Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Page 1

 Â

Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft Studie im Auftrag des Verbraucherzentrale Bundesverbandes e.V. (vzbv)

Vorgelegt von Tatiana Lima Curvello

Berlin, 1. Oktober 2007


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung und Problemstellung............................................................................................2 2. Auftrag................................................................................................................................12 3. Datenlage ...........................................................................................................................14 4. Methodisches Vorgehen.....................................................................................................15 5. Statistische Voraussetzungen ............................................................................................16 6. Demographische und sozioökonomische Situation der Migranten aus der Türkei ............20 7. Demographische und sozioökonomische Situation der Migranten aus der ehemaligen Sowjetunion (Spätaussiedler, jüdische Migranten und Sonstige) ......................................24 8. Migranten als Verbraucher .................................................................................................27 9. Verbraucherschutz und Migranten .....................................................................................45 10. Qualitative Experten-Befragungen ...................................................................................56 10.1 Erfahrungen aus der Beratungspraxis ........................................................................58 10.2 Inhalte der Beratung sind nicht das Problem..............................................................64 10.3 Sprachschwierigkeiten................................................................................................65 10.4 Schwellenangst...........................................................................................................71 10.5 Bekanntheit der Verbraucherzentralen .......................................................................73 10.6 Einbindung in Netzwerke ............................................................................................75 10.7 Direkte Kontakte zur Zielgruppe .................................................................................79 10.8 Exkurs: Erstberatung als Auffangsystem....................................................................84 10.9 Indirekte Zugangswege und Medien...........................................................................86 11. Gesamtauswertung ..........................................................................................................97 11.1 Auswertung der Literaturrecherche und der Experteninterviews ................................97 11.2 Sprache ......................................................................................................................99 11.3 Bekanntheit der Verbraucherzentralen .....................................................................102 11.4 Zugang zur Zielgruppe..............................................................................................104 11.5 Kooperation mit der Zielgruppe ................................................................................105 12. Empfehlungen ................................................................................................................108 13. Anhang ...........................................................................................................................111 13.1. Studien und sonstige Darstellungen ........................................................................111 13.1.1 Allgemeine Untersuchungen zum Integrationsverhalten....................................111 13.1.2 Auswertung einzelner Studien ...........................................................................113 13.1.3 Mediennutzung von Migranten..........................................................................125 13.2 Literaturangaben.......................................................................................................134 13.3 Pressetitel .................................................................................................................139

1


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

1. Einleitung und Problemstellung

In Deutschland leben über 15 Millionen Menschen mit ausländischen Wurzeln, wie der Mikrozensus des Statistischen Bundesamts 2005 ergeben hat, mit anderen Worten: fast ein Fünftel der deutschen Bevölkerung hat eine Migrationsgeschichte. In wenigen Jahren werden etwa 40% der Menschen in Deutschlands Großstädten einen Migrationshintergrund haben.

Schon heute ist innerhalb dieser Gruppe die Zahl der deutschen Staatsangehörigen mit 8 Millionen etwas größer als die der Ausländer (7,3 Millionen).

Diese und andere Daten finden sich nicht nur in den Fachpublikationen der Migrationsforscher und Demographen, sondern werden auch prominent in den großen Zeitungen und den Nachrichtensendungen publiziert. Die Bundesregierung hat Integration zur Chefsache erklärt und eine Staatministerin für Integration im Bundeskanzleramt angesiedelt. Im Nationalen Integrationsplan 1 wurde dieser Entwicklung ebenfalls Rechnung getragen. Diese und andere Anstrengungen weisen auf einen vielerorts konstatierten neuen Realismus der politischen und gesellschaftlichen Debatte über Migration und Integration in Deutschland hin. Ähnliche Entwicklungen sind in anderen europäischen Staaten zu beobachten. Dass die demographische Entwicklung und die Dynamik der internationalen Wanderungsbewegungen Einwanderung für absehbare Zeit zu einer Notwendigkeit machen, ist eine zunehmend akzeptierte Erkenntnis innerhalb der politischen und wirtschaftlichen Eliten. Zu den wenigen „sicheren“ Annahmen über die Zukunft gehört, dass die deutsche Bevölkerung in den nächsten Jahrzehnten „weniger, älter und bunter“ werden wird.

In Deutschland und in anderen europäischen Ländern reagieren die gesellschaftlichen Institutionen nach Vorgaben der Politik oder aus eigener Initiative auf die Herausforderungen der Migration. Die Maßnahmen, Programme und Diskussionen, die in diesem Zusammenhang laufen, werden als Interkulturelle Öffnung bezeichnet. Im Nationalen Integrationsplan wird interkulturelle Öffnung immer wieder als Ziel für die Anpassung von öffentlichen Institutionen sowie non profit-Organisationen an die Einwanderungsgesellschaft formuliert. Nicht nur die Sozialen Dienste, die Schulen und die Polizei fangen an, sich auf diese Zielgruppe zu besinnen und sich zu überlegen, wie sie ihren Auftrag unter den veränderten Bedingungen einer Einwanderungsgesellschaft erfüllen können. Zum Beispiel, bemühen sich Erziehungsberatungsstellen herauszufinden, welchen spezifischen Beratungsbedarf Familien mit Migrati1

Nationaler Integrationsplan. http://www.bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/Bundesregierung/BeauftragtefuerIntegration/beauftragte-fuerintegration.html

2


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

onshintergrund haben, welches methodische Instrumentarium diesem Bedarf angemessen ist und wie die Zugangsbarrieren für Migranten zu ihren Angeboten gesenkt werden können. Oder die Polizei versucht, ihre Präventionsaktivitäten dahingehend weiterzuentwickeln, dass sie muslimische Organisationen in die präventive Arbeit einbindet. Die Wirtschaft hat ebenfalls die Zielgruppe der Migranten entdeckt und versucht, ihre Produkte und ihre Werbung auf diese Zielgruppe auszurichten: sei es durch Angebote an türkischen oder russischen Lebensmitteln in Supermärkten in den Stadtteilen mit entsprechenden communities oder durch Einspielung spezieller Werbeinseln für die türkischen Zuschauer in Deutschland bei der Übertragung türkischer TV Programme.

Mit diesen Veränderungen in der Gesellschaft und auf dem Markt kommt auch auf die Verbraucherorganisationen die Aufgabe zu, sich auf den Bedarf der Migranten einzustellen. Verbraucherinformationen, -bildung und -beratung müssen auch diese Zielgruppen erreichen können.

Es ist eine Tatsache, dass sich viele Einwanderer und ihre Familien in den letzten Jahrzehnten nicht so selbstverständlich wie erhofft integriert haben. Ein Teil kommt aus bildungsfernen Schichten und lebt häufig in ethnisch und kulturell segregierten Stadteilen.

Das stellt die Verbraucherorganisationen, wie andere gesellschaftliche Institutionen auch, vor besondere Anforderungen. Sie müssen wissen, welcher Bedarf an Verbraucherinformation und -bildung in diesen nach wie vor für die gesellschaftlichen Institutionen in Deutschland und Europa fremden Zielgruppen vorhanden ist, wie sie ihre Angebote danach ausrichten können und wie diese Zielgruppen damit zu erreichen sind.

Ziel dieser Studie war es zu eruieren, wie sich der Verbraucherschutz an diese Entwicklung anpasst. Dazu sollte ermittelt werden, auf welche Verbraucherinformationen und welche Verbraucherberatung Migranten in ihrem Alltag besonders angewiesen sind und wie die Verbraucherzentralen sie mit Beratung und Hilfestellungen erreichen können. Dabei sollte sie sich auf die beiden größten Einwanderergruppen fokussieren: Einwanderer aus der Türkei und aus der ehemaligen Sowjetunion. Darüber hinaus soll die Studie feststellen, wie weit die interkulturelle Öffnung in das System Verbraucherschutz 2 Eingang gefunden hat. Die Studie

2

Unter dem System Verbraucherschutz verstehen wir alle Akteure der Verbraucherpolitik auf Bundesebene, im Rahmen der Gesetzgebung, das Parlament und seinen Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, in der Regierung das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL) sowie zivilgesellschaftliche Akteure wie die Verbraucherorganisationen. Vgl. Lucia A. Reisch, Strategische Grundsätze und Leitbilder einer neuen Verbraucherpolitik. Diskussionspapier des Wissenschaftlichen Beirats für Verbraucher- und Ernährungspolitik beim BMVEL, 2003.

3


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

soll Empfehlungen für eine Anpassung des Verbraucherschutzes an die Anforderungen der Einwanderungsgesellschaft liefern.

Wofür steht die Interkulturelle Öffnung?

Die Interkulturelle Öffnung ist ein politisches Projekt, mit dem öffentliche Institutionen und non profit-Organisationen wie Vereine, Verbände usw. den Herausforderungen der Einwanderungsgesellschaft begegnen sollen. Es gibt unterschiedliche Konzepte, um mit der weltweiten Vielfalt, die aus Globalisierung und Migrationsbewegungen entsteht, umzugehen. Konzepte, die in der Diskussion sind wie diversity management oder Zielgruppenorientierung, fokussieren aber nicht so pointiert wie die Interkulturelle Öffnung die Bedingungen von Vielfalt unter dem Aspekt der Einwanderungsgesellschaft auf die Besonderheit von öffentlichen Institutionen und non profit-Organisationen.

Die unterschiedlichen Konzepte ergeben sich aus unterschiedlichen Perspektiven, den Trend der Vielfalt zu betrachten und mit ihm umzugehen.

Zielgruppenorientierung ist zum Beispiel ein Begriff aus dem Marketing, mit dem darauf reagiert wird, dass die Verbraucher so vielfältig geworden sind, dass einheitliche Produktangebote nicht mehr in der Lage sind, den Geschmack aller Nachfrager gleichermaßen zu befriedigen. Selbst bei gleicher Alters-, Einkommens- und Familiensituation lassen sich unterschiedliche Lebensstile der Verbraucher mit völlig verschiedenen Wertorientierungen, Interessen und Bedürfnissen feststellen, die zu unterschiedlicher Nachfrage nach Produkten führen. Die Konsumgüterindustrie hat im Wettbewerb um den Verbraucher längst mit zielgruppenorientierten Angebots- und Werbekonzepten reagiert, um die Marktpotenziale optimal auszuschöpfen.

Der Begriff diversity management kommt aus dem Amerikanischen, und man kann diversity management als Strategie interpretieren, das Konzept der Zielgruppenorientierung zu optimieren. Er bezeichnet ein Konzept der Unternehmensführung, das die Verschiedenheit der Beschäftigten bewusst zum Bestandteil der Personalstrategie und Organisationsentwicklung macht. Es geht dabei um Vielfalt in mehrfachem Sinn, um äußerlich wahrnehmbare Unterschiede wie ethnische Herkunft, Geschlecht, Alter und körperliche Behinderung und um subjektive Unterschiede wie sexuelle, weltanschauliche religiöse Orientierung und Lebensstil.

Das Ziel des Konzepts von diversity management ist es einerseits, Diskriminierungen im Unternehmen zu vermeiden und damit die Chancengleichheit zu gewährleisten. Andererseits 4


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

aber zielt es darauf, vielfältige Mitarbeiterstrukturen gezielt dafür einzusetzen, neue Märkte und Kundengruppen zu erschließen und die Innovationsfähigkeit zu steigern.

Das Automobilunternehmen Ford hat zum Beispiel das Wissen seiner indischen Mitarbeiter angezapft, um die innere Ausstattung eines ihrer Modelle, das auf dem indischen Markt lanciert werden sollte, zu gestalten. Während bei dem Mittelklasse-Wagen in Europa und den USA die Kunden vor allem über die Ausstattung des Vordersitzbereichs angesprochen wurden, lernte Ford von seinen indischen Mitarbeitern, wer in Indien einen solchen Wagen fährt, leistet sich auch einen Fahrer. Für einen solches Kundensegment ist daher der Komfort und die Ausstattung des Hintersitzbereichs entscheidend.

Diese Konzepte, die aus der Wirtschaft kommen, sind nicht so ohne weiteres auf öffentliche Institutionen und den non profit-Bereich zu übertragen.

Während in der freien Wirtschaft Leistungsempfänger und Auftraggeber bzw, Bezahler identisch sind, so dass sich die Zielgruppenorientierung von selber einstellt, sind bei der öffentlichen Verwaltung und bei non profit-Organisationen Leistungsempfänger und Auftraggeber bzw. Bezahler nicht identisch. Diese besonderen Merkmale typischer Absatzleistungen von Verwaltungen und non profit-Organisationen erschweren eine Zielgruppenorientierung. Die Formulierung, Ausführung und Kontrolle der Leistungen wird kompliziert. Es erfordert einen besonderen politischen Nachdruck, um Leistungen, die in diesem Zusammenhang entstehen, auf die Bedürfnisse der Kunden und somit die Bedingungen der Vielfalt in der Gesellschaft abzustellen. Die Anstrengungen, eine kundenfreundliche Verwaltung zu erreichen, sowie die Initiativen zur Qualitätsentwicklung in öffentlich geförderten Institutionen sind Versuche, ohne die Wirkung von Marktmechanismen die Institutionen in diesen beiden Bereichen den veränderten Realitäten anzupassen.

So findet zwar der Begriff der Zielgruppenorientierung auch Eingang in den sozialpolitischen Diskurs und in die Entwicklungspolitik. In diesem Kontext bedeutet Zielgruppenorientierung, dass sich die Leistungen eines Vorhabens an den Zielen und Bedürfnissen bestimmter Zielgruppen orientieren und diese in die Lage versetzen, ihre Vorstellungen und Ziele aus eigener Kraft zu verwirklichen. Aber in der Verwaltung, in der Verbands- und Vereinspraxis ist jedoch noch zu oft festzustellen, dass der Begriff der „Zielgruppenorientierung" als Worthülse oder auch nur als Lippenbekenntnis, beispielsweise in den Leitbildern, erscheint, ohne dass konkrete Vorstellungen und Maßnahmen daraus abgeleitet werden. Was unter dem Begriff

5


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

der „Zielgruppenorientierung" zu verstehen ist und welche Möglichkeiten der Umsetzung es gibt, wird meistens, wenn überhaupt, bürokratisch abgehandelt 3 .

Interkulturelle Öffnung

Der Begriff der Interkulturellen Öffnung beschreibt eine spezifische Zielgruppenorientierung, nämlich die, dass öffentliche Institutionen und der non profit-Bereich sich auf die Anforderungen der Einwanderungsgesellschaft einstellen 4 . Es ist ein Begriff, der sich auf die Auswirkungen von interkultureller Vielfalt auf die Verwaltung und im non profit-Bereich konzentriert. Dabei geht es darum, dass Schule, Soziale Dienste oder Polizei oder auch Institutionen wie die Verbraucherzentralen ihre alten und bewährten Aufgaben unter neuen Bedingungen erfüllen.

Allerdings gibt es bislang kein Konzept für die gezielte interkulturelle Öffnung der gesellschaftlichen Institutionen. 5 Die Interkulturelle Öffnung läuft daher Gefahr, dass ihr das gleiche Schicksal blüht wie dem Begriff der Zielgruppenorientierung im Kontext sozialpolitischer Diskurse. Zukünftige Strategien der Verbraucherorganisationen, sich und den Verbraucherschutz den Anforderungen der Einwanderungsgesellschaft anzupassen, haben das besonders zu beherzigen. Interkulturelle Öffnung im Nationalen Integrationsplan Um genauer zu bestimmen, was mit der Interkulturellen Öffnung gemeint ist, ist es ratsam, sich den Nationalen Integrationsplan vorzunehmen, wo der Begriff rund dreißigmal genannt wird. Der Begriff der Interkulturellen Öffnung wird dadurch endgültig politikfähig, indem er für alle Bereiche immer wieder als Ziel formuliert wird.

Die Interkulturelle Öffnung wird als Ziel in den Beiträgen, die Bund, Länder und Kommunale Spitzenverbände zur Integration leisten wollen, genannt. Sie taucht aber auch in den Selbstverpflichtungen auf, die diese gemeinsam mit Kommunen und den Organisationen der Zivil3

Marcus Stumpf, Zielgruppenorientierung im Verein, Vortrag im Rahmen des 5. Stuttgarter Sportkongresses vom 11. bis 13. Oktober 2005, Manuskript. 4 Tatiana Lima Curvello, Margret Pelkhofer-Stamm: Interkulturelles Wissen und Handeln – neue Ansätze zur Öffnung sozialer Dienste, Dokumentation des Modellprojekts „Transfer interkultureller Kompetenz“ Berlin 2003. Tatiana Lima Curvello: Interkulturelle Öffnung. Bundeszentrale für politische Bildung. http://www.bpb.de/themen/W2GWPY,0,0,Interkulturelle_%D6ffnung.html 5 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Der Einfluss von Zuwanderung auf die deutsche Gesellschaft Deutscher Beitrag zur Pilotforschungsstudie „The Impact of Immigration on Europe’s Societies“ im Rahmen des Europäischen Migrationsnetzwerks, Nürnberg 2005, S. 63. http://www.bamf.de/cln_011/nn_442522/SharedDocs/Anlagen/DE/Migration/Publikationen/Forschung/Forschungs berichte/fb1-einfluss-zuwanderung,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/fb1-einfluss-zuwanderung.pdf

6


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

gesellschaft, die an der Gestaltung des Nationalen Integrationsplans beteiligt waren, zur Förderung der Integration eingegangen sind.

So heißt es zum Beispiel in dem Kapitel, in dem der Beitrag der Länder zur Integration präzisiert wird: „Integration kann nur gelingen, wenn sich auch die staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen den Zugewanderten öffnen und der Zuwanderungsrealität Rechnung tragen. Die Länder streben deshalb die interkulturelle Öffnung ihrer Verwaltung an, zu der sowohl die Qualifizierungsmaßnahmen für alle öffentliche Bedienstete als auch Bemühungen zur Erhöhung des Anteils von Menschen mit Migrationshintergrund gehört“. 6

Weiter unten, wenn es um die konkreten Empfehlungen der Länder geht, heißt es: „Die Länder setzen sich dafür ein, die Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund am Gesundheitssystem auch durch dessen interkulturelle Öffnung zu verbessern. Insbesondere sollen der Zugang zu gesundheitlichen Angeboten, das Gesundheitswissen und die Gesundheitskompetenzen verbessert werden. Die Länder werden Projekte und Initiativen zum Abbau von Zugangsbarrieren unterstützen und mit Kooperationspartnern zielgruppenspezifische Angebote weiter entwickeln und umsetzen.“ 7

In den Abschnitten zu Bildung, Ausbildung und Arbeitsmarkt-Chancen heißt es zum Beispiel von Seiten der Verbände:

„Die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände empfiehlt ihrem Mitgliedsbereich/ihren Mitgliedsverbänden, den Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund in den Verwaltungen zu erhöhen, Mitarbeiter in der Weise fortzubilden, dass dem Ziel der Kundenfreundlichkeit und dem Bedarf an interkultureller Kompetenz in der Verwaltung noch wirkungsvoller Rechnung getragen werden kann.“ 8 oder

„Die Träger der Jungendsozialarbeit verstärken ihre Kooperation mit Migrantenorganisationen. Die Jugendmigrationsdienste initiieren und begleiten die interkulturelle Öffnung der Träger. Die Träger der Jugendsozialarbeit streben die Erhöhung des Anteils an Mitarbeiterinnen

6

Nationaler Integrationsplan. http://www.bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/Bundesregierung/BeauftragtefuerIntegration/beauftragte-fuerintegration.html. S. 24. 7 NIP a.a.O. S. 29. 8 NIP a.a.O. S. 32.

7


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

und Mitarbeitern mit Migrationshintergrund und die Berücksichtigung der Jugendlichen mit Migrationshintergrund in allen Maßnahmen an“. 9 Beim Themenschwerpunkt Kommunale Gesamtkonzepte 10 heißt es:

„Die Verbände der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) arbeiten darauf hin, durch interkulturelle Öffnung der Einrichtungen und Dienste in ihrer Trägerschaft, Angebote konsequent auf die Bedarfe von Migrantinnen und Migranten auszurichten. 11 Die Verbände der BAGFW fördern die interkulturelle Kompetenz ihrer Mitarbeiter und die interkulturelle Öffnung ihrer Dienste und Einrichtungen.“ 12 Bei den Zielbestimmungen, die zu dem Themenschwerpunkt Kommunale Gesamtkonzepte formuliert werden, nimmt die Interkulturelle Öffnung ebenfalls eine prominente Rolle ein. Dort heißt es: „Durch die interkulturelle Öffnung der Verwaltung und der Institutionen – durch Einstellung von Migrantinnen und Migranten und interkulturelle Fortbildungen für alle – sowie den Abbau von Zugangsbarrieren sollen alle Bevölkerungsgruppen angemessen vertreten sein und bei der Durchsetzung ihrer Belange kompetent unterstützt werden.“ 13

Die Forderung der interkulturellen Öffnung macht auch bei der Kultur nicht Halt. So steht dazu beim Themenschwerpunkt Kultur im Nationalen Integrationsplan: „Was in international operierenden Unternehmen längst zum Erfolgsfaktor geworden ist, muss in vielen Institutionen und Organisationen Wirklichkeit werden: interkulturelle Öffnung im Selbstverständnis, in den inhaltlichen Programmen, in den Gremien und beim Personal. Zu selten sind Migrantinnen und Migranten fest verankerter Teil des Kulturbetriebs. Sie sind im Kulturleben unterrepräsentiert – sowohl im Publikum als auch „auf der Bühne“ eigener künstlerischer Aktivitäten. Auch die Migranten–Kulturvereine sollten stärker aktiv am kulturellen Leben partizipieren und sich gegenüber der deutschen Gesellschaft mehr öffnen.“ 14

Eine besondere Synergie für die Integration verspricht sich der Nationale Integrationsplan aus der Zusammenarbeit traditioneller Vereine, Verbände, Kirchen, Religionsgemeinschaften und Migrantenorganisationen. „Die Regierungen von Bund, Ländern und Kommunen erklären sich auch bereit, diese Zusammenarbeit, die von allen die Bereitschaft zur interkulturel9

NIP a.a.O. S. 77.

10

Alfred Reichwein „Integration in den Kommunen“ Köln April 2004. http://www.bamf.de/cln_011/nn_443294/SharedDocs/Anlagen/DE/Migration/Downloads/ZuwanderungsratExpertis en/exp-reichwein-zuwanderungsrat,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/exp-reichweinzuwanderungsrat.pdf 11 NIP a.a.O. S. 112. 12 NIP a.a.O. S. 118. 13 NIP a.a.O. S. 111. 14 NIP a.a.O. S. 132.

8


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

len Öffnung voraussetzt, auch besonders zu fördern.“ 15 In Zukunft soll sogar die Vergabe von Fördergeld an die Bereitschaft zur Zusammenarbeit gekoppelt werden. 16

Diese Zitate aus dem Nationalen Integrationsplan zeigen, dass der Aufstieg des Begriffs der Interkulturellen Öffnung der Verwaltung zur Politikfähigkeit das Suchen nach Konzepten ausdrückt, die in der Lage sind, die Integrationskompetenz gesellschaftlicher Institutionen in der Gesellschaft herzustellen, die nach 40jähriger Verdrängung endlich registriert, dass sie zu einer Einwanderungsgesellschaft geworden ist.

Wenn wir die Aussagen der Zitate zur interkulturellen Öffnung zusammenfassen und versuchen, daraus abzuleiten, was unter interkultureller Öffnung zu verstehen ist, erfahren wir erstens, dass der Anteil an Mitarbeitern mit Migrationshintergrund erhöht werden soll; zweitens, dass die Angebote auf den Bedarf von Migranten auszurichten sind und drittens, der traditionelle non profit-Bereich aufgefordert wird, stärker mit Migrantenorganisationen zusammenzuarbeiten. Weiter sollen viertens die Mitarbeiter in den Institutionen entsprechend qualifiziert werden. Damit ist gemeint, dass sie interkulturelle Kompetenz erwerben.

Inwieweit der Verbraucherschutz im Allgemeinen und die Verbraucherorganisationen im Besonderen dabei sind, diese Öffnung zu vollziehen, und welche Herausforderungen diese Anpassung erfordert, werden wir im Ablauf der Studie erläutern.

Begriffsbestimmung

Verbraucherschutz hat insbesondere eine kompensatorische Funktion gegenüber den tatsächlichen Marktverhältnissen zwischen Anbietern und Verbrauchern bzw. Konsumenten von Waren und Dienstleistungen. Das modellhafte Spiel von Angebot und Nachfrage auf dem Markt ist in vielen Fällen durch einseitige Nachteile auf der einen bzw. Vorteile auf der anderen Seite des Waren- und Dienstleistungsaustauschs verzerrt oder sogar gestört. Das Modell unterstellt gleich starke und fähige Partner, die es aber aus ökonomischen, sozialen und anderen gesellschaftlich bedingten Faktoren in dieser modellhaften Vorstellung gar nicht geben kann. Einkommen, sozialer Status, Bildungsvoraussetzungen und ähnliches führen notwendig zu Ungleichheiten, die der Sozialstaat westlicher Prägung aufzuheben oder zumindest zu mildern versucht.

15 16

NIP a.a.O. S. 174. NIP a.a.O. S. 175.

9


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Das Verbraucherpolitik ist ein Teil dieser Steuerungsmechanismen zur Herbeiführung eines entsprechenden Niveauausgleichs. Ganz allgemein gesagt gibt es drei Ebenen der Korrektur des Marktgeschehens durch Verbraucherschutz. Das sind einmal gesetzliche Regelungen oder Vorschriften, die den Anbietern von Waren und Dienstleistungen bestimmte Pflichten auferlegen. Dazu gehören Qualitätsstandards, bestimmte Kennzeichnungspflichten usw. Als Zweites sind unterstützende Informationen von Behörden, staatlich finanzierten Organisationen (wie zum Beispiel Verbraucherzentralen und Stiftung Warentest) und anderen Einrichtungen zu nennen, die den Verbrauchern Entscheidungshilfen geben und zu einer Transparenz der Geschäftsvorgänge beitragen. Dies gilt vor allem für den relativ abstrakten, für viele zu abstrakten Bereich der Finanzdienstleistungen. Neuerdings hat sich eine dritte Ebene institutionalisiert, die vor allem ökologische Aspekte in die Marktbeziehungen einführt und den Verbraucher nicht nur auf seinen persönlichen wirtschaftlichen Vorteil in der Warenwelt hinweist, sondern ihn auch dazu anhalten will, bei seinen Kaufentscheidungen auch gesamtgesellschaftlich und ökologisch zu denken.

Verbraucherpolitik hat also insbesondere die gesellschaftlich und politisch wahrgenommene Aufgabe, die Markttransparenz im Interesse der Verbraucher durch eine staatlich vorgeschriebene Regelung der Anbieterinformationen zu verbessern oder diese Markttransparenz durch zusätzliche anbieterunabhängige Informationen zu fördern.

Diese Konstruktion, die nicht nur den persönlichen Vorteil in der Konsumwelt steuern, sondern auch zum sozialen Ausgleich und zu ökologischer Nachhaltigkeit beitragen soll, trifft in der modernen Gesellschaft nicht nur auf gelegentliches Desinteresse bei Teilen der Bevölkerung, sondern auch auf Wahrnehmungsbarrieren von hohen Graden, wenn es um sozial Schwache, Niedrigverdiener und Bildungsdepravierte geht. Wenn man diese Bevölkerungsschichten nicht vom Benefit des Verbraucherschutzes von vornherein ausschließen will, müssen in diese Richtung besondere Anstrengungen unternommen werden, um die Leute überhaupt zu erreichen. Zu dieser Bevölkerungsgruppe gehören auch oft, wenn natürlich nicht grundsätzlich und immer, die Migranten, weil sie entweder selbst mit den genannten Defiziten leben müssen oder zusätzliche Schwierigkeiten durch Verständigungsschwierigkeiten wegen fehlender oder unzureichender Sprachkenntnisse haben.

Die Verbraucherorganisationen müssen überprüfen, wie sie die spezielle Aufgabe wahrnehmen können, den Schutz solcher gesellschaftlicher Gruppen zu unterstützen, die wesentlich größere Probleme mit einer angemessenen Versorgung von Waren und Dienstleistungen, auch von Finanzdienstleistungen haben als andere. Zu überdenken wäre auch, ob nicht die Migranten eine besonders unterstützungsbedürftige und als Verbraucher zu schützende 10


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Gruppe der Bevölkerung sind, sondern vielmehr die einkommens- und bildungsschwachen Teile der Bevölkerung überhaupt, zu denen eben auch ein großer Teil der Migranten aus unterschiedlichen Gründen zählt. In diesem Zusammenhang ist die Notwendigkeit von Verbraucherbildung 17 zu nennen. Viele Orientierungsmöglichkeiten der Verbraucher, vor allem in den schon genannten abstrakteren Dienstleistungen wie Finanzen, Kreditwesen und Rechtsfragen, setzen ein Mindestmaß an Allgemeinbildung voraus, das auch nicht durch kurzfristige Unterweisungen oder Schulungen erreicht werden kann. Es kann auch nicht auf feste Wissensbestände ankommen, sondern vielmehr auf einen allgemeinen Bildungshintergrund, der auch ein Zurechtfinden ohne Detailwissen möglich macht. Dazu gehört aber Verbrauchererziehung vom Vorschul- und Grundschulalter an.

Diese Aussagen zum Verbraucherschutz verweisen auf die übergeordnete Verbraucherpolitik. Diese ist ja nicht ausschließlich die Umsetzung politischer Grundsatzentscheidungen zum Verbraucherschutz auf der Ebene der Entscheidungsträger bis hinab in die Alltagspraxis vor Ort. Verbraucherpolitik ist die Interessenvertretung der Verbraucherorganisationen für ihre Klientel, um politische Entscheidungen zu erwirken und durchzusetzen. Das ist das Gebiet, wo die Verbraucherorganisationen von sich aus an Grenzen stoßen, die oben genannten Mängel der Verbraucherberatung und des Verbraucherschutzes zu beheben, weil die finanziellen und personellen Ressourcen fehlen. Diese Interessenvertretung kann durch Interkulturelle Öffnung und durch die Einbindung in übergreifende Netzwerke erleichtert werden, weil die allgemeine Öffentlichkeit und die politischen Entscheidungsträger auf diese Formen der Einflussnahme eingestellt sind.

17

Verbraucherinformation als Instrument der Verbraucherpolitik. Konzeptpapier des wissenschaftlichen Beirats „Verbraucher- und Ernährungspolitik“ beim BMVEL. Hauptautorin: Ursula Hansen, Hannover/Berlin 2003.

11


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

2. Auftrag Die Studie soll die Grundlage für die Öffnung der Verbraucherorganisationen gegenüber der Zielgruppe Migranten sein. Sie soll durch Informationen und Empfehlungen zum Thema „Verbraucherinformation und Beratung in der Einwanderungsgesellschaft“ die Basis für die Einstellung der Verbraucherzentralen auf den spezifischen Bedarf dieser Zielgruppe bilden. Die Ergebnisse der Studie sollen auf einer Tagung im Herbst 2007 in Berlin vorgestellt werden.

Die Studie hat mehrere Ziele zu verfolgen: •

Es soll herausgearbeitet werden, wo bei den zwei größten Migrantengruppen – den Einwanderern aus der Türkei und den Aussiedlern und anderen Migranten aus der ehemaligen Sowjetunion – Defizite ihrer Konsumkompetenz festzustellen sind, und welches die Konsumfelder sind, an denen sich das besonders bemerkbar macht. Die Studie soll sich dabei auf diejenigen Felder konzentrieren, in denen die möglichen Defizite in der Konsumkompetenz für Migranten zu handfesten Problemen führen.

Es sollen die Zugangswege herausgearbeitet werden, über welche Kanäle diese beiden Gruppen mit dem Ziel der Verbraucherinformation und -beratung erreicht werden können.

Ebenso soll herausgearbeitet werden, über welche Medien und mit welchen Methoden und Formaten diese Zielgruppen angesprochen werden kann und ob die klassischen Instrumente der Verbraucherbildung ohne weiteres übertragbar sind.

In diesem Zusammenhang soll die spezifische Medien-Landschaft dieser beiden communities erschlossen werden ebenso wie die zivilgesellschaftliche Infrastruktur (zum Beispiel Migrantenorganisationen, Moscheen, sonstige religiöse Organisationen, Beratungsstellen und sonstige Träger), die für einen Zugang zu dieser Zielgruppe relevant sind. Es soll an Fallbeispielen herausgearbeitet werden, wie über diese beiden Kanäle ein Zugang zu der Zielgruppe aufzubauen ist.

Die Ergebnisse sollen ausgewertet und Empfehlungen gegeben werden.

Zwei Gegebenheiten haben aber dazu geführt, dass der Rechercheauftrag ausgeweitet wurde. Das war einmal die Tatsache, dass im Nationalen Integrationsplan, der am 12. Juli 2007 12


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

vorgestellt wurde, das Ziel der interkulturellen Öffnung für die Verwaltung und non profitOrganisationen als Schwerpunkt gesetzt wurde. Zum andern wurde während der Recherche die Erfahrung gemacht, dass im Verbraucherschutz kaum nennenswerte Bemühungen vorzufinden sind, Migranten als Adressaten von Verbraucherinformation und -beratung besonders zu berücksichtigen.

Der erweiterte Rechercheauftrag beinhaltete daher herauszuarbeiten, inwieweit die Zielgruppe der Migranten von der Verbraucherpolitik berücksichtigt wird und die interkulturelle Öffnung in das System Verbraucherschutz Eingang gefunden hat.

13


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

3. Datenlage

Über die Situation von Migranten in Deutschland existieren nur unzureichende statistische Daten. Die offiziellen Statistiken weisen zum Teil erhebliche Zuordnungsmängel auf, die rückwirkend nicht ausreichend korrigiert werden können. Thematische Untersuchungen zu Einzelaspekten der Lebenssituation von Migranten liegen nur in begrenztem Umfang vor oder werden erst aktuell für unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche vorgenommen. 18 Letzteres zeigt ein Umdenken, das Deutschland nunmehr als Einwanderungsland begreift und somit auch die Unzulänglichkeiten in der bisherigen Wahrnehmung des Migrationsgeschehens deutlich sieht. Das vorhandene Material zeigt, dass es kaum Studien zu Migranten als Verbraucher und zur Mediennutzung von Migranten gibt. Es gibt einige Arbeiten aus dem Bereich Ethnomarketing, die nur am Rande für die hier relevanten Fragestellungen Auskunft geben, aber dennoch aufgegriffen werden müssen. 19 Insgesamt ist jedoch in diesen Studien eine mangelnde Repräsentativität der Aussagen festzustellen, davon abgesehen, dass sie zum Teil impressionistisch erscheinen und nicht methodisch abgesichert sind.

Daraus resultiert, dass die hier in Frage stehende Studie zusätzliche Zugangswege für Daten erarbeiten musste.

18

Die Bundeszentrale für politische Bildung und die Adenauer-Stiftung haben zum Beispiel Studien in Auftrag gegeben, um zu eruieren, wie die Angebote der Politischen Bildung auf den besonderen Bedarf von Migranten zugeschnitten werden können. 19 Die Angaben zum Ethno-Marketing befinden sich im Anhang.

14


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

4. Methodisches Vorgehen

Erfahrungen aus anderen Bemühungen um interkulturelle Öffnung bei Sozialen Diensten, Polizei und politischer Bildung zeigen, dass Einrichtungen und Beratungsstellen, die von Migranten aufgesucht werden wie Migrantenorganisationen, Gesprächskreise, Moscheevereine und andere existierende Infrastrukturen, die Stellen sind, die den direkten Kontakt zur Zielgruppe haben und daher dort die Kenntnisse über die jeweiligen Migrantencommunities konzentriert sind.

Daraus ergab sich für die Studie, außer den Literaturrecherchen auch Einzelgespräche mit strukturiertem Gesprächsleitfaden zur Annäherung an die Fragestellung durchzuführen. Zusätzlich sollte bei ausgewählten Verbraucherzentralen abgefragt werden, inwieweit bekannt ist, ob Migranten die Beratungsstellen aufsuchen und mit welchem Informationsbedarf sie das tun.

Um zu eruieren, ob und wie Verbraucherpolitik eine zielorientierte Arbeit gegenüber den Migranten verfolgt, haben wir uns die Verbraucherschutzaktivitäten auf der politischen und Regierungsebene sowie die Aktivitäten bei den Verbraucherorganisationen angesehen.

Die Studie stützt sich neben desk research (Studien, Expertisen, Publikationen, Verbraucherberichten, Koalitionsvereinbarungen, Regierungserklärungen, Auswertung der Mediadaten, auch journalistischen Darstellungen) auf eine offene, nicht standardisierte Befragung, in der Meinungen und Beobachtungen aus vier Bereichen ermittelt werden: •

Beratungsstellen für Migranten,

Vereine, Organisationen, Infrastruktureinheiten von Migranten,

Verwaltungen

ausgewählten Verbraucherzentralen.

Die Befragungen wurden in Einzelgesprächen auf der Grundlage eines strukturierten Gesprächsleitfadens geführt. Eine repräsentative Befragung ist nicht beabsichtigt.

15


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

5. Statistische Voraussetzungen

Die statistischen Daten über die Situation von Migranten in Deutschland sind unzureichend. Die offiziellen Statistiken haben bis in jüngste Zeit erhebliche Zuordnungsmängel, die rückwirkend nicht korrigiert werden können. Die Ursache liegt darin, dass für Begriffe wie Einwanderer, Ausländer, Aussiedler, Einbürgerung, Migranten bzw. Migrationshintergrund, auch Staatsangehörigkeit keine trennscharfen Kategorien bei den Erhebungen angewandt wurden, obwohl es begriffliche Überschneidungen gibt. Die Folge ist, dass das statistische Datenmaterial unpräzise und oft unbrauchbar ist. In vielen Fällen, wenn die Beschreibung der Situation ins Detail gehen sollte, ist diese Tatsache misslich, bei der vorliegenden Expertise wird man sich mit groben Schätzwerten oder Annäherungen an die reale Situation begnügen können.

Der Mikrozensus des Statistischen Bundesamts von 2005 gibt ein Überblicksbild über die Grunddaten, die Deutschland als Einwanderungsland charakterisieren. „Zu der Bevölkerungsgruppe der Menschen mit Migrationshintergrund zählen neben Ausländern auch Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit, wie zum Beispiel eingebürgerte Ausländer oder eingebürgerte Kinder von Ausländern sowie Spätaussiedler und Kinder von Spätaussiedlern. Nach Auswertung dieser Mikrozensusfragen lebten im Jahr 2005 insgesamt 15,3 Millionen Ausländer und Deutsche mit Migrationshintergrund in Deutschland. Damit stellt diese Gruppe fast ein Fünftel (19%) der Bevölkerung, während die 67,1 Millionen Deutschen ohne Migrationshintergrund rund vier Fünftel (81%) der Bevölkerung entsprechen. Damit ist sowohl die Zahl aller Personen mit Migrationshintergrund als auch deren Anteil an der Gesamtbevölkerung mehr als doppelt so hoch als die bislang bekannte Ausländerzahl. Innerhalb der Gruppe der Mitbürger mit Migrationshintergrund stellen die Deutschen mit Migrationshintergrund mit insgesamt 8,0 Millionen oder knapp 10% der Bevölkerung die knappe Mehrheit (52%), während die 7,3 Millionen Ausländer nur knapp 9% der Gesamtbevölkerung oder 48% aller Personen mit Migrationshintergrund ausmachen.“ 20

In jedem zehnten Haushalt lebt mindestens ein ausländischer Staatsbürger „Im Jahr 2005 waren 35,2 Millionen (90%) der 39,2 Millionen Haushalte deutsche Haushalte, das heißt Haushalte, in denen ausschließlich Personen mit deutscher

20

Statistisches Bundesamt. Leben in Deutschland. Haushalte, Familien und Gesundheit – Ergebnisse des Mikrozensus 2005. Presseexemplar. S. 9.

16


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Staatsangehörigkeit lebten. 2,3 Millionen (6%) der Haushalte waren ausländische Haushalte, also Haushalte, in denen ausschließlich Menschen mit ausländischem Pass wohnten. Zudem gab es 1,7 Millionen (4%) deutsch-ausländische Haushalte, das heißt Haushalte in denen sowohl Haushaltsmitglieder mit deutscher als auch mit ausländischer Staatsangehörigkeit unter einem Dach zusammen lebten [...]. Damit existierten 2005 deutschlandweit 4,0 Millionen (10%) Haushalte, in denen mindestens eine Person mit ausländischem Pass lebte.“ 21

Fast ein Fünftel der Bevölkerung in Deutschland hat einen Migrationshintergrund „Die 67,1 Millionen Deutschen ohne Migrationshintergrund stellen gut 81% der Bevölkerung, Ausländer und Deutsche mit Migrationshintergrund kommen zusammen auf 15,3 Millionen oder knapp 19% der Bevölkerung.

Der Mikrozensus weist 1,8 Millionen Spätaussiedler aus; dies entspricht knapp 12% aller Personen mit Migrationshintergrund. Dabei handelt es sich allerdings nicht um die Zahl aller in Deutschland lebenden Spätaussiedler, sondern nur um jene, die nach dem 1. August 1999 nach Deutschland zugewandert sind und damit nicht eingebürgert wurden. Alle vor diesem Zeitpunkt zugewanderten Spätaussiedler sind in der Zahl der Eingebürgerten enthalten und lassen sich nicht von den anderen Eingebürgerten unterscheiden, da die Betroffenen im Mikrozensus nicht gefragt wurden, ob sie Spätaussiedler sind oder nicht, sondern ob sie zugewandert sind und die deutsche Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung erhalten haben.“ 22

Damit sind jedoch noch keine Aussagen über die Binnendifferenzierung von Einwanderern nach ihrem Herkunftsland bzw. nach früherer Staatsangehörigkeit getroffen. Der Mikrozensus des Statistischen Bundesamts von 2005 weist eine solche Differenzierung nicht aus. Lediglich der Verweis auf 1,8 Millionen Spätaussiedler 23 gibt eine annähernde Angabe über die Anzahl von Migranten aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Weitere größere Einzelgruppen von Migranten sind solche aus der Türkei und aus den Nachfolgestaaten Jugoslawiens. Alle Zahlenangaben zu diesen Gruppen sind, wie oben beschrieben, mit Vorsicht aufzufassen, weil die statistische Behandlung von Ausländerstatus bzw. Einbürgerungen keine klaren Aussagen zulässt. Selbst das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat im Jahre 2005 in seinem Migrationsbericht nicht die Möglichkeit gesehen, differenzierte Angaben zu machen. Zitat: „Ein Zuwanderer aus der Russischen Föderation im

21 22 23

Mikrozensus ebenda S. 19-20. ebenda S. 74-76. ebenda S. 76.

17


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Jahr 2004 kann beispielsweise als Spätaussiedler, Asylbewerber, Student oder auch im Rahmen des Familiennachzugs eingereist sein, ohne dass dies aus den Zuzugsstatistik des Statistischen Bundesamtes ersichtlich wird. [...] Es ist zudem nicht klar, in welchem quantitativen Ausmaß und mit welcher Aufenthaltsdauer bestimmte Gruppen in die Statistik eingehen.“ 24

Lediglich eine Tabelle aus dem Migrationsbericht des BAMF über „Zuzüge über die Grenzen Deutschlands nach Herkunftsländern von 1991 bis 2004“ 25 lässt in der Kumulation der Angaben für die einzelnen Jahre eine annähernde Aussage über die Zuwanderung nach Herkunftsländern zu. Demnach sind das von

1991 bis 2004 aus der UdSSR bzw. deren Nachfolgestaaten

rd. 2,4 Millionen

davon Deutsche (also Spätaussiedler)

rd. 1,5 Millionen

aus der Türkei

rd. 860.000.

Nach inoffiziellen Angaben liegen die Zahlen jedoch weit höher.

