Saller/Bauhaus-Broschüre

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Tom Saller Wenn Martha tanzt

Interview mit dem Autor  Das Bauhaus – ein Überblick


We n ll e r

Tom S a

INHALTSVERZEICHNIS Der Autor

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Interview 5 Was war das Bauhaus?

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Die drei Standorte

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Frauen am Bauhaus

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Personen 16 BerĂźhmte Werke 19

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Quellen- und Fotonachweise

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Literaturtipps und Links

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Tom Sallers Roman hat mich von der ersten Zeile an begeistert. Die Sprache ist unglaublich klar, der Ton ist leicht und doch liegt in den Worten ein großes Versprechen. Hier hat jemand eine Geschichte zu erzählen, die einzigartig ist, von großartigen Frauenfiguren handelt und uns in eine Zeit entführt, die für uns fern und nah zugleich ist. Fern, weil hundert Jahre eine lange Zeit sind, nah, weil unsere Großeltern und Urgroßeltern diese Zeit erlebt haben. Nicht umsonst fragen wir uns seit einer Weile, wie diese Geschichten in uns selbst fortwirken. All das wird lebendig in Martha, der Hundertjährigen, Titelfigur des Romans. Die drei Schauplätze haben mich gleichermaßen fasziniert: das fast magische Pommern aus Marthas Kindheit, das Bauhaus in Weimar mit seinen ungewöhnlichen Lehrern und Studenten, wo Martha als junge Frau den Ausdruckstanz für sich entdeckt – all das endet in den Schrecken und Wirren des Krieges –, und das New York des Jahres 2001 vor dem 11. September. Tom Saller erzählt von Wünschen und Träumen, von der Auseinandersetzung und Konfrontation mit der Wirklichkeit und davon, wie Zeitläufte Biographien prägen. Wie so viele aus dem letzten Jahrhundert ist diese Geschichte groß, fast überlebensgroß. Martha hat mich gleich für sich eingenommen, ihre Geschichte hat mich beflügelt. Möge es Ihnen genauso ergehen – ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen! Mit herzlichen Grüßen Katrin Fieber

Belletristik-Lektorat Ullstein Buchverlage

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DER AUTOR

Foto: Anett Kürten a

Tom Saller, geboren 1967, hat Medizin studiert und arbeitet als Psychotherapeut in der Nähe von Köln. Falls er nicht gerade schreibt, spielt er Saxophon in einer Jazzcombo. Wenn Martha tanzt ist sein Debütroman.

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INTERVIEW Wann ist Ihnen die Idee zum Roman gekommen? Ein echter Fund bei der Entstehung von Wenn Martha tanzt war der handgeschriebene Brief meiner Großmutter, in dem sie ihre Flucht über die Ostsee 1945 auf der Potsdam schildert. Das Bauhaus kam mir erst später in den Sinn, als ich darüber nachgedacht habe, welche deutschen „Sehnsuchtsorte“ es zu Beginn des 20. Jahrhunderts für eine künstlerisch interessierte junge Frau gab. So bin ich beinah automatisch nach Weimar und ans Bauhaus gelangt. Etwa zur gleichen Zeit bin ich im Internet auf das Bild Tanzstellung 17B von Paul Klee gestoßen. Schlagartig standen für mich Erzählstimme und Erzählhaltung des Romans fest.

Brief von Tom Sallers Großmutter Hedwig

Was hat Sie am Bauhaus fasziniert? Mein Interesse am Bauhaus hat sich mit der Zeit gewandelt. Am Anfang interessierte mich vor allem die klare Formensprache und schlichte Ästhetik des Bauhauses. Ich hatte den Blick auf die kunstvollen Objekte gerichtet und weniger auf die Menschen dahinter. Dass es sich beim Bauhaus um eine 5


INTERVIEW regelrechte Bewegung, eine Lebenseinstellung, tatsächlich um eine Haltung gehandelt hat, war mir zum Beginn meiner Recherchen gar nicht klar gewesen. Die Studierenden des Bauhauses haben vieles von dem vorweggenommen, wodurch sich die Achtundsechziger auszeichnen: Spiritualität, Kommunismus, Ernährungslehre, freie Liebe, gleichgeschlechtliche Liebe und vor allem eine spielerische Nonkonformität gegenüber gesellschaftlichen Zwängen gehörten zum festen Bestandteil ihres Lebensalltags. Wie haben Sie für Ihren Roman recherchiert? Ich lese schrecklich gerne. Beim Sortieren und Filtern der Bauhausinformationen hat mir darüber hinaus ein Besuch in Weimar mit meiner Frau geholfen. Ich versuchte vor Ort, mich in die Lage eines Bauhausstudierenden zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu versetzen: Welche Punkte in der Stadt und in der Umgebung wären für mich interessant gewesen? Wo hätte es mich hingezogen? In Bezug auf Pommern bin ich ganz anders vorb Tanz stellung 17. B, Künstler: Paul Klee, 1935 gegangen. Ich habe mit weniger „Realität“ gearbeitet, sondern stattdessen auf Grundlage der spärlichen Angaben meiner Großmutter ein eigenes, eher märchenhaftes „Land am Meer“ entwickelt. 6


