UnAufgefordert Nr. 208

Page 1

S t u d i e r e n d e n z e i t u n g d e r H u m b o l d t - U n i v e r s i t ä t z u B e r l i n s e i t N o v e m b e r 1 9 8 9 , M a i 2 0 1 2 , N r. 2 0 8

unAuf gEfOrdErt hu BErLiN

PuBL i Z iE rt uNd ABK A SS iE rt

Ein Verlag tre ibt W i s s in den Bo enschaftler ykott .

gutEr rAt?

Diskussion über Sinn und Unsinn des Wissenschaftsrates.

StudiENPLAtZ-POKEr

Das nervenaufreibende Spiel zwischen Bewerbern und Unis

uNtErNEhMuNgSLuStig MÄNNEr MÜSSEN drAuSSEN BLEiBEN Eine Unternehmensgründung muss nicht Förderung radikal: Studiengänge nur für Frauen erst nach dem Studium erfolgen.


JA , iCh wiLL!

Ich will die

unAufgefordert kostenlos abonnieren!

Eure Abonnements ermöglichen es uns, weiter kritisch zu berichten.

Eine große Leserschaft zeigt, dass unser Journalismus einen hohen

Stellenwert hat. Das hilft uns, von unseren Gesprächspartnern ernst genommen zu werden.

deshalb unterstütze uns! das Abonnement ist kostenlos. Einfach bestellen auf

www.un Aufgefordert.de


Studierendenzeitung der HU Berlin

iAL r O t i d E

Endlich ist der Sommer da und wie ihr auf unserem Titelfoto sehen könnt, blühen die Pflanzen auf dem Campus und Studierende wagen

sich wieder auf die Wiesen, um über Seminare und das Essen in der

Mensa zu diskutieren. Das Titelthema dieser Ausgabe hingegen zählt

nicht zu den typischen Gesprächsthemen unter Studierenden: Fast un­

bemerkt tobt in der Welt der Wissenschaft ein Kampf zwischen dem Groß­

verlag Elsevier auf der einen, Wissenschaftlern und Universitätsbibliotheken

MitArBEitEriN dES MONAtS

auf der anderen Seite. Wissenschaftler, die Aufsätze publizieren wollen, befin-

den sich in einer Zwickmühle: Der Verlag erhält die Artikel von den Wissenschaft­

lern zu günstigen Konditionen und verkauft genau diese Texte mit viel Gewinn an die Universitätsbibliotheken. Im Zuge dessen wird seit Februar diesen Jahres ein

Boykott vorangetrieben, der von den Vereinigten Staaten auch nach Deutschland

übergeschwappt ist. Ab Seite 6 könnt ihr erfahren, ob wir um die Bestände unserer Bibliotheken fürchten müssen und ob der Protest auch die HU erreicht.

Eine andere Kontroverse eröffnete Ernst Ludwig Winnacker, ehemaliger Präsident Foto: Privat

der deutschen Forschungsgemeinschaft, als er Ende März die Relevanz des Wissen­

schaftsrates in Frage stellte. Er ließ die Forschungsgemeinde wissen, was er von diesem Gremium hält: nichts. Ob der Wissenschaftsrat tatsächlich so unwichtig

GÖZDE BÖCü, 22, sOZiALWissEnsCHAFTEn UnD GEOGrApHiE,

ist wie Winnacker behauptet, lest ihr auf Seite 13.

Eure UnAuf!

rEDAkTEUrin UnD FOTOGrAFin Der Betrachter der Fotos dieser Ausgabe

wird um einen Namen nicht herum­ kommen: Gözde. Kaum aus ihrem Aus­ landssemester in der Türkei zurück hat

Angst vor ihm... Auf Seite 21 erfahrt ihr mehr.

sie mit ihren grandiosen fotografischen

Fähigkeiten nahtlos an alte Sternstun­ den angeknüpft. Doch auch während sie nicht für uns schreiben und fotografieren konnte, hat sie uns nicht im Stich

gelassen und unser bevorstehendes Tür­

keiprojekt maßgeblich vorangebracht.

In Ankara knüpfte sie Kontakte, damit im Oktober einige Redaktionsmitglieder

mit ihr vor Ort recherchieren können. Nebenbei arbeitete sie für die türkische

Tageszeitung Sabah und studierte auch Foto: Gözde Böcü

noch. Wir wissen nicht, wie sie das al­ les unter einen Hut bekommen hat, aber

wir freuen uns, dass sie wieder da ist

und darauf, bald mehr von ihr in der Un­ Auf zu sehen und zu lesen!

impressum: Die Studierendenzeitung der Humboldt-Uni-

borg Morawetz, Miriam Nomanni, Samuel Raub

versität zu Berlin. Erstmals erschienen am 17. November

Caspar Schwietering, Katharina Stökl Anzeigen: Christian

Druck und Belichtung: Gemeindebriefdruckerei, Martin-

1989. Beste deutschsprachige Studierendenzeitung 2005

Meckelburg, Telefon: 0177-8763846, werbung@unauf.de und

Luther-Weg 1, 29393 Groß Oesingen

Uhr in der Redaktion, Invalidenstraße 110, Raum 118

und 2008. Herausgegeben vom: Kuratorium des Freun-

SD-Media, Telefon: 030-36286430 satz: Ina Soth Online-

Auflage: 5.000

deskreises der UnAufgefordert e.V.

ressortleiterin: Miriam Nomanni Titelbild: Gözde Böcü

Für alle Fakten besteht das Recht auf Gegendarstellung

Verantwortlich für diese Ausgabe: Christian Me-

Die UnAufgefordert wird gefördert von der BMW Stiftung,

in angemessenem Umfang. Nachdruck nach vorheriger

ckelburg,

dem Deutschen Fachjournalisten-Verband, der Hum-

Nachfrage möglich. Wir bitten um Quellenangabe und

Breher (Chef vom Dienst), Angela Schuberth, Phil-

boldt-Universitäts-Gesellschaft und Funkpalast Musik

Belegexemplar. Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe

ipp Sickmann, Vera Weidenbach (Schlussredaktion)

kontakt: Humboldt-Universität zu Berlin, Unter den

gekürzt zu veröffentlichen. Alle Artikel geben die Mei-

redaktion: Gözde Böcü, Isabelle Borchsenius, Su-

Linden 6, 10099 Berlin, Telefon: 030-20932288, Fax: 030-

nung des jeweiligen Autors wieder.

sanne Hartl, Paul Jarick, Lena Kainz, Dena Kelishadi,

20932754, www.UnAufgefordert.de, redaktion@unauf.de

redaktionsschluss dieser Ausgabe: 23. April 2012

Benjamin Knödler, Peter Kraus, Lisa Mahlke, Inge-

Öffentliche Redaktionssitzungen: montags um 18:30

redaktionsschluss der nummer 209: 29. Mai 2012

Susanne

Schwarz

(Chefredaktion),

Nina

3

Editorial


iNhALt

POLitiK

titEL 7

kamPf um JEdEs BLatt

Der Verlag Elsevier hat durch hohe

12

Zweierlei Maß

in fÜnf sÄtZEn:

Preissteigerungen Wissenschaftler gegen sich aufgebracht. Nun regt sich Widerstand.

kOmmEntar:

Was ist ein Cotutelle-Verfahren? 13

winnackEr wiLL´s wissEn

Der ehemalige Präsident der DFG

stellte kürzlich den Wissenschafts­ rat in Frage. Er sieht Alternativen. 14

sEin OdEr schEin

Ist Glaube Wissenschaft? Theologiestudierende werden oft mit dieser Frage konfrontiert.

15

hiPP hiPP hurra

Die Hochschulrektorenkonferenz hat einen neuen Präsidenten.

LEBEN

StudiErEN 16

gLOssE:

21

Monokultur

und was macht man dann

Kino International VOrhang auf:

Germanistik

uni-kniggE:

Darf man Essen mit in die Mensa bringen?

Für die Hipsterpanik 22

dEr EingEÜBtE krankE

im Umgang mit echten Patienten schulen.

einen Grund zu geben. 23

diE fEttEn JahrE fangEn an

diE drOgE madOnna

Immer noch da, immer noch ein

Selbständigkeit.

len der Uni verzeichnen einen Zu­

Star. Madonnas neues Album überzeugt. 24

wachs an Anfragen. 20

4

Inhalt

POrtugaL

erlebt eine HU­Studentin in Lissa­ bon die Auswirkungen der

FernUniversität Hagen muss ko­ entfernen.

LEBEn wOandErs: Zwischen Uni und Generalstreik

datEngrEnZE ErrEicht

pierte Bücher aus ihrem Intranet

Zwei Palästinenser mit israeli­ nach dir.

als Sprungbrett in die

Die psychologischen Beratungsstel­

wEr ist du?

schem Pass suchen nach sich und

Gründerzeit auf dem Campus:

Ein OffEnEs Ohr

Zwei Spanier suchen ihr Glück in

Auswanderung scheint es nie nur

Viele Studierende nutzen die Uni

19

aus dEr krisE in diE krisE

der deutschen Hauptstadt. Für eine

Schauspieler werden zu Kranken und sollen Medizinstudierende

18

Der Fußballtrainer

rÜschtisch Jut:

damit?

17

POrtrait:

Geschichte des Landes. 26

wOrauf wartEst du? Diesmal: EM


Studierendenzeitung der HU Berlin

Abtreibungsklinik erforschen:

adw Illu: J i ga

S

le

za

k

Nur vorab: Was das Thema Abtreibung angeht, bin ich ein

lich nur angemeldet in die Klinik. Das Türschloss surrt, die

Der Besuch in einer Abtreibungsklinik scheint vor diesem

zwischen Tür und Rahmen schiebe und unauffällig selbst in

Dame tritt ein – und niemand merkt, wie ich schnell den Fuß

unbeschriebenes Blatt. Schwanger bin ich auch nicht.

die Räumlichkeiten schlüpfe. Geschafft! Vor uns erhebt sich

Hinter­grund vielleicht eine außergewöhnliche Freizeit­

ein Sicherheitsdetektor. Dahinter thront ein Polizeibeamter

beschäftigung zu sein. Doch natürlich bin ich nicht grundlos

an einem Schreibtisch. Er grüßt kurz und

hier: Meine Mission ist es, herauszufin­

den, wie es in einer US-Abtreibungsklinik wirklich abläuft.

Der Besuch einer solchen Abtreibungsklinik

ist wahrscheinlich so, wie zum Gynäkolo­ gen zu gehen. In einer Wohlfühlklinik mit freundlichen,

pastellfarbenen

Schmetterlingsdekorationen,

»Will ich gläsern werden?

Wänden,

fängt an, die Handtasche meiner Vorgän­ gerin auf Waffen und Sprengmaterial zu

«

überprüfen.

Dann bin ich an der Reihe: „Wann ist ihr Termin, Ma’am?“ fragte er. „Ich habe kei­ nen Termin, ich komme aus einem anderen

Grund“, antworte ich. Er verweist mich an

eingelullt

von luftig-lockerer Musik wird eine nette Sprechstundenhilfe

die Rezeption, die ich durch ein kleines Fenster in der schwe­

len und haufenweise Informationsbroschüren verteilen.

nach meiner Tasche.

ren Metalltür hinter ihm bereits sehen kann, und greift auch

dezent private Patienten­informationen durch den Flur brül­

Das ist mir jetzt aber doch zu viel. Die Frauen, die hier wirk­

Die Amerikaner, mit denen ich gesprochen habe, betonen

lich zur Beendigung ihrer Schwangerschaft oder der Beratung

allerdings den üblen Ruf der Abtreibungskliniken. Betrieben

zum Thema auftauchen, benötigen sicher keinen Ultraschall

werden sie im Normalfall von der Planned Parenthood Fede­

mehr, denn auf dem Weg zum Wartezimmer wird man be­

ration of America, im Alltag liebevoll auf Planned Parenthood

reits komplett durchleuchtet. Will ich gläsern werden, nur

(geplante Elternschaft) hinuntergestutzt. Abtreibung ist in

um einen Eindruck zu bekommen? Das lohnt nicht. Ich drehe

den USA bereits seit 1973 grundsätzlich legal und gerade seit

auf dem Absatz um.

Beginn des Präsidentschaftswahlkampfes wieder ein sensib­

Wie es in der Abtreibungsklinik aussieht, weiß ich also im­

les Thema. Trotz ausgeprägter Meinung über die Einrichtun­

mer noch nicht, aber soviel ist mir nach dem Besuch klar

gen haben die wenigsten US-Amerikaner je eine davon betre­

geworden: Kein Wunder, dass sich Mythen über Mythen um

ten. Um dem entgegenzutreten, stehe ich jetzt also hier vor

diese Einrichtungen ranken, wo man hier ja nur mit größ­

einem Gebäude aus rotem Backstein, in dem Abtreibungen

tem Aufwand überhaupt hineinkommt. Dafür befindet man

durchgeführt werden.

sich hier in sicheren Händen. So sicher, dass selbst die Vor­

Heimlich folge ich einer jungen Frau in die Klinik. Dort höre

urteile behütet werden.

ich, wie sie ihren Namen und die Uhrzeit ihres Termins in

die Freisprechanlage flüstert. Offenbar kommt man tatsäch­

5

Kolumne

Dena Kelishadi


Auf dem Hinterhof der Wissenschaft


Studierendenzeitung der HU Berlin

Kampf um jedes Blatt Der Verlag Elsevier hat durch hohe Preissteigerungen Wissenschaftler gegen sich aufgebracht. Nun regt sich Widerstand – mit ungewissen Erfolgsaussichten.