Für die russischsprachigen Mitbürger in der Bundesrepublik Deutschland nennt die Werbeagentur inprom.com im Jahr 2005 als Schätzwert 4 Millionen Personen davon 83% Aussiedler/Spätaussiedler aus UdSSR-Staaten, 8% jüdische Emigranten 9% Sonstige (Heirat, Arbeit, Studenten) An anderer Stelle werden 4,5 Millionen Personen genannt, ständig zunehmend. 26

Die Werner Media Group Berlin spricht in ihrem Prospekt für 2004 von circa 4,2 Millionen russischsprachigen Personen und circa 2,6 Millionen Türken. 27

24

Migrationsbericht des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge im Auftrag der Bundesregierung. Migrationsbericht 2005, S.11, http://www.bmi.bund.de/Internet/Content/Common/Anlagen/Broschueren/2006/Migrationsbericht__2005,templateI d=raw,property=publicationFile.pdf/Migrationsbericht_2005.pdf 25 s.o. Migrationsbericht des BAMF S. 110 – 113. 26 http://www.inprom.com/de/ethno-marketing_de.htm 27 http://www.wernermedia.de/pdfs/Preisliste_Mediadaten_2007.pdf

18


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Unabhängig davon, ob diese Zahlen in ihrer absoluten Größe korrekt sind, verweisen sie doch auf ein beachtliches gesellschaftliches (und auch wirtschaftliches) Potenzial, das bisher weitgehend vernachlässigt wurde, wie auch die mangelhafte statistische Aufarbeitung zeigt. Auch die Einwohnerstatistik Berlins des Statistischen Landesamts Berlin 2006 macht nur Aussagen zum Beispiel über „Melderechtlich registrierte Ausländer am Ort der Hauptwohnung in Berlin am 31. Dezember 2005“ oder „Melderechtlich registrierte Einwohner [...]“ am 31.12.2005, darunter Ausländer in %. Ohne dass daraus Schlussfolgerungen über Migrationsstatus, Einbürgerungen, frühere Staatsangehörigkeit etc. möglich wären. 28

28

http://www.statistik-berlin.de/statistiken

19


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

6. Demographische und sozioökonomische Situation der Migranten aus der Türkei 29 Nach den Angaben des Mikrozensus lebten im Jahr 2005 insgesamt 15,3 Millionen Ausländer und Deutsche mit Migrationshintergrund in Deutschland. Damit stellt diese Gruppe fast ein Fünftel (19%) der Bevölkerung, während die 67,1 Millionen Deutschen ohne Migrationshintergrund rund vier Fünftel (81%) der Bevölkerung entsprechen. (Mikrozensus 2005)

Nach Angaben der Studie über Migranten und Finanzdienstleistungen leben in Deutschland mehr als 7,3 Millionen Migranten, die mit Abstand größte Gruppe bilden die 1,9 Millionen Personen türkischer Nationalität. Insgesamt lebten Ende 2003 rund 2,5 Millionen türkischstämmige Menschen in der Bundesrepublik. (Migranten und Finanzdienstleistungen 2005)

Nach inoffiziellen Angaben liegen die Zahlen jedoch weit höher. Spiegel Online nennt am 6. Juni 2006 bei 700.000 türkischen oder türkischstämmigen Haushalten insgesamt 3 Millionen Menschen („Umfragen zufolge“ ohne nähere Quellenangabe).

Das IM Marketing Forum stützt sich mit seinen Angaben auf die Zahlen des Mikrozensus, wonach in Deutschland 15,3 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund lebten. Die weiteren Untergliederungen sind dann ohne Quellennachweis. Die größten Zielgruppen sind danach die russischstämmigen Menschen (3,2 Millionen), die türkischstämmigen Deutschen (gut 2,7 Millionen) und die Türken (1,7 Millionen), also für die türkischen Migranten insgesamt 4,4 Millionen.

Die soziodemographischen Merkmale der türkischen Bevölkerung unterscheiden sich deutlich von denen der deutschen Bevölkerung und haben sich im Zeitvergleich seit 1999 nur wenig verändert. Das Durchschnittsalter liegt bei 39 Jahren und ist aufgrund von Geburtenüberschuss und Ehegattennachzug relativ stabil. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer liegt bei 24 Jahren, zwei Drittel leben inzwischen 20 Jahre und länger in Deutschland.

29

Die Auswertung stützt sich in erster Linie auf die beiden Studien: Perspektiven des Zusammenlebens: Die Integration türkischstämmiger Migrantinnen und Migranten in NordrheinWestfalen. Ergebnisse der achten Mehrthemenbefragung. Stiftung Zentrum für Türkeistudien. Eine Analyse im Auftrag des Ministeriums für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen. Bericht: Dr. Martina Sauer. Essen, März 2007. http://kunde6.juli.bimetal.de/UserFiles/File/NRWBericht%202006.pdf sowie Migranten und Finanzdienstleistungen. Evers & Jung. Studie im Auftrag des Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV), Schlussbericht, Hamburg Dezember 2005. http://www.bmelv.de/cln_044/nn_754188/SharedDocs/downloads/02-Verbraucher schutz/Finanzdienstleistungen/MigrantenFinanzdienstleistungen,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/Migr antenFinanzdienstleistungen.pdf ferner auf den Mikrozensus 2005.

20


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Die türkische Migrantengruppe wird deutlich gekennzeichnet durch das in der Migrationssoziologie entwickelte Modell der Migrantengenerationen, das einen intergenerativen Wandel zwischen Angehörigen der ersten, zweiten und dritten Zuwanderergeneration annimmt.

Nach diesem Modell passt sich die Mehrheit der ersten Generation der Zuwanderer nur im wirtschaftlichen und sozialen Bereich dem Aufnahmeland an und versucht ihre Herkunftskultur zu bewahren. Die zweite Generation lebt dagegen in zwei Kulturen mit gemischten Wertestandards. Dies hat zur Folge, dass statt der heimatlichen immer mehr die Lebensbedingungen des Einwanderungslandes zum Vergleich genommen werden. Die dritte Generation gibt schließlich die Herkunftskultur ihrer Eltern auf und assimiliert sich gänzlich in die Kultur des Aufnahmelandes. Dieses Modell kann jedoch nur als Grundmuster dienen und wird oft von anderen Mechanismen überlagert. Ebenso erfolgt eine bewusste Abgrenzung der dritten Generation von den assimilierten Eltern der zweiten Generation in der Rückbesinnung auf die frühere Heimat.

Die Herausbildung der türkische community mit ihrer jetzigen Infrastruktur war ein Prozess über mehrere Jahrzehnte, zugleich hat sich jedoch die Kultur der türkischstämmigen Migranten in Deutschland von der in der Türkei entfernt.

Der Anteil der Angehörigen der zweiten und dritten Generation in der türkischstämmigen Bevölkerung ist seit der Phase des Familiennachzugs stetig gestiegen. Die reine Arbeitsmigration wurde durch eine von Familiennachzug geprägte Migration abgelöst, die oft den Charakter von Kettenmigration ganzer Verwandtschaftssysteme hatte. Das hat zu einer demographischen Umstrukturierung der Migranten-Communities in Deutschland geführt, da die Anteile der nichterwerbstätigen ausländischen Bevölkerung (Frauen, Jugendliche, Alte) stark anstiegen. Das betrifft in ähnlicher Weise auch andere Migrantengruppen. Eine Quantifizierung der Angehörigen der zweiten und dritten Generation anhand der Alterstruktur der türkisch-stämmigen Bevölkerung in Deutschland ist allerdings schwierig, da die amtliche Statistik sie als junge erwachsene Zugewanderte nicht gesondert aufführt.

Nach der Befragung aus Nordrhein-Westfalen sind insgesamt 21% der erwachsenen türkischstämmigen Migranten der ersten Generation zuzurechnen, 48% können als Nachfolgegeneration bezeichnet werden (in Deutschland geboren oder aufgewachsen). Gut ein Viertel (28%) sind Heiratsmigranten der Nachfolgegeneration. Die familiäre Einbindung ist stark ausgeprägt und stabil: 80% der Befragten sind verheiratet und haben dann auch Kinder, im Durchschnitt aller Befragten 2,1. Die Religiosität, bei der im Jahr 2003 Jahr eine deutliche Zunahme festgestellt wurde, hat 2006 wieder leicht abgenommen. 21


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Mit dem Familiennachzug, der zunehmenden Verweildauer und dem Heranwachsen der zweiten und dritten Generation rücken immer stärker Konsuminteressen und die finanzielle Absicherung des Aufenthalts in Deutschland in den Vordergrund. Trotzdem sind die türkischstämmiger Migranten in Deutschland immer noch schlecht in die gesellschaftlichen und vor allem wirtschaftlichen Strukturen Deutschlands eingebunden. Die wirtschaftliche und soziale Situation der türkischen Migranten ist im Vergleich zur deutschen Bevölkerung nach wie vor defizitär. Das zeigt sich insbesondere daran, dass sie überdurchschnittlich stark von Armut betroffen sind. Die Quote der Arbeitslosigkeit und des Bezugs von Sozialhilfe ist doppelt bzw. dreimal so hoch wie für die deutsche Bevölkerung. Insbesondere Frauen, Kinder und ältere Migranten leben oftmals unter der Armutsgrenze.

Türkischstämmige Einwanderer hatten 2003 im Bundesgebiet West die höchste Arbeitslosenquote mit 25,3%. Die Erklärung dieser Situation liegt in Defiziten bei der sprachlichen Kompetenz sowie schlechteren schulischen und beruflichen Qualifikationen. Insgesamt stufen die Migranten ihre Deutschkenntnisse zur Hälfte als gut ein, unter den Unter-30-Jährigen sind es fast drei Viertel. Auch das Niveau der Schulabschlüsse differiert deutlich nach Altersgruppen: In der ältesten Gruppe weisen mehr als die Hälfte (55%) keinen Schulabschluss auf, 20% haben einen mittleren Abschluss, aber immerhin auch 25% ein hohes Bildungsniveau erreicht. In der jüngsten Gruppe verfügen 11% über einen Hauptschulabschluss, 22% über einen Realschulabschluss und 18% über das Abitur.

Die Hälfte der Migranten verfügt nicht über eine berufliche Ausbildung.

In den jüngeren Altersgruppen ist der Anteil mit qualifizierten Schul- und Berufsabschlüssen zwar deutlich höher als unter den älteren Migrantinnen und Migranten, aber geringer als unter Deutschen, auch wenn er langsam steigt.

Allerdings ist auch festzuhalten, dass das Bildungsniveau der zweiten und dritten Generation türkischer Einwanderer trotz nach wie vor bestehender Probleme der Integration in das deutsche Schul- und Ausbildungssystem deutlich höher ist als das der ersten Generation. Die Türken stellen heute die größte Gruppe der ausländischen Studenten an den deutschen Hochschulen, die größtenteils bereits das deutsche Schulsystem durchlaufen haben. Auch die Zahl türkischstämmiger Unternehmer ist in den letzten Jahren stark angestiegen.

Die kulturelle Identität ist für die Migranten zwiespältig: 60% planen derzeit nicht mehr, in die Türkei zurückzukehren. Eine Mehrheit von 52% sieht Deutschland zumindest auch als Heimat. Bei Unzufriedenheit, Sorge um den Arbeitsplatz und schlechter sozialer Lage ist die 22


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Verbundenheit mit Deutschland tendenziell geringer und die Rückkehrabsicht höher. Diejenigen, die sich nicht einbürgern möchten, nannten vor allem (56%) die emotionale Bindung an die türkische Staatsbürgerschaft als Grund für die Beibehaltung der türkischen Staatsbürgerschaft.

Mehr als 90% der Migranten haben mindestens in einem Bereich Kontakte zu Deutschen, zum Beispiel zu Familien 38% und 79% in der Nachbarschaft. Die Kontakte schwanken dabei erwartungsgemäß nach Alter, Bildung und Sprachkenntnissen, unter den jüngeren Migranten ist der Kontakt zu Deutschen selbstverständlich noch weiter verbreitet. Darüber hinaus verfügt 40% der Migranten über relativ enge freundschaftliche Beziehungen zu Deutschen, unter jüngeren, gut gebildeten Zuwanderern mit guten Sprachkenntnissen sind es rund die Hälfte.

87% der Migranten nutzen sowohl deutsche als auch türkische Medien. Etwas zugenommen hat die alleinige Nutzung türkischer Medien. Wichtigste Medien sind das Fernsehen und die Zeitungen, die überwiegend komplementär genutzt werden.

Segregriert sind überdurchschnittlich ältere Migranten der ersten Generation sowie erst kurz in Deutschland lebende Heiratsmigranten. Migranten mit niedrigem Bildungsniveau und geringen Deutschkenntnissen sind unter den Segregierten ebenfalls überproportional vertreten.

23


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

7. Demographische und sozioökonomische Situation der Migranten aus der ehemaligen Sowjetunion (Spätaussiedler, jüdische Migranten und Sonstige) 30

Das Statistische Bundesamt nennt im Mikrozensus 2005 insgesamt 15,3 Millionen Ausländer und Deutsche mit Migrationshintergrund in Deutschland. Das ist fast ein Fünftel (19%) der Bevölkerung.

Davon werden 1,8 Millionen als Spätaussiedler ausgewiesen; dies entspricht knapp 12% aller Personen mit Migrationshintergrund. Dabei handelt es sich allerdings nicht um die Zahl aller in Deutschland lebenden Spätaussiedler, sondern nur um jene, die nach dem 1. August 1999 nach Deutschland zugewandert sind. Selbst das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat im Jahre 2005 in seinem Migrationsbericht nicht die Möglichkeit gesehen, differenzierte Angaben zu machen. Zitat: „Ein Zuwanderer aus der Russischen Föderation im Jahr 2004 kann beispielsweise als Spätaussiedler, Asylbewerber, Student oder auch im Rahmen des Familiennachzugs eingereist sein, ohne dass dies aus den Zuzugsstatistik des Statistischen Bundesamtes ersichtlich wird“. Eine Tabelle aus dem Migrationsbericht des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge über „Zuzüge über die Grenzen Deutschlands nach Herkunftsländern von 1991 bis 2004“ 31 lässt eine Kumulation der Angaben zu. Demnach sind das von 1991 bis 2004 aus der UdSSR bzw. deren Nachfolgestaaten rund 2,4 Millionen davon Deutsche (also Spätaussiedler) rund 1,5 Millionen.

Nach inoffiziellen Angaben liegen die Zahlen jedoch weit höher. Für die russischsprachigen Mitbürger in der Bundesrepublik Deutschland nennt die Werbeagentur inprom.com im Jahr 2005 als Schätzwert 4 Millionen Personen, davon 83% Aussiedler/Spätaussiedler aus UdSSR-Staaten, 8% jüdische Emigranten und 9% Sonstige (Heirat, Arbeit, Studenten)

Das IM Marketing Forum nennt unter den vom Statistischen Bundesamt angegebenen in Deutschland lebenden 15,3 Millionen Personen mit Migrationshintergrund 3,2 Millionen russischstämmige.

30

Die Auswertung stützt sich auf folgende Studien: Aussiedler im Mikrozensus 2005. Identifizierungsprobleme und erste Analysen zur Arbeitsmarktintegration. Elisabeth Birkner, Universität Leipzig. Integrationschancen von Spätaussiedlern, 29.-30. März 2007, Nürnberg. Verkehrte Welt. Spätaussiedler mit höherer Bildung sind öfter arbeitslos. IAB Kurzbericht. Aktuelle Analysen aus dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit, Ausgabe Nr. 8 / 2.4.2007. http://doku.iab.de/kurzber/2007/kb0807.pdf Jüdische Zuwanderer in Deutschland. Ein Überblick über den Stand der Forschung. Sonja Haug unter Mitarbeit von Peter Schimany. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Working Papers 3/2005. Projekt Jüdische Zuwanderer. Zuwanderer aus Russland und den GUS-Staaten. Projektbearbeitung Dr. Sonja Haug, Mitarbeit: Michael Wolf, Dr. Peter Schimany, Barbara Wentzel. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. 2005. 31

Migrationsbericht des BAMF s.o. S. 110 – 113.

24


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Wegen der problematischen statistischen Verfahren der vergangenen Jahre auch gegenüber Aussiedlern ist nur eine indirekte Identifizierung von Aussiedlern möglich. Da Aussiedler von vornherein entweder als Statusdeutsche galten oder schnell und unproblematisch die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben konnten, wurden sie statistisch nicht gesondert erfasst. Soziodemographische Daten liegen deshalb nicht vor oder müssen aus anderen Erfassungsdaten abgeleitet werden

Der geringere Arbeitsmarkterfolg von Aussiedlern im Vergleich zu Deutschen wird auf die durchschnittlich geringeren Qualifikationen und die Entwertung vorhandener Qualifikationen zurückgeführt. Über indirekte Verfahren ließ sich ermitteln, dass die Arbeitslosenrate von eingebürgerten Aussiedlern gegenüber der von Deutschen fast dreimal so hoch (27% zu 10%) ist. Die Angestelltenrate verhält sich wie 20 zu 70. Die Bildungshöhe unterscheidet sich bei Aussiedlern bzw. Deutschen wie folgt: Hauptschule – 46%/29%, Realschule – 36%/39%, Gymnasium – 5%/15%, Hochschule – 9%/16%.

Spätaussiedler sind viel stärker von Arbeitslosigkeit betroffen und seltener sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Sie sind mit 36% deutlich schlechter qualifiziert: Bei Deutschen gilt dies für knapp 14%. Ein höherer Bildungsabschluss verbessert nur bedingt die Erwerbschancen. Spätaussiedler mit akademischem Abschluss sind sogar weniger gut in den Arbeitsmarkt integriert als solche mit oder ohne abgeschlossene Berufsausbildung.

Von den sozialversicherungspflichtig beschäftigten Spätaussiedlern sind fast drei Viertel als Nicht-Facharbeiter tätig und nur wenige als Angestellte. Unter letzteren sind aber durchaus anspruchsvolle Berufe wie Arzt, Techniker oder Ingenieur vertreten – also Berufe, bei denen Qualifikationen universell verwertbar sind.

Die Hälfte der Spätaussiedler ist arbeitslos, sie haben deutlich häufiger als Deutsche keine abgeschlossene Berufsausbildung vorzuweisen. Spätaussiedler mit einem Ausbildungsabschluss finden eher eine Anstellung als die Akademiker unter ihnen. Diese sind sogar häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen als Spätaussiedler ohne Berufsausbildung.

Verantwortlich dafür sind die Probleme bei der Anerkennung ihrer ausländischen Abschlüsse sowie die oft unzureichenden Deutschkenntnisse. Außerdem könnten tatsächliche oder vermutete Unterschiede zwischen den Arbeitsplatzanforderungen in Deutschland und den mitgebrachten Qualifikationen eine Rolle spielen. Sieben von zehn Spätaussiedlern werden als 25


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Nicht-Facharbeiter beschäftigt. Sind Spätaussiedler hingegen als Angestellte tätig, so sind auch Ärzte, Techniker oder Ingenieure unter den zehn häufigsten Berufen zu finden.

Auch über die jüdischen Zuwanderer sind sichere Aussagen zu Sozialstruktur, Integration in den Arbeitsmarkt und Abhängigkeit von Sozialhilfe nicht möglich, weil sie als Ausländer der Gruppe der russischen bzw. der Staatsangehörigen der ehemaligen Sowjetunion zugeordnet wurden.

Jüdische Zuwanderer verfügen über ein relativ hohes Bildungs- und Qualifikationsniveau. Geringe Deutschkenntnisse, fehlende Anerkennung ihrer ausländischen Berufsqualifikationen und ausbleibende berufliche Weiterqualifikation führen jedoch zu relativ häufiger Arbeitslosigkeit, weshalb sie verhältnismäßig oft auf Sozialhilfe angewiesen sind.

Einige weitere Orientierungswerte zur Charakterisierung der Gruppe der Jüdischen Zuwanderer nach Deutschland können früheren Untersuchungen entnommen werden, die auf einen sehr hohen Anteil an Akademikern hinweisen bei zugleich sehr hoher Arbeitslosigkeit. (Gruber/Rüßler 2002, Hochqualifiziert und arbeitslos: 51% Akademiker, 46% nicht erwerbstätig. Schoeps/Jasper/Voigt 1999, Ein neues Judentum in Deutschland?: 73% mit Hochschulabschluss, Arbeitslosenquote von 60% bis 70%. Kessler 1997/2003, Jüdische Migration aus der ehemaligen Sowjetunion seit 1990: 68% Akademiker, 13% regulär erwerbstätig.)

26


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

8. Migranten als Verbraucher

Einige wenige Arbeiten: Studien, Untersuchungen, Gutachten und Berichte, wurden zum Thema Migranten als Verbraucher durchgeführt. Sie sind unter unterschiedlichen Gesichtspunkten

informativ

und

geben

einige

Anhaltspunkte

für

Verbraucherberatung,

-information und -bildung sowie für die Interessenvertretung der Zielgruppe (Lobby). In einigen Arbeiten findet man auch Hinweise dazu, wie die Zielgruppe mit Verbraucherinformation und Verbraucherbildung zu erreichen ist.

Ein Bereich, der besondere Aufmerksamkeit erfährt, ist der Bereich Gesundheit. Viele Gesundheitsleistungen, einschließlich der präventiven Vorsorge- und Früherkennungsuntersuchungen, werden von Deutschen statistisch signifikant häufiger als von Migranten in Anspruch genommen. Die Zufriedenheit mit einer Behandlung sowie mit dem eigenen Kenntnisstand über einzelne Krankheiten ist bei Deutschen stärker ausgeprägt als bei Migranten. 32 Diese Tatsache scheint inzwischen im Gesundheitswesen allgemein bekannt zu sein. 33

Für diesen Bereich liegt eine Reihe von Berichten vor, die sich mit der gesundheitlichen Lage und der gesundheitlichen Versorgung von Migranten befassen. Etliche Gesundheitsämter haben solche Berichte erstellt oder in Auftrag gegeben, häufig werden sie als Reaktion auf Anfragen aus der Politik erstellt. Dabei geht es vor allem darum, ob Migranten über die Gesundheitsleistungen informiert sind und in wieweit die Leistungen der Gesundheitsversorgung so gestaltet sind, dass sie von ihnen auch in Anspruch genommen werden können. Dabei spielt das Thema Sprache und interkulturelle Kompetenz der Mitarbeiter der Gesundheitsämter eine entscheidende Rolle. In den Studien wird immer wieder darauf hingewiesen, dass für eine gleichberechtigte Gesundheitsversorgung ein funktionierendes Dolmetschersystem nicht nur für Gesundheitsämter, sondern für das gesamte Gesundheitssystem unabdingbar ist.

In diesen Zusammenhang ist auch eine Untersuchung der Verbraucherzentralen NordrheinWestfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen einzuordnen. Sie ging der Frage nach, inwieweit Krankenhäuser überhaupt auf die sprachlichen Probleme von Migranten vorbereitet sind sowie darauf, bei Verständigungsproblemen einen Dolmetscherdienst zu organisieren. Von 35 Krankenhäusern in elf Städten in Rheinland-Pfalz und Nordrhein Westfalen gab nur eine Ein32

H. Zeeb, B. T. Baune, W. Vollmer, D. Cremer, A. Krämer,: Gesundheitliche Lage und Gesundheitsversorgung von erwachsenen Migranten, in: Gesundheitswesen 2004, 66, S. 76-84. 33 Zum Thema Migration und Gesundheit gibt der Online-Zeitschriftendienst der Thieme Verlagsgruppe http://thieme-connect.com unter dem Suchwort „Migranten“ einen Überblick über den Forschungsstand. Auf dem Internetportal stehen die Inhalte von rund 130 medizinischen und wissenschaftlichen Fachzeitschriften zum Thema zur Verfügung.

27


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

richtung an, einen externen professionellen Dolmetscherdienst vorzuhalten. Vier der angerufenen Krankenhäuser gaben an, eine Liste zu führen, in der fremdsprachige Mitarbeiter aufgeführt werden. Ein gezieltes Nachfragen ergab, das die Listen teilweise nicht auffindbar waren oder bezüglich der Mitarbeiter nicht aktualisiert sind. In keinem der vier Häuser sind die zum Dolmetschen aufgeführten Mitarbeiter für diese zusätzliche Aufgabe weitergebildet. In keiner der Einrichtungen gibt es einen verbindlich vorgeschriebenen Weg oder Standard, wie Patienten mit Verständigungsschwierigkeiten begleitet werden. 24 der 34 Krankenhäuser wollen dieses Problem der Sprachvermittlung spontan organisieren. Dies geschieht dann mit Unterstützung zum Beispiel von Angehörigen aus der Familie des Patienten oder aber Mitarbeitern des Hauses. Oft findet diese Form der Übersetzung ungeplant und zufällig statt. Häufig waren die Antworten der befragten Krankenhausmitarbeiter: „Irgendjemand wird sich schon noch finden.“ Oder „Wir regeln das schon. Wir machen das mit Händen und Füßen“. Neben dem Angebot dieser Zufallslösungen haben sechs der Häuser deutlich gemacht, dass der Patient für die Lösung seines Verständigungsproblems allein verantwortlich ist. Vier befragte Einrichtungen haben sogar die Lösung des Problems für sich völlig ausgeschlossen: „... nein – da haben wir niemanden. Kann ich Ihnen nicht helfen!“. Nur eine Einrichtung sieht vor, bei Bedarf einen externen Dolmetscherdienst einzusetzen.

Mit dieser Aktion konnten die Verbraucherzentralen aus Nordrhein-Westfalen und RheinlandPfalz in der Fachöffentlichkeit erhebliche Aufmerksamkeit erreichen. 34

Für die hier behandelte Thematik sind noch zwei weitere Befragungen von Belang. Die erste Befragung wurde von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen im Mai/Juni 2005 durchgeführt. Das Ziel der Befragung war herauszufinden, ob Personen mit Migrationshintergrund die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen kennen und ihre Beratungs-, Informations- und Dienstleistungsangebote nutzen. Die Befragung fand im Vorfeld eines Fachgesprächs statt, in dem es um folgendes ging: •

Identifizierung relevanter Themen zu Gesundheits- und Umweltschutz von Migrant/innen,

Austausch von Erkenntnissen und Erfahrungen zu Handlungsmotiven und Kommunikationsstrukturen der Zielgruppe,

Nutzung von Synergieeffekten: Entwicklung von Kooperationen und Vernetzungen.

34

Markttransparenz im Gesundheitswesen. Ein Projekt der Verbraucherzentralen Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen, gefördert vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Befragung 2005.

28


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Dazu wurden die Beratungskräfte aus 54 Beratungsstellen in einer kleinen, nicht repräsentativen Erhebung nach ihren Einschätzungen und Erfahrungen befragt. 44 Beratungsstellen haben sich an der Umfrage beteiligt, das war ein Rücklauf von 81%. Weil über Migranten keine gesonderten Aufzeichnungen gemacht werden, mussten die Beratungskräfte mit einem standardisierten Fragebogen nach ihren Einschätzungen gefragt werden.

Die Befragung liegt uns nur durch die Rezeption in einem Vortrag von Dr. Karl-Heinz Schaffartzik, damals Vorstand der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, vor. Wir beziehen uns daher auf seine Darstellung der Befragung. 35

Befragung: Wie oft kommen ihrer Meinung nach Migrant/innen in die Verbraucherberatung? (N=44) sehr oft (täglich) 61% oft (1-2mal pro Woche) 32% manchmal (1-2mal monatlich) 5% selten bis nie 2% Ausländische Ratsuchende nach Herkunftsregion (Mehrfachnennungen; N=106) Osteuropäer 41% Türkeistämmige 37% Südeuropäer 11% Sonstige 11% Durch Migrant/innen nachgefragte Themen (Mehrfachnennungen; N=319) Finanzen 20% Gesundheit und Pflege 2% Reise/Freizeit 3% Ernährung/Umwelt 5% Bauen/Wohnen 8% Energie/Haushalt 3% Medien/Telekom 17% Versicherung 19% Ergebnisse: Täglich wird die Beratung der Verbraucherzentralen in Nordrhein-Westfalen von Migranten aufgesucht. Nach Einschätzung der Beratungskräfte stellen die Ratsuchenden aus der Türkei bzw. mit türkischem Hintergrund sowie Osteuropäer mit fast 80% die größte Gruppe.

35

Dokumentation des Fachgesprächs am 04.07.05 „Umwelt- und gesundheitsorientierter Verbraucherschutz – Entwicklung von Beratungs- und Informationsangeboten für Migrantinnen und Migranten“. Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Manuskript.

29


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Laut

Vortrag

liegen

die

Nachfrageschwerpunkte

in

den

Bereichen

Me-

dien/Telekommunikation, Finanzen und Versicherung. Fragen rund um Umweltschutz und Gesundheit (Gesundheit/Pflege, Ernährung, Umwelt, Bauen und Wohnen sowie Energie) machen nach den „Einschätzungsbefragungen“ knapp 30% aus. Die Ergebnisse dieser Kurzbefragung der Berater lassen allerdings keine exakten Rückschlüsse auf den Gesamtumfang der Nachfrage und der Kontakte mit Migranten zu, weil sie, wie bereits erwähnt, auf Annahmen der Beraterinnen beruhen. Darüber hinaus sind die Fragen, die in der Befragung gestellt wurden, zumindest nach der Darstellung des Vortrags, so allgemein, dass kaum konkrete Aussagen über die Verbraucherbedürfnisse von Migranten getroffen werden konnten. Wenn zum Beispiel festgestellt wird, dass Nachfrageschwerpunkte bei Finanzen und Versicherung liegen, wird daraus nicht ersichtlich, unter welchen Aspekten die Fragen in der Beratung relevant werden. Beispiel Finanzen: geht es da um Anlageberatung oder um Schuldnerberatung? Und bei Versicherungen: werden in der Beratung Informationen über angemessene Versicherungen eingeholt oder geht es um rechtlichen Beistand, um sich problematischer Versicherungen wieder zu entledigen? Es wird zwar darauf hingewiesen, dass Schulden- und Rechtsberatung sowie Versicherungsfragen neben allgemeinen Verbraucherfragen am stärksten nachgefragt werden, aber auch diese Aussage ist unpräzise.

Durch den hohen Anteil von Migranten, die die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen zur Beratung aufsuchen, sieht sie sich in ihrem Anliegen bestärkt, Konzepte sowie Beratungsund Dienstleistungsangebote für die in ihrer Beratungspraxis neue Zielgruppe der Migranten zu entwickeln. „Diese sollen einerseits hinausgehen über das bloße Übersetzen von Informationsmaterialien. Zugleich sollen sie einen Beitrag leisten zu den Integrationsbemühungen in diesem Land. Nämlich allen Verbraucherinnen und Verbrauchern Hilfestellungen in ihrem Konsumentenalltag zu geben“ 36 In dem Vortrag wird hervorgehoben, dass der Fokus auf umwelt- und gesundheitsorientierten Verbraucherschutz gelegt wird. Die Priorität des Themas ergibt sich allerdings nicht aus der Befragung bzw. aus der vorrangigen Bewertung des Themas durch die Migranten selbst. Der Fokus auf umwelt- und gesundheitsorientiertem Verbraucherschutz wird damit begründet, dass dazu in der „Gruppe Umwelt“ ein Projekt durchgeführt wird. Gleichzeitig wird hervorgehoben, dass auch in anderen Themenbereichen der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen die Ergebnisse der Befragung zur Kenntnis genommen wurden. „Und dieses Angebot haben die hier anwesenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch aus anderen Arbeitsfeldern der Verbraucherzentrale NRW gern angenommen.“ 37

36 37

ebenda S. 8. ebenda. S. 8

30


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Die zweite Studie, die bei der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen durchgeführt wurde, stand in Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des Gleichbehandlungsgesetzes. In zehn Städten wurde eine Befragung durchgeführt mit dem Ziel, die Verbraucherzentralen dafür zu sensibilisieren, wenn in der Beratung vorgetragen wird, dass zum Beispiel ein Vertragsabschluss verweigert wurde oder schlechtere Vertragsbedingungen vorliegen. In solchen Fällen sei gezielt zu prüfen, ob eine Benachteiligung aufgrund einer Diskriminierung vorliege.

Die Befragung wurde im Rahmen eines Gutachtens durchgeführt, das zur Thematik erstellt wurde. 38 Dazu wurden die Verbraucherzentralen in Köln, Siegen, Dortmund, Aachen, Duisburg, Münster, Bielefeld, Bonn, Solingen und Remscheid befragt. Die Befragung ist insoweit von Bedeutung, als die befragten Beratungsstellen Angaben über den Anteil der Migranten unter den Ratsuchenden bei den Verbraucherzentralen gemacht haben. „Die Beratungsstellen konnten und sollten dabei den Anteil der ratsuchenden Migranten in Prozenten angeben: circa 70% der Beratungsstellen schätzen, dass der Anteil an ratsuchenden Migranten in ihren Beratungsstellen bis zu 20% der Ratsuchenden insgesamt ausmacht. Auch die Beratungsstelle Aachen schätzt die Anzahl der Gesamtkontakte an ratsuchenden Migranten auf bis zu 20 %, differenziert jedoch weiter: in der Schuldnerberatung wird der Anteil an ratsuchenden Migranten auf bis zu 10% eingeschätzt, bei der Rechtsberatung wird der Anteil an ratsuchenden Migranten sogar bei mehr als 30% angegeben. 39 Nach Auskunft der Autorin der Befragung handelt es sich bei diesen Zahlen allerdings um Schätzungen, weil die Ratsuchenden mit Migrationshintergrund nicht erfasst wurden.

Die befragten Beratungsstellen geben an, in der Beratungspraxis falle auf, dass Migranten bei einer Vielzahl von Verträgen „über den Tisch gezogen“ werden. Nach Einschätzung der Beratungskräfte kommen bei Migranten oft erschwerend Sprachschwierigkeiten hinzu, die auch von den eigenen Landsleuten, die zum Beispiel als Verkäufer auftreten, ausgenutzt werden. So werden Migranten zum Beispiel von Bekannten Verträge aufgedrängt, bei denen sich das, was mündlich versprochen wurde, nicht schriftlich im Vertrag wiederfindet. Aus der Beratungspraxis berichten die Beratungskräfte zudem die Beobachtung, dass es Migranten an grundsätzlichen Kenntnissen über die rechtliche Relevanz von Verträgen fehlt. So schließen sie zum Beispiel Verträge in dem Glauben ab, dass diese jederzeit kündbar sind – auch wenn zum Beispiel tatsächlich eine Mindestvertragslaufzeit vereinbart wurde. Eine Vielzahl unnötig abgeschlossener Verträge bedeutet dann oft den Einstieg in die Verschuldung. Migranten kommen oft wegen Zahlungsschwierigkeiten in die Rechtsberatung bzw. wegen Ver-

38

vgl. Anke Kirchner, Verbraucherzentrale NRW: Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und die Verbraucherberatung, http://www.getin-online.net/pdf/Gutachten-VZ-fin.pdf 39 ebenda S. 14.

31


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

schuldung in die Schuldenberatung. Außerdem kommen sie erst in die Beratungsstelle, wenn es „zu spät“ ist. Für präventive Informationen suchen sie keine Beratungsstelle auf.

Spezifische Probleme, mit denen Migranten die Beratung aufsuchen: 40 Reklamationen werden abgewiesen Versicherungsvertreter beraten skrupellos Verträge werden untergeschoben Probleme mit Feuchtigkeit und Schimmel in Mietwohnungen

Eine weitere Beobachtung der Berater vor Ort ist, dass „sprachgewandte und gebildet erscheinende Migranten die Beratungsstelle eher aufsuchen, um kostenpflichtige Angebote zu nutzen, wie zum Beispiel die Baufinanzierungs-, Versicherungs- oder Altersvorsorgeberatung. Diese Migranten-Gruppe würde sich – wie deutsche Verbraucher auch – über unseriöses Anbieterverhalten beschweren – ohne dass hier ein Unterschied zwischen deutschen Verbrauchern erkennbar wäre“. Diese Beobachtung spricht dafür, dass bei den „spezifischen Problemen“, mit denen Migranten zur Beratung kommen, sich kulturelle Besonderheiten mit schichtspezifischen Gegebenheiten überlagern. 41

Die Befragung liefert über spezifische Probleme der Migranten als Ratsuchende bei den Verbraucherberatungen einige interessante Ergebnisse. Dabei gibt sie eher unintendiert Auskunft über eine strukturelle Diskriminierung seitens der Verbraucherzentralen selbst, insoweit Migranten wegen der Sprachbarrieren nicht die gleichen Chancen im Zugang zu einem qualifizierten Beratungsangebot haben. „Die Auswertung der Fragebögen ergab, dass diese Sprachschwierigkeiten in der Beratung zu erheblichen Problemen führen: so wird unter Umständen das eigentliche Problem von der Beratungskraft nicht richtig verstanden und dadurch nicht richtig erkannt und/oder der Migrant versteht die Handlungsanleitung der Beratungskraft nicht. In vielen Fällen müssen Migranten daher erneut in die Beratungsstelle kommen und eine/n Übersetzer/in mitbringen. Die Beratungsgespräche selbst dauern aufgrund der Sprachbarrieren oftmals länger als andere Beratungsgespräche, können deshalb nicht so ins Detail gehen – zum Nachteil des Migranten und der Beratungskraft – und erfordern von Seiten der Beratungskraft deutlich mehr Aufmerksamkeit als Beratungen mit deutschen Verbrauchern.“ 42 40 vgl. Kirchner a.a.O., Verbraucherzentrale NRW: Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und die Verbraucherberatung. http://www.getin-online.net/pdf/Gutachten-VZ-fin.pdf 41 ebenda S. 20. 42 ebenda S. 17.

32


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Die beiden Befragungen, an denen alle Beratungsstellen Nordrhein-Westfalens beteiligt waren, vermitteln ein eher impressionistisches Bild von der Häufigkeit, mit der Migranten die Verbraucherzentralen aufsuchen. Bei der ersten Befragung wird nicht erfasst, welchen Anteil Migranten an der Gesamtberatung ausmachen. Bei der zweiten Befragung wird der Anteil der Migranten an der Gesamtberatung (20%) zwar erfasst, es wäre allerdings interessant zu wissen, wie hoch der Anteil der Migranten an der jeweiligen Einwohnerzahl der Städte ist, in denen die befragten Beratungsstellen der Verbraucherzentrale angesiedelt sind. Die thematischen Schwerpunkte, mit denen Migranten die Beratung aufsuchen, wurden nicht präzise erfragt, so dass eine deutliche Aussage über die Bedürfnisse nicht gemacht werden kann. Wenn dieses Wissen fehlt, ist es natürlich schwer, passgenaue Angebote für die Zielgruppe zu entwickeln. Für die Berater scheinen Probleme mit der sprachlichen Kommunikation das Hauptproblem bei der Beratung zu sein. Dokumentation zum Projekt Klimaschutzberatung für Migranten von Migranten 43

Eine weitere Arbeit, die für unsere Fragestellung wichtige Anhaltspunkte liefert, ist die Dokumentation eines Projekts im Rahmen der „Agenda 21“, 44 das vom Büro der Agenda in Hannover durchgeführt wurde. Das Projekt bezeichnet sich als eine Beratungskampagne für Klimaschutz, Wohnqualität und Nebenkostensenkung. Die Beratungskampagne wurde mit 200 russischsprachigen, 213 Haushalten, in denen türkisch, arabisch oder kurdisch gesprochen wird, und mit 44 persischsprachigen Haushalten durchgeführt. Außerdem wurden insgesamt 15 Gruppenberatungen für russisch- und türkischsprachige Personen zwischen Oktober und Dezember 2005 organisiert. Die Dokumentation des Projekts ist für unsere Studie unter zwei Gesichtspunkten von Bedeutung. Erstens macht sie Aussagen über den Bekanntheitsgrad von Verbraucherorganisationen, zweitens werden im Rahmen des Projekts besondere Strategien entwickelt, um die Zielgruppe der Migranten zu erreichen.

Bekanntheitsgrad der Verbraucherorganisationen

Die Energieberatung in der Verbraucherzentrale ist 30% der Russen, 40% der Türken und 60% der Perser bekannt. Von jenen, die die Beratungseinrichtung kennen, waren 42% der türkischen, 33% der russischen und 29% der persischen Befragten schon einmal vor Ort zu 43

Dokumentation zum Projekt "Klimaschutzberatung für Migranten von Migranten". Eine Beratungskampagne für Klimaschutz, Wohnqualität und Nebenkostensenkung. Laufzeit: Dezember 2004 – Oktober 2005. http://www.agenda21.de/pdfs/Endbericht_Klimaschutzberatung.pdf 44 Die Agenda 21 ist ein entwicklungs- und umweltpolitisches Aktionsprogramm für das 21. Jahrhundert, ein Leitpapier zur nachhaltigen Entwicklung, beschlossen von 178 Staaten auf der “Konferenz für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen” (UNCED) in Rio de Janeiro (1992). An dieser Konferenz nahmen neben Regierungsvertretern auch viele Nichtregierungsorganisationen teil.

33


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

einem Beratungsgespräch. Insgesamt 30% wünschen sich auch die Vermittlung eines Besuchs. Die Energieberatung im enercity-Café (eine Beratungsstelle der Stadtwerke Hannover) ist der Hälfte aller Befragten bekannt, mit nur geringen Unterschieden zwischen den Kulturgruppen. Immerhin jeweils 56% der russischen und 66% der türkischen Migranten haben das Cafe für eine Beratung aufgesucht. Dabei ging es häufig um Fragen zur Heizungsund Stromabrechnung. Die Bekanntheit der Beratungsstellen ist unterschiedlich ausgeprägt: Die Verbraucherzentrale ist relativ wenigen Befragten ein Begriff. Das enercity-Café ist dagegen bekannter. Dies lag laut Dokumentation daran, dass die Stadtwerke als Versorger von Wärme und Strom öffentlich präsent sind und über das Kundenmagazin, das kostenlos an alle Stadtwerke-Kunden geht, auch die Beratungszeiten und Veranstaltungen im enercityCafé bekanntgegeben werden.

Der Dokumentation zufolge wurde aus den Beratungsgesprächen deutlich, dass viele Migranten den Besuch deutscher Einrichtungen vermeiden. Sie haben große Schwierigkeiten, sich in Deutsch zu verständigen. Entsprechende negative Erfahrungen verhindern weitere Besuche. Da die Migranten meistens aus Ländern kommen, in denen die Verbraucher wesentlich weniger Rechte haben, sind ihnen Einrichtungen wie die Verbraucherzentrale fremd. Sie befürchten bei der Preisgabe von Angaben zur Miete oder zu Qualitätsmängeln in der Wohnung häufig eine Kontrolle und entsprechende Sanktionen, zum Beispiel durch den Vermieter. Entsprechendes Misstrauen wurde teilweise auch den Beratern am Anfang des Gesprächs entgegengebracht.

Strategien der Annäherung an die Zielgruppe der Migranten

Mit dem Projekt „Klimaschutzberatung für Migranten von Migranten“ wurde aus inhaltlicher und methodischer Sicht Neuland betreten. Umweltbewusstsein und Umweltverhalten bei Migranten waren bislang nur Randthemen der Forschung über Umweltkommunikation. Studien stellten lediglich fest, dass in dieser Hinsicht Handlungsbedarf besteht und Strategien erforderlich sind, die den jeweiligen kulturellen und sprachlichen Hintergrund berücksichtigen. Das Projekt hatte sich zum Ziel gesetzt, eine Strategie zu entwickeln und zu erproben. Der erste Schritt dabei war, das Thema „Klimaschutz“ in alltagsrelevanten Fragen wie Gesundheit und finanziellen Einsparmöglichkeiten anschaulich zu machen und damit einen persönlichen Bezug herzustellen. Die inhaltlichen Schwerpunkte lagen auf der Verringerung des Bedarfs an Heizwärme, Warmwasser und Strom durch energiesparendes Nutzerverhalten und auf der Verwendung effizienter Geräte.

34


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Der zweite Schritt bestand darin, eine Beratungsstruktur aufzubauen, von der man annehmen konnte, damit Migranten auch erreichen zu können. Die Struktur sieht vor: •

Ausbildung von Personen mit Migrationshintergrund als Berater und Multiplikatoren,

Mischung von Kommunikationsinstrumenten: persönliche Beratung, Anschauungsobjekte und schriftliche Hinweise,

Zweisprachigkeit der Materialien,

Einbeziehung von öffentlichen Einrichtungen in Hannover.