Gab es etwas, das Sie bei der Recherche besonders überrascht hat? Es gab mehrfach die Situation, dass ich im Roman Dinge erfunden hatte, um bei der Recherche verblüfft festzustellen, dass so etwas oder zumindest etwas sehr Ähnliches tatsächlich existierte oder geschehen war. Bauhaustreppe, Künstler: Oskar Schlemmer, 1932 c Dies trifft beispielsweise auf Marthas besonderes Talent des „Musiksehens“ zu, das sie am Bauhaus über den Tanz weiterentwickelt. Bei meinen Nachforschungen bin ich vollkommen unerwartet auf Gertrud Grunow gestoßen, die mit ihrer Harmonisierungslehre eine – im Großen und Ganzen – dazu passende Theorie entwickelt hat. Ähnlich erging es mir mit Marthas Ankunft am Bauhaus, sie isst in der Kantine und wird erstmals mit den speziellen Ernährungsgewohnheiten der Mazdaznan-Bewegung konfrontiert („gebratene Kartoffelschalen“). Ansonsten war ich enorm überrascht – bitte erlauben Sie mir den Ausdruck – wie hip ein Teil der Schüler und Lehrer am Bauhaus gewesen sein muss. Martha und Ella sind ungewöhnlich starke Frauen, sehr unterschiedlich dabei. Nicht nur für ihre Zeit. Gab es ein Vorbild, eine Vorlage für die beiden Figuren? Ich tue mich mit dem Begriff „starke Frauen“ ein wenig schwer. Für mich klingt er zu sehr nach Worthülse oder Klischee. Ich würde mir wünschen, dass die Leserinnen 7


INTERVIEW und Leser Martha und Ella konkret wegen ihrer Klugheit, ihres Humors oder ihrer Durchsetzungsfähigkeit mögen. Es geht mir bei beiden um eine besondere Form der Leichtigkeit, des Witzes und der Eleganz, die geschlechtsunabhängig funktioniert. Nun zur eigentlichen Frage: Wenn Martha tanzt enthält insofern ein biographisches Element, als meine Urgroßmutter tatsächlich Martha hieß, in einer kleinen Stadt in Pommern aufwuchs und ihr Vater ein sogenanntes Musikinternat betrieb. Das bildet die Keimzelle für den Roman. Alles andere entsprang meiner Phantasie. Auf Ella bin ich rein zufällig gestoßen, im Zusammenhang mit den großartigen Weimaraufnahmen ihres Vaters und seinem Porträt von Walter Gropius, dem Gründer und ersten Direktor des Bauhauses. Es war der Satz „Sie erhielt als erste Frau in Thüringen den Meistertitel als Photograph“ 1, der meine Phantasie beflügelte und mein Interesse geweckt hat. Sind alle Ihre Figuren historisch? Mehr oder weniger. Die Informationen über die Bauhäusler sind historisch größtenteils exakt. Aber auch hier habe ich mir kleinere Freiheiten erlaubt: Gertrud Grunow hatte laut der wenigen Fotos, die von ihr existieren, mit Anfang 50 nicht mehr „den drahtigen Körper einer Tänzerin“, und Umbo studierte erst zwei Jahre später in Weimar als von mir behauptet. Dem „Fräulein Grunow“ hätte ich übrigens gerne mehr Raum in meinem Roman gegeben. Am Bauhaus war ihre „Harmonisierungslehre“ so beliebt, dass sogar einige Lehrer die Kurse besuchten. Und dann ist da meine eigene Familiengeschichte. Es hat mir viel Freude bereitet, über meine Großmutter Hedi zu schreiben. Sie ist 1990 gestorben, als ich 23 war. Erst jetzt, 8


als erwachsener Mann, bin ich in der Lage, ihre Lebensleistung hinreichend zu würdigen; vor allem in Bezug auf die Aspekte, die ich in Wenn Martha tanzt beschrieben habe: Flüchtling, Fremde im eigenen Land, alleinerziehende Mutter und – zwangsläufig – finanziell nie gut gestellt. Wieso reizt Sie als Autor ein Rückblick auf das letzte Jahrhundert? Für mein Verankertsein in der Zeit finde ich es heute wichtig, über den Tellerrand hinaus auch auf die vorhergehenden Generationen zu blicken. Parallel dazu beobachte ich, wie meine Söhne erwachsen werden und meine Frau und ich aus ihrer Sicht aus dem vergangenen Jahrhundert stammen. Aus beiden Überlegungen ist eine Art persönliches Geschichtsbewusstsein erwachsen.

