UnAufgefordert Nr. 206

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S t u d i e r e n d e n z e i t u n g d e r H u m b o l d t - U n i v e r s i t ä t z u B e r l i n s e i t N o v e m b e r 1 9 8 9 , F e b r u a r 2 0 1 2 , N r. 2 0 6

unAuf GEFOrDErt hu BErLIN

M u I D u St I E r F E I Er r r A B erung d n i h e B n e n m i t m A l l t a g. o t i l i m Kom o n ih re v n e l h erzä

StuDIENPLAtZ-POKEr

Das nervenaufreibende Spiel zwischen Bewerbern und Unis Die Berliner Bildungssenatorin Scheeres im Interview.

SIE ISt DIE NEuE

SPurENSuChE AuF DEM CAMPuS MÄNNEr MÜSSEN DrAuSSEN BLEIBEN Unbekanntes an der HU und seine Geschichte. Förderung radikal: Studiengänge nur für Frauen


JA , ICh WILL!

Ich will die

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Studierendenzeitung der HU Berlin

IAL r O t I D E

Durchwachte Nächte des Lernens vor Prüfungen, warten, dass ein dringend benötigtes Buch endlich den Weg zurück in das Bibliotheksregal findet und der Essay, dessen Abgabefrist eigentlich schon vorgestern abgelaufen ist. All das bestimmt den Alltag von Studierenden.

Für manche kommen jedoch noch ganz andere Probleme hinzu.

Da wäre beispielsweise der Kaffeeautomat in der Bibliothek, der durch

zu wenig Bewegungsfreiraum unerreichbar ist. Oder ein Buch, das nicht

in digitalisierter Form erhältlich ist und erst eingescannt werden muss, um

genutzt werden zu können. Und die Kommilitonen, die einen nicht verstehen

Foto: Privat

MItArBEItEr DES MONAtS

können, da sie eine ganz andere Sprache sprechen. Mit Barrieren wie diesen sehen sich behinderte und chronisch kranke Studierende konfrontiert.

Welchen Beeinträchtigungen sind Studierende mit Behinderung in ihrem Studien-

alltag an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) ausgesetzt? Wie barrierefrei ist

unsere Universität? Ab Seite 7 erzählen drei HU-Studierende mit Behinderung von ihrem Studentenleben. Von ihren Problemen und ihren Gedanken zu dem Ausgleich

von Nachteilen. Und sie berichten auch darüber, wie der Universitätsalltag an ihre Bedürfnisse angepasst wird.

Ab Seite 14 spricht die neue Berliner Senatorin für Bildung, Jugend und Wissenschaft,

Sandra Scheeres, über ihren Amtsantritt und die Ziele, die sie in den nächsten fünf Jahren verwirklichen will.

Von ihrer kuriosen Seite könnt Ihr die Humboldt-Universität ab Seite 18 kennenlerCHrISTIAN MeCKeLBUrG, 28, SOZIALWISSeNSCHAFTeN UND PSYCHOLOGIe, CHeF VOM DIeNST (CVD)

nen. Auf ihrer Suche nach unbekannten Orten stießen unsere Redakteure unter anderem auf ein Tierstimmenarchiv und einen Windkanal.

Wenn Ihr noch anderes Ungewöhnliches an der Universität kennt oder unsere Suche weiterverfolgen wollt, dann schaut auf www.UnAufgefordert.de vorbei.

Eure UnAuf

Jede gute Band braucht einen leidenschaftlichen Frontmann. Unserer ist eindeutig unser CvD. Ohne ihn würdet

Ihr dieses Heft nicht in Händen halten.

Er hat bei der UnAufgefordert den abso-

Keine Ahnung, was das sein soll? Wir wissen es jetzt: historische Aufnahmegeräte. Weitere geheimnissvolle Dinge findet Ihr ab Seite 18.

Bildinschrift

luten Überblick und opfert für sie jede freie Minute.

Seine große Liebe sind Freddy Mercury und Schokoladenkekse. Letztere kann bei

übermäßigem Genuss schon mal auf den Magen schlagen – Freddy jedoch nie.

Unsere langen Nächte der Schlussredaktion werden deshalb stets von Live-Mit-

Foto: Nina Breher

schnitten Freddy Mercurys untermalt.

Doch nicht nur Freddy wird uns in bes-

ter Erinnerung bleiben. Gemäß Queens großem Erfolg: „The show must go on!“– Gutes Gelingen bei Deiner Bachelorarbeit!

Impressum: Die Studierendenzeitung der Humboldt-Uni-

Schuberth, Susanne Schwarz, Caspar Schwietering, Uta Ca-

Öffentliche Redaktionssitzungen: montags um 18:30

versität zu Berlin. Erstmals erschienen am 17. November

roline Sommer, Katharina Stökl, Stephan Strunz Anzeigen:

Uhr in der Redaktion, Invalidenstraße 110, Raum 118

1989. Beste deutschsprachige Studierendenzeitung 2005

Christian Meckelburg, Telefon: 0177-8763846, werbung@un-

Druck und Belichtung: Gemeindebriefdruckerei, Martin-

und 2008. Herausgegeben vom: Kuratorium des Freun-

auf.de und SD-Media, Telefon: 030-36286430 Satz: Ina Soth

Luther-Weg 1, 29393 Groß Oesingen, Auflage: 5.000 Für alle Fakten besteht das Recht auf Gegendarstellung

deskreises der UnAufgefordert e.V.

Online-redaktion: Hannes Leitlein, Uta Caroline Sommer,

Verantwortlich für diese Ausgabe: Lena Kainz, Franzis-

Katharina Stökl Titelbild: Hannes Leitlein

in angemessenem Umfang. Nachdruck nach vorheriger

ka Sedlbauer (Chefredaktion), Christian Meckelburg (Chef

Die UnAufgefordert wird gefördert von der BMW Stiftung,

Nachfrage möglich. Wir bitten um Quellenangabe und

vom Dienst), Nina Breher, Simon Grimm (Schlussredaktion)

dem Deutschen Fachjournalisten-Verband, der Hum-

Belegexemplar. Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe

redaktion: Pia Djermester, Susanne Hartl, Shirine Issa,

boldt-Universitäts-Gesellschaft und Funkpalast Musik

gekürzt zu veröffentlichen. Alle Artikel geben die Mei-

Paul Jarick, Dena Kelishadi, Benjamin Knödler, Annika

Kontakt: Humboldt-Universität zu Berlin, Unter den

nung des jeweiligen Autors wieder.

Koch, Peter Kraus, Hannes Leitlein, Nadine Meya, Merle

Linden 6, 10099 Berlin, Telefon: 030-20932288, Fax: 030-

redaktionsschluss dieser Ausgabe: 16. Januar 2012

Müller-Knapp, Miriam Nomanni, Samuel Raub, Angela

20932754, www.UnAufgefordert.de, redaktion@unauf.de

redaktionsschluss der Nummer 207: 02. April 2012

3

Editorial


UnAufgefordert

INhALt

POLItIK

tItEL 7

VON chaNceN uND gleichheit

12

Studierende mit Behinderung zu

es damit an der Humboldt-Universität zu Berlin aus?

Gewissensbisse

iN fÜNf sÄtZeN:

Gerechte Voraussetzungen für

schaffen, ist schwierig. Wie sieht

KOmmeNtar:

Der Numerus clausus 13

fehlZÜNDuNg

Zu wenig private Förderer -

Deutschlandstipendium hat Startprobleme. 14

frau scheeres, siND sie gerÜstet?

Die neue Berliner Senatorin für

Bildung, Jugend und Wissenschaft berichtet von ihren Plänen.

LEBEN

StuDIErEN 16

glOsse:

Kinder der Bürokratie

22

uND was macht maN DaNN

Der Projekt:Laden VOrhaNg auf:

Ethnologie

uNi-KNigge:

Darf man Tiere mit in den Hörsaal nehmen?

Für die Mördertür 23

ehreNruNDe

Die KulisseN

Preußen und die Deutsche Demo-

Längst Geschichte und doch

aktuell: koloniale Strukturen in Bolivien. 24

kratische Republik: Die HU hat

Nicht immer sind Studium und

Beruf auch Berufung. Dass es möglich ist, zeigen drei Studierende mit ihren Lebenswegen.

4

Inhalt

taDschiKistaN

Deutschland führt Paul Jarick in

Geschichte.

Die perfeKte KOmbiNatiON

lebeN wOaNDers: Seine Flucht vor dem Alltag in

viele Zeugen ihrer ereignisreichen

20

Eine deutsche Geschichte über die KOlumbus erbeN

gehalten.

eiN blicK hiNter

familieNbaNDe

Last der Weltkriege und des Erbes.

Pensionierte Dozenten werden

durch Seniorprofessuren an der HU

18

Der Zeitzeuge

rÜschtisch Jut:

Damit?

17

pOrtrait:

ein Land, dass ihm viele neue Ein-

drücke verschafft - nicht nur gute. 26

wOrauf wartest Du?

Diesmal: Theologieexamen


Studierendenzeitung der HU Berlin

Noten rechtfertigen: Check

Illu: Nicole Meckel

Ich würde gerne meine Konzentrationsfähigkeit aufmotzen.

„Hypnoseartige Zustände erleben wir alle tagtäglich“, fuhr er

wenn ich etwas öde oder anstrengend finde, bin ich in Gedan-

ung hätte, in denen ich so in ein Buch vertieft war, dass ich

fort und fragte, ob ich beispielsweise Situationen in Erinner-

Oft schweife ich viel zu schnell vom Thema ab. Besonders

alles um mich herum vergessen habe. Na klar! Wenn es nicht

ken ganz schnell woanders.

gerade mein Empirie-Wälzer ist, vertiefe ich mich gerne und

Wie kürzlich bei dieser einen Statistikprüfung mit den vielen

häufig in Bücher. „Solche Zustände bezeichnen wir als Tran-

Ankreuzaufgaben, deren Thema ich zum Gähnen fand. Oder

ce“, erklärte Öl-Ali.

beim Schreiben dieser Kolumne! Allein während der letzten

Und dann kam mir die Erleuchtung: die Statistikprüfung,

Stunde musste ich fünfzehn Mal aufstehen. Erst ging ich in

meine schlechte Note, die Quintessenz der gesamten studen-

die Küche, dann aufs Klo und schließlich wieder in die Küche.

tischen Existenz! Ich hatte damals Kreuzchen um Kreuzchen

Da erfuhr ich kürzlich auf der Feier einer Freundin von ihrem

gesetzt und Frage um Frage beantwortet. Nachdem ich so Sei-

Besuch bei einem Hypnotiseur. Er war auch zur Feier erschienen und erzählte mir, Hypnose könne

unter anderem die Leistungen im sport-

lichen Wettkampf und im Studium erhöhen. Das klang wie für mich gemacht! Also verabredete ich mich mit dem Hypnotiseur für den darauf folgenden Sonn-

te um Seite hinter mich gebracht hat-

»A ndere knien sich

te, stellte sich bei mir ein seltsames

Gefühl der Unbefangenheit ein. Was

sonntags auf eine hölzerne

tag. Andere knien sich sonntags auf eine

Bank und beten das Vater-

ich legte mich auf eine rote Couch.

unser, ich legte mich

hölzerne Bank und beten das Vaterunser,

Der Hypnotiseur, dessen Name für mich wie Öl-Ali klang, erklärte mir bei einer

auf eine rote Couch.

Tasse feurig scharfem Ingwertee, dass er

mich gleich in einen Trancezustand ver-

war geschehen? Ich hatte mir noch in

nächtlichen Lernmarathons – statt zu lernen – meine Chancen für das Bestehen dieser Prüfung ausgerechnet.

Alles hatte für ein gutes Ergebnis gesprochen!

«

Das

Langezeit war es mir ein Rätsel, doch

nun

fung

in

wurde

mir

alles

klar:

Ich hatte mich während der Prümusste

ich

einem Trancezustand

unbedingt

meinem

be-

setzen würde. Trance? Ich war beunruhigt! Trance ist doch ein

funden!

Professor

stand, der ordentliche Beamte mit sorgfältiger Scheitelfrisur

chenmethode durchschaut habe, mit der er versucht die klügs-

erzählen. Ich würde ihm erklären, dass ich seine fiese Kreuz-

psychedelischer Drogenrausch! Oder war das nicht dieser Zu-

ten Studentinnen in Trance zu versetzen!

dazu verleitet, auf allen Vieren zu kriechen und laut „Wau“ zu

Verzeihung, wo waren wir stehen geblieben? Gleich geht es

rufen?

weiter, ich gehe vorher nur noch kurz in die Küche und dann

Doch Öl-Ali beruhigte mich. Gekleidet in seine adrette Tweed

aufs Klo.

Jacke sagte er ernst: „Jede Hypnose ist eine Selbsthypnose.“

Ich würde in diesem Zustand nichts Ungewolltes tun.

5

Kolumne

Aufträge für Dena Kelishadi an redaktion@unauf.de


gibt es viele H端rden zu 端berwinden.

Foto: Hannes Leitlein

F端r Studierende mit Behinderung


Studierendenzeitung der HU Berlin

Von Chancen und Gleichheit Gerechte Voraussetzungen für Studierende mit Behinderung zu schaffen, ist schwierig. Wie sieht es damit an der Humboldt-Universität zu Berlin aus?

