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Inhalt Vorwort Die Chronk der Universal Edition  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Michael Haas: Die Geschichte der Musik im 20. Jahrhundert …

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Hans W. Heinsheimer Diese Schrift (Einleitung des Autors, 1975)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 UE – Die ersten 37 ½ Jahre – Eine Chronik des Verlags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Skizze für den Rest des Buches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Gedanken über ein Buch zum 75. Jubiläum der UE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Emil Hertzka  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Brief an Egon Wellesz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Anhang Alban Berg: Gedenkrede auf Emil Hertzka . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Emil Hertzka Gedächtnisstiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Christopher Hailey: Hans W. Heinsheimer und seine „Chronik“ . . . . . . . . . . . . . . . 130 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Namensindex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 Farbtafeln


4 Vorwort

Die Chronik der Universal Edition Die Chronik der UE ist zugleich ein Blick hinter die Kulissen einer der aufregendsten Abschnitte der Musikgeschichte. Hans W. Heinsheimer skizzierte die ersten drei Jahrzehnte eines musikverlegerischen Abenteuers: die Gründerzeit und jene Jahre, die er später sogar als Leiter des Bühnenvertriebs mitgestaltete. Heinsheimer war ein genauer Beobachter und besaß die notwendige Gelassenheit und Ironie, um mit sensiblen, kreativen Personen geschickt umzugehen. Er war als Ansprechpartner des Verlags bei Opernhäusern anerkannt und man spürt in jeder Zeile seine Hingabe zur Sache und zu den Komponisten, in deren Gegenwart er sich wohl fühlte und denen er ein Gefühl von Zugehörigkeit vermittelte, sofern dies die Komponisten zuließen. Heinsheimer schilderte in seinen sehr persönlichen Texten immer wieder die Ergriffenheit, die ihn erfasste, sobald er die Stufen im Musikverein betrat, die zur UE führen. Stufen, die vor ihm bereits von Größen wie Bartók, Weill, Schönberg, Berg, Schreker, Janáček beschritten worden waren. Genau dieses Gefühl von Ergriffenheit und Stolz macht sich bei den Mitarbeitern der UE heute immer noch breit. Heinsheimers Verbundenheit zur UE wird in jeder Zeile dieses Buches spürbar. Sein Bericht ist letztlich eine textliche Komposition von großer musikalischer Qualität. Er hat es verstanden, das Atmosphärische jener Zeit einzufangen. Sein Bericht ist eine leidenschaftlich gelebte Verlagsgeschichte. Leider blieb die Chronik unvollständig. Die letzten Kapitel liegen lediglich im Konzept vor. Mehr über Hans Heinsheimer, seinen Werdegang und über jene Zeit, die in seiner Chronik nicht mehr behandelt wurde, erfahren wir durch die differenzierte Betrachtung von Christopher Hailey, der außerdem bei der redaktionellen Gestaltung des Buches maßgeblich beteiligt war. Unser Dank gebührt Frances Heinsheimer Wainwright, der Tochter von Hans Heinsheimer, die uns dieses Manuskript zur Verfügung gestellt hat, das nun – mit über 40 Jahren Verspätung – veröffentlicht werden kann. Heinsheimer erhielt den Auftrag für diese Chronik anlässlich der 75-Jahre Feier der UE. Aus welchem Grund auch immer dieses Auftragswerk nie zur Uraufführung gelangte, wichtig ist lediglich, dass es jetzt passiert. Universal Edition Wien, 2017