Farbkreis von Itten nach der Forschung von Gertrud Grunow d

Sie sind Psychotherapeut – hat Sie das beim Schreiben beeinflusst? Eine schwierige Frage. Tatsächlich ist es so, dass die Menschen zu mir kommen und Geschichten erzählen – ein unerhörter Luxus. Einige davon sind so unglaublich, dass ich sie niemals bearbeiten und verändern könnte. Umgekehrt erzähle auch ich als Therapeut den Menschen Geschichten – über sich selbst und ihr Leben. Und hier ist es ähnlich wie beim Romanschreiben: Man verändert die Perspektive, setzt an einer bestimmten Stelle einen anderen Schwerpunkt oder verwendet Synonyme, die plötzlich eine neue Stimmung erzeugen. 9


WAS WAR DAS BAUHAUS ?

Allgemeines In den knapp 14 Jahren seines Bestehens von 1919 bis 1933 hat das Bauhaus gestalterisches und künstlerisches Denken und Schaffen weltweit revolutioniert. Es wurde zur bedeutendsten Schule für Architektur, Design und Kunst im 20. Jahrhundert. Die kreative Atmosphäre zog junge Menschen aus der ganzen Welt wie ein Magnet ans Bauhaus nach Weimar und vor allem nach Dessau. Hier wirkten bedeutende Lehrer wie Walter Gropius, Ludwig Mies van der Rohe, Paul Klee, Wassily Kandinsky und Oskar Schlemmer – um nur einige zu nennen. Obwohl es in Weimar, Dessau und Berlin unter den Nationalsozialisten immer wieder zu Neuanfängen gezwungen wurde, entwickelte sich dessen künstlerischer Anspruch im Zeichen einer Vereinigung von Architektur, Handwerk und Kunst immer weiter. Der Anspruch war, Gestaltung immer wieder von Grund auf neu zu denken. Bauhaus Weimar „Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit ist der Bau!“ 2 (Walter Gropius) Das Bauhaus wurde am 1. April 1919 von Walter Gropius in Weimar gegründet. Innerhalb kürzester Zeit wurde es ein wichtiger Treffpunkt der europäischen Avantgarde und eine einflussreiche Bildungsstätte im Bereich Kunst, Architektur und Design. Gropius berief herausragende Künstler der damaligen Zeit als Meister an das Bauhaus, darunter Lyonel Feininger, Johannes Itten, Paul Klee, Oskar Schlemmer, Wassily Kandinsky und László Moholy-Nagy. In seinem Gründungsmanifest forderte Gropius, die Trennung in einzelne kunsthandwerkliche Disziplinen aufzuheben. Ziel der Ausbildung war die gemeinsame Arbeit an einem „Gesamtkunstwerk“, an dem alle Werkstätten des Bauhauses beteiligt sein sollten. Die Bauhausmeister entwickelten ein neuartiges Lehrprogramm, das eine Verbindung zwischen theoretischen Kenntnissen und einer praktischen Ausbildung in 10


DIE DREI STANDORTE

Die Bauhausmeister in Dessau, anlässlich der Eröffnung am 4. und 5. Dezember 1926, Künstler: Unbekannt, 1926 (Ausschnitt) e

entsprechenden Werkstätten vorsah. Der eigentlichen Ausbildung in den Werkstätten ging ein Vorkurs voraus, ein Probesemester, in dem die persönliche Eignung des Studierenden getestet und die handwerklichen und gestalterischen Grundlagen vermittelt wurden. 1925 wurden die Verträge der Lehrenden von der Landesregierung aus politischen Gründen aufgehoben. Das Bauhaus zog daraufhin nach Dessau. Bauhaus Dessau Das Bauhaus in Dessau entstand von 1925 bis 1926 nach Plänen von Walter Gropius und nannte sich nun Bauhaus – Hochschule für Gestaltung. Das Besondere des Bauhausgebäudes ist die Funktionalität der einzelnen, zu einem Organismus zusammengefügten Einzelbauteile. Die Bauweise orientiert sich an dem Grundsatz, dass der Verwendungszweck die Form zu bestimmen habe. Dieses stilbildende Prinzip lässt sich an der Gestaltung sämtlicher Bauten und Objekte ablesen, die in der Dessauer Zeit entstanden sind und die das Bild des Bauhauses bis heute prägen. Mit der Gründung des Bauhauses in Dessau wurde erstmals auch eine Architekturabteilung aufgebaut, deren Leitung 11


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Mit viel Witz und Liebe zum Detail kartographiert die Studentin Lou Scheper-Berkenkamp 1923 die Übersichtskarte von Weimar mit den wichtigsten Schauplätzen und Kulturstätten – vom Kaiser-Kaffee über das Stadtschloss bis hin zum „Bauhaus-Häuschen“.

