einem Onsen (japanisch für «heiße Quelle») nahe dem Fujiyama und aßen das beste Sushi meines Lebens. Ich durfte sogar an einer Teezeremonie in seinem Haus teilnehmen.
Yutaka Sado ist einer der großzügigsten und herzlichsten Menschen, die ich kenne. Gleich am Anfang seiner Zeit mit dem TonkünstlerOrchester stellte er klar, dass ihn jedes Orchestermitglied «Yu-Chan» nennen darf. Die Anrede «Chan» wird in Japan nur für enge Freunde verwendet und drückt eine große Zuneigung aus.
Ich hoffe, dass diese Freundschaft noch lange Zeit bestehen bleibt und Yutaka Sado nach dieser Saison für viele Konzerte zurück zu den Tonkünstlern kommen wird.
Und mich persönlich würde es freuen, noch viele schöne Golfrunden mit ihm spielen zu können.
Lukas Palfy-Ströcker ist seit 2015 Kontrabassist im Tonkünstler-Orchester.
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Sonst sehr ruhig und ausgeglichen, entwickelt er in den Aufführungen eine Energie, die ansteckend ist. In diesen Momenten möchte man als Musiker alles geben!
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«DER DIE HERZEN DER MENSCHEN ERREICHT»
Frank Druschel schaut zurück und erzählt, wie alles begann
Yutaka Sado – ein Dirigent, der nicht nur aus Klängen Musik formt, sondern auch die Herzen der Menschen erreicht. Mein erstes unvergessliche s Erlebnis mit ihm datiert bei seinem Debüt-Konzert mit unserem Orchester am 14. März 2013, als er Dmitri Schostakowitschs fünfte Symphonie zum Leben erweckte. Schon zu diesem Zeitpunkt suchten wir perspektivisch nach einem neuen Chefdirigenten, und die Magie zwischen dem Orchester und Sado war sofort spürbar. Nach dem begeisternden Konzert im Festspielhaus St. Pölten wagte ich die Frage, ob er sich vorstellen könnte, die Chefposition zu übernehmen. Seine Antwort, von Freude erfüllt: «I will think about it.» Wochen später unterzeichneten wir in Paris seinen Vertrag, der mit der Konzertsaison 15–16 begann. Seitdem hat er fast 300 Konzerte mit unserem Orchester gestaltet.
Yutaka Sado ist nicht nur auf dem Podium ein leidenschaftlicher Dirigent, sondern auch hinter den Kulissen ein hingebungsvoller, engagierter, begeisterter Mensch. Seine Liebe zum Golfspielen und sein Beitrag zu einer kollegialen Atmosphäre auf und hinter der Bühne prägen seine Persönlichkeit. Als Schüler von Leonard Bernstein hat er dessen Art des Musizierens in die Wiege gelegt bekommen. Zwei unvergessliche JapanTourneen haben uns gezeigt, welch enorme Wertschätzung er in seinem Heimatland genießt. Das Konzert in Sapporo, insbesondere anlässlich des 100. Geburtstags von Bernstein, wird mir immer in Erinnerung bleiben – die Sapporo Concert Hall Kitara kochte förmlich vor Begeis- terung, und nach der Aufführung der symphonische Tänze aus Bernsteins «West Side Story» war das halbe Publikum in Tränen aufgelöst.
Abgesehen von diesen tiefgreifenden persönlichen Erfahrungen möchte ich erwähnen, dass unter der Leitung von Yutaka Sado jedes Jahr im Dezember Ludwig van Beethovens neunte Symphonie, die ich für sein humanistischstes Werk halte, mit beeindruckenden 10.000 Mit wir kenden in Osaka aufgeführt wird. 2016 waren wir eingeladen, als kleine Delegation aus Nieder österreich daran teilzunehmen. Das Erlebnis, gemeinsam mit 10.000 Menschen dieses Werk aufzuführen, bleibt unvergesslich.
Danach entwickelten wir ein Konzept für Niederösterreich und konnten immerhin 500 Mitwirkende auf unsere Bühnen bringen, um Beethovens Neunte unter der Leitung von Yutaka Sado sowohl in Grafenegg als auch im Festspielhaus St. Pölten zu gestalten. Yutaka Sado liegt viel an dieser Art der Vermittlungsarbeit, und seine Liebe zur Musik ist immer, sowohl im Publikum als auch auf der Bühne, spürbar.
