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Ausgabe 1/2019, 11. Jg.
zukunft forschung
FEST DER WISSENSCHAFT
thema: wir feiern 350 jahre I chemie: leuchtender zufall I sprachwissenschaft: digitalisierung mittelalterlicher quellen I sicherheit: optimal gerüstet für den ernstfall mathematik: bewegung rechnen I musikwissenschaft: zwischen den notenlinien DAS MAGAZIN FÜR WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG DER UNIVERSITÄT INNSBRUCK
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Foto: Andreas Friedle
EDITORIAL
LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,
D
ie Universität Innsbruck steht heuer ganz im Zeichen ihres 350-jährigen Bestehens. Mit vielfältigen Veranstaltungen haben wir dieses Jubiläum bereits gefeiert, uns aber auch an dunkle Kapitel in der Geschichte unserer Universität erinnert. Mit dem Fest der Wissenschaft von 14. bis 16. Juni 2019 folgt ein weiterer Höhepunkt, bei dem wir die Bevölkerung einladen, in der Innsbrucker Innenstadt in das Abenteuer Forschung einzutauchen und mit uns und unseren Partnern und Freunden das Universitätsjubiläum zu feiern. Entlang der Universitätsstraße warten zahlreiche Attraktionen, die Einblick in die Welt der Forschung geben und zum Mitmachen einladen. Im Schwerpunkt dieser Ausgabe unseres Forschungsmagazins stellen wir Ihnen einige Projekte aus den Forschungsschwerpunkten unserer Universität vor, die im Rahmen des Festes der Wissenschaft präsentiert werden: Vom lasergekühlten Quantengas über die kulturelle Vernetzung der globalen Gesellschaft bis zum Forschen mit Hilfe von Computersimulationen und Modellen.
Fortsetzung. Im Oktober begehen wir den historischen Gründungstag mit einer Festwoche, deren Höhepunkte ein außergewöhnlicher Festakt im Tiroler Landestheater und ein großer Minion Uniball sein werden. Im November laden wir die Bevölkerung zum Diskussionsforum „Zukunft denken“ ein, um gemeinsam über mögliche Szenarien, Denkansätze und Perspektiven für die Zukunft unserer Gesellschaft nachzudenken. Machen Sie sich selbst ein Bild vom vielfältigen Programm (www.uibk. PEFC zertifiziert ac.at/350-jahre), abonnieren Sie unseren Jubiläums-Newsletter Dieses Produkt stammt aus und feiern Sie mit uns! nachhaltig
Nach dem Fest der Wissenschaft, zu dem wir Sie sehr herzlich einladen, findet das Jubiläumsprogramm im Herbst seine
TILMANN MÄRK, REKTOR ULRIKE TANZER, VIZEREKTORIN FÜR FORSCHUNG
DE
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Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre und freuen uns über Ihre Fragen und Anregungen!
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IMPRESSUM Herausgeber & Medieninhaber: Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, Christoph-Probst-Platz, Innrain 52, 6020 Innsbruck, www.uibk.ac.at Projektleitung: Büro für Öffentlichkeitsarbeit und Kulturservice – Mag. Uwe Steger (us), Dr. Christian Flatz (cf); public-relations@uibk.ac.at Verleger: KULTIG Werbeagentur KG – Corporate Publishing, Maria-Theresien-Straße 21, 6020 Innsbruck, www.kultig.at Redaktion: Mag. Melanie Bartos (mb), Mag. Eva Fessler (ef), Mag. Andreas Hauser (ah), Mag. Stefan Hohenwarter (sh), Lisa Marchl, MSc (lm), Daniela Pümpel, MA (dp), Mag. Susanne Röck (sr) Layout & Bildbearbeitung: Florian Koch, Lara Hochreiter Fotos: Andreas Friedle, Universität Innsbruck Druck: Gutenberg, 4021 Linz
Foto: Uni Innsbruck
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BILD DER WISSENSCHAFT
INHALT
TITELTHEMA
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PHYSIK. Innsbrucks Quantenforscher präsentieren beim Fest der Wissenschaft das Herzstück ihrer Experimente – die Laserkühlung. 8 KULTUREN. Geschichte und Gegenwart zeigen, dass Migration keine Einbahnstraße ist.
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SCIENTIFIC COMPUTING. Informatiker unterstützen
verschiedenste Forschungsbereiche bei der Durchführung berechnungsaufwendiger Modelle und Simulationen.
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BIOWISSENSCHAFTEN. Innsbrucks Forscher arbeiten interdisziplinär über Alterungsprozesse und neurodegenerative Erkrankungen. 16 DIGITALISIERUNG. Am neuen Digital Science Center (DiSC)
bündelt sich die Digitalisierungskompetenz der Uni Innsbruck.