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Übersichtskarte von Weimar, Künstlerin: Lou ScheperBerkenkamp, 1923 g


DIE DREI STANDORTE

der Schweizer Architekt Hannes Meyer übernahm. Walter Gropius übergab Meyer 1928 die Gesamtleitung. 1930 folgte ihm Ludwig Mies van der Rohe. Unter seiner Leitung wurde das Bauhaus noch stärker auf die Architektur ausgerichtet. Es gelang ihm jedoch nicht, die Hochschule aus den politischen Wirren herauszuhalten. Nachdem die NSDAP 1931 die Gemeinderatswahlen in Dessau gewonnen hatte, beschloss die Stadt 1932 die Auflösung des Bauhauses.

Der Profilkopf, entworfen 1922 von Oskar Schlemmer, steht bis heute sinnbildlich für das Bauhaus. f

Bauhaus Berlin Ludwig Mies van der Rohe entschloss sich, die Schule in Berlin als Privatinstitut fortzuführen. Im Herbst 1932 zog das Bauhaus in eine leerstehende Telefonfabrik nach Berlin-Steglitz. Durch die politischen Repressalien der Nationalsozialisten und die finanzielle Notlage der Schule war der Lehrbetrieb jedoch nur noch eingeschränkt möglich. Nachdem die Geheime Staatspolizei das Gebäude im April 1933 durchsucht und verriegelt hatte, wurde die Arbeit ganz eingestellt. Am 20. Juli 1933 beschloss der Lehrkörper, die Schule unter den von der Gestapo gestellten Bedingungen aufzulösen. Durch die Emigration vieler Lehrender und Studierender verbreiteten sich die Ideen, Methoden und Grundsätze des Bauhauses über die ganze Welt. 14


FRAUEN AM BAUHAUS

Die Frauenklasse „Wo Wolle ist, ist auch ein Weib, das webt, und sei es nur zum Zeitvertreib.“  3  (Oskar Schlemmer) Was heute selbstverständlich erscheint, war damals revolutionär: Als das Staatliche Bauhaus in Weimar 1919 seine Pforten öffnete, durften sich auch Frauen für ein Studium einschreiben. Gründungsdirektor Walter Gropius hatte ihnen in seiner ersten Ansprache sogar „absolute Gleichberechtigung“ 4 versprochen. Als immer mehr Frauen ans Bauhaus strömten, fürchtete er jedoch um den Ruf der Schule und forderte „eine scharfe Aussonderung gleich nach der Aufnahme, vor allem bei dem der Zahl nach zu stark vertretenen weiblichen Geschlecht.“ 5 Walter Gropius und seine Kollegen waren sich einig, „keine unnötigen Experimente“ 6 mehr machen zu wollen und Frauen nur noch in der Weberei aufzunehmen. Die Genderpolitik der Kunsthochschule war somit weit weniger avantgardistisch als von Walter Gropius proklamiert. Frauen sollten Teppiche knüpfen, Stoffe weben, nähen, färben, drucken, wurden also wieder einmal auf ihr angeblich traditionelles Handwerk reduziert. Viele Bauhaus-Künstlerinnen aus dieser sogenannten Frauenklasse, darunter Gunta Stölzl und Benita Koch-Otte, traten ihren männlichen Kommilitonen jedoch selbstbewusst und entschlossen entgegen. Ihre Begabung und Kreativität machten die Weberei – welch Ironie! – zur produktivsten und finanziell erfolgreichsten Werkstatt am Weimarer Bauhaus. Einigen Studentinnen wie Dörte Helm und Lou Scheper-Berkenkamp gelang es, in die Männerdomänen einzudringen und sich einen Platz in anderen Werkstätten zu erobern. Mit ihren Arbeiten, die oft nur Kennern geläufig sind, haben sie Herausragendes geschaffen und das Bauhaus-Design entschieden geprägt. 15


