Christa Englinger / Christian Hlavac 99 Fragen zu Ăśsterreichischen SehenswĂźrdigkeiten
Christa Englinger Christian Hlavac
99 FRAGEN ZU ÖSTERREICHISCHEN SEHENSWÜRDIGKEITEN
1. Auflage 2015 © Carl Ueberreuter Verlag, Wien 2015 ISBN 978-3-8000-7613-0 Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden. Covergestaltung: BoutiqueBrutal.com Coverfoto: Pallas-Athene-Brunnen, Wien © Orietta Gaspari / iStockphoto.com Satz: Strobl, Satz·Grafik·Design, Neunkirchen Druck und Bindung: Druckerei Theiss, St. Stefan im Lavanttal www.ueberreuter-sachbuch.at
Inhalt GEOGRAPHIE 1. Wo steht der Stein, der den geographischen Mittelpunkt Österreichs markiert? 2. Wie viele Badewannenladungen Wasser stürzen pro Sekunde über die höchsten Wasserfälle Österreichs? 3. Welche Sehenswürdigkeit wechselte im Jahr 2014 das Bundesland? 4. Wo gibt es in Österreich Salzpflanzen? 5. Was macht den Großglockner aus geologischer Sicht so besonders? 6. Liegt Ybbs bei einem niedrigeren Stromkilometer der Donau als Wien? 7. Wo kann in Österreich Gold geschürft werden? 8. Welchen See kann man zu Fuß durchqueren? 9. Wann entstand die Eisriesenwelt in Werfen? 10. Von welchem beliebten Aussichtsberg sind rund 240 Alpengipfel in vier verschiedenen Ländern zu sehen? 11. Ist die Grazer »Murinsel« tatsächlich eine Insel? 12. In welchem Bundesland begann die Geschichte des größten Nationalparks Mitteleuropas? 13. Welches österreichische Tal ist nur von Deutschland aus zugängig? KULTUR 14. Welches Stift spielt in Umberto Ecos Roman »Der Name der Rose« eine wichtige Rolle? 15. Wo befand sich der berühmte Genter Altar Mitte des 20. Jahrhunderts? 16. Woher ertönt der Ruf »Jedermann« während der Salzburger Festspiele? 17. Wie heizt man in »Dörfern ohne Rauchfang«? 18. Was warf der heilige Domitian der Legende nach in Kärntens tiefsten See? 19. Welche Wolke zieht seit 1979 über Linz? 20. Wo leben die »Brüder«, die 2008 mit ihrer CD in die Top Ten der englischen Hitparade kamen? 21. In welchem Gebäude führte die Literatin Berta Zuckerkandl ab 1907 ihren Salon? 22. Was trägt die Mariazeller Gnadenmutter?
9 10 12 13 14 16 17 19 20 21 22 24 25
27 28 30 31 32 34 35 37 38
23. Welche Baustelle steht im Mittelpunkt von Elfriede Jelineks Drama »Das Werk«? 24. Warum konnte man im Steinbruch St. Margarethen schon des Öfteren Elefanten sehen? 25. Welches Stift wollte Kaiser Karl VI. nach dem Vorbild des Escorial bei Madrid zu einem weltlichen und geistlichen Machtzentrum ausbauen lassen? 26. Stand Mozarts Geburtshaus in Österreich? 27. Aus welchem Anlass wurde in Schloss Hof das letzte große Fest der Barockzeit veranstaltet? 28. Warum wurde der Sarkophag Joseph Haydns im Mausoleum der Eisenstädter Bergkirche 1954 geöffnet? 29. Auf welchem Bahnhof befindet sich eine Gedenktafel für James Joyce? 30. Wo liegt der Rittergau? 31. Aus welcher Zeit stammt das älteste Buch im größten klösterlichen Bibliothekssaal der Welt? 32. Wo wächst das »Goldene Krauthappel«?