5 Vorwort

Die Geschichte der Musik im 20. Jahrhundert … … ist ohne das Verlagshaus Universal Edition bzw. „die UE“, wie sich in späterem Sprachgebrauch eingebürgert hat, nahezu undenkbar. Mit Komponisten wie Mahler, Bartók, Janáček, Kurt Weill, Ernst Krenek, Hanns Eisler, Alexander Zemlinsky, Arnold Schönberg und der Zweiten Wiener Schule sowie Franz Schreker und dessen Kompositionsklasse möchte man meinen, die UE bestünde bereits seit Jahrhunderten als europäische Musikinstitution. Die Realität stellt sich jedoch ganz anders dar: Hans Heinsheimer berichtet über den kometenhaften Aufstieg der UE als musikalischer Kraft des 20. Jahrhunderts von den frühesten Tagen als verlustreichem Tochter­ unternehmen von Josef Weinberger bis zum Eintritt von Emil Hertzka, einem musikalisch ungebildeten, vegetarischen Genie, der – mehr auf Menschen denn auf Werke reagierend – dennoch instinktiv einen Erfolg nach dem anderen verbuchen konnte. Seine Vertragsabschlüsse waren immer langfristig, vorausblickend und auf Vertrauensbasis ausgelegt, es wurden Vorschüsse und noch unerprobten Talenten sogar monatliche Stipendien gewährt. Hertzkas Genius war jedoch nicht auf die Entdeckung kompositorischer Talente beschränkt. Laut Heinsheimer begründete sich die Zukunft des Verlagswesens für ihn in der Erkenntnis, dass die Musik langfristig mehr als nur Druck und Vertrieb bedarf. Hertzka sah die Notwendigkeit des Rechte-Managements hinsichtlich der aufkommenden neuen Anwendbarkeiten von Musik in Übertragungsmedien voraus. Er erkannte auch das Potential junger Komponisten, mit innovativen Bühnenwerken müde Schlachtrösser der Operntradition zu ersetzen. An diesem Punkt tritt der junge Heinsheimer auf den Plan und übernimmt das Management der UE-Bühnenabteilung zusammen mit dem heutzutage als „Neue Medien“ bezeichneten Bereich. Aufkeimende Ideen, über die ersten Telefonleitungen an Subskribenten Musik zu senden, antizipierten das heutige Internet. Heinsheimer wurde bald die intellektuelle Triebfeder hinter Konzepten, welche die Verbreitung von Musik „mit und ohne Kabel“ vorhersahen, womit der Weg für den Schutz von Rechten noch zu entwickelnder Medien geebnet war. Seine Begabung, Textdichter mit Komponisten zusammenzubringen und Bietergefechte um Novitäten zwischen den Opernhäusern zu initiieren, prägte das Musikleben der Weimarer Republik auf unvergleichliche Weise. Mit der Einbindung von UE-Komponisten in die Versorgungskette verschiedener Neue-Musik-Festivals gelang es ihm, die öffentliche Wahrnehmung zeitgenössischer Musik auf ein heute unvorstellbares Maß zu steigern. Es war dies eine Zeit, in der die UE und ihr Hauptkonkurrent Schott in Mainz monatlich Magazine über zeitgenössische Komponisten publizierten und hierbei auf die Leserschaft der gesamten Branche und einer großen Öffentlichkeit von Musikenthusiasten zählen konnten. Heinsheimer (1900–1993) gehörte derselben Generation wie die meisten bei der UE unter Vertrag stehenden jungen Komponisten an,


6 Vorwort

und nach der Niederlage Österreichs und Deutschlands im Jahr 1918 waren neue Ideen – zusammen mit dem Entstehen neuer Märkte in neu gegründeten Nachkriegs-Republiken – entscheidend für das verlegerische Überleben. Heinsheimers Geschick, bestehende Möglichkeiten auszureizen und ungeahnte Chancen hervorzubringen, entsprachen Hertzkas Geschick im Aufspüren von Talenten. Gemeinsam machten Hertzka und Heinsheimer die UE zu einer treibenden Kraft der zentral­ europäischen Moderne. Bedauerlicherweise bleibt Heinsheimers UE-Chronik Fragment und reicht nur bis zu Hertzkas Tod im Jahr 1932, jenem Jahr, ehe Hitlers Machtergreifung die fast gänz­ liche Dominanz Neuer Musik durch die UE erfolgreich ins Stocken bringen sollte. Im Europa der Zwischenkriegszeit war die Politik ohnedies immer an die Kreativwirtschaft gekoppelt. Die Arisierung der UE im März 1938 sollte ihr Vermächtnis zusammen mit den meisten UE-Komponisten dem ungewissen Schicksal des Exils überantworten. Komponisten, welche die UE als musikalische Heimat ansahen, mussten nicht jüdischer Abstammung sein, um sich selbst vom kulturellen Leben in Hitlers „Neuem Deutschland“ ausgeschlossen zu finden. Alleine von der UE verlegt zu sein, war vernichtend. Was verloren war, gilt es noch vollends wieder zu erlangen. Dennoch war wohl etwas verloren, das noch tragischer war als die Vertreibung unzähliger Komponisten: Heinsheimers größte Errungenschaft war die Fähigkeit, weitreichende öffentliche Unterstützung und enthusiastische Neugier für Neue Musik zu erzeugen. Dass Heinsheimer, der in den Vereinigten Staaten eine weitere Karriere bei Boosey & Hawkes und Schirmer machte, in Europa zum Schweigen verdammt war, resultierte nach dem Krieg im Misstrauen der Öffentlichkeit gegenüber Ungewohntem und dem Argwohn gegenüber der Verbindung von „modern“ und „Musik“. Heinsheimers unvollendete Chronik vermag immer noch, eine Momentaufnahme einer fast vergessenen Ära des genauen Gegenteils hierzu zu vermitteln. Michael Haas