Der lateinische Spruch „Non Solus“ (nicht allein) ist auf dem

terzeichnet und die Herausgeberschaft von zwei Elsevier-Zeit­

vier mit Sitz in Amsterdam zu erkennen. Unter einer prächti­

of Combinatorial Theory, Series A) beendet. Er rief zudem am

schriften (European Journal of Combinatorics und das Journal

Logo des multinational agierenden Wissenschaftsverlags Else­

19. Februar 2012 auf dem Weblog SciLogs zur Unterstützung des

gen, von Weinreben umrankten Ulme steht ein Gelehrter. Das

Anliegens der Boykotteure auf. Sein Kollege Timothy W. Go­

Logo repräsentiere die „symbiotische Beziehung von Verleger

wers von der Universität Cambridge hatte im Januar als erster

und Wissenschaftler“, heißt es auf der Internetseite des Ver­

seinen Unmut gegenüber Elsevier geäußert. Wenige Tage spä­

lags.

ter wurde die Internetseite thecostofknowledge.com ins Leben

Doch diese Partnerschaft scheint nun einen merklichen Scha­

gerufen, auf der sich seitdem Wissenschaftler dem Boykott

den davongetragen zu haben. Denn zu Beginn dieses Jahres ent­

beteiligen können. Inzwischen haben sich bereits über 10.000

fachte sich eine Debatte um die Praktiken des Verlags und um

Unterstützer dem Boykott angeschlossen, mehr als 550 davon

seine Stellung im Wissenschaftsbetrieb. Bis zum 4. Mai 2012

lehren an deutschen Universitäten.

haben insgesamt 11.131 Wissenschaftler

Schon während der letzten fünfzehn Jahre hat

einen Boykottaufruf unterzeichnet, in

dem sie ankündigen, zukünftig nicht mehr bei Elsevier zu publizieren und we­

der als Herausgeber noch als Editor für den Verlag tätig zu sein.

»die Universitäten

Der Streit um das Unternehmen entzün­

zahlen doppelt,

Wissenschaftler, die unentgeltlich Arti­

während die Verlage

in Fachzeitschriften. Diese Zeitschriften

daran verdienen.

dete sich an einem verzwickten Problem: kel schreiben, publizieren ihre Arbeiten werden von Verlagen wie Elsevier ver­

es immer wieder Proteste gegeben, die sich explizit gegen Elsevier richteten. „Es gab Ende

der neunziger Jahre große Probleme mit der Preispolitik von Elsevier, da der Verlag in die­

ser Zeit sehr selbstbewusst auftrat“, berichtet

«

Andreas Degkwitz, Direktor der Universitäts­

bibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin

(HU). „Elsevier hatte damals die Möglichkei­ ten, die Preise zu steigern, stark ausgereizt,

und das hat ihnen eine sehr schlechte Presse verschafft“. so Degkwitz weiter. Infolge von

trieben und mit teils großen Profiten an

internationalen Protesten reagierte Elsevier

die Universitätsbibliotheken verkauft.

Die Universitäten zahlen also doppelt - zuerst für die Produk­

mit einer Senkung der jährlichen Teuerungsrate der Abonne­

während Verlage daran verdienen. Günther M. Ziegler, Mathe­

HU nun zwischen moderateren 5 und 7 Prozent bewegt, erklärt

ments für seine Zeitschriften, die sich für die Bibliothek der

tion, dann für die Wiedereinfuhr von Forschungsarbeiten -,

Degkwitz.

matikprofessor an der Freien Universität Berlin (FU) fasst das Problem damit zusammen, dass „unsere Bibliotheken plötz­

Angelika Lex, Elsevier Vice President Academic and Govern­

ment Relations, erklärt diesbezüglich, die Preissteigerun­

lich sehr viel Geld bezahlen müssen - für Wissen, das von uns

gen würden sich durch wachsende globale Investitionen in

Wissenschaftlern selber produziert wurde.“

Forschung und Entwicklung rechtfertigen, die pro Jahr um

Besonders brisant ist im Falle des zur Reed Elsevier Group ge­

4 Prozent oder mehr steigen würden. Elsevier produziere zu­

hörenden Verlags der Gewinn von 944 Millionen Euro, den

dem auch weiterhin Printmedien, für den Online-Bereich

Elsevier im Geschäftsjahr 2011 eingefahren hat. Elsevier ist

seien neue Kostenstellen entstanden. Zu dem Vorwurf, Else­

mit über 7000 Beschäftigten in 24 Ländern einer der führen­

vier würde die Bibliotheken ausbluten, erklärt Lex, dass diese

den wissenschaftlichen Verlage. Derzeit werden von ihm etwa

Anschuldigungen emotionaler Natur seien und nicht auf Fak­

2300 Journale (davon 50 in Deutschland) sowie knapp 20.000

ten beruhen würden. Der Langzeiterfolg Elseviers hänge vom

Bücher und Nachschlagewerke verlegt.

Langzeiterfolg der Wissenschaftler ab, so Lex.

„Das größte Problem ist, dass der Verlag Elsevier in der Art und

Michael Seadle, geschäftsführender Direktor des Instituts für

Weise, wie er mit Bibliotheken Verträge abschließt, diese sozu­

Bibliotheks- und Informationswissenschaft der HU, weiß zu

sagen 'ausblutet'“, erläutert Ziegler.

berichten: „Elsevier hat über die Jahre ein Riesengeschäft ge­

Er unterstützt den Boykott offen. Kurz nach Beginn des Pro­

macht.“ In den Bereichen Naturwissenschaft, Medizin und

tests gegen den Verlag im Januar 2012 hat er den Aufruf un­

7

Titel


Unaufgefordert

Technologie habe der Verlag die wichtigsten Magazine syste­

Journalen ist für Forscher deshalb karrierefördernd. Degkwitz

matisch aufgekauft. „Das ist ein Monopol“, so Seadle weiter.

betont: „Die 'Währung' in Forschung und Wissenschaft sind

„Ein solches Monopol hat Elsevier heute im

praktischen Sinne für viele dieser Zeitschrif­ ten im technischen Bereich“, so Seadle.

Der aktive Boykottunterstützer Ziegler erläu­ tert, dass viele Wissenschaftler ihre Beiträge

vorrangig Anerkennung und Renommee.“

»die Währung

in nur einer angesehenen Fachzeitschrift

in Wissenschaft und

gen wenig Entscheidungsfreiheit hätten.

Forschung ist

gen, müssen sie auf die Zeitschrift zurück­

Renommee.

veröffentlichen würden, sodass ihre Kolle­

Wenn sie einen bestimmten Aufsatz benöti­ greifen, in der dieser publiziert wurde. So können sie nicht einfach zu günstigeren Al­

«

Seadle bestätigt dies: Für Wissenschaftler,

die auf der Suche nach einer Stelle oder ei­ ner Professur sind, „ist das, was wirklich zählt, wissenschaftliche Veröffentlichungen

in Zeitschriften mit gutem Ruf.“ In vielen

Bereichen seien dies nun einmal ElsevierZeitschriften.

Ausschlaggebend ist für den Ruf einer Zeit­ schrift der sogenannte Journal Impact Fac­ tor. Dieser misst, wie häufig Artikel einer Zeitung in anderen einschlägigen Journa­

ternativen wechseln, da in diesen nicht die gesuchten Inhalte

len zitiert werden. Hieran misst sich auch das Renommee der

Hinzu kommt, dass Elsevier-Zeitschriften insbesondere in

schwierig, dem Angebot einer Veröffentlichung für Elsevier

stünden.

Autoren. Insbesondere für junge Wissenschaftler ist es daher

naturwissenschaftlich-technischen Bereichen ein sehr großes

eine Absage zu erteilen. Kilu von Prince, wissenschaftliche

Ansehen genießen. Die Publikation in solch einschlägigen

Mitarbeiterin und Doktorandin am außeruniversitären Zen­

trum für Allgemeine Sprachwissenschaft in Berlin, sagt: „Als junger Wissenschaftler

muss man sich schon überlegen, wen man da genau boykottiert.“ Sie hat den Aufruf un­

Hängen gelassen

terschrieben, aber als Linguistin aus einer si­

cheren Warte heraus: „Bei Springer hätte ich schon dreimal darüber nachgedacht“, scherzt sie über das Verlagshaus, das ebenfalls zu den großen Wissenschaftsverlagen zählt.

8

Titel


Studierendenzeitung der HU Berlin

Von Prince weiß, dass man „gerade in der Phase, in der einen

verkaufen.

paar einschlägige Publikationen hat.“ Auch Seadle stimmt

seit 2009 rund 50 Prozent des gesamten Literaturerwerbungs­

noch nicht jeder kennt“, darauf achten müsse, „dass man ein

Laut Informationen der HU-Bibliotheksverwaltung werden

dem zu: „Wenn es zu einer Entscheidung für Berufungen oder für Habilitationsverfahren kommt, wird im­

mer wieder größerer Wert auf die wichtigen Elsevier-Zeitschriften gelegt als auf die Open Access-Zeitschriften.“

budgets zur Beschaffung elektronischer und gedruckter Zeit­

»Es gab am Ende in der

So sind Veröffentlichungen bei Elsevier kein

Bibliothek der Physik

jedoch Zugzwang. „Elsevier zwingt nieman­

keinen Cent mehr, um

oder Elsevier-Zeitschriften herauszugeben.

Monographien zu kaufen.

Muss, innerhalb der Wissenschaft herrscht

den, in Elsevier-Zeitschriften zu publizieren

Für die Renommeebildung können Publikati­

onen in Elsevier-Zeitschriften allerdings hilf­

schriften ausgegeben. Während die Bibliothek der HU die ent­

stehenden Kosten laut Degkwitz

aufgrund einer guten Finan­

zierungslage derzeit auffangen kann, sind Teuerungen für klei­

«

nere Einrichtungen ein Prob­ lem. Seadle berichtet von einem

Fall an einer amerikanischen Universität: „Es gab am Ende in

der Bibliothek für Physik keinen

reich sein - vor allem dann, wenn es um wichtige Zeitschriften

Cent, um Monographien zu kaufen. Alles, was diese Physik-

seien nun einmal privatwirtschaftlich, der Wissenschafts­

für Bibliotheken in ärmeren Ländern in Asien oder Afrika seien

eines Fachgebiets geht“, gibt Degkwitz zu bedenken. Verlage

Bibliothek hatte, musste sie in Zeitschriften stecken.“ Auch

bereich hingegen nicht. Das Problem sei vielmehr die Mono­

Seadle zufolge Anschaffungen nur schwer zu bewerkstelligen.

polbildung, die zu hohen Preisen führt: „Für diese können die

In einem offenen Brief an die Forscher trat Elsevier Anfang Ja­

Wissenschaftler nichts.“

nuar den Anschuldigungen entgegen. So heißt es, die Preise

Hier wird der Grundkonflikt deutlich, an dem sich die Wut der

pro Seite in den Journalen seien effektiv gesunken. Was sich al­

Publizierenden entfacht. Wissenschaftler erhalten von den

lerdings erhöht habe, sei die Anzahl der Journale. Dies betrifft

Verlagen in der Regel kein Geld für ihre Artikel oder nur eine

dann die sogenannten „Bündel“, die hunderte von Elsevier-

symbolische Vergütung. Finanziert werden die Forschenden

Zeitschriften in einem Paket sammeln und von den Bibliothe­

von Steuergeldern. Gleichzeitig nutzt das private Unterneh­

ken gekauft werden. Diese Bündel sind ein optionales Angebot

men Elsevier seine Stellung auf dem Zeitschriftenmarkt, um

der Verlage und ein Weg für Bibliotheken, Rabatte auf die Zeit­

seine Produkte möglichst gewinnbringend an Bibliotheken zu

schriften im Paket zu erhalten. So zahlen sie letztendlich einen deutlich geringeren Preis pro Zeitschrift.

Doch auch diese Geschäftspraxis wird von Forschern geschol­ ten. Ziegler kritisiert die Bündel als intransparent und unfle­ xibel. „Da werden immer wieder Verträge abgeschlossen mit

Klauseln, die den Bibliotheken schon gar nicht erlauben zu sagen, was in den Verträgen eigentlich drin steht.“

Trotz aller Widrigkeiten:

Laut eines den Boykott betreffenden Artikels der Mathematiker

Wissenschaftler sind darauf

Douglas N. Arnold und Henry Cohn gewähre Elsevier zudem

angewiesen, bei Elsevier zu

nur bedingt Einsicht in die Verträge. Lex von Elsevier merkt

publizieren.

hingegen an, der Verlag führe mit jeder Bibliothek transparen­

te Verhandlungen. In vielen Fällen würden die Bibliotheken

selbst aus verschiedenen Gründen nicht wollen, dass Details

der Vereinbarungen für andere einsehbar wären. Auch würden

die Zahlen zu falschen Interpretationen führen, da die Institu­ tionen an sich sehr unterschiedlich seien.

Hinzu kommt, dass die Verträge für Bündel über einen Zeit­

raum von mehreren Jahren abgeschlossen werden. Allerdings

relativiert Bibliotheksdirektor Degkwitz die Aussagen zur Un­ flexibilität: „Für die e-Journal-Pakete, die Bibliotheken für ihre

Hochschulen lizenzieren, gibt es keine Preisbindung, sondern die Paketpreise werden üblicherweise verhandelt.“ Einzelne Zeitschriften könnten abbestellt, und andere dafür hinzuge­ nommen werden. Die Flexibilität des Verlags orientiere sich

bei der Zusammensetzung der Bündel jedoch an deren Größe, die immer an ein bestimmtes Budget gekoppelt seien, so Deg­

kwitz weiter. Auch Lex merkt an, die Bündel würden in vielen verschiedenen Größen angeboten, die zu hohen Rabatten pro Titel führen würden. In vielen Fällen könnten die Bibliothe­

ken ihre Titel selbst auswählen und kombinieren. Das dem zu­ grundeliegende Prinzip sei, dass eine Institution mehr Inhalt

9

Titel


UnAufgefordert

Wissenschaftler und Bibliotheken befinden sich in einer sandwichsituation.

erhält, je mehr Geld sie ausgeben möchte, erläutert Lex.