Ziel des Projekts war es, circa 500 Haushaltsberatungen und 30 Gruppenberatungen durchzuführen. Für die Ausführung dieser Aufgabe wurden Migranten geschult. Wichtig war es, den jeweiligen Erfahrungsschatz und Wissensstand der Teilnehmer zu berücksichtigen und sich auf jene Inhalte zu konzentrieren, die für die Zielgruppe der Migranten relevant sind. Die Schulungen beinhalteten eine ausgewogene Mischung von Inhaltsvermittlung zu den Handlungsfeldern (Heizen, Strom), Vermittlung kommunikativer Fähigkeiten (Durchführung von Beratungsgesprächen) und Durchführung entsprechender Übungen (Rollenspiele).

Die Ansprache der Migrantenhaushalte über soziale Netze und persönliche Kontakte hat sich bewährt. Die Mund-zu-Mund-Werbung war ein wesentlicher Faktor für die Bereitschaft von Haushalten, eine Beratung in der eigenen Wohnung in Anspruch zu nehmen. Die persönliche Ansprache ist allerdings mit einem erheblichen Aufwand für die Berater verbunden – insbesondere dann, wenn sie sich außerhalb ihres Bekanntenkreises bewegen. Bei unbekannten Personen herrschte teilweise Skepsis und Unsicherheit über den Nutzen der Beratung.

Im Rahmen des Projekts hat sich gezeigt, dass eine Ansprache über Plakate und Flyer allein nicht sehr effektiv ist, die Resonanz auf die ausgehängten Plakate und die ausgelegten Flyer war gering. Daher sollte der Schwerpunkt weiter auf der Verbreitung über soziale Netze und Multiplikatoren liegen.

Aus den Beratungen ergaben sich folgende Erkenntnisse:

Bei vielen Migranten war kein ausgeprägtes Problembewusstsein in Bezug auf Klimawandel, Schimmelgefahr oder hohe Heizkosten vorhanden. Dementsprechend bestand auch zunächst kein Interesse an einer Problemlösung. Die Berater mussten die Probleme erst einmal aufzeigen, um eine Bewusstseinsbildung zu unterstützen. Dieses Aufzeigen war eng verknüpft mit der lösungsorientierten Beratung, die am Einzelfall ansetzte. Viele Berater wur35


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

den von den Haushalten über sämtliche Probleme des Alltags informiert, wobei häufig soziale Probleme oder Konflikte mit dem Vermieter oder städtischen Stellen an erster Stelle standen. Da in vielen Migrantenhaushalten soziale Probleme vorhanden sind, stand häufig die Umweltthematik zunächst nicht im Vordergrund des Beratungsgesprächs. Die Berater mussten die Umweltthemen mit sozialen und finanziellen Themen verknüpfen und die individuelle Alltagssituation der Betroffenen berücksichtigen. Insofern war die Aufgabe der Berater sehr anspruchsvoll und der regelmäßige Erfahrungsaustausch und die projektbegleitende Unterstützung wichtig. Die mitgeführten Materialien unterstützten durch Veranschaulichung und Demonstration. Sie halfen zum Beispiel durch Abbildungen und Grafiken die Zusammenhänge zwischen Umweltschutz (Energiesparen), Senken der Nebenkosten und Förderung der Gesundheit aufzuzeigen. Dies ist entscheidend für die Motivation und Akzeptanz der zu vermittelnden Ratschläge.

Das Projekt wurde mit einem methodisch fragwürdigen Verfahren, auf das wir hier nicht näher eingehen können, positiv evaluiert. 45 Mit dem Projekt wurde eine aufwendige und komplexe Strategie verfolgt, um bei Migranten Umweltbewusstsein zu entwickeln und das Umweltverhalten zu ändern. Ob eine solche Strategie auf andere Felder der Verbraucherinformation und Verbraucherberatung übertragen werden kann, ist allerdings nicht nur eine Frage der hohen Kosten und des Aufwands, die damit verbunden sind. Es ist fragwürdig, ob die Strategie, für die Beratung Migranten aus der gleichen community auszuwählen und eine privat aufsuchende Beratung durchzuführen unter Integrationsgesichtspunkten produktiv ist und ob ihre Nachhaltigkeit dadurch nicht eher zu wünschen übrig lässt. In der Studie wird auf das Unbehagen von Migranten im Hinblick auf deutsche Institutionen hingewiesen, aber mit einer Strategie darauf reagiert, die dieses Unbehagen nicht unterläuft. Es wird kein Beratungssetting entwickelt, das die Berührungsängste und Sprachbarrieren aufbricht. Auf diesen Punkt wollen wir in der Gesamtauswertung der Studie genauer eingehen. An der Gesamtstrategie des Projekts ist positiv zu bewerten, dass das Thema Klimaschutz auf alltägliche Erfahrungen bezogen und dadurch anschaulich gemacht wurde.

45

s.o. Dokumentation zum Projekt Klimaschutzberatung für Migranten von Migranten, S. 25. 36


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Migranten und Finanzdienstleistungen 46

Den mehr als 7,3 Millionen Migranten, davon mehr als 1,8 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, komme sowohl unter wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten als auch unter dem Aspekt des Verbraucherschutzes eine erhebliche Bedeutung zu. Die Geldanlage-, Kredit- und Versicherungsentscheidungen dieser Bevölkerungsgruppe bilden ein erhebliches Wirtschaftsvolumen. In der Studie wurde zum ersten Mal das Umfeld erforscht, in dem Migranten ihre Finanzentscheidungen treffen. Die Untersuchung wurde exemplarisch am Beispiel der Migranten türkischer Herkunft durchgeführt, weil diese Migrantengruppe zahlenmäßig als besonders relevant anzusehen ist. Fasst man die 1,9 Millionen Personen türkischer Nationalität mit den eingebürgerten Personen türkischer Herkunft zusammen, lebten Ende 2003 rund 2,5 Millionen türkischstämmige Menschen in Deutschland.

Die Studie war vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz in Auftrag gegeben worden. Sie wurde 2005 vom Forschungs- und Beratungsunternehmen Evers & Jung gemeinsam mit Projektpartnern durchgeführt. Sie bezieht auch Länderberichte aus Großbritannien, Spanien und den Niederlanden mit ein.

Folgende Sachverhalte sollten im Rahmen der Studie thematisiert werden: 1. Anleger-, Kredit- und Versicherungsverhalten der türkischen Migranten in Deutschland. 2. Spezifische verbraucherpolitische Bedürfnisse der oben genannten Gruppe. 3. Unterbreitung geeigneter Vorschläge für spezifische verbraucherpolitische Maßnahmen in Deutschland. Diese sollen insbesondere durch einen grenzüberschreitenden Vergleich der Politik und der entsprechender Maßnahmen im Hinblick auf Migrantengruppen mit traditionellem Zinsverbot in den Niederlanden, Spanien und Großbritannien abgeleitet werden.

46

Auswertung der Studie Migranten und Finanzdienstleistungen, Evers & Jung, Studie im Auftrag des Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV), Schlussbericht, Hamburg Dezember 2005. http://www.bmelv.de/cln_044/nn_754188/SharedDocs/downloads/02Verbraucherschutz/Finanzdienstleistungen/MigrantenFinanzdienstleistungen,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/Migr antenFinanzdienstleistungen.pdf

37


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Die Studie arbeitete mit Methoden der qualitativen und quantitativen Erhebung. Die Studie ist die erste Untersuchung, die methodisch abgesicherte Aussagen zu türkischen Einwanderern als Verbraucher von Finanzdienstleistungen macht. Das ist auch die Stärke der Studie. Sie liefert dabei Erkenntnisse über verbraucherrelevante Fragen für andere Felder des Verbraucherschutzes.

Definition von Finanzdienstleistungen

Während im Allgemeinen unter Finanzdienstleistungen Dienstleistungen rund um Zahlungsverkehr, Geldanlage, Versicherungen und Kredite verstanden werden, hat die Studie eine praxisnahe Definition von Finanzdienstleistungen gewählt. Dieser Praxisbezug wird mit folgenden Argumenten begründet: „Finanzdienstleistungen haben in modernen Gesellschaften eine unverzichtbare Alltagsbedeutung erlangt und gesellschaftliche Institutionen wie etwa die Familie in ihrer Absicherungsfunktion ganz oder teilweise abgelöst (zum Beispiel bei Altersversorgung, Pflege und Hinterbliebenenabsicherung). Sie sind als Bindeglied zwischen Einkommen und Konsum getreten, da sie auf [...] verschiedene Arten zwischen Einnahmen und Ausgaben eines Privathaushaltes vermitteln.“

Die Studie geht von einer engen Verknüpfung zwischen der Ökonomie des Haushalts und den Finanzdienstleistungen aus. Die kompetente Nutzung von Finanzdienstleistungen werde in modernen Gesellschaften wie der deutschen sogar immer mehr zum Schlüssel für die Teilhabe am Wirtschaftsleben und die materielle Sicherung der individuellen Existenz. Dafür nennt sie mehrere Gründe: Zum einen werde den Bürgern mehr Eigenverantwortung abverlangt – vor allem aufgrund der nachlassenden Leistungsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme. Außerdem führten zunehmend unstete Lebensverläufe dazu, dass die Menschen ihre privaten Finanzen häufig an veränderte Bedingungen anpassen müssten. Dies gelte auch und besonders für Migranten. Weitere Faktoren sind der allgemeine Trend zur Individualisierung und das insgesamt hohe Wohlstandsniveau in Deutschland, aber auch die stetig steigenden Verschuldungsraten der Privathaushalte. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen spielten Finanzdienstleistungen für das Leben der Menschen eine zunehmend wichtige Rolle.

Indes seien die Produkte und Dienstleistungen der Banken und Versicherungen immer vielfältiger und komplexer geworden. Hinzu kämen neue Vertriebswege und Anbieter in den liberalisierten und globalisierten Märkten (Direktversicherungen, Finanzvertriebe, Internet, etc.).

38


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Viele Verbraucher, ob Migranten oder Einheimische, seien angesichts dieser Situation inhaltlich überfordert und verunsichert.

Um das Anleger-, Kredit- und Versicherungsverhalten der türkischen Migranten in Deutschland in diesem Kontext zu erfassen, wurde die Zielgruppe der Migranten mit türkischer Herkunft mit dem Fokus auf unterschiedliche Kategorien wie: erste, zweite und dritte Zuwanderergeneration, sowie zugewanderte Ehepartner der zweiten Generation, zu folgenden Punkten befragt:

Lebenssituation und Bindung an die Türkei,

allgemeiner Kenntnisstand zu Finanzdienstleistungen,

persönliche Erfahrungen mit Finanzdienstleistungen, mit Anbietern von Finanzdienstleistungen und mit islamischen Finanzdienstleitungen,

Nutzung von Finanzdienstleistungen,

Sparzielen,

Bedarf und Versorgung mit Geldanlagen,

Erfahrungen mit Finanzvertrieben,

Immobilienbesitz in der Türkei und in Deutschland,

Kreditverhalten,

Versorgung mit Versicherungen, Altersvorsorge,

Zugang zu Information und Beratung.

Zusammenfassung der Ergebnisse

Die untersuchte Zielgruppe ist allerdings sehr heterogen. Die Unterschiede zwischen den Generationen sind, wie erwartet, deutlich ausgeprägt. Es zeigte sich, dass die zweite Generation der türkischstämmigen Migranten in Deutschland am besten versorgt und informiert ist. Zu erklären ist dies mit der Vermittlerfunktion, die viele Angehörige der zweiten Generation für ihre Eltern einnehmen mussten. Die dritte Generation ist - auch aufgrund ihres jungen Alters - weniger informiert und versorgt als ihre Eltern. Eine besondere Stellung nimmt die Generation der Heiratsmigranten ein, die in ihrem Verhalten und ihren Einstellungen zwischen erster und zweiter Generation einzuordnen ist. 47

47

s. Studie Migranten und Finanzdienstleistungen a.a.O. S. 164.

39


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Die wichtigsten Ergebnisse im Einzelnen

Bedarf an Finanzdienstleistungen: •

Migranten sparen seltener als Deutsche. Über ein Drittel der Befragten gab an, über keinerlei Ersparnisse zu verfügen. Als Sparziel spielt die Versorgung der Kinder eine entscheidende Rolle.

Türkischstämmige Migranten weisen wie erwartet eine große Affinität zum Immobilienbesitz auf. Während in der Vergangenheit vor allem Immobilien in der Türkei erworben wurden, wechselt die Ausrichtung gegenwärtig auf Immobilien in Deutschland. Dementsprechend ist von einem wachsenden Bedarf an geeigneten Finanzierungen auszugehen. Es gibt jedoch wenig Erfahrung mit Hypothekenkrediten und Bausparen. Aufgrund der grundbuchrechtlichen Probleme in der Türkei erfolgte die Finanzierung des dortigen Immobilienbesitzes zumeist über teure Ratenkredite bei deutschen Banken.

Rücküberweisungen an die Familie in der Türkei spielen nur noch eine untergeordnete Rolle, zur Abwicklung werden in vielen Fällen türkische Banken herangezogen.

Private Altersvorsorge wird nicht in ausreichendem Maße als eigenständiger Bereich der finanziellen Eigenverantwortung wahrgenommen. Ein Bewusstsein über die Notwendigkeit kapitalgestützter Vorsorgestrategien angesichts der zurückgehenden staatlichen Rentenversorgung scheint noch weniger als in der deutschen Bevölkerung verbreitet zu sein. 54% geben an, keine Produkte der privaten Altersvorsorge zu besitzen. Immobilienbesitz wird dabei überwiegend nicht als Element der Altersvorsorge betrachtet. Auch künftig plant nur ein sehr kleiner Teil den Abschluss einer privaten Altersvorsorge.

Weiterführende Geldanlagen wie Aktienfonds oder Staatsanleihen sind deutlich weniger verbreitet als in der deutschen Bevölkerung. Türkischstämmige Migranten streuen ihre Geldanlagen kaum, Immobilien bilden den Schwerpunkt. 40% der Befragten zahlten zum Zeitpunkt der Umfrage einen Kredit zurück, 90% davon bei einer Bank. Es konnte eine Unterversorgung bei den existenziellen Versicherungen (zum Beispiel Haftpflicht, Rechtsschutz) bei gleichzeitiger Überversicherung mit weniger wichtigen Versicherungsarten festgestellt werden. Sprachschwierigkeiten stellen für die Zielgruppe ein erhebliches Problem beim Zugang zu Finanzdienstleistungen dar. Fast die Hälfte der Befragten wünscht sich eine

40


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Beratung auf Türkisch, selbst in der zweiten, deutschsprachigen Generation (zum Beispiel Haftpflicht ist der Anteil signifikant. •

Der Informationsstand über Geldanlagen und Versicherungen ist nach subjektivem Eindruck eher schlecht. Auch bei der zweiten und dritten Generation sowie bei gut Gebildeten zeigen sich ausgeprägte Defizite.

Hinsichtlich Informationsbeschaffung genießen die Banken und ihre Berater ein überraschend hohes Vertrauen, das dem von Familie und Bekannten gleichkommt. Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung werden von den türkischen Migranten insgesamt weniger Informationskanäle genutzt. Bankberater nehmen nicht wie bei der deutschen Bevölkerung eine herausragende Stellung ein, das Internet hingegen wird häufiger genutzt.

Empfehlungen

Bei den Empfehlungen werden einige angepasste Maßnahmen auf Seiten der Verbraucherschutzpolitik und der Anbieter von Finanzdienstleistungen vorgeschlagen. Von den vorgeschlagenen Maßnahmen werden Chancen für eine bessere Marktdurchdringung und eine Erschließung des Potenzials, das die Zielgruppe türkischer Migranten hinsichtlich des Finanzdienstleistungssektors zu bieten hat, erwartet. Es wird dabei auch erwartet, dass dies wiederum zur Verbesserung der Versorgungs- und Zugangssituation dieser Zielgruppe führen wird durch:

Anreize zur Produktentwicklung in besonders zentralen Bereichen der Finanzdienstleistungsversorgung. Dies sollte nicht mit eingeschränktem Fokus auf die Zielgruppe türkische Migranten geschehen, sondern mit Blick auf spezifische Bedürfnisse größerer Gruppen in der Gesamtbevölkerung wie zum Beispiel einkommensschwache Haushalte, zu denen Migranten in höherem Maße zählen. Automobilhersteller lassen sich regelmäßig Produktentwicklungen vom Forschungsministerium finanzieren, Banken und Versicherer hingegen nicht. Besonders geeignet erscheint das Verfahren über einen Wettbewerb.

Kopplung von staatlicher Förderung und privatwirtschaftlichen Angeboten, die sich auf besonderen Bedarf der Zielgruppe beziehen. Beispielhaft sei hier die hohe Affinität der türkischen Migranten zum Sparziel „Absicherung der Kinder“ genannt.

Beobachtung der weiteren Entwicklung des Themas Islamic Banking. Eine mögliche neue Welle von Betrügereien unter diesem Deckmantel sollte frühzeitig erkannt und 41


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

öffentlichkeitswirksam aufgegriffen werden. Seriöse Initiativen sind hingegen eher zu begrüßen. •

Aufklärung zum optimalen Versicherungsschutz: Eine nicht optimale Versicherungsnutzung hat kulturelle Hintergründe, aber auch Ursachen in mangelnder Beratungsqualität.

Die Riester-Förderung kann nicht genutzt werden, wenn eine Rückkehr geplant ist, da Förderungen nachträglich aberkannt werden, sobald der Wohnsitz ins Ausland verlegt wird. Diese Regelung ist abzuschaffen.

Zur Verbesserung der finanziellen Allgemeinbildung und Nutzung adäquater Informations/Marketingkanäle werden folgende Maßnahmen empfohlen:

Kampagnen mit türkischen Medien zu relevanten Themen wie zum Beispiel private Altersvorsorge oder Wichtigkeit einzelner Versicherungen.

Erstellen eines türkischsprachigen Kanons der finanziellen Allgemeinbildung, der die Grundlagen von Finanzdienstleistungen aufbereitet.

Förderung von Initiativen und Beratungsstellen, türkischsprachiges Personal sowie mehrsprachige Kundenmaterialien vorzuhalten und in der Werbung türkische Kanäle zu nutzen. Besonders wichtig ist eine Aufklärung vor Ort, wie zum Beispiel in Moscheen und türkischen Kulturvereinen, um den traditionellen Teil der Zielgruppe zu erreichen.

Nutzbarkeit der Studie

Die Nutzbarkeit der Studie für die Fragestellungen, die wir hier verfolgen, ist unter mehreren Gesichtspunkten relevant. Sie benennt methodisch abgesichert, auf welche Verbraucherinformation und Beratung Migranten türkischer Herkunft im Bereich Finanzdienstleistung besonders angewiesen sind: Altersvorsorge, Immobilienbesitz, Finanzprodukte, die die Zukunft der Kinder absichern, Geldanlagen und Versicherungen. Sie gibt ein differenziertes Bild über die Zugangsbarrieren der Zielgruppe zu Information und Beratung. Sie gibt Empfehlungen, mit welchen Maßnahmen die Verbraucherpolitik und Anbieter von Finanzdienstleistungen die Situation verbessern können.

42


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Besonders aufschlussreich ist an dieser Studie, dass sie ein differenziertes Bild der Community der Einwanderer türkischer Herkunft geben kann. Das beruht darauf, dass auch die Unterschiede im Verhalten der Migrantengenerationen und der Geschlechter in Bezug zu den untersuchen Fragestellungen erfasst wurden. Die Studie konnte herausarbeiten, dass es wesentliche Unterschiede in dem Verhalten und in der Einstellung von Migranten der ersten, zweiten und dritten Zuwanderergeneration gibt. Ebenso konnte sie auch Aussagen zu den aus dem Herkunftsland zugewanderten Ehepartnern der zweiten Generation machen. Dabei sind vor allem Ähnlichkeiten im Verhalten der ersten Einwanderergeneration und dem der Ehepartner der zweiten Generation aus dem Herkunftsland festzustellen. Bei beiden zeigen sich die starke Türkeiorientierung, die größeren Schwierigkeiten, sich im Finanzdienstleistungssystem zurechtzufinden sowie sich dafür die nötigen Informationen zu beschaffen. Bei der Inanspruchnahme von Beratung sind beide auf eine Beratung in Türkisch oder auf einen Sprachmittler angewiesen. Ein weiteres wichtiges Ergebnis der Studie zum Thema Integration in die deutsche Gesellschaft ist, dass die Fähigkeit, sich mit dem Finanzdienstleitungssystem und der Informationsbeschaffung über mehrere Kanäle zurechtzufinden, mit zwei wichtigen Faktoren korreliert: dem Konsum nur deutscher oder deutscher und türkischer Medien und mit interkulturellen Freizeitkontakten mit Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft. Ein weiteres Ergebnis, das in der Studie nicht weiter verfolgt wird, aber das wir später aufgreifen werden, ist der Befund, dass bei Einwanderern türkischer Herkunft ein großes Misstrauen gegenüber Institutionen festzustellen ist. Andererseits steigt durch den Austausch mit Deutschen auch das Vertrauen in deutsche Institutionen. Im Kontext unserer Überlegungen zum Thema Verbraucherbildung und der Interkulturellen Öffnung des Verbraucherschutzes werden wir noch darauf zurückkommen.

Zusammenfassung

Migranten als Verbraucher werden nur im Gesundheits- und Finanzbereich differenziert erfasst. Auf den Gesundheitsbereich können wir im Rahmen dieser Studie nicht näher eingehen, weil er ein spezielles Thema im Spektrum Verbraucherschutz ausmacht.

Aus dem verfügbaren Material erfahren wir, dass es durchaus Migranten gibt, die die Verbraucherberatung aufsuchten, dass aber eine effektive Beratung wegen Kommunikationsschwierigkeiten vor Zugangsbarrieren steht. Die Probleme, mit denen Migranten eine Beratung aufsuchen: dass ihnen Verträge unterschoben werden, dass sie von Versicherungsvertretern über den Tisch gezogen werden, sind die gleichen Probleme, die auch bildungsferne Schichten in Deutschland haben. 43


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

In der Studie zu Migranten und Finanzdienstleistungen sieht es anders aus. Hier wird der Bedarf der Einwanderer aus der Türkei für den Finanzdienstleistungsbereich ausführlich beschrieben, aber es handelt sich um Themen, die eher in den Bereich von Verbraucherbildung oder Aufklärung fallen. Der Bedarf wird aus der Perspektive der Standards der Mehrheitsgesellschaft formuliert, im Finanzdienstleistungsbereich darauf zu achten, Entscheidungen als Verbraucher gut informiert zu treffen.

Der wichtigste Hinweis aus der Dokumentation des Projekts im Rahmen der Agenda 21 zu „Klimaschutzberatung für Migranten von Migranten“ ist der, dass Themen der Verbraucherbildung auf die alltäglichen Erfahrungen bezogen werden müssen, um bei Migranten Verständnis zu finden. In der Studie über Migranten und Finanzdienstleistungen wird ebenfalls darauf hingewiesen. Dort wird vorgeschlagen, über spezielle Angebote zur finanziellen Absicherung der Kinder die finanzielle Allgemeinbildung von Migranten zu fördern. Sie bezieht sich dabei auf Aktionen der britischen Regierung, die finanzielle Exklusion von Migranten zu verhindern. 48

48

s. Studie Migranten und Finanzdienstleistungen a.a.O. S. 168.

44


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

9. Verbraucherschutz und Migranten

Um zu ermitteln, ob und wie auch Migranten in den Verbraucherschutz eingebunden werden, haben wir die Verbraucherschutzaktivitäten von politischen Institutionen auf Bundes- und Länderebene sowie die Aktivitäten der Verbraucherorganisationen geprüft. Wir haben die Koalitionsverträge der Bundesregierung sowie der Landesregierungen in Berlin und Nordrhein-Westfalen nach verbraucherpolitischen Leitlinien durchgesehen 49 . Auf der Bundesebene sind wir den Nationalen Integrationsplan nach Aussagen zu Verbraucherschutz und Migranten durchgegangen sowie die Homepage des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV). Bei der Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz Berlin und beim Ministerium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz in Nordrhein-Westfalen haben wir ebenfalls die Homepages gesichtet sowie die Verbraucherschutzberichte 50 . Darüber hinaus wurden Gespräche mit den zuständigen Ministerialbeamten bzw. Senatsmitarbeitern geführt.

Die Aktivitäten der Verbraucherzentralen wurden auf den jeweiligen Homepages der Verbraucherzentralen in Berlin und Nordrhein-Westfalen angesehen, mit den Mitarbeitern in diesen beiden Verbraucherzentralen wurden Informationsgespräche geführt.

Außerdem wurde eine Internet-Recherche mit dem Ziel vorgenommen, Verbraucherschutzaktivitäten, deren Zielgruppe die Migranten sind, aufzufinden.

Politik und Regierung

Die Zielgruppe der Migranten hat auf politischer Ebene im Verbraucherschutz bis jetzt keine ersichtliche Rolle gespielt. Die Koalitionsvereinbarung der Regierungsparteien auf Bundesebene enthält keine Absichtserklärungen dazu, ebenso wenig die nordrhein-westfälische Koalitionsvereinbarung. Einzig in Berlin findet man in der Koalitionsvereinbarung zwischen

49

Koalitionsvertrag Bundesregierung zwischen SPD und CDU/CSU. http://www.bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/Bundesregierung/Koalitionsvertrag/koalitionsvertrag.html Koalitionsvertrag Nordrhein-Westfalen zwischen CDU und FDP. http://www.economy.nrw.de/grundsatz/5_Koalitionsvereinbarung.pdf Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und Linkspartei.PDS 2006 – 2011. http://www.berlin.de/rbmskzl/koalitionsvereinbarung 50 Verbraucherschutzbericht Nordrhein-Westfalen 2005. http://www.munlv.nrw.de/verbraucherschutz/pdf/verbraucherschutzbericht_2005_2006.pdf, Verbraucherschutzbericht Berlin 2006. http://www.berlin.de/sen/verbraucherschutz/bericht_2006.html Verbraucherpolitischer Bericht der Bundesregierung 2004 http://www.bmelv.de/cln_044/nn_751678/SharedDocs/downloads/01Broschueren/VerbraucherpolitischerBericht,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/VerbraucherpolitischerBericht.pdf

45


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

SPD und Linkspartei.PDS Aussagen zum Verbraucherschutz. In den Passagen zur Zielgruppenorientierung des Verbraucherschutzes wird explizit darauf hingewiesen, dass eine interkulturelle Öffnung des Verbraucherschutzes Aufgabe der Verbraucherpolitik des Senats sei. Es wird weiter darauf hingewiesen, dass in der zuständigen Senatsverwaltung ein Referat Grundsatzfragen des Verbraucherschutzes zur Koordinierung dieser Vorhaben eingerichtet wird. 51

Für die Bundesregierung ist Verbraucherschutz im Nationalen Integrationsplan kein explizites Thema, obwohl eine Reihe von Maßnahmen avisiert ist, die auch die Migranten als Verbraucher betreffen. Eine davon ist der bessere Zugang zu Sozialen und Gesundheitsdiensten. Im Verbraucherbericht des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) steht weder etwas über eine Zielgruppenorientierung des Verbraucherschutzes noch speziell etwas über die Zielgruppe der Migranten. Auch im Verbraucherschutzbericht der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen werden weder Aussagen zu einer allgemeinen Zielgruppenorientierung des Verbraucherschutzes gemacht noch zu Migranten im Besonderen. In einer Vereinbarung zwischen der Landesregierung NordrheinWestfalen und der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen vom 31. Juli 2007 ist allerdings unter der Überschrift „Verbraucherpolitische Schwerpunkte der Landesregierung“ über die Zielgruppenorientierung der Verbraucherpolitik der Landesregierung folgendes zu lesen: „Nordrhein-Westfalen will in den kommenden Jahren bei der Arbeit mit besonders wichtigen Zielgruppen der Verbraucherschutzpolitik bundesweit eine Vorreiterrolle einnehmen: bei der Stärkung der Finanzkompetenz der jüngeren Menschen und bei dem Verbraucherschutz für die ältere Generation. Der kluge Umgang mit Geld wird den Menschen nicht automatisch mit in die Wiege gelegt, sondern muss erlernt werden.

Um als souveräne Verbraucher am Marktgeschehen teilhaben zu können, benötigen die Menschen Kompetenzen im Umgang mit Geld und Konsumwünschen. Deshalb wird die Landesregierung bis zum Ende der Legislaturperiode der Stärkung der finanziellen Allgemeinbildung von Kindern, Jugendlichen und jungen Familien besondere Aufmerksamkeit widmen. Dazu sollen Ideen, die im Netzwerk zur Stärkung der Finanzkompetenz entwickelt wurden, umgesetzt oder weiter unterstützt werden. Der wichtige Gedankenaustausch aller Akteure aus Wirtschaft und Verbraucherschutz, Wissenschaft und Sozialverbänden, Politik und Verwaltung soll in den kommenden

51

Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und Linkspartei.PDS 2006 – 2011, S. 65. http://www.berlin.de/rbmskzl/koalitionsvereinbarung/

46


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Jahren in geeignetem Rahmen fortgesetzt werden. Ältere Verbraucher werden in den letzten Jahren immer stärker von Werbung und Handel als eine sehr wichtige Konsumentengruppe betrachtet. Gesundheit und Ernährung, Pflege und haushaltsnahe Dienstleistungen, Finanzdienstleistungen und Versicherungen, Telekommunikation und Medien sind wachsende Märkte, auf denen sich vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung zukünftig immer mehr ältere Menschen mit komplexeren Angeboten und Produkten zurechtfinden müssen. Aus Verbraucherschutzsicht geht es nicht nur darum, dass die Produkte und Dienstleistungen altersgerechter und nutzerfreundlicher gestaltet werden, sondern es geht auch darum, gegen die zunehmende Gefahr von unseriösen Angeboten und Mogelpackungen Aktivitäten zu entfalten. Das Ministerium will deshalb die Handlungskompetenzen älterer Verbraucher stärken und konkrete Probleme aus Sicht älterer Verbraucher gemeinsam mit den Vertretern aus der Wirtschaft, den Experten aus der Verbraucherzentrale und den Aktiven aus den Seniorenverbänden konkret angehen und in den nächsten Jahren zu Lösungen beitragen.“ 52 Anders in Berlin. Im Verbraucherschutzbericht von 2006 wird das Thema Verbraucherschutz für Migranten abgehandelt, und es wird berichtet, in welchen Bedürfnisfeldern des Verbraucherschutzes den Belangen von Migranten Rechnung getragen wurde. Es werden die Maßnahmen im Gesundheits- und Pflegebereich genannt, und es wird darauf hingewiesen, dass die Interkulturelle Öffnung auch im Verbraucherschutz als Querschnittsaufgabe zu realisieren sei. Eine wichtige Aufgabe des Verbraucherschutzes sei es, die Beratungs- und Informationsangebote der Zielgruppe der Migranten in gleicher Weise zugänglich zu machen wie der deutschen Mehrheitsbevölkerung. Es sei das Ziel, die „interkulturelle Öffnung“ auch im Verbraucherschutz zu realisieren.

„Migrantinnen und Migranten sind oft durch bestimmte Geschäftsformen überdurchschnittlich überfordert und bedürfen besonders der Unterstützung durch eine gezielte Verbraucherarbeit. Dies gilt beispielsweise beim Abschluss von Versicherungsverträgen oder bei den sog. „Tür-Verkäufen“. Darüber hinaus bedürfen Migranten sehr oft der Unterstützung durch Schuldnerberatungs-Dienste. Im Sinne der interkulturellen Ausrichtung des Verbraucherschutzes sind Beratungsdienstleistungen, Informationen usw. so anzubieten, dass sie Migrantinnen und Migranten in gleicher Weise zugänglich sind wie anderen und sie gleichen Nutzen daraus ziehen können. Sprachliche und kulturell bedingte Verständigungsprobleme müssen beispielsweise durch Infor52 Verbraucherschutz gezielt stärken. Informations- und Beratungsangebote für die Verbraucherinnen und Verbraucher in Nordrhein-Westfalen sichern! Vereinbarung zwischen der Landesregierung Nordrhein-Westfalen und der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen e.V. http://vz-nrw.de

47


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

mationsmaterialien in den wichtigen Migrantensprachen sowie durch sozialkulturell und auch - soweit möglich - sprachlich kompetentes Personal bewältigt werden. Auch die Öffentlichkeitsarbeit ist gezielt mit auf die Migrantinnen und Migranten auszurichten. Im Sinne eines übergreifenden Verbraucherschutzes und mit Blick auf die sachgerechte Bearbeitung der Probleme der Migrantinnen und Migranten ist die Kooperation mit migrantenspezifischen Diensten, Projekten, Migranten- bzw. Integrationsbeauftragten und Migrantenvereinen ein zentraler Bestandteil der interkulturellen Öffnung.

Die Verbraucherschutzaktivitäten der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz werden durch eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit der Dienststelle des Integrationsbeauftragten unterstützt und ergänzt.“ 53

Verbraucherorganisationen in Berlin und Nordrhein-Westfalen

Berlin In Berlin wurde im Gegensatz zu anderen Bundesländern bzw. Städten auf der politischen und auf der Regierungsebene die Zielgruppenorientierung auf die Migranten im Verbraucherschutz wie nirgendwo sonst in Deutschland durchgesetzt. Das liegt vor allem daran, dass in Berlin das Thema „Interkulturelle Öffnung der Verwaltung“ durch gesellschaftliche pressure groups aus der Integrationspolitik eine starke politische Unterstützung gefunden hatte. Die frühere Berliner Integrationsbeauftragte Barbara John und ihre Mitarbeiter hatten die Thematik aufgegriffen und durchgesetzt, dass das Konzept der Interkulturellen Öffnung der Verwaltung immer wieder in die einschlägigen Gremien eingebracht wurde. In Berlin ist die Interkulturelle Öffnung der Verwaltung als Querschnittsaufgabe für alle Verwaltungen inzwischen Programm. Was davon allerdings bis in die unterschiedlichen Handlungsfelder in der konkreten Praxis umgesetzt wird, ist ein Thema für sich. Uns interessiert hier der Bereich Verbraucherschutz und inwieweit die Zielgruppenorientierung auf die Migranten von den Berliner Verbraucherorganisationen auch in der Praxis umgesetzt wird.

Man kann nicht unmittelbar von einer Themenvorgabe auf politischer und auf Regierungsebene auf die praktische Umsetzung schließen. So gibt es in Berlin ein Netzwerk Verbraucherschutz, in dem 40 Organisationen vertreten sind, die im weitesten Sinne Verbraucherorganisationen sind. Dieses Netzwerk ist bei der zuständigen Senatsverwaltung verankert und 53

Berlin auf dem Weg zur verbraucherfreundlichen Stadt. Verbraucherschutzbericht 2006. Herausgegeben und bearbeitet von der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz. Berlin 2006. http://www.berlin.de/sen/verbraucherschutz/bericht_2006.html

48


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

wird auch von ihr geleitet. Darunter ist aber keine Organisation, die die Verbraucherbelange von Migranten vertritt: weder einer der vielen migrantenspezifischen Dienste noch Migrantenselbstorganisationen, die in der Praxis auch Verbraucherberatung machen, sind in dem Netzwerk vertreten. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass diese Organisationen sich selten als Verbraucherorganisationen verstehen, sondern eher als Beratungsstellen, die Sozialberatung durchführen.

Anderseits gibt es Verbraucherorganisationen wie zum Beispiel die Schuldenberatung im Bezirksamt Friedrichshain/Kreuzberg in Trägerschaft der Arbeiterwohlfahrt Kreisverband Berlin-Friedrichshain e.V., die ein Musterbeispiel für eine gelungene interkulturelle Öffnung der Schuldnerberatung darstellt und Mitglied in der Landesarbeitsgemeinschaft Schuldner und Insolvenzberatung Berlin e.V. ist, einer Organisation, die Mitglied im Netzwerk Verbraucherschutz in Berlin ist. Diese Schuldnerberatung ist für Kreuzberg zuständig und hat etwa ein Drittel türkischstämmige Klienten. Russische Migranten kommen nicht in die Beratungsstelle, das ergibt sich aus der örtlichen Situation. Viele der Klienten türkischer Herkunft können überhaupt kein Deutsch, auch solche, die eingebürgert sind. Der Beratungsstelle war schnell klar, dass sie auf diese Situation konzeptionell reagieren musste. In der ersten Phase wurden Sprachmittler eingesetzt, aber es zeigte sich, dass das nicht ausreichte. Es wurde ein Mitarbeiter kurdischer Herkunft eingestellt, zuerst als freier Mitarbeiter, dann mit fester Anstellung. Das durchzusetzen war ein zäher Prozess. Die anderen Mitarbeiter können selbst kein Türkisch. Wenn der Mitarbeiter aus der Türkei nicht berät, wird bei der Beratung ein Sprachmittler eingesetzt. Darüber hinaus werden für die Zielgruppe wichtige Informationen auf Türkisch übersetzt. Bei kleineren Sachen macht das der Mitarbeiter, der Türkisch und Deutsch kann, bei größeren Übersetzungen wird der Auftrag nach außen vergeben. Dieses Arrangement bewährt sich auf unterschiedlichen Ebenen. Erstens ergeben sich durch den Mitarbeiter türkischer Herkunft seit Jahren stabile Migrantenanteile in der Beratung, die das widerspiegeln, was im Bezirk los ist. Zweitens ist das ein Arrangement, das die interkulturelle Kompetenz der Beratungsstelle steigert. Denn die anderen Mitarbeiter bekommen mit, welche kulturspezifischen Besonderheiten bei den Klienten relevant sind, dass zum Beispiel eine Hochzeitsfeier bei Türken unter Umständen ein Darlehen von 10.000 Euro erfordert. Der hohe Anteil an Migranten aus der Türkei und der kontinuierliche Austausch über die Fälle im Team ersetzt eine Fortbildung in interkultureller Kompetenz.

Die Beratungsstelle sieht es als ihre Aufgabe an, den Zugang zu ihren Klienten mit Migrationshintergrund ständig zu verbessern und dadurch bei den Klienten Vertrauen aufzubauen. „Wir haben eine besondere Auffassung von Schuldnerberatung, die darauf fußt, dass wir 49


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

versuchen wollen, immer die ganze Situation des Menschen zu erfassen und ihm auch umfassend zu helfen. Soweit wir das können, machen wir das selber. Ansonsten holen wir andere Leute mit ran, und wir vermitteln auch weiter. Aber unser Anliegen ist es, dem Menschen ganzheitlich zu helfen. Und das bedingt, dass diejenigen, die hierher kommen, nicht nur einfach irgendwelche Informationen vermittelt bekommen und dann wieder rausgehen, und dann ist alles in Ordnung – sondern sie müssen Vertrauen fassen. Sie müssen wirklich das Gefühl haben, ihnen wird hier geholfen, es wird ihnen zugehört und Mühe aufgewendet, in Zusammenarbeit mit ihnen die Dinge wieder hinzukriegen. Und da ist zumindest am Anfang das A und O: Vertrauen“. Die Schuldnerberatung Kreuzberg sieht das, bezogen auf die Migranten aus der Türkei, durch ihr Konzept, Migranten personalmäßig in die Beratungsstellen einzubinden, realisiert.

Nach Auskunft der Mitarbeiter der Schuldnerberatung ist allerdings das Thema der interkulturellen Öffnung kein Thema in der Landesarbeitsgemeinschaft. Das heißt, dass die konzeptionelle Arbeit der Schuldnerberatung eine Insellösung ist, die nicht systematisch in andere Schuldnerberatungen kommuniziert wird.

Dieses Beispiel zeigt, dass es in der Berliner Verbraucherschutzstruktur (Regierung und Verbraucherorganisationen) keine systematische Strategie zur interkulturellen Öffnung gibt. Es ist nicht ersichtlich, wie das Wissen über die besonderen Bedürfnisse von Migranten als Verbraucher und die bereits bewährten Konzepte, damit umzugehen, erfasst werden und wie sie in diese Strukturen Eingang finden und verarbeitet werden.

Ungeachtet dessen leisten einige dieser Verbraucherorganisationen, die in dem Netz vertreten sind, eine gute Arbeit auch für die Zielgruppe der Migranten. So findet man zum Beispiel auf dem Gesundheitsportal der Berliner Ärztekammer 54 einen Gesundheitswegweiser für Migranten in mehreren Sprachen. Auf der Homepage der Verbraucherzentrale Berlin 55 gibt es keine allgemeinen Aussagen zum Profil der Organisation. Ein Leitbild der Organisation liegt ebenfalls nicht vor. Die Informationen zur Zielgruppenorientierung der Verbraucherzentrale in Berlin und zu ihrer besonderen Berücksichtigung der Zielgruppe der Migranten wurden hauptsächlich über Gespräche mit Mitarbeitern der Verbraucherzentrale gewonnen.

Die Verbraucherzentrale ist nicht in den Berliner Bezirken vertreten. Ihre gesamte Beratungsarbeit wird von einer zentralen Stelle, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu errei54 55

http://www.patienteninf-berlin.de http://www.verbraucherzentrale-berlin.de

50


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

chen ist, durchgeführt.

Bei der Verbraucherzentrale Berlin wird seit 31 Jahren einmal in der Woche für drei Stunden eine Beratung auf Türkisch angeboten. Zu dem Mitarbeiter, der die Beratung über den gesamten Zeitraum auf Honorarbasis durchgeführt hat, werden alle Ratsuchenden geschickt, die schlecht Deutsch sprechen. Zu 90% kommen die Klienten aber aus der Türkei. Das sind hauptsächlich türkische Migranten der ersten und zweiten Generation, die schlecht Deutsch sprechen und verstehen. Dazu gehören auch junge Frauen aus der Türkei, die nach Deutschland geheiratet haben. Nach der Einschätzung des Beraters nehmen Migranten türkischer Herkunft aus der dritten und vierten Generation, die Deutsch können, das Beratungsangebot auf Türkisch nicht in Anspruch. Diese Segmente der Migranten wenden sich an die regulären Angebote der Verbraucherzentrale. Die Beratungsstunden auf Türkisch sind voll ausgebucht, das Angebot könnte sogar größer sein, aber die Verbraucherzentrale hat nicht die materiellen Ressourcen, um dieses Angebot zu erweitern. Die Beratung auf Türkisch wird von dem betreffenden Berater zu allen Bedürfnisfeldern des Verbraucherschutzes durchgeführt, außer zum Bereich Pflege. Die Nachfrage bei der Pflegeberatung durch türkischsprachige Klienten ist hoch, allerdings spricht die Beraterin kein Türkisch. Die Sprachprobleme werden dadurch gelöst, dass die Familienangehörigen, die Deutsch sprechen, übersetzen.

Wie viele Migranten die Verbraucherzentrale in Berlin aufsuchen, wird nicht gesondert erfasst, so dass kein Überblick darüber besteht, wie viele die Verbraucherzentrale aufsuchen.

Nach Auskunft einer Leitenden Angestellten spielt das Thema Migranten im relevanten Themenspektrum innerhalb der Berliner Zentrale keine besondere Rolle.

In der Berliner Zentrale gibt es einiges Material auf Türkisch.