Solisten wie Cameron Carpenter, Julia Fischer, Christian Tetzlaff, René Pape, Sabine Meyer, Nobuyuki Tsujii, Elisabeth Kulman, Alice Sara Ott, Colin Currie, Golda Schultz, Isabelle Faust und Asmik Grigorian und auch Ensembles wie der Wiener Singverein, um nur einige wenige zu nennen, schätzen die Zusammenarbeit mit Yutaka Sado sehr. Unter seiner Leitung entstanden und entstehen weit mehr als 20 CD-Aufnahmen, und mit seinem Abschlussprojekt, Mahlers achter Sinfonie, seiner sogenannten «Symphonie der Tausend», wird unser Mahler-Zyklus mit der Einspielung aller vollendeten Mahler-Symphonien im orchestereigenen Label abschließen.
Lieber Yutaka Sado, an dieser Stelle können wir nur Danke sagen: Danke für all die wunderbaren Momente, die wir mit dir erleben durften. Wir freuen uns schon jetzt darauf, dich als hochgeschätzten Gast wieder beim Orchester zu begrüßen!
Frank Druschel ist seit 2010 beim TonkünstlerOrchester, seit 2012 als Geschäftsführer. Nach dem ersten Gastdirigat von Yutaka Sado im März 2013 – übrigens mit der zweiten Symphonie von Leonard Bernstein, «The Age of Anxiety», und der «Fünften» von Dmitri Schostakowitsch, die auch in den Erinnerungen von Natalia Sagmeister (siehe P 16) vorkommt – fragte er ihn, ob er Chefdirigent des Orchesters werden wolle.
«TIEFES VERTRAUEN IN UNSER ORCHESTER»
Warum für Natalia Sagmeister die gemeinsamen Konzerte mit Haydns Musik ein besonderes Vergnügen waren
Meine Zusammenarbeit mit Yutaka war durch zahlreiche Höhepunkte gekennzeichnet. Der Bernstein-Zyklus, insbesondere die Aufführungen von «Kaddish» mit Ruth Brauer-Kvam, bleibt mir als ein herausragendes Ereignis in Erinnerung. Auch die «West Side Story» und die «Candide»-Ouvertüre waren absolute Highlights im Programm, die uns die Gelegenheit gaben, in die geniale Musik von Leonard Bernstein einzutauchen und Yutakas Mentor «Lenny» ein bisschen näher kennenzulernen. Unsere JapanTournee 2018, bei der Yutaka großes Ansehen und Bewunderung in seinem Heimatland genoss, war ein großes Erlebnis. Besonders hervorzuheben sind die Konzerte mit Dmitri Schostakowitschs fünfter Symphonie, in denen wir die Kombination aus Energie und Emotion wunderbar verknüpften. Diese Symphonie gehört sicher zu unseren besten und überzeugendsten gemeinsamen Aufführungen. Ein besonderes Vergnügen war es immer, Musik von Haydn unter Yutakas Leitung zu spielen. Er hatte die Gabe, Joseph Haydns Musik stets frisch und spannend zu gestalten und niemals Langeweile aufkommen zu lassen.
Neben den beruflichen Erfolgen gab es auch zahlreiche persönliche Erlebnisse, die mir in Erinnerung bleiben werden. Das Abschlussessen in Japan, bei dem Yutaka die Flöte auspackte und im Ensemble mit unserer Flötengruppe spielte, ist mir unvergessen. Sein ansteckender Humor und das tiefe Vertrauen, das er in unser
Orchester hat, werden mir sicherlich fehlen. Besonders schätze ich seinen präzisen Schlag und seine Kunst der Tempoübergänge.
Seine Fähigkeit, Musik mit enormer Intensität zu interpretieren, hat nicht nur das Orchester, sondern auch unser Publikum tief bewegt. Es sind die Momente, in denen er nach einem Konzert von Emotionen überwältigt wurde, bis hin zu Tränen in den Augen, die uns besonders in Erinnerung bleiben.
Für die Zukunft der Tonkünstler wünsche ich mir, dass die Freude am Spielen und unser starker Zusammenhalt weiterhin das Herzstück unseres Orchesters bilden. Offenheit für Neues und das Bewahren unserer Spielfreude sind die Werte, die uns auszeichnen.
Yutaka wünsche ich ein weiterhin erfüllendes und erfolgreiches Musikerleben und hoffe sehr, dass er unserem Orchester verbunden bleibt.
Natalia Sagmeister ist seit 2017 Stimmführerin der zweiten Violinen im Tonkünstler-Orchester.