40 41 43 44 46 47 49 50 52 53
GESCHICHTE 33. Wo liegt die Dame begraben, die vermutlich den Habsburgern ihre markante Unterlippe vererbt hat? 56 34. Warum verließ der Klagenfurter Lindwurm 1972 seinen Platz? 57 35. Welche »Republik« wurde 1976 in Niederösterreich gegründet und liegt heute in der Bundeshauptstadt Wien? 59 36. Warum fand man im Schloss Rosenau bei Restaurierungsarbeiten Winkel und Zirkel als Wandverzierungen? 60 37. Wessen sterbliche Überreste ruhen in der Innsbrucker Hofkirche? 61 38. Wohin führten Feldmarschall Radetzky seine Spielschulden? 63 39. Welche Brücke wurde Ende der 1950er-Jahre zum Symbol für Freiheit? 65 40. Warum kamen die Lipizzaner nach Piber? 66 41. Wo wurde der englische König Richard Löwenherz im 12. Jahrhundert festgehalten? 68 42. Welche Rolle spielten die »Hausberge« der Wiener bei der Belagerung der Stadt durch die Osmanen? 69 43. Zu welchem Anlass wurde das »Goldene Dachl« in Innsbruck erbaut? 71 44. Wo wurde im 17. Jahrhundert der größte Hexenprozess der Steiermark geführt? 72 45. Wie alt ist der Jüngling vom Magdalensberg? 74 46. Wo ist Österreichs erste Fußbodenheizung zu bewundern? 75 47. In welcher Funktion wird die Burg Hochosterwitz in Dokumenten aus dem 12. Jahrhundert erwähnt? 77
48. Wo feierte Kaiser Franz Joseph I. fast jedes Jahr seinen Geburtstag? 78 49. Wie viele Stiere hielten die Salzburger der Legende nach während der Belagerung im 16. Jahrhundert in ihrer Festung? 79 50. Welcher Gemeindebau ist der längste Wiens? 81 MUSEEN UND AUSSTELLUNGEN 51. Wo befindet sich die weltweit einzige Knopflochsammlung? 52. In welchem Gebäude kann jeder die Wiener Philharmoniker dirigieren? 53. Woher hat das »Lentos Kunstmuseum« seinen Namen? 54. Wo gibt es in Wien einen Speisenträger mit drei Beinen? 55. Muss man nach Wien kommen, um den Stephansdom zu sehen? 56. Wo lebt in Österreich ein Riese? 57. Worauf sitzt man heute im Innenhof der ehemaligen Hofstallungen in Wien? ARCHITEKTUR 58. Wo steht in Wien die »versunkene Kiste«? 59. Warum hat Schloss Eggenberg ausgerechnet 365 Außenfenster? 60. Woher kommen Teile des Söllers der Burg Kreuzenstein? 61. Aus welchem Land stammte der Bauherr von Schloss Porcia? 62. Wodurch zeichnet sich die Wotruba-Kirche in Wien aus? 63. Von welchem Bauwerk in Innsbruck kann man abheben? 64. Wie heißt der Architekt des Hundertwasserhauses? 65. Was ist das Besondere an der St. Nikolauskirche in Matrei? 66. Wozu dienten die Türme, die in Wien im Augarten, im Arenberg- und im Esterházypark erbaut wurden? VERKEHR UND TECHNIK 67. Wohin führt die längste gerade Treppe Europas? 68. Auf welchen Berg kriecht ein überdimensionaler Salamander? 69. Wo lag das größte mittelalterliche Silberbergwerk der Welt? 70. In welchen Städten kann man die Himmelstreppe besteigen? 71. Welche Straße in Österreich wird jedes Jahr unabhängig vom Wetter für mehrere Monate gesperrt? 72. Auf welchen Berg führt Österreichs erste Personenseilbahn? 73. Wo kann man an der ältesten Pipeline der Welt entlangwandern? 74. Seit wann fahren Züge auf der ersten normalspurigen Hochgebirgsbahn der Welt? 75. Welcher Berg hat die weltweit höchste Dichte an technischen Aufstiegshilfen?