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TITELTHEMA. Beim Fest der Wissenschaft kann die Bevölkerung in die Welt der Forschung eintauchen. ZUKUNFT FORSCHUNG stellt einige Projekte aus den Forschungsschwerpunkten vor, die vom 14. bis 16. Juni präsentiert werden. 22
ALPINER RAUM. Anhand der Jahresringe von Bäumen zieht der Geograph Kurt Nicolussi Rückschlüsse auf Baugeschichte, Gletscherschmelze und Klimageschichte. 20
FORSCHUNG CHEMIE. Der neu entdeckte rote Leuchtstoff SALON soll Leuchtdioden energieeffizienter machen.
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MUSIKWISSENSCHAFT. Ein internationales Forschungsteam möchte eine Theorie der musikalischen Schrift entwickeln.
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STANDORT. Alexander Van der Bellen über machtbewusste Professoren seiner S tudentenzeit, Universitäten als Ort der faktenbasierten Argumentation und den europäischen Hochschulraum als Vorbild der Integration. 32
SPRACHWISSENSCHAFT. Mittelalterliche Quellen zu Bergbau
gebieten im Tiroler Unterland werden digital aufgearbeitet.
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SICHERHEITSFORSCHUNG. Im „Disaster Competence Network Austria“ konzentrieren sich Forschungsaktivitäten im Bereich der Sicherheits- und K atastrophenforschung Österreichs.
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MATHEMATIK. Hans-Peter Schröcker setzt auf Algebra, um Mechanismen und Roboter effizienter anzutreiben.
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NEUROWISSENSCHAFTEN. Jörg Striessnig über acht Jahre
Forschung im SFB „Cell signaling in chronic CNS disorders“.
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SPRACHWISSENSCHAFT. Elisabeth Gruber, Bettina Larl und Gerald Hiebel widmen sich dem Bergbau im Mittelalter – die Namen der Gruben spielen dabei eine zentrale Rolle.
RUBRIKEN EDITORIAL/IMPRESSUM 3 | BILD DER WISSENSCHAFT: ANAMMOXBAKTERIEN 4 | NEUBERUFUNG: KATHRIN THEDIECK 6 | FUNDGRUBE VERGANGENHEIT: HITLER-MOSAIK IN DER AULA 7 | MELDUNGEN 24+41 | WISSENSTRANSFER 34 + 35 | PREISE & AUSZEICHNUNGEN 45 – 47 | ZWISCHENSTOPP: CEMAL TOSUN 48 | SPRUNGBRETT INNSBRUCK: KAROLIN LUGER 49 | ESSAY: SPUREN DER GESCHICHTE von Dirk Rupnow 50
Die erst in den 1990er-Jahren entdeckte Anaerobe Ammonium-Oxidation – katalysiert von den danach benannten Anammox-Bakterien – spielt eine bedeutende Rolle im globalen Stickstoffkreislauf. Die Bakterien wandeln Ammonium und Nitrit in molekularen Luftstickstoff um. In Kläranlagen wird dieser energiesparende Prozess nun zunehmend
genutzt. Dort organisieren sich die roten Anammoxbakterien gemeinsam mit vielen anderen Bakterienarten selbstständig zu kompakten Granula mit einer Größe von 0,1 bis einem Millimeter, die oft von Glockentierchen besiedelt werden. Am Institut für Mikrobiologie sucht ein Team um Thomas Pümpel nach weiteren Anwendungsmöglichkeiten.
Fotos: Uni Innsbruck (1), HBF/Peter Lechner (1), Andreas Friedle (1); COVERFOTO: Uni Innsbruck; BILD DER WISSENSCHAFT: Thomas Pümpel
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NEUBERUFUNG
SIGNALE VERSTEHEN LERNEN Die Biochemikerin Kathrin Thedieck erforscht die Wechselwirkungen zwischen zellulären Signal- und Stoffwechselnetzwerken.
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ie merkt die Zelle, wie viele Nährstoffe in ihrer Umgebung vorhanden sind, und wie koordiniert sie als Antwort darauf ihren Stoffwechsel, ihr Wachstum und Überleben? Diese Fragen sind die Grundlage der Forschungsarbeiten des Teams um Kathrin Thedieck, seit Februar 2019 Universitätsprofessorin für Biochemie an der Uni Innsbruck. „Wir wollen verstehen, wie Zellwachstum und Zellfunktion als Antwort auf Nährstoffe auf mechanistischer Ebene reguliert sind. Das Signalnetzwerk um die Proteinkinase mTOR – mechanistic Target of Rapamycin – spielt hierbei eine Schlüsselrolle“, erklärt Kathrin Thedieck. Als Schrittmacher des Stoffwechsels dirigiert mTOR in gesunden Zellen die Antwort auf Nährstoffe und Stress und bestimmt ihren Alterungsprozess. Gerät dieser zentrale Regulator jedoch außer Kontrolle, sind schwerwiegende Krankheiten wie Krebs, Diabetes, neurodegenerative Erkrankungen und erbliche Syndrome die Folge. „Deshalb hat das Verständnis der komplex verschalteten metabolischen Signalnetzwerke um mTOR eine hohe bio medizinische Relevanz“, so die Biochemikerin. Um diese Komplexität besser zu verstehen und personalisierte Therapieansätze zu entwickeln, forscht Thedieck
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in mehreren Systemmedizin-Konsortien sowohl zu häufigen Erkrankungen wie Brustkrebs als auch an seltenen erblichen Krankheitsbildern wie Glykogenosen und der Tuberösen Sklerose.