Business­Modell sich wirklich so ändert, dass wir die Flexibi­

rungen der Forschergemeinde entgegenzukommen: Nach

die wir wollen und gut finden, bekommen wir zu einem fairen

lität haben zu sagen, die Zeitschriften, die wir brauchen und

Nach dem neuerlichen Boykott scheint Elsevier den Forde­

Preis zugänglich gemacht.“

dem offenen Brief Anfang Februar beschloss Elsevier bereits

Eine aktuelle Entwicklung, die große

Ende desselben Monats eine Reihe von Maßnahmen. So kündigten die Vize­ präsidenten des Verlages an, dass der

Listenpreis für wichtige Titel in der Ma­ thematik gesenkt werden solle.

»Open Access hat die

Weiterhin sollen 14 Zeitschriften aus

Verlagsmonopole bisher

vor dem aktuellen Tag frei zugänglich

nicht brechen können.

dem Zeitraum von 1995 bis vier Jahre gemacht werden. Elsevier richtet sich

«

Verlage wie Elsevier auf lange Sicht dazu bringen könnte, ihre Geschäftsmodelle anzupassen, ist die Idee von Open Access.

Dies ist das Schlagwort für die öffentliche Zugänglichmachung von Publikationen

ohne Bezahlbarrieren oder sonstige Hin­ dernisse. Durch die Möglichkeiten von Veröffentlichungen im Internet sind die

Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung

hier explizit an die Mathematikerge­

meinde, da im Umfeld von Mathematikprofessor Timothy

theoretisch für alle Menschen jederzeit erreichbar. Open Ac­

matiker bislang mit circa 2000 Boykotteuren die zahlenmäßig

boten wird.

cess ist ein Service, der mittlerweile auch von Verlagen ange­

Gowers der Ursprung des aktuellen Boykotts liegt und Mathe­

Trotz eines Anstiegs von Open Access-Veröffentlichungen und

größte Gruppe stellen. Zuletzt zog Elsevier in den USA auch die

Plattformen seit Jahren betont Degkwitz: „Das Open Access­

Unterstützung für den "Research Works Act" zurück, ein Geset­

Publizieren hat den Markt in den letzten Jahren sicher in star­

zesentwurf, der es erschweren sollte, Werke über Open Access­

kem Maße beeinflusst, jedoch keine Verlagsmonopole 'bre-

Netzwerke zugänglich zu machen.

chen' können.“ Der Marktanteil solcher Publikationen liege

Der Bibliotheks­ und Informationswissenschaftler Seadle sieht

noch immer im einstelligen Bereich.

in den Zugeständnissen keine ausreichenden Maßnahmen: „Ich sehe diese Änderungen als einen Versuch, uns zu über­

In Deutschland ist in Paragraph 38 des Urheberrechtsgesetzes

zeugen, dass Elsevier freundlich ist. Nicht als eine wesentliche

festgeschrieben, dass ein Verleger oder Herausgeber ein aus­

schließliches Nutzungsrecht an zu Sammlungen beigetrage­

Änderung in der Geschäftspraxis von Elsevier.“ Auch Ziegler

nen Werken erwirbt. Der Autor darf sein Werk nach Ablauf

gehen diese Schritte nicht weit genug: „Was wir brauchen,

eines Jahres anderweitig vervielfältigen, jedoch nur, „wenn

sind langfristige Zusagen von Elsevier, die sagen, dass das

10

Titel


Studierendenzeitung der HU Berlin

nichts anderes vereinbart ist“. Das Gesetz garantiert dem Au­

zu bewerten sind, ist fraglich. 10.000 Protestteilnehmer welt­

nur, wenn dies im Vertrag nicht namentlich ausgeschlossen

Seadle steht den Aussichten des Boykotts, etwas Grundlegendes

toren also ein Recht der Nutzung seiner Werke für Open Access

weit, davon 15 HU-Wissenschafter, sind eine beachtliche Zahl.

wird.

an der Geschäftspraxis Elseviers zu verändern, jedoch kritisch

In Deutschland gibt es dennoch eine von Bündnis 90/Die Grü­

gegenüber: „Die Frage ist, welche 10.000? Wenn es 10.000 No­

nen ins Leben gerufene Gesetzesinitiative, die bewirken soll,

belpreisträger wären, das hätte eine Wirkung.“

dass ein Verleger eine Zweitveröffentlichung nach Ablauf ei­

Auch stellt sich die Frage, von wo eine Veränderung ihren

ner angemessenen Zeitspanne nicht ausschließen kann: „Wir

Ausgang nehmen könnte. Seadle betont, der Protest sei wün­

brauchen das gesetzliche Zweitverwertungsrecht, weil die

schenswert und ein Anfang, jedoch müsse es eine strukturelle

Vertragspraxis der großen Verlage faktisch eine Zwangslage

Unterstützung für den Boykott von Elsevier-Zeitschriften ge­

produziert, die zum Buy-Out, zur Hergabe aller Rechte führt“,

ben. In den USA habe es Bibliotheken gegeben, die Elsevier-

erklärt Konstantin von Notz, Grüner Bundestagsabgeordneter

Produkte abbestellt haben, diese jedoch wieder neu abonnieren

sowie Sprecher für Innen- und Netzpolitik der grünen Bundes­

mussten, nachdem Wissenschaftler ihre Forschung in Gefahr

tagsfraktion.

sahen und die Zeitschriften einforderten.

Der Elsevier-Boykott sei für ihn „auch die Folge der Enttäu­

„Bis wir uns entweder institutionell entscheiden, dass wir die­

schung über das Ausbleiben vielfältigerer Formen von Open

se hohe Bewertung für Elsevier systematisch ablehnen, oder

Access.“ Von Notz zufolge heiße es, dass bereits jetzt betriebs­

dass wir gleich hochwertige Zeitschriften im Open Access-Be­

wirtschaftliche Auswirkungen durch den Boykott entstanden

reich oder mindestens kontrollierende Zeitschriften gründen,

seien.

damit man Alternativen hat“, so Seadle, wären die Umstände

Der Bibliotheks- und Informationswissenschaftler Seadle gibt

für eine Änderung im deutschsprachigen Raum ungünstig. Als

zu bedenken, dass sich die Lage in einer Welt, in der wir in

Bürger habe man wenig Chancen, etwas zu bewirken. Die gro­

Deutschland keinen Einfluss auf Elsevier in

den Niederlanden haben, so bald nicht än­

dern werde. Auch der Mathematiker Ziegler

steht dem Vorhaben kritisch gegenüber, denn die Debatte um Copyright und Open Access sei

ßen Institutionen selbst müss­

»was eine deutsche

ein internationales Problem: „Was eine deut­

Gesetzesänderung be­wirken

nicht klar. Wenn, dann müsste man auf euro­

kann, ist unklar.

sche Regelung bewirken könnte, ist überhaupt päische Regelungen schauen.“

Ziegler lädt seine Aufsätze auf das Online Open

«

ten sich Seadle zufolge gegen Elsevier entscheiden.

Das grundlegende Dilemma der Situation ist die Notwendigkeit

der Zeitschriften für die For­ schung einerseits und die Kla­ gen der Wissenschaftler über

die Verlagspolitik andererseits. Degkwitz wäre theoretisch be­

Access-Archiv arxiv.org. Auf diesen Dokumentenserver können

reit, die Elsevier-Bündel abzubestellen, sollten die HU-Wis­

geladen werden. Die Rechte an diesen Vorabdrucken, die zur

kommen wird.

naturwissenschaftliche Vorabdrucke zur freien Einsicht hoch­

senschaftler dies fordern. Er glaubt aber nicht, dass es dazu

Veröffentlichung vorgesehen sind, liegen zu dem Zeitpunkt

Die von ihm geleitete Universitätsbibliothek sieht er in einer

meist noch beim Autor . Diese Möglichkeit sowie das Hochla­

Sandwichsituation: „Universitätsbibliotheken haben den Ver­

den von Artikeln auf die eigene Homepage gestehe auch Else­

sorgungsauftrag für aktuelle Literatur und Fachinformation.

vier den Wissenschaftlern mittlerweile zu, so Ziegler. Das Ziel

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erwarten eine Ver­

aus Sicht der Wissenschaft müsse es seiner Meinung nach aber

sorgung, die ihre Bedarfe in Forschung und Lehre deckt und

sein, „dass die Wissenschaft, die wir produzieren, zugänglich

die natürlich auch impact-relevante Zeitschriften großer Ver­

gemacht wird.“ Lex betont, Elsevier sei daran interessiert, den

lage umfasst. Bei der bestehenden Marktsituation kann dies

Zugang zu Publikationen in nachhaltiger Weise zu erleichtern.

durchaus zu Differenzen führen.“

Zudem sei veranschlagt, den Wert der Arbeit Elseviers besser

Wie erfolgreich der aktuelle Boykott gegen das Monopol des

an die Forschergemeinde zu kommunizieren.

Verlags sein wird, wird sich so erst mit der Zeit zeigen. Eines

Wie die Erfolgsaussichten des aktuellen Boykotts insgesamt

hat sich jedoch deutlich offenbart: Privatwirtschaftliche Ver­

lage und von öffentlichen Geldern finanziert forschende Wis­ senschaftler sind entzweit. Die vom Elsevier-Logo suggerierte

Die gefesselte

Symbiose von Verlag und Wissenschaftler ist an der aktuellen

Wissenschaft

Situation gemessen nur mehr ein leeres Versprechen. Diese Einheit wieder herzustellen ist ausdrücklicher Wunsch der Protestierenden.

Gerhard Ziegler sieht Verlage als Dienstleister für wichtige Auf­ gaben, „die natürlich auch etwas daran verdienen können.“ Er

glaubt daran, dass Forscher auch in Zukunft mit den Verlagen

zusammen arbeiten werden: „Wir aus der Wissenschaft erwar­ ten dafür, dass die Verlage mit und für uns arbeiten, nicht ge­ gen uns.“

11

Titel

Nina Breher, Isabelle Borchsenius,

Ingeborg Morawetz, Philipp Sickmann


POLitiK was ist ein Cotutelleverfahren? Ein Cotutelle- oder Cotutela-

verfahren beantragt, wer mit

zwei Betreuern an zwei Hoch­

schulen in zwei Ländern gleich­

zeitig eine Doktorarbeit schreiben

Kommentar

von Lisa Mahlke

in

5

Foto: privat

Sätzen

Zweierlei Maß

und seinen Titel dann auch von zwei Seiten verliehen bekommen möchte.

Es gibt Studierende an der Humboldt­Universität zu Berlin

solchen Verfahrens beispielsweise bei

in der Innenstadt Berlins studieren oder weil ihre Universität

Karriere oder einem Forschungsschwer­

groß schreibt. So steht es zumindest im Leitsatz der HU.

Empfohlen wird die Beantragung eines

(HU), die sich für etwas Besseres halten. Vielleicht, weil sie

dem Wunsch nach einer internationalen

eine Einrichtung ist, die Toleranz, Fairness und Humanität

punkt, der in untrennbarer Verbindung

Derzeit lässt sich jedoch folgendes Verhalten unter Studieren­

Das Cotutelle-Verfahren garantiert eine

genüber Bettlern, die sich taubstumm stellen und vor der Uni

zu einem anderen Land steht.

den beobachten: Es herrscht ein erstaunliches Unbehagen ge­

vertragliche Absicherung und klärt da­

um Geld bitten.

mit schon im Voraus, wie die Universitä­

So gar nicht im Sinne des HU­Leitsatzes ist die daraus resultie­

ten anteilig die anfallenden Reise­ und

rende, häufig stillschweigend geduldete Meinung von Studierenden hierzu: Sie halten die Bettler für unmoralisch, denn es

Unterkunftskosten zu tragen haben.

sei verwerflich, sich als hilf- und schutzlos auszugeben, um an

Weniger als 30 Prozent seiner Promoti­

Geld zu kommen. So viel zur hochgelobten Toleranz.

onszeit darf ein Cotutelle-Kandidat übri-

Das erinnert mich an etwas: Wie viele Studierende schnorren

gens nicht an einer der Wahlhochschu­

sich bei Kommilitonen regelmäßig Zigaretten? Dabei wird eine

len verbringen, wenn er offiziell doppelt

Schiene gefahren, die denen der Bettler im Prinzip gar nicht

betreut werden möchte.

so unähnlich ist. Von Mitmenschen erwartet der Bettler wie

Die Urkunde, die eine erfolgreiche Pro­

der studentische Schnorrer, dass diese mit Geld ­ oder eben mit

motion nach Cotutelle bescheinigt, trägt

Zigaretten ­ aushelfen. Studierende halten die nikotinhaltigen

am glücklichen Ende zwei Siegel, nicht aber zwei Doktortitel.

Almosen auch noch für ganz selbstverständlich. Dabei haben

Ingeborg Morawetz

Bettler das Kleingeld wohl nötiger als der Student die Zigarette, die er sich problemlos verkneifen oder selbst leisten könnte.

Diese scheinheilige Moral offenbart sich noch deutlicher beim

Thema Bücherklau. Es fängt damit an, dass ständig vorbestell­ te Bücher aus den Bibliotheksregalen verschwinden. Eine Vor­ bestellung macht man sicher nicht, weil man nichts Besseres

mit seiner Zeit anfangen kann. Wenn das lang erwartete Buch

nicht im dafür vorgesehenen Regal liegt, hatte jemand mal

wieder keine Lust, sich an die Regeln der Vorbestellung zu hal­

„Ich wünsche mir gerade jetzt im Früh-

ten und hat das Werk versteckt. Immer wieder werden zudem

Seiten aus Büchern gerissen oder ganze Werke gestohlen. Und

ling einen bewussteren Umgang mit der

da regen sich manche wirklich über bettelnde Menschen im öffentlichen Raum auf?

Foto: privat

Umwelt und der Natur.“

Wie so oft im Leben hilft es, sich selbst an die Nase zu fassen, bevor man über andere schlechte Worte verliert. Studieren­

Hans Oberländer ist Mensaleiter, Imker und

de, die solche Gewohnheiten als Kavaliersdelikte abstempeln,

Gründer des Insektenhotels der Mensa Nord.

sollten darüber nachdenken, ob sie sich tatsächlich besser auf­

Als aktives Mitglied engagiert er sich im

führen als Leute, die in einer finanziellen Notlage das Mitleid

Verein "Berlin summt!"

anderer ausnutzen.