83 84 86 87 89 90 91
94 95 96 98 99 101 102 103 105
107 108 109 111 113 114 116 117 119
GASTLICHKEIT 76. Wie viele Sitzplätze hat der größte Biergarten Österreichs? 77. Wer führte die Tradition des Kaffeetrinkens in Wien ein? 78. Wo wurde 1905 ein Weinkeller angelegt, um Weine für offizielle Empfänge der Stadt Wien zu lagern? 79. In welchem Tiroler Luxushotel hat eine der größten karitativen Einrichtungen des Alpenraumes ihren Sitz? 80. Oberhalb welchen Heurigenortes stand einst eine Skisprungschanze? POTPOURRI 81. In welchem Schloss kann man einen Zwerg beim Verrichten seiner Notdurft beobachten? 82. Was bedeuten die Buchstaben auf der Wetterfahne der Orangerie im Eisenstädter Schlosspark? 83. Wo finden die österreichischen Bundespräsidenten ihre letzte Ruhe? 84. Kann man den »steirischen Brotlaib« essen? 85. Was tragen vier Schildkröten in Schönbrunn? 86. Welcher Kärntner Berg bietet sowohl auf seiner Anhöhe als auch in seinem Inneren eine Sehenswürdigkeit? 87. Woher hat der größte Markt Wiens seinen Namen? 88. Warum gibt es den Linzer Hauptplatz zweimal? 89. In welchem Kinofilm spielt das Wiener Kanalsystem eine Rolle? 90. Welches Stift beherbergt die älteste Wetterstation Österreichs? 91. Wo steht vor einem Wiener Barockpalais die Statue eines russischen Soldaten? 92. In welcher Parkanlage empfiehlt sich auch bei Sonnenschein die Mitnahme eines Regenschirms? 93. Wohin geht man, wenn man zum »Zahnwehherrgott« beten möchte? 94. In welcher Stadt kann man einen Weihnachtsmarkt nach dem Motto »Drüber und drunter« besuchen? 95. Wie lange ist die Allee südlich des ersten österreichischen Vergnügungsparks? 96. Muss man Senn sein, um in die Sennschule gehen zu dürfen? 97. Welcher Wiener Park ist bekannt für seine zahlreichen Künstlerdenkmäler? 98. Warum liest so mancher die Zeit am Grazer Uhrturm falsch ab? 99. Wohin pilgert man, um das berühmteste Pferd Österreichs zu besuchen? AUSWAHLBIBLIOGRAPHIE
121 122 124 125 126
128 129 130 132 134 135 137 138 139 141 142 144 146 147 148 150 151 153 155 157
Geographie
1.
Wo steht der Stein, der den geographischen Mittelpunkt Österreichs markiert?
Im Mittelpunkt stehen wir alle gerne. Doch wer kann schon mit Amt und Siegel von sich behaupten, tatsächlich der Mittelpunkt zu sein? Um diese Frage für Österreich zu beantworten, veranstaltete Die Große Österreich Illustrierte 1949 ein Preisausschreiben, in dem alle Österreicher dazu aufgefordert wurden, den geographischen Mittelpunkt ihres Landes zu bestimmen. Es gibt verschiedene Methoden, um diesen Punkt zu ermitteln. Eine davon ist die sogenannte Diagonallösung oder Schnittpunktermittlung, bei der man den nördlichsten mit dem südlichsten und den westlichsten mit dem östlichsten Punkt auf der Landkarte verbindet. Den Mittelpunkt findet man im Schnittpunkt dieser beiden Geraden. Eine andere Möglichkeit ist die Anwendung der Schwerpunktmethode, bei der man sich dem Punkt mechanisch durch Ausbalancieren nähert. Diese Variante wählten Teilnehmer aus Bad Aussee: Sie klebten eine Landkarte Österreichs auf eine Sperrholzplatte, sägten sie entlang der Grenzen sorgfältig aus und balancierten die Platte schließlich so lange auf einer Nadelspitze, bis sie im Gleichgewicht war. Und siehe da: Die Nadel steckte in Bad Aussee. Nach einem Gutachten der Wiener Universität bestätigte Die Große Österreich Illustrierte den Anspruch Bad Aussees, der Mittelpunkt Österreichs zu sein. Am 24. September 1949 fand in der steirischen Marktgemeinde ein offizieller Festakt mit dem Filmstar Maria Andergast statt. 1989 wurde zur 40. Wiederkehr dieses Festes im Kurpark von Bad Aussee feierlich ein neues Denkmal enthüllt: der Mittelpunktstein. Auf dem Monument ist eine Bronzescheibe angebracht, die den Mittelpunkt Österreichs symbolisiert; darü9
Kultur
14.
Welches Stift spielt in Umberto Ecos Roman »Der Name der Rose« eine wichtige Rolle?