«DIESER WUNDERBAR WARME, WEICHE WIENER KLANG»
Susanne Masetti glaubt, dass ein großer Teil des Orchesters im Moment des Konzerts für Yutaka Sado spielt
Was bewegt Sie, wenn Sie an die bisherigen gemeinsamen Jahre mit Yutaka Sado zurückdenken? — Die Konzerte mit Yutaka sind immer sehr bewegend, ja mitreißend. Er gibt im Konzert alles und versteht es, auch seinem Gegenüber, unserem Orchester, das Maximum an Energie und Spielfreude herauszulocken. Die Zusammenarbeit ist sehr freundschaftlich, respektvoll. Er ist uns immer auf Augenhöhe begegnet, Eitelkeiten gibt es bei ihm nicht. Ich glaube, auch er spürt, dass ein großer Teil des Orchesters im Moment des Konzerts für ihn spielt. Das rührt ihn manchmal zu Tränen und macht jedes Konzert zu einem einzigartigen, unverwechselbaren Erlebnis.
Welche Musik führen Sie mit ihm besonders gern auf? — Ganz klar: die Symphonik von Anton Bruckner, Gustav Mahler und Leonard Bernstein.
In welcher Weise hat sich das Orchester unter Yutaka Sados Leitung weiterentwickelt? — Yutaka hat unser Repertoire erweitert durch seine große emotionale Verbundenheit zu Leonard Bernstein. Er hat unsere Eigenständigkeit ge fördert, hat vorausgesetzt, dass wir E igenverantwortung übernehmen. Das hat uns sehr gutgetan.
Was haben Sie ganz persönlich von ihm gelernt? — Dass vieles möglich ist, wenn man Be geisterung in den Menschen wecken kann.
Welche seiner Angewohnheiten wird Ihnen am meisten fehlen? — Seine Begrüßung und auch das Ansprechen der Musikerinnen und Musiker mit Vornamen ist sicher einzigartig und sehr persönlich. Das werde ich auf jeden Fall vermissen!
Gibt es etwas, das Sie an Yutaka Sados Probenarbeit besonders schätzen? — Seine Ruhe und sein Vertrauen, dass im Konzert alles funktionieren wird. Er behält immer das große Ganze im Auge.
Und in den Konzerten? — Große Geste, großer Klang, große Gefühle und seine Liebe zur Musik. Mittelpunkt ist in einer sehr eindrucksvollen Weise immer die Musik, niemals seine Person.
Welche gemeinsame Aufführung werden Sie niemals vergessen? — Unser Konzert in der Elbphilharmonie Hamburg mit Mahlers fünfter Symphonie war für mich an Emotionalität nicht zu übertreffen. Wir sind mit Yutaka über uns hinausgewachsen und haben das Publikum mit einer unbeschreiblichen Intensität in unseren Bann gezogen. Nach 28 Jahren im Beruf weiß ich, wie rar und wertvoll solche Momente sind!
Was wünschen Sie Yutaka Sado für die Zukunft?
Vor allem, dass er seine Freude behält, mit der er sowohl das Publikum als auch uns Musikerinnen und Musiker auf besondere Weise zu bewegen vermag.
Und dem Tonkünstler-Orchester nach seinem Abschied? — Ich wünsche unserem Orchester, dass es den Mut hat, zu seiner Einzigartigkeit in der so gleichförmig gewordenen Welt zu stehen –und zu diesem wunderbar warmen, weichen Wiener Klang.
Susanne Masetti ist seit 1995 als StimmführerStellvertreterin der ersten Violinen tätig. Ebenso wie ihr Kollege Alexander Gheorghiu (siehe P 10) erlebte sie vor Yutaka Sado vier andere Chefdirigenten beim TonkünstlerOrchester.
«ER GIBT UND FORDERT VIEL EMOTION»
Margit Schoberleitner über das Abenteuer Yutaka Sado und eine gemeinsame Reise auf Augenhöhe
Mit Yutaka Sado zusammenzuarbeiten, war und ist immer ein Abenteuer für mich. Respektvoll, konzentriert und ganz der Musik verpflichtet, haben wir die Höhepunkte großer Symphonien von Ludwig van Beethoven und Johannes Brahms erklommen. Glanzlichter waren für mich persönlich die Aufführungen der zweiten Symphonie von Jean Sibelius und der Fünften von Gustav Mahler. Wir durchtanzten Leonard Bernsteins Musik oder hüpften mit präzisem Schlag einem Pianisten hinterher, der mitten im Konzert spontane Abkürzungen durch den Klavierpart unternahm.