12

Politik

Lisa Mahlke


Studierendenzeitung der HU Berlin

Winnacker will's wissen Der ehemalige Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Ernst Ludwig Winnacker, stellte kürzlich den Wissenschaftsrat in Frage. Er sieht Alternativen.

Ernst Ludwig Winnacker hat in einem Interview mit der Deut­ schen Universitätszeitung vom 23. März 2012 den Wissenschafts­ rat in Frage gestellt und so eine Debatte um die Relevanz des wissenschaftspolitischen Beratungsgremiums entfacht. Er kritisierte: „Ich halte wenig von diesem Gremium, es ist viel zu sehr politisiert.“ Aufgrund der Befangenheit, die durch die Berufung des Rates von politischer Seite ent­ stünde, ist er der Meinung, dass man den Wissen­

Illu

schaftsrat abschaffen sollte.

era :V

Die Reaktionen auf diese Äußerungen waren

id We

heftig. Immerhin greift er mit dem Wissen­

enb

schaftsrat das bedeutsamste wissenschaftliche

ach

Beratungsgremium Deutschlands an. Und Win­

nacker muss es wissen: Als ehemaliger Präsi­

dent der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG)

und nach drei Jahren als Generalsekretär des Europäischen For­

haltspläne im Rahmen der haushaltsmäßigen Möglichkeiten

förderung.

Wedig von Heyden, ehemaliger Generalsekretär des Wissen­

berücksichtigen.“

schungsrats ist er ein Experte auf dem Gebiet der Wissenschafts­

schaftsrates, betonte gegenüber dem Tagesspiegel am 22. März

Außerdem würden die vom Gremium zu treffenden Entschei­

die Unverzichtbarkeit des Gremiums. Nur dieses könne den

dungen zu lange dauern, so Winnacker weiter.

Überblick über das föderale Wissenschaftssystem Deutschlands

Der Rat besteht aus 54 Mitgliedern mit insgesamt 64 Stimmen.

bewahren. Einen anderen Aspekt beleuchtete Dieter Lenzen,

Es gibt die Wissenschaftliche Kommission und die Verwaltungs­

Vizepräsident der Hochschulrektorenkonferenz. Der Wissen­

kommission. Erstere wird vom Bundespräsidenten, teilweise in

schaftsrat biete Gewähr dafür, „dass politische Entscheidungen

Abstimmung mit verschiedenen Wissenschaftsgesellschaften

zumindest nicht ohne Kenntnis der wissenschaftlichen Positi­

und der Bundes- und der Länderregierungen, berufen. Die Mit­

onen getroffen werden.“ Der Wissenschaftsrat selbst bezog zu

glieder der Verwaltungskommission werden vom Bund und den

dem Sachverhalt keine Stellung.

Ländern gestellt, die außerdem Träger des Wissenschaftsrats

Winnacker relativierte im April auf Anfrage seinen Vorwurf

sind.

der Langsamkeit und gestand ein: „Das ist bei großen Institu­

Die Wissenschaftler in der Wissenschaftlichen Kommission

tionen nun einmal so.“ Er erneuerte aber die Kritik, der Rat sei

arbeiten zuerst Vorschläge aus. Die Verwaltungskommission

politisch befangen. Einige von der Politik in Auftrag gegebene

setzt sich dann mit der politischen Umsetzung der Vorschläge

Evaluationen würden in Ausschüssen bearbeitet, in denen Mit­

auseinander und erstellt ihrerseits Vorschläge, die zurück an die

glieder der von Bund und Ländern berufenen Verwaltungskom­

Wissenschaftliche Kommission gehen. In der vierteljährlichen

mission sitzen.

Vollversammlung beider gleichberechtigter Organe werden

Als Alternative zum Wissenschaftsrat schlägt Winnacker Ad-

letztendlich die entstehenden Kompromisse mit einer Zweidrit­

hoc-Kommissionen vor, Arbeitskreise, die sich aus Experten

telmehrheit beschlossen.

zur Lösung eines spezifischen Problems zusammensetzen und

Seit 1957 berät der Wissenschaftsrat Bund und Länder in der in­

danach wieder aufgelöst werden. So spricht er sich dafür aus,

haltlichen Förderung der Wissenschaft sowie in Fragen der For­

diese Kompetenzen der Nationalen Akademie der Wissenschaf­

schung und Entwicklung der wissenschaftlichen Institutionen

und des deutschen Wissenschaftssystems. Zu diesem Zweck

ten, der Leopoldina, zu übertragen. Dies ist eine Organisation,

die sich ausschließlich aus Wissenschaftlern zusammensetzt.

werden die Empfehlungen in Ausschüssen erarbeitet. Gemein­

Natürlich werde es weder eine ungestörte Effektivität in der Ent­

sam mit der DFG führt der Wissenschaftsrat zudem die Exzellen­

scheidungsfindung noch eine wissenschaftliche Beratungsins­

zinitiative durch.

titution ganz ohne Kontakt zur Politik geben, gesteht er ein. Ihn

Die Empfehlungen des Gremiums sind nicht verpflichtend, im

bewege die Frage, wie ein System optimiert werden könne: „Es

Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern über die

ist vieles besser geworden, aber man muss auch nachdenken,

Errichtung eines Wissenschaftsrates heißt es aber: „Die Bun­

wie es weitergeht.“

desregierung und die Landesregierungen werden die Empfeh­ lungen des Wissenschaftsrates bei der Aufstellung ihrer Haus­

13

Politik

Benjamin Knödler


UnAufgefordert

Sein oder Schein Ist Glaube Wissenschaft? Theologiestudierende werden oft mit dieser Frage konfrontiert und setzen sich mit dem Glauben auf verschiedenen Ebenen auseinander.

An der Universität Tübingen wurde von Bundesbildungsminis­

2009 den Afghanistankrieg kritisierte und dazu aufforderte,

trum für Islamische Theologie eröffnet, an dem Imame und

chen.

nach alternativen Formen der Konfliktbewältigung zu su­

terin Annette Schavan (CDU) im Januar dieses Jahres das Zen­

Auch wenn Theologie spätestens seit dem Mittelalter fester

islamische Religionslehrer ausgebildet werden sollen. Es ist

Bestandteil des europäischen Wissenschaftssystems ist, liegen

das erste seiner Art in Deutschland und bietet eine Gelegenheit

ihre Aussagen auf einer anderen Ebene als die der Naturwis­

zu fragen, welche Rolle der Theologie im deutschen Wissen­

senschaften. Gerd Theißen, emeritierter Professor für Neues

schaftssystem zukommen kann.

Testament an der Universität Heidelberg, drückt das in einem

Nina Roller ist 26 und studiert im zehn­

Aufsatz mit dem Titel "Evolution" so aus: „Die Naturwis­

ten Semester evangelische Theolo­

senschaft fragt nach dem Faktischen, die Theologie

gie an der Humboldt-Universität

nach Sinn und Wert.“ Sein Kollege Wilhelm Gräb,

zu Berlin (HU). „Wenn ich

Professor für Praktische Theologie an der HU,

Menschen erzähle, was ich

geht noch weiter. Auf der Konferenz

studiere, werde ich mit

"Wozu

Theologie? Über Ort und Aufgabe der Theologie

Meinungen zur Kirche,

an der Universität" führte er im April 2012 die

mit sehr persönlichen

These aus, Theologie solle keine Aussagen

Lebensgeschichten oder

Fragestel­

mit universalem Wahrheitsanspruch treffen.

Manchmal werde sie ge­

öse Dimension. Solche Fragen müssten von

ethischen lungen

Sinnfragen hätten immer auch eine religi­

konfrontiert.“

der Theologie verantwortlich und methodisch

fragt, ob man Theologie

nachvollziehbar diskutiert werden.

überhaupt so richtig an der

h

Universität studieren wür­

de

nb

ac

de. „Fast immer aber taucht

irgendwann die Frage auf, was

man in einem Theologiestudium

: Illu

r Ve

a

ei W

All dies kann für Theologien verschiedener Religi­

onen in gleichem Maße gelten. In einem Papier des

Wissenschaftsrates heißt es, die Wissenschaft müsse

auf die wachsende Pluralität der religiösen Bekenntnis­

se langfristig und institutionell reagieren. Nina Roller sieht

denn so mache – und warum“, so Nina.

Für sie zeigt dies, was für Kompetenzen der Theologie zuge­

die Eröffnung des Zentrums für Islamische Theologie als einen

fragen zu beraten und ethische Urteile zu fällen. Theologen

tät von Vernetzung. Daran sollten sich Theologien aller Religi­

Schritt in die richtige Richtung. Schließlich lebe jede Universi­

schrieben werden: die Fähigkeit, in grundsätzlichen Lebens­

onen als gleichberechtigte Teile im Kanon der Wissenschaften

sitzen in Ethikräten und beraten Politiker, kommentieren,

in Deutschland wiederfinden.

kritisieren. Man denke an Margot Käßmann, Hans Küng und natürlich Joachim Gauck.

Nicht nur für gläubige Christen ist Religion heute relevant,

Anzeige

denn auch kulturell spielt sie eine wichtige Rolle. Die Theo­ logie steht als Fachbereich nicht für sich allein, sondern ist

interdisziplinär: Geschichte, Philosophie, Linguistik, Kultur­ wissenschaft, Psychologie und Pädagogik sind nur einige der

vertretenen Fachrichtungen. Das mache Theologen zu fähigen Geisteswissenschaftlern auch auf dem außerkirchlichen Ar­ beitsmarkt, so Christian Polke, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Theologischen Fakultät der Universität Hamburg.

An der Universität ist die Theologie auch mit praktischen Auf­ gaben betraut. Polke sieht die Tätigkeitsfelder seiner Disziplin

an der Universität selbst in Hochschulseelsorge, Universitäts­ gemeinde und -gottesdienst.

Für die Kirchen dient die wissenschaftliche Theologie nicht

nur zur Ausbildung von Personal, sondern auch als kritische Instanz. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist Margot Käßmanns deutlicher Satz: „Nichts ist gut in Afghanistan“, mit dem sie

14

Politik

Samuel Raub


Studierendenzeitung der HU Berlin

gut BEZahLt

Neues

hipp hipp hurra

Studentische

Beschäftigte

in Berlin profitieren von

tariflich geregelten Arbeits-

verhältnissen.

Dies

geht

aus einer im April 2012 veröf­

Die Hochschulrektorenkonferenz hat

fentlichten Studie der Gewerk­

schaft Erziehung und Wissenschaft

einen neuen Präsidenten.

(GEW) hervor. So ist die Vertragslaufzeit an

Berliner Universitäten länger und die Stun­

denlöhne sind höher als anderswo. Berlin ist das einzige Bundesland, in dem studen­ tische Arbeitsverhältnisse tariflich gere-

gelt sind. Die GEW hat 4000 studentische Beschäftigte befragt. Nur 60 Prozent von

ihnen arbeiten tatsächlich hauptsächlich

in dem Bereich Forschung und Lehre, der für die meisten studentischen Beschäftig­

ten als Hauptmotivation für diese Erwerbs­ Illu: Ina Soth

tätigkeit gilt. 90 Prozent der Befragten sind mit ihrer Arbeit zufrieden.

asu

gast f rEundLich

Horst Hippler, Präsident des Karlsruher Instituts für Technolo­

Die FU und die HU belegen den ersten und

gie (KIT), ist zum neuen Präsidenten der Hochschulrektoren­

den zweiten Platz bei dem aktuellen Ran­

konferenz (HRK) gewählt worden. Dies geht aus einer Presse­

king der bei Gastwissenschaftlern belieb­

mitteilung der HRK vom 24. April 2012 hervor.

testen

Informationen des Tagesspiegels zufolge erhielt der 65­jährige

Universitäten

Deutschlands.

Zu

diesem Ergebnis kommt das sogenannte

Physikochemiker im zweiten Wahlgang 224 von 423 Stimmen.

Humboldt­Ranking, eine am 20. April 2012

Er tritt damit die Nachfolge von Margret Wintermantel an und

veröffentlichte Studie der Alexander von

soll vom 1. Mai 2012 bis zum 31. August 2015 im Amt bleiben.

Humboldt­Stiftung. Um die Größenver­

Die Hochschulrektorenkonferenz, ein Zusammenschluss von

hältnisse nicht zu verschieben, wurde die

267 deutschen Universitäten und anderen staatlich anerkann­

Anzahl der Gastwissenschaftler mit der

ten Hochschulen, fungiert als politische Interessensvertretung

Größe der jeweiligen Universität in Bezug

der Hochschulleitungen gegenüber Politik und Gesellschaft.

gesetzt, so dass für kleinere Universitäten

Sie betätigt sich nach eigenen Angaben unter anderem bei der

und Hochschulen im Ranking kein Nach­

Formulierung und Vertretung hochschulpolitischer Forderun­

teil entstanden ist, weil dort zahlenmäßig

gen ihrer Mitgliedshochschulen.

weniger Gastwissenschaftler forschen. asu

Der Präsident der HRK hat die Aufgabe, die Interessen der ihr angehörenden Universitäten und Fachhochschulen zu koordi­ nieren und zu vereinigen.

Die Wahl Hipplers wird als Signal für eine Lockerung des Ko­

BOLOgna...was?

bei der Hochschulfinanzierung gewertet. Das KIT ist 2009 aus

Begriff "Bologna-Reform" nichts anfan-

Universität Karlsruhe und des Forschungszentrums Karlsruhe

AG im Auftrag der Hochschule München.

Seitdem erhält die Universität neben der Förderung durch das

senes Studium vorweisen können, geben

2006 als Exzellenzuniversität ausgezeichneten Universität

nen. In der Altersgruppe der 18­ bis 29­Jäh­

geblich an diesem Prozess beteiligt.