Wenn Johannes Sperling mit seinem Hund Goya über den Cam-

HU vorhanden sind, zeigt das Beispiel des Jacob-und-Wilhelm-

zieht der Labrador Retriever vor dem Eingang zur Cafeteria des

gegnungsort des studentischen Lebens.

pus der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) in Mitte geht,

Grimm-Zentrum. Gedacht war die Bibliothek als zentraler Be-

Hauptgebäudes besonders stark an der Leine. Der Grund: Goya

Wenn man mit Maximilian Schulz über die Universitätsbiblio-

weiß, dass man ihn dort häufig mit einer Wurst beglückt. Ei-

thek spricht, erinnern seine Erlebnisse jedoch an eine Odys-

gentlich weist ein Schild an der Eingangstür der Cafeteria da-

see. Schulz, der mit sechs Jahren an juveniler Arthritis, einer

rauf hin, dass Hunden der Zutritt untersagt sei, doch für Goya

Art Rheuma im Kindesalter, erkrankte, ist in vielen Situatio-

gelten andere Regeln.

nen auf den Rollstuhl angewiesen.

Denn der Labrador Retriever ist ein Blindenhund, der dem Stu-

Eigentlich muss der Student der Sozialwissenschaften von sei-

denten in seinem Alltag zur Seite steht. Sperling ist aufgrund

nem Institut aus nur die Straße überqueren und in den ersten

von Retinopathia praematurorum, einer Netzhauterkrankung

Stock der Bibliothek, um an seinem Statistik-Tutorium teil-

bei Frühgeborenen, sehbehindert.

nehmen zu können. Während Studierende ohne Gehbehinde-

Seit 2006 studiert er Skandinavistik am Nordeuropa-Institut

rung den Computerraum über Treppen im Foyer erreichen, ist

der HU und schreibt gerade an seiner Bachelorarbeit. Als Sper-

Schulz auf den Fahrstuhl der Bibliothek angewiesen. Oben an-

ling sein Studium vor elf Semestern begonnen hatte, habe er

gelangt führt der Weg zu dem Tutorium durch zwei versperrte

sich zunächst mit den Mitarbeitern des Instituts getroffen, um

Türen mit jeweils unterschiedlichen Schlössern.

festzustellen, ob er sich dort wohlfühlen könnte. „Ich wurde damals am Institut sehr

positiv

aufgenommen“,

erzählt

Sperling. „Auf meine Bedürfnisse wird hier sehr pragmatisch eingegangen.“

Man orientiere sich an dem in skandinavischen Ländern üblichen Umgang mit

Sein Tutor besitzt lediglich den Schlüs-

»Oft stehen

Vordergrund, nicht die

in Deutschland, erklärt Sperling weiter.

nutzerfreundliche

behinderten Menschen durch den Inklu-

Funktion der Gebäude.

Weltweit wurde ein offener Umgang mit

sich Schulz jede Woche selbst besorgen. Er sagt dazu: „Es dürfte gerne leichter

ästhetische Wünsche im

Menschen mit Behinderungen. Der sei

dort selbstverständlicher und lockerer als

sel für eine der Türen, den anderen muss

sionsbeschluss der Vereinten Nationen

in der Konvention über die Rechte von

sein, in diesen Raum zu gelangen.“

Bereits im November 2009 hatte eine

studentische Protestaktion versucht auf die Missachtung baulicher Vorschrif-

ten hinsichtlich der Barrierefreiheit

«

des Zentrums aufmerksam zu machen. Nachdem Studierende das Gebäude mit

Rollstühlen und Augenbinden erkun-

det hatten, legten sie dem damaligen HU-Präsidenten, Christoph Markschies,

Menschen mit Behinderungen festgehalten. Diese trat 2008 in

eine mehrseitige Mängelliste vor.

ven Ansatz sieht das Inklusionskonzept vor, behinderte Min-

freier Arbeitsplätze, ein unvollständiges Blindenleitsystem,

Kraft. Anders als bei dem bislang vorherrschenden integrati-

Kritisiert wurden unter anderem die geringe Anzahl barriere-

derheiten von vornherein als Teil der Gesellschaft zu begreifen,

welches Sehbehinderten die Orientierung in der Bibliothek

anstatt diese in eine nichtbehinderte Mehrheit integrieren zu

ermöglichen soll, fehlende Treppenhandläufe und schlecht zu-

wollen.

gängliche Fahrstuhleingänge. Um entsprechende Änderungen

Die konkrete Umsetzung des Inklusionsgedankens wurde in

planen und umsetzen zu können, rief der Akademische Senat

Deutschland in Paragraph vier des Behindertengleichstellungs-

im Juli 2010 die "Kommission Barrierefreie Humboldt-Univer-

gesetzes (BGG) unter dem Stichwort Barrierefreiheit verbindlich

sität" ins Leben.

festgelegt und ist ebenfalls seit 2008 bindend. Laut BGG gelten

Der Vorsitzende der Kommission, Georg Kubsch, erklärt all-

Gebäude, Verkehrsmittel und technische Gebrauchsgegen-

gemeine Defizite hinsichtlich der Barrierefreiheit so: „Leider

stände ale barrierefrei, wenn sie „ohne besondere Erschwernis

stehen oft ästhetische Wünsche im Vordergrund, nicht die

und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar“

nutzerfreundliche Funktion der Gebäude.“ Viele, aber bei wei-

seien. Welche Defizite hinsichtlich der Barrierefreiheit an der

tem nicht alle damals aufgelisteten Probleme seien inzwischen

7

Titel


Unaufgefordert

gelöst worden und „es gibt neue Barrieren“, so Kubsch.

stellt“, so Kubsch. „Leider halten sich nicht alle beim Erstellen

stattung der Arbeitskabinen, sowie der Kaffeeautomat der Ca-

Sperling hatte mit der Konzeption der HU-Internetseiten bislang

Zu diesen zähle die nicht für Rollstuhlfahrer geeignete Aus-

der Seiten an diese Vorlagen.“

feteria der Universitätsbibliothek, der durch seine Position in

keine Probleme. Beim Arbeiten am Computer nutzt er ein Sprach-

einem schmalen Gang nur eingeschränkt erreichbar sei. Au-

ausgabesystem, mit dem er sich den schriftlichen Inhalt einer In-

ßerdem sei von einem Rechercheplatz im Foyer, der für Roll-

ternetseite vorlesen lassen kann. Durch die barrierefreie Gestal-

stuhlfahrer zugänglich ist, der Computer entfernt worden,

tung eines Internetauftritts erkennt das System auch Suchfelder,

erzählt Kubsch.

die beispielsweise für die Bibliotheksrecherche wichtig sind.

Verbesserungsmaßnahmen seien oft schwer umzusetzen. Einer-

Im Zusammenhang mit der Barrierefreiheit und dem Konzept

seits müsse im Fall der Bibliothek fast immer die Zustimmung

der Inklusion ist auf Hochschulebene ein weiteres Stichwort

des Architekten eingeholt werden, ande-

rerseits stünden andere Gebäude der HU

oft unter Denkmalschutz, was den Umbau zusätzlich erschwere.

Die Kommission beschäftigt sich auch

von Bedeutung: Nachteilsausgleich. Das

»I ch kann für nieman-

mit der Frage, wie für die Barrierefreiheit

den – egal, wie groß der

kostengünstig bereitgestellt werden kön-

Härteaspekt ist – einen

von Mensen und Lehrräumen mit barrie-

Studienplatz garantieren

könnte beispielsweise ein Möbelpool ein-

oder schaffen.

notwendige

Anschaffungen

möglichst

nen. Hier nennt Kubsch die Ausstattung refreiem Mobiliar. „Um Kosten zu sparen,

gerichtet werden, aus dem dann die Räu-

«

me nach Bedarf bestückt werden“, sagt er.

Berliner Hochschulgesetz verpflichtet die Hochschulen der Hauptstadt, die besonde-

ren Bedürfnisse behinderter und chronisch kranker Studierender zu berücksichtigen.

Um Chancengleichheit und die Barriere-

freiheit sowie den Ausgleich von Nachteilen im Studium und bei Prüfungen zu gewährleisten, stehen die Hochschulen und

das Deutsche Studentenwerk (DSW) in der Verantwortung.

Dass es nicht einfach ist, allen Bedürfnis-

sen von behinderten und chronisch kranken Studierenden gerecht zu werden, weiß

Des Weiteren müssten auch die Internet-

Jochen Ley. Als Beauftragter für behinderte

seiten der HU barrierefrei konzipiert werden. Der Computer- und

Studentinnen und Studenten an der HU kümmert er sich seit 2011

barrierefreier Informationstechnik nach dem BGG umzusetzen,

ich es, an der Universität etwas positiv zu verändern, anderer-

Medienservice habe bereits versucht, die Regeln zur Schaffung

um deren Belange. Über seine Arbeit sagt er: „Einerseits genieße

bevor diese für Universitäten verbindlich in Kraft traten. „Dies-

seits gilt es, viele Mauern zu durchbrechen.“

bezüglich werden Schulungen angeboten und Vorlagen bereitgeFoto: Miriam Nomanni

Laut Ley gebe es trotz des Ideals der Barrierefreiheit imBehinderung und Studium diese zwei Welten zu vereinen ist nicht immer leicht.

8

Titel


Studierendenzeitung der HU Berlin

mer Grenzen, die entweder das Mögliche oder das Machbare

kraft am Nordeuropa-Institut nutze, verfüge nur über eine ver-

Behinderung oft nur schwierig bis unmöglich zu belegen, da

bel sei. „Die Kosten für so ein Programm liegen bei knapp 3000

altete Version, die mit neueren Browserversion nicht kompati-

beträfen. So seien etwa Sportstudiengänge für Menschen mit

Euro“, meint Sperling. „Soll das Institut diese Mehrkosten tra-

die Studierenden an ihre physischen Grenzen stoßen würden.

gen müssen, weil es einen behinderten Menschen einstellt?“

Zu den Grenzen des Machbaren sagt Ley: „Es ist immer sehr

Das Studentenwerk ist in diesem Fall nicht zuständig, da Sper-

schwer für alle Beteiligten, wenn die Erwartungshaltung, was

ling diese Anfrage nicht als Student, sondern als Arbeitnehmer

ich in personam und die HU als Institution bewerkstelligen

stellt. Weil er die Anschaffung nicht als Privatperson benötigt,

können, zu hoch ist.“

zahlt auch seine Krankenkasse nicht. Das Integrationsamt

Konkret nennt er bauliche Probleme oder die Sensibilisierung

Berlin, das sich um die Bedürfnisse behinderter und chronisch

von Lehrenden, die sich „nicht über Nacht“ verändern ließen.

kranker Menschen im Berufsalltag kümmert, ist wiederum

Jedem Studierenden oder Studienbewerber, der sich an ihn

erst ab einer Mindestanzahl von 15 Arbeitsstunden pro Woche

wenden würde, versuche Ley durch Hilfe bei der Studienpla-

zuständig.

nung und bei Fragen zu Härtefallanträgen weiterzuhelfen.

Für Sperling würde das bedeuten, mehr arbeiten zu müssen,

Eines ist laut Ley jedoch schlichtweg unmöglich: „Ich kann für

um überhaupt arbeiten zu können. „Deutschland ist in vieler-

niemanden – egal, wie groß der Härteaspekt ist – einen Studi-

lei Hinsicht ein Entwicklungsland, was die Unterstützung von

enplatz garantieren oder schaffen.“

Behinderten angeht“, stellt er fest.

Bis zu fünf Prozent der Studienplätze an der HU sind für soge-

Schulz sagt, er habe das Gefühl, den zuständigen Stellen hin-

nannte „Fälle außergewöhnlicher Härte“ vorgesehen. So dass Studienanfänger, die beispielsweise aufgrund gesundheitlicher Proble-

me oder einer Behinderung eingeschränkt sind, unmittelbar und vor

»Deutschland ist in

den anderen Bewerbern zum Studi-

vielerlei Hinsicht ein

Verfahren der Bewerbung kann so

Entwicklungsland, was

trag umgangen werden.

die Unterstützung von

DSW sind 18,6 Prozent der Studieren-

Behinderten angeht.

um zugelassen werden. Das normale durch einen bestätigten HärtefallanGemäß der 18. Sozialerhebung des den an deutschen Hochschulen behindert oder chronisch krank. Acht

«

terherrennen zu müssen, um diverse Nach-

weise zu erbringen. „Viele sind mit den bürokratischen Anforderungen, die an sie gestellt werden, zu Recht überfordert. Die permanente Rechtfertigungspflicht für eine

zudem offensichtliche Behinderung ist eklig“, meint er.

Die Vorgabe, ständig den Nachweis einer Behinderung erbringen zu müssen, empfindet auch Lisa Gutsche, Enthinderungsbera-

Prozent davon geben an, dass ihre

gesundheitliche Schädigung starke Auswirkungen auf ihr Studium habe.

Ley zufolge gebe es keine genauen Aufzeichnungen über die

Anzahl behinderter und chronisch kranker Studierender an der HU. Es sei gesetzlich untersagt, derartige Angaben zu erfassen und zu verbreiten. Er könne lediglich darüber Auskunft geben, mit wie vielen Personen an der HU er Beratungsgespräche ge-

führt habe. Aktuell belaufe sich diese Zahl auf insgesamt 247 Studierende.

Fragt man Schulz nach der Unterstützung von Seiten der Uni-

versität, zeigt der Student Verständnis dafür, dass „den Beauftragten symbolisch gesehen oft die Hände gebunden sind“.