Optimales Forschungsumfeld
Für die Universität Innsbruck hat sich die Wissenschaftlerin, die bis dahin im niederländischen Groningen und Oldenburg in Deutschland geforscht hat, entschieden, weil sie hier optimale Bedingungen für ihre Forschungsarbeit sieht. „In Innsbruck findet meine Arbeitsgruppe mit dem Institut für Biochemie und den KollegInnen an der Fakultät für Chemie und Pharmazie, dem Centrum für Molekulare Biowissenschaften (CMBI), dem Institut für Alternsforschung und dem RNA-Schwerpunkt an der Universität Innsbruck und der Medi-
zinischen Universität ein hervorragendes wissenschaftliches Netzwerk für unsere Forschungsarbeit“, sagt Kathrin Thedieck, die gemeinsam mit zwölf Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen nach Innsbruck kommt. „Zudem ist die infrastrukturelle Ausstattung hier für uns perfekt.“ In der Lehre will die Biochemikerin den Fokus auf forschendes Lernen legen. „Neben dem notwendigen Grundlagen- und Faktenwissen ist mir besonders wichtig, dass unsere Studierenden lernen, mit Information sachgerecht und kreativ umzugehen. Die Inhalte in unserem Bereich unterliegen einem ständigen Wandel. Umso wichtiger ist es, Menschen auszubilden, die Informationen eigenständig bewerten und einordnen können und basierend darauf ihre eigenen Ansätze erarbeiten“, ist Thedieck überzeugt. sr
KATHRIN THEDIECK studierte an der Ecole Supériore de Biotechnologie Strasbourg und promovierte am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig. Von 2006 bis 2008 forschte sie als Postdoktorandin am Biozentrum der Universität Basel in der Gruppe des mTOR-Entdeckers Michael N. Hall und wurde anschließend Forschungsgruppenleiterin für Functional Proteomics of Metabolic Signaling an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg. Von 2013 bis 2019 war Thedieck Associate Professor am University Medical Center Groningen (UMCG) und der European Medical School (EMS), einem Kooperationsprojekt der niederländischen Reichsuniversität Groningen und der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg in Deutschland. Im Februar 2019 wurde sie als Professorin für Biochemie an die Universität Innsbruck berufen.
Foto: Andreas Friedle
FUNDGRUBE VERGANGENHEIT
HITLER-MOSAIK IN DER AULA Löcher an der Westwand der Aula weisen als Mahnmal den Weg in das dunkelste Kapitel in der 350-jährigen Geschichte der Universität Innsbruck.
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s war eine Weisung von Minister Oswald Menghin, der die Universität bereitwillig Folge leistete. Der gebürtige Südtiroler ordnete am 15. April 1938 an, dass in Amtsräumen Bildnisse des Führers anzubringen seien. Inns brucks Rektor Harold Steinacker dachte gleich an Großes, die Aula sollte mit einem Mosaik Hitlers geschmückt werden. Die Vorlage dazu gab es bereits aus dem Jahr 1933/34, geschaffen vom Tiroler Künstler Hubert Lanzinger, schon in den 30er-Jahren illegaler Nazi: „Der Bannerträger“, Hitler als nordischer Herrenmensch in Ritterrüstung mit Hakenkreuzfahne. Im Mai 1938 suchte Steinacker in der Privatkanzlei Hitlers um Genehmigung einer Reproduktion des Bannerträgers an (das Bild war in Hitlers Privatbesitz), diese wurde erteilt. Steinacker gab daraufhin das Mosaik bei der Tiroler Glasmalerei- und Mosaikanstalt in Auftrag, Lanzinger schickte Anfang Juni den Entwurf für die Neugestaltung der Aula-Wand. Kurzfristig schien die Finanzierung durch die Hochbauabteilung des Landes gefährdet. Der „bestürzte“ Rektor reagierte prompt, verwies auf die „größte Verlegenheit“ der Uni gegenüber Hitlers Privatkanzlei und drohte, den Gauleiter zu informieren. Das wirkte: Ende
September war das Mosaik fertig und die Aula wurde mit einem Festakt „als Bekenntnis zur Mitarbeit im Dienst der nationalsozialistischen Idee“ eingeweiht.