51


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Nordrhein-Westfalen Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen ist ein Eingetragener Verein, in dem 32 Verbände und Ortsarbeitsgemeinschaften Mitglied sind. Sie unterhält mit 54 Beratungsstellen ein breites Netz von Beratungsstellen in Nordrhein-Westfalen für rund eine Million Ratsuchende im Jahr. Sie ist also in ihrer Größenordnung und ihren Ressourcen nicht mit der Berliner Verbraucherzentrale zu vergleichen. Sie versteht sich als „Anlaufstelle für: persönliche Beratung, aktuelle Informationen und als Ratgeber; eine Infothek mit Testergebnissen sowie aktive Öffentlichkeitsarbeit und Kampagnen zählen zu den Dienstleistungen, auf die Bürgerinnen und Bürger in >ihrer Verbraucherzentrale vor Ort< vertrauen“. 56

Zum Thema Zielgruppenorientierung ist in der oben bereits genannten Vereinbarung zwischen der Landesregierung Nordrhein-Westfalen und der Verbraucherzentrale NordrheinWestfalen unter der Überschrift „Schwerpunkte der Arbeit der Verbraucherzentrale NRW in den kommenden Jahren“ zur Zielgruppenorientierung der Verbraucherzentrale folgendes festgelegt: „Insbesondere engagiert sie [die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen] sich für die Verbraucherbelange von Senioren, von Kindern und Jugendlichen oder von Migranten.“ In ihrem Leitbild steht: „Wir begleiten gesellschaftliche Veränderungsprozesse, fördern Integration und möchten insbesondere einen Beitrag zur Zusammenarbeit der Gesellschaft leisten. Wir haben schon heute den Verbraucher von morgen im Blick“. 57

Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen hat eine Reihe von Projekten durchgeführt, die auf Migranten ausgerichtet sind oder waren und die nach Auskunft der Mitarbeiter teilweise in Kooperation mit Migrantenorganisationen durchgeführt wurden. Es sind zeitlich befristete Projekte, die in unterschiedlichen Handlungsfeldern des Verbraucherschutzes durchgeführt werden bzw. wurden.

Aus dem verfügbaren Material erfahren wir, dass es durchaus Migranten gibt, die die Verbraucherberatung aufsuchten, dass aber eine effektive Beratung wegen Kommunikationsschwierigkeiten vor Zugangsbarrieren steht. In der Verbraucherzentrale in NordrheinWestfalen wird nicht mit Dolmetschern gearbeitet, es fehlen dazu die materiellen Ressourcen. Die Beratungsstellen erwarten, dass die Ratsuchenden, die des Deutschen nicht mächtig sind, in Eigeninitiative jemanden zum Dolmetschen mitbringen. Es kommt aber auch häufig vor, dass das Kinder sind. Nach Auskunft einer Beraterin kommt es manchmal zu grenz56

http://www.vz-nrw.de

57

Leitbild der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Düsseldorf 02.07.2007. Manuskript.

52


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

wertigen Situationen, wenn zum Beispiel ein 10-jähriges Kind die Rechtsangelegenheiten für den Vater übersetzen muss.

Ähnliche Befunde liefert auch ein Expertengespräch mit dem Leiter einer Schuldnerberatung in Nordrhein-Westfalen:

Bei der Schuldnerberatung gibt es keine Erfassung von Klienten mit Migrationshintergrund. Es kommen aber vor allem Migranten aus der Türkei. Welche Themen bei diesen Beratungen auftreten, ist ebenfalls nicht erfasst. Oft sind Sprachprobleme ein Hindernis bei der Beratung, es gibt im gleichen Haus die „Arbeiterwohlfahrt“ (AWO) mit einer Beraterin, die Türkisch spricht, die bei Gelegenheit eher informell dolmetscht. Der Eindruck des Leiters ist, dass aber das Sprachproblem eine größere Hürde für eine optimale Wirkung der Beratung darstellt, als man sich das in der Beratungsstelle eingesteht. Die Berater vergewissern sich nicht, ob der Klient tatsächlich die Beratung auch verstanden hat. Das scheint aus der Hilflosigkeit herzurühren, nicht zu wissen, wie man sich in der Situation verhalten soll. Jemandem juristische Begriffe zu vermitteln, der kein Deutsch spricht, ist eine Aufgabe, die nur gelöst werden kann, wenn eine Infrastruktur vorhanden ist, die sich konkret auf die Problematik einstellt. Das scheint bei der Schuldnerberatung nicht der Fall zu sein. Das Problem wird irgendwie gesehen, aber nicht angegangen. Der tatsächliche Bedarf wird nicht öffentlich. Dem Leiter ist zum Beispiel bekannt, dass es in der Stadt einen Dolmetscherdienst gibt, aber die Zusammenarbeit müsste organisiert werden, was bis jetzt nicht geschehen sei. Man wisse zum Beispiel nicht, wie die Ausbildung der Dolmetscher sei und wer sie bezahlen solle. Ein weiteres Problem sieht der Leiter darin, dass die Beratung Hilfe zur Selbsthilfe ist. Was die Schuldnerberatung nicht leisten könne, sei die Betreuung eines Klienten, der mit einer Plastiktüte voller Schriftstücke kommt und nicht genau weiß, welche Schulden er hat. Das mit dem Klienten zu eruieren, würde unabhängig von Sprachschwierigkeiten mehrere Stunden brauchen, was die Schuldnerberatung aufgrund ihrer Ressourcen gar nicht leisten könnte. Für eine Schuldner-Insolvenzberatung, die im Durchschnitt ein Jahr dauert, müsse der Klient eine Reihe von Ressourcen mitbringen: er müsse Absprachen und Termine einhalten können. Das Konzept Schuldnerberatung gebe eine interkulturelle Öffnung nicht her. Diese Problematik durch Kooperation mit Beratungsstellen, die die Sprache der Migranten sprechen, in den Griff zu bekommen, wird von ihm skeptisch gesehen. Wenn man die Lücken im Versorgungssystem von Migranten über Vernetzung schließen möchte, müsse eine Vernetzung organisiert sein, Treffen der beteiligten Beratungsstellen müssten in ein strategisches Konzept eingebettet sein, das die tatsächliche Schließung der Versorgungslücke zum Ziel hat. Dazu müssten vor allem Ressourcen bereitgestellt werden. Mit dem Vorhandenen sei

53


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

das nicht zu schaffen. Aber er könne sich vorstellen, dass die Schuldnerberatung auf Informationsveranstaltungen ihr Know-how weitergibt.

Verbraucherschutzaktivitäten im Internet Für die Zielgruppe der Migranten sind einige Verbraucherschutzaktivitäten im Internet vorzufinden, sie beziehen sich aber fast ausschließlich auf Migranten als Verbraucher im Gesundheitsbereich. Das ist auch der einzige Bereich, in dem die Verbraucherzentrale als LobbyOrganisation für die Belange der Migranten auftritt: mit der schon erwähnten Befragung 58 der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz in 35 Krankenhäusern. Sie ging der Frage nach, inwieweit Krankenhäuser überhaupt auf die sprachlichen Probleme von Migranten vorbereitet sind. Von 35 Krankenhäusern in elf Städten in Rheinland-Pfalz und Nordrhein Westfalen gab nur eine Einrichtung an, bei Verständigungsproblemen einen Dolmetscherdienst zu organisieren. Die Pressemitteilung, die dazu Anfang 2006 herausgegeben wurde, ging durch die Fachpresse. 59

Zu nennen ist auch die bereits oben erwähnte Homepage der Berliner Ärztekammer sowie eine von der gleichen Organisation in Auftrag gegebene „Linkliste in russischer Sprache im gesundheitlichen und sozialen Bereich für MigrantInnen mit russisch kulturellem Hintergrund. 60

Ein weiteres Projekt, das Beachtung verdient, ist Mimi, ein Gesundheitsprojekt, das in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Bayern, Baden-Württemberg und Brandenburg vom Ethnomedizinischen Zentrum im Auftrag des Bundesverbandes der Betriebskrankenkassen durchgeführt wird. „Mit Migranten und für Migranten“ ist zugleich Motto als auch Konzept des Projekts. Migranten werden als Gesundheitsmediatoren ausgebildet und sollen ihre eigenen Landsleute gemeinsam mit Akteuren des Gesundheitswesens mehrsprachig über die unterschiedlichen Felder der Gesundheitsprävention aufklären und über die Möglichkeiten der Gesundheitsvorsorge informieren. 61

In der Altenpflege gibt es eine Kampagne des Bundesverbandes der Arbeiterwohlfahrt (AWO). Dabei geht es um Informationen und Einblicke in die Leistungen der deutschen Altenhilfe. Die Zielgruppe der Migranten soll dabei an die Altenhilfe herangeführt werden. 62

58

s. Kapitel 8: Migranten als Verbraucher. ebenda. 60 http://www.mut99.de 61 http://www.bkk-promig.de 62 http://www.aelter-werden-in.de 59

54


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Die einzige Verbraucherschutzaktivität, die Migranten als Adressaten hat und nicht im Bereich Gesundheit angesiedelt ist, war ein befristetes Projekt im Rahmen der Agenda 21, das zwischen Dezember 2004 und Oktober 2005 in Hannover durchgeführt wurde. Es war ein Beratungsprojekt, in dem Migranten mit Themen wie Klimaschutz, Wohnqualität und Nebenkostensenkung angesprochen wurden. Auch hier wurde auf Migranten als Berater gesetzt, um die Zielgruppe innerhalb der eigenen community besser zu erreichen. 63 Fazit

Die Verbraucherorganisationen, die sich für die allgemeinen Belange der Verbraucher einsetzen - wie die Verbraucherzentralen der Länder und weitere im Verbraucherzentrale Bundesverband organisierte Institutionen, berücksichtigen die Zielgruppe der Migranten bis jetzt nur mit einigen zeitlich begrenzten Sonderprojekten. Ihre Regelangebote sind nicht so strukturiert, dass solche Migranten, die sprach- und kulturbedingte Zugangsbarrieren haben, in den Genuss von qualifizierten Verbraucherinformationen kommen. Wo das dennoch der Fall ist, hat sich das eher aus dem Engagement der Mitarbeiter vor Ort entwickelt, aus dem Druck heraus, ihre Arbeit den lokalen Bedingungen anzupassen – wie das oben genannte Beispiel der Schuldnerberatung in Berlin Kreuzberg zeigt.

Auf keiner Ebene der Verbraucherpolitik gibt es ein Konzept oder eine Strategie, wie Migranten in den Verbraucherschutz integriert werden sollen.

Pressure groups aus dem einwanderungspolitischen Bereich haben Migranten bis jetzt nur als Adressaten von sozialen Dienstleistungen, Bildung und Gesundheitsversorgung zum Thema gemacht. Das hat dazu geführt, dass Migranten in diesen Bereichen zunehmend als Zielgruppe anerkannt werden und auf politischer Ebene Anstrengungen unternommen werden, diese Handlungsfelder für Migranten generell zugänglich zu machen. Es gibt bundesweit Bemühungen, die Leistungen dieser Bereiche auf die Anforderungen der Einwanderungsgesellschaft zuzuschneiden. Allerdings kam diese Lobbyarbeit nicht von expliziten Verbraucherorganisationen, sondern von Organisationen, die in der Integrationsarbeit aktiv sind. Weitere Bedürfnisfelder der Verbraucherpolitik, wie zum Beispiel der gesamte Finanzdienstleistungsbereich, spielen bis jetzt im integrationspolitischen Diskurs kaum eine Rolle.

Aus welcher Instanz der Verbraucherpolitik der Impuls für eine interkulturelle Öffnung kommen wird, ist aus der Recherche nicht abzuleiten

63

http://www.agenda21.de/pdfs/Endbericht_Klimaschutzberatung.pdf

55


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

10. Qualitative Experten-Befragungen

Die vorlaufenden Recherchen zur Thematisierung von Migranten (speziell türkischer und russischer Migranten [Spätaussiedler]) als Verbraucher in wissenschaftlichen Studien, Berichten und Befragungen sowie zu ihrer Berücksichtigung in der Verbraucherschutzpolitik legen folgende Untersuchungsschwerpunkte für die qualitativen Experten-Befragungen aus folgenden Bereichen nahe:

1. Befragung diverser migrantenspezifischer Beratungsstellen (Migrantenorganisationen und migrantenspezifische Dienste), 2. Befragung von Beratern aus den Verbraucherzentralen in Berlin und in NordrheinWestfalen, 3. Befragungen im Kommunikationsbereich (Journalisten, Medien, Agenturen), 4. Befragungen bei den Integrationsbeauftragten Berlin und Nordrhein-Westfalen.

Die Befragungen der Experten aus den Beratungsstellen sollten Informationen ermitteln, aus denen sich Vorstellungen ableiten lassen, welche besonderen Probleme die beiden genannten Gruppen als Verbraucher haben und wie sie mit den Angeboten der Verbraucherzentralen zu erreichen sind.

Entsprechend sollte die Befragung von Journalisten etc. Anhaltspunkte oder auch Empfehlungen dafür ermitteln, wie über Pressemitteilungen und sonstige mediale Kontakte ein Optimum an Informationsvermittlung auch gegenüber denjenigen Migranten erreicht werden kann, die von sich aus keine Beratungen aufsuchen. Dahinter steht die Vorstellung, praxisnah und pragmatisch eine realisierbare Verbesserung der Beratungs- und Informationssituation über die von Migranten bevorzugten Kontaktebenen zu begründen.

Die oben genannte vierte Ebene der Integrationsbeauftragten soll in die Befragungen einbezogen werden, weil dort Erfahrungen gebündelt werden, die praxisnah sind und in die Vorschläge einfließen können, die aus den anderen Befragungen abgeleitet werden.

Es wurden Experten aus Berlin und aus Nordrhein-Westfalen befragt, insgesamt 32 Personen aus drei Beratungsstellen, die Beratung für Einwanderer aus der Türkei durchführen, und weiteren drei Beratungsstellen, die ihre Angebote an Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion richten. Darüber hinaus wurden Gespräche bzw. Interviews mit zwei Mitarbeitern bzw. Beratern der Verbraucherzentrale in Berlin und mit zehn der Verbraucherzentrale in Nordrhein-Westfalen geführt, mit der Leiterin einer Schuldnerberatung in Berlin und einer 56


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

in Nordrhein-Westfalen; mit zwei Mitarbeitern aus dem Büro des Integrationsbeauftragten in Berlin und zweien aus der gleichen Institution in Nordrhein-Westfalen sowie einem aus der Regionalen Stelle für Ausländerarbeit (RAA) in Essen. Aus dem Medienbereich wurden drei Journalisten befragt.

Die Befragungen sollten sich also, abgeleitet aus den vorlaufenden Recherchen, auf eine Verbesserung der Verbraucherinformation, -bildung und -beratung von Migranten fokussieren.

Von den Befragungen wurde erwartet, dass sie Anhaltspunkte dafür lieferten, wie eine Verbesserung der Versorgung von Migranten mit den Angeboten des Verbraucherschutzes organisiert werden kann. Es war zu erwarten, dass die Befragungen auch differenzierende Anregungen erbringen.

Die Interviews wurden offen geführt, um eine freie Gesprächssituation zu ermöglichen. Sie sollten auch die Anregungen der Interviewpartner aufgreifen. Daher wurden die Fragen nicht fragebogenmäßig ausformuliert, sondern als Gesprächsanregung vorgegeben. Eine Quantifizierung einer solchen Erhebung kann ohnehin nicht vorgesehen werden. Deshalb wurden für die Beantwortung der abgefragten Themen keine Vorgaben gemacht.

Die Experteninterviews wurden nach einem halbstandardisierten Leitfaden geführt, elektronisch aufgenommen und transkribiert.

Die ermittelten Informationen wurden zusammengefasst und nicht personenbezogen wiedergegeben, auch wenn zur Veranschaulichung wörtliche Zitate eingeflochten werden. Unterschiedliche Auffassungen der Experten werden gelegentlich zur Verdeutlichung verschiedener Positionen gegenübergestellt, aber auch nicht personalisiert.

57


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

10.1 Erfahrungen aus der Beratungspraxis Die Befragungen der Experten aus Beratungseinrichtungen sind, weil sie auf konkreten Erfahrungen basieren, eine besonders wichtige Quelle für die Feststellung eines Bedarfs an Beratungen oder auch von Defiziten bei der Beratung von Migranten. Da die Gesprächspartner aus Beratungsstellen überwiegend aus der Sozialberatung im weitesten Sinne kommen, wurde durch sie ein breites inhaltliches Spektrum abgedeckt. Das betrifft auch solche Themen, wo sie nicht selbst die qualifizierten Berater sein konnten, sondern lediglich als Anlaufstelle fungierten, um weiter zu vermitteln. Dadurch ist ihnen aber die Vielfalt der angesprochenen Probleme bekannt, und viele Details sind ihnen aus den Gesprächen vor einer eventuellen Weitervermittlung geläufig. Deshalb wird es möglich sein, einen Katalog von Defiziten oder nicht ausreichend bedachtem Bedarf aufzulisten, der durch Beratungsangebote aufgefangen werden sollte.

Einige der von uns befragten Experten sagen, der Beratungsbedarf der Migranten unterscheide sich, abgesehen von eventuellen Sprachschwierigkeiten, nicht grundsätzlich von dem der Einheimischen. Das ist zwar nicht direkt nachprüfbar, trifft aber zumindest insofern zu, als die Themenpalette in etwa die gleiche ist. 64 Unterschiede mag es aber auch dadurch geben, dass Migranten oft nicht mit den hiesigen Verhältnissen und Gepflogenheiten so vertraut sind wie Einheimische, eben durch Unkenntnis der hiesigen Markt- und Informationsstrukturen. Als weiterer Punkt der Unterscheidung wird mehrmals eine große Gutgläubigkeit und Vertrauensseligkeit der Migranten genannt, sowohl der türkischen als auch derjenigen russischer Herkunft, die sich aus diesen eigentlich sympathischen Haltungen heraus in geschäftlichen oder Vertragsangelegenheiten oft in Schwierigkeiten bringen lassen und deshalb rechtliche Beratung brauchen. Im Hintergrund dafür steht die Verschiedenheit der gewohnten Sozialstrukturen im Vergleich zu den hierzulande gängigen Praktiken. In den Ländern, aus denen eine große Zahl der Migranten kommt, das betrifft sowohl die Türkei als auch die ehemalige Sowjetunion als Herkunftsländer, ist man in Großfamilien eingebettet, auch im Sinne der sozialen Sicherung, und das bedeutet, dass man innerhalb dieser sozialen Gruppe auch einen Vertrauensbonus hat und sich sicher fühlen kann. So werden auch Geschäfte abgewickelt, mit Handschlag, ohne schriftliche Verträge, und wenn schon schriftlich, dann kann man sich auf den Geschäftspartner verlassen. Das Gegenmodell der westlichen Länder basiert auf rechtlicher Regelung und Schriftlichkeit. Das ist nicht besser oder schlechter, aber anders, und für viele Migranten ungewohnt. Schon allein daraus ergeben sich viele Schwierigkeiten. Wenn dazu noch Gaunereien kommen, von unseriösen Firmen,

64

siehe Evers & Jung. Migranten und Finanzdienstleistungen, a.a.O. s. 190.

58


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

die nicht durchschaut werden, oder sogar von Landsleuten, denen man vertraut, kann das für ohnehin sozial Schwache zur existenziellen Katastrophe führen. Aber das Leben in Deutschland ist anders als in Russland. Die Großfamilienverbände zerfallen mit der Zeit. Mein Beispiel: als wir nach Deutschland kamen 1993, umfasste unser Familienverband etwa 100 Personen. In den ersten Jahren haben wir uns dreioder viermal im Jahr getroffen – und jetzt treffen wir uns nur noch auf Hochzeiten oder Beerdigungen. In Russland waren die Großfamilien überlebenswichtig, und hier in Deutschland ist das nicht notwendig. In Essen erwarten wir schon, dass es in absehbarer Zeit zur Notwendigkeit von russischen Pflegedienstleistungen kommt.

Es geht um Alltagsprobleme in allen Lebenslagen. Dieses breite Spektrum können wir überhaupt nicht abdecken. Wir müssen uns viel mit Vertragsabschlüssen auseinandersetzen. Einen Teil der Beratungen, die die Verbraucherzentralen für die Bundesbürger anbieten, machen wir auch für unsere Landsleute.

Wir machen auch Informationsseminare, weil viele nicht nur schüchtern sind, sondern auch manchmal über den Tisch gezogen werden. Aber auch da kann man nicht alle Alltagsprobleme behandeln. Wir bekommen auch viele Anrufe. Und wenn wir nicht weiterhelfen können, schalten wir andere Einrichtungen oder einen Rechtsanwalt ein, die die Fachkenntnisse haben.

Allgemein kann man sagen, dass zu uns besonders Menschen kommen, die wenig Geld haben und wo es sich, ganz allgemein gefasst, um Fragen der materiellen Bedürftigkeit handelt: man hat etwas bestellt bei einer Firma, es war nicht intakt, als es geliefert wurde, die Reklamation gestaltet sich schwierig – das geht schon an die Existenz einer Familie, die von Arbeitslosengeld II lebt. Häufig geht es auch darum, das etwas gekündigt werden muss, was einfach nicht mehr zu bezahlen ist. Weniger sind die Beratungen präventiv, dass jemand fragt: was soll ich denn jetzt für eine Versicherung abschließen. Meistens kommen die Leute erst später, wenn sie nicht mehr weiter wissen.

Ansonsten würde ich sagen: Überschuldung, Arbeitslosigkeit, die Leute schließen Verträge ab und haben mitunter nicht die geringste Ahnung, was sie da unterschrieben haben. Ich habe als Beispiel eine Klientin, erst Mitte 40, die sich hat alle möglichen Versicherungen aufschwatzen lassen, sie kann es nicht, sie ist funktionelle Analphabetin, sie ist als Jugendliche nach Deutschland gekommen, hat hier ein Jahr die Schule besucht, das hat nicht gereicht, um Lesen und Schreiben zu lernen, ist aber 59


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

so gutgläubig, einem entfernten Bekannten zu helfen, der seinerseits versucht, sich als Versicherungsvertreter eine Existenz aufzubauen und ein starkes Interesse hat, Verträge zu verkaufen. Da ist auch die pure Not auf der anderen Seite, und bei ihr lauter Gefälligkeit. Sie hat eine Hausratsversicherung unterschrieben, die sie gar nicht braucht. Sie war aber der Meinung, sie hätte eine Haftpflichtversicherung für ihre Kinder unterschrieben. Das hat zu tun mit dem schlechten Bildungsgrad, dass die deutschen Verträge nicht verstanden werden und auch mit einer Gutgläubigkeit. Aber das betrifft ja auch viele ältere Deutsche.

Die sozialen und wirtschaftlichen Probleme sind mehr oder weniger dieselben. Aber die Möglichkeiten, dagegen vorzugehen, unterscheiden sich. Da vermischen sich oft die sprachlichen Defizite mit sozialbedingtem oder bildungsbedingtem Verhalten. In einem Fall, in dem die Leute regelrecht betrogen worden waren, weil ihnen ein Lotteriegewinn vorgetäuscht worden war, dann aber Rechnungen kamen von einem Telefonanbieter, haben sie nicht einmal diese Rechnungen geöffnet, weil sie ja einen Gewinn zu haben glaubten, ein Geschenk.

Es gibt aber trotzdem ganz erwachsene Leute, die etwas falsch machen wie die Kinder, etwas falsch unterzeichnen – und daraus entstehen Schwierigkeiten.

Ich glaube nicht, dass alle, die aus dem Ausland nach Deutschland kommen, wissen, wohin sie tatsächlich kommen. Die Leute sind nicht mit dem Rechtssystem vertraut, überhaupt damit, wie alles hier funktioniert. Es gibt zum Beispiel auch Erwerbstätige, die hier Häuser oder eine Wohnung kaufen möchten und in die Hände von nicht besonders sauberen Firmen geraten, und dann ein Problem haben. Das gilt eigentlich für alle Ausländer.

Die Probleme sind sehr ähnlich, nur kommen halt noch die Verständigungsschwierigkeiten dazu. Was anderes ist es oft bei Vertragsangelegenheiten, wenn die Leute Vertrauen gegenüber einem Firmenmitarbeiter haben, der türkischer Herkunft ist, sich den Vertrag nicht durchlesen oder nicht verstehen und einfach unterschreiben. Aber das gibt es bei Deutschen vielleicht auch öfters, dass sie sich einen Vertrag nicht durchlesen.

Dementsprechend liegen die Schwerpunkte des Beratungsbedarfs bei beiden zu betrachtenden Migrantengruppen hauptsächlich in Rechtsfragen in Zusammenhang mit Verträgen für überteuerte Leistungen, mit überflüssigen Versicherungsabschlüssen und unseriösen Kredi60


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

ten. Die daraus folgenden Verschuldungen führen dann zwangsläufig und meistens zu spät zur Schuldnerberatung. Bedauerlicherweise wird das Vertrauen der unerfahrenen Migranten sogar von eigenen Landsleuten ausgenutzt, die ihrerseits unter dem Druck von Vertragsabschlüssen für ihre eigene Subsistenz stehen. Diese Art von Beratungsbedarf könnte präventiv vermieden werden durch gezielte Verbraucheraufklärung und Verbraucherbildung, die auch von den befragten Experten angemahnt werden Deutsche Klienten informieren sich besser, wenn sie Verträge abschließen, wie zum Beispiel beim Kauf eines Autos oder beim Abschluss von Versicherungen. Türkische Einwanderer fallen häufiger auf Schwindler herein, vor allem, weil vielfach die Anbieter Landsleute sind. Das Fazit ist: Verbraucherbildung ist die Aufgabe, die bezogen auf diese Zielgruppe Priorität hat. Im Grunde sind die Probleme, mit denen die Türkischstämmigen oder die Deutschen hierher kommen, nicht so sehr verschieden. In Einzelheiten unterscheidet sich das, aber im Allgemeinen ist die Problematik sehr ähnlich. Der Unterschied ist: man hat einen anderen Zugang zu den Migranten. Das ist auch abhängig von den sprachlichen Gemeinsamkeiten. Mein türkischer Mitarbeiter hat eben einen anderen Zugang zu den türkischen Migranten und umgekehrt von ihnen zu ihm. Abgesehen von der sprachlichen Verständigung ist das auch eine kulturelle Identitätsfrage. Durch unseren türkischen Mitarbeiter ergeben sich seit Jahren stabile Migrantenanteile in der Beratung, die wirklich auch das widerspiegeln, was bei uns im Bezirk los ist, weil auch die Leute bei ihm andocken können. Und für uns als Mitarbeiter ist es auch wichtig, dass er uns manchmal Dinge erklärt, die mit einer Kulturidentität zu tun haben. Mir wäre das zum Beispiel auch nicht von vornherein klar gewesen, dass eine Hochzeitsfeier bei Türken unter Umständen ein Darlehen von 10.000 Euro erfordert. Das zeigt zum Beispiel, es müssten konzeptionell viel mehr Migrantenstellen personalmäßig in die Beratungsstellen eingebunden werden. Aber das Beispiel charakterisiert nun keine grundsätzlichen Unterschiede zwischen Deutschen und Türken. Während sich die einen verschulden, weil sie ihren Kindern jeden Monat was zustecken, tun es die anderen über so eine Hochzeit.

Die Probleme, mit denen die Einwanderer aus der Türkei kommen, sind vor allem Themen wie: •

Hausierer drehen ihnen Verträge an (zum Beispiel Abos von Zeitschriften oder Videos), die sie unterschreiben, ohne zu wissen, was sie unterschrieben haben.

61


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Lebensversicherungen: hier geht es häufig darum, dass ungünstige Versicherungen abgeschlossen werden oder dass Versicherungen nicht ausgezahlt werden, weil bei Versicherungsabschluss falsche Angaben gemacht wurden.

Kredite werden bei unseriösen Anbietern aufgenommen, ebenso Bausparverträge.

Probleme mit dem neuen Gebrauchtwagen, Mietfragen und Fragen zu Heizkosten.

Rentenberatung: hier ist festzustellen, dass die Ratsuchenden keine Ahnung davon haben, welche Rentenansprüche sie haben. Diese werden immer höher eingeschätzt, als sie tatsächlich sind. Den Leuten ist auch teilweise nicht klar, dass sie, wenn sie „schwarz“ gearbeitet haben, für diese Zeit keine Rente bekommen. Dass sie die unterschiedlichen Arbeitsstationen nachweisen müssen, ist ihnen ebenfalls nicht klar. Teilweise wissen sie nicht, in welcher Firma sie vor 30 Jahren gearbeitet haben. Die Unterlagen haben Sie bereits weggeworfen.

Die Berater der verschiedenen befragten Beratungseinrichtungen verweisen darüber hinaus auf einen umfassenden Katalog von Beratungsthemen, der kein Spezifikum der Migrationssituation darstellt, allenfalls durch die Besonderheit der anfänglichen Unvertrautheit mit der Situation im Aufnahmeland verstärkt wird. Das sind Probleme, die auch die Allgemeinheit hat oder haben kann wie •

Gesundheitsfragen, Pflegebedürftigkeit, Behinderungen, Schwerbehinderung, Krankheiten, Krankenkassen

Mietfragen (Hausverwaltungen, Mängelmeldungen, Betriebskostenabrechnung, Heizkosten)

Job-Center, Arbeitslosigkeit, Anerkennung von Berufs- und Ausbildungsabschlüssen

Rechtsberatung, Vertragsstreitigkeiten, Scheidungsfälle, Erbsachen

Rentenberatung

Familienberatung, Alleinerziehende, Scheidung, Trennung

Kaufberatung (zum Beispiel undurchsichtige Verträge mit Telefongesellschaften).

Die Beratungsstellen der Sozialen Dienste kümmern sich um alle diese Problembereiche, soweit sie dazu fachlich in der Lage sind, was manchmal nur begrenzt der Fall ist, und vermitteln gegebenenfalls an andere kompetente Einrichtungen oder zur Verfügung stehende Rechtsanwälte weiter. Potenziell sind das auch die Verbraucherzentralen, realiter aber, wie noch darzustellen sein wird, nur selten.

In der sozialen Beratung spielt der Familiennachzug eine große Rolle. Sonst sind es Jobcenter, Krankenkassen, Wohnungsfragen – alle die Fragen, die in Deutschland 62


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

anders organisiert sind, als sie es kennen. Sie sind es nicht gewohnt, dass die deutschen Behörden nicht untereinander kommunizieren, das verwirrt die Menschen. Daraus entstehen auch Probleme. Und die Behördensprache: Leute, die sehr gut die Alltagssprache verstehen, haben Schwierigkeiten, Briefe oder Mitteilungen von Behörden zu verstehen. Da sind auch einfache Übersetzungen nötig.

Geldanlage bei Banken oder in Aktien ist nicht allgemein geläufig. Die Leute sind sparsam, aber sie heben das Geld lieber im Wäscheschrank auf und verzichten auf Zinsen. Für Baufinanzierung würden sich die Leute sofort interessieren, für Geldanlagen wären vorher Aufklärungskampagnen nötig.

In vielen Fällen, vor allem bei älteren Türken, geht es nicht einmal um Beratung, sondern um einfachste Hilfen und Betreuung beim Aufsetzen eines Briefes, beim Ausfüllen von Formularen für Rückzahlungen, Erstattungen, Stundungen usw. Soweit wir durch die Expertengespräche erfahren konnten, gibt es systematische und regelmäßig wiederholte Befragungen der Migrantengruppen zu ihrem Beratungsbedarf nur im kommerziellen Bereich. Das betrifft einmal die Kommunikationsmedien. Verlage von Presseerzeugnissen sind an Informationen über ihre Leser für ihre Werbekunden interessiert, ebenso gibt es ein Interesse an der Kundenzufriedenheit zum Beispiel von Versicherungen.

63


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

10.2 Inhalte der Beratung sind nicht das Problem

Die Inhalte potenzieller Beratung von türkischen oder deutsch-russischen Migranten umfassen das gesamte Spektrum der Beratungspalette von Beratungseinrichtungen, die für diese Migrantengruppen gelten. Wenn es also nur um die Inhalte und deren Vermittlung ginge, wäre gegenüber den Migranten kein besonderer und zusätzlicher Beratungsaufwand erforderlich. Es gibt aber sehr wohl Unterschiede gegenüber Einheimischen. Sie liegen in erster Linie bei Verständigungsschwierigkeiten (Sprachkenntnis) und fehlender Vertrautheit mit Verhältnissen und Gepflogenheiten im Einwanderungsland Deutschland. Daraus ergibt sich, dass es nicht so sehr die Inhalte der Beratung von Migranten sind, die einen veränderten Beratungsbedarf herausfordern, sondern vielmehr die Randbedingungen der Beratung. Deswegen sind auch nicht etwa unlösbare oder unerwartete Themenmodifikationen das Problem zwischen Ratsuchenden und Beratern. Individuelle Varianten von Fragestellungen sind immer zu erwarten, vielleicht im Normalfall nicht so häufig. Sondern es sind nichtinhaltliche Bedingungen, die die Beratung in einer Weise beeinflussen, dass sie häufig überhaupt nicht zustande kommt, vielfach unzulänglich ist oder jedenfalls zu verbessern. Die Sprachbarrieren sind ein wichtiges Hindernis, das die Experten immer wieder anführen. Die Lösungsmöglichkeiten liegen auf der Hand. Übersetzungen und Dolmetscher sind ein Weg. Die Frage ist nur: wie erreicht man mit vertretbaren Kosten ein vertretbar gutes Ergebnis. In dieser Frage gibt es zahlreiche Anregungen, zum Teil sich widersprechende, die im Detail noch aufzunehmen und zu erörtern sind. Gezielte Verbraucherbildung wird mehrfach gefordert, was sicherlich nicht abwegig ist, aber wegen der Komplexität dieser Frage nicht einmal annähernd als Aufgabe präzisiert werden kann. Dieses Thema weist über die Migrantenproblematik hinaus und ist ein Aspekt der allgemeinen Verbraucherpolitik, gleichwohl eine aktuelle Aufgabe. Außer diesen bekannten und einleuchtenden Hindernissen des Beratens und Beratenwerdens von Migranten im Verbraucherbereich gibt es allerdings Beobachtungen und Hinweise der Experten, ohne deren Beachtung wenig Erfolg zu erwarten sein dürfte.

64


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

10.3 Sprachschwierigkeiten

Im Zusammenhang mit der Ermittlung von Beratungsbedarf bei den untersuchten Migrantengruppen aus der Türkei und den Ländern der ehemaligen Sowjetunion steht die Kommunikationsfähigkeit als wichtigste Voraussetzung im Vordergrund. Beide Migrantengruppen unterscheiden sich darin erheblich.

Informationsaustausch erfolgt hauptsächlich über Sprache, wenn das wegen fehlender Sprachkenntnisse nicht möglich ist, ist der Informationsaustausch nur mit Hilfe von Dolmetschern oder sog. Sprachmittlern möglich, oder er kann nicht stattfinden. Sprachbarrieren in Form von fehlender oder ungenügender Sprachkenntnis haben aber darüber hinaus Sekundärwirkungen, die Kontakt und Informationsaustausch erschweren. Fehlende oder ungenügende Sprachkenntnisse behindern auch den schriftlichen Umgang mit Informationen in einem fremden Land und somit die eigenständige Informationsbeschaffung oder einen Informationsaustausch. Auch in dieser Beziehung ist dann Vermittlung nötig, ohne die die einfachsten Formen der Kommunikation problematisch bleiben. Das führt jedoch noch weiter auf das psychologisch sehr sensible Gebiet der Kontaktscheu bis hin zur Kontaktverweigerung, wenn sprachliche Unkenntnis oder Unsicherheit zusammentreffen mit fehlender Vertrautheit mit den Gepflogenheiten im Einwanderungsland, unter anderem also auch mit fehlender Kenntnis von Beratungsmöglichkeiten, die in Anspruch genommen werden könnten, wenn man sie kennen würde und wenn man sich trauen würde, ihnen nachzufragen. So entsteht ein typischer circulus vitiosus, der zu einer Verstärkung der prekären Situation führt und eben nicht zu ihrer Aufhebung. Eine solche Aufhebung kann nur erreicht werden durch eine gemeinsame Anstrengung der potenziellen Kommunikationspartner oder wenigstens des einseitigen Entgegenkommens. Letzteres ist in der Regel bei kommerziellen Interessen anzunehmen und bei politisch oder sozial induziertem Beratungsimpetus. In beiden Fällen des einseitigen Entgegenkommens scheint jedoch die Tendenz zu bestehen, dass vorhandene Sprachbarrieren eher stabilisiert als abgebaut werden. Dies ist ein sehr klares und deutliches Ergebnis unserer Expertenbefragungen.

Im kommerziellen Bereich gibt es z. B. vorbildliche Betreuungs- und Beratungsaktivitäten der Krankenkassen. Sie betrachten ihre Mitglieder aus Migrantenkreisen als einen wichtigen Teil ihrer Klientel und organisieren von sich aus Information, Beratung und Betreuung, zunächst einmal als eine Serviceleistung, aber auch aus kommerziellem Interesse, um ihre eigenen Versicherungsaufwendungen zu ihren Gunsten zu steuern. Zufriedene Kunden wiederum stabilisieren die Partnerschaft. An dieser Stelle ist jedoch der Hinweis darauf wichtig, dass die Überbrückung der Sprachbarrieren durch die verdienstvollen Aktivitäten von Kranken65


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

kassen nicht zu deren Minderung oder Aufhebung beigetragen hätte. Es scheint so zu sein, dass diese Einseitigkeit auf längere Sicht bestehen bleibt.

Mit einem ähnlichen Ergebnis, wenn auch auf völlig anderer Ebene, agieren die Sozialdienste. Die Gespräche vermitteln den Eindruck, dass mit viel Einfühlungsvermögen und Geduld sowie mit eigenen Sprachkenntnissen oder dem Einsatz von Dolmetschern eine Beratungssituation hergestellt wird, die den betroffenen Migranten sehr wohl hilft, mit Schwierigkeiten in Deutschland zurechtzukommen, die aber gleichwohl eine ähnlich eindimensionale Kommunikation darstellt. Die Sprachbarrieren bleiben auch in diesem Falle bestehen, werden vermutlich sogar stabilisiert und sind bei späterer Beratungsnotwendigkeit immer noch da. Das Günstigste, was nach einem konkreten Beratungsfall für den Ratsuchenden übrig bleibt, ist, dass ihm im Hinblick auf eine bestimmte Beratungsstelle die Schwellenangst genommen wurde. Von Integration wird auch weiterhin nicht die Rede sein können.

Die oben erwähnte einseitige Aufhebung der Kommunikationsbarrieren ist nur für den aktuellen Zustand der Sprachlosigkeit eine Lösung. In jeder Beratungssituation, auch in künftigen, zusätzlich geplanten zum Beispiel der Verbraucherzentralen, wird man damit rechnen müssen, dass die Sprachbarrieren ein erhebliches Hindernis für Beratungseinrichtungen sind und auf absehbare Zeit bleiben werden.

Die beschriebene Szenerie hat jedoch bei türkischen Migranten einen deutlich anderen Charakter als bei Personen mit russischem Migrationshintergrund. Alle befragten Experten weisen in der einen oder anderen Form darauf hin, dass Russlanddeutsche und andere Migranten aus der ehemaligen Sowjetunion von sich aus ein starkes Interesse haben, so schnell wie möglich Deutsch zu lernen, vorhandene Sprachbarrieren zu beseitigen und sich in die deutsche Gesellschaft einzufügen, weil sie genau deshalb nach Deutschland gekommen sind. Diese Migranten verfügen über ein höheres Bildungsniveau und zeigen eine große Bereitschaft zur Integration. Sprachschwierigkeiten gibt es bei älteren Menschen, aber weniger stark ausgeprägt als bei den Türken.

Im Gegensatz dazu sind die türkischen Migranten der ersten und zweiten Einwanderergeneration selbst nach Jahrzehnte langem Aufenthalt in Deutschland überwiegend des Deutschen nicht mächtig. Die älteren Menschen leben oft ohne Anschluss an die deutschen Verhältnisse unter gettoähnlichen Bedingungen. Bei den Jüngeren sieht das günstiger aus, aber durch den permanenten Familiennachzug entstehen immer wieder Sprachkonstellationen von Ersteinwanderern, die sich vor allem auf die Kinder ungünstig auswirken, sodass die

66


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

jüngste Generation der türkischen Migranten in der Regel sprachlich schlechter angepasst ist als die mittlere.

Daraus ergeben sich laut Interviewpartner für die Beratung erhebliche Unterschiede zwischen türkischen Migranten und russischen bzw. russlanddeutschen Einwanderern. Für die Türken ist überwiegend die oben beschriebene eindimensionale Beratungskonstellation der Normalfall, während die russische Klientel sich nach möglichen Anfangsschwierigkeiten immer sicherer auf die deutsche Sprache einstellt und damit auch das gesamte Umfeld der Beratung vereinfacht wird. Im Folgenden werden einzelne Äußerungen der befragten Experten zu diesem Themenkomplex zitiert.

Migranten aus der Türkei:

Viele von ihnen können wenig Deutsch, vor allem Alte, aber auch junge Leute haben durch Heiratsnachzug oder Nachzug von Kindern oft sprachliche Probleme.

Die Türken, die jetzt alt sind, können oft überhaupt kein Deutsch, selbst welche, die eingebürgert sind.

Wir haben hier Menschen, die aus der Türkei kommen, die leben hier zehn Jahre, sprechen immer noch nicht die Sprache, wissen immer noch nicht, wie das alles hier funktioniert.

Ich berate immer auf Türkisch, sonst wäre das teilweise nicht möglich, ein Beratungsgespräch zu führen.

Viele haben immer ungelernte Tätigkeiten ausgeübt, die haben wenig Gelegenheit gehabt, Deutsch zu lernen.

Bei den Migrantenorganisationen wissen sie, da sitzt jemand, der versteht mich, der spricht die Sprache, und die wissen auch, welche Probleme die einzelnen Menschen haben. Oft sind Sprachprobleme ein Hindernis bei der Beratung. Juristische Begriffe jemandem zu vermitteln, der des Deutschen nicht mächtig ist, ist eine Aufgabe, die nur ge-

67


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

löst werden kann, wenn eine Infrastruktur vorhanden ist, die sich konkret auf die Problematik einstellt.

Und die Beratungen finden auch alle auf Türkisch statt. Häufig sind das auch einfache Übersetzungen, weil unsere Klienten das nicht verstehen. Wir haben hauptsächlich Leute aus der ersten Generation, die schlecht oder überhaupt nicht deutsch sprechen.

Deutsch-russische und russische Migranten: Beide Gruppen sind nicht miteinander zu vergleichen. Ihre Migrationsgeschichte ist auch nicht miteinander zu vergleichen. Ich habe in Kursen erlebt, dass die Leute aus diesem Raum viel ehrgeiziger waren, sich hier zu etablieren, Deutsch zu lernen. Sie sind auch mit anderen Visionen hergekommen.

Das kann man so überhaupt nicht vergleichen, denn es kommen ja Deutsche. Selbstverständlich sind die Kenntnisse unterschiedlich, auch die Bildungsstandards. Aber wenn Sie das mit den türkischen Migranten vergleichen, denke ich schon, dass das Interesse besteht, sich zu informieren, weil die Aussiedler einen besonderen Assimilationsdruck durch die rechtlichen Vorteile und die Statusvorteile haben. [...] Aber dadurch ist der Anspruch da, Deutsch zu lernen.

Soweit es um die Sprache geht, sehe ich keine großen Probleme. Beratung bieten wir in deutscher Sprache an. Wir versuchen unseren Gemeindemitgliedern beizubringen, dass sie hier in Deutschland sind. Und die erste Ansprache ist hier auf Deutsch. Punkt.

Wenn bei den deutschen Stellen keine Russischkenntnisse vorhanden sind, funktioniert die Kommunikation vielleicht trotzdem, weil sich der Klient dann eben anstrengen und auf Deutsch zurechtkommen muss.

Wir haben da leider ein Generationsproblem. Die Kinder sprechen deutsch, aber die Großeltern sprechen oft nur russisch. Die Kinder sind in dieser Hinsicht die besten Helfer.

Die meisten sind nach ein bis zwei Jahren in der Lage, sich auf Deutsch, auch in Behördendeutsch auszudrücken. Sie lernen auch Begriffe, wo ein normaler Berliner nur den Kopf schütteln würde. 68


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Bei den Jüngeren, die hier aufgewachsen sind, gibt es keine Probleme. Die Älteren sprechen ihren Dialekt, den sie mitgebracht haben.