7 Einleitung

Diese Schrift befasst sich nur mit den ersten 37 ½ Jahren des Verlags. Sie beginnt mit der Gründung, 1901, und endet 1938. Das war das Jahr, in dem ich nach fünfzehn unvergesslichen Jahren die UE verließ. Ich fühle mich nicht berufen, über das zu berichten, was später geschah, wovon ich also nur vom Hörensagen wissen könnte. Es scheint auch, dass, je näher Geschehenes zeitlich heranrückt, es immer schwerer wird, davon zu erzählen, und wenn der Abstand zwischen Erzähler und Erzähltem zu klein wird, bald unmöglich. Sobald man versucht, es zu Papier zu bringen, ist es schon überholt, wird lückenhaft, trügerisch, irreführend, falsch. Distanz ist wesentlich. So schien es angebracht, sich auf die erste Hälfte der von der UE durchlebten Jahre zu beschränken, was ja auch der Geschichte eine hübsch ausgewogene Balance gibt. Denn es überlässt die andere Hälfte dem, der zum hundertsten Jubiläum aus gebührendem Abstand über all das schreiben wird, was heute noch nicht beschreibbar scheint. Einer wie ich, als ich 1923 zur UE kam, „nicht trocken hinterm Ohr“, wird gewiss schon ein aufmerksam beobachtendes Tagebuch führen, um dann dort anzufangen, wo ich leider aufhören muss. Hans Heinsheimer Herbst 1975


9 Die ersten 37 ½ Jahre

Die ersten 37 ½ Jahre

Eine Chronik des Verlags von Hans W. Heinsheimer Die Universal Edition, freundlich und vertraulich in der ganzen Welt, wenn auch mit sehr verschiedener Aussprache, „die UE“ genannt, ist ein bambino, ein Benjamin in der illustren Familie des internationalen Musikverlags. Als sie im Jahre 1901 ins Leben trat, symbolisch und, wie sich bald zeigen sollte, bedeutungsvoll, ein Kind des zwanzigsten Jahrhunderts, war Ohm Breitkopf in Leipzig schon 182 Jahre alt, Schwager Schott in Mainz 130, lo zio Ricordi in Milano 91, die Vettern Boosey und Novello in London und der ehemalige kurfürstlich-rheinische Hornist Simrock in Berlin – alle so um die Schlacht bei Waterloo herum geboren – um die 90. Auch der Rest der Familie war reifen Alters: C.F. Peters etwa und andere deutsche Anverwandte, Durand, an der Place de la Madeleine, seit sie gebaut worden war, Leduc oder Heugel in Paris, ein paar zusätzliche Engländer und Italiener und ein einsamer Däne, vom seligen Artaria in Wien ganz zu schweigen. Sogar die reichen russischen Cousins und die Amerikaner, von denen man‘s doch am wenigsten erwarten sollte, setzten schon deutliche Spuren mittelalterlichen en-bon-points an, oder hatten sich gar bereits zur Ruhe gesetzt. Die UE trat keck und mutterseelenallein ins neue Jahrhundert, und noch dazu als etwas noch nie Dagewesenes: eine anonyme Verlags A.G., wo doch sonst überall leibhaftige Gründer in gepuderten Perücken oder in Vatermördern mit wallender Krawatte, fetten Goldketten über den Westen, aus vergilbenden Rahmen den Nachfolgern bärtig über die nervöse Schulter schauen. Und nun gibt es auch hier, so unangebracht es scheint, ein Jubiläum. Es ist ein bescheidenes – 75 Jahre – und muss sich in gebührenden Grenzen halten, wo andere mit zweihundert, und gar mit zweihundertfünfzig Jahresfeiern, mit Pauken und Trompeten, Rheindampferfahrten und Festkonzerten vorangegangen sind. Aber man muss die Feste feiern wie sie fallen. Aufs hundertste Jubiläum kann ich nicht warten. So wurde das fünfundsiebzigste, das mir die Anfrage brachte, diese Schrift zu unternehmen, für mich ein Freudenfest. Denn da muss einer schon ein Hans im Glück sein, wenn auch ein betagter, wenn ihm so etwas passiert. Mehr als fünfunddreißig Jahre waren vergangen, seit ich mein kleines Büro im Musikvereinsgebäude in Wien verlassen musste und nach Amerika verschlagen wurde. Und dann saß ich plötzlich wieder in demselben großen Direk­ tionszimmer der UE, mit den niedrigen Fenstern auf die Karlskirche hinaus, in das ich 35, 40, 50 Jahre früher so oft vorgeladen wurde, vorgeladen in die Magnifizenz des ehrfurchtgebietenden Raumes durch ein energisches Klingelzeichen – His Master‘s Voice genannt – von dem Mann, dessen vom Alter schon leicht nachgedunkeltes Ölportrait jetzt an der Wand hing: meinem ehemaligen Lehrer, Meister und