Lücken nach 1945
Für seine Verdienste erhielt Lanzinger 1939 die Ehrenmitgliedschaft der Uni und durfte 1941 das obligatorische Rektoren-Porträt gestalten. Der überzeugte Nationalsozialist Steinacker, der am 12. März 1938 nach der Amtsenthebung Josef Brunners zum Rektor ernannt wurde, da er unter den möglichen Kandidaten der „erste Parteigenosse“ war, ließ sich nicht im Talar, sondern in SA-Uniform malen. Nach 1945 klaffte damit allerdings eine Lücke in der Rektorengalerie. Im Sinne „Steinackers Verdienste um die Universität und historischer Kontinuität“ wollte die Uni 1950 – auf eigene Kosten – ein neues Porträt anfertigen lassen, der inzwischen „als Minderbelasteter rehabilitierte“ Steinacker (1945 war er ohne Pensionsbezüge entlassen worden) fühlte sich geehrt und schlug vor, die SA-Uniform solle mit dem Talar übermalt werden – und zwar von Hubert Lanzinger. Schlussendlich zerschlug sich aber diese universitäre Rehabilitierung.
Fotos: Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck/Sammlung R. Müller/N-060-Uni-Ibk-34, Uni Innsbruck (2)
FOTOGRAFIEN des Hitler-Mosaiks tauchten erst 2017 wieder auf. Den Entwurf für das Mosaik hatte 1938 der Tiroler Maler Hubert Lanzinger persönlich übernommen, der mit dem Bild „Der Bannerträger“selbst die Vorlage geschaffen hatte. 2017 brachte eine Tiefensondierung Reste des Mosaiks zutage, die Uni Innsbruck entschloss sich, die Sondierungsbohrungen in die Vergangenheit offen zu lassen.
Zerschlagen wurde nach Kriegsende auch das Hitler-Mosaik – der genaue Vorgang ist allerdings ungeklärt. Zunächst wurde es durch eine neutrale Putzoberfläche mit ockerfarbenem Anstrich übertüncht, 1947 wurde stattdessen eine Tafel mit dem Schriftzug „in veritate libertas“ – der Wahlspruch der katholischen Studentenverbindung Austria – angebracht. 2017 kamen schließlich im Zuge einer Tiefensondierung im Auftrag der Unileitung Reste des Mosaiks selbst und Spuren seiner Beseitigung zutage. 1938 vorauseilender Gehorsam, 1945 eilfertige Distanzierung, dazu noch die Verdrängung der eigenen Mitverantwortung und Schuld – diese Vielschichtigkeit und Ambivalenz der Vorgänge bewog die Uni Innsbruck dazu, die Sondierungsbohrungen in die Vergangenheit offen zu lassen. ah
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Foto: Andreas Friedle
AM ABSOLUTEN NULLPUNKT In den letzten 20 Jahren haben Quantenphysiker der Universität Innsbruck mit zahlreichen Experimenten und bahnbrechenden Theorien für weltweites Aufsehen gesorgt. Beim Fest der Wissenschaft wollen sie einen Einblick in ihre Arbeit geben und zeigen das Herzstück quantenphysikalischer Experimente – die Laserkühlung. zukunft forschung 01/19
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TITELTHEMA
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aser, Gläser, Spiegel, Detektoren, Kabel, metallene Würfel und Zylinder… für den Laien ein heilloses Tohuwabohu, für Physiker wie HannsChristoph Nägerl ein wohldurchdachtes, fein ausgeklügeltes Experimentierfeld, auf dem Forscherinnen und Forscher wie er tief in die Welt der Atome, Fermionen und Bosonen eintauchen, auf dem sie Bose-Einstein-Kondensate, Fermi-Gase, Efimov-Zusände und andere Quantenzustände erstmals beobachten, um die verrückte Welt der Quantenphysik ein Stück weit besser zu verstehen. Innsbrucks Forscher haben in den letzten 20 Jahren mit zahlreichen Experimenten und bahnbrechenden Theorien rund um Teleportation, Quantensimulation oder Quantencomputing für weltweites Aufsehen gesorgt, haben lange zuvor Postuliertes im Labor erstmals experimentell bestätigt, aber auch mit erfolgreichen Versuchen ihren theoretischen Kollegen neue Denkansätze geliefert. Doch der Weg zu erfolgreichen Experimenten und vielgelesenen Publikationen ist kein kurzer, zwei, drei oder mehr Jahre dauert allein der Aufbau eines Experi-
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ments, am Labortisch – Maschine nennt es Nägerl – finden tausende Komponenten Platz, und die Maschine wächst und wächst. „Wir legen unsere Maschinen so an, dass wir mehrere Stoßrichtungen verfolgen können. Nur eine Stoßrichtung wäre zu riskant“, sagt Nägerl in Blickrichtung der Konkurrenz, die auch in der Welt der Wissenschaft immer eine Nasenlänge voraus sein will. Nägerl konzentriert sich mit seiner Maschine auf die Elemente Cäsium und Kalium. Elemente mit unterschiedlichen Eigenschaften, die verschiedene Apparaturen – Laser, Beschichtungen, optische Komponenten… – benötigen, „aber nicht so weit auseinander sind, dass es schwierig ist.“ Beiden Elementen ist gemeinsam, „dass wir sie sehr gut kontrollieren können“. Bei Quantenzuständen von Cäsium waren die Innsbrucker rund um Rudolf Grimm und Nägerl internationale Vorreiter, „Kalium haben wir sozusagen importiert“. Bei Cäsium will Nägerl erstmals Einzelatomauflösungen detektieren, da dies, ist er überzeugt, neuartige Messungen erlauben würde. Kalium wiederum hat den Vorteil, „dass
HANNS-CHRISTOPH NÄGERL, geboren 1967, studierte Physik und Mathematik in Göttingen und San Diego. Sein Doktoratsstudium in Physik absolvierte er unter Rainer Blatt in Göttingen und Inns bruck. Nach einem Postdoc-Aufenthalt am California Institute of Technology (1998 bis 2000) schloss er sich der Arbeitsgruppe von Rudolf Grimm in Inns bruck an, wo er sich auch habilitierte. 2006 wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt, im Jahr 2011 avancierte er zum Universitätsprofessor. Für seine Leistungen wurde er unter anderem mit dem Wittgenstein-Preis, einem ERC Consolidator-Grant, dem START-Preis und dem Rudolf-Kaiser-Preis ausgezeichnet. 2018 erhielt er vom Europäischen Forschungsrat (ERC) einen Advanced Grant und damit über 2,4 Millionen Euro für seine Forschungen zu ultrakalter Quantenmaterie. Es ist dies der höchstdotierte und prestigeträchtigste europäische Wissenschaftspreis.