Bei Neuangekommenen muss die Beratung in Russisch laufen, sie haben zwar alle die Sprachtests bestanden, Grundlagen haben also alle, aber das heißt nicht, dass sie bei einer Beratung alles mitbekommen. Diejenigen, die arbeiten, sprechen in der Regel nach kurzer Zeit sehr gut deutsch. Die Älteren, über 50-jährigen, die selbst keine Spätaussiedler sind, sondern Familienangehörige, die sprechen in der Regel kaum deutsch. Die Älteren, die selbst Spätaussiedler sind, sprechen meistens sehr gut deutsch, weil sie noch mit der Sprache aufgewachsen sind – die anderen, gebürtige Russen, Ukrainer, Kasachen, auch russische Juden, brauchen kaum Deutsch. Sie haben russisches Fernsehen und leben auch sonst ziemlich isoliert. Wenn man russischsprachige Senioren als Zielgruppe der Verbraucherzentralen annimmt, dann muss man schon russischsprachige Beratungen vorsehen.

Da muss man differenzieren: Spätaussiedler und jüdische Zuwanderer. Das Gesetz schreibt selbstverständlich deutsche Sprachkenntnisse vor. Bei den Aussiedlern wird vor der Ausreise der Dialekt geprüft, das heißt es muss auch kein Hochdeutsch beherrscht werden. Anders ist es bei den Angehörigen, bei denen wird Hochdeutsch verlangt, das ist aber auch ein ganz geringes Niveau, Grundkenntnisse, einfache Gespräche zu alltäglichen Themen.

Und die Behördensprache: Leute, die sehr gut die Alltagssprache verstehen, haben Schwierigkeiten, Briefe oder Mitteilungen von Behörden zu verstehen. Da sind auch einfache Übersetzungen nötig. Laut Interviewpartner gibt es bei den russischen bzw. russlanddeutschen Migranten eine starke Motivation für den Spracherwerb, nicht zuletzt deshalb, weil die meisten sich selbst als Deutsche betrachten, weil sie als ehrgeiziger beschrieben werden, Kurse bereitwillig annehmen und in relativ kurzer Zeit die Sprachdefizite überwinden. Dazu kommt auch, dass die Beratungs- und Betreuungsstellen, die sich um die Migranten aus der früheren Sowjetunion kümmern, konsequent und deutlich gegenüber ihren Klienten die Anforderung stellen, Deutsch zu lernen.

Das ist bei den türkischen Migranten so nicht festzustellen. Obwohl die sozialen und wirtschaftlichen Probleme mehr oder weniger als gleich eingestuft werden, sind bei ihnen die sprachlichen Defizite auch von sozialen und Bildungsdefiziten überlagert, wodurch sich star69


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

ke Unterschiede gegenüber den Migranten aus Russland bzw. den Nachfolgestaaten der Sowjetunion ergeben, die dazu führen, dass auch nach längerer Zeit des Einlebens in Deutschland sich bei den Türken nur wenig Veränderungen einstellen. Es wird in den Befragungen auf den schlechten Bildungsgrad hingewiesen, auf eine fehlende Lesekultur, auch auf Analphabetismus. Es wird auch das Fehlen von bei uns selbstverständlichen Kulturtechniken erwähnt wie das Einhalten von Absprachen und Terminen. Für viele ist schon das Telefonieren eine unüberwindbare Hürde. Im ungünstigsten Fall ist unter diesen Voraussetzungen gar keine Beratung möglich, sondern allenfalls Betreuung. Es versteht sich von selbst, das das nicht auf die gesamte türkische Migrantengruppe zutrifft, diese Charakteristika sind aber nach den Auskünften von so hoher Relevanz, dass sie einen deutlichen Unterschied zu anderen Migrantengruppen darstellen.

70


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

10.4 Schwellenangst

In Zusammenhang mit den beschriebenen Sprachbarrieren stehen auch verschiedene Formen von Schwellenangst, die den Migranten das Leben erschweren können. Niedriger Sozialstatus, niedriges Bildungsniveau und die damit korrelierenden Sprachdefizite führen zu diesem auch im normalen täglichen Leben bekannten Syndrom der Schwellenangst, das in Verbindung mit Schüchternheit und Zurückhaltung gegenüber allem Fremden zur Blockade jeder Kontaktaufnahme führen kann. Das ist für einen Migranten in einem fremden Land eine dramatische Situation, die auch jede notwendige Beratung erschwert. Das oben erwähnte Einhalten von Absprachen und Terminen ist in diesem Zusammenhang zu sehen, auch die Schwierigkeiten im Umgang mit telefonischen Kontakten, zumal wenn sie technisch kompliziert ablaufen, sind nicht allein auf sprachliche Barrieren zurückzuführen. Dadurch wird oft die eigene Motivation zur Kontaktaufnahme und zur Suche von Beratungsgesprächen konterkariert. Deshalb wird in der Sozialberatung versucht, diese Schwellenängste durch Erleichterungen zu unterlaufen und durch ein weitgehendes Entgegenkommen der Beratungseinrichtungen, den Migranten die notwendigen Kontakte zu ermöglichen. Sprachschöpferisch hat sich dafür in Fachkreisen der Begriff „niedrigschwellige Angebote“ eingebürgert, die für die entsprechend disponierte Klientel berücksichtigt werden müssen.

Oder sie brauchen Vermittlung, weil sie mit ihrem teilweise starken Akzent auf Unverständnis stoßen. Deswegen sind wir oft vermittelnd tätig, zu Behörden, auch zur Verbraucherzentrale habe ich schon oft die Telefonnummer weitergegeben – aber das war dann schon für viele eine unüberwindbare Hürde. Wenn man selber eine Fremdsprache schlecht spricht, dann weiß man, dass der Kontakt von Angesicht zu Angesicht leichter ist als übers Telefon. Eine andere Hürde sind diese vielen Warteschleifen usw. Das betrifft allerdings auch andere, auch Deutsche, dass das eine unüberwindbare Hürde sein kann.

Da vermischen sich oft die sprachlichen Defizite mit sozialbedingtem oder bildungsbedingtem Verhalten.

Wir werden von vielen Migranten in Anspruch genommen. Aber es gibt viele Migranten, die auch hier nicht ankommen, die keine Anlaufstellen haben oder sich eher im Bereich von Moscheegemeinden bewegen. Aber wer hierher kommt, der geht auch hierher, weil die Schwelle niedrig ist. Sie wissen, hier gibt es eine türkischsprachige Beratung, nicht alle sprechen türkisch, aber notfalls, wenn kein Termin frei ist, muss man halt warten für einen türkischsprachigen Berater, es gibt eine lange Tradition, es 71


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

gibt viel Vertrauen, das Haus wird nicht mit einer Behörde identifiziert, das ist auch sehr wichtig, und es hat auch so eine Atmosphäre von einem offenen Haus. Die Armut ist das größte Problem, und das Gefühl, ausgegrenzt zu sein. Es kommen auch immer wieder Diskriminierungserfahrungen zur Sprache – das ist schon eine spezielle Migrantenerfahrung, als Türken abgelehnt oder abgewiesen zu werden. Die Verbraucherzentralen müssten aber davon wissen, dass aus negativen Erfahrungen in der Berührung mit Behörden und öffentlichen Einrichtungen eine bestimmte Schwellenangst besteht und dass man sich demgegenüber öffnen müsste.

Diese Gruppe ist ein bisschen schüchtern. Die Älteren haben in ihrer Geschichte allerhand mitgemacht, und sie versuchen ihre Probleme unter ihren Verwandten, ihren Netzwerken zu klären. Und wenn das nicht weiterhilft, geht man zum Rechtsanwalt – oder vielleicht auch zur Verbraucherzentrale.

Die Verbraucherzentralen müssen Verbündete suchen in Schulen, Kindergärten und solchen Einrichtungen. Da müssen sie versuchen, auch einen Zugang zu bekommen. Es ist zum Beispiel auch wichtig und sehr erfolgreich, ganz niederschwellig an Leute heranzukommen, die viele kennen, die viele Kontakte haben, die gut organisieren können und also einen gewissen Einfluss haben.

Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus meiner persönlichen Erfahrung: Ich schreibe zum Beispiel neue Organisationen an, und sie rufen zurück mit der Frage, was steht denn jetzt da drin. Und ich sage ihnen das auch noch, was da drin steht. Eine deutsche Stelle würde antworten: Lesen Sie’s doch selber. Das ist der Unterschied. So funktioniert das bei den Migranten. Das hat auch damit zu tun, zu welcher Schicht man gehört, welchen Bildungsstand haben die Menschen.

72


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

10.5 Bekanntheit der Verbraucherzentralen

Die Verbraucherzentralen sind in der Migrantenszene kein Begriff, man kennt sie nicht oder nur in wenigen Ausnahmefällen. Das ist für die Absicht, eine Beratungsinstitution auch für Migranten darzustellen, keine leichte Ausgangssituation.

Im Folgenden werden Äußerungen und Stellungnahmen der befragten Experten nicht als Kritik an früheren Versäumnissen, sondern als positiv gedachte Vorschläge zitiert, die als Voraussetzungen für den Aufbau eines Umfelds für Beratungssituationen unerlässlich sind.

Der Ansatzpunkt müsste sein, sich erst einmal allgemein bekannt zu machen. Die Wahrnehmung wird noch nicht so groß sein, dass es die Verbraucherzentrale gibt und was sie macht. Das ist zu kommunizieren: uns gibt es, und wir machen das und jenes. Aber dann muss die Überlegung folgen: wo könnten wir Schwerpunkte setzen. Was könnte diese Gruppe, vielleicht auch differenziert nach Alter und Geschlecht, besonders interessieren.

Es gibt verschiedene Netzwerke, wo man zusammentrifft, wo man sich austauscht, wo man Erfahrungen austauschen kann und für seine eigene Arbeit auch noch etwas dazulernt. Oder man lernt Leute persönlich kennen, auf die man dann leichter zugehen, schneller mal anrufen kann usw. Ich bin selbst im Integrationsbeirat in Neukölln. Und da haben wir die direkten Drähte zu den Sachbearbeitern im Sozialamt, Jugendamt, dass wir Probleme direkt vor Ort klären können – und das ist ja die Art von Kooperation. Alleine bewältigt man so etwas auch gar nicht. - Aber die Verbraucherzentrale ist da nie drin, obwohl sie da eigentlich mit dazu gehörte. Aber komischerweise denkt man nie an die Verbraucherzentrale. Ich weiß auch gar nicht, woran das liegt. Ich selber bin in Berlin geboren und aufgewachsen. Aber wenn ich ein Problem habe – ich kann mich nicht erinnern, dass ich mich wegen irgendetwas an die Verbraucherzentrale gewandt hätte.

Aber so sind sie nicht präsent, wir wissen, dass es sie gibt, aber anzufassen sind sie nicht. Sie müssten sich mehr präsentieren.

Ich habe mich bei unserer Terminverabredung gefragt, warum wir überhaupt keinen Kontakt zur Verbraucherzentrale haben. Man weiß davon, aber das liegt ganz beiseite. Das muss irgendwie anders angefasst werden. Nach dieser Überlegung wird ei-

73


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

nem erst bewusst, dass man da was machen kann – vorher überhaupt nicht. Und da müsste man Ansprechpartner haben direkt vor Ort.

Ich weiß von meiner früheren Tätigkeit, dass die Verbraucherzentrale sehr gefragt war, aber auch sehr schwer zu erreichen war. Ich habe mich sehr oft bemüht, für die Leute Termine zu vereinbaren, durch die Warteschleifen kam man während der Beratung nicht dazu. Das wäre schon eine große Erleichterung, wenn sich da etwas täte.

Ich verbinde leider mit den Kollegen von der Verbraucherzentrale kein Gesicht. Da gibt es kein Arbeitstreffen. Ich möchte, dass jemand mal aufgetaucht wäre von der Verbraucherzentrale.

Erst mal glaube ich fest daran, dass die Verbraucherzentrale als solche nicht bekannt ist. Man kennt den Ort der Verbraucherzentrale nicht, man weiß nicht, warum kann ich da hingehen, in welchen Belangen wird mir da geholfen, und die Barrieren sind hoch, weil man nicht weiß, ob da türkischsprechende Menschen sind.

Die Verbraucherzentralen müssen aber auch deutlich machen, mit welcher Motivation sie diese Kooperationen suchen. Viele Organisationen sind skeptisch, weil sich 40 Jahre lang keiner für sie interessiert hat und jetzt gefragt wird, was haben die davon. Einige sehen das auch ein bisschen argwöhnisch.

Diese Situationsbeschreibungen könnten ein Impuls für die Öffnung der Verbraucherzentralen sein, die, wie schon die erwähnten Zitate aus Expertenmund zeigen, mehrere Facetten haben müsste. Um der fehlenden Bekanntheit der Verbraucherzentralen in Migrantenkreisen abzuhelfen und somit die grundlegende Voraussetzung für Beratungsangebote zu schaffen, sind organisatorische Arrangements zu bedenken, die in den Äußerungen der befragten Experten anklingen oder sogar dezidiert vorgeschlagen werden. Der Absicht der interkulturellen Öffnung der Verbraucherberatung sollte eine externe organisatorische Einbindung in diverse Netzwerke und eine interne Anpassung entsprechen, um einen zufriedenstellenden Kontakt zur Zielgruppe zu erreichen.

74


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

10.6 Einbindung in Netzwerke

Einer der befragten Experten hat diesen Aspekt der Arbeit unter das Motto „Verbündete suchen!“ gestellt. Sobald das gelungen sei, würde ein großer Teil der Aufgabe schon bewältigt sein. Die Einbindung in die Netzwerke der Sozialberatung, Migrantenbetreuung und Integrationsverwaltung ist ein wichtiger Schritt heraus aus der geringen Bekanntheit, und gleichzeitig werden Informationen und Kommunikationswege erschlossen. Zu den Netzwerken gehören erprobte Techniken der Zusammenarbeit und des Informationsaustauschs, die bei den Expertengesprächen mehrfach angesprochen wurden. Und da ist einer unserer Arbeitsschwerpunkte die Netzwerkarbeit. Wir tauschen uns viel aus mit anderen Kollegen über fachliche Fragen. So ein Austausch wäre eigentlich wünschenswert, auch mit der Verbraucherzentrale, dass man eine Telefonnummer hat, wo man als Kollege auch mal anrufen kann; dass man sich aber auch kennt, denn eine Kooperation braucht auch wirklich Personen – da ruft man eher mal an, da ist die Hürde auch nicht so hoch, wenn man sich schon einmal gesehen hat.

Wir können das organisieren, wir machen das häufig, dass die Mitarbeiter wechselseitig zu den Teams kommen. Auch Informationsveranstaltungen mit Beratungskollegen, die aus anderen Organisationen kommen. Da könnten Informationen der Verbraucherzentralen gezielt und mit einem Schlag an mehrere Beratungsstellen herangetragen werden. Das organisieren wir regelmäßig, und das wäre vielleicht auch ein lohnendes Angebot für die Kollegen von der Verbraucherzentrale.

Diese Organisation muss in die Städte, in die Stadtteile gehen, sie muss Kontakte suchen bei den Quartiersmanagement-Büros, bei den Stadtteil-Büros, die es ja in Nordrhein-Westfalen gibt, sie muss diese Leute fragen, die müssen sich über Mundzu-Mund-Propaganda schlau machen, gibt es hier jemanden, den Ihr kennt, der hier bekannt ist bei den Frauen, bei den Männern, gibt es welche, die bei den Vereinen sehr engagiert sind. Es ist ein etwas schwieriger Weg, aber wenn man etwas will, muss man diesen Weg gehen.

Erstens öffnen die Migrantenorganisationen so ihre Pforten, öffnen sich nach außen, die Verbraucherzentrale öffnet sich, indem sie zu den Organisationen kommt. Und für diese ist die Professionalisierung ein Gewinn, weil sie dadurch Kooperationen eingehen können.

75


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Die Kontakte könnten über die Integrationsbeauftragten in den Bezirken hergestellt werden, dort besteht die Möglichkeit, das an die interessierten Verbände, Vereine, Organisationen zu verteilen, die sich in den Bereichen engagieren, oder auch, was die Aussiedler betrifft, könnten auch wir uns einschalten, aber da würde ich nicht alle erreichen. Der Integrationsbeauftragte vor Ort im Bezirk könnte das komplette Netzwerk bedienen.

Zu dem Instrumentarium dieser Netzwerkarbeit zählen Informationsveranstaltungen, zur wechselseitigen Information der Berater verschiedener Einrichtungen oder als gemeinsame Themen-Veranstaltungen verschiedener Einrichtungen für die Klienten. Das ermöglicht wechselseitige Information, Weitergabe eigener Erfahrungen, Partizipation an den Erfahrungen anderer Einrichtungen und zusätzliche Möglichkeiten für Auftritte der eigenen Einrichtung vor unterschiedlichen Teilgruppen der Klientel.

Wir können Ihnen dabei helfen, wir können von Mal zu Mal Informationsveranstaltungen anbieten, auch für die Verbraucherzentralen.

Informationsveranstaltungen sind immer sehr sinnvoll. Wir haben das selbst oft gemacht, dass wir Themen festgelegt und zu diesen Themen eingeladen haben. Dann verteilt man das mit einem kleinen Handzettel in den Moscheen oder auf dem Wochenmarkt. Und wenn das Themen sind, die ansprechen, wie zum Beispiel zur Rente, dann kommen die Leute. Und da könnten dann auch Spezialisten von der Verbraucherzentrale mit eingeladen werden, oder man könnte einen Abend organisieren, wo die Themen mit der Verbraucherzentrale bestimmt werden, wo dann einfach Aufklärungsarbeit gemacht wird. Das müssen ja nicht tausend Leute sein, sondern 50 oder 100, vielleicht auch mit Übersetzung. Und so käme man an die Leute eher heran.

Das Know-how der Verbraucherzentralen könnte auch in Fortbildungsveranstaltungen für Berater angeboten werden, das würde sogar sehr gerne angenommen. Wenn es kompetente Leute gibt, ist das einfacher für uns, als sich das alles selbst zu erarbeiten.

Ich weiß ja nicht, wie die Angebote jetzt organisiert sind. Es könnte ja sein, dass die Rentenberatung, die die Verbraucherzentralen anbieten, einmal im Monat in einem Verein gemacht wird, oder rotiert, oder bestimmte Termine abgesprochen werden. So etwas spricht sich sehr schnell herum. Wenn was Gutes gemacht wird, ist das sehr schnell bekannt. Sie müssen sich mit einbinden – auf jeden Fall. 76


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Einen Teil der Beratungen, die die Verbraucherzentralen für die Bundesbürger anbieten, machen wir auch für unsere Landsleute. Es wäre dann sicherlich sinnvoll und zweckmäßig, Kooperationen aufzubauen.

Als besonders wichtig und vorteilhaft im Rahmen der Netzwerkarbeit werden die Möglichkeiten der gemeinsamen Nutzung von Adress-Verteilern, Mailings zwischen den an den Netzwerken Beteiligten sowie Online-Infos unter den verschiedenen Beratern angesehen.

Ein Vorschlag könnte sein, per Mail Newsletters an die Institutionen, Einrichtungen oder Vereine zu schicken, die diese dann wiederum in ihre Verteiler aufnehmen und an andere verteilen können, eine Möglichkeit, welche die Verbraucherzentralen nicht haben, weil sie nicht über diese Verteiler verfügen. Wir kommen zum Beispiel an sehr viele andere Vereine heran, wozu andere Institutionen nicht die Möglichkeit haben durch persönliche Kontakte, durch Freundschaften, durch Kooperationen. Das ist ein Weg, der kostenlos wäre und der auch effektiv ist. Wir bekommen täglich sehr viele Mails mit der Bitte um Weiterleitung, was wir sehr gerne machen, und gleichzeitig werden wir gleich mit informiert. Es gibt ja sicherlich auch anderweitige Informationsveranstaltungen der Verbraucherzentrale, oder die Öffnungszeiten mit Beratungsschwerpunkten, wann eine Rechtsberatung, wann eine Rentenberatung dort vor Ort stattfindet – dass man einfach so etwas weiß und sich nicht erst aus dem Internet suchen muss. Das hätte auch einen Nebeneffekt: wenn das regelmäßig an einen herangetragen wird per Mail, dann macht es irgendwann einmal Klick, dass man sich da auch einmal hinwenden könnte.

In diesen Zusammenhang gehören natürlich auch schriftliche Materialien der Einrichtung, die bereits vorliegen oder für neu geplante Einsatzmöglichkeiten vorgesehen werden. Die Interview-Partner äußerten zum Teil divergierende Meinungen zur Zweckmäßigkeit solcher Materialien vor allem im Hinblick auf Übersetzungen und Verständlichkeit. Dazu werden an späterer Stelle noch einige Argumente angeführt. In Bezug auf die Nutzung im Rahmen der Netzwerke ist jedenfalls festzuhalten, dass durch sie zusätzliche Verteilungsmöglichkeiten oder sogar standardisierte Schienen der Verteilung erschlossen werden, um die Beratungsklientel zu erreichen. Es werden aber auch die Berater dieser Netzwerke erreicht, die daraus Information und Gewinn für ihre eigene Beratungsarbeit ziehen können.

Ich kann mir vorstellen, dass alle die Beratungsinstitutionen, die vor Ort in den Bezirken arbeiten, mit denen ich eng zusammenarbeite, sich über solche Informationsma77


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

terialien freuen würden. Einmal könnten die Informationen wichtig sein für den „Berater“ zu seiner eigenen Information, daran könnte man arbeiten, aber dann wären eben auch in vereinfachter Form kurze Inhalte, komplette Themen für die Klienten wichtig. Die Kontakte könnten über die Integrationsbeauftragten in den Bezirken hergestellt werden, dort besteht die Möglichkeit, das an die interessierten Verbände, Vereine, Organisationen zu verteilen, die sich in den Bereichen engagieren, oder auch, was die Aussiedler betrifft, könnten auch wir uns einschalten, aber da würde ich nicht alle erreichen. Der Integrationsbeauftragte vor Ort im Bezirk könnte das komplette Netzwerk bedienen.

78


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

10.7 Direkte Kontakte zur Zielgruppe

Abgesehen von der Öffnung gegenüber den Netzwerken, die einen mittelbaren Kontakt zu der Zielgruppe der Migranten bilden, wird in den Expertengesprächen immer wieder in verschiedenen Variationen auf die Notwendigkeit direkter Ansprache der Zielgruppe hingewiesen, bevor auch die Medien wie Presse, Rundfunk, Fernsehen, neuerdings auch das Internet einzusetzen seien. Dass das nach jahrzehntelanger Ignorierung nicht überall auf freudige Zustimmung stoßen wird, kann man nachvollziehen. Bezüglich der Russlanddeutschen wurde gesagt: „Man kommt an diese Gruppe heran, indem man sie anspricht“. Nicht nur in verschiedenen Medien auf Deutsch oder Russisch durch Anzeigen oder auch Artikel, sondern direkt auf deren eigenen Veranstaltungen, wie zum Beispiel auf den „Berliner Tagen der russlanddeutschen Kultur“, die im Oktober 2007 stattfinden und wo man diese Gruppe direkt mit einem Informationsstand erreichen könnte. Das trifft ebenso für Vereine, Moscheen, Migrantenorganisationen zu, die man direkt ansprechen kann, um zum Beispiel Informationsveranstaltungen zu bestimmten Themen vorzuschlagen. Dadurch können direkte Kontakte hergestellt werden, die für weiterführende Aktionen wichtig sind. Die Dachorganisationen mit vielen Moscheen wie DITIB haben sehr gute Leute, die Deutsch können, sehr viele ehrenamtliche Mitarbeiter, die erreichen auch viele. Wenn man diese Leute mit einbezieht in die Vorbereitung von Informationsveranstaltungen vor Ort, vielleicht ist das eine Möglichkeit, den guten Kontakt herzustellen. Die sind personell nicht so gut ausgestattet, und da muss man auch strategisch vorgehen, um die Kollegen dort ins Boot zu holen.

Was wir machen in dieser Richtung, sind Vorträge oder Referate mit anschließender Diskussion über alle möglichen praktischen Themen bei russischen Aussiedlern. Dazu werden wir eingeladen. Das sind Einführungsinformationen für Personen, die hier leben wollen, zum Beispiel wie sieht das für dich aus in Deutschland im Falle einer Krankheit. Das wird gerne angenommen. Also ich finde, das ist schon ein wichtiger Schritt: Mit unseren „Komm-Strukturen“ erreichen wir die Migranten nicht, also gehen wir in die Migrantenorganisationen. Das finde ich sehr wichtig. Das gilt ja auch für andere Beratungsstellen, Familienberatung, soziale Dienste. So kann man ein bisschen informieren. Andererseits kann ich mir vorstellen, dass die Vereine sagen, wir sind sowieso schon überfordert, und jetzt kommt auch noch die Verbraucherzentrale, die sie kostenlos sozusagen bedienen sollen. Ich sage das mal ganz kritisch, weil diese kostenlosen Informationen die Migrantenorganisationen überfordern. 79


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Dass man die Zielgruppe über die Migrantenselbstorganisationen erreichen könnte, ist meiner Ansicht nach schwierig. Die Organisationen sind zerstritten, und es geht ihnen nicht um die Zielgruppe, sondern eher darum, an öffentliche Gelder zu kommen. Wenn die Verbraucherzentrale mit einer kooperiert, werden die anderen sich über Bevorzugung beschweren. Einen erfolgreicheren Weg, Infos zu relevanten Verbraucherfragen an die Zielgruppe zu bringen, sehe ich darin, in Moscheen, zum Beispiel nach dem Freitagsgebet, Informationsveranstaltungen zu organisieren.

Die islamischen Portale, online nutze ich die gar nicht. Aber ich habe da meine persönlichen Kontakte. Trotzdem müsste man die auf jeden Fall mit einbeziehen, weil die auch ein anderes Netzwerk haben. Auch die Islamische Föderation würde ich nicht ausschließen, weil die an so viele Leute herankommen. DITIB zum Beispiel würde ich auch nicht ausschließen.

Trotzdem wurden auch andere und kritische Meinungen geäußert, was die Zusammenarbeit mit Moscheen betrifft, auch und gerade von türkischen Beratern. Das hat vor allem politische Gründe, aber auch religiöse. Viele Türken oder Türkischstämmige sind nicht religiös gebunden und fragen, warum man die Moscheen so wichtig und ernst nehme, sie seien keine Bildungszentren oder Beratungszentren. Und wenn man schon mit Moscheen kooperieren wolle, sei es im Einzelfall auch nötig, sich der politischen Hintergründe zu vergewissern. Auskünfte darüber könnten andere Vereine oder Verbände, auch die Integrationsbeauftragten oder Ministerien geben. An solchen Äußerungen wird auch die Heterogenität der türkischen Migrantengruppe deutlich, die ja durchaus ein breites religiöses, auch religionsfernes laizistisches und ebenso ein breites politisches Spektrum aufweist.

Der Vorschlag, direkte Kontakte zur Zielgruppe über die Schulen herzustellen, wird sehr unterschiedlich aufgefasst. Selbstverständlich sind die Schulen ein potenzieller Kontaktort zu den Eltern der Schüler, durch die verfügbaren Räumlichkeiten auch ein Platz von Begegnungen. Aber die Kontaktbereitschaft der Eltern wird sehr unterschiedlich beurteilt, auch das jeweilige Schulklima und daraus folgend die wichtigste Voraussetzung für die Annahme, dass die Schule ein günstiger Kommunikationsort sein könnte für gute Beziehungen zwischen Lehrern, Schülern und Eltern. Das scheint sehr oft nicht der Fall zu sein, und das wiederum ist offenbar von Faktoren abhängig, die von außen schwer einzuschätzen sind. Die Schulen mit hohem Migrantenanteil sind vielfach keine positiv grundierte Begegnungsstätte.

80


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Wenn Sie mich fragen: einen besseren Weg kann es gar nicht geben. Das ist unabdingbar. Die Kinder sind so was von offen. Den Multiplikatoreneffekt sehe ich genau so, wie Sie ihn geschildert haben. Das ist ein wichtiger Hinweis für die Verbraucherzentralen, in diese Richtung zu arbeiten.

Das könnte schon sehr wichtig sein. Aber es ist sehr schwierig, diese Gruppe von Menschen zu mobilisieren. Das hängt dann auch von den Strategien ab, wie es gelingt, sie zu motivieren. Wie steht es überhaupt mit der Elternarbeit, erreichen die Lehrer überhaupt die Eltern, das ist auch von Schule zu Schule unterschiedlich. Und man müsste nicht irgendetwas versuchen, sondern Probleme aufgreifen, die den Eltern unter den Nägeln brennen.

Wir haben viele Aktivitäten an Schulen, aber nicht getrennt nach kulturellen oder sprachlichen Bereichen. Da haben wir einen Schwerpunkt gesundheitliche Prävention: Ernährung, Bewegung usw. Aber die Kontakte zur türkischen Bevölkerung haben wir über die Schulen nicht. Die können wir über andere Kanäle besser erreichen. Ich bin mir auch nicht sicher, ob das der Verbraucherzentrale zu empfehlen wäre, diesen Weg zu suchen. Man muss direkt an die Erwachsenen herankommen.

Die Aufnahme von Beratungsthemen der Verbraucherzentralen in den Unterricht an Schulen bzw. Themenvorträge an Schulen oder spezielles Informationsmaterial für Lehrer ist als wichtig für die Kinder anzusehen, auch für die Eltern der Schulkinder.

Für die interkulturelle Öffnung ist ganz wichtig, neben den Migrantenorganisationen zu versuchen, die Zielgruppe der Migranten und ihre Familien zu erreichen, indem sie systematisch vorgehen, indem sie über die Schulen und die Kinder Materialien an die Eltern weitergeben. Es gibt viele Migranten, die nicht in den Migrantenorganisationen verankert sind.

Die Schulen haben ja auch wenige Kontakte. Aber da ist ja auch ein Prozess in Nordrhein-Westfalen zu beobachten, dass die Schulen sich auch immer mehr öffnen. Die Verbraucherzentralen müssen Verbündete suchen in Schulen, Kindergärten und solchen Einrichtungen. Da müssen sie versuchen, auch einen Zugang zu bekommen. Es ist zum Beispiel auch wichtig und sehr erfolgreich, ganz niederschwellig an Leute heranzukommen, die viele kennen, die viele Kontakte haben, die gut organisieren können und also einen gewissen Einfluss haben. Wenn diese Schlüsselpersonen sa-

81


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

gen können: da gibt es eine Veranstaltung der Verbraucherzentrale, dann kommen die Leute auch.

Unabhängig davon ist es wichtig, dezentrale, regionale, örtliche Bezüge zu nutzen – oder, weil anzunehmen ist, dass sie vielfach noch gar nicht bestehen, solche naheliegenden Kontaktmöglichkeiten herzustellen, in den Flächenländern in den einzelnen Städten, in den Großstädten in den Stadtbezirken, Stadtteilen oder Kiezen.

Aber sonst ist es wichtig, auf die örtlichen Bedingungen einzugehen. Und da nützt es wenig, wenn der Zentralverband schriftliche Unterlagen eintütet. Man muss dann evtl. die Situation in irgendeinem kleinen schwäbischen Dorf beurteilen können, das heißt die Kontakte müssen auch möglichst ortsnah sein. Die Verbraucherzentralen müssten an die Landsmannschaften vor Ort herantreten, da gibt es etliche Landesverbände und Ortsgruppen, die man über Internet auffinden kann.

Es wird eine Außenstelle in den türkischen Wohnvierteln empfohlen, weil die Leute sonst nicht von sich aus kämen.

Wie sind die örtlichen Bedingungen. Selbst innerhalb der Großstadt gibt es die Notwendigkeit zu Differenzierungen, die einzelnen Bezirke unterscheiden sich erheblich, wenn wir innerhalb Berlins lokal etwas machen wollen. Diese regionalen Bezüge sollten die Verbraucherzentralen auch nutzen. Was sind zum Beispiel die Unterscheidungen zu anderen Regionen. Das müsste sich auch eine Verbraucherzentrale genau anschauen. Was sind die FAQ’s, was sind die häufig gestellten Fragen in Berlin im Vergleich zu anderen Städten oder Bundesländern.

Die hier erwähnten „Häufig gestellten Fragen“ sind ein Merkpunkt, der nicht unterschätzt werden sollte, denn sie sind ein Katalog der am häufigsten abgefragten Beratungsthemen. Um auf solche Beratungsthemen gut vorbereitet zu sein und auch ggf. schnell reagieren zu können, ist das ein exzellentes Hilfsmittel, allerdings mit den oben erwähnten regionalen oder örtlichen Unterscheidungen, die wiederum die Kundennähe ausmachen.

Aber nicht nur diese praktischen Empfehlungen sind zu berücksichtigen. Die Kontakte zur Zielgruppe oder besser gesagt: zu den verschiedenen Partionen der Zielgruppe, die sich in Bildungsniveau und Sozialstatus durchaus unterscheiden, müssen deren Verständnisfähigkeit berücksichtigen. Die Verständlichkeit der mündlichen und auch schriftlichen Kommunikationsformen wird nicht umsonst immer wieder und zu Recht eingefordert. „Niedrigschwellige 82


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Kommunikation“ wird in diesem Zusammenhang das sprachliche Eingehen auf geringe Bildungsvoraussetzungen genannt. Als beste Methode wird Mundpropaganda angesehen, persönliche Empfehlungen, was der gewohnten Kommunikationsform im Rahmen von Großfamilien am ehesten entspricht. Aber, abgesehen von der grundsätzlichen Sprachbarriere, also der fehlenden deutschen Sprachkenntnis, gibt es nicht nur diese Verständigungsschwierigkeiten. Im Schriftlichen wird auf ein anderes Bild- und Gestaltungsempfinden hingewiesen, das sich zum Beispiel zwischen dem deutschen (vielleicht besser dem westlichen) und dem türkischen auftut. Das muss man aber kennen und wissen, um entsprechend auf die andere Ansprechbarkeit eingehen zu können. Und um auch noch die banalste Schwierigkeit zu nennen: für viele ältere Türken ist die telefonische Verständigung wegen der sprachlichen Unsicherheiten ein Hindernis, auch weil die Anonymität als störend empfunden wird und besonders, weil man unsicher ist, wer am anderen Ende der Leitung in welcher Sprache spricht. Soweit ist es ein sprachliches Anpassungsproblem, ein schwieriges, zugegeben. Aber dazu kommt die Warteschleife, die auch jeden Einheimischen zur Verzweiflung treiben kann und der Gipfel der Kundenunfreundlichkeit ist.

83


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

10.8 Exkurs: Erstberatung als Auffangsystem Die Erstberatung für Neuankömmlinge unter den Migranten muss an dieser Stelle noch besonders erwähnt werden. Bis zum Erlass des Zuwanderungsgesetzes 2005 hat es außer für Aussiedler keine staatlich organisierte Betreuung und Beratung gegeben. Deutschland galt offiziell nicht als Einwanderungsland. Die Aussiedler bzw. Spätaussiedler waren statusmäßig Deutsche, also keine Einwanderer, bzw. waren sie durch besondere Regelungen berechtigt, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erwerben. Das Zuwanderungsgesetz, das 2005 in Kraft trat, brachte nicht nur implizit die Anerkennung der Tatsache, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, sondern regelte erstmals auch die Betreuung der Migranten.

Nach dem Zuwanderungsgesetz ist der Bund verantwortlich für die Migrations-Erstberatung (bis zu drei Jahren nach Einreise in die Bundesrepublik), die Länder und Kommunen für die Durchführung der Integrationskurse sowie für die Beratung und Unterstützung derjenigen Migrantinnen und Migranten, die länger als drei Jahre in der Bundesrepublik leben. Die Migrations-Erstberatung wurde auf der Basis der Rahmenkonzepte des Bundes neu konzipiert und auch den in diesem Arbeitsfeld tätigen fachlichen und regionalen Wohlfahrtsorganisationen übertragen.

Unsere Expertenbefragungen haben gezeigt, dass diese Erstberatungen oder Eingliederungsberatungen Auffangcharakter haben und nicht so sehr geeignet sind, den allgemeinen Beratungsbedarf der betroffenen Migranten zu verdeutlichen. Es geht in erster Linie um Hilfestellungen in der Anfangsphase der Einwanderung, die zu lösen sind: bei der Stadt, im Betrieb, bei der Verwaltung, Rechtsfragen, Jobfragen, Krankenkassen, Ausbildung, Wohnungsangelegenheiten, familiären Problemen. In der sozialen Beratung spielt der Familiennachzug eine besonders große Rolle. Vor allem sind es Fragen, die in Deutschland anders organisiert sind als im Herkunftsland. Abgesehen von der Behördensprache ist vor allem für die russischsprachigen Migranten unverständlich, dass die deutschen Behörden nicht untereinander kommunizieren, dass es keinen Behördenautomatismus gibt, durch den man weitergeleitet würde, sondern dass man sich um alles selber kümmern muss. Das ist man nicht gewohnt.

Andererseits bieten die Eingliederungsberatungen der Zentralen Aufnahmestelle für Aussiedler eine umfassende Betreuung in den ersten Monaten, bei denen anhand eines Laufzettels alle relevanten Themen abgehakt werden. Es werden Kontakte hergestellt, und es wird weitervermittelt an Behörden, Vereine, Verbände und Migrationsfachdienste. Diese Stelle hat es sich zur Aufgabe gesetzt, die Aussiedler und jüdischen Zuwanderer mit den Regelangeboten 84


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

und den Angeboten der Verbände und Vereine vor Ort vertraut zu machen, damit sie in der Folge in Anspruch genommen werden können.

Für in Deutschland lebende türkische Migranten gilt nach dem Aufenthaltsgesetz von 2005 eine Nachzugsberechtigung für Kinder und Ehegatten. Das ist eine Änderung gegenüber der vorherigen Regelung, die nicht den ungeteilten Zuspruch der türkischen Migranten gefunden hat, weil auch eine Altersbegrenzung für Kinder und die Verpflichtung zum Spracherwerb für nachziehende Ehegatten verfügt wurden. Durch das Zuwanderungsgesetz von 2005 sind staatliche Integrationsangebote geschaffen worden, deren Kern der Integrationskurs bildet, für dessen formale und inhaltliche Ausgestaltung das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zuständig ist. Mit der Durchführung der Integrationskurse werden private und öffentliche Träger beauftragt, die vom Bundesamt zugelassen sind. Zurzeit besitzen in Deutschland circa 1.800 Integrationskursträger eine Zulassung. 108 Bildungsträger sind in Berlin zugelassen, die diese Kurse durchführen dürfen, es gibt da auch verschiedene Differenzierungen, wie die Kurse angelegt sind. Der Integrationskurs umfasst einen Sprachkurs und einen Orientierungskurs, dessen Ziel es ist, dass Migranten sich im Alltag verständigen und an der deutschen Gesellschaft teilhaben können. Die bisher kurze Dauer dieser Einrichtung erlaubt kein Urteil über den Erfolg des Konzepts. Es darf angenommen werden, dass ein erheblicher Beratungsbedarf übrig bleibt.

85


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

10.9 Indirekte Zugangswege und Medien Das Mediennutzungsverhalten der beiden hier betrachteten Migrantengruppen, der türkischen und der russischen bzw. russlanddeutschen, ist extrem unterschiedlich. 65

Wenn man das Mediennutzungsverhalten dieser beiden Gruppen vergleicht, wird deutlich, dass sich zwei grundverschiedene kulturelle Verhaltensmuster überlagern und verstärken.

Die türkische Migrantengruppe hat ein sehr gering entwickeltes Leseverhalten. Das korrespondiert mit einer starken Neigung zu bildlichen Rezeptionsformen, auch bei den Printmedien, das zeigt sich aber besonders deutlich in einer sehr hohen Fernsehnutzung. Das ist auch in der türkischen Heimat so. Die Türkei ist mit 4,5 Stunden pro Tag eines der Länder mit der stärksten TV-Nutzung überhaupt, und es gibt, wodurch auch immer bedingt, keine ausgeprägte Lesekultur. Diese Konstellation wird überlagert von sehr stabilen Sprachbarrieren gegenüber der deutschen Sprache. Die Überlagerung dieser beiden Faktoren äußert sich in einem starken Übergewicht der TV-Rezeption, und da mit einer Präferenz türkischsprachiger Sender. Demgegenüber ist die Nutzung von Printmedien sehr viel geringer, aber selbst die türkischen Zeitungen haben in Deutschland relativ geringe Auflagen. Hürriyet, die größte Zeitung bei den Türken, hat bei 2,5 Millionen türkischen Migranten in Deutschland eine Regionalauflage von 41.000 Exemplaren. Was zunächst überraschend erscheint und vielleicht mit der kulturellen Bildorientierung zusammenhängt, ist die geringe Nutzung von Radiosendern, auch der türkischsprachigen.

Geradezu konträr ist laut Interviewpartner das Medienverhalten der Migranten aus der ehemaligen Sowjetunion. Es gibt eine ausgeprägte Lesekultur, die die Migranten aus ihrer früheren Heimat mitgebracht haben. Das Fernsehen wird stark genutzt, das Radio ist als Medium präsent. Dazu kommt nun, dass die Aussiedler wie auch die jüdischen und sonstigen russischsprachigen Migranten sehr darauf ausgerichtet sind, möglichst schnell und in überschaubarer Perspektive die deutsche Sprache zu erlernen und zu beherrschen. Daraus resultiert: es gibt eine relativ starke Nutzung deutscher Medien – besonders des deutschen Fernsehens, auch von deutschem Radio und deutscher Presse –, aber es gibt auch russische Zeitungen und Zeitschriften, die ihren Markt haben. Insgesamt existieren über 100 russischsprachige Pressetitel in Deutschland, zum Teil mit geringen Auflagen, weil nur örtlich

65

s.o. 10.3. Sprachschwierigkeiten sowie Anhang 13.1.3. Mediennutzung von Migranten.

86


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

oder regional verbreitet, aber die größte Zeitung hat eine IVW-geprüfte Verkaufsauflage 66 von 97.000 Exemplaren. Allerdings Zitat: „Das russische Fernsehen, das hier produziert wird, können Sie vergessen!“

Daraus ergeben sich unterschiedliche Konsequenzen für die Migranten russischer bzw. türkischer Herkunft, Massenkommunikationsmedien zur Kontaktaufnahme in Angelegenheiten der Verbraucherberatung zu nutzen.

Im Anhang ist unter dem Gliederungspunkt 13.1.3 Mediennutzung von Migranten auch die Beliebtheit von Fernsehsendern 67 dargestellt. Daraus wird erkennbar, dass Migranten allgemein vor allem das deutsche Privatfernsehen bevorzugen, das trifft auf die Spätaussiedler sogar in besonderem Maße zu (für die übrigen russischen Migrantengruppen gibt es keine Daten). Die Migranten aus der türkischen zeigen ein anderes Mediennutzungsmuster: sie konsumieren vor allem türkische Fernsehsender, erst dann gefolgt von deutschen privaten und weit abgeschlagen deutschen öffentlich-rechtlichen Sendern. Da die türkischen TVRedaktionen regional gut erreichbar sind, gibt es für sie sehr gute Kontaktmöglichkeiten. Für die

russischen

bzw,

deutschrussischen

Migranten

ist

das

bei

ihrem

Fernseh-

Nutzungsverhalten schwieriger, denn die deutschen Privatsender sind nicht in dem Maße auf diese Klientel eingestellt wie die türkischen Sender auf die Türken. Das ist ein Vorteil für die Aufnahme von Kontakten zu den Redaktionen des regionalen oder örtlichen türkischen Fernsehens in Deutschland, das ja auch der bevorzugte Medienpartner ist.

Die russische Klientel ist, was den TV-Konsum betrifft in einer weniger komfortablen Situation, weil die von ihr bevorzugten Sender auf das gesamte deutsche Publikum ausgerichtet 66

IVW - Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. Die IVW ist eine unabhängige Einrichtung, die von den Medienunternehmen, den Werbungstreibenden sowie den Werbe- und Media-Agenturen getragen wird. Ihr Zweck ist die Bereitstellung valider Daten für die Leistungskontrolle von Werbeträgern. 67

Beliebtheit von Fernsehsendern (Stamm- und Gelegenheitsrezipienten) Migranten allg. Spätaussiedler türkische Migranten 1. RTL 2. Pro 7 3. Sat.1 4. VOX 5. RTL.2 6. ARD 1 7. ZDF 8. Kabel 1 9. Super RTL 10. ARD 3

79% 76% 70% 65% 62% 59% 58% 56% 41% 41%

1. Pro 7 2. RTL 3. RTL.2 4. Sat.1 5. VOX 6. ARD 1 7. ZDF 8. Kabel 1 9. Super RTL 10. ARD 3

88% 88% 76% 76% 73% 65% 63% 63% 47% 44%

1. EuroD/Kanal D* 2. ATV* 3. Show TV* 4. Pro 7 5. RTL 6. TG RT* 7. Sat.1 8. RTL.2 9. TRT* 10. ARD 1

77% 71% 68% 64% 63% 61% 56% 53% 50% 46%

* = türkischsprachige Fernsehsender Quelle: ARD/ZDF-Studie, Zahlenwerte zusammengefasst.