10 Die ersten 37 ½ Jahre

Präzeptor, Emil Hertzka1. Da hing er nun, in großem, schwarzem Schlapphut und mächtigem Bart, über demselben unbequemen Sofa, auf dem er so oft in der Gesellschaft des unvergessenen Fräulein Betty Rothe2, Direktionssekretärin und factotum extraordinarium, sein armselig-vegetarisches Mittagsmahl gelöffelt und geschlürft hatte, noch immer das Ganze mit machtvoll-gegenwärtiger Persönlichkeit überwachend und dominierend. Ich war wiedergekommen, vorbei am immer noch k. und k. Musikverein mit Doppel­adler auf goldenem Hintergrund im Parterre, hinauf zum immer noch liftlosen Halbstock über die von so vielen berühmten Musikerfüßen ausgetretenen Stein­stufen, die ich 15 Jahre lang tagtäglich so freudig-erwartungsvoll hinaufgeeilt war und jetzt mit vorsichtig bemessenem Atem langsam erklommen hatte. Dann durch dieselbe immer noch wackelige Tür mit der alten Drehklingel – „bitte klingeln und eintreten“ – zum selben Empfangstisch mit Empfangsdame, nur statt einer verschrumpelten Alten, die Poldi geheißen hatte, eine namenlos strahlende Junge. Dieselben lichtlosen Korridore, derselbe musikgeschichtsträchtige Mief.

Abb. 2 | Emil Hertzka, Ölgemälde Tom von Dreger, 1934 } siehe auch Farbtafel im Anhang

Dann saßen wir also im Direktionszimmer unter dem Hertzka-Bild, wiederum auf dem Mezzanin des Musikvereinsgebäudes, wo sich damals so vieles mit dem Blick aufblühenden Flieder und zum zärtlichen Geklingel der Zweierlinie abgespielt hatte, statt, wie jetzt, vor Schutthaufen und donnernden Kränen3 und sprachen von alten Zeiten. Und obwohl sie ja inzwischen mit unerschrockener Energie und fortschrittlicher Besessenheit in die Gegenwart und die Zukunft vorgedrungen sind, meinten meine Gesprächspartner, dass die Jahre zwischen den beiden Kriegen doch recht außerordentliche Zeiten für die Musik

1  Emil Hertzka (1869–1932) war von 1907 bis zu seinem Tod Direktor der Universal-Edition. 2  Betti (Betty) Rothe 3  Bau der Wiener U-Bahn am Karlsplatz, 1969–1978


11 Die ersten 37 ½ Jahre

gewesen wären, und dass es vielleicht der Mühe wert wäre, wenn einer davon erzählen würde, der die meisten dieser zwanzig Jahre dabei gewesen ist und, was er nicht selbst miterlebt, noch im Spiegelbild unmittelbarer Vergangenheit gesehen hat. Bevor ich mich versah, kam ein Papier aus dem Nebenzimmer angeflogen, und ich setzte meine Hand darunter. Es war geschehen. Ich durfte noch einmal aus meinem neuen Leben in mein früheres zurücktreten, aus dem Alter in die Jugend, aus melancholischem Abschied, unerwartet und daher doppelt willkommen, in das plötzlich wiedererwachende Beginnen.

