ver.di NEWS 12/2009

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NEWS INFOSERVICE FÜR AKTIVE

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VER.DI VEREINTE DIENSTLEISTUNGSGEWERKSCHAFT

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8. JAHRGANG 12 5. SEPTEMBER 2009 LEIHARBEIT

LEIHARBEIT

Gleiche Bezahlung durchsetzen Lohndumping eindämmen: ver.di strebt eigene Tarifverträge für die Branche an Leiharbeitwarseit2004einederBoombranchen in Deutschland (siehe Grafik Seite 3). Die rot-grüne Regierung hatte das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz so geändert, dass es für Unternehmen – statt einer Aufstockung der Stammbelegschaft – deutlich attraktiver war, Leiharbeitnehmer/innen zu beschäftigten. Leiharbeit wuchs vor allen Dingen dort, wo das Lohnniveau der Branche hoch ist. Teilweise gründeten Unternehmen ihre eigene Leiharbeitsfirmen, stellten Arbeitnehmer/innen, die bislang im eigenen Unternehmen tätig waren, zu schlechteren Bedingungen an und setzten sie dann als Leiharbeitnehmer/innen an ihrem alten Arbeitsplatz wieder an – eine weitere Form des Lohndumpings durch Leiharbeit. Leiharbeit dient längst nicht mehr dazu, Auftragsspitzen abzudecken. Sie verdrängt reguläre Beschäftigung. Zwar geht ihr Volumen in der Krise zurück, aber der DGB geht in seiner Untersuchung „Leiharbeit in Deutschland – fünf Jahre nach der Deregulierung“ davon aus, dass sie mittelfristig wieder steigen wird. Zur Mitte des nächsten Aufschwungs wird sie die Millionengrenze erreicht haben, heißt es in dem Papier – und damit höher sein als vor der Krise. Das baut Druck auf alle Beschäftigten auf. Das Equal-Pay-Gebot in

Ausgeprägte Unterschiede Andere europäische Länder haben Arbeitnehmerüberlassung besser geregelt. SEITE 3 AUSBILDUNG

Junge Frauen klar im Nachteil In kleineren Betrieben werden Auszubildende meistens schlechter betreut. SEITE 4 ÜBERNAHME

Verhandeln und Druck machen Für die Beschäftigung nach der Ausbildung. SEITE 5 Deutschland – also gleiche Bezahlung für eine gleichwertige Tätigkeit innerhalb des Unternehmens, egal ob Leiharbeiter/in oder Stammbeschäftigte/r – kann mit Hilfe von Tarifverträgen unterlaufen werden. Insbesondere „christliche“ Gewerkschaften waren gerne bereit, mit den Arbeitgebern niedrige Stundenlöhne tarifvertraglich zu vereinbaren. Bisherige Regelungen sind ungenügend

Der Tarifvertrag der DGB-Tarifgemeinschaft sieht einen unteren Stundenlohn von 7,31 Euro vor, eine Folge des Drucks durch die so genannten christlichen Tarifverträge.

ZWISCHENRUF

Ungerecht behandelt fühlt sich Gerade-Noch-Arcandor-Chef Karl-Gerhard Eick. Und das, obwohl die Goldtaler doch nur so über ihm ausgeschüttet werden. 15 Millionen Euro Abfindung erhält der Mann dafür, dass er nicht einmal sechs Monate lang als Vorstandschef des Karstadt-Quelle-Konzerns tätig war und dann Insolvenz anmelden musste. Für diesen Fall, so hatte es ihm das Bankhaus Sal. Oppenheim als Arcandor-Großaktionär garantiert, werde er fünf Jahre lang drei Millionen Euro per anno kassieren dürfen, sozusagen als Risiko-Prämie. Dass dies bei den Beschäftigten, die schon herbe Einkommensverluste hinnehmen mussten und gar nicht absehen können, was noch auf sie zukommt, auf Empörung und Unverständnis stößt, das findet Eick „nicht gerecht“. Der arme Kerl. Dabei ist ihm schon klar, was für eine Schnäppchen er da gemacht hat: „Ich komme aus einfachen Verhältnissen und weiß, dass 15 Millionen sehr viel Geld ist – auch für mich.“ MARIA KNIESBURGES

„Ungenügend“ sagen der ver.di-Chef PROZESS Frank Bsirske und der stellvertretenGericht stoppt de IG-Metall-Vorsitzende Detlef WetMedian-Kliniken zel Ende August. Bsirske kündigte Fristlose Entlassung an, ver.di werde in Zukunft die Ardes GBR-Vorsitzenden beitsbedingungen in der Leiharbeit zurückgewiesen. in eigenen Tarifverträgen regeln. SEITE 6 Auch bei der Bundestagswahl ist die Leiharbeit für ver.di eines der wichS E L B ST STÄ N D I G E tigen Themen. Wirksame gleiche BeVon der Arbeit zahlung und ein Synchronisationsleben können verbot, also die Untersagung der „Auftraggeber in die Gleichsetzung von Beschäftigung in Pflicht nehmen”. der Leiharbeitsfirma mit dem AusSEITE 7 leiheinsatz in einem Betrieb, stehen für ver.di auf der Liste der ForderunBUCHTIPP gen ganz oben. Bei der FDP und den Politiker Unionsparteien finden sich dazu keiohne Basis nerlei Aussagen in den WahlproQuereinsteiger aus grammen. sechs Jahrzehnden. Ein gesetzlicher Mindestlohn, den SEITE 8 ver.di und die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) schon seit Jahren fordern, würde auch dieser Branche helfen. Einen Mindestlohn für die Leiharbeit Gute Reise I blockiert schon seit langem ein Streit zwischen „Deutschland ist nicht schlecht den Koalitionspartnern. gefahren mit der ruhigen Art.“ Mehr unter www.hundert Bundeskanzlerin Angela Merkel prozentich.de (CDU) in einem Interview mit HEIKE LANGENBERG dem Bayerischen Rundfunk


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POLITISCHES PARKETT

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MINDESTLOHN

Buchtipp

Ausschuss sucht soziale Verwerfungen

Gewerkschafter im Bundestag

(dpa/red.) Ende August hat die Bundesregierung den Hauptausschuss für Mindestarbeitsentgelte unter der Leitung des ehemaligen Hamburger Bürgermeisters Klaus von Dohnanyi (SPD) berufen. Dem Gremium gehören der „Wirtschaftsweise“ Wolfgang Franz, die Sozialforscherin Jutta Allmendinger, Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt und Handwerkspräsident Otto Kentzler an. Der DGB wird vertreten durch seinen Vorsitzenden Michael Sommer und den Arbeitsrechtler Otto Ernst Kempen. Damit konnte sich Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) nicht durchsetzen, der einen Vertreter des Christlichen Gewerkschaftsbunds in der Kommission sehen wollte.