Wenn die entsprechenden Mittel fehlten, könne man eben nicht so helfen, wie man es gerne möchte.

Die HU übernehme die Kosten, wenn individuelle Bedürfnisse auch zur Verbesserung der allgemeinen Barrierefreiheit an der

Universität beitragen würden, so Ley. Andernfalls sei das Studentenwerk Berlin zuständig.

aus nachvollziehbar ist, bedeutet dies für Schulz und Sperling

vor allem eines: einen Spießrutenlauf zwischen verschiedenen Instanzen.

Studierende mit und ohne Behinderung

Sperling berichtet diesbezüglich von seinem Versuch, die Be-

halten oft Abstand zueinander.

willigung für eine aktuelle Version des Sprachausgabesystems zu erhalten. Der Bürocomputer, den er als studentische Hilfs-

9

Titel

Foto: Hannes Leitlein

Während diese Aufteilung der Zuständigkeitsbereiche durch-


UnAufgefordert

terin des Referent_Innen Rat, als störend. Ihrer Meinung nach

Ein weiterer Aufgabenbereich ist die Vergabe von Integrations-

rungen wie chronische Erkrankungen, HIV oder Schizophrenie

enalltag durch Büchergeld, technische Hilfsmittel und Stu-

führe diese Praxis zudem dazu, dass „nicht sichtbare Behinde-

hilfen. Je nach Bedürfnis sollen Studierende in ihrem Studi-

stigmatisiert werden“.

dienassistenten unterstützt werden. Studienassistenten sind

Im Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum gebe es beispielswei-

vom Studentenwerk Berlin bezahlte Helfer.

se Schließfächer, die speziell behinderten und chronisch kran-

Laut Gomm seien die Berliner Landesgesetze bezüglich des

ken Studierenden zur Verfügung stünden. „Um diese nutzen

Studiums mit Behinderung oder chronischer Erkrankung für

zu können, muss man sich allerdings an den Sicherheitsdienst

Betroffene attraktiv: „Die Integrationshilfe läuft über das Stu-

wenden. Wenn es keine sichtbare Behinderung ist, ist man

dentenwerk, nicht wie in anderen Bundesländern über die

also wieder gezwungen, sich zu outen“, sagt Gutsche. „Das

überörtlichen Träger der Sozialhilfe“, so Gomm. „Hier in Berlin

führt dazu, dass viele Studierende erst gar nicht um einen Nachteilsausgleich ansuchen.“

Beatrix Gomm, Bereichsleiterin für Behinderten- und Sozialberatung des Studenten-

ist so eine enge Kooperation mit den Hoch-

»Bei einer nicht

werks Berlin, meint: „Keiner muss Angst

sichtbaren Behinderung

men.“ Ihre Beratung sei anonym und ver-

ist man oft gezwungen,

Erkrankung nicht zwangsweise genannt

sich zu outen.

davor haben, zum Studentenwerk zu kom-

traulich, zudem müsse die entsprechende werden.

Gromms Aufgabe ist es, behinderte und

«

schulen möglich und wir können näher am Studenten bleiben.“

Auch Sperling schätzt diese Arbeitsweise. Den Bescheid über die Bewilligung seiner Braillezeile hätte er beispielsweise bereits

nach wenigen Wochen erhalten. Das Gerät funktioniert wie eine reguläre Tastatur und

ermöglicht es Sperling, sich Notizen zu machen oder Inhalte auf einem Bildschirm

zu lesen. Anstelle von Tasten sind auf der Braillezeile unterschiedliche Kombinatio-

chronisch kranke Studierende in ihrem Studienalltag zu unter-

nen von acht Punkten erfühlbar. Er nimmt auch das Angebot

Sie berät bei Themen wie der Verlängerung von BAföG-Laufzei-

Büchern unterstützt. Nur in digitaler Form kann Sperling zum

stützen und ihren individuellen Bedürfnissen nachzukommen.

der Studienassistenz in Anspruch, die ihm beim Scannen von

ten, dem Nachteilsausgleich oder geeigneten Wohnheimplät-

Lesen sein Sprachausgabesystem oder seine Braillezeile nut-

zen für Studierende mit Behinderung oder chronischer Erkran-

zen.

kung.

Gomm zufolge werde für die Finanzierung solcher Unterstützungsmaßnahmen jährlich ein Sockelbetrag von 400.000 Euro

durch die Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Foto: Hannes Leitlein

Wissenschaft festgesetzt. Alle zusätzlichen Kosten würden

gemäß eines solidarischen Umschlagverfahrens gleichmäßig unter den Berliner Hochschulen aufgeteilt.

Im letzten Jahr beliefen sich die anfallenden Kosten laut Ge-

schäftsbericht des Studentenwerks Berlin auf etwa 700.000 Euro, so dass von den Berliner Hochschulen insgesamt 300.000

Euro getragen werden mussten. Wegen der Aufteilung dieses Betrags entstehe für keine Hochschule ein finanzieller Nach-

teil dadurch, behinderte oder chronisch kranke Studierende aufzunehmen, erklärt Gomm.

Dass die Unterstützung seitens des Studentenwerks Berlin dennoch nicht immer reibungslos verläuft, zeigte sich zu Beginn

des Studiums von Ludwig Herb. Er ist Student der Deaf Studies an der HU. Der Studiengang, auch Hörgeschädigtenkunde genannt, beschäftigt sich unter anderem mit der Geschichte,

Kultur und Sprache gehörloser Menschen. „Das erste Semester war für mich ein großer Schock“, erinnert sich der 25-jährige Student.

Aufgrund seiner Gehörlosigkeit sei er während Seminaren und

Vorlesungen auf Dolmetscher angewiesen, die ihm die Worte

der Lehrenden in Gebärdensprache übersetzen. Bei einer Dau-

er von über einer Stunde muss er zwei Dolmetscher bestellen, damit sich diese abwechseln können. Im Jahr 2007 wurde vom

Studentenwerk Berlin jedoch nur eine Einzelbesetzung bewil-

Führt zu Benachteiligungen:

ligt.

Nicht gehört werden.

„Ich erinnere mich noch an die vielen Seminare, bei denen ich

nur die Hälfte mitbekommen habe“, schreibt Herb. Den Rest

10

Titel


Studierendenzeitung der HU Berlin

musste er zu Hause selbstständig erarbeiten. Aufgrund dieser

fühl, dass „der Weg für mein Studium und meine Karriere frei

liner Initiative gebärdensprachiger StudentInnen mit. „Wir

Auch Schulz ist trotz der Beeinflussung seines Studiums durch

Benachteiligung durch seine Behinderung gründete er die Ber-

ist“.

hatten viele Gespräche mit den Behindertenbeauftragten des

seine Behinderung zufrieden. „Ich konnte mir ein tolles sozi-

Studentenwerks“, so Herb. „Seitdem läuft das Studium für tau-

ales Netzwerk aufbauen und erhalte viel Unterstützung von

be Studierende barrierefrei.“

meinen Kommilitonen und den Dozenten“, sagt er. Dass er

Auch sein Antrag auf eine Studienassistenz bei der Korrektur

Vorlesungen als Audiodateien erhalte, finde er „toll, denn es

von Texten sei bewilligt worden. Diese benötigt er, weil ihm

hilft ja nicht nur mir, sondern auch den anderen“. Aufgrund

aufgrund seiner Gehörlosigkeit der für Hörende natürliche

seiner Behinderung könne er sich während der Veranstaltun-

Gebrauch der Sprache nicht so leicht fällt. Lediglich in seiner

gen keine Notizen machen, weshalb anschließend eine hörba-

Freizeit merke Herb, dass er sich schwer in hörende Studieren-

re Version ins Internet gestellt werde.

denkreise eingliedern könne.

Auch Sperling meint, viele Lehrende würden für ihn während

Einerseits beherrsche er die Lautsprache nicht, andererseits

der Seminare Schaubilder oder das Tafelbild beschreiben. „Ich

seien ein Großteil der Hörenden nicht in der Lage durch die Ge-

habe kein Problem damit, Leute anzusprechen und einem Do-

bärdensprache zu kommunizieren. „Aber zum Glück ist Deut-

zenten zu erklären, was er in seinem Unterricht tun könnte,

sche Gebärdensprache ein Pflichtfach in Deaf Studies“, meint

um mir ein gleichberechtigtes Studium zu ermöglichen“, sagt

Herb. Dort würden Hörende von der Kommunikation mit ihm

er. „Andere denken aber vielleicht nicht so und machen nicht

profitieren und so ihre Kompetenzen erweitern. „Da fühle ich

auf ihre Bedürfnisse aufmerksam.“

mich gleichberechtigt. Warum soll ich viele Jahre lang spre-

Am wichtigsten sei es laut Sperling, die Leute da abzuholen,

chen üben, wenn ich überhaupt nicht hören und die Sprache

wo sie sind. Denn Barrierefreiheit bedeute nicht nur die kor-

nicht steuern kann?“, fragt Herb. „Jeder Hörende kann die

rekte Durchführung baulicher Vorschriften, sondern vor al-

wunderschöne Gebärdensprache lernen und sich auch sehen

lem, gegenseitiges Verständnis für die Bedürfnisse anderer zu

und steuern.“ Sein derzeitiges Studium ergänzt er deshalb

entwickeln. Er meint, um die Sensibilisierung zu fördern und

durch eine Tätigkeit als Dozent eines Gebärdensprachkurses

das Ziel der Inklusion zu erreichen, „müssen zunächst einmal

am Sprachenzentrum der HU. Mittlerweile hat Herb das Ge-

die Köpfe barrierefrei werden“.

Foto: Hannes Leitlein

Lena Kainz, Peter Kraus, Miriam Nomanni, Katharina Stökl

Die Mauer zu den anderen ist nicht immer sichbar, aber spürbar ist sie in jedem Fall.

11

Titel


Studierendenzeitung der HU Berlin

POL ItIK Der Numerus clausus

Kommentar

Zahl – legt die Anzahl der zur

Verfügung stehenden Studien-

plätze an deutschen Hochschulen

5

Foto: Hannes Leitlein

Der Numerus clausus (NC)

– lateinisch die beschränkte

von Samuel Raub

In

Sätzen

fest. Oft wird der NC direkt mit einer

ergibt er sich aus Studienplatzangebot

Gewissensbisse

Um für einen Studiengang einen NC

Deutschland erlebt eine der deutlichsten Konsumentwicklun-

schule nachweisen, dass ihre Kapazitä-

hier ein Produkt unter die Leute bringen will, sollte möglichst

Abiturnote gleichgesetzt, tatsächlich und -nachfrage.

gen der letzten Jahre. Und Berlin ist ganz vorne mit dabei. Wer

einführen zu können, muss die Hoch-

ten ohne weitere Zulassungsbeschrän-

viele Siegel auf der Verpackung unterbringen. Diese müssen

Die Vergabe der Plätze für bundesweit

getan hat, keine Chemie enthält, seine Rohstoffe nachwach-

organisiert seit 2010 die Stiftung für

dem die Natur gar nicht merkt, dass es entsteht, benutzt wird

enplatznachfrage in den 60er Jahren

Lebensmitteln zu beobachten.

zeigen, dass das Produkt in der Herstellung niemandem weh-

kungen überlastet wären. zulassungsbeschränkte

sen und es biologisch abbaubar ist. Kurzum: Ein Produkt, von

Studiengänge

und wieder vergeht. Besonders deutlich ist diese Tendenz bei

Hochschulzulassung. Als die Studi-

Das haben auch die Berliner Mensen kapiert. Auf deren Spei-

stark anstieg, sollte der NC lediglich

seplänen findet man kaum etwas ohne Siegel: fair gehandel-

eine Übergangslösung darstellen – diese wurde jedoch bisher durch kein anderes

ter Kaffee, Gemüse aus ökologischem Landbau, besonders

Pia Djermester, Merle Müller-Knapp

An der Humboldt-Universität zu Berlin gibt es sogar täglich

zärtlich gefangener Fisch und Eier aus prämierter Haltung.

Verfahren ersetzt.

ein veganes, klimaneutrales Gericht, bei dessen Herstellung

angeblich wenig CO2 ausgestoßen wurde. Das Gewissen isst schließlich mit.

Gegen all das ist nichts einzuwenden. Im Gegenteil: Jeder

muss lernen vernünftig mit den ihm anvertrauten Ressourcen

umzugehen und sich gewissenhaft gegenüber Mensch, Tier und Umwelt zu verhalten. Aber dabei geht es eben doch um

mehr als die über 40 Bio-Fair-Vegan-Klimaneutral-Nachhal-

tigkeits-Siegel, die in Deutschland Waren zieren.

Zuweilen verführt das große Angebot an nachhaltigen Produkten nämlich dazu, gerade nicht bewusst einzukaufen. Im

„Ich wünsche mir wieder mehr un-

Biomarkt um die Ecke offenbart die Branche ihre fragwürdi-

befristete Stellen in den Univeristäten

verpackung oder Bio-Äpfel aus Neuseeland. Darüber hinaus

gen Auswüchse: Mikrowellenlasagne in opulenter Plastiknimmt einem die schiere Masse an Siegeln jegliche Lust sich

und damit einen starken Mittelbau in

mit deren Kriterien auseinanderzusetzen.