Anno 1901. Wie und wo und wieso hat es denn angefangen? Da hapert‘s schon. Nach zwei Weltkriegen und so vielen hastigen Fahnenwechseln sind die UE-Archive aus der schwarz-gelben Gründerzeit auf der Strecke geblieben. Niemand kann etwas finden, niemand weiß etwas, keiner kann sich erinnern. Aber damit darf sich der Chronist nicht zufriedengeben. Da lebt doch, fällt ihm ein, zurückgezogen im Tessin der Herr Dr. Otto Blau, viele Jahre lang, seit dem Tod seines Onkels Josef Weinberger, Besitzer und Chef des gleichnamigen Verlags. Und der Onkel, das war bekannt und sogar durch eine teuer gerahmte Fotografie belegt, die im Vorzimmer der UE würdig verstaubte, der Onkel Josef Weinberger war ja der Gründer der Universal-Edition. Vielleicht weiß der Neffe …? So geht ein Lieber-Herr-Doktor-Brief nach Gentilino sopra Lugano und ein LieberHerr-Doktor-Brief kommt prompt zurück, und mit ihm ein dickes, unförmiges Paket. Es enthält Briefe, Urkunden, Protokolle, Statuten, vornehm Gedrucktes, kalligrafisch Handgeschriebenes, von frühen Schreibmaschinen Getipptes. Ich öffne das erste großformatige, elegant gedruckte Schriftstück. Ich klopfe mir vergnügt auf die Schulter. La recherche de la paternité ist vorüber. Es ist ein Schreiben vom Kaiserlichen Rat Josef Weinberger m.p. an die Kais. Kön. privilegierte Oesterreichische Länderbank, Wien, vom 11. November 1900. „Nachdem ich mich mit Ihnen und Ihren Consorten“ beginnt es, „über die gemeinschaftliche Veranstaltung einer österreichischen musikalischen Collectivausgabe, betitelt «Universal-Edition», beziehungsweise über die Errichtung einer Actiengesellschaft zu diesem Zwecke geeinigt habe, so habe ich mit Ihnen als Vertreter des Consortiums zur Bildung des Unternehmens der «Universal-Edition» nachstehende Vereinbarungen getroffen.“ Die Vereinbarungen waren, dass „die erwähnte Ausgabe im ersten Jahr ihres Erscheinens mindestens 25.000, im zweiten Jahr 45.000, im dritten Jahr aber mindestens 65.000 Druckplatten umfassen wird“, dass sie alle „in Stichdruckausstattung und


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Qualität des Papiers genau dem von der Firma Jos. Eberle & Co. bereits hergestellten und bei der Länderbank hinterlegten Clementi­Sonatinen betitelten Musterbände entsprechend zu liefern waren“, dass Weinberger sich verpflichtete, während der ersten zehn Jahre „um mindestens 400.000 Reichsmark Exemplare der Ausgabe“ zu kaufen, und dass der unterzeichnete Josef Weinberger „zugleich die Geschäftsführung der «Universal-Edition» übernehmen werde“. Er verpflichtete sich weiter, „eine Anzahl von Musikwerken, deren Verlagsrecht ich besitze, Ihnen behufs Aufnahme derselben in der «Universal-Edition» gegen eine Vergütung zur Verfügung zu stellen“, und räumte der UE „dasselbe Recht bezüglich der von mir in Hinkunft zu erwerbenden Verlagsrechte“ ein. So ist‘s denn kein Wunder, dass die ersten, schön-geschwungenen Briefköpfe der Universal-Edition Actiengesellschaft die Adresse Maximilianstraße Nr. 11 tragen. Dort war, und ist noch, das Domizil des Verlags Josef Weinberger, nur wurde aus der Maximilianstraße im Jahre 1918, als Habsburger unpopulär wurden, die Mahlerstraße, und 1938, als Mahler unpopulär wurde, die Meistersingerstraße, und 1945, als „Ehrt Eure deutschen Meister“ unpopulär wurde, wieder die Mahlerstraße, was zeigt, dass man überall, sogar in einer Musikverlagsgeschichte, etwas Welthistorisches lernen kann.

Abb. 3 | UE Katalog 1902 } siehe auch Farbtafel im Anhang

Die Statuten der neuen Firma umschrieben in Paragraf 2, Abschnitt I die Verlags­politik, die einzuschlagen war, kurz und präzis: „Zweck der Gesellschaft“, so sagte das Statut (Wien 1901, im Selbstverlag der Gesellschaft) „ist die Herstellung und der Vertrieb einer österreichischen, großen musikalischen Universal-Ausgabe (Universal-Edition)“. Das Mandat war klar und einfach: wir gehen ins „Papiergeschäft“. So enthält der erste Katalog, im Oktober 1901 vorgelegt, schon an die 500 Nummern klassischer und romantischer Musik. Die Haydn Klaviersonaten in vier Bänden trugen (und tragen) die UE Nummern 1–4. Der Musterband mit den Clementi-Sonatinen von war trotz seiner prominenten Situation im Tresor der


Abb. 2 | Emil Hertzka, Ölgemälde Tom von Dreger, 1934


Abb. 3 | UE Katalog 1902

Abb. 5 | Barbier von Sevilla – Klavierauszug eingerichtet von A. Schönberg


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