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Zukunftsszenarien

Die Expertise des Simulationsexperten Niki Popper und seines TU-Forschungsteams ist in der C ovid-19-Krise gefragt. Porträt eines Wissenschaftlers, der mit seiner Arbeit eine der Grundlagen für brisante gesellschaftspolitische Entscheidungen liefert. O b in den öffentlichen oder sozialen Medien, im Freundes- oder Familienkreis, unter Laien oder Expert_innen – die Interpretationen von Dunkelziffern, vermeintlich exponentiellen Verläufen oder dem Abflachen von Entwicklungskurven rund um die Sars-CoV-2-Zahlen halten die Menschen in Atem. Für die politischen Entscheidungsträger_innen des Landes geht es um die richtigen Antworten auf die Fragen, ob, wann und wo Masken getragen, Ausgangsund Social-Distancing-Regelungen getroffen, Betriebe und Handelsgeschäfte geschlossen bzw. wieder aufgesperrt werden. Ziel ist es, die Pandemie in kontrollierbare Bahnen zu lenken. Gesetzt wird dabei auch auf das aus Simulationsmodellen gespeiste Wissen von Forscher_innen wie Niki Popper vom Institut für Information Systems Engineering der TU Wien. „Modellier“-Karriere 1993 inskribierte Popper Technische Mathematik an der TU Wien. Während die Zusatzfächer Philosophie und Jazztheorie studientechnisch irgendwann auf der Strecke blieben, schloss er Mathematik ab und erhielt – nach längerer akademischer Pause – 2015 seinen PhD für eine Arbeit zu „Comparative Modelling & Simulation“. Bereits ab 1999 war er als Daten- und Wissenschaftsjournalist beim ORF tätig, visualisierte und animierte beispielsweise Ereignisse wie die Papstwahl oder die Kaprun-Katastrophe in 3D-Modellen, bevor er mit TV-Produktionen den Weg in die Selbstständigkeit einschlug und 2004 gemeinsam mit Michael Landsiedl und Thomas Peterseil die drahtwarenhandlung sowie 2010 das F&E-Unternehmen für Simulationsdienstleistungen dwh gründete. An der TU Wien ist Popper Koordinator des Centers for Computational Complex Systems und entwickelt mit vielen anderen Forschungsgruppen neue Modellkonzepte, um komplizierte, dynamische Prozesse abbilden zu können: „Wir stecken diese dann in eine Simulation. Dabei dreht es sich um Güterlogistik, Mobilität oder Energie.“ Seit 2014 ist er zudem Vorsitzender der Forschungsplattform und des früheren COMETProjektes DEXHELPP zur effizienten und sicheren Nutzung v on Daten für die Entscheidungsfindung in Gesundheitssystemen. Spätestens seit diesem Zeit punkt beschäftigt sich der TU-Forscher genau mit jenem Thema, bei dem seine Expertise aktuell gefragt ist. Im Jahr 2020 sind vor allem seine Modellrechnungen zum Zusammenhang zwischen räumlicher Distanzierung und Ausbreitung des Sars-CoV-2-Virus zu einer der Grundlagen für die Maßnahmen der österreichischen Bundesregierung in der Zeit der Pandemie geworden. Der Fall Covid-19 Österreich „Wir haben vor bald 15 Jahren damit begonnen, uns mit der Frage zu beschäftigen, wie man das Gesundheitssystem simulieren kann. Sehr bald ist es dabei auch darum gegangen, wie sich Krankheiten ausbreiten. Das kann man mit Agenten, also digitalen Zwillingen von Personen, sehr gut machen. Wir haben damit etwa die Pneumokokkenimpfung evaluiert und Modelle zur Ausbreitung von Influenza gebaut. Auf dem Modell basieren auch die Berechnungen der WHO-Referenzzahlen für die Masern- und P olioimpfung“, erläutert Popper und erklärt die Grundzüge der Methodik: „Die Agenten sind statistische R epräsentanten, die nach Alter, Geschlecht und vielen weiteren Faktoren unter schieden werden. Für verschiedene Alterskohorten werden passende Kontaktannahmen getroffen.“ W eiters fließen u. a. statistische D aten zu sonstigen Erkrankungen, Fakten zur medizinischen Infrastruktur oder simulierte Übertragungsmöglichkeiten mittels Tröpfcheninfektion ein: „Wir haben bereits Mitte Jänner damit angefangen, die Prozesse im Zusammenhang mit dem Coronavirus in das Modell einzubauen.“ Wichtig bei alldem zu verstehen sei, dass es aufgrund „Die momentan wichtigste Frage ist, wie wir die nächsten Monate gesundheitlich, gesellschaftlich und wirtschaftlich gut überstehen.“ Niki Popper

Informatiker und Simulationsexperte Niki Popper vom Institut für Information Systems Engineering.

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der zahlreichen Unwägbarkeiten und Unsicherheitsfaktoren nicht Sinn und Ziel sein kann, Prognosen zu erstellen, die absolute Zahlen liefern. „Eigentlich ist der Kern unserer Tätigkeit die Einschätzung, welche Ereignisse, Entwicklungen und Interventionen welche Effekte generieren.“ In den Computersimulationen werden permanent vorhandene Daten eingespeist, dann Interventionen gesetzt und die sich ergebenden Veränderungen und ihre Konsequenzen virtuell durchgespielt. Der Grundgedanke ist es, im Computer eine Art Abbild der Bevölkerung zu erschaffen, in dem sich die virtuellen Personen möglichst ähnlich verhalten, wie das auch in der R ealität der Fall ist. „Das sind aber nicht reale Personen, das heißt, es geht nicht um Tracing“, so Popper. „Wir sitzen dabei natürlich immer auf den Schultern derer, die Daten erheben, wie etwa Virologen, Infektiologen, Statistiker etc.“, betont der Computerwissenschaftler den fachübergreifenden Aspekt des gesamten Vorgangs.

Keine Wunder, keine Panik Die ersten Bewährungsproben als „Strategieberater“ haben Popper und sein Forschungsteam erfolgreich bestanden. Die jüngsten Daten rund um Covid-19 scheinen die Simulationsmodelle zu bestätigen. Wer vom TU-Forscher nun präzise Prognosen zum weiteren Pandemieverlauf erwartet, wird enttäuscht. „Die Zukunft ist nicht festgeschrieben. Wir liefern nur die Werkzeuge zur Gestaltung positiver Zukunftsszena rien“, so Popper, der über einen Zeitpunkt des Seuchenendes nicht spekulieren will: „Die momentan wichtigste Frage ist, wie wir die nächsten Monate gesundheitlich, gesellschaftlich und wirtschaftlich gut überstehen.“ Zum Umgang mit der Krise hat der ehemalige Philosophiestudent auch eine ganz persönliche Sicht der Dinge: „Irgendwann hat es ein Ende und die Menschheit wird daran nicht zugrunde gegangen sein. Für unsere Gesellschaft wird es dann rückblickend hoffentlich ein wichtiger Schritt im Erwachsenwerden gewesen sein.“ 

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