Mit Yutaka Sado zusammenzuarbeiten, war und ist immer eine gemeinsame Reise auf Augenhöhe. Das impliziert natürlich eine große Selbstverantwortung für jede und jeden Einzelnen im Orchester. Yutaka hört uns genau zu und kennt auch unsere Stärken und Schwächen. Zugleich vertraut er uns und lässt uns musizieren. Er gibt und er fordert viel Emotion. Dadurch bleibt unsere Musik immer lebendig – für mich das Schönste, was beim Musizieren passieren kann!
Margit Schoberleitner ist seit 2009 Solopaukerin im Tonkünstler-Orchester und Drummerin im Tonkünstler Jazz Ensemble.
Für Michel Gasciarino verging die gemeinsame Zeit wie im Höhenflug
Kaum vorstellbar, dass wir uns von Yutaka Sado als Chefdirigent verabschieden müssen. Wobei: Zehn Jahre sind eine lange Zeit. Sie ist wie im Flug vergangen – für mich persönlich im Höhenflug. Als ich ihn in einem Interview zu unserer ersten Japan-Tournee 2016 beschrieb, sagte ich: «Yutaka Sado ist einfach ein Sir». Und das ist er geblieben: besonnen, ruhig, wohlwollend, Menschen liebend und Menschen verbindend. Bei der Probenarbeit hält er sich an das Notwendigste (was mir sehr entgegenkommt), um später, im Konzert, eine Explosion der Gefühle aus dem Orchester herauszuholen in einer Art und Weise, die ich vorher noch nicht erlebt hatte. Wenn ich sagen sollte, welche Musik ich am liebsten mit ihm gespielt habe, tue ich mich etwas schwer: Am liebsten habe ich alles mit ihm gespielt. Natürlich ist es traurig, sich ver absc hieden zu müssen. Aber es ist nicht die Wehmut, die überwiegt, sondern die Dankbark eit, gemeinsam einen Teil des Weges gegangen zu sein.
Michel Gasciarino ist seit 1988 Hornist im Tonkünstler-Orchester.
«ICH BIN JETZT SCHON TRAURIG»
Hannes Strassl sitzt im Shinkansen und schreibt einen Brief
Lieber Yutaka, im Shinkansen von Yokohama nach Fukuoka sitzend, schreibe ich diese Zeilen. Wie groß war meine Freude vor zehn Jahren, als wir erfuhren, du wirst unser Chefdirigent! Danach sollte sich alles bestätigen, was ich bei deinem ersten Dirigat – der fünften Symphonie von Dmitri Schostakowitsch – geglaubt hatte zu erkennen:
Die Ruhe in dir, dann eine leichte Bewegung mit deinen Händen, und schon ist sie da, diese tolle Energie, auf die jeder Musiker und jede Musikerin wartet. Ein Glücksfall für unser Orchester!
Du lebst die Musik. Deinen Zugang zu den Symphonien von Gustav Mahler und Anton Bruckner finde ich einmalig. Unser vielleicht aufregendstes gemeinsames Konzert war jenes mit der Fünften von Mahler in der Elbphilharmonie Hamburg. Noch dazu lebt in dir einer meiner Lieblingsdirigenten weiter: Leonard Bernstein. Sehr berührt haben mich die Konzerte und die CD-Produktion seiner «Kaddish»-Symphonie, denn mit ihr hatte ich meinen ersten Auftritt als Wiener Sängerknabe – unter Bernsteins Leitung.
Dass ein Chefdirigent nach so langer Zusammenarbeit noch immer so viel Zuspruch aus dem Orchester bekommt, ist nicht selbstverständlich. Du wirst uns fehlen, auch als Mensch. Du lachst so gern und bist immer für einen Spaß zu haben. Umso mehr freue ich mich, dass du uns als Gastdirigent erhalten bleiben wirst, nachdem wir 2025 noch einmal eine gemeinsame JapanTournee unternehmen können. Wie du 2016, bei unserer ersten Tournee in deine Heimat, in Niigata das ganze Orchester eingeladen und mit deiner Managerin Blockflötenduette gespielt, wie du 2018 im Kirin Beer Garden in Sapporo für uns Ständchen mit der Melodika und der Querflöte gegeben hast – unvergesslich!
Für mich wird der Abschied sehr emotional, das weiß ich schon, denn eigentlich bin ich jetzt schon traurig. Dir wünsche ich von Herzen, immer dort wirken zu können, wo deine Größe erkannt wird.
Danke, Yutaka.
Hannes Strassl spielt Oboe und Englischhorn und gehört dem Orchester seit 1999 an. Mit Yutaka Sado musiziert er seit dessen TonkünstlerDebüt im März 2013 mit Werken von Leonard Bernstein und Dmitri Schostakowitsch.