RECYCLINGECKE
Nachdruck aus Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. Februar 2020
EINWEG-REBELL ÜBER NACHT Hans-Peter Kastner hat eine kleine Getränkehandlung in Stuttgart. Als ihm das Plastik auf dem Hof zu viel wurde, trat er eine Welle los.
TEXT Susanne Preuß | ILLUSTRATION Sylvain Mazas
Nichts deutete darauf hin, dass Hans-Peter Kastner eine Person des öffentlichen Lebens werden könnte. Ein Zwei-Meter-Mann mit sozialer Ader, fünffacher Familienvater Anfang 40, Chef einer Fünf-Mann-Getränkehandlung am Rand von Stuttgart, 350 Facebook-Freunde. Aber im vergangenen Sommer platzte Hans-Peter Kastner der Kragen. Am 17. Juni schrieb er sich auf Facebook den Frust von der Seele. Die Flut der Einweg-Plastikflaschen, die er zu entsorgen hatte, war ihm zu groß geworden, innerhalb von nur einem Vierteljahr hatten seine Kunden 10.000 Einwegflaschen abgegeben.
Kastners Kampf ist größer als sein Getränkeladen Er wollte Einweg deswegen aus seinem Sortiment verbannen, koste es, was es wolle, selbst wenn das Unternehmen deshalb ins Aus gerate. „Über Nacht war das zigtausendmal geteilt, und am Vormittag danach stand schon was auf der Seite der ,Stuttgarter Zeitung‘“, erinnert sich Hans-Peter Kastner an den Tag, der alles veränderte. „Ich hatte mich auf Diskussionen mit Kunden eingestellt. Aber ich wurde von einer Lawine überrollt.“ Der Wut-Post ging viral, wurde millionenfach geklickt. Und wenn der 42 Jahre alte Hans-Peter Kastner heute etwas sagt oder tut, zuckt mancher in der Getränke-, Plastik- und Recyclingbranche zusammen. Das aktuelle Ziel von Hans-Peter Kastner lautet: 10 Milliarden Plastikflaschen im Jahr einsparen, allein in Deutschland. Das wäre möglich, wenn die Branche sich darauf verpflichten könnte, den Einweg-Anteil wenigstens auf 30 Prozent zu reduzieren, sagt Kastner. Den Vorschlag hat er im Herbst in einem offenen 62 | TrenntMagazin
Brief an Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) unterbreitet. Vor einigen Tagen hat er sich in der Sache mit Mineralbrunnen aus Süddeutschland und dem Geschäftsführer eines PET-Recycling-Unternehmens getroffen. Jenseits dieser klar formulierten Idee einer Mehrwegquote führt er unablässig Gespräche zum Thema Einwegplastik. Er trifft sich mit Managern aus der Getränkeindustrie, berichtet von Reaktionen von Danone („Vittel“) und Coca-Cola, die natürlich nicht gleich eine Rolle rückwärts machen. Aber er weiß auch von ersten Schritten kleinerer Abfüller zu erzählen sowie von Getränkehändlern, die es ihm nachtun und ganz auf Einweg verzichten oder wenigstens nach und nach umstellen. „Bis jetzt sind es elf Händler, von denen ich weiß. Es werden hoffentlich schnell mehr“, sagt Kastner. Er freut sich schon auf die Intergastra, jene Leitmesse für Hotellerie und Gastronomie, die Mitte Februar Tausende aus der Branche nach Stuttgart lockt. Jeder Messebesucher ist ein potentieller Gesprächspartner für den Einweg-Rebellen. Klimaaktivist nennt er sich jetzt. Erkennbar hat Kastner die Rolle mit Freude angenommen, die ihm über Nacht zugefallen ist. Längst geht seine Mission über den Kampf gegen Einwegflaschen hinaus. Noch gibt es Plastik in Kastners Laden, aber nur Mehrwegflaschen, die immerhin 12- bis 20-fach befüllt werden. Bis zum Jahr 2022 hofft er, auch diese Plastikflaschen verbannt zu haben. Glasflaschen werden 35- bis 50-mal wiederbefüllt. „Glas ist unser bevorzugtes Gebinde, weil es die Qualität des Produkts am besten schützt“, sagt der Unternehmer. Mit dem Hamburger