PERSONEN Direktoren Die Direktoren des Bauhauses bestimmten maßgeblich die Ausrichtung der Schule. Der Bauhaus-Gründer Walter Gropius wirkte bis 1928 als Direktor und ernannte den Schweizer Architekten Hannes Meyer zu seinem Nachfolger. Auf ihn folgte 1930 der ebenfalls von Gropius vorgeschlagene Architekt Ludwig Mies van der Rohe, der die Schule bis zu ihrer Zwangsschließung 1933 in Berlin leitete.

mit Adolf Meyer das Firmengebäude der Fagus Werke im niedersächsischen Alfeld, das mit seiner klaren kubistischen Formensprache und seiner transparenten Konstruktion als ein richtungsweisendes

Lehrende Statt „Professoren“ wurde am Staatlichen Bauhaus Weimar der Begriff der „Meister“ für die Lehrenden geprägt. Zu den Meistern zählten namhafte Künstler wie Feininger, Grunow, Itten, Kandinsky, Marcks oder Klee. Später kamen herausragende Bauhaus-Absolventen als Jungmeister hinzu. Walter Gropius Walter Gropius wurde am 18. Mai 1883 in Berlin geboren. Von 1903 bis 1908 studierte Gropius Architektur in München und Berlin, brach sein Studium aber ohne Diplom ab. Er trat 1907 in das Büro des angesehenen Architekten und Industriedesigners Peter Behrens ein, bevor er 1910 sein eigenes Büro für Industriedesign und Architektur gründete. 1911 entwarf er zusammen 16

Walter Gropius h

Gebäude für die von Walter Gropius geprägte moderne Architektur gilt. 1919 folgte er einem Ruf als Direktor an das Staatliche Bauhaus in Weimar. Mit dem von ihm entwickelten Konzept einer dualistischen Ausbildung, mit Handwerkern als „Werkmeister“ und Künstlern als „Formmeister“, entwickelte Walter Gropius das Bauhaus zu einem intellektuellen Labor der modernen Architektur. 1928 trat er, entnervt von Querelen um die konzeptionelle Ausrichtung des Bauhauses,


von seinem Posten zurück. Als das Bauhaus im Zuge der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 zwangsweise geschlossen wurde, emigrierte er 1934 zunächst nach England und 1937 in die USA, wo er als Professor für Architektur an der Harvard University lehrte. 1944 erhielt er die amerikanische Staatsbürgerschaft. In seinen letzten Lebensjahren war Walter Gropius erneut in Berlin tätig, wo er unter anderem 1957 ein Wohnkomplex im Hansaviertel errichtete. 1969 starb Walter Gropius im Alter von 86 Jahren in Boston. Johannes Itten Der Maler und Kunstpädagoge Johannes Itten wurde 1888 in Wachseldorn in der Schweiz geboren. Als einer der ersten Meister übernahm

er 1919 am neu gegründeten Bauhaus die künstlerische Leitung verschiedener Werkstätten. Nebenbei entwickelte Itten den sogenannten Vorkurs, in dem Grundlagen der Materialeigenschaften, der Komposition und der Farblehre vermittelt wurden. Mit Johannes Itten kehrte auch der Mazdaznan-Kult am Bauhaus ein, eine Mischreligion, die christliche, hinduistische und zarathustrische Einflüsse miteinander verbindet. Als seine Weltanschauung zu Differenzen mit Walter Gropius führte, verließ Itten im Frühjahr 1923 das Bauhaus. 1926 gründete er seine eigene Kunstschule in Berlin, die jedoch 1934 von den Nationalsozialisten geschlossen wurde. 1938 emigrierte Johannes Itten zunächst nach Holland, zog aber noch am Jahresende in die Schweiz, nach Zürich. Es folgten arbeitsreiche Jahre, in denen er mehrere Ämter an verschiedenen Kunstgewerbeschulen und Museen übernahm. Itten starb 1967 in Zürich. Gertrud Grunow

Johannes Itten i

Die Musikpädagogin Gertrud Grunow wurde 1870 in Berlin geboren. Als Gesangslehrerin beschäftigte sie sich mit dem Zusammenhang von Klang, Farbe und Bewegung. Ihre Überlegungen trug sie 1919 in Berlin, Jena und Weimar vor. Von 1919 bis 1923 unterrichtete sie am 17


Bauhaus, wo sie in enger Zusammenarbeit mit dem „Meister der Farbkunst“, Johannes Itten, ihre „Harmonisierungslehre“ entwickelte. Ausgehend von der Annahme, dass ein Mensch mit sich im Einklang stehen muss, um schöpferisch tätig werden zu können, lehrte Grunow die harmonische, gleichberechtigte Nutzung aller Sinne. Ihr musikpädagogisches Konzept zog nicht nur Tänzer und Musiker an das Bauhaus nach Weimar, sondern beeinflusste auch die Theorien der Bauhaus-Künstler Wassily Kandinsky, Paul Klee und Oskar Schlemmer. Von 1926 bis 1934 setzte Grunow ihre Lehrtätigkeit am Philosophischen Seminar und am Psychologischen Institut der Universität Hamburg fort. Nach weiteren Stationen in England und der Schweiz starb Grunow 1944 in Leverkusen. 18