In seiner »Nachschrift zum Namen der Rose« verrät Umberto Eco ein Geheimnis. Ursprünglich sollte sein 1980 auf Italienisch erschienener Roman »Adson von Melk« heißen, benannt nach der Erzähler-Figur des im 14. Jahrhundert angesiedelten Werkes. Der junge Mönch aus dem Benediktinerkloster Melk ist neben dem Franziskaner William von Baskerville die zweite fiktive Hauptfigur des Romans. Adson begleitet William als junger Gehilfe und Schüler und nimmt zugleich die Rolle des Ich-Erzählers ein, der als greiser Mönch am Ende seines Lebens »die denkwürdigen und entsetzlichen Ereignisse« niederschreibt, »deren Zeuge zu werden mir in meiner Jugend einst widerfuhr«. Die Handlung spielt in einem fiktiven italienischen Benediktinerkloster, das im Vergleich zum heutigen barocken Stift Melk deutlich kleiner und ohne Prunk war. Auch wenn das Kloster in Melk vor dem Umbau zu einer mächtigen barocken Anlage in der ersten Hälfte des 18. Jahrhundert unscheinbarer war als heute, dominierte es über Jahrhunderte die Landschaft jenes Gebietes, von dem das heutige Österreich vor über 1 000 Jahren seinen Ausgang nahm. Auf einem steil abfallenden Felsplateau über der Donau wuchs in einem Zeitraum von über 600 Jahren aus der Babenbergerburg und der Grablege des Landesheiligen Koloman ein in sich geschlossener Klosterkomplex. Die Geschichte des Klosters beginnt beim Babenberger Leopold I., der 976 als Markgraf mit dem Gebiet des heutigen südwestlichen Niederösterreich belehnt wurde. Er machte die Burg in Melk zu seiner Residenz. 1089 übergab Markgraf Leopold II. die Burg Benediktinermönchen aus Lambach (Oberösterreich). 27
Geschichte
33.
Wo liegt die Dame begraben, die vermutlich den Habsburgern ihre markante Unterlippe vererbt hat?
»Habsburger Lippe« nennt man die stark ausgeprägte Unterlippe, die zwei Drittel der Mitglieder der Familie Habsburg bis ins 18. Jahrhundert besaßen. Über die Herkunft dieser markanten Lippe gibt es mehrere Theorien: Sie könnte bereits von Rudolf I. oder von Johanna von Pfirt, der Mutter Rudolfs IV. des Stifters, stammen. Auch König Albrecht II. würde als Vater der »Habsburger Lippe« infrage kommen. Allerdings starben diese Linien der Habsburger bald aus. Überlebt hat die »leopoldinische Linie«, die Nachkommen Herzog Leopolds III. Leopolds Sohn, Herzog Ernst I. der Eiserne, war mit Cimburgis von Masowien verheiratet. Und ebendiese Cimburgis soll ihren Nachkommen die markante Unterlippe vererbt haben. Cimburgis, 1397 in Warschau als Tochter des polnischen Herzogs Siemowit von Masowien geboren, wurde durch ihre Heirat mit Herzog Ernst I. Herzogin von Österreich. Der älteste Sohn des Paares war Friedrich V., der als Friedrich III. Kaiser des Heiligen Römischen Reiches wurde. Er war Vater des berühmten Kaisers Maximilian I. Cimburgis war zu ihrer Zeit für ihre Schönheit und außergewöhnliche Stärke berühmt. Im Jahr 1429 starb sie in Türnitz vermutlich auf der Rückfahrt von einer Pilgerreise nach Mariazell und wurde im Zisterzienserstift Lilienfeld beigesetzt. Neben Cimburgis ruhen auch zwei Babenberger im Stift Lilienfeld: Herzog Leopold VI. der Glorreiche und seine Tochter Margarethe von Österreich. Leopold VI. hatte die Zisterzienserabtei im Jahr 1202 gestiftet und sie von Mönchen aus Heiligenkreuz besiedeln lassen. 56
Museen und Ausstellungen
51.
Wo befindet sich die weltweit einzige Knopflochsammlung?
Es wird Sie vielleicht wundern, dass es im kleinen Weinviertler Ort Herrnbaumgarten im Nordosten Niederösterreichs ein »Denkmal für den Vogel Strauß« gibt. Die gleich lautende Inschrift steht auf dem Kopf. Das Monument spielt damit auf das geflügelte Wort von der »Vogel-Strauß-Politik« an. Dies ist aber nicht die einzige Kuriosität im – per Eigendefinition – »ver-ruckten« Ort Herrnbaumgarten. Denn unweit des Denkmals befindet sich das wahrscheinlich eigenwilligste Museum Österreichs mit etwas ungewöhnlichen Ausstellungsstücken, wie zum Beispiel einem Schlüssel, mit dem man eine Violine absperren und dann sorgenfrei ausgehen kann. Dass nach dieser Absperrvorrichtung der Violinschlüssel benannt wurde, ist jedoch eine bösartige Unterstellung, oder nicht? Aufstellungsort dieser Erfindungen ist das Nonseum des »Vereins zur Verwertung von Gedankenüberschüssen«. Diametral zum Nützlichkeitswahn der Gegenwart bekennen die Ausstellungsmacher offen und ehrlich: Das Nonsens-Museum nützt wirklich niemandem, das aber sehr gewissenhaft und mit viel Liebe. Aufbauend auf der 1984 durchgeführten »1. Österreichischen Nonsens-Erfindermesse« startete das eigenwillige Museum 1994 mit bescheidenen 250 nutzlosen Erfindungen auf 250 Quadratmetern Fläche. Die positive Besucherentwicklung führte 1997 zur Einbeziehung eines Stadels und 2012 zu einem 350 Quadratmeter großen Zubau. Heute können in diesem einzigartigen Museum über 450 Ausstellungsstücke bestaunt werden, darunter auch die weltweit einzige Sammlung von »Knopf-Löchern«, die logischerweise aus Luft bestehen. Weitere nutzlose Erfindungen im Nonseum 83
Architektur
58.