87


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

sind und die Redaktionen folglich weniger geneigt sind, auf die besonderen russischorientierten Interessen einzugehen. Deshalb sind in diesem Bereich die TV-Redaktionen weniger als Kontaktpartner geeignet – und die russischen Privatsender in Deutschland „können Sie vergessen!“

Davon abgesehen, dass diese Migrantengruppe sich tendenziell stärker integriert und also im Verhalten den Einheimischen annähert, gibt es bei ihr ein besseres Einwirkungspotenzial über ihr ausgeprägtes Leseverhalten, also die intensivere Nutzung von Printmedien, wozu außer den deutschen Zeitungen natürlich auch die russischsprachigen zählen. Für die türkische Klientel ist das peripher, aber für russische oder deutschrussische Einwanderer ist das eine wichtige Ebene der Erreichbarkeit. Leider haben sich deutsche Zeitungen auf dieses Lesepublikum, diese große Kundengruppe, bisher weder in den Redaktionen noch auf der Anzeigenseite, also der Werbung, eingestellt.

Im Folgenden werden einige Einschätzungen und Vorschläge der interviewten Experten zu diesem Themenkomplex mitgeteilt.

Bei den Angaben darüber, wie die verschiedenen Migrantengruppen am besten anzusprechen und zu erreichen sind, werden zwar keine grundsätzlichen Unterschiede vorgeschlagen, es wird aber immer wieder darauf hingewiesen, dass die Verwendung schriftlicher Materialien bei der türkischen Klientel mehr zur Ergänzung der direkten und nicht-schriftlichen Kontakte verwendet werden sollte.

Verwendung schriftlicher Materialien:

Als beste Methode ist Mundpropaganda anzusehen, persönliche Empfehlungen. Aber verständliche Prospekte sind auch wichtig, das heißt: verständlich formuliert und auf Türkisch. Es müsste auch angestrebt werden, in türkischsprachigen Medien präsent zu sein.

Türkisches Fernsehen, türkische Zeitungen, Vereine, Organisationen, auch Moscheen sollten parallel angesprochen werden – auch zur Streuung von schriftlichen Materialien, um so die verschiedenen Mitglieder zu erreichen und sie zu motivieren, die Verbraucherzentrale aufzusuchen.

Auch Behörden, Bildungseinrichtungen, Schulen, Job-Center usw. könnten zur Streuung von schriftlichem Material (Flugblätter o.ä.) eingesetzt werden. 88


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Ich arbeite viel mit schriftlichem Material, das aber die mündliche Beratung unterstützt. Es gibt eine ganze Menge ältere Frauen, die nicht lesen können. Die nehmen aber trotzdem gerne etwas mit, um es ihren Kindern zu zeigen – und es ist ja auch wichtig, eine Adresse in der Hand zu haben. Das hat auch oft einen Symbolwert. Informationen zu einzelnen Themen wiederum sammle ich auch, die hole ich mir ganz gezielt aus dem Internet. Es gibt ja auch Migranten, die gut lesen können und die sich das gerne noch einmal ansehen und auch weitergeben. Infomaterial lediglich auszulegen – das bringt wenig. Wenn es aber im Zusammenhang mit einer Beratung überreicht wird, dann ist es wichtig.

Von der Verbraucherzentrale nicht, aber allgemein haben wir Broschüren von verschiedenen Institutionen, dass wir wissen, welche Institution was macht, wo man weitere Beratungen erfragen kann, Verzeichnisse zum Beispiel der Ärzte. Das haben wir und geben es auch weiter. Wenn spezielle Fragen auftauchen und wir haben nichts zur Hand, dann holen wir uns die Informationen aus dem Internet oder rufen an.

Vielleicht kann man die Broschüren, die es bereits in Deutsch gibt, auslegen, und dann abklären, welche Themen sind für unsere Mitglieder interessant. Wir haben auch schon bei der Übersetzung einzelner Broschüren geholfen. Ich habe die Vermutung, als würde das nicht so genutzt werden. Ich bin auch der Meinung, dass die Türken eher lesefaul sind, dass sie sich nicht gerne stundenlang mit einem Thema beschäftigen. Ein geringer Prozentsatz macht das, aber die meisten sind wirklich lesefaul. Und wenn man dann wirklich so viel Geld in die Broschüren investiert, um an sie heranzukommen – vielleicht ist das nicht so eine gute Idee.

Meine Bitte, mein Wunsch an Sie wäre es, wenn Sie den weiterleiten könnten an die Verbraucherzentrale: Wenn wir in unserem „Wegweiser“ die Adresse und ein paar Sätze zur Verbraucherzentrale haben, dann reicht das nicht aus. Wenn ich zum Beispiel von der Verbraucherzentrale Hefte zugeschickt bekommen würde, einige Seiten, deutlich formuliert, und das müsste nicht unbedingt zweisprachig sein, das wäre auch nicht schlecht, aber in Deutsch sollte es von den Formulierungen her möglichst vereinfacht sein, damit es leicht vermittelbar ist – dann würden wir diese Broschüren, diese Infohefte sehr gerne verbreiten und mit auf den Weg geben im Rahmen der Seminare und auch bei dem direkten Beratungsprozess, wenn es zu einer konkreten Frage kommen sollte. Und das kann absolut nichts schaden, wenn die Leute diese Unterlagen haben und sich später daran erinnern. Dann werden viele davon Ge89


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

brauch machen. Das heißt ich hätte sehr gerne Broschüren, die aber selbstverständlich so gestaltet werden, dass sie zielgerichtet die Zielgruppe ansprechen.

Türkisches Fernsehen, türkische Zeitungen, Vereine, Organisationen, auch Moscheen sollten parallel angesprochen werden – auch zur Streuung von schriftlichen Materialien.

Die Empfehlungen der befragten Experten über einen möglichen Einsatz der Massenmedien (Fernsehen, Radio, Presse) unterscheiden doch sehr deutlich zwischen türkischem bzw. russischem oder deutsch-russischem Migrationshintergrund. Eine Gemeinsamkeit der beiden Gruppen ist der hohe Fernsehkonsum, der Unterschied besteht darin, dass die Türken überwiegend türkische Sender bevorzugen, die Migranten aus der früheren Sowjetunion auf das deutsche Sendeprogramm orientiert sind. Daraus ergibt sich ein unterschiedliches Erreichbarkeitsschema. Die Türken sind gut über die örtlichen türkischen TV-Programme zu erreichen. Eine gleich direkte Ansprachemöglichkeit gibt es für die russische und deutschrussische Klientel nicht, und die deutschen Sender greifen so spezielle Interessen nur selten auf. In der Pressenutzung sind die beiden Migrantengruppen auf andere Weise deutlich unterschieden. Türkische Zeitungen haben in Deutschland ohnehin nur geringe Auflagen, am ehesten werden kostenlose Anzeigenblätter beachtet, während die russischen Zeitungen durchaus einen Markt haben, der auch für die Verbreitung von spezifischen Informationen geeignet ist.

Türkische Medien

Fernsehen/Radio: Der türkische Lokalsender TD1 wird von vielen Migranten, gerade den älteren, gesehen. Meine Kollegin vom Sozialverband VdK hat sich auf diesem Wege ganz schnell bekannt gemacht, hat gute Kontakte zu diesem Sender aufgebaut, ist da regelmäßig mit so einer Art Beratungssprechstunde live aufgetreten. Das war nicht kommerziell. Sie bot Informationen für die türkische Bevölkerung an, und das hat der Sender, der sich bei seinem Publikum profilieren wollte, aufgegriffen. Das hat übrigens auch ein türkischer Rentenberater, den wir kennen, der früher auch für die Verbraucherzentrale tätig war, entsprechend gemacht und hat im türkischen Sender zu Rentenfragen in türkischer Sprache beraten. Die Macher dieses Senders wollen aber, dass das in türkischer Sprache läuft. 90


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Es gibt das türkische Fernsehen, TD1, dann gibt es einen türkischen Radiosender, mit dem wir schon gearbeitet haben. Wenn wir Werbekampagnen machen, dann nur mit Medien, die ihren Schwerpunkt in Berlin haben.

Ich habe da selber schon mehrere Auftritte gehabt, mit Telefonanrufen. Das wird ja bundesweit ausgestrahlt. Die Anrufer werden durchgestellt und die Fragen sollen live beantwortet werden. Das wird sehr beachtet vom Publikum. Das ist nicht nur TD1, aber es gibt auch türkische Sender, die von der Türkei aus für Europa ausstrahlen: Kanal B oder Star TV. Da gibt es auch wöchentliche Beratungssendungen, zum Beispiel TRT-Int. Und da haben wir auch die Möglichkeit anzurufen und zu sagen, dass wir zu diesen oder jenen Themen aufklären möchten. Und das wird wahrgenommen. Die Polizei hat zum 1. Mai verstärkt Informationen gegeben. Das wird besser wahrgenommen, als wenn man das über die Presse macht.

Da kann man auch unsere Kontakte nutzen, weil TD1 unser Medienpartner unseres Vereins ist: „Die Verbraucherzentrale möchte da mal aufklärend eine Sendung machen, ginge das?“ Die haben immer Bedarf an Material.

Diese Sender müssten einfach mit in den Verteiler der Verbraucherzentralen aufgenommen werden. Das ist das Wichtigste, was mir jetzt einfallen würde, was am effektivsten ist. Aber auch persönliche Kontakte zu den Redakteuren sind sehr wichtig. Die haben wir auch.

Türken kommen vor allem aus ländlichen Gebieten, lesen weniger, sehen vor allem türkisches Fernsehen. Dagegen sind die russischen Migranten mehr gebildet und bevorzugen sehr viel stärker die Presse für ihre Information.

Presse

Hürriyet wird viel gelesen, das wäre sehr gut, wenn man dort die Meldung platzieren könnte, „Die Verbraucherzentrale hat jetzt Angebote für türkische Migranten“. Ich denke, das würden die auch gerne abdrucken. Besser als jede Pressemitteilung wäre ein direkter telefonischer Kontakt mit einem Redakteur. Meine Kollegin macht das so. Es erscheinen öfters Artikel mit Fotos über die Arbeit hier im Haus. Sie telefoniert, inzwischen ist sie dem Reporter bekannt, der für diesen Bereich zuständig ist. Da gibt es auch deutschsprechende Redakteure. Einige sprechen sehr gut deutsch. 91


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Über Hürriyet machen wir nichts. Wir machen das gezielt über die berlinbezogenen Medien, weil die auch direkt an die Bevölkerung herankommen.

Die haben einmal in der Woche eine Rubrik „Aktuell Berlin“, was in Berlin gerade so aktuell ist, Termine, Veranstaltungen, aber auch Aufklärung über neue Regelungen, das sollte man beachten – das bringen sie. Da kann man sich auch mit einklinken. Ich bin mir sicher, dass die meisten Türken die Verbraucherzentrale überhaupt nicht kennen. Da wäre es schon wichtig, dass man sich erst einmal bekannt macht, mit den Angeboten, den Öffnungszeiten usw.

Oder Merhaba, diese Zeitschrift liegt kostenlos aus, sie hat auch Artikel in zwei Sprachen.

Merhaba wird nach meiner Kenntnis in der türkischen Bevölkerung sehr rege gelesen und hat eine gute Verbreitung. Es ist auch professionell aufgemacht, bedient die verschiedensten Themen. Wir haben eine Zeitlang mit ihnen auch Gesundheitsthemen behandelt wie zum Beispiel Diabetes. Mit denen haben wir eine sehr gute Kooperation. Die Wahrnehmung für diese Medien ist sehr groß, auch fürs Fernsehen oder das Radio. Das sind durchaus Kanäle, über die man an die Gruppen herankommt, und zwar an alle vom Prinzip her.

Wir haben gute Kontakte zu den Redaktionen, auch zu den Verlegern, die wir dann auch aktivieren, wenn wir bestimmte Dinge kommunizieren wollen über unsere Broschüren oder über das Internet hinaus, wenn wir zum Beispiel bestimmte einmal stattfindende Aktivitäten vermarkten wollen.

Werbung/Bildsprache Es ist wichtig bei solchen Fragen allgemeiner Öffentlichkeitsarbeit, auch auf die türkischen Gewohnheiten oder das türkische Erscheinungsbild einzugehen. Es gab eine Werbung der BKK für die Vorsorge bei Alzheimer – dies aber mit so eindeutig deutschen Models und Gesichtern, dass sich kein Türke identifizieren konnte. Solche grundlegenden Dinge müssen berücksichtigt werden, nicht nur was die dargestellten Personen betrifft, sondern auch die Situationen. Es gibt auch dabei unterschiedliche kulturelle Motive. Beispielsweise wird bei einer Pharmawerbung ein älteres deutsches Ehepaar dargestellt, auf der gleichen Werbung für Türken ist es ein älterer Herr mit seiner Tochter. Da wird eine andere Familiensituation angesprochen, die jüngere Ge92


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

neration ist einbezogen. Nicht die Ehefrau ist die treibende Kraft, sondern die Kinder – so etwas ist sehr geschickt. Auf Termine, Orte, Veranstaltungen hinweisen, das würde ich auf jeden Fall machen. Radio auch: Metropol, die werden bundesweit ausgestrahlt. Jugendsender gibt es nicht, aber TD1 hat von 16 bis 18 Uhr eine Sendezeit, wo sie nur Jugendliche ansprechen mit viel Musik und Themen speziell für Jugendliche. Aber, ich glaube, die Zielgruppe für die Verbraucherzentrale sind bei den Türken nicht die Jugendlichen. Da würde ich abraten. Die erste und zweite Generation immer, weil die sich um alles kümmern. Die müssen angesprochen werden.

In erster Linie müsste die Verbraucherzentrale erst mal bekannt gemacht werden. Vorher scheint mir Werbung gar nicht sinnvoll, weil wir das nicht kennen. Es wird nicht wahrgenommen, wenn man das mit Werbung macht. Die Werbung müsste dann schon so aufklärend sein, dass sie wissen, was das ist.

In der Türkei wird richtig Werbung für vernünftiges Verbraucherverhalten gemacht. Ich habe mal einen Werbespot gesehen, da ging es um eine Reklamation wegen verdorbener Waren. Die Reklamation wurde abgelehnt. Doch dann taucht ein kleines Männchen auf und sagt: Das ist aber nicht richtig, Du hast recht. So etwas habe ich gesehen. Das ist im türkischen Fernsehen, das in der Türkei ausgestrahlt wird. Bei anderen Themen machen das auch Comedians, bekannte Gesichter. Das kostet zwar auch Geld, aber vielleicht ist es effektiver als die zahllosen Faltblätter, die man nicht liest.

Regelmäßige Anzeigen, als Aufmerksamkeitswecker sozusagen, das ist ganz klar ein Thema. Es gibt sehr viele Sachen, die diese Menschen nicht kennen. Es geht oft nur darum, einen Namen bekannt zu machen, ein Unternehmen bekannt zu machen. Das geschieht mit regelmäßigen kleinen Anzeigen. Mit so sensiblen Themen wie den Verbraucherzentralen kann wahrscheinlich keiner zunächst mal so richtig etwas anfangen, da hat er keine Nähe dazu. Deshalb: in kleinen Stufen Schritt für Schritt über längere Zeit eine Bekanntheit aufbauen. Wo sind die Leistungswerte, warum soll ich das überhaupt tun, was habe ich für einen Nutzen davon, welche Vorteile. So wird gelernt. Dann brauche ich nur noch am Ende der Kette die Piks zu setzen: jetzt machen wir das oder jenes. Das halte ich für die sinnvollste Kommunikationsstrategie.

93


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Russische Medien

Die Auflagen der Zeitungen der Werner Media GmbH sind mit 120.000 bzw. 50.000 Expl. beachtlich. Das Informationsbedürfnis russischsprachiger Migranten wird zu einem hohen Prozentsatz durch das Lesen von Zeitungen und Zeitschriften realisiert. Deshalb sind diese Auflagenzahlen besonders hoch zu bewerten.

Unter „redaktionelles Umfeld“ wird bei „Europa Express“ bzw. „Berlinskaya Gazeta“ neben acht weiteren Themenfeldern ausdrücklich auch „Verbraucherratgeber“ genannt.

Diese Themen gehören zum redaktionellen Programm der Zeitschriften. Jede Ausgabe enthält Artikel zur Verbraucherberatung, die zum Teil auch in eigener Regie erarbeitet werden. Inhaltlich wird im Prinzip die gesamte Palette der Themen behandelt, denen sich die Verbraucherzentralen auch widmen: Produktberatung, Rechtsberatung, Kreditberatung, Bauen, Gesundheit etc. Dazu werden auch die Presseinformationen der Verbraucherzentralen bzw. der Stiftung Warentest verwendet. Entsprechende Artikel erscheinen regelmäßig in jeder Ausgabe.

Die Redaktion bestätigt ein entsprechendes Informationsbedürfnis ihrer Leser, das jetzt schon regelmäßig abgedeckt werde, aber durchaus noch besser befriedigt werden könne. Chefredakteur Goldberg zeigte sich sehr interessiert daran, auch die Verbraucherzentralen über diese Tatsache zu informieren und sie zu veranlassen, in Zukunft Kooperationen mit der Redaktion von Evropa-Ekspress und Berlinskaya Gazeta vorzusehen. Seine Vorschläge zur Optimierung der redaktionellen Arbeit im Sinne der Verbraucherzentralen sind: •

spezielle Hinweise der Verbraucherzentralen an die Redaktion;

Merkblätter der Verbraucherzentralen in russischer Sprache als Beilagen;

direkte Kontakte der Verbraucherzentralen mit der Redaktion zur Vorbereitung von gemeinsamen Aktionen, Artikelserien etc.

Auch über Werbebeilagen wurden positive Ergebnisse mitgeteilt. Es sei durch Pre and PostTests festgestellt worden, dass nach sechs Monaten die Werte regelrecht explodiert seien. Obwohl das sehr nach Eigenwerbung für die Verlagsobjekte aussieht, sollte zumindest die Möglichkeit solcher Zeitungsbeilagen im Auge behalten werden. Die Wirtschaftlichkeit einer solchen Variante müsste ohnehin am konkreten Fall geprüft werden.

94


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Im Folgenden werden Äußerungen der Gesprächspartner zum Medienverhalten der russisch sprechenden Migranten wiedergegeben, die auch etwas widersprüchlich erscheinen. Es gibt offenbar deutliche Unterschiede zwischen den Aussiedlern, den jüdischen und den übrigen russischen Migranten. Aus den differierenden Äußerungen ist zu folgern, dass es in jedem Falle erforderlich ist, die örtlichen Bedingungen zu recherchieren und entsprechende Mediaplanungen darauf abzustellen. Dafür sind die regionalen oder örtlichen Unterschiede bei den einzelnen Presseorganen zu groß und auch die Heterogenität der Zielgruppe müsste unter den lokalen Bedingungen verifiziert sein.

Fernsehen/Presse

Ich würde sagen, Fernsehen ist die Hauptquelle aller Informationen. Es gibt auch Leute, die gerne auch Fernsehen aus dem Heimatland konsumieren, also diese Dekodersachen, um einfach zu vergleichen, um nicht ein Gefühl zu haben, dass sie etwas falsch in ihrem Leben gemacht haben. Ich habe das gesehen: meine Klientel liest ganz gerne auch die deutschen Zeitungen, um zu vergleichen - nicht nur die russischen. Und das gefällt mir sehr gut. Ich hatte ja Befürchtungen, dass man den Menschen das erst mal beibringen müsste. Aber das machen sie selbst.

Mehr die Zeitungen. Was geschrieben steht, schwarz auf weiß, das steht fest.

Wir haben jede Woche eine ganze Ratgeber-Seite, die hat Experten. Da werden alle diese Themen behandelt, die an uns auch herangetragen werden und die die Redaktion dann natürlich auch für sinnvoll erachtet. Wir haben auch eine Umfrage unter Lesern gemacht: über 80% der Befragten haben gesagt, dass sie diese Seite auch immer nutzen.

Die Zeitungen werden gelesen. Aber die Anzahl der Leser ist mit Sicherheit sehr viel niedriger, als es der Verlag angibt. Dann gibt es „Russkiy Berlin“, eine russischsprachige Zeitung, es ist eine ganz normale Zeitung. Dann gibt es in Hannover „Kontakty“ oder „Kontakt“.

Ob Sie die Russlanddeutschen mit diesen Zeitschriften erreichen können? Da würde ich eher Nein sagen. Die Zeitschrift „Argumenti i Fakti“ ist auf ganz Europa ausgerichtet und nicht in erster Linie auf Deutschland.

95


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Die Berlinskaja Gazeta ist eine Berliner Zeitung auf russisch, die Europa Express ist eine deutsche Zeitung auf russisch, aber das ist durch unsere Redakteure nach dem Gedankengut unserer Leser aufbereitet. Es gibt natürlich auch ein paar Seiten unter der Überschrift „Unsere Heimat Russland“. Mehr oder weniger offizielle russische oder nationalistische Zeitungen, wie bei türkischen Zeitungen, gibt es in Deutschland nicht. Internetportale Sowohl für die türkische als auch für die russische community gibt es mehrere Internetportale. Aus den Expertengesprächen sind darüber keine tiefergehenden Informationen erkennbar geworden außer der Tatsache, dass das Internet vor allem von der jüngeren Generation genutzt wird, was einem ersten eigenen Eindruck oberflächlicher Nachprüfung (ohne türkische und russische Sprachkenntnisse) durchaus entspricht. Das schließt aber nicht aus, websites der Verbraucherzentralen für die jeweilige Klientel in die Planung aufzunehmen, zumal die Hauptnutzer die Jüngeren, also die künftige Generation, sind.

96


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

11. Gesamtauswertung

11.1 Auswertung der Literaturrecherche und der Experteninterviews

Der Beratungsbedarf bei vielen Migranten unterscheidet sich nicht grundsätzlich von dem der Einheimischen. Die Themenpalette ist die gleiche. Die Unterschiede liegen im sozialen Umfeld und den Kommunikationsbarrieren, die sich daraus ergeben. In diesem Kontext bekommt die Beratung der Migranten ihre besondere Komponente. 68 Dieses Umfeld bestimmt dann auch das Bedürfnis und die Möglichkeiten der Migranten, mit Verbraucherfragen umzugehen. Es ist aber auch das Umfeld, in dem sie Adressat von Verbraucheraufklärung und bildung werden können.

Doch wie lässt sich aus dem Material, das die Studie zusammengetragen hat, dieser soziale Kontext beschreiben?

Ein großer Teil der Migranten lebt in Strukturen, die nicht der Lebenswirklichkeit der Mehrheitsgesellschaft entsprechen. Dabei spielt die Einbindung in die Großfamilie, das Wohnen in ethnisch segregierten Gebieten, und dadurch auch die Schwierigkeiten, nicht nur die deutsche Sprache zu lernen, sondern auch das System einer modernen Gesellschaft zu verstehen, damit umzugehen und sich darauf einzustellen, eine besondere Rolle. Von der Berliner Verbraucherzentrale erfahren wir zum Beispiel, dass die Vernachlässigung einer angemessenen Altersvorsorge so weit geht, dass sich viele Migranten nicht um ihre RentenAnwartschaften gekümmert haben. Die Ratsuchenden haben keine Ahnung davon, welche Rentenansprüche sie haben. Diese werden immer höher eingeschätzt, als sie tatsächlich sind. Den Leuten ist auch teilweise nicht klar, dass sie, wenn sie „schwarz“ gearbeitet haben, für diese Zeit keine Rente bekommen. Dass sie die unterschiedlichen Arbeitsstationen nachweisen müssen, ist ihnen ebenfalls nicht klar. Teilweise wissen sie nicht, in welcher Firma sie vor 30 Jahren gearbeitet haben. Die Unterlagen haben Sie bereits weggeworfen.

Die Orientierung auf Familie und ethnisch segregiertes Wohnumfeld machen es schwer, das institutionelle Gebilde einer modernen Gesellschaft wie der deutschen mit ihren Rechtsregeln zu verstehen und sich darin zurechtzufinden. Das ist auch eine Erklärung dafür, dass so viele Migranten zur Beratung kommen, weil sie von Landsleuten mit überteuerten Krediten reingelegt wurden oder weil jemand sich von einem Familienmitglied mit einer Versicherung hat eindecken lassen, die er weder braucht noch bezahlen kann. Aus den Experteninter68

Für sprachgewandte Migranten, die aus der Bildungsschicht kommen, treffen diese Ausführungen natürlich nicht zu. vgl. Anke Kirchner, Verbraucherzentrale NRW: Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und die Verbraucherberatung S. 20.

97


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

views erfahren wir, dass es für viele Migranten schwer nachzuvollziehen ist, dass auch das Rückgaberecht verspielt ist, wenn die Rückgabefrist für ein Produkt überschritten wurde, oder die Police nicht ausgezahlt wird, wenn vor Jahren beim Versicherungsabschluss falsche Angaben gemacht wurden. Ein weiteres Beispiel zeigt die oben genannte Finanzstudie. Wenn sich einmal eine positive Beziehung zu einem Bankangestellten entwickelt hat, geht man auch dann weiter zu dieser Bank, wenn der betreffende Mitarbeiter nicht mehr dort arbeitet und andere Banken bessere Kreditkonditionen anbieten. Die Studie zeigt auch, dass Bankberater gegenüber unabhängigen Beratern bevorzugt werden. Der Status einer zivilgesellschaftlichen Institution als unabhängige Beratungsinstanz – wie zum Beispiel die Verbraucherzentrale – wird häufig nicht verstanden. Vom Berater wird persönliche Beziehung erwartet, ein Anspruch auf Kompetenz und Unabhängigkeit wird nicht gestellt.

Die Verbraucherthemen, denen bei Migranten besondere Relevanz zukommt und bei denen ein Aufklärungsbedarf und Beratungsbedarf besteht, sind meistens durch den beschriebenen Kontext überlagert. Aufklärungsbedarf gibt es für fast alle in der Finanzstudie aufgezählten Themen. 69 Bei den meisten Themen, die in der Finanzstudie als problematisch beschrieben werden, handelt es sich um solche, die von den Betroffenen selbst nicht unbedingt so empfunden werden. Sie sind aus der Logik der Mehrheitsgesellschaft betrachtet problematisch, in der es als Standard gilt, dass man sich vor wichtigen Entscheidungen in Finanzangelegenheiten informiert oder beraten lässt. Genau das ist bei den oben beschriebenen Beispielen nicht der Fall, man kümmert sich nicht um einen günstigen Baukredit, weil man aus subjektiven Gründen ein Vertrauensverhältnis zur Bank aufgebaut hat. Oder man verschafft sich weder eine Beratung noch eine Informationen, bevor man eine Versicherung abschließt. Das heißt, dass die dort angesprochenen Verbraucherthemen eigentlich Themen sind, die primär als Fragen der Verbraucherbildung anzusehen wären. Das allerdings wäre eine Intervention zur Inklusion von Migranten in den sozialen Kontext der Mehrheitsgesellschaft.

Migranten kommen erst in die Beratung, wenn es „zu spät“ ist. Für präventive Informationen oder Beratung wenden sie sich nicht an eine Beratungsstelle. Sowohl den Experteninterviews als auch den Studien der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen ist dieser Befund zu entnehmen. Zu den Verbraucherzentralen kommen sie meistens mit Fragen, die dem Bereich Finanzdienstleistungen zuzuordnen sind. Dabei geht es vor allem um Schulden und Insolvenzberatung in Zusammenhang mit Verträgen für überteuerte Leistungen, mit überflüssigen Versicherungsabschlüssen und unseriösen Krediten. Bei der Beratungsstelle der 69

siehe Kapitel 8: Migranten als Verbraucher.

98


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Verbraucherzentrale in Dortmund machen Migranten nach Schätzungen der Leiterin der Schulden- und Insolvenzberatung 50% der Ratsuchenden aus. Zu Migrantenorganisationen und Migrationssozialdiensten kommen Migranten mit einem Konglomerat an Fragestellungen, die von der Schuldenberatung über Krankheit bis zu Fragen nach Familiennachzug reichen. In vielen Fällen, vor allem bei älteren Türken, geht es nicht einmal um Beratung, sondern um einfachste Hilfen und Betreuung zur Erklärung des Inhalts eines Behördenschreibens, beim Aufsetzen eines Briefes, beim Ausfüllen von Formularen für Rückzahlungen, Erstattungen, Stundungen usw.

Zusammenfassung

Traditionelle Lebensformen, die sich aufgrund von Familienorientierung und segregierten Wohnvierteln reproduzieren, beeinflussen das Verhalten von Migranten als Verbraucher. Daraus ergibt sich ein besonderes Bedürfnis nach Beratung - aus der Perspektive der Standards der Mehrheitsgesellschaft auch ein Bedarf an Verbraucherbildung und Aufklärung.

11.2 Sprache Verbraucherzentralen und Experten sehen die Sprachbarrieren als das wichtigste Hindernis für Migranten im Zugang zu qualifizierten Beratungsangeboten. Aus den Beratungsstellen der Verbraucherzentrale und aus einer Schuldnerberatung Nordrhein-Westfalens konnten wir erfahren, dass es bei der Kommunikation während der Beratung erhebliche Probleme gibt dass die Berater teilweise die Ratsuchenden nicht verstehen und wiederum auch nicht sicher sind, dass die Ratsuchenden die Beratung verstehen. Die Lösungsmöglichkeiten liegen auf der Hand. Übersetzungen und Dolmetscher sind ein Weg. Die Frage ist nur: wie erreicht man mit vertretbaren Kosten ein vertretbar gutes Ergebnis. Die Verbraucherzentralen gehen unterschiedlich damit um. In Berlin zum Beispiel gibt es für drei Stunden in der Woche eine Beratung auf Türkisch, die nach Auskunft der Beratungsstelle die Nachfrage nicht decken kann. Außerdem werden auch die anderen Fälle, in denen die Ratsuchenden Schwierigkeiten haben, sich in Deutsch zu verständigen, zu dem türkischen Berater geschickt, egal woher sie kommen. In der Verbraucherzentrale in Nordrhein-Westfalen wird nicht mit Dolmetschern gearbeitet, es fehlen dazu die materiellen Ressourcen. Die Beratungsstellen erwarten, dass die Ratsuchenden, die des Deutschen nicht mächtig sind, in Eigeninitiative jemanden zum Dolmetschen mitbringen. Es kommt aber auch häufig vor, dass das Kinder sind. Nach Auskunft einer Beraterin kommt es manchmal zu grenzwertigen Situationen, wenn zum Beispiel ein 10jähriges Kind die Rechtsangelegenheiten für den Vater übersetzen muss. Die erwähnte Schuldnerberatung schiebt nach eigener Auskunft das Problem vor sich her. Es 99


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

gibt in der Stadt einen Dolmetscherpool, aber diesen Dienst für die Beratungsstelle zu organisieren, sieht der Leiter als zu umständlich an.

Bei den Experteninterviews stellte sich heraus, dass Migrantenorganisationen und Migrationsdienste, die Migranten aus der Türkei beraten, eine ganz andere Einstellung zu sprachlichem Entgegenkommen gegenüber ihrer Klientel haben als diejenigen Organisationen, die ihre Angebote an Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion richten. Die ersteren sind darauf ausgerichtet, mit viel Einfühlungsvermögen und Geduld sowie mit eigenen Sprachkenntnissen oder dem Einsatz von Dolmetschern eine Beratungssituation herzustellen, die den betroffenen Migranten sehr wohl hilft, mit Schwierigkeiten in Deutschland zurechtzukommen, die aber langfristig gesehen damit Sprachbarrieren reproduzieren und vermutlich sogar stabilisieren. Die Experten aus den Organisationen, die ihre Angebote an Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion richten, sehen die Situation dieser Zielgruppe anders. Sie attestieren ihnen ein starkes Interesse, so schnell wie möglich Deutsch zu lernen, vorhandene Sprachbarrieren zu beseitigen und sich in die deutsche Gesellschaft einzufügen, weil sie genau deshalb nach Deutschland gekommen sind. Diese Migranten verfügen über ein höheres Bildungsniveau und zeigen eine große Bereitschaft zur Integration. Sprachschwierigkeiten gibt es bei älteren Menschen, aber weniger stark ausgeprägt als bei den Türken. Nach Auskunft der Experten stellt sich die russische Klientel nach möglichen Anfangsschwierigkeiten immer sicherer auf die deutsche Sprache ein, und damit wird auch das gesamte Umfeld der Beratung vereinfacht.

Allerdings gibt es hierzu gegensätzliche Aussagen der Verbraucherzentrale NordrheinWestfalen. Dieser Zielgruppe werden ebenfalls extreme Sprachschwierigkeiten bescheinigt.

Zuverlässige Aussagen dazu sind schon deshalb nicht möglich, weil es über die Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion fast keine Forschungsstudien gibt. Über die Migranten aus der Türkei gibt es mit den jährlichen Mehrthemenbefragungen des Zentrums für Türkeistudien Essen und in der schon erwähnten Finanzdienstleitungsstudie methodisch abgesicherte Aussagen, dass fast die Hälfte der Befragten sich eine Beratung auf Türkisch wünscht, selbst in der zweiten, deutschsprachigen Generation ist der Anteil signifikant.

Wie auch immer Institutionen in Deutschland mit dem Thema Migration und Sprache umgehen, sie stehen in jedem Falle vor einem Dilemma: mit einem sprachlichen Entgegenkommen durch Sprachmittler oder Mitarbeiter, die die Sprache der Migranten sprechen, wird die Zielgruppe zwar mit den Angeboten der jeweiligen Institution erreicht, dafür werden aber die Sprachbarrieren perpetuiert. Es besteht kein Anlass, sich auf die deutsche Sprache einzu100


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

lassen. Schwellenängste gegenüber deutschen Institutionen, die von den Experten und in der Literatur immer wieder genannt werden, perpetuieren sich damit auch. Es wäre allerdings naheliegend, wenn Institutionen wie die Verbraucherzentralen sich dieses Dilemmas bewusst würden und in ihren Bemühungen, die Zielgruppe mit ihren Angeboten zu erreichen, Maßnahmen ins Auge fassten, die den Umgang mit diesem Dilemma möglich machen. Wir kommen später noch darauf zurück.

Zusammenfassung

Sprachbarrieren sind das größte Hindernis einer effizienten Beratung. Auf die Sprachschwierigkeiten mit Sprachmittlern zu reagieren, bringt ein Dilemma mit sich: einerseits erreicht man die Zielgruppe, andererseits reproduziert man ethnische Segregation.

101


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

11.3 Bekanntheit der Verbraucherzentralen

Es gibt unterschiedliche Einschätzungen dazu, inwieweit die Verbraucherzentralen mit ihren Angeboten Migranten aus der Türkei und der Sowjetunion erreichen. Aus den Experteninterviews geht hervor, dass die Verbraucherzentralen mit ihren Angeboten bei Migranten so gut wie nicht bekannt sind. Die Experten geben an, dass sie selbst zwar wissen, dass es die Verbraucherzentrale gibt, aber noch nie mit ihr in Kontakt getreten sind oder schlechte Erfahrungen mit ihr gemacht haben. Die Verbraucherzentralen haben eine andere Wahrnehmung. In Nordrhein-Westfalen wird der Anteil an Migranten bei den Beratungen auf 20 % 70 und auch der Anteil von Einwanderern aus der Türkei und „Osteuropa“ wird auf 80 % der Ratsuchenden mit Migrationshintergrund geschätzt. In einigen Beratungsstellen wird der Anteil von Migranten sogar mit 30% und bei der Schulden- und Insolvenzberatung in Dortmund sogar mit 50% angegeben. Aus der Dokumentation des bereits erwähnten Projekts der Agenda 21 in Hannover liegen Daten von über 400 russisch, türkisch, arabisch, kurdisch und persisch sprechenden Haushalten vor. 30% der Russen, 40% der Türken und 60% der Perser ist die Energieberatung der Verbraucherzentrale bekannt. Von jenen, die die Beratungseinrichtung kennen, waren 42% der türkischen, 33% der russischen und 29% der persischen Befragten schon einmal vor Ort zu einem Beratungsgespräch.

Während die Experten bemängeln, dass die Verbraucherzentralen in den einschlägigen Netzwerken und Treffen, in denen fachliche Themen behandelt werden, die die Beratung mit Migranten betreffen, fehlen, gehen die Verbraucherzentralen davon aus, dass sie mit einschlägigen Institutionen der Migrationsarbeit gut vernetzt sind. Woher kommt diese unterschiedliche Wahrnehmung? Nach unserer Einschätzung bewegen sich VerbraucherschutzOrganisationen auf der einen Seite und Migrantenorganisationen sowie Migrationssozialdienste auf der anderen in unterschiedlichen fachlichen und organisationalen Bezugssystemen. Während Migrantenorganisationen ein Spektrum von Beratungsthemen abdecken, zu dem auch Verbraucherfragen gehören, deckt die Verbraucherzentrale ausschließlich Verbraucherthemen ab. Auch wenn es thematische Überschneidungen gibt, für Migrantenorganisationen und Migrationssozialdienste stehen das Migrationsgeschehen und die jeweiligen Einwanderer im Vordergrund, für die Verbraucherzentralen stehen Verbraucherthemen im Vordergrund, sogar noch nach Themenbereichen wie zum Beispiel Finanzen, Umwelt usw. aufgegliedert. Darüber hinaus sind die Verbraucherzentralen hierarchisch organisiert, so dass ein Berater nicht ohne weiteres an den einschlägigen Netzwerken teilnehmen kann.

70

siehe Kapitel 8: Migranten als Verbraucher.

102


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Unabhängig von den Migranten, die einen Weg zu den Verbraucherzentralen finden, scheint es allgemein einen großen Bedarf an Verbraucherberatung zu geben, der von den Migrantenorganisationen und Migrationssozialdiensten nicht mit der Sachkenntnis abgedeckt werden kann wie von den spezialisierten Beratungen der Verbraucherzentralen. Auch wenn Migranten die Verbraucherzentrale aufsuchen, steht eine Lösung für die Kommunikationsprobleme noch aus. Offen ist auch, wie der Bedarf an Verbraucherbildung und -aufklärung, der sich sowohl aus den Studien als auch aus den Experteninterviews ergibt, vom System Verbraucherschutz aufgenommen wird. Wenn der Verbraucherschutz hier verbraucherpolitisch effektiv gestaltet werden soll, kommen die Akteure nicht umhin, mit Migrantenorganisationen systematisch zu kooperieren. Bei diesen Organisationen liegen die Kenntnisse darüber, wie und mit welchen Formaten die Zielgruppe erreicht werden kann. Von wo die Einflussnahme für eine solche Strategie auszugehen hätte, von politischen Institutionen oder von den Verbraucherzentralen selbst, ist aus den Recherchen nicht abzuleiten. Aus den Interviews geht hervor, dass im Migrationsbereich eine große Bereitschaft zu Kooperationen besteht, es gibt viele gute Ideen und vor allem einen Fundus an Wissen über die jeweiligen Zielgruppen.

Zusammenfassung

Verbraucherzentralen und Beratungsstellen für Migranten bewegen sich in unterschiedlichen fachlichen und organisatorischen Bezugssystemen. Es stellt sich die Frage, woher im System Verbraucherschutz der Impuls kommen soll, um diese Grenzen aufzubrechen.

103


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

11.4 Zugang zur Zielgruppe

Die Experteninterviews und die Auswertung der ARD/ZDF-Studie „Migranten und Medien“ haben ein umfassendes Bild über die Kontaktwege zu der Zielgruppe der Einwanderer aus der Türkei und aus der ehemaligen Sowjetunion gegeben. Als entscheidend wird die direkte Ansprache der Zielgruppe bewertet. Wenn es um Beratung oder um Bildungsveranstaltungen geht, wird sogar die Mundpropaganda, die persönliche Empfehlung als beste Methode des Kontakts angesehen. Auch hier zeigt sich, dass der Zugang zur Zielgruppe vom sozialen Zusammenhang, den wir oben beschrieben haben, überlagert wird.

Wie wichtig diese Informationen im Kontext dieser Studie sind, hängt natürlich davon ab, was eine Institution wie die Verbraucherzentrale bei Migranten erreichen möchte. Will sie nur ihr vorhandenes Beratungsangebot bekannt machen? Oder will sie durch eine systematische Kooperation mit Migrantenorganisationen ihre Kommunikationsprobleme in der Beratung in den Griff bekommen und der Zielgruppe dadurch den Zugang zu einem qualifizierten Beratungsangebot möglich machen? Möchte sie den Migranten Verbraucherinformationen zugänglich machen und dafür ein Format wählen, das bei der Zielgruppe auch ankommt? Oder sieht sie es gar als ihre Aufgabe, systematisch für unterschiedliche Gruppen von Migranten ein Angebot an Verbraucheraufklärung und Verbraucherbildung bereitzustellen, das auf solide Untersuchungen darüber aufbaut, wie die Migranten von den unterschiedlichen Themen, um die sich der Verbraucherschutz kümmert, in spezifischer Weise tangiert sind? Um ein angemessenes Format für solche möglichen Maßnahmen zu entwerfen, müsste das Wissen aus Migrantenorganisationen oder von einzelnen Migranten herangezogen werden.

Zusammenfassung

Experteninterviews und Medienanalyse geben ein umfassendes Bild darüber, wie die Kommunikationskanäle zu den Migranten aus der Türkei und der ehemaligen Sowjetunion strukturiert sind, und welche Kanäle wie und wofür einzusetzen sind. Wie diese Kanäle genutzt werden, wird von den Entscheidungen abhängen, welche Richtung in der Verbraucherpolitik gegenüber den Migranten eingeschlagen wird.

104


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

11.5 Kooperation mit der Zielgruppe

In allen Experteninterviews, im Berliner Verbraucherbericht und vor allem im Nationalen Integrationsplan 71 wird darauf hingewiesen, dass eine Orientierung des Verbraucherschutzes auf die Zielgruppe der Migranten die Einbeziehung von Migrantenorganisationen und migrantenspezifischer Dienste voraussetzt.