(hla) Schaut man in Kürschners Handbuch zum Deutschen Bundestag, findet man bei 177 Politiker/innen verschiedener Parteien die Angabe, dass sie Mitglied einer DGB-Gewerkschaft sind. Doch machen sie im Bundestag gewerkschaftsorientierte Politik? Dieser Frage ist Herbert Hönigsberger im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung nachgegangen. Sein Fazit: Die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft formt noch lange keinen Gewerkschaftsblock im Bundestag, einen parteienübergreifenden schon gar nicht. Gerade die neue parlamentarische Konstellation zwischen Linkspartei und SPD verschärfe die Differenzen. Hinzu komme, dass die einzelnen Abgeordneten und ihr gewerkschaftlicher Hintergrund zu unterschiedlich seien. Denn gewählt worden seien sie in ihrem Wahlkreis oder über die Liste ihrer Partei, nicht hingegen von ihrer Gewerkschaft. Für letztere seien sie wichtige Ansprechpartner – allerdings ebenso wie nicht gewerkschaftlich organisierte Abgeordnete in den für Gewerkschaften wichtigen Ausschüssen. Das Buch zeigt den Zwiespalt mancher Parlamentarier auf. Herbert Hönigsberger: Der parlamentarische Arm. Gewerkschafter im Bundestag zwischen politischer Logik und Interessenvertretung, Edition Sigma, Berlin, 182 Seiten, 14,90 Euro, ISBN 978-3836086950

Das siebenköpfige Gremium soll den Weg für Mindestlöhne in weiteren Branchen ebnen. Der Ausschuss prüft, ob in einem Wirtschaftszweig soziale Verwerfungen vorliegen und Mindestlöhne festgesetzt werden müssen. Dann wird ein Fachausschuss einberufen, der deren Höhe festlegt. Die vom Fachausschuss beschlossenen Mindestlöhne werden dann von der Bundesregierung durch Rechtsverordnung für alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer in diesem Wirtschaftszweig rechtsverbindlich gemacht. Mindestlöhne für drei weitere Branchen

Unterdessen hat sich der Tarifausschuss beim Bundesarbeitsministe-

rium Ende August auf Mindestlöhne für drei weitere Branchen verständigt. In der Abfallwirtschaft, Großwäschereien und bei Bergbauspezialdiensten hatten zuvor ausgehandelte Mindestlohn-Tarifverträge diesen Weg frei gemacht. Die kann Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) nun für allgemeinverbindlich erklären. Bei der Entscheidung über Mindestlöhne in zwei weiteren Branchen – für die Wach- und Sicherheitsdienste und die beruflichen Weiterbildungseinrichtungen – gab es im Ausschuss ein Patt. Damit liegt die Entscheidung für diese Branchen mit rund 200 000 Beschäftigten nicht mehr bei Scholz, sondern bei der gesamten Bundesregierung.

DEMOKRATIE

Zurückgehende Wahlbeteiligung kaum noch erwähnenswert? (hem) Die tendenziell immer weiter zurückgehende Wahlbeteiligung ist an den Wahlabenden und in den folgenden Tagen den Politiker/innen und Medienleuten offenbar kaum noch eine Erwähnung wert. Der Gewöhnungsprozess und damit die Gleichgültigkeit gegenüber diesem Maßstab für die Wertschätzung der parlamentarischen Demokratie durch den angeblichen Souverän, das Wahlvolk, sind weit fortgeschritten. !(+%'($

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Bei den Landtagswahlen in Sachsen und den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen hat die Wahlverweigerung unterdessen neue Rekordtiefs erreicht. Da werden Signale aus dem Saarland mit einem deutlichen und aus Thüringen mit einem leichten Anstieg der Wahlbeteiligung schon bejubelt. Beobachter interpretieren diese Entwicklung so, dass das Interesse der Bürgerinnen und Bürger an den Ur!( + %'($

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nengängen dann steigt, wenn sie den Eindruck haben, mit ihrer Stimmabgabe deutliche Veränderungen herbeiführen zu können – wie etwa im Saarland und in Thüringen die reale Möglichkeit eines Wechsels von absoluten CDU-Mehrheiten zu rot-roten oder rot-rot-grünen Mehrheiten. Ist so etwas nicht gegeben, scheint ohnehin alles festgezurrt, stürzt die Wahlbeteiligung weiter ab – wie jetzt in Sachsen auf 51,2 Prozent. -) + #$)0

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WIRTSCHAFTSPOLITIK

„Argumente“ in handlichen Faltblättern zusammengefasst (wipo) Die Abteilung Wirtschaftspolitik beim ver.di-Bundesvorstand hat ihre Reihe „Argumente“ neu aufgelegt. In acht DIN-A6-Faltblättern sind kurz und prägnant die wichtigsten aktuellen Argumente zu wirtschaftspolitischen Themen erläutert. Die Faltblätter sind vielseitig einsetzbar, et-

wa bei Streikveranstaltungen, auf Betriebs- und Personalversammlungen oder bei Aktivitäten zu den bevorstehenden Wahlen. Alle Faltblätter und ein Bestellformular liegen auf der Website des Bereichs: www.wipo.verdi.de. Eingestellt sind dort auch PowerPoint-Präsentationen mit Grafiken

und Karikaturen sowie eine WordDatei mit den Texten der Argumente. In dieser Form können die Inhalte gut für eigene Präsentationen oder Flugblätter genutzt werden, nicht nur in Zeiten des Wahlkampfs. Weitere Informationen auch über Telefon 030/69 56-1131.


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POLITISCHES PARKETT

Claudia Weinkopf ist stellv. geschäftsführende Direktorin des Instituts Arbeit und Qualifikation

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LEIHARBEIT

Ausgeprägte Unterschiede

INTERVIEW

Andere europäische Länder haben Arbeitnehmerüberlassung besser geregelt (hla) In Großbritannien boomt die Leiharbeit, heißt es immer wieder. Bis zu 1,4 Millionen Zeitarbeitskräfte werden für das Land genannt. Doch der Vergleich ist schwierig, hat Claudia Weinkopf, stellvertretende geschäftsführende Direktorin des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) festgestellt. Ebenso wie in den Niederlanden werden hier auch Arbeitsverhältnisse zur Leiharbeit gezählt, die in Deutschland im Rahmen von Werk- und Dienstleis-tungsverträgen oder als Minijob ohne Beteiligung einer Leiharbeitsfirma realisiert werden. Ausgeprägte Lohnunterschiede in Deutschland

Die europäischen Zahlen sind also nicht immer vergleichbar. Dennoch bringt eine Studie, die Weinkopf mit ihrem Kollegen Achim Vanselow für die Hans-Böckler-Stiftung erstellt hat, aufschlussreiche Erkenntnisse über die Situation der Branche. „In keinem anderen Land sind die Lohnunterschiede so stark ausgeprägt wie in Deutschland“, berichtete Weinkopf bei der Vorstellung der Studie. In den anderen Ländern – untersucht wurden neben Großbritannien und den Niederlanden auch Österreich, Frankreich, Schweden, Dänemark und die Schweiz – begrenzten gesetzliche Mindestlöhne, tarifvertragliche Regelungen und/oder eine effektive Um-

setzung des Equal-Pay-Gebots die Kostenvorteile für die Arbeitgeber der Leiharbeit stärker. So erhalten Leiharbeitkräfte in Frankreich zusätzlich zum üblichen Lohn, der in der ausleihenden Branche gezahlt wird, eine so genannte Prekariatsprämie von zehn Prozent. Zusätzlich zahlen die Leiharbeitsfirmen hier in einen Fonds für die Weiterbildung dieser Beschäftigten. Allerdings entsprechen die Arbeitsverträge in der Regel der Ausleihdauern. In Österreich konnten die Gewerkschaften Zuschläge auf die Tariflöhne von Leiharbeitskräften durchsetzen, wenn sie in Hochlohnbranchen eingesetzt werden. *'!(-)&&!+!