Wo steht in Wien die »versunkene Kiste«?
Über Geschmack und somit auch über Architektur lässt sich trefflich streiten. Ein Beispiel für eine Diskussion über die »Schönheit« eines Gebäudes ist die Wiener Staatsoper, die heute zu den renommiertesten und größten Opernhäusern Europas zählt. Der Bau ist ein Produkt seiner Zeit, des romantischen Historismus, in dem Formen und Elemente aus verschiedenen Epochen und Ländern gleichzeitig eingesetzt wurden. Den Architektenwettbewerb zum Bau der Oper, ausgelobt 1860, gewannen die Architekten August Sicard von Sicardsburg und Eduard van der Nüll. Schon während der Bauphase regte sich Widerstand gegen das Aussehen des Gebäudes. Die Kritik der Presse wurde lauter, als das Niveau der Ringstraße um einen Meter angehoben wurde und die – für einen »imperialen« Bau anscheinend notwendige – Treppe vor dem Haupteingang, die die beiden Architekten allerdings gar nicht vorgesehen hatten, verschwand. »Versunkene Kiste« und »Königgrätz der Baukunst« – in Anspielung auf die militärische Niederlage gegen die Preußen – nannten manche Journalisten die neue Oper. Sogar Kaiser Franz Joseph I. soll sich kritisch zur Architektur der Oper geäußert haben. Da der »Ziegelbaron« Heinrich Drasche direkt gegenüber der Staatsoper den »Heinrichshof« errichten ließ, kam auch die auf Fernwirkung ausgerichtete Fassade an der Ringstraße nicht ganz zur Geltung. Inwieweit die Legende stimmt, dass die Kritik den Architekten Eduard van der Nüll am 3. April 1868 in den Freitod trieb, wird wahrscheinlich nie restlos geklärt werden können. Knappe zehn Wochen später starb sein Kollege August Sicard von Sicardsburg, wahrscheinlich an Tuberkulose. Somit erlebte 94
Verkehr und Technik
67.
Wohin führt die längste gerade Treppe Europas?
Wer die als längste Treppe der Welt bezeichnete Treppe sehen möchte, muss in die Schweiz, ins Berner Oberland, fahren: Sie führt entlang der Niesenbahn (längste Standseilbahn Europas) und weist 11 674 Stufen auf. Diese gigantische Treppe ist nur einmal im Jahr zugänglich – beim »Niesen-Treppenlauf«. Die Anfahrt, um die längste gerade Treppe in Europa kennenzulernen, ist um einiges kürzer, und zwar geht es nach Partenen im Vorarlberger Montafon. Von diesem Ort führt die Vermunt-Seilbahn zur Bergstation Trominier. Parallel zur Seilbahn verläuft noch heute die ehemalige Wartungstreppe. Die Geschichte der Seilbahn und der Treppe hängt mit der Nutzung des Wassers für die Erzeugung von Strom zusammen. Die Illwerke AG errichtete für den Bau der Kraftwerksanlagen an der obersten Ill das sogenannte Werk Vermunt, mehrere Standseilbahnen und Schrägaufzüge. Der Schrägaufzug Partenen–Trominier sollte die nicht wintersichere Passage der Silvrettastraße – der heutigen Silvretta-Hochalpenstraße – überbrücken. Der Aufzug verlief direkt neben der Falldruckleitung zum Vermunt-Krafthaus in Partenen. Die 1928 fertiggestellte Anlage wurde ab der Inbetriebnahme des Kraftwerks Vermunt (1930) nur noch für Wartungszwecke verwendet. Aufgrund der hohen Nachfrage von Touristen öffneten die Illwerke den Aufzug 1959 jedoch für den Besucherverkehr. Bei der Erneuerung des Kraftwerkes 1994 wurde der Aufzug durch eine Seilschwebebahn ersetzt. Diese dient sowohl dem Personenverkehr – im Sommer für Wanderer, im Winter für Besucher des Skigebiets auf der Bielerhöhe – als auch dem Materialtransport zu den Kraftwerken. Vom ehemaligen 107
Gastlichkeit
76.