Eine solche Forderung oder Empfehlung ist nicht nur unter politisch partizipatorischen Aspekten relevant. Viel wichtiger ist der Lernprozess, der von Seiten der Organisationen der Mehrheitsgesellschaft und den Migrantenorganisationen in Gang gesetzt wird. Institutionen wie die Verbraucherzentrale entwickeln über solche Kooperationen Kenntnisse über die Migrantencommunities, und diese bauen für sich und für ihre Mitglieder das Wissen über die Mehrheitsgesellschaft und ihre Institutionen aus. Beide lernen miteinander umzugehen und verändern sich dabei. Auf beiden Seiten findet ein Prozess der Kompetenzentwicklung statt, vor allem auf inhaltlicher Ebene. Solche Prozesse können in Gang gesetzt werden, indem zum Beispiel das Know-how von Migrantenorganisationen herangezogen wird, um eine Lösung für die Beseitigung der Kommunikationsbarrieren bei der Beratung der Verbraucherzentralen zu finden. Eine weitere Möglichkeit ist, Migrantenorganisationen heranzuziehen, um Verbraucherbildungsformate zielgruppengerecht zu entwickeln und die Verbraucherzentralen dabei zu unterstützen, sie an die Adressaten zu bringen. Migrantenorganisationen wiederum haben die Möglichkeit, die Spielregeln deutscher Organisationen kennenzulernen und sich in diesem Prozess zu professionalisieren. Die Untersuchung über Migranten und Finanzdienstleistungen arbeitete heraus, dass eine Korrelation besteht zwischen den Kontakten von Einwanderern aus der Türkei zu Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft und der Nutzung vielfältiger Informationskanäle für Finanzentscheidungen. Das heißt, dass gemeinsame Kooperationen auf Arbeitsebene Lernprozesse bewirken, die sich auch auf andere Lebensbereiche erstrecken. Die Kooperation zwischen Institutionen der Mehrheitsgesellschaft und Migrantenorganisationen schafft vor allem Vertrauen bei den Mitgliedern der jeweiligen communities, zu denen die Migrantenorganisationen gehören. Sie ist daher eine wesentliche Strategie, um das Misstrauen und die Schwellenangst gegenüber deutschen Institutionen abzubauen. So ist zum Beispiel die Berliner Polizei die am meisten angesehene Institution in den muslimischen communities der Stadt. Das hat damit zu tun, dass sie sich seit Jahren erfolgreich bemüht, muslimische Organisationen in die lokale Kriminalprävention einzubinden. 72 Die Polizei war deswegen auch der Ansprechpartner für die Organisatoren 71

vgl. Einleitung und Nationaler Integrationsplan. http://www.bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/Bundesregierung/BeauftragtefuerIntegration/beauftragte-fuerintegration.html. 72 vgl. Frank Gesemann, Chancen und Schwierigkeiten in der Kommunikation zwischen Moscheevereinen und Verwaltung, in Riem Spielhaus/Alexa Färber (Hrsg.), Islamisches Gemeindeleben in Berlin, Berlin 2006, S. 25-31.

105


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

des Berliner Elternkongresses, um islamische Organisationen dazu zu gewinnen, an dem Kongress teilzunehmen. 73

Doch mit wem kooperieren? Jede Institution der Mehrheitsgesellschaft muss selbst entscheiden, mit wem sie kooperieren möchte. Die Erfahrungen mit unterschiedlichen Kooperationen 74 haben gezeigt, dass kleinere Migrantenorganisationen eher die Zielgruppe erreichen und engagierter sind als große. Häufig geht es bei größeren, bereits etablierten Organisationen nicht in erster Linie darum, die Mitglieder ihrer community in die Mehrheitsgesellschaft zu integrieren. Meistens sind vor allem ihre Funktionäre damit beschäftigt, ihren Status als erfolgreiche Funktionäre zu reproduzieren bzw. auszubauen. Wichtig sind auch sogenannte Schlüsselpersonen innerhalb der jeweiligen communities. Diese sind häufig nicht in Organisationen eingebunden, wissen viel, sind innovativ und verfügen über einen breit gefächerten Kontakt in die communities. Eine weitere Erfahrung ist, dass islamische Organisationen eher in der Lage sind, ihre Mitglieder zu erreichen und sie dazu zu gewinnen, an Fortbildungsund Informationsveranstaltungen teilzunehmen. Allerdings müsste eine Institution wie die Verbraucherzentrale sich informieren, mit welchen islamischen Organisationen eine Kooperation vertretbar ist. Sie wird nicht umhin können, sich langfristig ein Know-how über die Strukturen der unterschiedlichen communities zu erarbeiten, das es ihr erlaubt zu entscheiden, mit welchen Kooperationen ein effektiver Zugang zu der jeweiligen Zielgruppe erreicht werden kann.

Die Gespräche, die im Rahmen der Studie mit Beratern der Verbraucherzentrale NordrheinWestfalen geführt wurden, zeigen, dass bis jetzt in den Beratungsstellen dort eine andere Vorstellung über Kooperationen besteht als die Idee, die sich aus den Experteninterviews herauskristallisiert hat. Während bei den Beraterinnen der Verbraucherzentrale unter Kooperation eine einmalige gemeinsam durchgeführte Veranstaltung verstanden wird, der nicht unbedingt weitere Kontakte folgen, wird aus den Interviews die Vorstellung des Aufbaus einer systematischen Kooperation deutlich. Eine Ausweitung des Verbraucherschutzes auf die Zielgruppe der Migranten, als ein Paket aus Beratung, Aufklärung und Bildung, würde um eine systematische Kooperation mit Migrantenorganisationen und migrantenspezifischen Diensten nicht herumkommen. Es muss aber gesagt werden, dass sowohl in Berlin als auch in Nordrhein-Westfalen unter den gegenwärtigen Strukturen nicht so leicht vorstellbar ist, wie dies zu gewährleisten wäre. Die Verbraucherzentrale Berlin hat keine Beratungsstellen in

73

http://www.elternkongress-berlin.de/ Polizei und Moscheevereine – Ein Leitfaden zur Förderung der Zusammenarbeit“. http://www.bpb.de/files/0MQCWZ.pdf; Tatiana Lima Curvello / Margret Pelkhofer-Stamm: Interkulturelles Wissen und Handeln – neue Ansätze zur Öffnung sozialer Dienste. http://www.tik-iaf-berlin.de/downloads/TiK_AbschlussDoku_Kapitel1.pdf. Berliner Elternkongress 2006 http://www.elternkongress-berlin.de 74

106


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

den Bezirken und auch nicht die Infrastruktur und die Ressourcen, eine solche Aufgabe zu bewältigen. Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen verfügt in ihrer Geschäftsstelle über die fachlichen und organisatorischen Voraussetzungen, um konzeptionell eine interkulturelle Öffnung des Verbraucherschutzes in Nordrhein-Westfalen auf den Weg zu bringen. Allerdings könnte die konkrete Umsetzung auf lokaler Ebene schwierig sein. Damit sich aus einer Kooperation mit Migrantenorganisationen eine nachhaltige Wirkung im Sinne einer Integration von Migranten in das System Verbraucherschutz entwickeln kann, müssen Kooperationen auf lokaler Ebene organisiert sein. Nach Auskunft der Berater vor Ort lässt aber der laufende Beratungsbetrieb eine systematische Kooperation mit dem Ziel der Verbraucherbildung und -aufklärung nicht zu.

Zusammenfassung

Kooperationen zwischen den Institutionen der Mehrheitsgesellschaft und den Organisationen der Migrantencommunities führen zur Gestaltung von Integration, indem auf beiden Seiten Lernprozesse in Gang gesetzt werden. Um zu entscheiden, mit welchen Organisationen Kooperationen sinnvoll sind, muss bei den Verbraucherzentralen ein spezifisches Wissen aufgebaut werden.

Für die Verbraucherzentralen in ihrer gegenwärtigen organisationalen Strukturiertheit wäre es eine Herausforderung, systematische Kooperationen mit Migrantenorganisationen aufzubauen.

107


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

12. Empfehlungen Öffnung der Institution und der Beratung •

Die Beteiligung der Verbraucherzentralen an regionalen und örtlichen Netzwerken der Migrantenbetreuung muss vorrangig sein, weil dadurch Kontakte erschlossen, zusätzliche Informationsebenen geöffnet und Verteilungswege für eigene Informationen (Adressen, Mails) genutzt werden können. In den Experten-Interviews wurde immer wieder das Fehlen solcher Netzwerkbeteiligungen bemängelt und bedauert. Ungeachtet der offensichtlichen Bereitschaft der Beteiligten an diesen Netzwerken, die Verbraucherzentralen als Partner willkommen zu heißen, liegt hier für die Verbraucherzentralen ein Potenzial brach, das genutzt werden kann.

Die Notwendigkeit der offensiven direkten Kontaktsuche zur Migrantenklientel ist in vielen der Gespräche betont worden. Örtliche oder regionale Nähe, kurze Wege der Ansprechbarkeit durch Stadtteilbüros oder regionale Kontaktstellen sind nach Auffassung der befragten Experten eine wichtige Voraussetzung für die Öffnung der Einrichtung, für das Wahrgenommenwerden und schließlich für die Inanspruchnahme der Einrichtung..

Die Sondierung aussichtsreicher Medienkontakte wird ebenfalls als wichtig empfohlen. Hierfür sind für die türkische und für die russische Klientel unterschiedliche Wege zu gehen, die im unterschiedlichen Medienverhalten der beiden Migrantengruppen liegen. Es steht aber außer Frage, dass solche Medienkontakte, wenn sie in vernünftiger Relation zu eventuell entstehenden Kosten betrachtet werden, vor allem in direkter Zusammenarbeit mit den jeweiligen Redaktionen äußerst vielversprechend sind und auch von den Praktikern empfohlen werden.

Weitere wissenschaftliche Untersuchungen •

Es sollten Forschungsvorhaben beauftragt werden, die herausarbeiten, welchen besonderen Bedarf die unterschiedlichen Migrantengruppen gegenüber dem Verbraucherschutz zu einzelnen Verbraucherfragen haben. Der Eingang der Ergebnisse in die Verbraucherinformation, Verbraucherbildung, Verbraucherberatung und Interessenvertretung sollte systematisch organisiert werden. Ein vorbildliches Beispiel für solche Studien könnte die mehrfach erwähnte Untersuchung über Finanzdienstleistungen sein

In internen Workshops mit kompetenten Beratern und Schlüsselpersonen der jeweiligen Migrantencommunities sollte herausgearbeitet werden, mit welcher Strategie diesem besonderen Bedarf begegnet werden könnte. Mit einem Workshop zu der be108


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

reits vorliegenden Studie über Migranten und Finanzdienstleistungen könnte im Themenfeld Finanzen der Anfang gemacht werden.

Entwicklung besonderer Formate für Verbraucherinformation, Verbraucherbildung und Verbraucherberatung •

In den Befragungsgesprächen wurden von den Teilnehmern Vorstellungen entwickelt, die bekannten Kontaktschwierigkeiten zu überwinden und an gegebene Bildungsvoraussetzungen anzuknüpfen. In den Interviews gibt es bereits Ideen dazu. Eine davon war die Ausgestaltung von konkreten Lerninhalten im Rahmen der Orientierungskurse gemeinsam mit den Verbraucherzentralen 75 . Es ist daran gedacht, verbraucherrelevante Situationen in Rollenspielen mit den Teilnehmern dieser Kurse in deutscher Sprache durchzuspielen. Informationsmaterial wäre zielgruppengerecht zu gestalten. Auch hier ist eine Kooperation mit Migrantenorganisationen unerlässlich, um herauszufinden, welches Material für die Zielgruppen überhaupt von Interesse ist und wie es zu gestalten ist, damit es die Zielgruppen überhaupt anspricht. Die Formate Verbraucherbildung und Verbraucherinformation sollten gemeinsam mit Migrantenorganisationen entwickelt werden. Es ist dabei wichtig, die Maßnahmen so zu konzipieren, dass sie auf eine nachhaltige Integration der Zielgruppe ausgerichtet sind, das heißt sie so zu planen, dass die Maßnahmen ethnische Strukturen nicht verfestigen. 76 .

Bei den Kooperationen ist darauf zu achten, dass die Organisationen (unabhängig davon, ob islamisch oder laizistisch), mit denen eine Kooperationen aufgebaut werden soll, integrativ arbeiten und nicht ethnisch segregiert handeln.

Für die Beratung sind innovative Arrangements denkbar. Auch hierzu gibt es Vorschläge aus den Interviews, zum Beispiel dass die Verbraucherzentrale ihre Beratungen einmal wöchentlich in einer Moschee durchführt oder auch im Kindergarten oder in einer Schule mit hohem Anteil von Migranten. Das Jugendamt in Nürnberg hat damit sehr gute Erfahrungen gemacht. Ihre Erziehungsberatungsstelle hat ihre Elterninformationen und die Beratung in Kindergärten durchgeführt und damit nicht nur Migrantenfamilien erreicht, sondern ebenfalls deutsche Familien aus bildungsfernen

75

Am 1.1.2005 ist das Zuwanderungsgesetz in Kraft getreten. Er sieht nach dem 600-stündigen Sprachkurs einen 30-stündigen Orientierungskurs zur Vermittlung von Kenntnissen der Rechtsordnung, der Kultur und Geschichte in Deutschland vor. Das Konzept ist vom Bundesamt für Migration und Flüchtling entwickelt worden. 76 Negatives Beispiel: Beratungsprojekt im Rahmen der Agenda 21.

109


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Schichten, die von sich aus sonst nicht der Weg zur Familienberatung gefunden hätten. 77 •

Für die Verbraucherzentralen wäre es sinnvoll, eine Strategie, wie sie oben beschrieben wurde, als Pilotprojekt in unterschiedlichen Städten zu starten und Erfahrungen zu sammeln, wie ein solches Vorhaben für Kommunen mit hohem Migrantenanteil zu organisieren ist.

Die Erfahrungen, die dabei gemacht werden, müssten gebündelt werden. Es wird empfohlen, damit gezielt einen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin zu beauftragen. Eine weitere Aufgabe einer solchen Person sollte darin bestehen, innerhalb und außerhalb der Institution für die Idee einer interkulturellen Öffnung des Verbraucherschutzes zu werben. Mit einer solchen Strategie konnten gute Erfahrungen bei der interkulturellen Öffnung der Jugendämter in Berlin, Nürnberg und München gemacht werden, ebenso bei der interkulturellen Öffnung der polizeilichen Präventionsarbeit in Berlin, Essen und Stuttgart. 78

77

Tatiana Lima Curvello, Margret Pelkhofer-Stamm, „Interkulturelles Wissen und Handeln – neue Ansätze zur Öffnung sozialer Dienste“, Dokumentation des Modellprojekts „Transfer interkultureller Kompetenz“, Berlin 2003, S. 70. 78 Zentrale Geschäftsstelle Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes und Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), „Polizei und Moscheevereine – Ein Leitfaden zur Förderung der Zusammenarbeit“ Stuttgart 2005, http://www.bpb.de/files/0MQCWZ.pdf

110


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

13. Anhang 13.1. Studien und sonstige Darstellungen 13.1.1 Allgemeine Untersuchungen zum Integrationsverhalten Zu Einzelaspekten der Lebenssituation von Migranten liegen nur in begrenztem Umfang Untersuchungen vor 79 . Die bisherige Wahrnehmung des Migrationsgeschehens ist sehr stark dadurch geprägt, dass sich Deutschland bis vor kurzem nicht als Einwanderungsland gesehen hat. Entsprechend fehlen auch die diesbezüglichen Analysen, die nun mit einem sukzessiven Umdenken nachgeholt werden. Die bisherigen Studien zum Konsumverhalten und zur Mediennutzung von Migranten geben nur am Rande für die hier relevanten Fragestellungen Auskunft. Insgesamt ist jedoch eine mangelnde Repräsentativität der Aussagen festzustellen.

In der Expertise für die Bundeszentrale für politische Bildung sind mehrere relevante Programme und Projekte zum Thema „Politische Bildung für Migranten“ ausgewertet worden. Sowohl in den Programmen der kommunalen Volkshochschulen, die Hauptanbieter für Integrationskurse sind, als auch in einem vom Bundesministerium des Innern/Bundesanstalt für Migration und Flüchtlinge geförderten Projekt zur Ost-West-Integration (OWI) für Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion wird die Klärung von Fragen der unmittelbaren Lebensbewältigung als Hauptaspekt betont. Dazu gehören Schule, Beruf, Arbeitswelt, gesundheitliche Prävention, Geldangelegenheiten, Verträge, Versicherungen, Informationen über Behörden etc. Demgegenüber wird Produktberatung überhaupt nicht erwähnt. Sie wird von den kontaktierten Migranten auch nicht abgefragt oder vermisst. Es stellt sich also die Frage, ob eine solche Beratung zu Recht als unerwünschte Belehrung angesehen würde, die hinter wichtigeren existenziellen Problemen zurücksteht oder ob hier eine grundsätzliche Sensibilisierung notwendig wäre.

Die oben genannte Expertise für die Bundeszentrale für politische Bildung arbeitet deutlich heraus, dass die Erreichbarkeit vor allem mit „Alltagsnähe“ korreliert, mit „niedrigschwelligen Formen, die sich an alltagspraktischen Themen orientieren, teilweise mit sprachvermittelnden Modulen kombiniert“. Das betrifft – wohlgemerkt – die Erreichbarkeit von Migranten für politische Bildung, und es wird auch differenziert zwischen unterschiedlichen formalen Bildungsvoraussetzungen. Darin zeigt sich nicht nur, dass zum Beispiel das persönliche Interesse einer türkischen Hausfrau an politischer Bildung nur dann geweckt werden kann, wenn 79

Die Bundeszentrale für politische Bildung und die Adenauer-Stiftung haben zum Beispiel Studien in Auftrag gegeben, um zu eruieren, wie die Angebote der Politischen Bildung auf den besonderen Bedarf von Migranten zugeschnitten werden können.

111


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

sie so angesprochen wird, dass sie ihre eigenen Probleme wiedererkennt, sondern auch, dass eine Untersuchung zum Thema „Politische Bildung“ nur bedingt auf die vorliegende Expertise übertragen werden kann, weil Verbraucherberatung ohnehin eine größere „Alltagsnähe“ hat als politische Bildung. Immerhin lassen sich sehr wohl die Ermittlungen der Expertise zur besseren (oder schlechteren) Erreichbarkeit von Migranten übertragen. Abgesehen vom Bildungsniveau und der sprachlichen Erreichbarkeit ist tatsächlich die Alltagsnähe und die persönliche Relevanz ein besonders wichtiger Faktor. Das gilt aber für jede Form der Kommunikationsaufnahme. Das heißt, dass nicht in die deutsche Gesellschaft integrierte Migranten nur über die ihnen bekannten und geläufigen Kommunikationsstrukturen erreicht werden können – mit einer positiven Entwicklungstendenz insofern, je mehr sie in die allgemeinen gesellschaftlichen Zusammenhänge integriert werden. 80

Erfahrungen bei Sozialen Diensten, der Polizei oder auf dem Gebiet der politischen Bildung zeigen, dass der Kontaktaufbau am erfolgreichsten über direkte und informelle Wege erfolgt. Demnach sind Einrichtungen und Beratungsstellen wie Migrantenorganisationen, Gesprächskreise, Moscheevereine und andere existierende Infrastrukturen, die von Migranten ohnehin aufgesucht werden, am besten geeignet, Kontaktbarrieren abzubauen.

Daraus ergeben sich auch Konsequenzen für die Auswahl der Interviewpartner für die Expertise, weil bei diesen Institutionen am ehesten Erfahrungen mit den Problemen von Migranten vorliegen und so die größte Chance besteht, Informationen zur Untersuchungsthematik einzuholen.

80

Maßnahmen zur politischen Bildung für Migranten und Migrantinnen. Expertise für die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). Dipl. Soz. Stefanie Reiter, Dipl. Soz. Richard Wolf. November 2006. europäisches forum für migrationsstudien. Institut an der Universität Bamberg. Leitung Prof. Dr. Friedrich Heckmann. http://www.efms.de.

112


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

13.1.2 Auswertung einzelner Studien

Der Einfluss von Zuwanderung auf die deutsche Gesellschaft. Deutscher Beitrag zur Pilotforschungsstudie „The Impact of Immigration on Europe’s Societies“ im Rahmen des Europäischen Migrationsnetzwerks. Forschungsbericht 1. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Nürnberg 2005.

Überblick über den derzeitigen Stand der Migrationsforschung in den Bereichen Wirtschaft, Kultur und Politik. Wichtige Ergebnisse und Forschungslücken.

Verschiedene Zuwanderergruppen: Flüchtlinge, Vertriebene, ausländische Arbeitskräfte, Aussiedler und Spätaussiedler, Asylbewerber, ausländische Studierende, jüdische Zuwanderer.

Einfluss auf die deutsche Wirtschaft •

positiver Fiskaleffekt,

Nettobeitrag zum Sozialversicherungssystem,

stärkeres Wirtschaftswachstum,

Ausweitung des Handelsvolumens,

widersprüchliche Rolle als Konsumenten und Sparer,

fehlgeschlagene Arbeitsmarktintegration ist durch kulturelle Vielfalt zugleich Vorteil für Wettbewerbsfähigkeit der globalisierenden Volkswirtschaft [sic !].

Kultureller Kontext •

Organisationen und Vereine (besonders religiöse Vereine, die das kulturelle Leben der Zuwanderer prägen),

Esskultur,

Medienlandschaft.

Politischer Kontext •

Veränderungen der Organisation bei kommunalen Verwaltungen,

Selbstorganisation in Vereinen,

politische Einstellungen, politische Partizipation, Staatsangehörigkeit.

„Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Unzulänglichkeiten der Forschung und der Datenverfügbarkeit nicht nur jene Forschungsbereiche betreffen, die für die politische Steuerung von Zuwanderung und die Bewältigung von Integrationsherausforderungen besonders relevant sind. Datentechnische Probleme und inhaltliche Defizite betreffen die Mig113


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

rations- und Integrationsforschung vielmehr insgesamt. Notwendig ist eine ausdifferenzierte, interdisziplinär orientierte und institutionell breit verankerte Forschung.“

--------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Soziodemographische Merkmale, Berufsstruktur und Verwandtschaftsnetzwerke jüdischer Zuwanderer. Projekt Zuwanderer aus Russland und anderen GUS-Staaten – Jüdische Zuwanderer. Eine Auswertung von Antragsakten der jüdischen Zuwanderer in der Landesaufnahmestelle des Freistaates Bayern im Jahr 2005. Sonja Haug unter Mitarbeit von Michael Wolf. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Working Paper 8 der Forschungsgruppe des Bundesamtes. 2007.

In der amtlichen Statistik oder auf der Grundlage des Mikrozensus sind keine Angaben über sozialstrukturelle Merkmale jüdischer Zuwanderer erhältlich.

Vor dem Hintergrund einer Auswertung empirischer Studien ergibt sich tendenziell folgendes Bild: Annähernd sichere Aussagen zur aktuellen Gesamtheit der jüdischen Zuwanderer im Hinblick auf ihre Sozialstruktur und ihre Integration in den Arbeitsmarkt lassen sich anhand der vorliegenden empirischen Studien nicht treffen.

Zusammenfassung der Ergebnisse des vorliegenden Berichts nach Experteninterviews, Literaturanalyse und Aktenauswertung:

Da die demographische Struktur der jüdischen Zuwanderer typisch ist für eine klassische Auswanderung und sich deutlich von der Alters- und Geschlechtszusammensetzung der Arbeitsmigranten unterscheidet, sind jüdische Zuwanderer vergleichbar mit Spätaussiedlern, dies gilt auch für die Herkunftsländer.

Ein relativ hoher Anteil der jüdischen Zuwanderer ist nicht jüdischer Abstammung und äußert auch keine Zugehörigkeit zur jüdischen Religion.

Hinsichtlich der Berufsstruktur unterscheiden sich jüdische Zuwanderer sowohl von klassischen Arbeitsmigranten als auch von Spätaussiedlern und der deutschen Allgemeinbevölkerung. Die Zuwanderer weisen ein überdurchschnittlich hohes Niveau der Bildungs- und Berufsqualifikation auf.

Die Familien- und Verwandtschaftsstruktur gibt Hinweise auf eine gute soziale Einbettung in lokale Verwandtschaftsnetzwerke.

114


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Diese Art der Zuwanderung Hochqualifizierter stellt einen Testfall für Deutschland als Zielgebiet für höher qualifizierte internationale Migranten dar.

Angesichts des relativ hohen Qualifikationsniveaus der jüdischen Zuwanderer scheint es besonders wichtig zu sein, dass die Berufsabschlüsse und die Berufserfahrungen anerkannt werden. Höhere Schulabschlüsse im Heimatland wirken sich positiv auf den Erwerb der deutschen Sprache aus und bilden insofern gute Voraussetzungen für die Integration in den Arbeitsmarkt.

--------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Aussiedler im Mikrozensus 2005. Identifizierungsprobleme und erste Analysen zur Arbeitsmarktintegration. Elisabeth Birkner, Universität Leipzig. Integrationschancen von Spätaussiedlern, 29.-30. März 2007, Nürnberg.

Wegen der problematischen statistischen Verfahren der vergangenen Jahre auch gegenüber Aussiedlern ist nur eine indirekte Identifizierung von Aussiedlern möglich. Die Studie macht Verfahrensvorschläge für ein solches indirektes Vorgehen nach den Daten des Mikrozensus 2005. Der geringere Arbeitsmarkterfolg von Aussiedlern im Vergleich zu Deutschen wird auf zwei Faktoren zurückgeführt: 1. Zuwanderer bringen durchschnittlich geringere Qualifikationen mit, 2. die vorhandenen Qualifikationen werden partiell entwertet. Die indirekten Verfahren machen immerhin Annäherungen an die reale Situation möglich. So ist die Arbeitslosenrate von eingebürgerten Aussiedlern gegenüber der von Deutschen fast dreimal so hoch (27% zu 10%). Die Angestelltenrate verhält sich wie 20 zu 70. Die Bildungshöhe unterscheidet sich bei Aussiedlern bzw. Deutschen wie folgt: Hauptschule 46% / 29% Realschule

36% / 39%

Gymnasium

5% / 15%

Hochschule

9% / 16%.

--------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Die Datenlage im Bereich der Migrations- und Integrationsforschung. Ein Überblick über wesentlich Migrations- und Integrationsindikatoren und die Datenquellen. Sonja Haug, Fachbereichsleiterin Referat 220a, Migrationsforschung. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Working Papers 1/2005.

115


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

„Die Qualität der im Bereich der Migration und der ausländischen Bevölkerung vorhandenen Datenquellen muss als nicht zufrieden stellend und verbesserungsbedürftig beurteil werden. Die Datenlage im Bereich der Integration ist unübersichtlich und lückenhaft; es mangelt bislang an einer Einigung über relevante Integrationsindikatoren und Datenquellen.“

Darstellung von Details und Vorschläge zur Verbesserung der Situation.

---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Jüdische Zuwanderer in Deutschland. Ein Überblick über den Stand der Forschung. Sonja Haug unter Mitarbeit von Peter Schimany. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Working Papers 3/2005.

Sichere Aussagen zu Sozialstruktur, Integration in den Arbeitsmarkt und Abhängigkeit von Sozialhilfe nicht möglich.

Relativ hohes Bildungs- und Qualifikationsniveau der jüdischen Zuwanderer.

Probleme durch mangelnde Deutschkenntnisse, mangelnde Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen und mangelnde berufliche Weiterqualifikation.

Relativ häufige Arbeitslosigkeit.

Verhältnismäßig oft auf Sozialhilfe angewiesen.

Schwierigkeiten bei der sozialen Integration in die jüdischen Gemeinden.

Unzureichende Erkenntnisse über die jüdische Zuwanderergruppe ergeben sich aus der Zuordnung als Ausländer zu der Gruppe der russischen Staatsangehörigen bzw. der ehemaligen Sowjetunion.

-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------Projekt Jüdische Zuwanderer. Zuwanderer aus Russland und den GUS-Staaten. Projektbearbeitung Dr. Sonja Haug, Mitarbeit: Michael Wolf, Dr. Peter Schimany, Barbara Wentzel. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. 2005. Vorstudie zu Jüdische Zuwanderer in Deutschland, im Wesentlichen identische Aussagen.

116


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Einige zusätzliche Orientierungswerte aus früheren Forschungsprojekten sind: •

51% Akademiker; 46% nicht erwerbstätig (Gruber/Rüßler 2002: Hochqualifiziert und arbeitslos)

73% mit Hochschulabschluss; Arbeitslosenquote von 60 % bis 70 % (Schoeps/Jasper/Voigt 1999: Ein neues Judentum in Deutschland?)

68% Akademiker; 13% regulär erwerbstätig (Kessler 1997/2003: Jüdische Migration aus der ehemaligen Sowjetunion seit 1990).

--------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Verbraucherinformation als Instrument der Verbraucherpolitik. Konzeptpapier des wissenschaftlichen Beirats „Verbraucher- und Ernährungspolitik“ beim BMVEL. Hauptautorin: Ursula Hansen. Hannover / Berlin, September 2003. (gekürzt)

1. Verbraucherinformation ist ein Instrument der staatlichen Verbraucherpolitik neben Verbraucherschutz, Verbraucherbildung und Verbraucherorganisierung und –vertretung. -

produktbegleitende Informationen,

-

mediengestützte Informationen

-

persönliche Beratung.

2. Staatliche Verbraucherinformationspolitik fördert eine dezidiert anbieterunabhängige Information und Beratung.

3. Definition dessen, was inhaltlich als Konsum bzw. Verbrauch aufgefasst wird: alle am Markt in Anspruch genommenen Güter und Dienstleistungen.

4. Überschneidungen zu den anderen Instrumenten der Verbraucherpolitik: Verbraucherbildung, Verbraucherschutz, Verbraucherorganisierung.

5. Begriff des „Verbrauchers“, der sich fest etabliert hat, aber wenig zutreffend ist. Im Marketing wird für den gleichen Sachverhalt der Begriff des Konsumenten und des Konsumierens verwendet, und auch international spricht man von „consumer“.

6. Die Vielfalt der Verbraucherinformationen kann durch drei verschiedene Typen strukturiert werden: - Staatliche Beeinflussung und Unterstützung der Anbieterinformation, - Informationen durch verbraucherpolitische und staatliche Institutionen, 117


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

- Nützliche Informationen für den Verbraucher von dritter Seite.

7. Mit den drei Typen der Verbraucherinformation verbinden sich verschiedene Akteure. Akteure sind die Anbieter, die Verbraucherorganisationen und NGO`s mit ihrem Angebot an Verbraucherinformationen. Eine zunehmend wichtige Akteursgruppe sind die „information-broker“ oder Informationsvermittler, die entgeltlich einen Beitrag zur Markttransparenz leisten, indem sie qualitäts- und preisvergleichende Informationen zur Verfügung stellen. Diese Akteursgruppe ist durch das Medium der Internetkommunikation wesentlich bedeutungsvoller geworden. Schließlich bilden auch die individuellen Verbraucher eine Akteursgruppe. Sie sind zum einen die Nachfrager von Informationen, wobei die Kenntnis ihres Nachfrageverhaltens wichtig für den Erfolg der Verbraucherinformation ist. Zum anderen sind sie selber Sender von Informationen.

8. Den Kernbereich der Verbraucherinformationspolitik bilden Informationen über Produkte und Dienstleistungen, die marktvermittelt angeboten werden. Die zentrale Frage der Verbraucherinformation stellt sich in diesem Bereich hinsichtlich der Auswahl bedürfnisrelevanter Informationen. Diese betreffen die Sicherstellung von gesundheitlichen, sicherheitsorientierten und ökonomischen Interessen des Verbrauchers.

9. Finanzierung der Verbraucherinformation durch die Verbraucher selbst. Verbraucherinformation sollte dort von Verbrauchern selbst bezahlt werden, wo sie ihren Markt findet, das heißt wo für Informationen Preise erzielbar sind. Allerdings stößt diese Finanzierungsoption an praktische Grenzen. So besitzt die Verbraucherinformation oft den Charakter eines öffentlichen Gutes, von dessen Nutzung niemand ausgeschlossen werden kann.

--------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Perspektiven des Zusammenlebens: Die Integration türkischstämmiger Migrantinnen und Migranten in Nordrhein-Westfalen. Ergebnisse der achten Mehrthemenbefragung. Stiftung Zentrum für Türkeistudien. Eine Analyse im Auftrag des Ministeriums für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen. Bericht: Dr. Martina Sauer. Essen, März 2007. http://kunde6.juli.bimetal.de/UserFiles/File/NRW-Bericht%202006.pdf

[Übersicht der Ergebnisse gekürzt] Die jährliche Befragung der Stiftung Zentrum für Türkeistudien erhebt Auskünfte über das subjektive Empfinden und das Stimmungsbild unter den 937.000 türkischstämmigen Migranten in Nordrhein-Westfalen. 118


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Soziodemographische Merkmale und Religiosität der Migranten • Die soziodemographischen Merkmale der türkischen Bevölkerung unterscheiden sich deutlich von denen der deutschen Bevölkerung und haben sich im Zeitvergleich seit 1999 nur wenig verändert. • Das Durchschnittsalter der volljährigen Befragten liegt bei 39 Jahren und ist aufgrund von Geburtenüberschuss und Ehegattennachzug relativ stabil. • Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer liegt bei 24 Jahren, zwei Drittel der Befragten leben inzwischen 20 Jahre und länger in Deutschland. • Nur noch 13% der Migranten sind ehemalige Gastarbeiter, ein Drittel sind nachgereiste Ehepartner, knapp ein Viertel ist bereits hier geboren und ein gutes weiteres Viertel reiste als Kind nach. • Insgesamt sind 21% der erwachsenen türkischstämmigen Migranten der ersten Generation zuzurechnen, 48% können als Nachfolgegeneration bezeichnet werden (in Deutschland geboren oder aufgewachsen). Gut ein Viertel (28%) sind Heiratsmigranten der Nachfolgegeneration. • Die familiäre Einbindung ist stark ausgeprägt und stabil: 80% der Befragten sind verheiratet und haben dann auch Kinder, im Durchschnitt aller Befragten 2,1. • Die Religiosität, bei der im Jahr 2003 eine deutliche Zunahme festgestellt wurde, hat 2006 wieder leicht abgenommen. In den jüngeren Gruppen ist die Religiosität im Vergleich zum Vorjahr leicht gestiegen, in allen anderen Gruppen hat sie leicht abgenommen. Frauen definieren sich häufiger religiös als Männer.

Wirtschaftliche und soziale Situation • Die wirtschaftliche und soziale Situation der Migranten ist im Vergleich zur deutschen Bevölkerung nach wie vor defizitär. • Fast die Hälfte der erwachsenen Migranten (46%) hat inzwischen das Schulsystem in Deutschland durchlaufen, unter den Migranten zwischen 18 und 30 Jahren sind es drei Viertel. • Auch das Niveau der Schulabschlüsse differiert deutlich nach Altersgruppen: In der ältesten Gruppe weisen mehr als die Hälfte (55%) keinen Schulabschluss auf, 20% haben einen mittleren Abschluss, aber immerhin auch 25% ein hohes Bildungsniveau erreicht. In der jüngsten Gruppe verfügen 11% über einen Hauptschulabschluss, 22% über einen Realschulabschluss und 18% über das Abitur. • Die Hälfte der Migranten verfügt nicht über eine berufliche Ausbildung.

119


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

• In den jüngeren Altersgruppen ist der Anteil mit qualifizierten Schul- und Berufsabschlüssen zwar deutlich höher als unter den älteren Migrantinnen und Migranten, aber geringer als unter Deutschen, auch wenn er langsam steigt. • Insgesamt stufen die Migranten ihre Deutschkenntnisse zur Hälfte als gut ein, unter den Unter-30-Jährigen sind es fast drei Viertel. • Der Anteil der erwerbstätigen Migranten sinkt im Zeitvergleich, der Anteil der Arbeitslosen nimmt allerdings leicht ab, der der Rentner nimmt hingegen zu. Knapp die Hälfte der Befragten geht einer Erwerbstätigkeit nach. • Unter den Migranten finden sich sehr viel mehr an- und ungelernte Arbeiter und sehr viel weniger Angestellte als in der deutschen Bevölkerung, wobei sich hier ebenfalls Verschiebungen in den jüngeren Altersgruppen zeigen, die seltener als Arbeiter und häufiger als Angestellte tätig sind. • Das Haushaltseinkommen der türkischen Familien ist entsprechend der sinkenden Erwerbstätigkeit im gesamten Zeitverlauf rückläufig, auch wenn 2006 eine leichte Zunahme auf jetzt 1.884,- Euro monatlichem Nettohaushaltseinkommen festzustellen ist. Es ist nach wie vor deutlich geringer als das deutscher Haushalte, und dies bei einer fast doppelt so hohen Anzahl der Personen in den Haushalten. • Auch in der Wohnsituation zeigen sich Unterschiede zur deutschen Bevölkerung. Derzeit leben 62% der Migranten in Mietwohnungen, 13 % haben eine Eigentumswohnung und 19% ein eigenes Haus.

Kulturelle Identität • Die kulturelle Identität ist für die Migranten zwiespältig: 60% planen derzeit nicht mehr, in die Türkei zurückzukehren. Zugleich nimmt das Verbundenheitsgefühl mit Deutschland jedoch leicht ab, auch wenn eine Mehrheit von 52% Deutschland zumindest auch als Heimat sieht. • Die Verbundenheit mit Deutschland ist unter den in Deutschland geborenen oder aufgewachsenen Migranten deutlich höher als unter den als Erwachsene Eingereisten. Zugleich nimmt die Verbundenheit mit der Türkei leicht ab. Festzustellen ist eine Zunahme bei denjenigen, die sich keinem der beiden Länder verbunden fühlen, immerhin 10% empfinden eine gewisse Heimatlosigkeit, die die Gefahr der kulturellen Marginalisierung und Entwurzelung in sich birgt. • Bei Unzufriedenheit, Sorge um den Arbeitsplatz und schlechter sozialer Lage ist die Verbundenheit mit Deutschland tendenziell geringer und die Rückkehrabsicht höher. • Der Anteil der Eingebürgerten hat in der Vergangenheit stetig zugenommen. Inzwischen sind 37% der erwachsenen türkischstämmigen Migranten deutsche Staatsbürger, unter den Angehörigen der Nachfolgegeneration ist es sogar die Hälfte. 120


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

• Diejenigen, die sich nicht einbürgern möchten, nannten vor allem (56%) die emotionale Bindung an die türkische Staatsbürgerschaft als Grund für die Beibehaltung der türkischen Staatsbürgerschaft. Gesellschaftliche Integration • Mehr als 90% der Migranten haben mindestens in einem Bereich Kontakte zu Deutschen, in den verschiedenen Bereichen zwischen 38% (Familie) und 79% (Nachbarschaft). • Die Kontakte schwanken dabei erwartungsgemäß nach Alter, Bildung und Sprachkenntnissen, unter den jüngeren Migranten ist der Kontakt zu Deutschen selbstverständlich noch weiter verbreitet. • Darüber hinaus verfügt 40% der Migranten über relativ enge freundschaftliche Beziehungen zu Deutschen, unter jüngeren, gut gebildeten Zuwanderern mit guten Sprachkenntnissen sind es rund die Hälfte. • Mehr als zwei Drittel der Isolierten hat jedoch den Wunsch nach Kontakten zu Deutschen, ist also unfreiwillig beziehungslos. • Die Einbindung in gesellschaftliche Organisationen und Vereine zeigt ebenfalls keine Zunahme der gesellschaftlichen Abschottungstendenzen. 58% sind inzwischen Mitglieder in Vereinen oder Organisationen. • Zentrale deutsche Organisationen sind Sportvereine und Gewerkschaften; unter den türkischen Organisationen verfügen religiöse Gruppen, Kulturvereine und Sportvereine über die meisten Mitglieder. • Erschreckend hoch ist die Diskriminierungswahrnehmung. 73% der Migranten gaben an, einmal oder mehrmals diskriminiert worden zu sein. Insbesondere die Bereiche der ökonomischen Konkurrenz wie Arbeits- und Wohnungssuche sowie der Arbeitsplatz sind diskriminierungsintensiv. Politische Einstellungen und Mediennutzung • Das Interesse an deutscher Politik ist relativ stabil. Das Interesse an türkischer Politik ist nach wie vor stärker ausgeprägt. Das politische Interesse an beiden Ländern überlappt sich und ist generell eine Frage des Alters, des Geschlechts und der Bildung; das Interesse an deutscher Politik steht darüber hinaus mit der kulturellen Identität in Zusammenhang. • Nach wie vor bilden die wirtschaftlichen Bereiche Arbeitslosigkeit und Ausbildungsstellenmangel die zentralen Probleme für die Migrantinnen und Migranten. • Die Parteipräferenz der Migrantinnen und Migranten liegt mit einer steigenden Mehrheit von derzeit 73% bei der SPD. Damit driftet die Parteipräferenz zwischen Migranten und Deutschen noch weiter auseinander.

121


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

• 87% der Migranten nutzen sowohl deutsche als auch türkische Medien. Etwas zugenommen hat die alleinige Nutzung türkischer Medien. Wichtigste Medien sind hierbei das Fernsehen und die Zeitungen, die ebenfalls überwiegend komplementär genutzt werden.

Parallelgesellschaften in NRW? • Segregriert sind überdurchschnittlich ältere Migrantinnen und Migranten der ersten Generation sowie erst kurz in Deutschland lebende Heiratsmigranten. Migranten mit niedrigem Bildungsniveau und geringen Deutschkenntnissen sind unter den Segregierten ebenfalls überproportional vertreten.

Beurteilung der Integrationspolitik • Die Daten weisen auf ein Vermittlungsproblem bei der Integrationspolitik hin. Zugleich ist die Wahrnehmung des politischen und gesellschaftlichen Klimas gegenüber Zuwanderern sehr schlecht. Nicht einmal ein Fünftel halten das derzeitige Klima in Politik und Gesellschaft in Bezug auf Migranten für sehr oder eher gut. • Die Migranten sehen die Verantwortung für die Verbesserung der Integration zu mehr als 90% sowohl bei den Deutschen als auch bei den Zuwanderinnen und Zuwanderern selbst, zwei Drittel setzen sogar einen Schwerpunkt bei den Migranten als diejenigen, die sich stärker um die Integration bemühen müssen. Eine alleinige Verantwortung der Deutschen sieht ein Drittel. • Die Mehrheit akzeptiert Deutschkenntnisse als eine Bedingung für die Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft. Die Hälfte ist der Ansicht, es sei gerechtfertigt, von Neubürgern deutsche Sprachkenntnisse zu verlangen.

--------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Verkehrte Welt. Spätaussiedler mit höherer Bildung sind öfter arbeitslos. IAB Kurzbericht. Aktuelle Analysen aus dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit, Ausgabe Nr. 8 / 2.4.2007. http://doku.iab.de/kurzber/2007/kb0807.pdf Die Integration in den Arbeitsmarkt ist ein wichtiger Baustein für eine dauerhafte gesellschaftliche Integration. Sie gelingt Spätaussiedlern im Vergleich zu Ausländern und Deutschen weniger gut. Spätaussiedler sind viel stärker von Arbeitslosigkeit betroffen und seltener sozialversicherungspflichtig beschäftigt.

Unter den betrachteten Personengruppen – sozialversicherungspflichtig und geringfügig Beschäftigte sowie Arbeitslose – sind Spätaussiedler und Ausländer deutlich schlechter 122


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

qualifiziert: 36% bzw. 4% haben keine abgeschlossene Berufsausbildung. Bei Deutschen gilt dies für knapp 14%.

Das vertraute Bild, dass ein höherer Bildungsabschluss die Erwerbschancen verbessert, gilt für Spätaussiedler nur bedingt. Spätaussiedler mit akademischem Abschluss sind weniger gut in den Arbeitsmarkt integriert als solche mit oder ohne abgeschlossene Berufsausbildung.

Von den sozialversicherungspflichtig beschäftigten Spätaussiedlern sind fast drei Viertel als Nicht-Facharbeiter tätig und nur wenige als Angestellte. Unter letzteren sind aber durchaus anspruchsvolle Berufe wie Arzt, Techniker oder Ingenieur vertreten – also Berufe, bei denen Qualifikationen universell verwertbar sind.

Eine erfolgreiche Integration von Spätaussiedlern auf dem Arbeitsmarkt bildet die Grundlage für eine dauerhafte gesellschaftliche Integration. Einerseits dient sie der Sicherung des eigenen Lebensunterhalts und der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Andererseits erhöht sie auch die Akzeptanz dieser Migranten in der Mehrheitsgesellschaft. Wie die Analyse zeigt, ist aber den Spätaussiedlern die Integration in den Arbeitsmarkt in der jüngsten Vergangenheit vergleichsweise weniger gut gelungen. Lediglich die Hälfte der in der „Integrierten Erwerbsbiografie“ erfassten Spätaussiedler geht einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach, während es bei den Deutschen 77% und bei den Ausländern 67% sind. Spiegelbildlich sind Spätaussiedler deutlich stärker von Arbeitslosigkeit betroffen. Trotz eines geringen Rückgangs war auch 2004 noch mehr als jeder dritte Spätaussiedler arbeitslos.