„Die Politik muss endlich erkennen, dass die Deregulierung der Leiharbeit in Deutschland längst nicht nur zur Flexibilisierung dient, sondern systematisch zum Lohndumping missbraucht wird“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach bei der Vorstellung der Studie. Leiharbeiter/innen seien häufig auf ergänzendes Arbeitslosengeld II angewiesen. Gleichzeitig geraten durch die Leiharbeit reguläre Arbeitsverhältnisse unter Druck. Die Studie steht zum Herunterladen unter anderem auf der Website www.iaq.uni-due.de/publikation/neu erscheinung.php bereit (unter den Namen der beiden Autoren).

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SOZIALFORUM

Diesmal im Wendland: Diskussion gesellschaftlicher Alternativen (red.) Vom 15. bis zum 18. Oktober 2009 findet in Hitzacker im Wendland das 3. Sozialforum in Deutschland statt. Die Sozialforen bieten Menschen aus umwelt- und entwicklungspolitischen, antifaschistischen, sozialpolitischen und gewerkschaftlichen Zusammenhängen die Möglichkeit zum Austausch. Neben der Kritik herrschender Verhältnisse bildet die Diskussion gesellschaftlicher Alternativen einen Schwerpunkt. Unter den Bedingungen der schwersten Wirtschaftsund Finanzkrise seit 80 Jahren und einer Politik, die die Kosten zur Kri-

senbewältigung auf die Allgemeinheit abwälzt, erscheint eine Verständigung über Alternativen umso dringlicher. Das Sozialforum 2009 gliedert sich entlang von sieben Themenachsen: ● Solidarische Wege aus der Krise: Umverteilung, Gute Arbeit und Wirtschaftsdemokratie ● Ökologie und Energiepolitik ● Globale Friedenspolitik und ihre lokalen Konsequenzen ● Ernährungskrise und Entwicklung des ländlichen Raumes ● Internationalismus statt Nationalismus

Für das Recht auf Bildung – statt Bildung als Ware, ● Solidarische Ökonomie Wie bereits an den ersten beiden Sozialforen wird sich ver.di auch am Sozialforum 2009 beteiligen. Dazu sind alle ver.di-Mitglieder herzlich eingeladen, sich mit eigenen Ideen für Veranstaltungen einzubringen. InformationenbezüglichdesProgramms, Unterkunft und ähnlichem finden sich aufderWebsitedesSozialforums2009: http://sozialforum2009.de. Ansprechpartner in der ver.di-Bundesverwaltung ist Martin Beckmann, E-Mail martin.beckmann@verdi.de ●

Konkurrenz hilft nicht In Dänemark und Schweden ist der Staat bei der Regulierung sehr zurückhaltend. Wie kommt es, dass dort die Leiharbeit dennoch besser geschützt ist als hierzulande?

Das liegt vor allem daran, dass die Gewerkschaften in Skandinavien immer noch mächtiger sind als in Deutschland. Die Sozialpartnerschaft funktioniert dort noch.

Auch in Österreich und der Schweiz haben die Gewerkschaften viele Verbesserungen der Leiharbeit tarifvertraglich geregelt. Wie konnten sie sich durchsetzen?

Die Sozialpartnerschaft ist viel stärker, außerdem gibt es keine Konkurrenz unter den Gewerkschaften, mit denen niedrigere Standards durchsetzbar wären. In Deutschland stehen zumeist christliche Gewerkschaften in Konkurrenz zu den DGBGewerkschaften. Außerdem hat in der Schweiz der Staat geholfen und den Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt. Verlassen sich die deutschen Gewerkschaften zu sehr auf den Staat?

In Deutschland sind sie auf ihn angewiesen, weil es in der Leiharbeit drei konkurrierende Tarifverträge gibt. Zwei Arbeitgeberverbände haben sogar gemeinsam mit den DGB-Gewerkschaften die Aufnahme in das Entsendegesetz beantragt, um Mindeststandards zu verankern. Die Haltung der Bundesregierung ist hierzu allerdings gespalten.


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TARIF- UND BETRIEBSPOLITIK

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AUSBILDUNG

Buchtipp Tarifpolitik der IG Metall (JW) Jürgen Peters und Holger Gorr haben eine Dokumentensammlung zur Tarifpolitik der IG Metall herausgegeben. Sie bietet eine gut gegliederte Übersicht über Stationen der Tarifpolitik in der Metallindustrie 1918 bis 1945 und der Geschichte der Tarifpolitik der IG Metall im Zeitraum 1945 bis 2002. Damit ersparen sie Interessierten die oft mühselige Forschung im Archiv. Detaillierte Zeittafeln erleichtern die Einordnung der einzelnen Dokumente in den politischen und sozialen Kontext. Verdienstvoll sind auch die Übersichten mit ökonomischen, sozialstatistischen und organisationspolitischen Daten. Ein umfangreiches Register erleichtert den Zugriff auf einzelne Dokumente und Sachverhalte. Die Dokumentensammlung hat ihren Wert über den Organisationsbereich der IG Metall und die Metallindustrie hinaus, da sie durch die Einleitungen zu den einzelnen Zeitabschnitten gleichzeitig ein Stück Geschichte der Arbeiterbewegung präsentiert. So ist ein interessantes Nachschlagewerk für diejenigen entstanden, die der Auffassung sind, dass man aus Erfolgen und Niederlagen der Tarifpolitik lernen kann. Jürgen Peters, Holger Gorr (Hrsg.), Dokumente zur Geschichte der Tarifpolitik der IG Metall und ihrer Vorgänger, Steidl Verlag, Göttingen, 3 Bände, 3207 Seiten, 85 Euro

Junge Frauen klar im Nachteil In kleineren Betrieben werden Auszubildende meistens schlechter betreut (red.) Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hat Ende August seinen diesjährigen Ausbildungsreport vorgelegt. Fazit: Der überwiegende Teil der Auszubildenden ist mit der Qualität der Ausbildung zufrieden. Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ingeborg Sehrbrock wies jedoch bei der Vorstellung des Reports darauf hin, dass es nach wie vor Mängel gibt, teilweise sogar schwerwiegende. Dazu zählt sie unter u. a. ausbildungsfremde Tätigkeiten, die 13,4 Prozent der Befragten häufig oder immer erledigen müssen. Je größer der Betrieb, desto weniger Überstunden