Befragten den Begriff einordnen. Geteilter

und seine Weigerung, Fachhochschulen das Promotionsrecht

des Masterabschlusses: 30 Prozent halten

Hippler in einer Pressemitteilung des KIT vom 24. April 2012,

wertig; ein weiteres Drittel würde den Di­

liefern.“

Befragten halten den Masterabschluss für

75 Prozent der Deutschen können mit dem

operationsverbots und für eine stärkere Beteiligung des Bundes

einer Fusion der 2006 als Exzellenzuniversität ausgezeichneten

gen. Dies ergab eine Studie der Innofact

der Helmholtz­Gemeinschaft hervorgegangen.

Selbst unter Befragten, die ein abgeschlos­

Land Baden­Württemberg auch Bundesmittel. Als Rektor der

50 Prozent an, die Reform nicht zu ken­

Karlsruhe und als erster Präsident des KIT war Hippler maß­

rigen können immerhin 41 Prozent der

Kritiker bemängeln Hipplers Engagement für Eliteförderung

Meinung sind die Befragten über den Wert

zu verleihen. Als eine seiner dringlichsten Aufgaben nennt

Master­ und Diplomabschluss für gleich­

„Beiträge zur künftigen Finanzierung aller Hochschulen zu

plomabschluss bevorzugen. 22 Prozent der besser als den Diplomabschluss.

Caspar Schwietering

15

Politik

asu


UnAufgefordert

StudiErEN Germanistik

Glosse

von Samuel Raub

Illu: Samuel Raub

Foto: Privat

...und was macht man dann damit? Larissa Jurkova, 42, Gesundheits- und Krankenpflegerin

Monokultur

Als ich 1988 aus Kasachstan nach Ostberlin kam, hatte ich

Prüfungszeit, Sonntagmorgen, 10:30 Uhr. Ich

schon zwei Jahre Deutsch als Fremdsprache auf Lehramt in

stehe auf, mache Kaffee, dusche. Rein in die

meiner Heimat studiert. In Berlin landete ich im germanisti­

Jogginghose und meine riesigen Katzenpfo­

schen Fachbereich der Humboldt­Universität zu Berlin.

tenpantoffeln. Langsam bahnt sich der so

Nach dem Studium stand in meinem Diplom noch immer

erfolgreich verdrängte Gedanke an die bevor­

Lehramt mit Deutsch als Fremdsprache. Dabei war es nie

stehenden Prüfungen wieder den Weg in mein

mein Ziel, dieses Fach in Deutschland zu unterrichten.

Bewusstsein. Es dämmert mir: Ich muss mich

Da stand ich nun und fragte mich, was ich mit meinem Ab­

anziehen und in die Bibliothek, abheben in die

schluss machen sollte. Fest stand, dass es etwas mit Menschen

Welt der rauchenden Köpfe, des Wissens und

zu tun haben, sozial und handfest sein sollte. Ich ließ also den

des Fleißes.

Abschluss Abschluss sein und fing 1992 eine Ausbildung zur

Entschlossen betrete ich das Grimm­Zentrum

Gesundheits- und Krankenpflegerin an. Diese Arbeit hat mir

und sehe – Hipster, Tussis, Anzugträger und

zehn Jahre lang viel Freude bereitet.

Menschen, für deren Stil ich keinen Mode­

Mittlerweile tun sich jedoch Schwierigkeiten auf: Der Schicht­

begriff parat habe.

dienst erfordert Opfer in puncto Familie und Freizeit, die das

Träume ich? Das ist keine Bibliothek, das ist der

Gehalt nicht ausgleicht. Außerdem lässt unser Gesundheits­

Spielplatz der Models, der Olymp des Stils, das

system in vielen ethischen Fragen zu wünschen übrig. Was

Mekka der urbanen Mode! Die Gänge zwischen

mich außerdem stört, sind die Scheuklappen der Schulme­

den Bücherregalen sind Laufstege.

diziner gegenüber alternativen Behandlungsmöglichkeiten.

Es trifft mich eiskalt. Durch mein Erdulden

Dennoch werde ich wohl in der Krankenpflege bleiben, andere

trage ich auch noch dazu bei; es reicht! Hier­

Optionen haben schließlich auch ihre Haken.

mit rufe ich zumindest den Sonntag zum Bad

Susanne Schwarz

»Darf man Essen mit in die Mensa bringen?« Gar selbst Speis und Trank in die Mensa Acade­

mica bringen? Wohl kaum! Ist Dein Gastgeber

zwar voll Höflichkeit und wird er Dich wohl nicht

des Raumes verweisen, sei Dir dennoch anzuraten,

Taste­Tag

im

Grimm­Zentrum

aus.

Nächs­

te Woche komme ich in Jogginghose und

uniKnigge

jene Höflichkeit nicht missbräuchlich zu verwenden:

Katerpfotenpantoffeln!Doch

wahrscheinlich

wird mich die immer topaktuelle Modewelt

auch auf diesem Weg einholen. Ab übernächs­

ter Woche schreiten dann alle mit Tierfußpan­ toffeln den Bibliothekslaufsteg hinauf, wie uniformierte Mannequins im Gammellook.

Als Armee gesichtloser Individualisten bela­ gern sie schon bald die Fashion Week. Ohne

Tisch und Stuhl gebühren jenen, die diese auch tatsächlich

kalte Füße zu bekommen stürzen sie dieses Kö­

angemessen zu nutzen wissen, dies nämlich neben anregen­

nigshaus der Modekultur. Hoffentlich hat sich

der Konversation insbesondere durch den Genuss von in der

das Thema Kultur damit auch erledigt. Sonst

Mensa gekauften Speisen! Verhalte Dich, wie Du es auch in

kommen die "Cats" noch auf die Idee, ein Mu-

solltest Du ein eigenes Menü mit Dir führen. Anstand, so sei

auf Mülltonnen das Mondlicht besingen – ein

einem Restaurant tätest. Auch hier wird es Dir nicht gedankt,

sical einzuüben, in dem sie melodramatisch

Dir gesagt, kann trotz des regen Studierendenaufkommens

kleiner Putsch gegen das Königshaus der Musik

auch im universitären Speisesaal verlangt werden.

sozusagen. Der Catwalk ist tot, lang lebe der

Miriam Nomanni

Catwalk!

16

Studieren


Studierendenzeitung der HU Berlin

Der eingeübte Kranke Die Charité hat ihr neues Lernzentrum eröffnet. Hier werden Schauspieler zu Kranken und sollen Medizinstudierende im Umgang mit echten Patienten schulen.

Schwere der Erkrankung nicht möglich, den Um­

Eine Ärztin bittet eine junge Patientin in ihr Un­

gang mit ihnen ausreichend zu erlernen, erklärt sie.

tersuchungszimmer. Diese tritt ein, wirkt unru­

Während ihrer Promotionszeit war Hölzer selbst als

hig, aufgedreht. Beinahe zwanghaft macht sie

Simulationspatientin tätig. Es sei aber die Ausnah­

sich Notizen in einem roten Heft.

me, dass Studierende oder Promovierende diese

Sie wolle ein Buch schreiben,

Rolle übernehmen. Hauptsächlich

das die Welt verändert, erklärt

schlüpften Schauspieler, Künstler,

sie mit weit aufgerissenen

Rentner oder Erwerbslose in die

Augen. Sie schreibt ohne

Rolle eines Patienten. Sie verdienen

Unterlass – als sei sie von

zwölf Euro pro Stunde plus vier

diesem einen Gedanken

Euro Anfahrtspauschale pro Tag.

getrieben. Sie redet über ihr Werk, schweift ab und

nimmt die Fragen der Ärztin

nur beiläufig zur Kenntnis. Mehr­

fach muss sie aufgefordert werden, auf

Fragen zu reagieren. Die Situation wirkt

angespannt und die Ärztin hat viel Mühe,

der Frau Informationen abzuringen, die für

h Weidenbac Illu: Vera

die Diagnose relevant sein könnten.

Das Gespräch wird von leisem Gelächter begleitet. Die­

Um als Simulationspatient tätig zu werden, muss zu­

ses kommt aber nicht von einer der beiden Frauen, son­

dem eine Probandenvereinbarung abgeschlossen werden.

dern von einer Gruppe von Beobachtern. Denn diese Patientin

ist nicht wirklich krank. Sie ist Schauspielerin, eine sogenann­

Die Patienten würden vor allem im Unterricht, aber auch in

Studierende des Reformstudiengangs Medizin an der Berliner

Moment etwa 130 Simulationspatienten im Alter von 15 bis 80

Tutorien und Prüfungen eingesetzt. Insgesamt stünden im

te Simulationspatientin. Die Ärztin und die Beobachter sind

Jahren zur Verfügung, so Hölzer weiter.

Charité. Die gesamte Szene ist Teil des Kurses "Interaktion" im

Jeder der Schauspieler beherrsche etwa 20 bis 25 der insgesamt

kürzlich eröffneten Lernzentrum auf dem Campus Mitte.

rund 200 Rollen, so Beate Kampel, die als Simulationspatien­

Der ungefähre Rahmen der Übung wurde im Vorfeld bespro­

ten-Trainerin und Koordinatorin an der Ausbildung der Schau­

chen, das Verhalten der Akteure ist jedoch intuitiv, sodass jede

spieler beteiligt ist. Für jede Rolle gebe es eine bis zu sieben

Szene eine authentische Dynamik und einen individuellen

Seiten lange Anleitung, die von Ärzten verfasst wurde. Diese

Ausgang erhält. Nach Abschluss der Übung wird das Handeln

enthält Angaben über die Symptome der Krankheit, die Medi­

der Studentin mit Gruppe und Patient besprochen.

kation, aber auch über die Lebensgewohnheiten, den sozialen

Besonders ergiebig sind diese Gespräche im Anschluss an die

Hintergrund der Rolle und persönliche Merkmale – so soll eine

Übung, wenn auch die Simulationspatienten anwesend sind,

möglichst reale Situation entstehen. „Während eines mehr­

weiß Thomas Stamm, Leiter des Kurses. Eindrücke könnten so

stündigen Trainings werden die Figuren von Ausbildern und

von den professionellen Patienten direkt an die Studierenden

Schauspielern gemeinsam erarbeitet“, so Kampel.

weitergeben werden. Im Speziellen stehe hier das Verhalten

In jedem Semester finden Auffrischungskurse statt, um das

der angehenden Mediziner gegenüber Patienten und Kollegen

Wissen über die Rollen zu erneuern und um neue Schauspieler

im Blickpunkt, so der Dozent für Psychosomatik, Psychiatrie

auszubilden.

und Neurologie weiter. Die Studierenden lernen auf diese Wei­

Die aufgeregte Frau im Untersuchungszimmer steht zwar wäh­

se, „welche Form ärztlicher Kommunikation gut funktioniert

rend des Gesprächs immer wieder auf und wirkt unbeteiligt.

und welche eher nicht.“

Letztlich kann die Ärztin jedoch die Patientin, bei der sie eine

Henrike Hölzer ist Leiterin des seit 1999 an der Charité beste­

manische Depression vermutet, überzeugen, für eine Nacht in

henden Simulationspatientenprogramms, welches zunächst

der Klinik zu bleiben. Eine Ausnahme, wie sich bei der Nach­

zum Trainingszentrum für ärztliche Fähigkeiten gehörte und

besprechung herausstellt: Die Schauspielerin hat in dieser Rol­

nun dem neuen Lernzentrum angegliedert ist. Sie erläutert,

le schon häufig den Raum verlassen, wenn das Gespräch nicht

das Ziel des Programms sei es, „die ärztliche Ausbildung mög­

ideal verlaufen ist.

lichst praxisnah zu gestalten.“ In einer Universitätsklinik sei

es aufgrund der Kürze des Aufenthalts der Patienten oder der

17

Studieren

Christian Meckelburg


UnAufgefordert

Die fetten Jahre fangen an Gründerzeit auf dem Campus: Viele Studierende nutzen die Uni als Sprungbrett in die Selbständigkeit.

Laura Kim Pack klingt gespannt, wenn sie darüber spricht, wie

vor mir“, erzählt Bromberger.

Büchern und Stiften werden demnächst ab und zu auch Span­

um nicht gewachsen zu sein, wechselte der damalige Student

Aus Angst, den Prüfungen nach der langen Auszeit vom Studi­

ihr Schreibtisch in diesem Semester aussehen wird. Neben PC,

des Technologiemanagements in den Bachelorstudiengang In­

platten, Nägel, Blumenerde und andere Materialien ihren Ar­

formatik, für den seine bereits erlangten Scheine angerechnet

beitsplatz schmücken.

werden konnten, sodass nur noch die Bachelorarbeit zu absol­

Die 20-Jährige studiert Biologie an der Freien Universität Ber­

vieren war.

lin (FU) und belegt zurzeit den Kurs "Gründung einer Studen­

Auch an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) gibt es eine

tenfirma" im Rahmen der Allgemeinen Berufsvorbereitung an

Instanz, die studentische Unternehmen fördert:

der FU. Innerhalb des Semesters finden sich in diesem

Die

Kurs Studierende in Gruppen zusammen und lernen, wie man ein Unternehmen grün­

Humboldt-Universitäts-Gesellschaft

(HUG). Diese ist ein Verein, der Pro­ jekte unterstützt, die einen Bezug

det. Die Studierenden sollen ein eige­

zur HU aufweisen. Dazu ge­

nes Konzept entwickeln, in dem

hört unter anderem auch die

sie alle Aspekte einer Unterneh­

Förderung solcher Studie­

mensgründung berücksichti­

render, die ein Unterneh­

gen. Unter anderem geht es

men gegründet haben

um Innovationsforschung,

oder dies vorhaben.

Marketing, Recht und Ver­

In

trieb, alles mit kleinem

den

Aufgabenbe­

reich fallen vor allem

Budget.