Für die Vergleichsgruppen der Deutschen und Ausländer lässt sich im Betrachtungszeitraum zwar ein leichter Anstieg der Arbeitslosigkeit beobachten, allerdings auf deutlich niedrigerem Niveau. Bei den am Arbeitsmarkt verwertbaren Qualifikationen weisen sowohl Spätaussiedler als auch Ausländer große Defizite auf. So haben sie deutlich häufiger als Deutsche keine abgeschlossene Berufsausbildung vorzuweisen. Gerade bei diesen beiden Gruppen würde vor allem eine abgeschlossene Berufsausbildung die Erwerbschancen verbessern. Spätaussiedler mit einem Ausbildungsabschluss finden nämlich eher eine Anstellung als die Akademiker unter ihnen. Diese sind sogar häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen als Spätaussiedler ohne Berufsausbildung – verkehrte Welt!

Schuld daran dürften u.a. die Probleme beim Transfer ihrer ausländischen Abschlüsse sein (vgl. Konietzka/Kreyenfeld 2001) sowie die oft unzureichenden Deutschkenntnisse. Außer-

123


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

dem könnten tatsächliche oder vermutete Unterschiede zwischen den Arbeitsplatzanforderungen in Deutschland und den mitgebrachten Qualifikationen eine Rolle spielen.

Einen weiteren Hinweis auf die mangelnde Verwertbarkeit der Bildungsabschlüsse liefert ein Vergleich der Stellung im Beruf: Sieben von zehn Spätaussiedlern werden als NichtFacharbeiter beschäftigt, bei den Spätaussiedlerinnen sind es 64%. Dementsprechend taucht als häufigster Beruf bei den Spätaussiedlern der „Hilfsarbeiter ohne nähere Tätigkeitsangabe“ auf. Sind Spätaussiedler hingegen als Angestellte beschäftigt, so sind auch Ärzte, Techniker oder Ingenieure unter den zehn häufigsten Berufen zu finden. Insgesamt verdeutlichen diese Ergebnisse eine eher mangelhafte Arbeitsmarktintegration der Spätaussiedler, die in vielerlei Hinsicht sogar schlechter verläuft als die der Ausländer.

124


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

13.1.3 Mediennutzung von Migranten Ein prominenter Aspekt der Erreichbarkeit der Zielgruppe ist ihr Medienverhalten. Aber auch in diesem Punkte war bisher das öffentliche Interesse sehr gering entwickelt. Nicht nur die allgemeine statistische Erfassung, auch das Konsumverhalten und das Medienverhalten blieben ausgeblendet. Das Thema Einwanderung blieb bis vor Kurzem in fast allen Aspekten ohne wissenschaftliche Resonanz, sogar dann, wenn es um ökonomisch relevante Informationen ging. Dieses Syndrom ist im Begriff, sich aufzulösen. Deshalb entsteht auch die kuriose Situation, dass die verschiedenen Aspekte der Migrationssituation fast gleichzeitig untersucht werden und ein aufeinander Aufbauen nur in begrenztem Umfange möglich ist.

Die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK), die im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF) die Einschaltquoten der Fernsehsender erhebt, lehnt die Erfassung der in Deutschland lebenden Nationalitäten bis heute ab.

„Wer sich ein Bild über die Mediennutzung von Ausländern und Migranten in Deutschland machen will, muss mangels GfK-Ergebnissen auf andere Forschungsergebnisse zurückgreifen. Sie sind nicht sehr zahlreich. Eine führende Rolle bei der Untersuchung der türkischen Bevölkerungsgruppe etwa spielt das Essener Zentrum für Türkeistudien. Es stellte 2004 fest, dass 94% der türkischen Bevölkerung in Deutschland Medien beider Sprachen parallel nutzen. Nur 3,5% nutzen ausschließlich türkischsprachige Medien; 2% nur deutschsprachige Medien. Relevante Werte bei der ausschließlichen Nutzung türkischer Medien wurden bei den über 60-Jährigen mit 13,8% und bei denjenigen ohne Schulabschluss mit 11,2% erreicht. [...] Bild hat im Übrigen mit 30% bei den Türkinnen und Türken die höchste Reichweite der deutschen Zeitungen vor den jeweiligen Regionalzeitungen (19%). Die höchste Verkaufsauflage aller fremdsprachigen Zeitungen hat aber vermutlich Russkij, eine Zeitung, die von Russlanddeutschen und russischen Juden gelesen wird. Das weist bereits auf die größte der Integrationsforschungslücken hin: die Einwanderer aus Russland und den ehemaligen Sowjetrepubliken. [...] Über sie weiß die deutsche Integrationsforschung aber fast nichts. Sie werden kaum untersucht, denn sie sind ja Deutsche.“ 81 Vergleichbare Informationen erhält man auch über türkische Migranten. 82 Das fehlende Interesse gegenüber der Mediennutzung von Einwanderern und Migranten passt in das allgemein vermittelte Bild: dass nämlich bislang kein Interesse der deutschen Gesellschaft an der Einwanderung nach Deutschland und mithin auch an Informationen über 81

Martin Böttger, Wer schaut was. Mediennutzung unter Migranten. Freitag 44, 03.11.2006. http://www.freitag.de/2006/44/06441201.php 82 Claudia Keller, Zielgruppe Türken. Die neue Pflege des türkischen Publikums http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/archiv/04.11.2000/ak-wi-un-15229.html

125


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

die Migranten bestand. Die Bevölkerungsstatistik zeigt das (s.o. Statistisches Bundesamt, Statistische Landesämter), ebenso fehlen Untersuchungen zum Integrationsverhalten von Migranten und zum Medienverhalten. Erst in allerletzter Zeit gibt es in dieser Hinsicht ein Umdenken: Änderung der Statistikkategorien, Mikrozensus, ARD/ZDF-Studie zum Medienverhalten (die vorliegende Expertise zum Verbraucherverhalten gehört auch mit dazu).

Trotz des Fehlens von Studien oder Untersuchungen über Migration und Migrantenverhalten im Auftrag oder auf Anregung von offizieller deutscher Seite gibt es natürlich schon seit längerem für rein werbliche oder sonstige wirtschaftliche Interessen zielgerichtete Datenerhebungen, die hauptsächlich in der Entwicklung eines Ethno-Marketing begründet sind. Das Interesse kommt hier hauptsächlich von Unternehmern und Marketingleuten aus Migrantenkreisen. Die deutsche Werbewirtschaft hat Berührungsprobleme, obwohl es sich inzwischen um einen Geschäftsbereich mit potenziell sehr hohen Umsätzen handelt. Trotzdem ist zum Beispiel der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft gegenüber dem Begriff „EthnoMarketing“ äußerst reserviert. 83

In den von Ethno-Marketing-Firmen durchgeführten Mediaanalysen wird behauptet, es gäbe einen grundsätzlichen Unterschied in der Mediennutzung zwischen den türkischstämmigen Migranten und den russischsprachigen: letztere bewerteten traditionell das geschriebene Wort sehr hoch, deshalb seien die Printmedien die bevorzugte Informationsquelle, während bei den Türken das Fernsehen mit weitem Abstand das Hauptmedium sei.

Die weiter oben angeführten Studien zu Lebenswelten der Deutschtürken vom Jahre 2002 und die Mehrthemenbefragung der Stiftung Zentrum für Türkeistudien für NordrheinWestfalen bestätigen diese Angaben indirekt in ihren Aussagen über das Medienverhalten der türkischen Migranten, obwohl keine direkten Vergleiche mit russischen Migrantengruppen angestellt werden. 84

In der oben schon genannten Untersuchung der Bundeszentrale für politische Bildung zum Thema „Politische Bildung für Migranten“ werden Printmedien, auch Flugblätter, sofern sie nicht in infrastrukturellem Zusammenhang verteilt werden, auch online-Informationen etc. als ungeeignet für die Motivierung von Migranten bezeichnet. Einschränkend muss dazu aber noch einmal erwähnt werden, dass diese Untersuchung die Voraussetzungen für politische Bildung und nicht für Verbraucherberatung analysiert, was insofern relevant ist, weil das Inte83

Siehe zum Beispiel Hasnain Kazim, Marketing. Deutsche Firmen werben an Minderheiten vorbei. Spiegel Online, 06. Juni 2006. http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,419477,00.html, siehe ferner: http://www.inprom.com/de/ethno-marketing_de.htm sowie http://www.wernermedia.de/pdfs/Preisliste_Mediadaten_2007.pdf 84 Lebenswelten Deutschtürken 2002 a.a.O. und Mehrthemenbefragung NRW a.a.O.

126


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

resse an politischer Bildung sehr viel schwerer zu motivieren ist als das an Verbraucherberatung, die einen stärkeren persönlichen Bezug hat.

Die Untersuchungen über die Mediennutzung der verschiedenen Migrantengruppen sagen allerdings nur etwas über die Erreichbarkeit aus und nichts über einen möglichen Werbeerfolg. Zudem dürfte es nicht unproblematisch sein, Auskünfte über die Werbewirkung auf Kommunikationsabläufe bei der Verbraucherinformation zu übertragen, weil in diesem Bereich Wirkungen besonders schwer zu messen sind. Gerade deshalb sollte diese Fragestellung jedoch in die qualitativen Befragungen der vorliegenden Expertise einbezogen werden.

Die großen Konzerne im Konsumbereich haben natürlich inzwischen auch schon die Migranten als eine potente Zielgruppe entdeckt und versuchen, ihre Produkte und ihre Werbung auf diese Zielgruppe auszurichten: sei es durch die Angebote an türkischen oder russischen Lebensmitteln in Supermärkten in den Stadtteilen mit entsprechenden Communities oder durch Einspielung spezieller Werbeinseln für die türkischen Zuschauer in Deutschland bei der Übertragung türkischer TV Programme. 85

Die Aussage einiger der oben genannten Darstellungen bezieht sich auf die Mehrthemenbefragung der Stiftung Zentrum für Türkeistudien, die seit 1999 jährlich für Nordrhein-Westfalen durchgeführt wird. Diese Untersuchungen liegen aktualisiert für 2006 vor, beziehen sich aber eben nur auf Nordrhein-Westfalen, obwohl die Grundtendenz der Erhebung (wenn auch nicht im streng empirischen Sinne) durchaus auch für die Situation in ganz Deutschland gelten kann. Danach sind nur geringfügige Veränderungen im Zeitvergleich zu früheren Ergebnissen festzustellen: 86 87% der türkischen Migranten nutzten sowohl deutsche als auch türkische Medien. 9% nutzten nur türkische und 4% nur deutsche Medien. Allerdings nehme die alleinige Nutzung sowohl türkischer als auch deutscher Medien zu. Wichtigste Medien seien Fernsehen und Tageszeitungen, die ebenfalls mehrheitlich komplementär genutzt würden.

Die Studie des Zentrums für Türkeistudien (ZfT) von 2007 macht im Einzelnen folgende Angaben: „Fast alle Migrantinnen und Migranten informieren sich über türkische Medien (96 %), aber fast ebenso viele über deutsche (90%). Dabei nutzt die weit überwiegende Mehrheit von 87% der türkischstämmigen Migrantinnen und Migranten sowohl deutsche als auch türkische Medien. 9% nutzen nur türkische, inzwischen aber auch 4% nur deutsche Medien.“ 85

86

siehe auch Hasnain Kazim, Marketing. Deutsche Firmen werben an Minderheiten vorbei. Spiegel Online, a.a.O. s.o. Martin Böttger, a.a.O.

127


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

„Die wichtigste Rolle unter den Medien nimmt selbstverständlich das Fernsehen ein, und zwar gleichermaßen das deutsche wie das türkische. 86% nutzen das deutsche und 90% das türkische Fernsehen zur Information. Das Radio wird eher in Deutsch als in Türkisch genutzt, wobei es generell bei der Informationsvermittlung nur eine untergeordnete Rolle spielt (16% bzw. 9%). Neben dem Fernsehen sind vor allem Tageszeitungen die zentralen Medien, die zur Informationsgewinnung verwendet werden. Hierbei liegen die türkischen Tageszeitungen mit 65% jedoch vor den deutschen, die von 46% der Migrantinnen und Migranten gelesen werden.“

„Regionale Tageszeitungen sind diejenigen Zeitungen, die am häufigsten gelesen werden: 27% aller Migrantinnen und Migranten lesen diese Zeitungen. Ihnen folgt die Bild-Zeitung, die ein Viertel aller Migrantinnen und Migranten nutzt. Überregionale Tageszeitungen werden nur noch von wenigen gelesen, darunter vor allem die Frankfurter Allgemeine Zeitung (4%). [...] Unter den türkischen Zeitungen ist Hürriyet mit einem Leseranteil von 61% aller türkischstämmigen Befragten mit großem Abstand die meistgelesene Zeitung. Ihr folgt mit 14% Milliyet.“

„Auf die Frage, welche deutschen Fernsehsender sie meistens sehen, nannten die türkischstämmigen Befragten am häufigsten RTL (48%) und ProSieben (40%), gefolgt von Sat 1 (28%). ARD wird von 25% und ZDF von 22% der Migrantinnen und Migranten gesehen. [...] Zum Vergleich: Nach einer Untersuchung des Allensbacher Instituts für Demoskopie erreichen insgesamt ARD und ZDF in Deutschland mit 63% bzw. 53% die meisten Seher pro Tag. RTL sehen 42% und Sat1 33% der Menschen in Deutschland.“

Gefragt nach den türkischen Fernsehsendern, die meistens gesehen werden, nannten die Befragten am häufigsten mit 57% ATV, einen der großen privaten Sender der Türkei, gefolgt von Kanal D mit 52%. Kanal D zählt ebenfalls zu den großen privaten Sendern und gehört zur Dogan-Mediengruppe, die auch Hürriyet und Milliyet, die beiden großen Tageszeitungen, herausgibt. Ihnen folgt Star TV mit 37% und Show TV mit 36%. Der staatliche Sender TRT liegt an fünfter Stelle mit 29%, [...].“

„Deutsche und türkische Medien werden von den türkischstämmigen Migrantinnen und Migranten zumeist komplementär genutzt. Der Konsum deutscher Medien ist in den Nachfolgegenerationen häufiger, dies geht aber nur zu einem geringen Teil zu

128


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Lasten der Nutzung türkischer Medien. Sie tragen dem erweiterten Informations- und Artikulationsbedürfnis auch der zweiten Generation Rechnung.“

Eines der wichtigen Ergebnisse der Untersuchung in Nordrhein-Westfalen zur Wirkung hinsichtlich der Integration von türkischen Migranten ist, dass die Nutzung türkischer Medien in der Literatur hinsichtlich ihrer Wirkung auf die Integration ambivalent beurteilt werde: Zum einen könnten diese Medien ein Defizit ausgleichen, das in den deutschen Medien hinsichtlich der Interessen und Belange der Migrantinnen und Migranten bestehe. Zum anderen könne diese Entwicklung aber auch eine mediale Segregation verursachen, insbesondere dann, wenn fast ausschließlich türkische Medien konsumiert würden. Besonders bei den türkischstämmigen Migrantinnen und Migranten bestehe aufgrund des großen Angebots an heimatsprachigen Medien die Gefahr einer massenmedialen Isolation. Der Integration sei diese Entwicklung zweifellos abträglich. 87 Leider erfassen die Untersuchungen des Zentrums für Türkeistudien (ZfT) nur die Situation türkischer Migranten und sind begrenzt auf Nordrhein-Westfalen, das zwar das bevölkerungsreichste Bundesland Deutschlands ist und deshalb Analogien für das gesamte Bundesgebiet nicht gänzlich ausschließt. Trotzdem ist die Emnid-Untersuchung im Auftrag von ARD und ZDF, die im Juni 2007 veröffentlicht wurde, in Anbetracht der wenig ergiebigen bzw. der regional begrenzten Statistiken und Analysen zu Migration und Migrantenverhalten die erste für ganz Deutschland repräsentative Untersuchung zum Thema, die auch für die vorliegende Expertise wichtig ist.

Die Durchführung dieser bundesweiten Repräsentativbefragung durch ARD und ZDF hatte das Ziel, „die Bedeutung deutscher und ausländischer Medien im Medienbudget der wichtigsten Migrantengruppen sowie die Erwartungshaltung an die einzelnen Medien zu untersuchen. Im Rahmen der Studie werden Vertreter der fünf größten Migrantengruppen (Türken, Italiener, Griechen, Mitbürger aus dem ehemaligen Jugoslawien und Polen) befragt. Da in Deutschland mit insgesamt 8,0 Millionen mehr Personen mit deutscher Staatsbürgerschaft mit Migrationshintergrund als Ausländer mit 7,3 Millionen leben, werden sowohl Deutsche mit Migrationshintergrund als auch Ausländer aus den genannten Nationen befragt. Ferner wird die Gruppe der Spätaussiedler in der Befragung berücksichtigt.“ 88

87

Siehe oben Stiftung Zentrum für Türkeistudien. Mehrthemenbefragung. Essen, März 2007. Zur Mediennutzung siehe insbesondere S. 169 ff. http://www.zft-online.de/UserFiles/File/NRW-Bericht%202006.pdf 88 Markus Schächter, Die Darstellung von Migration und Integration in den ZDF-Programmen: Status quo und Perspektiven, 4.3. Forschung, zitiert unter: http://unternehmen.zdf.de/fileadmin/files/Download_Dokumente/DD_Das_ZDF/Migrationsbroschuere.pdf

129


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Die Ergebnisse dieser Repräsentativbefragung wurden am 5. Juni 2007 in Mainz auf einer Tagung der ARD/ZDF-Medienkommission zum Thema „Migranten und Medien" vorgelegt, die sich mit dem Mediennutzungsverhalten von Migrantinnen und Migranten sowie strategischen Initiativen und Maßnahmen zur Integration von Zuwanderern beschäftigte. Dazu haben ARD und ZDF mit Unterstützung der Hertie-Stiftung eine Grundlagenstudie zur Mediennutzung von Migranten erarbeiten lassen. Die Studie hat erstmals bundesweit repräsentativ den Stellenwert deutscher und heimatsprachiger Medien bei in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund ermittelt: Erwartungshaltungen gegenüber den Medien Fernsehen, Hörfunk, Presse und Internet, deren Nutzung generell und im Tagesverlauf sowie inhaltliche Interessen und thematische Vorlieben.

TNS Emnid hat hierzu 3010 Personen der sechs großen Migrantengruppen der Türken, Griechen, Italiener, Polen, Migranten aus dem ehemaligen Jugoslawien sowie Spätaussiedler aus Russland befragt. Mit dieser Studie gibt es nun erstmals zitierfähige Zahlenangaben zum Medienverhalten von Migranten. 89

Zu den Studienergebnissen im einzelnen siehe: „Migranten und Medien 2007. Ergebnisse einer repräsentativen Studie der ARD/ZDF-Medienkommission“. ARD, ZDF 2007. 90

In der folgenden Tabelle wird ein Vergleich angestellt zwischen den unterschiedlichen Zahlenangaben der verschiedenen Untersuchungen über Migranten allgemein, Ausländer und Personen mit Migrationshintergrund in Deutschland. Der Vergleich zeigt einige Ungereimtheiten. Die Unterschiede zwischen der ARD/ZDF-Studie und den Zahlen des Mikrozensus sind aus der Tatsache zu erklären, dass die ARD/ZDF-Studie nur Personen über 14 Jahren erfasst. Andererseits sind trotzdem die entsprechenden Zahlenwerte für Spätaussiedler nahe beieinander. Die Zahlenangaben der kommerziellen Agenturen liegen durchweg höher, vor allem bei den Angaben über russischsprachige Migranten, wohl um das Bild der Reichweite gegenüber dieser Bevölkerungsgruppe (also der Geschäftsgrundlage der kommerziellen Agenturen) in ein günstiges Licht zu rücken.

89

Allerdings sind auch die allgemeinen Zahlenangaben dieser Studie zur Bevölkerungsstruktur von Personen mit Migrationshintergrund nur eingeschränkt mit den bereits oben zitierten Angaben anderer Untersuchungen vergleichbar, weil nur die großen Ethnien (Türkei, Ex-Jugoslawien, Polen, Italien, Griechenland) befragt wurden. Zudem wurden von den Migranten aus der ehemaligen Sowjetunion nur die Spätaussiedler einbezogen, andere Migranten aus der ehemaligen Sowjetunion, die nach den oben genannten Quellen quantitativ nicht unerheblich sind, wurden somit nicht berücksichtigt. Und von dieser Grundgesamtheit der befragten Ethnien wurden nur Personen über 14 Jahren befragt (= 60%).

90

http://www.unternehmen.zdf.de/fileadmin/files/Download_Dokumente/DD_Das_ZDF/Veranstaltungsdokumente/Mi granten_und_Medien_2007_-_Handout_neu.pdf

130


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Vergleichende Statistik (Zahlenangaben in Mio) 1 Mikro 2005 Migr. ges. dt. mit MH Ausländer UdSSR ges 91-04 Spätaussiedler

2 BAMF 2005

15,3 8,0 7,3

3 ARD/ZDF 2007

4 Spiegel 2006

6 Werner 2004

6,52 3,3 3,23

1,5

Türkei ges. dt. mit MH Türken

7 IM Marketing 15,3

2,4 1,8

5 Inprom 2005

4

4,2

3,2

2,6

2,7

1,57 2,08 0,64 1,44

3

1,7

1=Statist. Bundesamt Mikrozensus 2005; 2=BAMF Migrationsbericht 2005; 3=Migranten und Medien 2007, ARD/ZDF; 4=Spiegel Online s.o.; 5=Inprom 2005 s.o.; 6=Werner Media 2004 s.o.; 7=IM Marketing s.o.

Für die vorliegende Studie sind vor allem die Untersuchungsergebnisse der ARD/ZDF-Studie über das Medienverhalten, und da wiederum das Verhalten der sog. Spätaussiedler (ehem. UdSSR) und der Bevölkerung mit türkischem Migrationshintergrund von besonderem Interesse. Unter dem Aspekt der Erreichbarkeit der beiden Migrantengruppen sind nicht so sehr die absoluten Zahlen aussagekräftig, sondern vielmehr und vor allem die relativen Unterschiede in der Mediennutzung.

Die allgemeinen Ergebnisse der ARD/ZDF-Studie sind: •

Es ist keine ausgeprägte mediale Parallelgesellschaft zu erkennen.

Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen der Nutzung deutscher Medien und guten Sprachkenntnissen der Migranten. Barrieren sind speziell bei älteren Migranten festzustellen, aber auch bei einzelnen ethnischen Gruppen.

Die Bedeutung heimatsprachiger Medien ist für die einzelnen Migrantengruppen sehr unterschiedlich.

Fernsehen ist das Leitmedium für Migranten. Es wird relativ stark als Unterhaltungsmedium genutzt (Spielfilme, Serien). Daneben spielen heimatsprachige Angebote eine große Rolle.

Das Radio hat einen deutlich geringeren Stellenwert als bei Deutschen.

40% der Migranten lesen regelmäßig Tageszeitungen, deutschsprachige sogar häufiger als heimatsprachige. Türkische Migranten nutzen am stärksten heimatsprachige Tageszeitungen.

131


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Betrachtet man allerdings die als Schwerpunkt für diese Studie vorgegebenen Migrantengruppen der Türken und der Spätaussiedler, so sind deutliche Unterschiede zu erkennen. Diese beiden Migrantengruppen unterscheiden sich sogar in ihrer Medienpräferenz sehr deutlich voneinander. Darin wird die schon weiter oben zitierte Information über ein grundsätzlich anderes Medienverhalten bei den türkischstämmigen Migranten und den russischsprachigen bestätigt, wonach letztere traditionell das geschriebene Wort sehr hoch bewerteten und deshalb die Printmedien bevorzugten, während bei den Türken das Fernsehen mit weitem Abstand das Hauptmedium sei. 91 Deutlicher als diese Unterscheidung sind jedoch die unterschiedlichen Präferenzen dieser beiden Migrantengruppen gegenüber dem Fernsehen. Während die russischsprachigen Migranten hauptsächlich deutsche Fernsehprogramme nutzen, dabei vor allem die Privatsender, sind die Türken diejenige Migrantengruppe, die am stärksten von allen auf heimatsprachige Fernsehprogramme fixiert ist. Unter den deutschen Programmen sind es dann auch wieder vor allem die Privatsender, was mit der starken Bevorzugung von Unterhaltungsprogrammen bei allen Migrantengruppen korreliert. Die Unterschiede mögen allerdings auch mit den Empfangsmöglichkeiten heimatsprachiger Fernsehsender zusammenhängen. Für die unterschiedliche Nutzung von Printmedien gilt das nicht, dafür muss es andere Gründe geben, zum Beispiel die erwähnte unterschiedliche Lesekultur.

Mediennutzung (Fernsehen, Printmedien) Türk. Migranten 1 2

Spätaussiedler 1 2

Fernsehen deutsch heimatsprachig

56% 64%

17% 10%

80% 23%

14% 24%

Printmedien deutsch heimatsprachig

29% 14%

36% 24%

37% 2%

45% 24%

1 = Stammnutzer, 2 = Gelegenheitsnutzer Quelle: ARD/ZDF-Studie, Zahlenwerte aus anderen Tabellen herausgezogen.

Von den Migranten werden kommerzielle Fernsehsender favorisiert, die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender spielen eine deutlich geringere Rolle. Auf die russischsprachigen Migranten (Spätaussiedler) trifft das in gleicher Weise zu. Völlig anders ist der Fernsehkonsum bei türkischsprachigen Migranten. Auf den ersten Rängen sind türkischsprachige TV-Sender zu finden, erst danach folgen deutsche kommerzielle Sender, und noch weiter zurückgesetzt folgen die deutschen öffentlich-rechtlichen Sender auf Rang 10 und 11. Migranten mit türkischem Migrationshintergrund können auf ein breites kostenfreies heimatsprachiges TV91

Siehe a.a.O. Hasnain Kazim.

132


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Angebot zurückgreifen (das trifft auch auf das italienische Angebot zu), während andere Migranten, auch die Spätaussiedler ein solches Angebot nicht vorfinden.

Beliebtheit von Fernsehsendern (Stamm- und Gelegenheitsrezipienten) Migranten allg. 1. RTL 2. Pro 7 3. Sat.1 4. VOX 5. RTL.2 6. ARD 1 7. ZDF 8. Kabel 1 9. Super RTL 10. ARD 3

Spätaussiedler 79% 76% 70% 65% 62% 59% 58% 56% 41% 41%

1. Pro 7 2. RTL 3. RTL.2 4. Sat.1 5. VOX 6. ARD 1 7. ZDF 8. Kabel 1 9. Super RTL 10. ARD 3

türkische Migranten 88% 88% 76% 76% 73% 65% 63% 63% 47% 44%

1. EuroD/Kanal D* 2. ATV* 3. Show TV* 4. Pro 7 5. RTL 6. TG RT* 7. Sat.1 8. RTL.2 9. TRT* 10. ARD 1

77% 71% 68% 64% 63% 61% 56% 53% 50% 46%

* = türkischsprachige Fernsehsender Quelle: ARD/ZDF-Studie, Zahlenwerte zusammengefasst.

Weitere Angaben zur Soziodemografie, der Mediennutzung, Geräteausstattung, Geschlecht, Alter, Schulabschluss etc. werden in der ARD/ZDF-Studie allgemein zu den einzelnen Migrantengruppen gemacht, nicht jedoch zur weiteren Spezifizierung zum Beispiel der Mediennutzung nach Alter, Geschlecht, Schulabschluss etc.

133


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

13.2 Literaturangaben

1. Studien

Aussiedler im Mikrozensus 2005. Identifizierungsprobleme und erste Analysen zur Arbeitsmarktintegration. Elisabeth Birkner, Universität Leipzig. Integrationschancen von Spätaussiedlern, 29.-30. März 2007, Nürnberg. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Der Einfluss von Zuwanderung auf die deutsche Gesellschaft. Deutscher Beitrag zur Pilotforschungsstudie „The Impact of Immigration on Europe’s Societies“ im Rahmen des Europäischen Migrationsnetzwerks, Nürnberg 2005, S. 63. http://www.bamf.de/cln_011/nn_442522/SharedDocs/Anlagen/DE/Migration/Publikationen/Fo rschung/Forschungsberichte/fb1-einflusszuwanderung,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/fb1-einfluss-zuwanderung.pdf Tatiana Lima Curvello / Margret Pelkhofer-Stamm, Interkulturelles Wissen und Handeln – neue Ansätze zur Öffnung sozialer Dienste. Dokumentation des Modellprojekts “Transfer interkultureller Kompetenz“, Berlin 2003. http://www.tik-iaf-berlin.de/downloads/TiK_AbschlussDoku_Kapitel1.pdf Die Datenlage im Bereich der Migrations- und Integrationsforschung. Ein Überblick über wesentlich Migrations- und Integrationsindikatoren und die Datenquellen. Sonja Haug, Fachbereichsleiterin Referat 220a, Migrationsforschung. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Working Papers 1/2005. Der Einfluss von Zuwanderung auf die deutsche Gesellschaft. Deutscher Beitrag zur Pilotforschungsstudie „The Impact of Immigration on Europe’s Societies“ im Rahmen des Europäischen Migrationsnetzwerks. Forschungsbericht 1. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Nürnberg 2005. Frank Gesemann, Chancen und Schwierigkeiten in der Kommunikation zwischen Moscheevereinen und Verwaltung, in Riem Spielhaus/Alexa Färber (Hrsg.), Islamisches Gemeindeleben in Berlin, Berlin 2006, S. 25-31. Sonja Haug, Lenore Sauer, Zuwanderung und räumliche Verteilung von Aussiedlern und Spätaussiedlern in Deutschland, Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft, Jg. 31, 3-4/2006, S. 413-442. Jüdische Zuwanderer in Deutschland. Ein Überblick über den Stand der Forschung. Sonja Haug unter Mitarbeit von Peter Schimany. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Working Papers 3/2005. Anke Kirchner, Verbraucherzentrale NRW: Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und die Verbraucherberatung. http://www.getin-online.net/pdf/Gutachten-VZ-fin.pdf

134


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Lebenswelten Deutschtürken 2002. Repräsentative Zielgruppenstudie zu Konsumverhalten, Wertewelten und Lebensstil der türkischen Bevölkerung in Deutschland. http://www.deutschtuerken2002.de. Markttransparenz im Gesundheitswesen. Ein Projekt der Verbraucherzentralen NordrheinWestfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen, gefördert vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Befragung 2005. Maßnahmen zur politischen Bildung für Migranten und Migrantinnen. Expertise für die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). Dipl. Soz. Stefanie Reiter, Dipl. Soz. Richard Wolf. November 2006. europäisches forum für migrationsstudien. Institut an der Universität Bamberg. Leitung Prof. Dr. Friedrich Heckmann. http://www.efms.de. Migranten und Finanzdienstleistungen. Evers & Jung. Studie im Auftrag des Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV), Schlussbericht, Hamburg Dezember 2005. http://www.bmelv.de/cln_044/nn_754188/SharedDocs/downloads/02Verbraucherschutz/Finanzdienstleistungen/MigrantenFinanzdienstleistungen,templateId=raw,property=pu blicationFile.pdf/MigrantenFinanzdienstleistungen.pdf Migranten und Medien 2007. Ergebnisse einer repräsentativen Studie der ARD/ZDFMedienkommission. ARD, ZDF 2007. http://www.unternehmen.zdf.de/fileadmin/files/Download_Dokumente/DD_Das_ZDF/Veranst altungsdokumente/Migranten_und_Medien_2007_-_Handout_neu.pdf Perspektiven des Zusammenlebens: Die Integration türkischstämmiger Migrantinnen und Migranten in Nordrhein-Westfalen. Ergebnisse der achten Mehrthemenbefragung. Stiftung Zentrum für Türkeistudien. Eine Analyse im Auftrag des Ministeriums für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen. Bericht: Dr. Martina Sauer. Essen, März 2007. http://www.zft-online.de/UserFiles/File/NRW-Bericht%202006.pdf Projekt Jüdische Zuwanderer. Zuwanderer aus Russland und den GUS-Staaten. Projektbearbeitung Dr. Sonja Haug, Mitarbeit: Michael Wolf, Dr. Peter Schimany, Barbara Wentzel. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. 2005. Lucia A. Reisch, Strategische Grundsätze und Leitbilder einer neuen Verbraucherpolitik. Diskussionspapier des Wissenschaftlichen Beirats für Verbraucher- und Ernährungspolitik beim BMVEL, 2003. Soziodemographische Merkmale, Berufsstruktur und Verwandtschaftsnetzwerke jüdischer Zuwanderer. Projekt Zuwanderer aus Russland und anderen GUS-Staaten – Jüdische Zuwanderer. Eine Auswertung von Antragsakten der jüdischen Zuwanderer in der Landesaufnahmestelle des Freistaates Bayern im Jahr 2005. Sonja Haug unter Mitarbeit von Michael Wolf. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Working Paper 8 der Forschungsgruppe des Bundesamtes. 2007.

135


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Verbraucherinformation als Instrument der Verbraucherpolitik. Konzeptpapier des wissenschaftlichen Beirats „Verbraucher- und Ernährungspolitik“ beim BMVEL. Hauptautorin: Ursula Hansen. Hannover/Berlin, September 2003. Versorgungslage und Bedürfnisse türkischer Migranten mit Diabetes mellitus in der stationären medizinischen Rehabilitation. Stiftung Zentrum für Türkeistudien. (laufendes Projekt). http://www.zft-online.de/include/getmodulepdf.php?id=117 Verkehrte Welt. Spätaussiedler mit höherer Bildung sind öfter arbeitslos. IAB Kurzbericht. Aktuelle Analysen aus dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit, Ausgabe Nr. 8 / 2.4.2007. http://doku.iab.de/kurzber/2007/kb0807.pdf H. Zeeb, B. T. Baune, W. Vollmer, D. Cremer, A. Krämer, Gesundheitliche Lage und Gesundheitsversorgung von erwachsenen Migranten, in: Gesundheitswesen 2004,. S. 76-84.

2. Verwaltung

Berlin auf dem Weg zur verbraucherfreundlichen Stadt. Verbraucherschutzbericht 2006. Herausgegeben und bearbeitet von der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz. Berlin 2006. Einwohnerstatistik Berlins des Statistischen Landesamts Berlin 2006. http://www.statistik-berlin.de/statistiken Integration und Migration. Ein Wegweiser für Berlin. Zuständigkeiten und Ansprechpartner bei Behörden, Verbänden und Vereinen. Der Beauftragte des Senats für Integration und Migration. Berlin 2006. http://www.integrationsbeauftragter-berlin.de, http://www.berlin.de/auslb Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und Linkspartei.PDS 2006 – 2011. http://www.berlin.de/rbmskzl/koalitionsvereinbarung/ Migrationsbericht des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge im Auftrag der Bundesregierung. Migrationsbericht 2005. http://www.bmi.bund.de/Internet/Content/Common/Anlagen/Broschueren/2006/Migrationsberi cht__2005,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/Migrationsbericht_2005.pdf Nationaler Integrationsplan. http://www.bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/Bundesregierung/BeauftragtefuerIntegration/ beauftragte-fuer-integration.html http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2007/07/Anlage/2007-08-30-nationalerintegrationsplan,property=publicationFile.pdf Statistisches Bundesamt. Leben in Deutschland. Haushalte, Familien und Gesundheit – Ergebnisse des Mikrozensus 2005. Presseexemplar. Verbraucherschutz gezielt stärken. Informations- und Beratungsangebote für die Verbraucherinnen und Verbraucher in Nordrhein-Westfalen sichern! Vereinbarung zwischen der 136


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Landesregierung Nordrhein-Westfalen und der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen e.V. http://www.vz-nrw.de Verbraucherschutzbericht 2006. Berlin auf dem Weg zur verbraucherfreundlichen Stadt. Herausgegeben und bearbeitet von der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz. Berlin 2006. http://www.verbraucherschutz.berlin.de Willkommen in Deutschland. Informationen für Zuwanderer – Spätaussiedler. http://www.zuwanderung.de. Herausgeber: Bundesministerium des Innern, http://www.bmi.bund.de. Redaktion: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Referat Informations- und Bürgerservice, Informationsmaterial. Nürnberg, http://www.bamf.de, 1. Auflage, Stand: Dezember 2005

3. Projekte

Dokumentation zum Projekt "Klimaschutzberatung für Migranten von Migranten". Eine Beratungskampagne für Klimaschutz, Wohnqualität und Nebenkostensenkung. Laufzeit: Dezember 2004 – Oktober 2005. http://www.agenda21.de/pdfs/Endbericht_Klimaschutzberatung.pdf Elternkongress Berlin 2006. http://www.elternkongress-berlin.de/ Alfred Reichwein „Integration in den Kommunen“, Köln April 2004. http://www.bamf.de/cln_011/nn_443294/SharedDocs/Anlagen/DE/Migration/Downloads/Zuw anderungsratExpertisen/exp-reichweinzuwanderungsrat,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/exp-reichweinzuwanderungsrat.pdf Marcus Stumpf, Zielgruppenorientierung im Verein, Vortrag im Rahmen des 5. Stuttgarter Sportkongresses vom 11. bis 13. Oktober 2005, Manuskript. Umwelt- und gesundheitsorientierter Verbraucherschutz – Entwicklung von Beratungs- und Informationsangeboten für Migrantinnen und Migranten. Dokumentation des Fachgesprächs am 04.07.05. Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Manuskript. Zentrale Geschäftstelle Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes und Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), „Polizei und Moscheevereine – Ein Leitfaden zur Förderung der Zusammenarbeit“ Stuttgart 2005. http://www.bpb.de/files/0MQCWZ.pdf

4. Presse

Martin Böttger, Wer schaut was. Mediennutzung unter Migranten. Freitag 44, 03.11.2006. http://www.freitag.de/2006/44/06441201.php 137


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Werner Felten, Integration braucht Kommunikation - 40 Jahre Mediennutzung in Deutschland. http://www.emservices.de/aktuelles-emsethnomarketing/aktuelles.html?tx_ttnews%5Btt_news%5D=4&tx_ttnews%5BbackPid%5D=3&cHash=61 b6452e42 Hasnain Kazim, Marketing. Deutsche Firmen werben an Minderheiten vorbei. Spiegel Online, 06. Juni 2006. http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,druck-419477,00.html Claudia Keller, Zielgruppe Türken. Die neue Pflege des türkischen Publikums. http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/archiv/04.11.2000/ak-wi-un-15229.html Sonja Margolina, Russische Zeitungen auf dem deutschen Pressemarkt, DIE ZEIT 18/1997. Karsten Polke-Majewski, »Mohammed als großer Kaufmann«, Hersteller und Händler verdienen gut an ihrer muslimischen Kundschaft. DIE ZEIT, 15.03.2007 Nr. 12. http://images.zeit.de/text/2007/12/Markt-fuer-Muslime Markus Schächter, Die Darstellung von Migration und Integration in den ZDF-Programmen: Status quo und Perspektiven, 4.3. Forschung, zitiert unter: http://unternehmen.zdf.de/fileadmin/files/Download_Dokumente/DD_Das_ZDF/Migrationsbro schuere.pdf 5. Werbung/Websites EMS Ethno Media Services GmbH & Co. KG, Frankfurt am Main. http://www.emservices.de/impressum.html GIM - Gesellschaft für innovative Marktforschung, Heidelberg, Berlin, Moskau, http://www.g-i-m.com Lab One - Agentur für Medien und Kommunikation, Berlin. http://www.labone.de. IM Marketing-Forum http://www.im-marketing-forum.de/beitraege/standardbeitrag_21972.html Inprom.com - Ethno-Marketing und Werbeagentur, Hannover. http://www.inprom.com/de/ethno-marketing_de.htm Werner Media GmbH, Berlin. http://www.wernermedia.de/pdfs/Preisliste_Mediadaten_2007.pdf

138


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

13.3 Pressetitel Türkische Medien Hürriyet (größte türkische Tageszeitung im europäischen Markt) Dogan Media International GmbH Frau Domac An der Brücke 20 - 22 64546 Mörfelden-Walldorf Tel.: 06105 - 32 89 00 Merhaba Berlin (Berliner Stadtmagazin) Merhaba Berlin Herr Zagli Bülowstr. 56 - 57 10783 Berlin Tel.: 030 23 55 25 23 TD1 (Regionaler türkisch- und deutschsprachiger TV Sender) Türkisch-Deutschsprachige Kabel - TV GmbH Herr Yigit Pankstr. 53-54 13357 Berlin Tel.: 030 46 00 81 07 Metropol FM (türkischsprachiger Radiosender in Deutschland) Metropol FM Frau Schulz Markgrafenstraße 11 10969 Berlin Tel.: 030 21 79 70 - 21 Vaybee.de (türkisches Internetportal in Deutschland) Vaybee.com AG Herr Kulmac Scheidtweiler Strasse 69 50933 Köln Tel.: 0221 - 540 29 - 13 Turkdunya.de (türkisches Internetportal in Deutschland) Türknet Media Herr Eyiengin Tel.: 040 21984446 doktorlar24.de (türkisches Gesundheitsportal und Ärzteverzeichnis) think.different GmbH Frau Kurtulay Kaiserdamm 82 14057 Berlin Tel.: 030 30 12 92 88

139


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

Russische Medien Alemannia Media Verlag Viktor Harder Robert-Hannig-Str. 14 33813 Oerlinghausen T.: (05202) 92 49 -50 F.: (02992) 92 49 -30 E.: viktor@harder-baufi.de ost-west-panorama (Kioskpreis 1,50 Euro • Jahres-Abopreis 30,00 Euro, 6. Jahrgang) Theodor Schulz Robert-Hannig-Str. 14 33813 Oerlinghausen T.: (05202) 92 49 -59 F.: (02992) 92 49 -30 E.: mailto:grafik@comfakt.deinfo@ost-west-panorama.de

Namen und Kontaktadressen von russischsprachiger Presse in Deutschland, die interessant und seriös ist: „semljaki"- Zeitung: Chefredakteur Dr. Georg Löwen, Homepage: http://www.semljaki.de; Tel: 05264-647870 „Argumenti i Fakti"- Zeitung: Homepage http://www.europa.aif.ru; Mail info@aifeuropa.de; Tel: 0611-3085949 (Wiesbaden) „Ost-West-Panorama"- Magazin: Homepage http://www.ost-west-panorama.de „Volk auf dem Weg" (trotz Kritik, gibt es kaum einen Russlanddeutschen, der das Magazin nicht kennt)

Diese Medien sind bundesweit bekannt. Im Ruhrgebiet genießt unter russischsprachigen Zuwanderern auch das Magazin "Partner" mit Redaktion in Dortmund guten Ruf. Leider fand ich keine Homepage.

[Quelle: Hahn, Viktor, Viktor.Hahn@raa-interkulturellesbuero.essen.de]

Werner Media GmbH Großbeerenstraße 186-192 12277 Berlin Telefon: 030 26947-0 http://www.wernermedia.de Chef v. Dienst: Michael Goldberg Tel. 030 2 69 47-501 Leiter des Vertriebs: Peter Dröge Tel. 030 2 69 47-630 pdroege@wernermedia.de Das Verlagshaus Werner Media Group gibt 6 Zeitungen und Zeitschriften in russischer und deutscher Sprache heraus. Sie sind für ein breites Publikum bestimmt. Zeitungen und Zeit140


Verbraucherschutz in der Einwanderungsgesellschaft

schriften mit Informationen aus Politik und Wirtschaft, Berichte und Fachanalysen, Kultur, Recht, Sport, Unterhaltung, Lifestyle u.v.a.m. • • • • • •

„Evropa-Ekspress“, illustrierte Wochenzeitung, Auflage 120.000 Exemplare. „Berlinskaya Gazeta“ („Berliner Zeitung“), Regionalausgabe der „Evropa-Ekspress“ für Berlin und Brandenburg. „Evreyskaya Gazeta“ („Jüdische Zeitung“), illustrierte Monatszeitung, Auflage 50.000 Exemplare. „Jüdische Zeitung“ illustrierte Monatszeitung in deutscher Sprache, Auflage 40.000 Exemplare. „Vsya EVROPA“ („Ganz EUROPA“) ist ein Hochglanzmagazin und erscheint sechsmal im Jahr mit einer Auflage von 90.000 Exemplaren. „TV-Arena“ ist die Fernsehbeilage der Zeitungen „Evropa-Ekspress“ und „Berlinskaya Gazeta.

141


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.