Dafür spiele neben den allgemeinen Arbeitsbedingungen insbesondere die Betriebsgröße eine entscheidende Rolle. „Für den Aspekt Überstunden lässt sich das auf die Formel bringen: Je größer der Betrieb, desto weniger Überstunden für Azubis“, nannte Sehrbrock ein Beispiel. Fast 20 Prozent der Azubis in Betrieben mit weniger als zehn Beschäftigten müssen aus-

bildungsfremde Tätigkeiten übernehmen, in Betrieben mit mehr als 500 Beschäftigten sind es 6,4 Prozent. Sehrbrock verwies darauf, dass es das gute Recht der Azubis sei, sich zu beschweren. „Aber sie haben viel zu verlieren und lassen deshalb viel über sich ergehen“, so die Gewerkschafterin. Sie forderte systematische, unangemeldete Kontrollen der Kammern. Diese sollten, wenn es sein müsse, auch Sanktionen verhängen. In der Gesamtbewertung schneidet am besten der Beruf des/der Fachinformatikers/in ab. Auch bei angehenden Bank-, Industrie- und Bürokaufleuten könne man von einer überdurchschnittlich guten Ausbildung sprechen. Am Ende der Liste stehen Fachverkäufer/innen im Lebensmittelhandwerk sowie Hotelund Restaurantfachleute. Erstmals wurde bei diesem Report ausgewertet, welche Unterschiede es zwischen den Beurteilungen durch junge Männer und Frauen gibt. Erschreckendes Fazit: Frauen ziehen in der Ausbildung oft den Kürzeren. In

Berufen, in denen Frauen dominieren, werden Überstunden ihnen seltener ausgeglichen, Urlaubsanspruch und Entlohnung sind geringer.

Für den Einzelhandel gibt es neben den in „ver.di NEWS“ 10/2009 gemeldeten Tarifabschlüssen mittlerweile weitere in Baden-Württemberg, Berlin-Brandenburg, Hamburg und dem Saarland. Mehr unter www.fairheisst-mehr.de

der Kampagne „Chancen fördern – Anerkennung fordern“ an. „Wir werden die Arbeitgeber und die Politik nicht aus der Verantwortung für eine höhere Anerkennung der sozialen Berufe entlassen“, so der Gewerkschafter. Mehr unter www.chancenfoerdern.de

Klare Vorgaben sind nötig

Ein Grund sei sicherlich, so Sehrbrock, dass viele Frauenberufe überwiegend in kleinen Betrieben erlernt werden.TrotzderökonomischenZwänge dort „dürfen Frauen nicht länger dafür bestraft werden, dass sie Dienstleistungen erbringen, Menschen pflegen oder beruflich Kinder erziehen“, sagte die Gewerkschafterin. Sie forderte klare Vorgaben der Politik, um eine echte Gleichstellung von Mann und Frau in der Arbeitswelt zu erreichen. Für den Report wurden 6920 Auszubildende in den 25 meist frequentierten Ausbildungsberufen befragt. Durch die Zusammenarbeit mit dem Institut für Sozialpädagogische Forschung kann der DGB erstmalig repräsentative Daten zur Ausbildungsqualität in Deutschland vorlegen. Mehr unter www.dgb.de

TARIFLICHES

Einzelhandel (pm) Der seit 2007 dauernde Tarifkonflikt im Einzelhandel in Niedersachsen ist beigelegt. Rückwirkend zum 1. Mai 2008 werden die Löhne, Gehälter und Ausbildungsvergütungen um drei Prozent erhöht. Vollzeitbeschäftigte erhalten für das Jahr davor eine Einmalzahlung von 400 Euro. Für 2009 und 2010 wird eine so genannte Vorsorgeleistung in Höhe von jährlich 101,37 Euro gezahlt. Rückwirkend zum 1. Juli 2008 entfallen Spätzuschläge an Samstagen zwischen 15 und 18.30 Uhr. Gleichzeitig werden die für andere Bundesländer ausgehandelten Regelungen für die Zeit bis zum 30. April 2011 übernommen. Außerdem haben die Tarifparteien vereinbart, dass die niedrigste Gehaltsgruppe bis Januar 2011 von derzeit 6,56 Euro auf 7,50 Euro angehobenwird.Mehrunterhttp://ndsbremen.verdi.de/branchen_und_berufe/handel/der_einzelhandel.

Sozial- und Erziehungsdienst (pm) Die Tarifauseinandersetzung im Sozial- und Erziehungsdienst ist endgültig beendet. 55 Prozent der ver.diMitglieder aus diesem Bereich haben sich in einer Urabstimmung für das Tarifergebnis vom 27. Juli 2009 ausgesprochen („ver.di NEWS“ 11/2009). „Trotz der vorhandenen Kritik ist die Mehrheit der betroffenen Mitglieder für die Annahme des Ergebnisses“, sagte ver.di-Bundesvorstandsmitglied Achim Meerkamp. Was die Aufwertung der sozialen Berufe angehe, habe man „einen Einstieg geschafft“. Bei der Bekanntgabe des Ergebnisses kündigte er die Weiterführung

Commerzbank/Dresdner Bank (pm) Der Konzernbetriebsrat der Commerzbank hat einen Interessenausgleich zur Eingliederung der rund 20 000 Beschäftigten der Dresdner Bank abgeschlossen. Wesentlicher Bestandteil ist die Verlängerung des bestehenden Schutzes vor betriebsbedingten Kündigungen bis Ende 2013. Regelungen zu Abfindungen, Altersteilzeit und Vorruhestand wurden ebenso festgeschrieben wie Hilfen für Beschäftigte, deren Arbeitsplätze an andere Standorte verlagert werden oder deren Tätigkeitsfeld sich deutlich verändert.


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TARIF- UND BETRIEBSPOLITIK

Helga Ballauf arbeitet als Fachjournalistin in München

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ÜBERNAHME

Verhandeln und Druck machen Für die Beschäftigung nach der Ausbildung – Das Thema geht alle an (hbf) Grasgrün ist der Button: „Ich will bleiben!“ steht drauf. Nur wer genau hinschaut, erkennt das kleine rote ver.di-Rechteck. Die vornehme Zurückhaltung der Gewerkschaftsjugend beim Werben für die Übernahme nach der Ausbildung ist wohldurchdacht: Das Thema geht alle an, nicht nur ver.di-Mitglieder. Im Berliner Kaufhof am Alexanderplatz beispielweise trugen etwa 1000 Beschäftigte den Sticker mehrere Tage und signalisierten damit der Geschäftsleitung und der Kundschaft, dass sie die Azubis unterstützen und dass sie selbst Arbeitsplatzsorgen haben. „SolcheöffentlichenAktionenscheuen die Arbeitgeber – und wir können etwas bewirken“, erklärt Stefan Najda, ver.di-Jugendsekretär für den Handel. Auf der zentralen JAV-Konferenz wurde schließlich der Personaldirektor von Metro Galeria Kaufhof mit dem Thema konfrontiert. Er sagte eine Übernahmequote von 70 Prozent zu. Scheitern an der „zweiten Schwelle“