Man sollte eher darüber nachdenken, wie man überhaupt

Foto: privat

Lehre und Forschung.“

konsumieren will. Dagegen, dass 50 Prozent der weltweit

produzierten Lebensmittel niemals menschliche Münder

Dr. des. Frank Reichherzer,

erreichen, hilft kein Siegeldschungel, sondern nur ange-

Wissenschaftlicher Mitarbeiter am

wandte Vernunft. Und die fängt beim Offensichtlichen an.

Lehrstuhl für Geschichte Westeuropas

Zum Beispiel damit, dass man seinen Mensateller nur so voll

und der transatlantischen Beziehungen

lädt, dass man ihn auch leer essen kann.

12

Politik


Studierendenzeitung der HU Berlin

Nc-klage

Fehlzündung

Neues

Zu wenig private Förderer –

Der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin hat erklärt,

dass der Numerus clausus

(NC) für den Bachelorstudi-

engang Psychologie in Berlin

Deutschlandstipendium hat Startprobleme.

keine ausreichende Rechtsgrund-

lage hat. So heißt es in einer Pressemitteilung des Gerichtshofes vom Dezem-

ber 2011. Damit wird der Klage zweier Frauen stattgegeben. Sie hatten bereits

vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg gegen die Ablehnung

zum Wintersemester 2009/2010 geklagt und verloren. Laut der Pressemitteilung fehlt in vielen weiteren Studienfächern

eine nötige Rechtsgrundlage für den örtlichen NC-Wert.

sig

stupa-wahlen Am 18. und 19. Januar 2012 fanden die

Illu: Jasmin Fayad

Wahlen zum 20. StudentInnenparla-

Das Deutschlandstipendium hat sein Ziel verfehlt: An der

ment (StuPa) der Humboldt-Universität

Humboldt-Universität zu Berlin (HU) wurden seit Beginn der

zu Berlin (HU) statt. Dies geht aus den

Förderung im Sommersemester 2011 33 Stipendien vergeben,

am 20. Januar vom Referent_innen Rat

obwohl über 100 vorgesehen waren. Das erklärte Mira Schön

veröffentlichten vorläufigen Ergebnissen

aus dem Referat Öffentlichkeitsarbeit, Marketing und Fund-

hervor. Aufgerufen waren alle 34.559 an

raising der HU.

der HU immatrikulierten Studierenden.

Ziel des Deutschlandstipendiums für das vergangene Jahr war

1730 machten von ihrem Wahlrecht ge-

es, bundesweit bis zum Ende des Jahres an jeder deutschen

brauch; 1716 Stimmen waren gültig. Die

Hochschule 0,45 Prozent der Studierenden zu fördern.

Wahlbeteiligung lag damit bei fünf Pro-

Die Fördersumme von monatlich 300 Euro pro Stipendiat für

zent. Im Vorjahr hatten sich 8,6 Prozent

mindestens ein Jahr wird jeweils zur Hälfte vom Bund und pri-

der Stimmberechtigten an den Wahlen

vaten Stiftern getragen. Die privaten Geldgeber anzuwerben ist

beteiligt. Stärkste Kraft wurde erneut

Aufgabe der Universitäten.

GRÜNBOLDT >> die grün-alternative lis-

Probleme bei der Vergabe der Stipendien ergeben sich nicht

te mit 17,37 Prozent der Stimmen und

aus einem Mangel an geeigneten Bewerbern. Was das Projekt

mit zehn der insgesamt 60 Sitzen.

einschränkt, ist die verpflichtende Beteiligung privater Förderer von 50 Prozent. Die Akquise der privaten Gelder gestaltet

sig

sich schwierig. Damit verfallen die anteiligen Bundesgelder in

sparkurs bildung

chen Stipendien vorgesehenen waren.

male Bildungseinrichtungen wie Kin-

und es würden 37 Hochschulen miteinander konkurrieren, er-

Einrichtungen der beruflichen Bildung

betreffend meint sie: „Für Unternehmen sind insbesondere

landsprodukt (BIP) mit einem Anteil von

gibt."

Mitgliedsstaaten der Organisation für

wichtiges Kriterium. Den privaten Geldgebern ist es innerhalb

Entwicklung (OECD) zurück. Dieser be-

unterstützen wollen. Weiter werden bei der Auswahl der Sti-

Dezember 2011 erschienenen Bildungs-

politisches und kulturelles Engagement und die Bildungsher-

amtes, der die endgültigen Zahlen von

Förderung nicht abhängig.

Deutschland vergleichbare OECD-Staa-

acht Prozent aller Studierenden in Deutschland geplant. An

seit 1995 steigern können, die deutschen

Höhe von sieben Millionen Euro, die bundesweit für die restli-

Die Ausgaben Deutschlands für for-

Berlin und seine Umgebung seien wirtschaftlich nicht so stark

dergärten, Schulen, Hochschulen und

klärt Schön die Problematik für das Bundesland Berlin. Die HU

blieben 2008 in Relation zum Bruttoin-

die Ingenieurstudiengänge interessant, die es an der HU nicht

4,8 Prozent hinter dem Durchschnitt der

Denn für zwei Drittel der Förderplätze ist das Studienfach ein

wirtschaftliche Zusammenarbeit und

dieser Quote erlaubt zu entscheiden, welche Fachrichtung sie

trug 5,9 Prozent. So heißt es in dem im

pendiaten sowohl die Studienleistungen, als auch soziales,

finanzbericht des Statistischen Bundes-

kunft der Bewerber berücksichtigt. Vom Einkommen ist die

2008 analysiert. Demnach hatten mit

Mittelfristig ist von Bundesseite ein Anstieg der Förderung auf

ten ihre Ausgaben in Relation zum BIP

der HU gibt es die nächste Ausschreibung bereits wieder zum

Ausgaben hingegen gingen von 5,1 Pro-

Sommersemester 2012.

zent auf 4,8 Prozent zurück.

Susanne Schwarz

13

Politik

lek


UnAufgefordert

Frau Scheeres, sind Sie gerüstet? Die neue Berliner Senatorin für Bildung, Jugend und Wissenschaft berichtet

Foto: Promo

von ihren Plänen für die Hochschulen der Hauptstadt.

Mit der Ernennung seiner neuen Senatoren hatte sich Klaus

Sandra Scheeres: Von meinen VorgängerInnen waren weder

Woche nach seiner Wahl zum Regierenden Bürgermeis-

Herr Flierl in erster Linie Wissenschaftspolitiker. Und trotz-

Herr Radunski, Frau Thoben, Herr Stölzl, Frau Goehler oder

Wowereit Zeit gelassen. Erst am 29. November 2011, eine

dem ist die Leistungskraft der Berliner Hochschulen heute

ter, präsentierte er das neue Kabinett. Dass seine Ent-

unbestritten beeindruckend. In den Gesprächen, die ich

scheidung bezüglich des Postens des Senators für Bildung,

täglich mit vielen Akteuren führe, mache ich mir ein eigenes

Jugend und Wissenschaft zu Gunsten von Sandra Schee-

Bild, wie dieser Erfolg bewahrt und ausgebaut werden kann.

res (SPD) ausfiel, war dabei die größte Überraschung. Bis

Mein Ziel ist es, den Wissenschaftsstandort Berlin auch für die

dahin war Scheeres an den meisten Berliner Bildungsinstituti-

kommenden Jahre stabil und nachhaltig zu entwickeln und

onen noch unbekannt.

alle Chancen zu nutzen, die das Erreichte festigen. Ich bin mir

Die gebürtige Düsseldorferin ist ausgebildete Erzieherin und

sicher, dass mir das gelingen wird.

schloss 1999 ein Pädagogikstudium an der Heinrich-HeineUniversität Düsseldorf ab. Seit elf Jahren lebt sie in Berlin und sitzt seit 2006 als Direktkandidatin des Wahlkreises Pankow 5

Was möchten Sie für die Berliner Hochschulen und für die Berliner

rige jugend- und familienpolitische Sprecherin ihrer Fraktion.

Zunächst müssen die großen Herausforderungen, wie sie mit

Plätzen ein und gilt als Expertin auf dem Gebiet der Jugend-

pflicht, aber auch mit dem Exzellenzwettbewerb gegeben sind,

für die SPD im Berliner Abgeordnetenhaus. Dort war die 41-Jäh-

Studierenden in den nächsten fünf Jahren erreichen?

Die gelernte Erzieherin setzte sich für den Ausbau von Kita-

dem doppelten Abiturjahrgang und dem Aussetzen der Wehrgemeistert werden. Wir sind auf gutem Wege. Der gerade

politik.

veröffentlichte Bericht zur Leistungsfähigkeit der Berliner

In der Bildungs- und Wissenschaftspolitik hat sich Scheeres

Hochschulen zeigt, dass wir genug Vorsorge getroffen haben,

bisher jedoch noch nicht hervorgetan. Gut einen Monat nach

um diese Entwicklung gut zu schultern. Insgesamt geben wir

der Amtsübernahme beantwortet sie nun Fragen zur Zukunft

wieder mehr Geld für die Wissenschaft aus und haben seit

der Berliner Hochschulen, dem Studienplatzangebot in der

etwa zwei Jahren hier eine Trendwende umgesetzt. Es muss

Stadt und den Verhandlungen mit dem Bund die Zusammen-

langfristig darum gehen, den Hochschulen zukunftsfähige

arbeit von der Charité und dem Max-Delbrück-Centrum (MDC)

Rahmenbedingungen zu geben.

betreffend.

UnAufgefordert: Frau Scheeres, Sie gelten in der Wissenschafts-

Wie kann der mit dem doppelten Abiturjahrgang einhergehende Studi-

politik als Anfängerin und haben selbst mehrfach davon gesprochen,

enplatzausbau so gestaltet werden, dass die Studienbedingungen und

dass Sie sich in den ersten Wochen Ihrer Amtszeit in bestimmte Bereiche

die Studierbarkeit nicht darunter leiden?

einarbeiten wollen. Wie gut sind Sie bereits mit der Materie vertraut?

Ich sagte es bereits: Wir sind gut gerüstet für diese besondere

14

Politik


Studierendenzeitung der HU Berlin

Der rot-schwarze Ko

Situation, weil wir seit Jahren Vorsorge getroffen haben. Seit 2005 haben wir etwa 10.000 zusätzliche

altionsvertrag

nsvertrag war gen über den Koalitio An den Verhandlun eiligt. im Jahr 2005 haben wir jetzt über 30.000 in ht entscheidend bet Sandra Scheeres nic ienplätze im Rahud 2011. Das ist eine enorme Leistung der Hochsbau der Masterst Au ein ss da es, ißt Im Vertrag he gestrebt werschulen, aber auch des Landes Berlin. Auschulpaktes 2020 an twicklung des Hoch ren ite We er gebot an ein n me ßerdem bedeutet die doppelte Anzahl von chfragegerechtes An ierenden soll ein na tud tss ram Leh s der EinrichAbiturienten nicht, dass deshalb alle de. Beson te Rot-Schwarz die n. Außerdem möch rde we n ote geb an Abgänger an die Hochschulen drängen Masterplätzen tstudiums prüfen. Stärkung des Lehram r zu on ati uc Ed of werden. Ganz sicher ist es aber auch in tung einer School n, WissenschaftRegierung versuche chschulen will die Zukunft eine Herausforderung, die notHo den t mi am e leistungsins Geme bieten. Die bisherig wendigen Ressourcen an Betreuung so zur e Vertragslaufzeiten ger län n ter bei Novelle tar lichen Mi n, genauso wie die Verfügung zu stellen, dass die Lehre nicht soll überprüft werde g un ier nz na ulfi ig basierte Hochsch gegen auch zukünft ngebühren sind da leidet. Wir stehen in diesem Bereich sehr die Stu s. tze ese ulg des Berliner Hochsch gut, wie unter anderem auch die Ergebnicht vorgesehen. k-Centrum d dem Max-Delbrüc nisse des bundesweiten Wettbewerbs Quait von der Charité un f der Basis au t Zur Zusammenarbe tig tion beabsich litätspakt Lehre zeigen. In keinem Bundessvertrag: „Die Koali in Verng heißt es im Koaliton eru egi t der Bundesr land gehen so viele erfolgreiche Studierende äche des Senats mi rojekt otp sondierender Gespr Pil em um in ein mit Examen von der Hochschule wie in Berlin. Bund einzutreten, d un handlungen mit dem té ari Ch e der Wir haben rund 85 Prozent examinierte AbgänForschungsbereich bis zum Jahr 2018, die nzuführen.“ ger und liegen damit um fast 10 Prozent über dem des MDC zusamme Studienanfängerplätze geschaffen. Statt 20.000

Bundesdurchschnitt.

Die Trennung der Bereiche Wissenschaft und Forschung auf zwei Senatsverwaltungen ist vielfach kritisiert worden. Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit Sybille von Obernitz, Senatorin für Wirtschaft, Technologie und Forschung, den Hochschulen und den außeruniversitä-

Wie ist der Stand bei den Verhandlungen um die zukünftige Zusammen-

ren Forschungsinstitutionen bisher?

arbeit zwischen den Forschungsbereichen der Charité und dem MDC?

Viele Skeptiker überschätzen die Bedeutung der Zuordnung zu

Ihre Verhandlungspartnerin Bundesbildungsministerin Annette Schavan

Hochschulen ist gewahrt und im Übrigen bin ich sicher, dass

2012 abschliessen wolle.

gut funktionieren wird.