Anschubfinanzierun­

Das Konzept der Gruppe

gen.

von Pack dreht sich um

„Das

können

ganz kleine Beträge

einen kleinen Kräutergar­

zum Beispiel im Drei­

ten für die Küche. Dazu

hundert-Euro-Bereich

gehört ein Rahmengestell

sein. Oft sind Kleinbe­

zur Wandbefestigung, etwas

träge entscheidend dafür,

Erde, ein Kochrezept und Kräu­

ob ein Projekt realisiert wer­

tersamen – für frische Kräuter

den kann“, berichtet Ruprecht

passend zum Rezept. Der Prototyp

Röver, Geschäftsführer der HUG.

und folgende Exemplare werden von

„Große wissenschaftliche Vorhaben

der Gruppe selbst hergestellt.

werden auch höher dotiert“, erklärt er

Wer möchte, kann sein Unternehmen am

weiter. Außerdem seien insbesondere öffentlich­

Ende des Semesters auch offiziell gründen und

eventuell sogar mit Unterstützung von profund, der Grün­

keitswirksame Projekte interessant.

Jan Bromberger hat viel Erfahrung im Gründen von Unterneh­

tisch gegründetes Unternehmen fortführen will: „Das hängt

Laura Kim Pack weiß noch nicht, ob sie ihr im Kurs hypothe­

dungsförderung an der FU, rechnen.

davon ab, wie es mit unserem Konzept bis zum Semesterende

men: „Während meines Studiums habe ich parallel zwei Un­

so läuft, und davon, wie das Produkt ankommt.“ Aus ihrem

ternehmen gegründet“, erzählt der Informatikstudent der Lud­

Kurs hätten schon einige Interesse am Produkt angemeldet,

wig-Maximilians-Universität München. Da wäre "Sauspiel", ein Onlinespiel im Stil des Kartenspiels Schafkopf und gleich­

ergänzt sie lachend.

Manche Studierende kämen aber auch mit konkreten Konzep­

zeitig Kommunikationsplattform für die Mitglieder. Gleich­

ten in den Kurs und würden sich dort gezielt das Know-How

zeitig startete er eine Onlineplattform speziell für Menschen

für die Gründung der geplanten Firma holen. Was die Idee mit

zwischen 40 und 60 Jahren.

dem Kräutergarten anbelangt, werde gerade noch am Proto­

Die zeitliche Belastung bei alldem sei groß gewesen, berichtet

typ gefeilt, außerdem würden Bewässerungstechniken für die

der 30-Jährige. „In dieser Zeit habe ich in meinem Studium kei­

Kräuter getestet, informiert Pack. „Dabei können wir auch

ne Scheine mehr gemacht; für knapp zwei Jahre.“ Später folg­

unsere Kenntnisse aus dem Biologiestudium endlich praktisch

ten dennoch zwei weitere von ihm initiierte Internetseiten.

verwerten“.

„Inzwischen war die Regelstudienzeit natürlich längst vorbei

und ich hatte noch die Diplomprüfungen und die Diplomarbeit

18

Studieren

Susanne Schwarz


Studierendenzeitung der HU Berlin

Ein offenes Ohr Die psychologischen Beratungsstellen der Universitäten verzeichnen einen

Illu: Ina Soth

Zuwachs an Anfragen und berichten von den Konsequenzen der Bologna-Reform.

Unzufriedenheit, Leistungsdruck, Prüfungs- und Redeangst

schen Beratungsstelle der HU hingegen, der für die meisten

forderungen zutage treten, können den erfolgreichen Verlauf

auf Bachelor- und Masterstudiengänge auch positive Aspekte

oder auch traumatische Erlebnisse, die unter gesteigerten An­

Ratsuchenden die erste Anlaufstelle ist, kann der Umstellung

eines Studiums beeinträchtigen.

abgewinnen: Der neue Leistungsdruck, den es bei den Dip­

Im Jahr 2010 suchten 300 Studierende die psychologische Bera­

lomstudiengängen in dieser Form nicht gab, zwinge die Stu­

tungsstelle der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) auf. Die

dierenden, sich frühzeitig mit der von ihnen gewählten Fach­

Psychologisch-Psychotherapeutische Beratung des Berliner

richtung auseinanderzusetzen. So könnten sie rechtzeitig ihre

Studentenwerkes hingegen verzeichnete in dieser Periode so­

Entscheidung überdenken und hätten die Möglichkeit, einen

gar 1500 Erstgespräche. Die Probleme waren zu gleichen Teilen

Wechsel anzustreben, ohne viel Zeit zu verlieren.

universitärer und privater Natur.

„Die Studienreform ist eine Unterstützung für alle, die etwas

Der frisch immatrikulierte Studierende hat zum Beginn seiner

mehr Struktur brauchen“, meint er. In seinen Augen sind vie­

Universitätslaufbahn zwei Zahlen vor Augen: drei Jahre zum

le Studierende ohne von außen gesetzte Grenzen hilfloser und

Bachelor, fünf bis zum Master. Die Umstellung auf dieses neue

weniger leistungsstark.

Hochschulsystem entspreche dem Zeitgeist, meint Diplom-

Selbst wenn Walther ihn nicht auf die Hochschulumstellung

Psychologin Eva-Maria Orgel, die als Psychologische Psycho­

bezieht, fällt auch ihm ein Anstieg der Anfragen in den letz­

therapeutin beim Studentenwerk angestellt ist. Nicht nur der

ten Jahren auf. Wer einen Termin mit ihm vereinbart, wartet

Alltag auch das Studium werde beschleunigt.

aktuell durchschnittlich zweieinhalb Wochen.

Im letzten Jahr stieg die Zahl der psychologischen Erstgesprä­

Sowohl Orgel als auch Walther heben das engmaschige Netz­

che des Studentenwerkes um 17 Prozent an. Orgel führt das vor

werk in Berlin positiv hervor. Dieses könne zeitliche und perso­

allem auf die Studierenden zurück, die nach einem verzögert

nelle Engpässe in den meisten Fällen ausgleichen. Walther er­

absolvierten Bachelorstudiengang vor der Qualifikation zum

klärt: „Wir sind mit den psychologischen Beratungsstellen der

Master stehen und sich sorgen, nicht angenommen zu werden.

Hochschulen, inzwischen auch mit den Fachhochschulen, eng

Bei Studierenden sei inzwischen eine gewisse Getriebenheit zu

verbunden. Wir treffen uns regelmäßig mit den Beratungsstel­

spüren, erklärt sie: „Es geht bei unserer psychologischen Hilfe

len, so können wir fachlich gut auf das reagieren, was an An­

nicht nur um Therapien, sondern auch darum, Entspannungs­

fragen kommt.“

angebote zu schaffen. Wir können da zum Beispiel oft auf den

Auch seine Kollegin Orgel stimmt dem zu: „50 Prozent der Rat­

Uni-Sport verweisen.“

suchenden überweisen wir, weil wir geeignete Hilfe außerhalb

Bei Fällen von Depression oder Angst, ob nun durch die Anfor­

des Studentenwerkes finden.“

derungen des Bachelorstudiums entstanden oder nicht, hilft

Beide sind sich einig, dass keiner der Studierenden abgewiesen

Yoga allein allerdings nicht. Wer schwerwiegendere Probleme

werden müsse, jedes Ansinnen werde ernst genommen. „Und

hat, kann nach einem Erstgespräch eines der vielen Gruppen­

wenn Sie deutlich machen, dass es ein bisschen dringend ist,

angebote, eine vom Studentenwerk angebotene Kurztherapie

dann klappt das garantiert. Sie sind dann ein Notfall“, scherzt

oder die Dienste eines externen Psychotherapeuten in An­

Walther. Kurz darauf fügt er etwas ernster hinzu: „Ich meine,

spruch nehmen.

das ist man ja oft wirklich.“

Holger Walther, Diplompsychologe und Leiter der psychologi­

19

Studieren

Ingeborg Morawetz


UnAufgefordert

Prima Primus

Datengrenze erreicht

Neues

FernUniversität Hagen muss kopierte

Primus, das neue Suchportal der

Universitätsbibliothek

der HU, erweitert den Be­

stand an in der Suche erfass­

ten Dokumenten. Dies geht

aus einer Pressemitteilung der

Bücher aus ihrem Intranet entfernen.

HU vom 16. April 2012 hervor. Das

neue Portal soll das Finden von Büchern, Zeitschriften und Aufsätzen vereinfachen, indem diese nun mit einer einzigen An­ frage durchsucht werden können. In den Illu: Vera Weidenbach

neuen Katalog wurden beispielsweise in­

ternational relevante Fachaufsätze und

E-Book-Titel eingespeist, sodass nun meh­

rere hundert Millionen Datensätze durch­ suchbar sind.

asu

Laufkundschaft

Ausländische Studierende bleiben nach

Das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) hat am 4. April 2012 in

ihrem Abschluss selten in Deutschland.

zweiter Instanz dem Alfred Kröner Verlag in einer Klage gegen

Das geht aus einer Studie des Sachverstän­

die FernUniversität Hagen Recht gegeben.

digenrats deutscher Stiftungen für Inte­

Der Verlag hatte gegen die Universität geklagt, da diese ihren

gration und Migration vom 20. April 2012

Studierenden im universitätsinternen Netz 91 von 476 Seiten

hervor. Zwar könnten sich zwei Drittel der

eines Psychologiebuches des Kröner Verlags zur Verfügung ge­

Befragten vorstellen, nach Beendigung des

stellt hatte.

Studiums in Deutschland zu bleiben; tat­

Somit wurde in einem weiteren Streit um die Veröffentlichung

sächlich bleibt jedoch nur ein Viertel der

urheberrechtsgeschützter Daten zugunsten des Rechteinha­

Absolventen. Hochschulabsolventen aus

bers entschieden. Die Richter urteilten, die im Intranet zur

Nicht-EU-Ländern haben in Deutschland

Verfügung gestellten Seiten würden die üblichen zehn Pro­

derzeit ein Jahr Zeit, eine feste Arbeits­

zent eines Werkes überschreiten, die nach Paragraph 52a des

stelle in ihrem Fachbereich zu finden. Die

Urheberrechtgesetzes im Internet zugänglich gemacht werden

Bundesregierung will die Frist auf andert­

dürfen.

halb Jahre verlängern.

Mehr als drei Seiten dürfen die Studierenden nun nicht mehr

asu

herunterladen und ausdrucken. Insgesamt 48 Seiten verblei­ ben weiterhin auf der Internetplattform, allerdings ohne die Möglichkeit, sie abzuspeichern oder zu vervielfältigen.

Ex und weg

graph 52a, der auch Intranet-Klausel genannt wird. Der Um­

Diplom-, 153 Magister- und 30 Lehramts­

unnötig, das Buch noch selbst zu kaufen und schränke damit

auslaufenden Studiengänge nicht mehr­

chem Maße ein. Deshalb, so heißt es in der Urteilsbegründung

die Universität Potsdam in einer Presse­

geschuldet. Das betreffende Buch, “Meilensteine der Psycho­

hinter den im Studienplan vorgesehenen

tigen Personen ab. Die Möglichkeit in Berufung zu gehen ließ

spruch nicht mehr gewährleistet werden

Weiterhin bleibt ungewiss, ob die Intranet-Klausel zum Ende

alten Studiengänge konnte noch zu einem

bereits einmal verlängert. Bislang sichert sie Schulen, Uni­

vember 2011 insgesamt 465 in einem Dip­

und Studierenden publizierte Texte als PDF-Dateien in einem

102 ihre Abschlussprüfungen inzwischen

Initiative der Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisati­

nen nach einem Beratungsgespräch ihr

eine Behinderung der netzgestützten Forschung und Lehre be­

vom Senat der Universität Potsdam das

Vera Weidenbach

studiengängen beschlossen worden. asu

Grundsätzlich verstoße die Universität zwar nicht gegen Para­

An der Universität Potsdam werden 62

fang der ins Netz gestellten Seiten mache es für Studierende

studierende exmatrikuliert, da sie ihre

die wirtschaftlichen Interessen des Rechteinhabers in erhebli­

rechtzeitig abschließen können. Dies gab

des OLGs, sei die Entscheidung der speziellen Form des Werkes

mitteilung bekannt. Sie lägen so weit

logie”, handelt die Psychologiegeschichte an einzelnen, wich­

Abläufen zurück, dass der Prüfungsan­

das Gericht der FernUniversität Hagen offen.

könne. Ein Großteil der Studierenden der

des Jahres ausläuft. Sie wurde 2003 befristet beschlossen und

Abschluss gelangen: Von den noch im No­

versitäten und Wissenschaftlern die Möglichkeit, Schülern

lomstudiengang Immatrikulierten hätten

Intranet kostenlos zur Verfügung zu stellen. Mitglieder einer

bestanden, weitere 301 Studierende kön­

onen merken in einem Papier an, dass sie bei einem Wegfall

Studium fortsetzen. Im Sommer 2007 war

fürchten.

Auslaufen von 50 Magister- und Diplom­

20

Studieren


Studierendenzeitung der HU Berlin

Leben Studieren Portrait

Foto: Lena Kainz

jut

Der Fußballtrainer

h

Foto: Vera Weidenbach

rüschtisc

Kino International

Carsten Kendziorra, 28

In Berlin gibt es viele Orte, die an die wechsel­

Wer am Wochenende guten Jugendfußball sehen will, ist im

volle Geschichte der Stadt erinnern sollen. Aber

Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark im Prenzlauer Berg goldrich­

tig. Dort engagiert sich Carsten Kendziorra ehrenamtlich beim

nur wenige schaffen es, dies ohne Gedenktafel

Er selbst spielt seit seiner Jugend Fußball und hat mit 17 Jahren

das Kino International unweit vom Alex.

und mit einer Selbstverständlichkeit zu tun wie

SV Empor Berlin e.V. als Trainer der D-Jugendmannschaft.

seine erste Trainerausbildung abgeschlossen; seit 2005 ist er

Allein das elegante Foyer des schrägen Bau­

Neben der Schule und später neben dem Physikstudium an der

lädt zum Hineinspazieren ein. Doch erst, wenn

tig, sich Zeit für das Kicken und das Trainieren zu nehmen.

ten Stock hinaufsteigt, wird einem die Wir­

werks versprüht jede Menge Ostcharme und

beim SV Empor Berlin.

man zum einzigen großen Kinosaal in den ers­

Humboldt-Universität zu Berlin war es Carsten immer wich­

Als 2010 allerdings die universitären Verpflichtungen über­

kung des Gebäudes gänzlich bewusst. Hier liegt

„Dreimal die Woche Training und am Wochenende ein Spiel

Luft. Durch die riesige Fensterfront kann man

Nach Abgabe seiner Diplomarbeit und Ausstieg aus einer Ar­

neneinrichtung trifft den richtigen Ton: Es gibt

erneut Trainer einer Jugendmannschaft werden: „Kinder sind

ringsum stehen die typischen zeitlosen Tische

Seine elfjährigen Spieler kicken in der Landesklasse Berlin,

kann man zwar kein Popcorn bestellen, dafür

langfristiger Leistungsaufbau das Ziel sei, nicht ein hoher

1963 wurde das Kino International von der Par­

ter Eltern, die am Spielfeldrand selbst zum Trainer avancie­

lich eröffnet und war mit einigen Extras für

sei die Freude am Spiel.

besten Aussicht – Reihe acht –, wurde den ho­

der einstige repräsentative Glanz noch in der

hand nahmen, entschied er sich vorerst gegen den Fußball.