In Krisenzeiten werden bis zu 22 Prozent der Azubis nach der Prüfung arbeitslos, hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) errechnet, scheitern also an der so genannten „zweiten Schwelle“. Es gibt im Organisationsbereich von ver.di kaum tarifliche oder betriebliche Verpflichtungen zur Übernahme. Bestenfalls weiche Formulierungen wie im Manteltarif der Druckindustrie: „Auszubildende werden im Grundsatz (...) übernommen.“ Gewerkschaft, Betriebsrat und JAV müssen also verhandeln und Druck machen – jedes Jahr wieder. Der bevorstehende Nachwuchskräftemangel ist (noch) kein Argument, das Arbeitgeber überzeugt, zeigt eine kleine „ver.di-NEWS“-Umfrage. Eher schon das öffentliche Image: So übernimmt der Karstadt-Konzern, trotz Insolvenz, mehr als 400 Azubis, das sind 51 Prozent, bis über das Weihnachtsgeschäft hinaus, Entfristung nicht ausgeschlossen. „Das Signal heißt: Es geht weiter!“, sagt Stefan Najda. Der Konzern wolle verhindern,

4. JAV-Konferenz Das Ziel „Übernahme“ steht im Mittelpunkt der 4. bundesweiten JAV-Konferenz von ver.di. Vom 28. bis zum 30. Oktober treffen sich aktive Mitglieder von JAVen dazu in Erkner bei Berlin. Es geht um Themen wie Überstundenabbau und Arbeitszeitmodelle, aber auch um die Planung von Aktionen. Mehr unter: www.jav.info dass die guten Kräfte gehen und die Kundschaft ausbleibt. Die Post AG agiert anders. Im Beschäftigungspakt wurden 30 Prozent Übernahme zugesagt. Der Konzern hat dieses Jahr 477 Zusteller/innen (30,5 Prozent) eine unbefristete Vollzeitstelle angeboten, sofern sie flexibel sind. Weil tatsächlich nur in Baden-Württemberg Personal gebraucht wird, „muss sich jemand aus Greifswald in Ravensburg bewerben“, erklärt Frank Franke, Vorsitzender der Konzernjugendvertretung. Diese Lösung ist kein Ruhmesblatt für die Post, die sich in der Dax-30Runde immer besonders sozial verantwortlich gibt. Jugendsekretäre und JAV-Aktive müssen oft erst „die eigenen Leute“ überzeugen, wenn sie gute Bedingungen für Ausgelernte durchsetzen wollen. Weil Betriebsräte oft gleichzeitig gegen Entlassungen kämpfen oder mit völlig unannehmbaren Regelungen für Altersteilzeit konfrontiert sind. „Da kommt es zu Interessenskonflikten“, sagt Stefan Najda. () & $"'$*

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„Wir sagen: Alt gegen Jung, das kommt nicht in Frage!“ ver.di will, dass die nächste Bundesregierung die Regelungen für geförderte Altersteilzeit verlängert und an die Bedingung knüpft, für die Ausscheidenden ausgelernte Azubis einzustellen. Manchmal klappt es auch ohne Druck, etwa bei der Versicherungsgruppe Continental. Wer nicht ohnedies studieren will, bekommt dort nach der Lehre einen Job. 88 Prozent Übernahmequote sind möglich, sagt Betriebsratsvorsitzender Bernd Schneider, weil das Unternehmen sowohl Personal aufbaut als auch attraktive Altersteilzeitregelungen anbietet. Branche braucht gut ausgebildete Menschen

In der Energiewirtschaft Hessen ist gerade der Tarifvertrag bis März 2011 verlängert worden, der ein Jahr sichere Übernahme garantiert, mit der Chance auf Entfristung. Die Branche braucht die gut ausgebildeten Mechatroniker, die auch auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind – nicht nur in Hessen. Selbst bei der E.o Energie AG, wo gerade über Personalabbau verhandelt wird, gilt deshalb bis 2012 ein Tarifvertrag, nach dem Fachkräfte im Anschluss an die Ausbildung mindestens zwölf statt, wie zuvor, nur sechs Monate beschäftigt werden – bei 200 unbefristeten Übernahmen. „Wir haben eine Demo organisiert und mit den guten Quoten der Konkurrenz argumentiert“, berichtet Jugendvertreter Christian Hanika. &$ )%#

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Arbeitslos zum Karrierestart? Gute Chancen für Auszubildende meldete die Arbeitsagentur München im Juli: Rein rechnerisch kämen zwei Lehrstellen auf einen Bewerber. Allerdings schaue es mit der Übernahme nach der Ausbildung immer schlechter aus. Das legt zwei Gedanken nahe: Zum einen „lohnt“ es sich offenbar für viele Unternehmen gerade in der Krise, Auszubildende kostengünstig arbeiten zu lassen und ihnen nach der Prüfung die Tür zu weisen. Zum anderen müssen Gewerkschaften, Betriebsräte und JAVen sich dringend gute Argumente und Strategien einfallen lassen, wie die frisch qualifizierten Fachkräfte in den Betrieben zu halten sind. Pauschale Hinweise auf kommende geburtenschwache Jahrgänge und möglichen Nachwuchsmangel beeinflussen unternehmerisches Handeln kaum. Es sei denn, die Arbeitnehmervertretungen rechnen haarklein vor, wie viele Fachkräfte schon übermorgen in Rente gehen und eine Lücke hinterlassen. Gefragt sind betriebliche und tarifliche Lösungen, die verhindern, dass die Ausgelernten ihre berufliche „Karriere“ mit Arbeitslosigkeit beginnen. In der IG Metall wird z. B. eine neue Form der Kurzarbeit erwogen: Die jungen Arbeitnehmer/innen werden zeitreduziert beschäftigt, die Bundesagentur für Arbeit stockt das Entgelt auf, und die so bezahlte Zeit wird fürs Weiterlernen verwendet.


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RECHT

VER.DI NEWS 12 | 5. SEPTEMBER 2009

PROZESS

Buchtipp Komplexes Thema: Arbeitszeugnisse (GL) Mehr als 30 000 Klagen vor den Arbeitsgerichten beziehen sich auf Arbeitszeugnisse. Keine einfache Materie, wenn man berücksichtigt, dass Regelungen über sie in zahlreichen Gesetzen (BGB, Gewerbeordnung, Berufsbildungsgesetz, Sozialgesetzbuch III u. a.) und in Tarifverträgen verankert sind. Der praxisnahe Ratgeber „Alles über Arbeitszeugnisse“ berücksichtigt auch die Arbeitsbescheinigungen zur Vorlage bei der Agentur für Arbeit. Damit wird deutlich, dass Zeugnisse nicht nur bei Bewerbungen und Kündigungen eine Rolle spielen. Auch die Funktion des Zwischenzeugnisses kommt zur Geltung, etwa vor der Einberufung zu Wehroder Zivildienst oder im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme der Elternzeit. Der Autor befasst sich mit Form und Inhalt von Zeugnissen und mit der Zeugnissprache und beschreibt, was in ein Zeugnis gehört und was nicht. Anschaulich wird auf die Rechtsprechung bis zum Dezember 2008 hingewiesen und auf das arbeitsrechtliche Verfahren. Orientierungshilfe gibt eine kleine ZeugnisMustersammlung. Georg-R. Schulz, Alles über Arbeitszeugnisse – Form und Inhalt, Zeugnissprache, Beck-Rechtsratgeber im dtv, München, 8. Auflage, 2009, 168 Seiten, 11,90 Euro, ISBN 978-3406564598