TITELTHEMA es als Boson und als Fermion vorkommt“. Bei beiden Elementen will er neue Quantenzustände experimentell erzeugen, er denkt auch an eine Kombination, an ein Kalium-Cäsium-Molekül, um sogenannte Dipol-Dipol-Wechselwirkungen (Nägerl: „Sozusagen der Holy Grail der Quantenphysik.“) zu untersuchen. Voraussetzung dafür sind tiefe Temperaturen. Sehr tiefe – knapp über dem absoluten Nullpunkt der Temperaturskala bei 0 Kelvin bzw. minus 273,15 Grad Celsius.
Laserkühlen als Herzstück
„Die Laserkühlung“, sagt Nägerl, „ist quasi das Herzstück quantenphysikalischer Experimente.“ Um Atome zu kontrollieren, um mit ihnen Experimente durchzuführen, wird als erster Schritt in einer speziellen Apparatur das gewünschte Element mit der jeweils benötigten Hitze – von Raumtemperatur bis zu 1.000 Grad Celsius – verdampft. Es bildet sich eine Wolke aus hunderttausenden Atomen. Laserstrahlen streuen Photonen auf die Atome, diese „schlucken“ die Photonen und emittieren sie wieder. Dabei gibt das Atom Energie an das Photon ab – und kühlt dadurch ab.
„Wir kühlen die Wolke auf Temperaturen zwischen 100, 200 Mikrokelvin und einem Millikelvin ab“, erzählt Nägerl. Nun geht es darum, die Atome auf einen „Beobachtungsplatz“ zu bringen, benötigt wird dazu Licht. „Wir strahlen Licht ein, z.B. Licht, das weit weg von jeglicher Resonanz ist. Es regt das Atom nicht richtig an, übt aber eine kleine Kraft, die sogenannte Dipol-Kraft, auf die Atome aus“, beschreibt Nägerl den nächsten Schritt. Die Dipol-Kraft kann so eingestellt werden, dass die Atome in allen drei Raumrichtungen eingefangen werden und sich an eingestrahlten Laserwellen orientieren. „Es bildet sich eine Art dreidimensionales Gitter und in diesen Lichttöpfchen kann man, wenn man es geschickt macht, die Atome lokalisieren“, fährt Nägerl fort. Ein Atom pro Lichttöpfchen, eine Art atomare „Reise nach Jerusalem“, verkompliziert durch Dreidimensionalität und spezielle Interessen der Forscher, „etwa, dass nur jedes zweite Lichttöpfchen besetzt werden soll.“ Die Atome sind nun in dem Zustand, um sie in den gewünschten Quantenzustand zu bringen z.B. ein BoseEinstein-Kondensat. „Bei einem Druck von 10-11 Millibar ‚lebt‘ ein Bose-Einstein-
Kondensat rund eine Minute – genug Zeit für unsere Experimente“, so Nägerl. Das Fest der Wissenschaft wollen die Innsbrucker Physiker nutzen, um die Laserkühlung als Versuchsanordnung der Öffentlichkeit vorzustellen. Es sei zwar eine abgespeckte Version, räumt Nägerl ein, schließlich können die Laborbedingungen in dem Ausstellungscontainer nicht nachgestellt werden, „doch das Prinzip lässt sich anhand der Apparatur gut erklären“, sagt Nägerl, der auch den Forschungsschwerpunkt Physik an der Uni Innsbruck leitet. Rund 35 Arbeitsgruppen rund um Astro- und Teilchenphysik, Ionen- und Plasmaphysik bzw. Angewandte Physik und Quantenphysik decken ein breites Forschungsspektrum ab und bieten „viele Möglichkeiten, Interesse zu wecken“. Als besonderen „Hingucker“ planen die Physiker in der Jesuitenkirche die Installation eines Foucaultschen Pendels, mit dem ohne Bezug auf Beobachtungen am Himmel die Erdrotation anschaulich nachgewiesen werden kann. Ein kleines Problem hat HannsChristoph Nägerl dabei noch: „Wir wissen noch nicht genau, wie wir es an der Kuppel aufhängen können.“ ah