Berlin von großer Bedeutung. Indem wir die beiden Institutio-

einem Ressort. Die Einheit von Lehre und Forschung an den

(CDU) hat im November 2011 gesagt, dass sie die Gespräche bis Sommer

die Zusammenarbeit mit meiner Kollegin Frau von Obernitz

Das Projekt Charité-MDC ist ein zukunftsweisendes. Es ist für nen kooperativ zusammenführen, werden wir einen Mehrwert

Werden Sie auch Kontakt mit den Studierenden der Berliner Universitäten

schaffen, der einen Modellcharakter für andere Exzellenz-

herstellen und halten?

Standorte in Deutschland haben soll. Es muss unser Ziel sein,

Ich sehe mich als Gesprächspartner für alle Gruppen und ich

hier so schnell es geht zu konkreten Ergebnissen zu kommen.

werde mich gerne allen Diskussionen stellen. Die Studieren-

Wir sind in guten Gesprächen mit dem Bund.

den werden in mir jemanden kennenlernen, der sie ernst nimmt und ihnen zuhört.

Haben Sie schon eine Vorstellung davon, wie die Charité und das MDC

Anzeige

Lassen sie uns Zeit, das ganz genau und mit allen Partnern

nach dem geplanten Zusammenschluss verfasst sein werden? abzustimmen und dann umzusetzen. Gerade weil es die erste

Kooperation dieser Art ist, wollen wir hier sehr sorgfältig vorgehen.

Auf welche Neuerungen können sich speziell die Humboldt-Universität zu Berlin (HU) und ihre Studierenden einstellen? Die wichtigste Frage für die HU ist in diesem Jahr der Ausgang

des erneuten Exzellenzwettbewerbes. Eine andere wichtige

Aufgabe ist die Novellierung des Lehrerbildungsgesetzes und die damit verbundenen Veränderungen des Lehramtstudiums. Frau Scheeres, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Das Interview führte Caspar Schwietering.

15

Politik


StuDIErEN Foto: STROMBERGER PR

Ethnologie

Glosse

von Simon Grimm

...und was macht man dann damit? Bettina Erhardt, 30, Junior PR-Managerin

Illu: Moritz L. Steiauf

Kinder der Bürokratie

Kunstpädagogik, Kunstgeschichte – ich hab so einiges auspro-

Der Deutsche an sich ist zugleich der Bürokrat

biert. Dass es etwas kulturwissenschaftliches sein soll, war mir

an sich. Für ihn ist alles geregelt, nichts bleibt

von Anfang an klar. Nach ein paar Semestern in verschiedenen

unbestimmt, überall herrscht Ordnung. Mit

Studiengängen habe ich dann festgestellt, dass Ethnologie

diesem Bewusstsein wachsen wir auf. Fußball

Kultur perfekt vereinen. Viele stellen sich unter Ethnologen

hin und zwar getrennt, Essen nur zur Pause

Das ist nicht so. Wir versuchen einfach, andere Kulturen und

schlag, nach Hause – der Deutsche hat die Büro-

genau das Richtige für mich ist. Hier lassen sich Kunst und

spielen nur dort und nur so lange, Müll dort-

Wissenschaftler vor, die im afrikanischen Busch rumhüpfen.

und abends um sechs, pünktlich zum Glocken-

Gesellschaften zu verstehen.

kratie verinnerlicht.

meines Studiums oft die Frage gestellt, wo es beruflich hinge-

(HU) ordnet man anscheinend anders – der Zu-

Wie die meisten Geisteswissenschaftler habe ich mir während

Doch an der Humboldt-Universität zu Berlin

hen soll. Lange Zeit konnte ich darauf keine Antwort finden.

ständige für das Objektmanagement erklärt

Nach mehreren Praktika und einem Volontariat an einem Kul-

frei heraus: An dieser Universität gibt es keine

entdeckt: den Tourismus. Hier gibt es zwar viele BWLer, diese

folgt keine Bestandsaufnahme aller Sachgegen-

men. Jetzt arbeite ich in meinem ersten richtigen Job in einer

die Universität besitzt.

turzentrum in München habe ich dann ethnologisches Neuland

Inventur! Oder bürokratisch ausgedrückt: Es er-

können aber dem kulturellen Aspekt nur schwer nachkom-

stände. Es wird also nirgends festgehalten, was

PR-Agentur, die auf Tourismus spezialisiert ist. Hier bin ich für

Ein Freischein für Diebstahl und Anti-Bürokra-

– und den Medien zuständig. Ich muss also zwei Welten verste-

niemand vermissen wird! Man muss den soge-

die Kommunikation zwischen Luxushotels – unseren Kunden

tie. Auf geht's Genossen, lasst uns klauen, was

hen und zusammenführen – genau wie schon zu Studienzeiten.

nannten Bürokraten ihr mangelndes Bürokra-

aufgezeichnet von Franziska Sedlbauer

tie-Bewusstsein vor Augen halten.

Die 1437 sonstigen Beschäftigten der Universität

» Darf man Tiere mit in den Hörsaal nehmen? «

können sich ja nicht nur um Immatrikulationen und Exzellenzinitiativen kümmern!

Ist es nicht einfach süß und knuffig, schau doch mal das Fell! Die treuen Augen! Kann irgendjemand dieses niedliche Tier nicht mögen? Trotz aller Sentimentalität stellt sich die Frage, ob man

Tiere mit in den Hörsaal nehmen darf. Es wird

während der Lehrveranstaltung ganz ruhig sein,

uniKnigge

bis auf gelegentliches Scharren und Herumkriechen

Zu DDR-Zeiten war an der HU mit intakter In-

ventur noch alles ordentlich geregelt. Damals

wusste man noch, wo was hinkommt, mit welcher Berechtigung und wo man das alles nachschlagen kann. Heute ist diese Tugend abhan-

den gekommen.

Doch wer dem Deutschen sein geistiges Eigentum nimmt, muss mit Protest rechnen. Aus

zwischen den Reihen. Es ist nahezu geruchlos, bis auf

dem Bürokraten an sich wird die Bürokratie-

eine dezente Duftnote. Niemand wird es bemerken, bis auf

Generation für sich.

Allergiker. Ein Tierverbot in Veranstaltungsräumen wäre

Vereinigt euch, ihr Regelungs-Wutbürger! Lasst

produktives Arbeiten und schränken den Komfort ein. Der

den Straßen Berlins: Wir sind die 99 Prozent –

meiner Meinung nach absolut angemessen: Tiere stören Hörsaal ist kein Streichelzoo.

uns an die 68er anknüpfen und ruft mit mir in

Angela Schuberth

Wir wollen mehr Bürokratie wagen!

16

Studieren


Studierendenzeitung der HU Berlin

Ost-West

Ehrenrunde

Neues

Pensionierte Dozenten werden durch Seniorprofessuren an der HU gehalten.

2010 zogen erstmals mehr Studienanfänger

aus

den

alten in die neuen Bundes-

länder als umgekehrt. Dies

geht aus einer im November

2011 vorgelegten Publikation des

Centrum für Hochschulentwicklung

hervor. Dafür wurden Daten des Statis-

tischen Bundesamtes aus dem Zeitraum

von 2005 bis 2010 analysiert. Demnach

hat der Osten ein positives Wanderungssaldo von 3154 Studierenden. Weiter be-

sagt die Studie, dass sich die Zahl der Abiturienten aus den alten Bundeslän-

Illu: Jasmin Fayad

dern, die ein Studium in einem neuen

Bundesland aufnehmen, von 5555 Studierenden 2005 auf 11.349 im Jahr 2010 mehr als verdoppelt hat.

nin

bildungsherkunft Insgesamt 31 Prozent der Studierenden

Im Rahmen des Programms Übergänge bindet die Humboldt-

an deutschen Hochschulen haben ei-

Universität zu Berlin (HU) seit diesem Semester ausscheidende

nen

Professoren weiter in den Lehrbetrieb ein. Anstatt in den Ru-

niedrigen

Bildungshintergrund,

wonach beide Elternteile keinen Hoch-

hestand zu gehen, bleiben so 13 Dozenten als Seniorprofesso-

schulabschluss erreicht haben. So steht

ren an der Universität. Dies geht aus einer Pressemitteilung

es in der Studie Eurostudent IV, welche

der HU vom Oktober 2011 hervor. Da die Stellen neu geschaffen

im Dezember 2011 von der HIS Hoch-

werden blockieren sie keine bereits vorhandenen Lehrstühle.

schul-Informations-System GmbH her-

Nachwuchsdozenten können die bisherigen Arbeitsplätze der

ausgegeben wurde. In Europa trifft dies

Seniorprofessoren übernehmen. Die Seniorprofessoren geben

laut der Statistik auf durchschnittlich 49

unter anderem Lehrveranstaltungen für Studierende der ers-

Prozent aller Studierenden zu. Bei 51 Pro-

ten Semester. Ihr Arbeitspensum entspricht dabei mit bis zu

zent hat zumindest ein Elternteil einen

neun Semesterwochenstunden in etwa dem ihrer jüngeren

Hochschulabschluss. Die Studie wurde

Kollegen.

zwischen 2008 und 2010 in 25 europäi-

Die Verträge sind vorerst auf ein Jahr befristet, das gesamte

schen Staaten mit insgesamt mehr als

Projekt auf fünf Jahre. Finanziert wird das Programm durch

200.000 Studierenden durchgeführt.

den Qualitätspakt Lehre mit knapp 13 Millionen Euro. Davon

entfallen in den fünf Jahren etwa 1,3 Millionen Euro auf die Gehälter der Dozenten, welche sie zusätzlich zu ihrer Pension

sig

erhalten.

DosV hat probleme

jährigen Erfahrungen der emeritierten Hochschullehrer aus

(DosV) wird nicht vor dem Wintersemes-

Ziel ist es unter anderem, junge Studierende von den lang-

Das Dialogorientierte Serviceverfahren

Forschung und Lehre profitieren zu lassen. „Sie dienen einer

ter 2012/13 den Pilotbetrieb aufnehmen.

wirklichen quantitativen und qualitativen Bereicherung und

Dies geht aus einer Pressemitteilung von

Verbesserung der Lehrsituation“, wie HU-Vizepräsident Micha-

der, für die Programmierung beauftrag-

el Kämper-van den Boogaart in der Pressemitteilung erklärt.

ten, HIS Hochschul-Informations-Sys-

Die Romanistin Renate Kroll ist Seniorprofessorin an der HU.

tem GmbH vom Dezember 2012 hervor.

Neben der wegfallenden Publikationspflicht beschreibt Kroll

Demnach hat der Stiftungsrat der Stif-

weitere Vorteile dieser Dozentenstelle in der Pressemitteilung:

tung für Hochschulzulassung den Start

"Die Seniorenprofessur ermöglicht es mir, Studierende in For-

des DosV aus technischen Gründen ver-

schungsprojekte einzubeziehen, sie an Veröffentlichungen zu

schoben. Ursprünglich sollte das Verfah-

beteiligen und so auf den wissenschaftlichen Alltag vorzube-

ren bereits zum Wintersemester 2011/12

reiten."

an den Start gehen. Das DosV soll die

Auch in anderen Bundesländern lehren Seniorprofessoren. In

Bewerbungen für zulassungsbeschränk-

Niedersachsen wird dieses Konzept landesweit mit dem För-

te Fächer auf einer Internetplattform

derprogramm „Niedersachsenprofessur – Forschung 65 plus“

bündeln und so verhindern, dass Studi-

gefördert. Die erste Ernennung im Rahmen dieses Programms

enplätze durch Mehrfachbewerbungen

erfolgte im Jahr 2008. An der Frankfurter Goethe-Universität besteht diese Möglichkeit seit 2009.

blockiert und daher nicht genutzt wer-

Shirine Issa

den können.

17

Studieren

nin


UnAufgefordert

Ein Blick hinter die Kulissen Preußen und die Deutsche Demokratische Republik: Die Humboldt-Universität zu Berlin hat viele Zeugen ihrer ereignisreichen Geschichte.

Die Humboldt-Universität zu Berlin (HU) verfügt über eine rund

magazin Druckfrisch der ARD haben die Atmosphäre genutzt.