über die Karl-Marx-Allee blicken. Auch die In­

waren einfach nicht mehr drin“, sagt Carsten.

eine Bar, die hell erleuchtet frei im Raum steht,

beitsgruppe des Instituts hatte er wieder die Zeit und wollte

und Stühle in dunklem Kinosesselrot. Hier

mit unheimlich viel Spaß bei der Sache“, meint er.

aber Vita-Cola.

der höchsten ihres Altersbereichs. Carsten betont jedoch, dass

teiführung der DDR als Premierenkino feier­

Platz in der Tabelle. Ihn stört das Verhalten überambitionier­

die Funktionäre versehen: In der Reihe mit der

ren. Carsten bittet sie dann, ihm zu vertrauen, denn das Maß

hen Tieren besonders viel Beinfreiheit gewährt.

Lena Kainz

Falls die Kubakrise während einer Vorstellung

Vorhang auf

doch noch einen anderen Verlauf genommen

Für die hipsterpanik

hätte, befindet sich im Keller ein Bunker.

Auch heute ist das International ein Premieren­

Kaum aus dem Erasmussemester zurück, wollte mein Berliner

kino und viele Filme werden in der Originalspra­

Herz wissen, ob denn meine Stadt nun auch schon voll von

che gezeigt. In Nebenräumen wie der Honecker-

Hipstern ist. Man hört so viel über diese angebliche Invasion.

Lounge, in dem sich vormals die Kämpfer des

Sie werden ja sogar auf Webseiten gemobbt und in Städten

realen Sozialismus die Hände schüttelten, fin­

wie Paris und New York mit Fallen gejagt. Schon beim Betre­

den heute Partys des Klub International statt.

ten der U-Bahn umzingelten mich sieben Gestalten mit Horn­

Das Kino International zeigt: Für „mehr als

nahm die Kopfhörer ab, da hörte ich englische Wörter. Puh,

Blockbuster im Multiplexkino hinblättern. Bei

aber wer weiß für wie lange...

mitmachen – wer braucht da noch Popcorn?

brillen, Club Mate und historischen Kameras in der Hand. Ich

nur Kino“ muss niemand 13 Euro für einen 3D-

es waren doch nur Touristen! Noch ein Mal davongekommen,

dieser Zeitreise kann man schon ab 5,50 Euro

Gözde Böcü

Vera Weidenbach

21

Leben


UnAufgefordert

Aus der Krise in die Krise Zwei Spanier suchen ihr Glück in der deutschen Hauptstadt. Für eine Auswanderung scheint es nie nur einen Grund zu geben.

Illu:

oth Ina S

„Das Thema ist immer die Finanzkrise“, sagt Josep Grau, auf

Möglichkeit: „Ich versuche, mich selbst zu finden und heraus­

Wedding sitzend. Der 26-Jährige ist im Oktober nach Berlin

Er erklärt weiter: „Wir sind nicht nur geboren worden, um zu

einem Plastikstuhl in der Küche eines Wohnheims in Berlin-

zufinden, was ich mein restliches Leben über machen will.“

ausgewandert. Eigentlich kommt er aus dem ostspanischen

arbeiten und um den Befehlen unserer korrupten Regierun­

Valencia. Für ihn war es nicht nur die Finanzkrise, die ihn

gen zu folgen.“ Zuerst will er besser Deutsch lernen, und dann

nach Berlin brachte. In die deutsche Hauptstadt habe er sich

vielleicht etwas in Richtung Film machen, vielleicht eine

nach einem fünftägigen Urlaub verliebt.

Hochschule dafür besuchen.

Um sich auf die Auswanderung vorzubereiten, hat er schon ein

Im selben Stockwerk des Wohnheims wohnen noch drei wei­

Jahr lang an seiner Heimatuniversität Deutsch studiert. Nach

tere Spanier. Einer von ihnen ist Antonio Román Salar. Der

einer Zwischenstation in Warschau ist er nun in Berlin gelan­

25-Jährige trägt einen Kinnbart und einen roten Pullover, als

det.

er von seinem Werdegang erzählt. Sein Studium der interna­

Mit seinem in Valencia abgeschlossenen Geschichtsstudium

tionalen Wirtschaft im südostspanischen Murcia und in Dort­

hätte er in Spanien Lehrer werden können, doch er hat dort

mund hat er abgeschlossen.

nie unterrichtet. Grund sind die Schwierigkeiten einen Job

Auch für ihn war die finanzielle Lage in Spanien ein Grund

zu finden: „In Valencia liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei 48

dafür, auszuwandern. Derzeit besucht er einen Deutschkurs,

Prozent.“ Auch die Regierung schaffe keine Arbeit, löse statt­

denn ohne einen Sprachnachweis mit ausreichend hohem Ni­

dessen den Wohlfahrtsstaat auf. Man merkt ihm die Enttäu­

veau sei es schwer, beruflich Fuß zu fassen, berichtet Antonio.

schung an: „Die Regierung streicht Freiheiten und Rechte, die

Seine größte Motivation sei allerdings, dass er sich für frem­

vor mehr als 100 Jahren erkämpft wurden, und die Menschen

de Kulturen interessiert. Seit Oktober ist er hier - und möchte

denken, es ist notwendig, um aus der Krise zu kommen.“

bleiben.

So verließ er das Land, aber in Berlin sehe die Situation für ihn

Auch Studierende zieht es nach Berlin: Insgesamt ist die Zahl

derzeit kaum besser aus. Nach vier erfolglosen Bewerbungsge­

der Studierenden mit ausländischer Staatsangehörigkeit an

sprächen arbeitet er im Olympiastadion - reinigt, serviert und

der Humboldt-Universität zu Berlin von 5619 im Jahr 2008

hilft bei der Logistik. Sein Stundenlohn beträgt gerade einmal

auf 6023 im Wintersemester 2011/2012 angestiegen. Über die

fünf Euro. Sein Ziel ist es, Spanischlehrer zu werden, doch Anzeige

seine

Hälfte von ihnen absolviert ein grundständiges Studium, also

Chancen

nicht nur ein Erasmussemester.

schätzt er nicht so

Oftmals scheinen sie sich hier bessere berufliche Chancen

gut ein: „Das Pro­

auszurechnen als in ihrer Heimat, vor allem aber wirken sie

blem ist, dass vie­

neugierig. Die Finanzkrise ist nur ein Grund unter vielen, oft

le Spanier hierher kommen.“ Trotzdem

stehen persönliche Erwägungen im Vordergrund. So resümiert

Antonio: „Ich denke, es ist wichtig für die eigenen Träume zu

sieht

kämpfen, und Berlin gibt mir dazu die Möglichkeit.“

Peter Kraus, Vera Weidenbach

er Berlin als eine

22

Leben


Studierendenzeitung der HU Berlin

wer ist du?

die droge Madonna

Zwei Palästinenser mit israelischem

Immer noch da, immer noch ein Star.

Pass suchen nach sich und nach dir.

Madonnas neues Album überzeugt.

Zwei Männer, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten:Ein

Geliebt, gehasst, gefeiert, verrissen ­ selbst nach 30 Jahren auf

Er erreicht alles,

ihrem zwölften Album polarisiert und provoziert die mittler­

namenloser Rechtsanwalt, erfolgreich und gut verdienend. hat

gesunde Kin­ einen extra­

Foto: Promo

Dem gegen­

on e Pers " Z we it a ye d S r " vo n S in g u la e r la g , V B e r li n , a u h Kas 0 E u ro n, 22,0 e it e S 350

eine schöne Frau, zwei

weile 53­jährige Madonna. Es scheint, als sei die Sängerin dem

der, ein Haus und

Jugendwahn verfallen, wirbt sie doch in altbekannter Weise

mit freizügigen Fotos für ihr neues Album. Der Titel "MDNA",

vaganten Lebensstil. über steht Amir, ein junger

eine Anspielung auf MDMA, die Abkürzung für den Inhalts­

Sozialarbei­

stoff der Partydroge Ecstasy, erregte die Gemüter von Kritikern

ter, der in seinem

und Jugendschützern.

unterbezahlten Job ein

Auch musikalisch knüpft Madonna an die vor­ herigen Jahre an: Seit dem Album "Music"

tristes, einsames Leben

führt.

aus dem Jahr 2000 finden elektronische

Die Geschichten der zwei Pro­

Verzerrungen und härtere Beats den

tagonisten beginnen zunächst völlig

unabhängig

Weg in ihre Songs. Die Entwicklung

vonein­

gipfelt in den neuen Stücken. Insge­

ander. In der dritten Person

samt 17 Titel sind auf der Deluxe Edi­ tion von "MDNA"

Singular wird das Streben des Rechtsanwalts symbolen

und

nach

seine

Status­

zu

Suche

bei

finden,

Balladen

wo-

wie

"Masterpiece" oder

nach einer Identität in Klassi­

"Falling Free" we­

kern der Literatur geschildert. Hintergründiger bleibt die Ehe

niger durch elekt­

des Anwalts. Er mutmaßt eine

ronische Beats als

Affäre seiner Frau, verfällt in

durch ihren Text

blinde Eifersucht und flüchtet sich in die strengen arabischen

auffallen.

Familientraditionen, die er einst so verachtet hat.

mern

Amir erzählt parallel hierzu in der ersten Person Singular

Gone

wie

Num-

"Girls

Wild"

"Beautiful

von seiner Arbeit bei dem im Koma liegenden Jonathan, und

und

Killer"

schließlich von der Übernahme dessen Identität, um an der

sind tanzbar und

Gemeinsam ist beiden, dass sie als palästinensische Minder­

von harten Bässen

Kunsthochschule studieren zu können.

durch den Einsatz

heit in Jerusalem leben – und der Wunsch, Teil Israels zu sein.

auch clubtauglich.

Autor Sayed Kashua ist selbst Palästinenser mit israelischem

Poppig, jung und

Pass. Aufgewachsen in einem arabischen Dorf war er einer der

doch ehrlich sind

wenigen arabischen Studierenden, die das Internat der Israeli­

diese neuen Songs.

schen Akademie für Kunst und Wissenschaft in Jerusalem be­

Wie die Sängerin

suchten. So lernte er den Konflikt kennen, den er auch in sei-

von ihrem Leben als Ex­Frau, Star und Mutter singt, zeugt von

nem Roman anspricht ­ sich keinem Volk zugehörig zu fühlen

Reife. Und doch spricht sie in ihren Liedern stets nur von „boys

und den Eindruck, sich vor dem jüdischen Teil der Bevölkerung

and girls“. Zwar sind die Texte nicht sonderlich tiefsinnig,

beweisen zu müssen.

jedoch selbstironisch und unverblümt – eben ganz Madonna.

Kashua schafft es, beide Erzählstränge kunstvoll miteinander

Für die Produktion holte sie sich junge Künstler wie M.I.A. ins

zu verbinden, was das Geschehen unvorhersehbar und span­

Boot und zeigt im direkten Vergleich, dass sie noch lange nicht

nend macht. Gleichzeitig liegt eine gewisse Schwere in der Er­

zum alten Eisen gehört.

zählung. Nicht nur die Sehnsucht beider Männer nach einer

Und ob einen das Album nun jubeln oder genervt mit den Au­

anderen Identität berührt, auch die Einsamkeit, die zwischen

gen rollen lässt – für eingefleischte Pop – und Madonna-Fans

den Zeilen schwelt. Viele der Protagonisten sind von ihr befal­

ist es ein Muss. Es ist genau so, wie es Co-Sängerin Nicki Minaj

len, denn allen ist eines gemeinsam: das Fehlen einer zweiten Person Singular als Ansprechpartner.

", "M D N A rs c o p e te In , a Madonn , R e c o rd s ro u E 9 16 ,9 Foto: Promo

scheint,

dem Pop­Olymp hat sich das nicht geändert. Denn auch mit

was im Leben wichtig

in "I Don't Give A" in aller Deutlichkeit formuliert: „There is only one queen and that's Madonna.“

Susanne Hartl

23

Leben

Miriam Nomanni


UnAufgefordert

Leben woanders: Portugal Zwischen Universität und Generalstreik erlebt eine HU-Studentin in Lissabon die Auswirkungen der wechselreichen Geschichte des Landes.

Lissabon, 25. April 2012. Wassertropfen perlen die gekachelten

Notícias.

Vor genau einem Jahr schien an diesem Ort die Sonne. Damals

Girlanden aus frisch gewaschener Wä­

Fassaden der Häuser des Lissaboner Stadtteils Alfama hinab.