INNSBRUCKER (QUANTEN-)MEILENSTEINE 1995 – BAUPLAN FÜR DEN QUANTENCOMPUTER: Peter Zoller und Ignacio Cirac entwickeln ein Konzept für den Bau eines Quantencomputers, das auf der Wechselwirkung von Lasern mit kalten, in einer elektromagnetischen Falle gespeicherten Ionen basiert. In Grundzügen wurde diese Idee in den vergangenen Jahren experimentell umgesetzt, und sie zählt zu den erfolgversprechendsten Konzepten auf dem Weg zu einem zukünftigen Quantencomputer. 2005 – ERSTES QUANTENBYTE ERZEUGT: In Innsbruck gelingt es erstmals nachweislich, eine größere Anzahl von Atomen vollständig miteinander zu verschränken. Die Forscher um Rainer Blatt und Hartmut Häffner realisieren zum ersten Mal ein sogenanntes Quantenbyte, indem sie acht Ionen kontrolliert miteinander verschränken. 2006 – GEHEIMNISVOLLE QUANTENZUSTÄNDE BEOBACHTET: Experimentalphysikern um Rudolf Grimm und Hanns-Christoph Nägerl beobachten erstmals sogenannte Efimov-Zustände. Diese wurden in den 1970er-Jahren vom Russen Vitali Efimov theoretisch vorhergesagt und in den Laboren in Innsbruck erstmals realisiert. 2012 – QUANTENKONDENSAT: DIE DREIZEHNTE ART: Das exotische Element Erbium wird von einem Team um Francesca Ferlaino erstmals erfolgreich kondensiert. Damit haben die Innsbrucker Physiker als weltweit einzige die ersten Bose-Einstein-Kondensate von gleich drei chemischen Elementen – Cäsium, Strontium und Erbium – erzeugt. 2016 – TEILCHENZOO IM QUANTENCOMPUTER: Mit der ersten Quantensimulation einer Gitter-Eichfeldtheorie schlagen die Innsbrucker Physiker eine Brücke zwischen Hochenergiephysik und Atomphysik. Ein Team um Rainer Blatt und Peter Zoller simuliert mit einem Quantencomputer die spontane Entstehung von Elementarteilchen-Paaren aus einem Vakuum. 2019 – QUANTENRECHNEN IN DER CLOUD: Mit einem Quanten-Coprozessor in der Cloud stoßen die Innsbrucker Physiker die Tür zur Simulation von bisher kaum lösbaren Fragestellungen in der Chemie, Materialforschung oder Hochenergiephysik weit auf. Die Forschungsgruppen um Rainer Blatt und Peter Zoller simulieren Phänomene der Teilchenphysik auf 20 Quantenbits und zeigen, wie der Quantensimulator das Ergebnis erstmals selbstständig überprüfen kann.
Fotos: Andreas Friedle (1), IQOQI Innsbruck/Harald Ritsch, Christof Lackner, Uni Innsbruck
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HIER UND DORT DAZUGEHÖREN Arbeit, Krieg, Liebe – unterschiedlichste Gründe bewegen Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen und sich in einem anderen Land ein neues Leben aufzubauen.
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issenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Innsb ruck beschäftigen sich mit der Geschichte und Gegenwart der Migration, die keine Einbahnstraße ist. „Das Fortgehen und Heimatfinden ist kein linearer Prozess der Ablösung und des Ankommens. Es ist ein komplexer Prozess der Vernetzung“, sagt Silke Meyer, Professorin für Europäische Ethnologie am Institut für Geschichtswis-
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senschaften und Europäische Ethnologie, die gemeinsam mit Fatma Haron und Claudius Ströhle Migration aus einer transnationalen Perspektive untersucht. Im kulturellen Reisegepäck werden Gegenstände, Ideen und Lebensweisen mitgebracht, die dann den lokalen Verhältnissen angepasst und erneuert werden. Dadurch verändern sich nicht nur die Individuen, sondern auch die Gesellschaft. Mit ihren Forschungen will das Team
zeigen, dass sich Menschen ihre neue Umgebung aneignen und dort zu Hause fühlen, gleichzeitig aber auch in vielfacher Art und Weise mit der alten Heimat verbunden bleiben können. „Migration ist kein einmaliger Schritt von A nach B, sondern ein zirkulärer Prozess des Austauschs auf vielen Ebenen. Es gibt nicht nur ein ‚entweder-oder‘, sondern ein ‚sowohl-als-auch‘“, betont Claudius Ströhle.