Wie viele Sitzplätze hat der größte Biergarten Österreichs?
Österreich hat nicht nur eine lange Biertradition, sondern europaweit gesehen eine überdurchschnittlich hohe Dichte an kleinen und größeren Brauereien. Einige davon sind noch oder schon wieder unabhängig und befinden sich in einheimischer Hand. Manche von ihnen haben sich der Initiative »Die Freien Brauer« angeschlossen. Dieser Verband ist eine Kooperation von derzeit 41 mittelständischen Privatbrauereien in Deutschland, Österreich, Luxemburg und den Niederlanden, die sich das Ziel gesetzt haben, die Biervielfalt und Bierkultur zu erhalten. Als Mitglieder sind beispielsweise die Privatbrauerei Zwettl (Niederösterreich), die Brauerei Hirt (Kärnten) sowie die Stieglbrauerei (Salzburg) zu nennen. Letztere ist auch mit 25 Prozent am »Augustiner Bräu Kloster Mülln« beteiligt. Die anderen Eigentümer sind zu 50 Prozent die Salzburger Benediktinerabtei Michaelbeuern und zu 25 Prozent die Südtiroler Brauerei Forst. Ungewöhnlich ist, dass ein emeritierter Abt des Klosters Michaelbeuern Geschäftsführer der Brauerei ist. Zu ihr gehört das weitläufige Müllner »Bräustübl« mit großem Gastgarten, der als Österreichs größter Biergastgarten gilt. Angeboten werden in der Brauerei auch Führungen, bei denen sechs Stationen der 16 Wochen dauernden Bierherstellung gezeigt werden: Sudhaus, Kühlschiff, Gärkeller mit offenen Gärbehältern, Lager-, Filter- und Fasskeller. Der jährliche Bierausstoß beträgt derzeit etwa 9 500 Hektoliter. Zum Vergleich: Die größte in Privatbesitz befindliche Brauerei Österreichs, Stiegl, produziert im Jahr rund eine Million Hektoliter Bier. Bevor die Brauerei 1621 gegründet wurde, war hier zwischen 1465 und 1525 ein Kollegiatstift der Augustiner-Chor121
Potpourri
81.
In welchem Schloss kann man einen Zwerg beim Verrichten seiner Notdurft beobachten?
Anfang des 21. Jahrhunderts trafen mehrere Jahre hindurch Nanologen zu Kongressen im Waldviertel zusammen. Der Blick der Zwergenforscher richtete sich auf die Sammlung barocker Zwerge im Greillensteiner Schloss, das nicht unweit von Stift Altenburg und der Rosenburg am Kamp liegt. Seit 1534 ist das Greillensteiner Anwesen im Besitz des Grafengeschlechts Kuefstein, dessen Name mit einer hohen Wahrscheinlichkeit auf Kufstein in Tirol zurückgeht. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts wurde die mittelalterliche Wehrburg zu einem repräsentativen Schloss umgebaut. Unter Graf Johann Leopold Kuefstein und seiner Gemahlin Maria Franziska erlebte die Anlage Anfang des 18. Jahrhunderts ihre Blütezeit. Die Südseite des Schlosses wurde mit Putten, Sphinxen und aufragenden Obelisken neu gestaltet. Dieser prachtvolle und weithin bekannte Renaissancebau ist dank der Eigentümerfamilie Kuefstein bis heute erhalten. In den letzten beiden Jahrzehnten hat sich die Familie verstärkt der Pflege und dem Erhalt der dazugehörigen Gartenanlagen gewidmet. Ein Grund dafür ist kunsthistorisch naheliegend: Die Anlage Greillenstein ist auch aufgrund ihrer barocken steinernen Zwerge berühmt, die einst entlang der Wasserkaskade abseits vom Schloss standen. 1784 erfolgte die Pflanzung der heute mächtigen Lindenallee im ummauerten Lustgarten und der Rosskastanienallee, die das Schloss mit der Wasserkaskade verbindet. Diese beginnt mit einem künstlich geschaffenen Teich. Das darin gesammelte Wasser wurde von einem aus Sandstein gehauenen Drachen ausgespien und ergoss sich über Steinkaskaden in den 128