Studierende                             Lou Scheper-Berkenkamp „Ich finde labiles Gleichgewicht verlockender, als stabiles. Es ist verlockender, auf Luftlinien zu balancieren, als fest auf dem Dogma zu sitzen.“ 7 Lou Scheper-Berkenkamp studierte von 1920 bis 1922 am Weimarer Bauhaus. Die damals 20-Jährige erhielt einen Platz in der Werkstatt für Wandmalerei, wo sie unter anderem bei Lyonel Feininger, Paul Klee und Georg Muche Unterricht nahm. Die verschiedenen Lehrer haben ihre frühen Arbeiten deutlich geprägt, schon bald entwickelte sie jedoch ihren ganz eigenen Stil. Das facettenreiche Lebenswerk der Künstlerin umfasst Kinderbücher, Bühnen- und Kostümentwürfe sowie Farbkonzepte für Innenräume. Ihre freien künstlerischen Arbeiten lassen auf eine geradezu kindliche Fantasie schließen.


BERÜHMTE WERKE Design-Klassiker Das Bauhaus steht bis heute für kühne, funktionale und zeitlose Entwürfe. Viele der dort entstandenen Möbel gelten mittlerweile als Designklassiker, die in Re-Editionen bis heute extrem begehrt sind. Dazu zählen unter anderem die Stahlrohrmöbel von Marcel Breuer wie auch die Tischlampe „WA24“ von Wilhelm Wagenfeld und Carl Jakob Jucker. Aber auch Alltagsgegenstände wie die Wagenfeld’sche Butterdose stehen beispielhaft für die Ideen des Bauhauses, die Form folgt der Funktion und auch der einfachste Gebrauchsgegenstand muss das Auge nicht beleidigen. Architektur Walter Gropius träumte von einer neuen Baukunst, die alle Lehrbe-

Arbeitsleuchte Kaiser Idell 6631, Entwurf: Christian Dell, 1931 j

reiche und Werkstätten, Handwerke und Künste miteinander vereint. Eine eigene Architekturabteilung wurde jedoch erst 1927 unter der Leitung von Hannes Meyer gegründet. Anders als Gropius richtete Meyer seine Architektur radikal an den

Bauhausgebäude von Nordwesten, Architektur: Walter Gropius, 1926 k 19


BERÜHMTE WERKE Sein Schüler, Herbert Bayer, leitete später die Werkstatt für Typografie und Reklame am Bauhaus in Dessau. Mit dem Universalalphabet und der Werbetypografie hat Bayer das Erscheinungsbild der Schule enorm geprägt. Malerei

Bauhaus-Drucke: Neue Europäische Graphik, Gestaltung: Lyonel Feininger, 1921 l

breiten Volksschichten und ihren Bedürfnissen aus. Sein Nachfolger Ludwig Mies van der Rohe legte ab 1930 den Fokus wiederum auf die ästhetische Seite der Architektur, unter Vernachlässigung der sozialen oder politischen Dimension.

Obwohl sich das Bauhaus nicht als Kunstschule im traditionellen Sinne verstand, wurden anfangs vor allem Maler nach Weimar berufen: zunächst Feininger und Itten, später Muche, Schlemmer, Klee, Kandinsky und Moholy-Nagy. Eine solche Ballung von überragenden Künstler und einzigartigen Stilrichtungen hat es an keiner anderen Schule je gegeben. Fotografie Die Fotografie spielte am Bauhaus zunächst nur eine untergeordnete Rolle. Walter Gropius nutzte sie vor

Grafik  und  Typografie Mit Lyonel Feininger hatte Gropius bereits 1919 einen bedeutenden Grafiker ans Bauhaus berufen. Die „Neue Typografie“ geht jedoch auf Moholy-Nagy zurück, der ab 1923 klare Formen und eine serifenlose Schrift am Bauhaus einführte. 20