Standorte in Berlin und Brandenburg.

ereignisreichen Geschichte von Adlershof. Heute ist er nur

zweihundertjährige Geschichte und über stolze dreihundert

Nicht nur der Windkanal, auch der Trudelturm ist Zeuge der

All diese Orte haben im Laufe der Zeit viele Veränderungen er-

noch für Besichtigungen geöffnet, früher wurde hier das

lebt. Vor allem das als Palais des Prinzen Heinrich von Preußen

Trudelverhalten von Flugzeugen erforscht. Mit Hilfe eines Pro-

errichtete Hauptgebäude Unter den Linden birgt eine lange Ge-

pellers strömte die notwendige Luft durch den Turm. An einem

schichte. Bei einem Blick in die hauseigenen Archive, Labore

Schwenkarm montierte Flugzeugmodelle im Inneren des Tur-

und Katakomben lässt sich Spannendes entdecken. Oftmals in

mes kamen dadurch ins Trudeln. Die Versuchsleiter konnten

Vergessenheit geraten, fristen alte Schätze ein unbeachtetes

über Bullaugen und Kameras die Geschehnisse beobachten. Es

Dasein.

handelte sich damals um eine der wichtigsten Luftfahrtein-

So auf dem Campus Adlershof: „Geprüft: keine Minen“, steht

richtungen Deutschlands. Die Bauweise gleicht der eines Bun-

in kyrillischen Buchstaben auf der silbrigen Wand des Wind-

kers – einen solchen Aufwand zur Erforschung eines einzigen

kanals. 1934 in Betrieb genommen, wurde er während der Zeit

Problems zu betreiben, war höchst innovativ.

des Nationalsozialismus zur aerodynamischen Optimierung

„Hier ist die Zeit stehen geblieben“, kommentiert Lauter-

der Flugzeugform genutzt. Dazu wurden die Teile, die es zu un-

bach den Trudelturm. Seit die Rote Armee den Turm ver-

tersuchen galt, dem Luftstrom des Windkanals ausgesetzt. Mit

lassen hatte, blieb sein Bild unverändert. Auf die Frage,

2700 PS blies ein Rotor Luft durch den Kanal.

weshalb die Sowjets die innovative Technik nicht für sich nutz-

Der ehemalige Prüfraum, heute aus heiztechnischen Gründen

ten, hat er eine simple Antwort: Da die Einrichtung unmittel-

eingemauert und vom eigentlichen Kanal abgeschnitten, wird

bar an der damaligen Sektorengrenze stehe, sei die Angst vor

im Sommer an die HU übergeben. Die Mauer soll einer Verglasung Platz machen, so Frank

Lauterbach, Ingenieur bei der WISTA-MANAGEMENT GMBH Adlershof con.vent und zuständig für die Instandhaltung des Denkmals. Die Räumlichkeit könnte dann als Veranstal-

Spionage zu groß gewesen.

»Geprüft: keine Minen

tungsort genutzt werden.

Wo zu Zeiten der nationalsozialistischen Dik-

Ein weiterer spannender Ort der Hu, der erst kürzlich entstand, befindet sich hinter dem

«

Hauptgebäude, im Hegelbau. An der Tür steht „EEG-Labor“. EEG steht für Elektroenzepha-

lografie, eine Methode, mit der sich Verän-

derungen der elektrischen Spannung auf der Kopfoberfläche und somit Gehirnaktivitäten

tatur der militärische Nutzen im Vordergrund stand, werden

messen lassen. Das Labor wurde 2008 vom inzwischen emeri-

2005 gedrehten Science Fiction Films Æon Flux entstanden im

psycholinguistische EEG-Labor in Berlin. Die Methode kommt

heute auch kommerzielle Zwecke verfolgt. Einige Szenen des

tierten Professor Rainer Dietrich initiiert und ist das einzige

Windkanal in Adlershof. Aber auch Formate wie das Literatur-

aus der Medizin, hat sich aber auch in der Linguistik etabliert.

Juliane Dohmke, wissenschaftli-

Foto: Nadine Meya

che Mitarbeiterin am Institut für deutsche Sprache und Linguistik, erklärt: „Sprache ist etwas Komplexes und wir wollen herausfinden,

wie ihre Strukturen unterschied-

lich verarbeitet werden und was passiert, wenn man grammatikalisch falsche Sätze liest oder hört.“

In der Vergangenheit sei es beispielsweise um die Veränderung der Sprachwahrnehmung zu verschiedenen

Tageszeiten

gegan-

gen oder um die Frage, ob sich

die Sprachwahrnehmung von An-

Der Trudelturm wurde 1936 fertiggestellt

alphabeten durch die Alphabeti-

und war damals höchst innovativ.

sierung ändere, erzählt Dohmke. Studierende können hier leider kei-

18

Studieren


Foto: Nina Breher

Studierendenzeitung der HU Berlin

»Von Wolfsspinnen, die

Macht Töne sichtbar – Das Spektrogramm des Tierstimmenarchivs.

mit ihren Hinterleibern auf Blätter trommeln.

«

men der Völker" – Aufnahmen aus Kriegsgefangenenlagern des ersten Weltkriegs – Teil der deutschen Kolonialgeschichte.

Auch die gerichtsmedizinische Sammlung der Charité ist historisch sensibel und deshalb nicht für die Öffentlichkeit

zugänglich. Hennig erklärt: „Ich halte es für richtig, nicht alle Sammlungen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Nicht, weil man damit hinter dem Berg halten möchte, sondern weil man sie keinem Voyeurismus aussetzen sollte.“ Teilweise hätten die Menschen, deren Körperteile konserviert

wurden, nicht ihre Einwilligung dazu gegeben, betont Hen-

ne Experimente machen: „Das wäre zu zeitaufwendig“, erklärt

nig weiter. Dass es noch unentdeckte Sammlungen an der HU

Dohmke.

gebe, glaubt er nicht. „Eher Objekte, die irgendwann beiseite

Den meisten ebenso unbekannt dürfte das Tierstimmenar-

gestellt wurden. Wenn man die zusammenzieht, ist das auch

chiv sein. Es befindet sich hinter dem Naturkundemuseum

ein relevanter Bestand.“

im selben Gebäude wie das Institut für Theoretische Biologie

Solch ein Objekt findet man im Tierstimmenarchiv: Ein Spek-

der HU. Erst wenn Kurator Karl-Heinz Frommolt zu erzählen

trogramm. Mit dessen Hilfe lässt sich der zeitliche Verlauf

beginnt, wird einem die Relevanz der Sammlung bewusst.

von Tönen grafisch darstellen. Von diesem Modell aus dem

Diese wurde 1951 am Zoologischen Institut der HU gegründet

Jahr 1968, gab es in der DDR nur drei Stück. Die Anschaffung

und ist seit 1995 dem Naturkundemuseum angegliedert. Heu-

sei ein Versehen gewesen, berichtet Frommolt: Die Verwal-

te umfasst sie etwa 120.000 Aufnahmen; noch immer wird sie

tung habe damals 18.000 statt 1800 Mark für das Institut be-

systematisch erweitert und digitalisiert. „Die Sammlung hier

willigt.

ist nicht nur eine der umfangreichsten, sondern auch eine

Sylvia Bork von der technischen Abteilung der HU berichtet

der ältesten. Erst die sich in den 40er Jahren entwickelnde

von weiteren geschichtsträchtigen Objekten der Universität:

Magnettonbandtechnik ermöglichte es, Aufzeichnungen im

In der Spandauer Straße unterhält die HU die Heilig-Geist-

größeren Rahmen zu archivieren“, erklärt Frommolt.

Kapelle, im Hegelbau eine eigene Orgel.

Von ausgestorbenen Dialekten des Ortolan-Vogels über Maul-

Auch der denkmalgeschützte Fahrstuhl der Dorotheenstraße

wurfgeräusche bis hin zu Aufnahmen von Wolfsspinnen, die

26 ist ein Relikt vergangener Tage. Inzwischen wurde sein

mit ihren Hinterleibern auf Blätter trommeln, ist hier alles

Inneres renoviert, das Gitter jedoch stammt noch von 1906.

zu finden. Auch in der Brockhaus-Jubiläumsausgabe von 2004

Gerüchte besagen auch, dass es im Hauptgebäude eine Kegel-

sind etwa 1600 Tierstimmen aus dem Berliner Archiv vertre-

bahn und ein Tonstudio gebe.

ten. Laut Frommolt werden Lizenzeinnahmen aus Rundfunk

Die Suche geht weiter – auf UnAufgefordert.de.

und Fernsehen für die weitere Digitalisierung verwendet.

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Ohne Unterstützung muss hingegen das Lautarchiv am Musikwissenschaftlichen Seminar der HU auskommen. Hier

befinden sich Schallplatten aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die Sprachen, Mundarten der deutschen Sprache und Stimmen berühmter Persönlichkeiten dokumentieren.

Die Förderung durch eine Stiftung, die eine weitgehende Digitalisierung ermöglichte, lief 2009 aus. Jochen Hennig,

Koordinator der wissenschaftlichen Sammlungen der HU,

bereitet das Aufnahmematerial Sorgen: „Es gibt auch Magnetbandaufnahmen aus der DDR-Zeit des Instituts. Diese wurden noch nicht digitalisiert und man sagt, dass sie eine

Haltbarkeit von 50 bis 60 Jahren haben. 2012 wird es dringend Zeit, sie zu überspielen und zu digitalisieren.“

Auch wegen der historisch bedingten Sensibilität der Sammlung wäre eine umfassende, interdisziplinäre Erschließung wünschenswert, so Hennig weiter. So sind etwa die "Stim-

19

Studieren

Nina Breher, Annika Koch, Nadine Meya


UnAufgefordert

Die perfekte Kombination Nicht immer sind Studium und Beruf auch Berufung. Dass es möglich ist, zeigen drei Studierende mit ihren Lebenswegen.

Der optimale Lebensweg: Die Schulzeit mit dem Abitur und

intellektuell zu reflektieren. Deshalb entschloss

gang zu einem Studienfach erhalten, das einen in den sicheren

dium der Evangelischen Theologie an der

sich die 24-Jährige vor zwei Jahren für ein Stu-

dem richtigen Notendurchschnitt abschließen. Und so den Zu-

HU. Ihre Tätigkeit als Hebamme und ihr

Beruf führt. Dieser soll im besten Fall auch noch Spaß machen,

jetziges Studium der Theologie „liegen

individuelle Talente fördern, einen tieferen Sinn erfüllen –

nicht weit voneinander entfernt“,

nicht nur Beruf, sondern auch Berufung sein.

sagt Frieda, „womit ich mich durch

Dass man auch abseits dieser ausgetretenen Pfade sein Glück

meinen Beruf in praktischer Wei-

finden kann, die perfekte Symbiose von Studium und Beruf

se beschäftigt habe, übertrage ich

möglich ist, zeigen diese drei Beispiele.

jetzt auf mein Studium.“ Ebenso

Bei Daniel Boden greifen Studium und Beruf perfekt ineinan-

sehe sie im Kehrschluss die abs-

der. In diesem Wintersemester begann er sein Studium der

trakten Theorien, mit denen sie

Skandinavistik und der Betriebswirtschaftslehre an der Hum-

sich während Vorlesungen und

boldt-Universität zu Berlin (HU). Zu seinen Beweggründen sagt der 36-Jährige: „Der Entschluss für ein Studium entwickelte sich vor allem aus dem Wunsch nach geistigen Impulsen.“

Skandinavistik habe auch daher nahe gelegen, da

sein Herz für Norwegen schlage und er seine sprachlichen

Grundkenntnisse ausbauen wollte. Mit 22 Jahren hatte er sich

Seminaren beschäftigt, in ihrer

ten begonnen. Diese absolvierte er in Deutschland und Florida.

Als Beispiel dafür nennt sie Momente im

Arbeit als Hebamme verwirklicht.

seinen Kindheitstraum erfüllt und eine Ausbildung zum Pilo-

Kreißsaal, in denen sie mit großen Fragen kon-

Seit nunmehr sechs Jahren hat Daniel eine feste Anstellung als

frontiert worden sei: „Was passiert im Todesfall ei-

Pilot bei der schwedischen Fluggesellschaft Scandinavian Air-

nes Neugeborenen? Wie hilft man den überforderten

lines (SAS) und fliegt regelmäßig Kurzstrecken in Norwegen.

Eltern? Die theoretische Reflexion über derartige Her-

Trotz seines Studiums arbeitet er weiterhin für SAS.

ausforderungen habe ich in meinem Beruf vermisst“,

Um beides miteinander zu vereinbaren, teilt er seine Zeit zwi-

sagt Frieda.Was ihr in ihrer Ausbildung fehlte,

schen Norwegen und Deutschland gleichmäßig auf. Eine Wo-

findet sie in der Praktischen Theologie und

che lang besucht der Pilot Seminare und Vorlesungen an der

in der Seelsorge wieder. Mittler-

Universität, in der darauffolgenden ist er zur Arbeit in Norwegen.

In seinem Berufsalltag „kommen mit neun Starts und Landun-

gen pro Tag gern 15 Stunden zusammen“, meint Daniel. „Aber dafür habe ich auch die Möglichkeit, günstig zum Mitarbeiterpreis zu fliegen und so viele schöne Orte zu entdecken.“

Der Beruf des Piloten werde zwar als prestigeträchtig wahrge-

nommen, aber nach langer Berufserfahrung würden sich auch

hier die Abläufe wiederholen. Zudem sei mit diesem Beruf ein Gefühl der Heimatlosigkeit verbunden. Die Routine im Ar-

weile studiert Frieda Vollzeit und übernimmt nur noch

vierten Daniel, ein Studium zu beginnen.

Nach Beendigung ihres Studiums sieht sie sich aber eher wie-

gelegentlich Sonderwachen im Krankenhaus.

beitsalltag und der Wunsch nach einem festen Zuhause moti-

der im Beruf der Hebamme, für den sie sich nach wie vor beru-

Das Bedürfnis, an ihre Ausbildung ein Studium anzuschließen, Anzeige

fen fühlt. Dann mit den zusätzlichen Erfahrungen aus ihrer

hatte auch Frieda Arnold.