Gericht stoppt Median-Kliniken Fristlose Entlassung des Gesamtbetriebsratsvorsitzenden zurückgewiesen (hla) Roland Thomae hat seinen Prozess gewonnen. Das Arbeitsgericht Herford wies die Klage seines Arbeitgebers ab. Der hatte dem Gesamtbetriebsratsvorsitzenden der MedianKliniken vorgeworfen, Arbeitszeiten nicht eingehalten und drei Dienstfahrten nicht korrekt abgerechnet zu haben („ver.di NEWS“ berichtete). Deswegen wollte er Thomae fristlos entlassen. Um die vermeintlichen „Taten“ nachzuweisen, hatte der Arbeitgeber eigens einen Detektiv angeheuert; selbst diese Kosten in Höhe von 13500 Euro wollte er Thomae in Rechnung stellen. Der angebliche ursprüngliche Schaden hatte 11,20 Euro betragen. Das Arbeitsgericht lehnte es jetzt ab, die fehlende Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung zu ersetzen. Dem Vernehmen nach war der Vorsitzende Richter ein wenig ungehalten darüber, dass der

Anwalt des Arbeitgebers zwar einen umfangreichen Schriftsatz vorgelegt hatte, aber nicht in der Lage war, die vom Gericht angeforderte Arbeitszeitvereinbarung vorzulegen. Deswegen entschied das Gericht, dass die Vorwürfe haltlos seien. Die Urteilsbegründung soll bis Ende des Jahres vorliegen. Dann will der Arbeitgeber entscheiden, ob er in die nächste Instanz geht. Urteilsspruch hat den Arbeitgeber sehr aufgebracht

Volker Hoppmann, zuständiger ver.diSekretär im Bezirk Herford-MindenLippe, befürchtet, dass sich die Auseinandersetzungnochweiterhinziehen wird. Als er bei einer Betriebsversammlung am Tag des Prozesses von dem Urteilsspruch berichtet habe, sei der Arbeitgebervertreter sehr aufgebracht gewesen und habe angekündigt, weiterhin „mit aller Schärfe“ ge-

gen Beschäftigte vorzugehen, wenn ein Betrugsverdacht vorliege. „Ich hoffe, dass wir bald wieder zu einer vernünftigen Umgangsweise zurückkehren können“, sagte der ver.di-Sekretär. Schließlich stehen Ende des Jahres wieder Tarifverhandlungen an. In der letzten Tarifrunde sei Roland Thomae maßgeblich an der Durchsetzung eines guten Ergebnisses beteiligt gewesen. Darin sieht Hoppmann auch einen Grund für die Angriffe des Arbeitgebers gegen den Gesamtbetriebsratsvorsitzenden. Kurz vor dem Urteilsspruch hatte der Arbeitgeber übrigens erneut versucht, Thomae zu entlassen. Angeblich gab es bei einigen als dienstlich abgerechneten Touren vor drei Jahren keinen entsprechenden Anlass. Den sollte Thomae jetzt innerhalb von kürzester Frist nachreichen. Doch er weigerte sich, was den erneuten Kündigungsversuch zur Folge hatte.

AKTUELLE URTEILE

Zum Personalgespräch muss man nicht in jedem Fall erscheinen

den. Die „Einladung“ betraf weder ihre Arbeitsleistung noch die Ordnung oder das Verhalten im Betrieb.

(bs) Ein Arbeitgeber kann nach der Gewerbeordnung „Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung“ nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung, Tarifvertrag oder Gesetz bereits festgelegt sind. Außerdem können Weisungen zur Ordnung und dem Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb vorgenommen werden. Dieses Weisungsrecht schließt nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts unter dem Aktenzeichen 2 AZR 606/08 jedoch nicht die Befugnis ein, Arbeitnehmer zur Teilnahme an einem Personalgespräch zu verpflichten, in dem es ausschließlich um eine – zuvor kollektiv von den Arbeitnehmern bereits abgelehnte – Vertragsänderung (in entschiedenen Fall zur Senkung des 13. Monatsgehalts) gehen soll. Eine einer Beschäftigten wegen ihres Nichterscheinens erteilte Abmahnung muss deshalb wieder aus der Personalakte entfernt wer-

Praxisgebühr auch für Staatsdiener (bs) Auch Beamte und ihre beihilfeberechtigten Familienangehörigen haben die (von der gesetzlichen Krankenversicherung her bekannte) Praxisgebühr von 10 Euro pro Quartal zu bezahlen entschied das Bundesverwaltungsgericht unter den Aktenzeichen 2 C 11/08 u. a. Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn seinen Beamten gegenüber werde dadurch nicht verletzt, weil es sich um eine zumutbare Belastung handele, zumal es Härteregelungen zum Beispiel für chronisch Kranke gebe.

Auch bei Krankheit Feiertagszuschläge (bs) Sieht ein Arbeitsvertrag vor, dass die Arbeitnehmer für Arbeit an Sonnoder Feiertagen steuerfreie Zuschläge erhalten, so gilt dies auch dann, wenn wegen einer Erkrankung entsprechende Arbeitstage ausfallen. Und

das selbst dann, wenn für die Arbeit an Sonn- oder Feiertagen jeweils ein „Ersatzruhetag“ gewährt wird (bei Krankheit eine entsprechend lange Zeitgutschrift). So entschied das Bundesarbeitsgericht unter dem Aktenzeichen 5 AZR 89/08.

Betriebsrat hat Anspuch auf Netzzugang (bs) Als Betreiber einer Kaufhauskette mit mehr als 300 Filialen bundesweit kann ein Arbeitgeber dem Betriebsrat einen eigenen Zugang zum Internet nicht mit der Begründung verweigern, es entspreche der Unternehmens-Philosophie, die Anzahl der PC mit Internet-Zugang aus Kostengründen und zur Vermeidung von Missbrauch gering zu halten. Das gelte auch, so das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg unter dem Aktenzeichen 12 TaBV 17/08, wenn der Betriebsrat in jeder Niederlassung ein eigenes Büro habe. Die Arbeitnehmervertreter hätten einen Anspruchdarauf,sichdievielenrelevanten Informationen zu betrieblichen Problemen aus dem Netz zu ziehen.