Katze und Vogel, Künstler: Paul Klee, 1928 m


Komposition VIII, Künstler: Wassily Kandinsky, 1923 n

allem, um die entstandenen Werke zu dokumentieren und zu verbreiten. Ab 1923 entdeckte László Moholy-Nagy die Fotografie als Darstellungsmittel für sich, das er auf experimentelle Weise in seinen Unterricht integrierte. Eine Fotoklasse wurde jedoch erst 1929 eingerichtet. Walter Peterhans, der die Leitung übernahm, konzentrierte sich vor allem auf die ästhetischen und technischen Schwerpunkte des Faches. Bühne Die Bühnenwerkstatt des Bau-hauses, die 1921 gegründet wurde, gilt als legendäres Projekt der Theatermoderne. Sie wurde zunächst von Lothar Schreyer geleitet, 1923

übernahm Oskar Schlemmer, der das Bühnengeschehen am Bauhaus mit seinen interdisziplinären und hochgradig experimentellen Aufführungen maßgeblich geprägt hat. Kunsthandwerk Ob Skulpturen wie „Groteske I“ von Oskar Schlemmer, Spielzeug wie die „Wurfpuppen“ von Alma SiedhoffBuscher oder Keramiken wie die „Mokka-Maschine“ von Theodor Bogler – die Bauhäusler haben mit ihren Arbeiten die gesamte Bandbreite des Kunsthandwerks abgedeckt. 21


QUELLEN- UND FOTONACHWEISE

Quellennachweise: 1

Held, Louis: Das geistige Weimar um 1900: Fotografien 1882-1919. Leipzig: Lehmstedt Verlag 2015, S. 7.

2

Gropius, Walter: Bauhaus-Manifest (Flugblatt). Weimar 1919.  Online-Version: https://www.bauhaus100.de/de/damals/werke/unterricht/manifest-und-programm-des staatlichen-bauhauses/index.html [zuletzt abgerufen am 25.10.17]. Zitiert nach: Droste, Magdalena: Die Werkstatt für Weberei. In: Experiment Bauhaus. Das Bauhaus-Archiv,  Berlin (West) zu Gast im Bauhaus Dessau. Hrsg. Bauhaus-Archiv, Museum für Gestaltung. Berlin:  Kupfergraben 1988, S. 74.

3

Gropius, Walter: Eröffnungsrede, 1919, Bauhaus-Archiv Berlin, Mappe 7/10.

4

Zitiert nach: Müller, Ulrike: Bauhaus-Frauen. Meisterinnen in Kunst, Handwerk und Design. Berlin: Insel Verlag  2014, S. 17.

5

6

Zitiert nach: Müller: Bauhaus-Frauen, S. 17.

7

Zitiert nach: Sonna, Birgit: Auf Luftlinien balancieren. In: art – Das Kunstmagazin, 21.11.2013.  Online-Version: http://www.art-magazin.de/kunst/12333-rtkl-lou-scheper-berkenkamp-osnabrueck-auf luftlinien-balancieren [zuletzt abgerufen am 25.10.17].

Fotonachweise: Tom Saller, Foto: Anett Kürten

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Tanz stellung 17. B, Künstler: Paul Klee, 1935, Privatbesitz / © Zentrum Paul Klee, Bern, Archiv

b

Bauhaustreppe, Künstler: Oskar Schlemmer, 1932, The Museum of Modern Art, New York,      https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Oskar_Schlemmer_-_Bauhaustreppe_1932.jpg

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Farbkreis nach Johannes Itten, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Farbkreis_Itten_1961-CMKY.svg

Die Bauhausmeister auf dem Dach des Bauhauses in Dessau, anlässlich der Eröffnung am 4. und 5.      Dezember 1926, Künstler: Unbekannt, 1926, Bauhaus-Archiv Berlin / © Bauhaus-Archiv Berlin / Musée  National d'Art Moderne / Centre de Création Industrielle, Centre Georges Pompidou, Paris, legs Nina Kandinsky e

Profilkopf, Entwurf: Oskar Schlemmer, 1922, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bauhaus-Signet.svg

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Übersichtskarte von Weimar, Künstlerin: Lou Scheper-Berkenkamp, 1923, Bauhaus-Archiv Berlin /     © Bauhaus-Archiv Berlin, Foto: Atelier Schneider

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h

Walter Gropius, Foto: Hans G. Conrad, 1955, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:1955_01-Oct_  HansGConrad_Portrait-WalterGropius_HfGUlm-Opening.jpg

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Johannes Itten, Künstler und Datierung unbekannt, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Itten001.jpg

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Arbeitsleuchte Kaiser Idell 6631, Entwurf: Christian Dell, 1931, https://commons.wikimedia.org/wiki/    File:Kaiser-idell-christian-dell.jpg Bauhausgebäude von Nordwesten, Architektur: Walter Gropius, 1926 / Foto: Lucia Moholy, Bauhaus-Archiv  Berlin / © VG Bild-Kunst, Bonn 2016