Fotos: Andreas Friedle (1), Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck/Wett (2)
TITELTHEMA
Sozialer Austausch
Im dreijährigen Forschungsprojekt „Follow the Money. Remittances as Social Practice“ untersuchen Fatma Haron und Claudius Ströhle unter der Leitung von Silke Meyer die langjährige intensive Verbindung zwischen Uşak im Südwesten der Türkei und Fulpmes im Stubaital. Als „Remittances“ werden Geldtransfers von Migrantinnen und Migranten in ihre Herkunftsorte bezeichnet, die dort Familie und Freunde finanziell unterstützen. Remittances sind aber mehr als nur Geldsendungen, sie umfassen auch soziale Praktiken, Weltanschauungen und Normen. So erbauen Rückkehrer und Rückkehrerinnen Häuser nach Tiroler Vorbild, richten im Keller Fitnessstudios ein und bringen einen Kaffee-Vollautomaten als Gastgeschenk mit in das Tee- und Mokkaland Türkei. „Man kann Stubaier und gleichzeitig Uşaker sein. Mit unserer Arbeit wollen wir der Vorstellung entgegenwirken, dass sich Menschen entscheiden müssen“, so der junge Wissenschaftler, der nicht nur in Fulpmes, sondern auch in der Türkei forscht, denn Migration verändert den Ankunfts- und den Herkunftsort. „Transnational zu forschen bedeutet, Menschen, die selbst oder in ihrer Familie Erfahrung mit Migration haben, nicht als ‚zwischen den Stühlen‘ zu imaginieren. Vielmehr bringen diese Menschen Wissen, Ideen, Ressourcen und Erfahrungen in Gesellschaften ein, und zwar an mehreren Orten“, erläutert Meyer. Das Projekt wird vom Wissenschaftsfonds FWF und dem Land Tirol im Rahmen des Tiroler Matching Funds gefördert. Anhand unterschiedlicher Aspekte und Zeitepochen möchten die Forscherinnen und Forscher verschiedene Migrationsbewegungen nachzeichnen, mit dem Ziel, ein transnationales Verständnis für Migration zu schaffen. Gemeinsam mit Studierenden haben Ströhle und Meyer auch eine Ausstellung zum Thema „Fortgehen und Heimatfinden“ erarbeitet. Neben den klassischen Themen wie Arbeitsmigration und Flucht beschäftigen sie sich mit der Frage, in welchem Verhältnis das Fremde mit dem Eigenen steht, zum Beispiel Geranien und Tirol. Mit Pelargonien, besser bekannt als Geranien, dekorierte Holzfenster stehen nicht nur in Tirol für Tradition und Heimat. Dass diese Blumen aber gerade
keine Tiroler Wurzeln haben, ist nur wenigen bekannt. „Ihren Ursprung haben Geranien in der Kap-Region in Afrika und sie werden noch heute aus diesen Ländern importiert. Beim ‚Fest der Wissenschaft‘ möchten wir auch zeigen, dass das vermeintlich Typische, oder das, was uns ausmacht, oft schon eine sehr weite Reise hinter sich hat. So sind heute die eigentlich exotischen Gewächse nicht mehr von den dekorativen Blumenkisten an vielen Tiroler Häusern wegzudenken“, so Ströhle.
Döner und Skateboard
AUSGEHEND VON DEM im Forschungsprojekt entwickelten transnationalen Verständnis von Migration und Gesellschaft erarbeiteten Claudius Ströhle und Silke Meyer gemeinsam mit Studierenden der Europäischen Ethnologie Plakate für eine Ausstellung, die ab Juni am Innsbrucker Domplatz zu sehen sein wird. Die Ausstellung ist Teil einer Kooperation mit dem Stadtarchiv/ Stadtmuseum Innsbruck und trägt den Titel „Fortgehen und Heimatfinden. Inns brucker Migrationsgeschichten“. In drei Teilen, die von den Fächern Geschichte der Neuzeit, Europäische Ethnologie und Zeitgeschichte gestaltet werden, widmet sie sich vom 14. März bis 29. November 2019 der historischen und gegenwärtigen Migration von und nach Innsbruck. Die Ausstellung ist das Ergebnis von einem Lehrforschungsprojekt, das über zwei Semester erarbeitet wurde. Neben den Inhalten der Migrationsforschung erlernten Studierende auch Möglichkeiten des Wissenstransfers und der Vermittlung von Forschungsergebnissen an eine breitere Öffentlichkeit. Die Ausstellung wird auch als Teil des „Fests der Wissenschaft“ gezeigt.