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VER.DI INTERN

Frank Werneke ist stellvertretender ver.diBundesvorsitzender

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S O LO - S E L B ST STÄ N D I G E

Von der Arbeit leben können „Auftraggeber in die Pflicht nehmen!“ – 30.000 ver.di-Mitglieder sind selbstständig tätig (ula) ver.di ist die Gewerkschaft der abhängig Beschäftigten und Erwerbslosen ebenso wie der Selbstständigen, lautete 2001 das klare Statement des Gründungskongresses. Rund 30.000 Selbstständige sind inzwischen ver.di-Mitglied und können hier ihre Interessen bündeln, gemeinsam handeln. Hier bekommen sie Beratung und Unterstützung bei ihren oft sehr speziellen Problemen. In ver.di organisieren und vernetzen sich die sogenannten Solo-Selbstständigen, die allein und oft abhängig von Auftraggebern arbeiten. Sie haben keine Angestellten, und ihre Einkünfte bewegen sich zwischen komfortabel und dem Existenzminimum: selbstständige Physiotherapeuten,freiberufliche Dozent/innen , Journalisten, Künstler/innen, IT-Fachleute, Kleinstdienstleister und andere. Rund 2,4 Millionen Menschen in der Bundesrepublik sind derzeit als Solo-Selbstständige erwerbstätig. Von 2002 bis 2007 war deren Zahl um ein Viertel angewachsen und steigt weiter. Oft die einzige Chance zur Erwerbstätigkeit

Sicher: Viele Selbstständige entscheiden sich bewusst und überzeugt für diese Erwerbsform. Doch gerade in den letzten Jahren senken mehr und mehr Unternehmen durch Outsourcing und den Einsatz von Honorarkräften ihre Kosten. So werden viele ehemalige Angestellte zu Selbstständigen, manche arbeiten für ihre ehemaligen Arbeitgeber – nur dass sie dafür weniger Geld bekommen und

zudem alle Risiken selbst tragen müssen. Für viele Betroffene ist die Selbstständigkeit dabei die einzige Chance zur Erwerbstätigkeit. Das ist durchaus politisch gewollt, und viele Existenzgründer/innen werden – allerdings nur in der Einstiegsphase – staatlich unterstützt. Spätestens wenn diese Förderungen auslaufen, zeigen sich die Lücken im System: Vor allem die soziale Absicherung ist für einen großen Teil der Solo-Selbstständigen finanziell nicht leistbar. Oder der Zugang zu diesen Sicherungssystemen ist ihnen versperrt. Hier will ver.di ansetzen: „Die politischen Rahmenbedingungen müssen so verändert werden, dass Selbstständige von ihrer Arbeit leben und Vorsorge fürs Alter, für den Krankheitsfall oder Auftragslosigkeit treffen können“, unterstreicht Veronika Mirschel vom Referat Selbstständige beim ver.di-Bundesvorstand. Rund 50 Expert/innen aus Wissenschaft, Politik und Institutionen diskutierten am 26. August in der Berliner ver.di-Zentrale über die wichtigsten Probleme der sozialen Sicherung von Solo-Selbstständigen und erste Lösungsansätze. Elke Hannack, im ver.di-Bundesvorstand für Sozialpolitik verantwortlich: „Wir fordern existenzsichernde Einkünfte und den Zugang zu sozialen Sicherungssystemen – für Selbstständige ebenso wie für abhängig Beschäftigte.“ Mit drei während der Tagung präsentierten Einzelfällen wurde deutlich, wie prekär die Situation für Einzelunternehmerinnen wird, wenn sie z. B. die Bei-

träge zur Krankenversicherung nicht mehr bezahlen oder keinerlei Altersvorsorge betreiben können. „Die Sozialgesetzgebung ist noch immer am Normalarbeitsverhältnis ausgerichtet“, erläuterte Veronika Mirschel, zudem würden „die Risiken von den Auftraggebern auf die Selbstständigen verlagert.“ Pflichtabgaben der Auftraggeber denkbar

In drei Workshops diskutierten die Teilnehmer/innen zu den Themen Krankenversicherung, Altersversorgung und Arbeitslosenversicherung und erarbeiteten Lösungsvorschläge. In der AbschlussrundeimPlenumwurdedeutlich, dass die Kernprobleme auf allen drei Feldern ähnlich gelagert sind: „Wir müssen erreichen, dass die Auftraggeber in die Pflicht genommen werden“, resümierte DGB-Bundesvorstandsmitglied Annelie Buntenbach. So seien Pflichtabgaben der Auftraggeber zur Sozialversicherung – ebenso wie für Angestellte durch den Arbeitgeber – denkbar. Die derzeit bis 2010 befristete freiwillige Arbeitslosenversicherung für Selbstständige müsse unbefristet fortgeführt und der Zugang für alle Selbstständigen ermöglicht werden. Ebenso müsse dafür gesorgt werden, dass sich die seit April 2007 bzw. Januar 2009 bestehende Krankenversicherungspflicht für alle Solo-Selbstständigen an deren tatsächlichen Einkünften orientiere, damit sie bezahlbar sei und bei einer Anmeldung nicht rückwirkend erhoben würde.

SOLO-SELBSTSTÄNDIGE II

Gewerkschaftsrat beschließt selbstständigenpolitisches Programm (ula) Ein selbstständigenpolitisches Programm verabschiedete der ver.diGewerkschaftsrat auf seiner Sitzung im Juni. „ver.di stellt sich dem Wandel der Arbeitswelt“, so die klare Positionierung in der Präambel. Neben Forderungen zur sozialen Absicherung und angemessenen Bezahlung selbstständig erbrachter Leistungen enthält das Programm das Bekenntnis zur gewerkschaftlichen Organisa-

tion von Solo-Selbstständigen. ver.di will ihre Vernetzung ermöglichen und das solidarische Handeln von betriebsgebundenen und selbstständig tätigen Mitgliedern unterstützen. Das gesamte Programm findet sich im Internet unter www.freie.verdi.de/akti ve_selbststaendige/selbststaendigen_ programm. Konkrete Hilfe für Solo-Selbstständige bietet ver.di insbesondere mit

dem Beratungsnetzwerk „mediafon“, bei dem alle Selbstständigen – ver.diMitglieder kostenlos – per Internet oder Telefon Fragen stellen und sich von Experten zu allen Fragen rund um ihre selbstständige Tätigkeit beraten lassen können. Umfassende Informationen für Selbstständige finden sich auch auf www.mediafon.net und unter http://selbstständige.ver di.de.

INTERVIEW

Abhängig und schutzbedürftig ver.di nennt sich auch „Gewerkschaft der Selbstständigen“. Wandelt sich die Organisation von der Arbeitnehmer- zur Unternehmer-Vertretung?

Natürlich nicht. Aber wir müssen die einzeln arbeitenden Selbstständigen einbeziehen. Damit leisten wir einen Beitrag zur Zukunftsfähigkeit von ver.di. Die Zahl der zumindest zeitweilig Selbstständigen nimmt kontinuierlich zu. Viele von ihnen sind von Auftraggebern so abhängig – und ihnen gegenüber genau so schutzbedürftig – wie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von ihren Arbeitgebern. Wir wollen ihnen eine Stimme geben. Wie soll das gehen bei 30 000 überwiegend allein arbeitenden Mitgliedern?

Wir haben für sie als einzige DGB-Gewerkschaft eigenständige Strukturen und Angebote aufgebaut: Sie sollen sich untereinander austauschen, informieren und gemeinsam artikulieren können und ihre Interessen in ver.di einbringen. Nutzt ver.di für diese Mitglieder andere und neue Instrumente?

Es gibt einige wenige Bereiche, in denen wir Kollektivverhandlungen führen können. Wir müssen vor allem politisch Druck ausüben, wenn Gesetze zu Problemen für diese Kolleginnen und Kollegen führen. Wir bieten auch virtuelle Plattformen und Veranstaltungen, auf denen sie sich treffen können.