Vorbei an bunt gestrichenen Häusern und

versammelten sich Anhänger des linken Parteienbündnisses

sche bahnt sich Lorenz Reichard,

"Bloco de Esquerda", um dem Jahrestag des Endes der Salazar­

Soziologiestudent aus Freiburg,

Diktatur 1974 zu feiern. Dies war zugleich eine Demonstrati­

? WI E KO MM E ICH HIN Ber lin n Mi t dem Flu gze ug von Ach tun g Frü Lis sab on ab 100 Euro. pre is!

mit mir auf seinem Roller den

on. Die Versammelten wollten ihre Regierung dazu auffor-

Weg zur Metrostation Anjos.

dern, die prekäre wirtschaftliche Lage des Landes nicht auf

Ich habe ihn gefragt, wo

den Schultern der Bevölkerung abzuladen.

sich die engagierten Stu­

„Unsere Krise! Ihr Profit“, prangte in schwarz-roter Schrift auf

dierenden

weißem Banner. Die Demonstration im letzten Jahr war fried­

rumtreiben.

TE R WI E KO MM E ICH UN n Ho ste ls. I che lrei zah der em ein Am bes ten in n zu teil en, bek om mt ma Zim me r mit me hre ren Zu me hre ren loh nt o. Eur n zeh ich ittl durchs chn 25 Eur sta ttu ng für um die je nac h Lag e und Aus

Wo er mich hinführt,

lich ­ wie zu Zeiten der Revolution, die zum Ende der Dikta­

würde ich eine Ant­

tur führte. Sie wird Nelkenrevolution genannt, weil bei den

wort auf meine Frage

Kämpfen kaum ein Mensch ums Leben kam und die feiernde

finden, erzählt er mir

Menge am Ende den Soldaten die symbolträchtigen roten Nel­

freudig. Am Straßen­

ken in die Gewehrläufe steckte.

rand schlängeln wir

Noch am Vortag meines Besuchs bei der Stätte der großen De­

uns vorbei am Tross

monstration von 2011 sitze ich in der Bibliothek der Fakultät

der nur langsam vor­

der "Ciências Sociais e Humanas" des sozialwissenschaftlichen

AC HT WA S MU SS ICH BE ne u Son die er imm ht ein t nic Auc h in Por tug al sch che ndi ebe in Tas e viel sich ln me son tum

ankommenden Autos.

Instituts der Universidade Nova de Lisboa und klicke mich

Mit 50 Stundenkilome­

durch das Internet. Ich bin auf der Suche nach Artikeln zu den

tern, die sich auf dem

Vorkommnissen am folgenreichen 25. April 1974.

Roller anfühlen wie 200,

Seit nunmehr drei Monaten besuche ich die Universität in Lis­

R AN SCH WA S MU SS ICH MI wü rdig kei ten ens Seh en ich übl Ne ben den Wa sse r gel ege nen alle m die ebe nfa lls am cai s un telb are r Nä he wie Cas

kommen mir die waghalsigen

sabon. Seither kämpfe ich mich durch die Wirren einer neuen

Überholmanöver wie Nahtoder­

Hochschule in ungewohnter Umgebung.

fahrungen vor. Schließlich fahren

Irgendwo zwischen geschichtlichen und politischen Entde­

wir durch niedrige Bögen ans Ende der

ckungen, dem Erasmusbüro im siebten Stock und der unge­

Straße mit dem Namen "Rua Regueirão dos

wöhnlichen Beilagenkombination aus Reis und Pommes Frites

Anjos". Unser Ziel ist die Hausnummer 69, denn hier trifft

in der Kantine legt sich meine anfängliche Orientierungslo­

sich eine bunt gemischte Gruppe junger Lissabonner regelmä­

sigkeit langsam aber sicher.

ßig zum Kochen oder zu Filmabenden, zu Diskussionen oder

Und auf einmal scheint alles gar nicht mehr so anders zu sein

Lesungen: Heute ist Kochabend.

als in Deutschland: Master reiht sich an Bachelor, das Studi­

Auf einem kleinen Podest links neben der großen offenen Kü-

um kostet viel Geld und auch hier verschlafen Studierende ihr

che bieten zwei Sofas der hungrigen Menge mit ihren Tellern

Seminar. Doch eines fällt auf: Es sind die Monologe der Dozen­

Platz. Portugiesische Musik dröhnt aus den Boxen auf einem

ten, die den portugiesischen Hochschulbetrieb prägen, nicht

der kleinen Beistelltische.

die regen, mitunter kritischen Diskussionen, wie ich sie aus

Ich reihe mich in die Essensschlange ein und werde sogleich

Berlin gewohnt bin. Die politische Kultur schafft es nicht in

einem der Köpfe der RDA 69 vorgestellt: João Silva ist ein hage­

den Hörsaal.

rer Mann Ende Zwanzig mit Brille und locker sitzender Hose.

Mein Eindruck, ich hätte es in Portugal mit einer eher unpoli­

Die Gruppe hat ihren Namen ganz einfach nach der Adresse

tischen Studierendenschaft zu tun, hat sich erst am 22. März

des Treffpunkts gewählt.

nachhaltig geändert. Während des "Greve Geral", dem dritten

Im richtigen Leben sei João Verwaltungsangestellter und habe

Generalstreik innerhalb von 16 Monaten, blieb ein Großteil der

mit Politik eher wenig am Hut. Doch begrüße er es, dass die

Studierenden den Kursen fern um für bessere Lebensbedin­

jungen Portugiesen endlich die Demonstration als Weg der

gungen zu demonstrieren. Denn die Sparmaßnahmen, die als

Meinungsäußerung entdecken: „In Sachen aktiver Teilhabe

Reaktion auf die Finanzkrise, die ganz Europa in Atem hält,

fehlt uns die Praxis. Doch die politischen Bewegungen neh­

beschlossen wurden, reißen auch in Portugal nicht ab. Ähn­

men zu.“ Dies stellt João mit einem Enthusiasmus fest, der

lich wie in Spanien verlassen auch hier viele junge Menschen

auf den ersten Blick gar nicht so recht zu dem jungen Mann

ihr Land, da sie keine Perspektive mehr sehen. 150.000 seien

aus Loures im Norden von Lissabon zu passen scheint.

es allein 2011 gewesen, so die portugiesische Zeitung Diário de

Joãos Blick wird wehmütig, wenn er an die Zukunft denkt. Er

24

Leben


Studierendenzeitung der HU Berlin

wünscht sich, dass die Menschen

ihr Schicksal selbst in die Hand

nehmen:

„Wir

brauchen

keinen

Chef, der uns sagt, wo es langgeht. Das

können wir selbst.“

Über Jahrzehnte hinweg wurde das Land poli­

tisch zum Schweigen gebracht. Der Estado Novo

("der neue Staat") wurde zum ersten Mal 1930 vom

Finanzminister und späterem Diktator António Oliv­

eira Salazar ausgerufen. Ihre erste Verfassung trat 1933 in Kraft. Mit der Nelkenrevolution beendeten führen­

de Militärkräfte das Regime, da unter anderem die über eine Dekade geführten Kolonialkriege das Land

wirtschaftlich und militärisch in die Knie gezungen

? nac h ühb uch er-

haben. Tausende Portugiesen verloren in den por­

tugiesischen Kolonialkriegen Anfang der siebziger

Jahre ihr Leben. Im Inland unterdrückte die Regie­

rung Opposition und Andersdenkende. Auf die Nel­

kenrevolution folgten die ersten freien Wahlen seit

R? st ma n bereit, sich das für Bet t und Frü hst ück : t sich ein App art em ent cht . ro pro Per son und Na

über 40 Jahren, die Aufhebung der Zensur und die

Konstitution einer demokratischen Ordnung.

Heute erinnert eine 2278 Meter lange Brücke an den

Befreiungsschlag: Die Ponte 25 de Abril, die in ihrem

Erscheinungsbild stark der Golden Gate Bridge in San

TE N? chs aiund gerade in der Ho . ren den Sta dtz ent

Fransisco ähnelt, führt geradewegs zur berühmten Jesus­

statue auf dem Hügel gegenüber der Altstadt. Ein paar Ki­

lometer weiter stadteinwärts befindet sich die Metrostation

HAUE N? Lis sab ons loh nen vor n Stä dtc hen in unm itnd Sin tra .

Restauradores.

Es ist der 25. April 2012, Tag der Freiheit, und der starke Regen

schreckt die Scharen von Menschen nicht ab, die sich versam­ melt haben, um mit lauter Stimme die konservative Regierung

unter Pedro Passos Coelho für ihre unzureichende Sozialpolitik in Grund und Boden zu brüllen. Laut einer Studie der OECD

vom 5. Dezember 2011 ist die Kluft zwischen arm und reich in Portugal heute so hoch wie seit 30 Jahren nicht mehr.

Doch nicht nur auf der Straße fordern die Portugiesen Ver­ änderung. Aurora Teixeira etwa, Wirtschaftswissenschaft­

lerin an der Universität Porto, kritisiert die Bemühungen

der Regierung als zu teuer und folgenlos, man könne sie kei­

neswegs als vorbeugend oder gar strukturverändernd bezeich­

nen. Die Armut entstehe systembedingt, sodass das Durchbre­ chen ohne strukturelle Veränderungen unmöglich sei.

All dies passiert abseits der Universität und meines Alltags in Lissabon. Kulturell floriert die Stadt. Keiner, der in Lissabon

war und nicht von den Schätzen der Stadt schwärmt, vom

Nachtleben, das am Wasser seinen Anfang nimmt und auf

den Hügeln der Oberstadt ausklingt. Oder den Pasteis, den mal süß, mal herzhaft gefüllten Teigtaschen, die man im

ehemaligen Hafenviertel Lissabons bekommt. Am bekann­

testen ist wohl aber der Fado, der Klagegesang, in dem

sich die Sehnsucht der Portugiesen ausdrückt. Heutzutage

jedoch muss man lange suchen, um authentischen Fado erle­

ben zu können, denn über die Jahre ist er immer mehr zu einer touristischen Attraktion geworden. Doch wagt man sich in die

kleinen Gassen Lissabons findet man unscheinbare Bars, aus

denen die melancholischen Klänge in den Nachtwind hinaus

Illu: In a Soth Fotos: Mareik e

Mohrm

ann

wehen.

25

Leben

Katharina Stökl


UnAufgefordert

worauf wartest du? Studierende warten immer und überall. Was bewegt uns dabei wirklich?

diesmal: Europameisterschaft

Foto: Gözde Böcü

Malte Eggers, 21 Jahre, studiert Jura an der HU.

Alle paar Jahre bricht eine Volkskrankheit wieder aus: das Fuß­

tägliche Outfitwahl dementsprechend leicht fallen.

der bolzend das nächste Spiel der deutschen Nationalmann­

habe ich außerdem unseren kleinen Grill schon startklar ge­

ballfieber. Angesteckt habe ich mich schon als kleiner Junge,

In freudiger Erwartung der bevorstehenden Fußballabende

schaft sehnsüchtig erwartete. Deshalb steckt für mich in je­

macht, damit unsere WG als Treffpunkt für Fußballverrückte

dem großen Turnier auch ein Stück Kindheitserinnerung.

auch kulinarisch etwas zu bieten haben wird.

Ich freue mich auf tollen Fußball und auf das Gemeinschafts­

Momentan kommt es mir so vor, als wollten die Tage bis zum

gefühl, das während großer Turniere auf den Straßen Berlins

Anpfiff der Europameisterschaft in Polen und der Ukraine

zu spüren ist. Über das Abschneiden der deutschen Mannschaft

nicht schnell genug vergehen. Gegen steigendes Fußballfieber und meine Ungeduld hilft bis zum Start des Turniers nur

bei der Europameisterschaft lässt sich mit einem Augenzwin­

wenig: den "Kicker" lesen und mein Deutschlandtrikot schon

kern nur eines sagen: „Wir werden Weltmeister!“

aufgezeichnet von Lena Kainz

jetzt aus dem Schrank holen – ab dem achten Juni wird mir die

26

Leben


unAuf gEfOrdErt hu BErLiN

Wir n E H C U s ! H C i D

Wir, das Team der HU­Studierendenzeitung, suchen redakteure, Fotografen und illustratoren.

Seid ihr kreativ, engagiert und habt Lust auf kritischen Journalismus? Studier

endenz

eitung

der Hum bol

Unauf dt-Univ

ersität

GE FO RD

zu Berl in, Nov emb

er 2010 , N r. 1 9 6

ERT

HU -BE RL

IN

STU

DEN TEN WIE IHR !

M it Eh rg Stu d ie ei z ge ge n Vo re n h in te d e m it M ru rtei le : ig ra ti rg ru n o ft u d w er d en o n s n te rs ch ä tz zu t

ung

der

unAu f Hum

bold

t-Un

ivers

geFo

ität

zu B erl

in, F ebr

rDe

H u Be rt rl iN

MÄNNER

uar

2011

, N r. 198

STUDIEN

MÜSSEN

PLATZ-PO

KER

Da s ne rve na ufr zw isc he n Bew eib en de Spi el erb ern un d Un is

DRAUSSEN

Wi Förderung radikal: Studiengä BLEIBEN nge nu r für Fra ue n stu r Net Z De O n li Nt ne a eN Moo ber ob d e rf lä le e n u u n d N e c h li c h ? tb n re v o s e r S tu o o k d iu lu ti o n ie rt m .

hab

iN uN

ter

H au pt

AZi m

ABit

ACHt

am st re ite

urie

NteN De r ha rte W sc hu le an di e eg vo n de r H oc hs ch ul e P

rAKt t nu n iKum um di e An er ke nn un g

Bei uns könnt ihr lernen, wie man Reportagen schreibt, Interviews führt und tolle Fotos schießt. Bei uns könnt ihr sofort einsteigen und euren Beitrag zu Deutschlands bester Studierendenzeitung leisten. kommt vorbei! zu unserer offenen Redaktionssitzung, ab dem 5. September, immer montags um 18.30 Uhr in der Invalidenstraße 110, Raum 118 Oder schreibt eine Mail an: redaktion@unauf.de


B Karriere Spree!

Dickes an der

Eintritt frei!

14. Juni 2012, Axel-Springer-Passage/Ullstein-Halle

>>> Jetzt gratis anmelden: absolventenkongress.de/berlin In Kooperation mit:

Medienpartner:


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.