In

Zeit an der Universität.

ihrem

Leidenschaft für seinen Beruf empfindet auch Christian

Fall sei der Wunsch

Schönfelder. Er verwirklichte seinen Traum eines eigenen

ausschlaggebend

Klubs schon während seines Studiums. „Ich wusste, dass ich

ge­­wesen, den von

selbstständig und unabhängig sein will, um Ideen zu verwirk-

ihr als handwerklich

lichen und meiner Kreativität Raum zu geben“, sagt er.

empfundenen

Für die Finanzierung seines Studiums nahm er einen Kredit

Beruf der Hebamme

20

Studieren


auf. Kurz vor dem Abschluss an der Hochschule Mittweida

gründete der damals 24-Jährige gemeinsam mit einem Freund eine Firma, die sich mit der Organisation von Veranstaltun-

gen beschäftigte. Ihre erste Party sei mit 2500 Besuchern und rund 60.000 Euro Umsatz ein großer Erfolg gewesen, so Christian.

Anschließend hätten die Vermieter des Veranstaltungsortes

den beiden eine dauerhafte Partnerschaft angeboten. „Diese Chance haben wir ergriffen und mit wöchentlichen Parties unseren eigenen Klub gestartet“, sagt er. Christian erzählt, wie stolz er sei, diese Erfahrung gemacht zu haben, auch wenn es das Pony&Kleid heute nicht mehr gebe.

Er sieht seiner Zukunft nach dem Abschluss des Studiums zuversichtlich entgegen. „Ich gehe meinen eigenen Weg“,

sagt Christian, „wenn die richtige Idee kommt und ich das nötige Wissen, die passenden Leute und genug Geld zusam-

men habe, lege ich wieder los.“ Bis dahin vertraut er auf eine solide Festanstellung bei der Firma Groupon und

Illu: Ina Soth

ist

froh,

ein

geregeltes

monatliches Einkommen zu haben. Lebenswege, wie die von Daniel, Frieda und Christian zeigen, dass es auch da-

rauf ankommt sich im gewählten Studienfach mit seinen persönlichen

Wünschen,

Fähigkeiten

und

Präferenzen

wiederzufinden. Und das dies möglich ist. Ein Studium aus rein pragmatischen, finanziellen Gründen kann dies

oft nicht erfüllen. Die Liebe zu einem Land, der Wunsch

Theorie und Praxis zu vereinen oder sich den einen großen Lebenstraum zu erfüllen – Was auch immer einen an-

treibt, entscheidend sollte nur eins sein: Die Freude am Susanne Hartl, Hannes Leitlein

21

Studieren

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Studium.


Studierendenzeitung der HU Berlin

Leben Studieren Portrait

Foto: Simon Grimm

Foto:

5

jut

h Foto: Hannes Leitlein

rüschtisc

In

Sätzen

Der Zeitzeuge

Der Projekt:Laden

Jorge García Vázquez kommt gerade aus der Gedenkstätte Ho-

Für den Kiez und für die Menschen findet sich

henschönhausen. Seit 2009 führt der gebürtige Kubaner Besu-

in Alt-Treptow der Projekt:Laden. Allein schon

cher durch das ehemalige Untersuchungsgefängnis der DDR-

durch seine stilvolle Einrichtung wirkt er gemüt-

Staatssicherheit. Im März 1987 war er schon einmal acht Tage

lich und inspirierend.

Anfang der 80er Jahre kommt Vázquez in die Deutsche De-

in einem. Ein Ort an dem man in erster Linie

dort – als Inhaftierter.

Er ist Kreativbetrieb, Werkstatt, Küche und Café

mokratische Republik. Zwischen den beiden sozialistischen

sein kann, ohne zu zahlen. Ein Raum für unzäh-

Staaten Kuba und der DDR besteht zu dieser Zeit ein reger Aus-

lige Projekte, Gespräche und Ideen. Ein Platz der

tausch. Wegen seines Deutschstudiums kann Vázquez als Be-

kreativ macht, weil alles schon da ist: Nähma-

will sein Land jedoch mehr von ihm: Als Spitzel soll er für die

Kaffee und Minztee – und all das kann man gegen

der US-Botschaft seine Ausreise. Drei Tage später wird er in

Der Laden wird von einer christlichen Gemeinde

treuer für die zahlreichen Kubaner in der DDR arbeiten. 1986

schinen und Stoffe, Werkzeug und Werkbank,

kubanische Geheimpolizei arbeiten. Er sagt zu, plant aber mit

eine Spende nach eigenem Ermessen nutzen.

einer Aktion mit dem Decknamen Zucker verhaftet und nach

betrieben und besteht seit März 2011. Das eh-

Hohenschönhausen gebracht. Von dort erfolgt die Ausliefe-

renamtliche Projekt ist noch im Werden. Es ist

rung nach Kuba, wo Vázquez zwar freigelassen, aber unter

also noch mehr Projekt als Laden. Doch umso

ständige Beobachtung gestellt und schikaniert wird. Fünf

liebevoller geht es hier zu und es lohnt sich zum

Jahre lang darf er nicht ausreisen.

Beispiel mittwochs gemeinsam mit anderen ein

Nach dem Ende seines Ausreiseverbots geht Vázquez 1992 wie-

immer vegetarisches Mittagessen zu genießen.

der nach Berlin. Die Rückkehr in das inzwischen wiederver-

Auch am Freitag sollte man reinschauen. Denn

gegnung“, aber „ich suchte die Freiheit und habe sie hier“,

schiedensten Leute zusammen und bringen Be-

die Castro-Brüder an der Macht sind, will er nicht zurück.

Einige nähen oder zeichnen, hämmern und

zeuge setzt er sich getreu dem Motto „Freiheit verpflichtet“

manchmal kocht jemand für alle.

einte Deutschland „war eine Konfrontation, keine Wiederbe-

zum offenen Abend kommen ab 20 Uhr die ver-

sagt Vázquez. In Kuba war er 1996 zum letzten Mal. Solange

schäftigungen mit.

Heute fühlt sich Vázquez als Berliner. Als Journalist und Zeit-

sägen, tauschen sich über ihre Ideen aus und

für Menschenrechte und eine kritische Aufarbeitung der DDR ein.

Vorhang auf

Neu ist ein kleiner Schauraum für Dinge, die im

Simon Grimm

Projekt:Laden entstanden sind. Diese kann man auch erwerben. Und hier gilt ebenfalls: Der Erlös

Für die Mördertür

wandert in die Spendenbüchse, mit der das Pro-

jekt am Laufen gehalten wird.

„Die Tür bitte immer geschlossen halten“ steht am Eingang

Der Projekt:Laden ist übrigens auch eine groß-

der Zeltmensa des Hauptgebäudes der Humboldt-Universität

artige Alternative zur Bibliothek. Den+n anders

zu Berlin. Nötig ist das nicht, denn das Schließen erledigt

als in Cafés muss man hier kein Geld ausgeben,

die Tür vollautomatisch. Sie ist dabei sehr gewissenhaft und

wenn man nicht zu Hause lernen möchte. Auch

schwingt in überwältigender Geschwindigkeit auf ihre Opfer

ist genug Freiraum vorhanden, selbst Projekte

zu. Schon des Öfteren sollen Studierende beim Ausweichen

ins Leben zu rufen.

verletzt worden sein. Die mörderische Tür zu verdammen

Mehr Infos gibt es unter www.christus-treff-

Studierende der höheren Semester, die den Kampf der Neu-

Krüllsstraße 18.

wäre aber trotzdem nicht rechtens, schließlich unterhält sie linge als Gratisspaß genießen.

berlin.de/projektladen oder direkt vor Ort in der

Benjamin Knödler

22

Leben

Hannes Leitlein


Studierendenzeitung der HU Berlin

Familienbande

Kolumbus Erben

Eine deutsche Geschichte über die Last

Längst Geschichte und doch aktuell:

der Weltkriege und des Erbes.

koloniale Strukturen in Bolivien.

Foto: Promo

Josef Bierbichler mag vielen eher als Schauspieler denn als Schriftsteller bekannt sein. Sein literarisches Debüt gab er

2001 mit Verfluchtes Fleisch. Nun setzt er mit dem kürzlich erschienen Roman Mittelreich seine schriftstellerische Tätigkeit fort. Auf knapp 400 Seiten entfaltet Bierbichler die Geschichte der Bauernfamilie Birnberger. Diese besitzt im bayerischen

Seedorf ein Gasthaus am See und ist schlicht als die Seewirtsfamilie bekannt.

Über das Portrait des Wirts Pankraz, seines Vaters und seines

Sohnes bahnt sich der Autor nicht nur einen Weg durch drei Generationen, sondern wirft zugleich einen Blick auf die deut-

Die spanische Regisseurin Icíar Bollaín

innerhalb der Gesellschaft.

ten über dasselbe Thema: kolonialis-

sche Geschichte des 20. Jahrhunderts und die Veränderungen So steht am Anfang der hoffnungsfroh erwartete Erste Weltkrieg, in den Pankraz ältester Bruder ziehen muss. Der Krieg,

der nur wenige Wo-

Foto: SuhrkampVerlag

chen andauern sollte, weitet sich zu einer

Materialschlacht aus. Durch

schuss

einen

Kopf-

verwundet,

fällt der Bruder in geistige Umnachtung.

Nun liegt es an Pankraz, sich dem Hoferbe zu stellen.

In einer Zeit, in der das Bewusstsein für Tradition und Erfah-

rung mehr und mehr schwindet,

scheint

die Last des Hofes eine

besonders schwierige

" eich r, ttelr chle "M i i ierb B f , e g Jos rla vo n p Ve m a k , Suhr eiten 392 S o r 0 Eu 22,9

Aufgabe zu sein. Nach von

der

den

Rückkehr

Schlacht-

feldern des Zweiten

Weltkrieges wird Pankraz an der Ent-

scheidung, ob er diese, von Generation

zu Generation weitergereichten Traditi-

on, fortführen will, fast scheitern.

Neben Fragen des Erbes, der Heimat und der

Familienbande geht es in Mittelreich auch um die Suche nach

einem Umgang mit dem vermeintlich Fremden, der eigenen Schuld und den Verstrickungen während der Zeit des National-

sozialismus. Das Eingeständnis von Pankraz „Ich war zwar nie ein Nazi. Doch kein Nazi war ich nie.“ gilt dabei wohl nicht nur für die Bewohner Seedorfs.

Uta Caroline Sommer

23

erzählt in ihrem Film zwei Geschich-

tische Ausbeutung. Und obwohl zwi-

schen beiden Erzählsträngen 500 Jahre

" egen er R d n n via) d da a llu " Un ien l b n, m a oll í ( Ta íar B c I n n e vo inut 104 M

liegen, stellt der Zuschauer schnell fest,

wie erschreckend wenig sich die gesellschaft-

lichen Strukturen seit der Kolonialzeit geändert haben.

Im Mittelpunkt der Handlung steht der Filmdreh des jungen Regisseurs Sebastián (Gael García Garnel). Finanziert durch Produzent Costa (Luis Tosar) dreht er in Bolivien einen Histori-

enfilm über die Ankunft von Christoph Kolumbus auf den karibischen Inseln im Jahr 1492 und die drauf folgenden Erober-

ungen. Dieser Film im Film soll den tyrannisch-rassistischen Charakter des Entdeckers und der spanischen Kolonialpolitik jener Zeit entlarven.

Auf der Suche nach einem indigenen Schauspieler stoßen sie-

auf Daniel (Juan Carlos Aduviri), der dann als Taino-Häuptling Hatuey den Aufstand gegen die Konquistadoren organisiert.

Doch nicht nur in dem Film erhebt sich die Bevölkerung. Der Filmdreh in der Stadt Cochabamba findet zu einer Zeit statt, in

der sich die Bevölkerung des Orts gegen die Privatisierung des Wassers durch ausländische Investoren zu wehren beginnt.

Mit von der Partie ist auch Daniel, der sich schnell zum Wort-

führer der Demonstranten aufschwingt. In den nächsten Tagen eskaliert die Situation in Cochabamba und Regisseur Sebastían muss die Dreharbeiten abbrechen.

Raffiniert hat Bollaín diese beiden Geschichten imperialis-

tischer Projekte ineinander verflochten, Historisches überschneidet sich thematisch immer wieder mit der Gegenwart.

Erschreckend und lehrreich zugleich wird dem Zuschauer die

Doppelmoral der Protagonisten bewusst: Drehen sich die Dialoge vieler Schauspieler des Historienfilms während der Dreharbeiten noch um die Relevanz von Zivilcourage, genießen sie im realen Leben gern die Privilegien der Reichen und ergreifen

im entscheidenden Moment die Flucht. Ein wunderschön in-

szenierter Film, der nur gegen Ende etwas zu sehr ins Melodramatische gleitet.

Leben

Stephan Strunz


UnAufgefordert

Leben woanders: tadschikistan Seine Flucht vor dem Alltag in Deutschland führt Paul Jarick in ein Land, dass ihm viele neue Eindrücke verschafft – nicht nur gute.

Ich bin in einem kleinen tadschikischen Dorf. Es gibt hier keine

Chudschand, zu einem Autobombenanschlag gekommen. Heu-

hat längst versagt. Der alte Geländewagen des sowjetischen Mi-

9. September 1991 unabhängigen Land nicht mehr so unprob-

Teerstraßen, die Mauern sind aus Lehm und die Stromversorgung

te sieht das Auswärtige Amt die Sicherheitslage in dem seit dem

litärs, mit dem ich angekommen bin, ist auf der Reise zwischen-

lematisch. Seit August 2010 wird sie als angespannt bewertet.

zeitlich im Schnee stecken geblieben. Ich übernachte im Haus

Das Auswärtige Amt berichtet von Kampfhandlungen zwischen

des Dorfvorstehers. In der Nacht muss ich aufstehen, um den

Regierungstruppen und

Ofen nachzuheizen, nur um am nächsten Morgen trotzdem mei-

Regierungsgegnern.

nen Atem zu sehen. Meine Finger sind nicht mehr nur kalt, son-

Es dauerte einige Wochen,

dern ein wenig taub. Ich wärme sie mir beim Frühstück an einer

fremden Land einge-

Schale schwarzem Tee. Bei einem Blick aus dem Fenster breitet

Da s Aus wä rt mit teln , da

lebt hatte. Mit mei-

sich vor mir das hügelige, schneebedeckte Land bis an die Gren-

nem

ze zu Afghanistan aus. Solch eine Szene hätte ich mir vor vier

gebrochenen

Schulrussisch

Monaten nicht vorstellen können.