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PVST DEUTSCHE POST AG, A58247

E N T G E LT B E Z A H LT

VER.DI-BEZIRK

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BUNTE WIESE

DER BUCHTIPP

Politiker ohne Basis Die flüchtige Macht begabter Individualisten – Quereinsteiger aus sechs Jahrzehnten

SEITENEINSTEIGER Robert Lorenz, Matthias Micus (Herausgeber), Unkonventionelle Politiker-Karrieren in der Parteiendemokratie, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2009, 512 Seiten, 49,90 Euro, ISBN 978-3531164830

7IMPRESSUM VER.DI-NEWS ERSCHEINT 14-TÄGLICH HERAUSGEBER VEREINTE DIENSTLEISTUNGSGEWERKSCHAFT VER.DI, FRANK BSIRSKE, VORSITZENDER CHEFREDAKTION DR. MARIA KNIESBURGES REDAKTION HEIKE LANGENBERG (VERANTWORTLICH), HENRIK MÜLLER L AY O U T HELMUT MAHLER INFOGRAFIK KLAUS NIESEN C A R TO O N THOMAS PLASSMANN DRUCK ALPHA PRINT MEDIEN AG, DARMSTADT ADRESSE REDAKTION VER.DI-NEWS, PAULA-THIEDE-UFER 10, 10179 BERLIN, TEL.: 0 30 / 69 56 10 69, FAX: 0 30 / 69 56 30 12, VERDI-NEWS@VERDI.DE WWW.VERDI-NEWS.DE

Hinweis: Die Ausgabe 13 erscheint am19.Sept.2009.

Was haben Angela Merkel, Ludwig Erhard und Walter Riester gemeinsam? Sie waren Seiteneinsteiger in der Politik. Jedenfalls nach der Definition der Göttinger Politikwissenschafter Robert Lorenz und Matthias Micus. Die besagt im Wesentlichen, dass diesen Quereinsteigern die Verankerung an der – parteipolitischen – Basis fehlt. Einige sind Parteimitglied, andere stehen einer nahe, ohne ihr beigetreten zu sein. Aber sie haben die so genannte „Ochsentour“ ausgelassen, um in höhere politische Ämter zu gelangen. Die zu erreichen, war zunächst auch gar nicht die Priorität ihn ihrer Lebensplanung. Sie sind dazu berufen worden, meist von Spitzenpolitikern, die ihre Unabhängigkeit und ihre fachliche Kompetenz schätzten. Diese Abkürzung auf dem Weg ins Amt kann Fluch und Segen sein. Einigen ist es gelungen, sich durchzusetzen, sich schnell im Alltag eines poli-

tischen Amtes zu behaupten und eigene Seilschaften zu bilden. Dazu zählen sicherlich Matthias Platzeck, mittlerweile brandenburgischer Ministerpräsident und zeitweise SPDVorsitzender, oder der ehemalige FDPVorsitzende Klaus Kinkel, der als Minister auch erfolgreicher war denn als Parteipolitiker. Andere haben versucht, sich ihre Unabhängigkeit zu bewahren, die sie zum Beispiel als Wissenschaftler genossen haben – und sind an fehlendem Rückhalt gescheitert, spätestens dann, wenn der Einfluss des Förderers zum Einfluss nachgelassen hat. In diese Kategorie gehört unter anderem die ehemalige Familienministerin Ursula Lehr. Die Autoren Lorenz und Micus widmen insgesamt 19 Politikern und vier Politikerinnen je ein ausführliches Kapitel. Dass sie unter anderem Ursula von der Leyen, die durch ihr Elternhaus politisch geprägt ist und ein kurzes Intermezzo in der Kommunal-

PREIS

T SE H I L F E TAERRBME I N

Wie passen die Männer und Frauen zusammen? Auf die Frage sollen Bilder eine Antwort geben, die der ver.diBereich Genderpolitik im Rahmen eines Fotowettbewerbs sucht. Die Motive sollen Paarbeziehungen aussagekräftig darstellen – egal, ob positiv oder negativ, egalitär oder hierarchisch, im Haushalt, im öffentlichen Leben oder bei der Arbeit. Eingereicht werden können die Fotos digital bis zum 30. September 2009 unter http://fotowettbewerb-verdi.de. Auf der Site finden sich auch die einschlägigen technischen Details. Eine Jury aus Profi-Fotograf/innen und Gender-Expert/innen sucht drei Preisträger aus, die 1500, 1000 bzw. 500 Euro erhalten. Die 50 besten Fotos werden vom 19. bis 23. Oktober 2009 in der Berliner ver.di-Zentrale ausgestellt. Die Preisverleihung findet im Rahmen der Vernissage am 19. Oktober statt.

Am 12. September 2009 ruft ver.di nicht nur bundesweit zu Aktionen für den Mindestlohn auf (www.mindestlohn09.de), sondern auch zur Demonstration „Freiheit statt Angst – Stoppt den Überwachungswahn“. Sie zieht um 14 Uhr vom Potsdamer Platz aus durch Berlin, Abschluss ist eine Protestkundgebung vor dem Roten Rathaus. Protestiert wird auch gegen die zunehmende Überwachung am Arbeitsplatz. Mehr unter www.frei heitstattangst.de Was erwarten wir von den Parteien nach der Bundestagswahl 2009? Diese Frage beantwortet und diskutiert der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske mit Interessierten in einer Veranstaltung in der ver.di-Reihe „Sichtweisen“ am 17. September 2009 um 18 Uhr in der Berliner ver.di-Zentrale. Mehr unter http://sichtwei sen.verdi.de

politik gegeben hatte, oder Paul Kirchhof, der im Wahlkampf 2005 als Schattenminister der CDU aktiv war, hinzuzählen, zeigt die Bandbreite der ausgewählten Personen. Dadurch werden die verschiedenen Facetten des Seiteneinstiegs deutlich – und das vom Bestehen der Bundesrepublik an. Entstanden ist so ein interessantes, gut zu lesendes Buch über ungewöhnliche politische Karrieren. Zum Abschluss analysieren die Autoren die „flüchtige Macht begabter Individualisten“. Darin zeigen sie noch einmal deren Unterschiedlichkeit auf, stellen aber auch Gemeinsamkeiten fest. Zum Beispiel die, dass ihnen politische Qulifikationen hinsichtlich Kommunikationskultur, Arbeitsweise und Verständnisses von Institutionen fehlen. Das muss kein Nachteil sein. Es kommt nur darauf an, wie man diese Unbedarftheit für sich wendet. HEIKE LANGENBERG

Vom 28. bis 30. September 2009 findet in Diyarbakir (Südosttürkei) ein internationales Sozialforum im Mittleren Osten statt: Das Mesopotamische Sozialforum (MSF) wird von mehr als 180 Gruppen und Organisationen, Gewerkschaften, Parteien und Kommunalverwaltungen aus der Türkei getragen. Die Organisatoren rufen auch Aktive des Europäischen Sozialforums zur Teilnahmeauf.Mehrunterwww.internationalamed-camp.org

Gute Reise II „Als ich Bundeskanzlerin wurde, habe ich mir erst mal einen Globus gekauft.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor Auszubildenden über die Notwendigkeit, die Welt kennenzulernen


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