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Bauhaus-Drucke: Neue Europäische Graphik. Erste Mappe: Meister des Staatlichen Bauhauses in Weimar,  Gestaltung: Lyonel Feininger / Herstellung: Otto Dorfner, 1921 / © Bauhaus-Archiv Berlin / VG Bild-Kunst,    Bonn 2016  Katze und Vogel, Künstler: Paul Klee, 1928, Sidney and Harriet Janis Collection, The Museum of Modern Art,  New York, https://als.wikipedia.org/wiki/Datei:Klee_Paul_Cat_and_Bird.jpg

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n Komposition VIII, Künstler: Wassily Kandinsky, 1923, Solomon R. Guggenheim Museum, New York,      https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Vassily_Kandinsky,_1923_-_Composition_8,_huile_sur_    toile,_140_cm_x_201_cm,_Musée_Guggenheim,_New_York.jpg

Der Verlag hat sich bemüht, alle uns bekannten Rechteinhaber zu ermitteln. Sollten dennoch Inhaber von Urheberrechten unberücksichtigt geblieben sein, bitten wir sie, sich mit dem Verlag in Verbindung zu setzen.

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LITERATURTIPPS UND LINKS

M체ller, Ulrike: Bauhaus-Frauen. Meisterinnen in Kunst, Handwerk und Design. Berlin: Insel Verlag 2014. Bauhaus Reisebuch. Weimar. Dessau. Berlin. Herausgegeben vom Bauhaus-Archiv-Berlin. Berlin: DuMont 2012. www.klassik-stiftung.de Stiftung Weimarer Klassik, Bauhaus Museum Weimar www.bauhaus-dessau.de Stiftung Bauhaus Dessau www.meisterhaeuser.de Meisterh채user Dessau www.bauhaus.de Bauhaus-Archiv Berlin www.bauhaus100.de gemeinsame Website der BauhausInstitutionen in Berlin, Dessau und Weimar

Sonstiges Veranstaltungen zum 100-j채hrigen Jubil채um www.bauhaus100.de/de/kalender

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aggestaltung: BÜRO JORGE SCHMIDT agabbildung: © ullstein bild nfoto: © Anett Kürten

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Saller, geboren 1967, hat izin studiert und arbeitet sychotherapeut in der Nähe Köln. Falls er nicht gerade eibt, spielt er Saxophon in r Jazzcombo. Wenn Martha t ist sein Debütroman.

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Eine magische Kindheit in Pommern, eine junge Frau am Bauhaus, eine unerwartete Begegnung in New York

Ein junger Mann reist nach New York, um das Notizbuch seiner Urgroßmutter Martha bei Sotheby’s versteigern zu lassen. Es enthält bislang unbekannte Skizzen und Zeichnungen von Feininger, Klee, Kandinsky und anderen Bauhaus-Künstlern.

Tom Saller Wenn Martha tanzt

Martha wird 1900 als Tochter des Kapellmeisters in einem kleinen Dorf in Pommern geboren. Von dort geht sie ans Bauhaus in Weimar – ein gewagter Schritt. Walter Gropius wird auf sie aufmerksam. Sie entdeckt das Tanzen für sich und erringt so die Bewunderung und den Respekt der Bauhaus-Mitglieder. Bis die Nazis die Kunstschule schließen und Martha in ihre Heimat zurückkehrt. Mit einem Kind im Arm und einem Notizbuch von immensem Wert im Gepäck – für sie persönlich und für die Nachwelt. Doch am Ende des Zweiten Weltkriegs verliert sich Marthas Spur auf der Flucht ...

288 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag ISBN: 978-3-471-35167-3 Erscheint am 9. März 2018 471-389384 www.ullstein-buchverlage.de

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Tom Saller

Wenn Martha tanzt

Roman

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Tom Saller

Wenn a Marth tanzt Roma

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»Ich habe über unser Gesprä lich nachgedacht«, sagt Wolf »und ich denke, ich weiß, wa tun solltest.« »Was denn?«, fragt Martha interessiert. »Werde Lehrerin!« »Warum sollte ich das tun?« »Um Zeit zu gewinnen. Du b der Suche nach einer andere Einer Welt, die mit Tönen zu hat. Mit Bewegung, Formen. kannst Musik sehen – ein be deres Talent. Ich habe von ei Mann gelesen, der eine neua Schule gründen will. Schau!« Wolfgang zieht einen zerkni Zeitungsartikel aus der Tasch »Er spricht von einem ›neue ben‹, der alle Künste vereint »Wo ist dieser Mann?« »Im Krieg«, antwortet Wolfg »wie so viele Männer. Bete, d ihn überlebt!«


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