Am bes ten in ehe m Die se sin d mit ci

kam ich hier

Nachdem ich das Abitur in der Tasche hatte, stolperte

nicht weit, da

ich los. Ehrlich gesagt war mir völlig egal, wohin es mich

nur noch die Älteren

verschlagen würde – hauptsache weg. Bei meinen

Bei der Ein reis e sich unn ötig e Tag en aus ge R

Russisch sprechen –

Recherchen bin ich dann auf weltwärts, den Freiwilligendienst des

Bundesministeriums

wirtschaftliche

Flü ge Zw isch e

bis ich mich in dem

für

Zusammenar-

Der Pam Lan de

beit und Entwicklung gestoßen

und so in Tadschikistan gelandet.

Die Suche nach Informationen über

dieses zentralasiatische Land gestaltete sich schwierig. Ich fand keine Bücher und im Internet nur einzelne Berichte über den vom

Westen kaum beachteten, mittlerweile beendeten Bürgerkrieg.

Dick eingepackt und unwissend bezüglich dem, was mich erwartet, kam ich in der Hauptstadt Dushanbe an. Ich schälte mich verschwitzt aus den Wintersachen, denn es waren von mir unerwartete 35° Celsius.

Deutsche empfängt man hier mit großer Freundlichkeit, vor allem Mitarbeiter der vielen Hilfsorganisatio-

ein Relikt aus Zeiten der Sowjetunion.

nen, die im Land arbeiten. Touristen

Landessprache ist Tadschikisch, eine

begegnet man jedoch so gut wie nie.

persische Sprache. Geschrieben wird

In Tadschikistan lebt auch heute noch

in kyrillischen Buchstaben.

Die Sowjets brachten Deutsche, meist Russlanddeutsche und

land zu vergleichen. Das kaufbereinigte Brut-

eine deutsche Minderheit. Diese wird jedoch stetig kleiner.

Der Lebensstandard ist nicht mit Deutsch-

Kriegsgefangene, während des Zweiten Weltkriegs ins Land.

toinlandsprodukt pro Kopf in Tadschikistan lag

Den Satz “Meine Vorfahren kommen aus Deutschland” bekam

Ill

I u:

na

So

2009 bei 2104 internationalen Dollar, der auf dem

ich des Öfteren zu hören.

US-Dollar basiert. Damit belegt das Land im Vergleich mit 182

Zu Beginn meines Aufenthalts hatte man mich in die Deutsche

Ländern den 144. Rang. Deutschland ist mit 34.212 internationa-

Botschaft eingeladen. Hier wurde ich mit anderen Deutschen

len Dollar auf Rang 21 zu finden.

vom Bundesnachrichtendienst über die Sicherheitslage im Land

Mein erster Einsatzplatz war in der Öffentlichkeitsarbeit. Hier

informiert, die mir als ruhig beschrieben wurde. Am gleichen

half ich unter anderem eine Internetseite aufzubauen – ohne

Morgen war es jedoch in der zweitgrößten Stadt Tadschikistans,

auch nur die geringste Ahnung davon zu haben.

24

Leben

th


Studierendenzeitung der HU Berlin

Später teilte man mich zur Arbeit mit psychisch kranken Men-

Farbe ihren ursprünglichsten Zustand hätte.

richtung gesammelt hatte. So beteiligte ich mich an einem Pro-

bezeichne. Er stammt aus der autonomen Provinz Berg-Badach-

schen ein, da ich zu Hause Erfahrungen in einer sozialen Ein-

Ali erzählte, dass er es nicht möge, wenn man ihn als Tadschike

jekt zur Unterstützung psychisch Kranker in einer Klinik an der

schan und sagt selbst von sich, er gehöre der Volksgruppe der

Grenze zu Usbekistan. Ich wurde gleich darauf hingewiesen,

Pamiri an.

dass Gebäude nicht zu verlassen, da die Umgebung teilweise

Abends war Ali in sein Gebet vertieft, sehr schweigsam und in

vermint sei. Eine litauische Organisation hatte Tiere gespen-

sich gekehrt. Er ist Ismailit. Diese islamisch-schiitische Glau-

det, um die Patienten mit einer Beschäftigungstherapie zu un-

bensgemeinschaft ist vergleichsweise liberal. Er trinkt Alkohol

terstützen. Außerdem sollte damit auch die Lebensmittelversor-

und praktiziert keinen Ramadan. Der Islam ist die vorherrschen-

gung gewährleistet werden.

de Religion in Tadschikistan. Suniten machen den Großteil der

Als ich den Frauenflügel zum ersten

Gläubigen aus, eine Minderheit bilden die Ismailiten.

Mal betrat, stürzten sich einige

Ich verbrachte viel Zeit in Dushanbe. Hier wohnte ich in einem

Patientinnen auf mich. Mir

Machalla, einem Stadtviertel der Mittelschicht. Die Stadt ist

? wurde erzählt, sie hätten WI E KO MM E ICH HIN upt sta dt Du sha nbe mit e von Ber lin in die Ha seit Ewigkeiten keinen t es für und wie der zur ück gib ens top p in Ista nbu l jungen Mann mehr 500 Euro. Frü hbu che r ab etwa keh rsVer en ich ntl öffe gesehen. Ein anderes rte n mit tige Am t wa rnt vor Fah en Zus tan d seie n. sch hni tec ten lech Krankenhaus, das die se in ein em sch R? TE UN ich auf einer meiWI E KO MM E ICH nbe . „Le nin aba d“ in Du sha dem wie tels Ho jetner Reisen durch ma lige n Sow soll te ma n etwas cht bill ig, alle rdin gs irca fün f Euro pro Na das Land besuchmit brin gen . Rus sisc hke nnt nis se te, war wie ein AC HT EN ? WA S MU SS ICH BE n ma t eigenes Dorf von it ers par rist env isu m hab en, dam e soll te ma n ein Tou 30 von uer Da die der Außenwelt abwa nd. Es wird für en bürokrati sch en Auf in höh ere n nee Sch n kan rz Mä geschottet. bis est ellt . Von Sep tem ber . are n Straße n füh ren Bis zu 80 Patienten Reg ion en zu unp ass ierb EN ? AU SCH AN R MI waren dort tagsüber WA S MU SS ICH en des de Bergre gio n im Ost ken ruc ind bee e ein in einen kleinen Innenmir ist 0 Me ter n. ten Gip feln übe r 700 es mit sch nee bed eck

von dem sowjetischen Baustil und den Geländewagen internationaler Hilfsorganisationen geprägt.

Neben dem Palast des Präsidenten Emomali Rahmon steht der höchste Fahnenmast der Welt, errichtet von einer amerikani-

schen Firma. Eine stabile Versorgung mit Strom und Wasser

oder ein funktionierendes Gesundheitssystem gibt es jedoch nicht. Viele Tadschiken erkranken beispielsweise aufgrund von Fehlernährung und Nahrungsmangel an Tuberkulose.

Die offizielle Staatsform des Landes wird als präsidiale Demokratie bezeichnet. Rhamon, der der Volksdemokratischen Partei

Tadschikistans (VDPT) anghört, regiert bereits seit dem Ende des Bürgerkriegs 1994; die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hat mehrfach Wahlmängel festgestellt.

Diese Widersprüchlichkeiten machten mir Aufenthalte in

hof eingepfercht und ve-

der Stadt unangenehm. So oft es ging, fuhr ich daher ins

getierten vor sich hin. Über

Umland. So kam ich auch mit einem traditionellen Spiel im

Nacht wurden sie in Gruppen

zentralasiatischen Raum in Berührung: dem Buschkazi. Bei

von bis zu 25 Personen in Zimmer

diesem Reitspiel jagt eine Horde von 50 bis 100 Reitern einem

gesperrt. Psychisch Kranke werden

Ziegenkadaver hinterher. An beiden Enden des Spielfeldes sind

in Tadschikistan als Menschen

Erdlöcher ausgehoben. Das Spiel ist beendet, wenn das tote

zweiter Klasse von der Gesell-

Tier von einem in das andere Loch gelegt und wieder zurück

schaft abgeschirmt, zum Teil auf

Lebenszeit. Auch

Frauen

führen

gleichberechtigtes

transportiert worden ist. Wer den letzten Treffer erzielt ist Sieger.

kein

Eigentlich nicht so schwierig, sollte man meinen. Hier wird

Leben.

jedoch auch um die Ehre gespielt, die in Tadschikistan einen

Viele Männer wollen nicht,

hohen Stellenwert besitzt. Diese verbietet es den Spielern, es

dass ihre Ehefrauen arbeiten.

den anderen leicht zu machen. Pro Runde setzt jemand aus

Ihrer Ansicht nach ist die

dem Publikum einen Preis. Vom Goldring über Geld bis hin

Frau für den Haushalt und

zum Auto ist alles erlaubt. Es gibt keine Begrenzung des Spiel-

die Kindererziehung zu-

geprägten Kultur

felds und so passiert es immer wieder, dass eine Horde von 90

ständig. In der muslimisch

Pferden mit einer toten Ziege voran auf einen zureitet. Der

Tadschikistans werden Ehen

Ausrichter des Buschkazi muss die Sicherheit gewährleisten

oft vermittelt, die Eltern haben ein großes Mitspracherecht bei

und gewinnt dadurch an Ansehen. Von Regierungsseiten ist

der Partnerwahl. In der Hochzeitsnacht wird die Jungfräulich-

das Spiel jedoch untersagt, da es häufig zu ernsthaften Verlet-

keit der Braut von den meisten Männern vorausgesetzt.

zungen kommt.

Eine Zeitlang reiste ich an der afghanischen Grenze entlang,

Wenn ich jetzt auf meine Zeit in Tadschikistan zurückblicke,

vorbei am Hindukusch in die in einer Hochebene gelegene Klein-

weiß ich, dass es eine gute Entscheidung war diese abenteuer-

stadt Murgab. Hier unternahm ich Wanderungen mit meinem

liche Reise anzutreten. In ein Land, auf das man sich nicht vor-

tadschikischen Reisebegleiter Ali, der aus der Region stammt.

bereiten kann. Dessen Menschen einen aber herzlich bei einem

Auf 4500 Höhenmetern litt ich, bedingt durch den Höhenun-

warmen Fladenbrot mit Trockenfrüchten und einer Schale Tee

terschied, unter Nasenbluten und Kopfschmerzen. Dennoch

empfangen. Es hat jedoch einige Zeit gedauert bis ich dieses

lohnten sich die Strapazen für diesen traumhaften Anblick: Mir

Resümee ziehen konnte. Heute studiere ich Regionalstudien

war so, als ob die Wolken am Boden schweben würden und jede

Asien/Afrika – eben wegen dieser Erfahrungen.

25

Leben

Paul Jarick


UnAufgefordert

Worauf wartest du? Studierende warten immer und überall. Was bewegt uns dabei wirklich?

Diesmal: theologieexamen

Foto: Hannes Leitlein

Anke Mölleken, 28, studiert Evangelische Theologie an der Humboldt-Universität zu Berlin und wartet auf die Prüfung zum Ersten Theologischen Examen.

Morgens aufwachen ohne zu denken: „Wenn du jetzt nicht kon-

Nach 18 Monaten werde ich dann hoffentlich gewappnet sein

en“, darauf warte ich ungeduldig. Ob es sich lohnt? Nein. Nicht

Was ich später mache, soll Sinn ergeben und Grund genug sein,

sequent weiter lernst, wirst du es in einem Jahr tierisch bereu-

für das, was auf mich zukommt.

für ein Stück Papier, das sich Examen nennt. Und doch bleibt

jeden Morgen aufzustehen. Am Abend soll es mich erfüllt ha-

mir nichts anderes übrig, denn ohne es kann ich mein gegen-

ben. Aber nicht um jeden Preis. Ich wäre nicht bereit, mir mei-

wärtiges Ziel, Pastorin zu werden, nicht erreichen.

ne Meinung verdrehen zu lassen und würde mich auch nicht

Ich muss also diese Zeit überstehen. 12 Monate lernen,

irgendeinem Vorgesetzten unterwerfen.

dann eine Hausarbeit innerhalb von zwei Monaten. Im An-

Im Sommer nach der Examenszeit will ich einige Wochen mit

schluss nach zwei Monaten Wiederholung vier schriftli-

dem Rucksack durch Deutschland fahren, um den Menschen zu

che Prüfungen an vier Tagen und dann sechs mündliche an

danken, die jetzt für mich da sind und mich aufmuntern, wenn

einem Tag. Beeindruckend, was man alles wissen muss.

ich nicht mehr kann.

26

Leben

aufgezeichnet von Hannes Leitlein


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