Neben den vermeintlich typischen Tiroler Geranien wurde das Skateboarden beleuchtet. In Deutschland stationierte amerikanische Soldaten haben diesen Trend nach Europa gebracht. Der Verein „Skaid – all together“ in Innsbruck verbindet den Sport mit der Unterstützung für geflüchtete Jugendliche. So wird den Jugendlichen ermöglicht, Freundschaften zu schließen und gemeinsam Sport auszuüben. „Das Skaten wird auch symbolisch so gesehen, dass es keine Konkurrenz schürt, sondern das Miteinander in den Vordergrund stellt. Gemeinsam werden Dinge ausprobiert, man darf auch hinfallen und lernt, wieder aufzustehen und weiterzumachen“, vertieft Claudius Ströhle. Auch die Geschichte des Döner-Kebabs, der sich von einem türkischen Tellergericht zu einem Take-away-Essen entwickelt hat und heute dem urbanen Lifestyle angepasst wird, wird als Teil der Ausstellung erzählt. „Aus unserer Sicht ist es unerlässlich, Migration und Mobilität als historisches Phänomen zu betrachten. Erst die Geschichte der Geranie, des Skateboards oder des Döners zeigen, wie viel Fremdes im vermeintlich Eigenen steckt und umgekehrt“, so Meyer. Auch kritische Tönen dürfen dabei nicht ausbleiben, wie ein Plakat über Saison- und Erntearbeit, am Beispiel von Tiroler Radieschen, zeigt. „Menschen dürfen nur noch zu uns kommen, um hier zu arbeiten, nicht aber um hier zu leben. Die zeitlich limitierten Aufenthaltsbewilligungen für Erntearbeiter oder die 24-StundenPflegerinnen und -Pfleger sind Ausdruck neuer Migrationsregime, die prekäre und diskriminierende Lebensbedingungen mit sich bringen“, so das Forschungsteam. dp
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TITELTHEMA
AUF HOCHLEISTUNG RECHNEN Am Forschungsschwerpunkt Scientific Computing vernetzen Informatikerinnen und Informatiker rund 40 Arbeitsgruppen aus verschiedensten Forschungsbereichen und unterstützen diese bei der Durchführung berechnungsaufwendiger Modelle und Simulationen.
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hysik, Astrophysik, Mikrobiologie, Atmosphärenwissenschaften oder Bauingenieurswesen sind nur einige Beispiele für Forschungsbereiche, die auf computerunterstützte Berechnungen angewiesen sind. Während bis vor einiger Zeit die Wissenschaft vor allem auf zwei Säulen beruhte, nämlich Theorien und Experimente, sind Computersimulationen und Modellierungen mittlerweile unverzichtbar. Hochleistungsrechnen gilt als Schlüsseltechnologie in Industrie, Wirtschaft und Wissenschaft. An der Universität Innsbruck arbeitet der Forschungsschwerpunkt Scientific Computing an der Umsetzung und Durchführung von berechnungsaufwendigen Modellen und Simulationen. Zentral bei dieser dritten, wesentlichen Säule ist es, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Arbeitsgruppen aus unterschiedlichsten Disziplinen zusammenzubringen. „In den Anwendungswissenschaften gibt es oft viele Gemeinsamkeiten, die man als Forscherin oder Forscher selbst vielleicht gar nicht sieht. Rein von der mathematischen Materie haben ein Tunnelbauer und ein Astrophysiker möglicherweise sehr viel gemeinsam. Um das auch zu erfahren, brauchen sie eine Plattform, die wir ihnen am Forschungsschwerpunkt bieten“, so Philipp Gschwandtner. Er arbeitet seit November 2018 als Senior Scientist am Forschungszentrum Hochleistungsrechnen an der Universität Innsb ruck, das zum Forschungsschwerpunkt Scientific Computing zählt. Seine Hauptaufgaben sind das Vernetzen verschiedener Forschungsgruppen und schließlich die Umsetzung von Projekten, die Bedarf an Hochleistungsrechnen haben.
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SEIT JANUAR besteht die LEO-RechnerFamilie an der Universität Innsbruck aus vier Systemen. Das neue System, LEO 4, besteht aus 48 einzelnen Computern (Knoten), die jeweils über 28 Intel Xeon Recheneinheiten verfügen. Bis auf vier Knoten (512 GB) sind alle mit 64 Gigabyte Arbeitsspeicher (RAM) ausgestattet, was insgesamt etwa 4,9 Terabyte RAM entspricht. Das System verfügt über eine leistungsstarke Kommunikationsschnittstelle basierend auf dem Message Passing Interface (MPI) Standard, um einen Nachrichtenaustausch mit niedrigen Latenzzeiten zwischen den Knoten zu gewährleisten. Für die Speicherung der Daten wird das für parallele Architekturen optimierte GPFS-Dateisystem verwendet. Die nutzbare Kapazität beträgt momentan 147 Terabyte. Zum Einsatz kommt das neue System bei der Simulation und Optimierung vielschichtiger Prozesse sowie der Analyse und Präsentation von Big Data, um immer komplexer werdende rechen- und datenintensive Probleme in den verschiedensten Bereichen wie den Naturwissenschaften, Technischen Wissenschaften und Life Sciences lösen zu können.
Das Hochleistungsrechnen verfolgt dabei immer den gleichen Grundsatz: Ein sehr großes rechnerisches Problem wird auf viele kleine Probleme aufgeteilt, die dann von mehreren Computern parallel gelöst werden. Wird es beispielsweise auf zehn Computer aufgeteilt, beträgt die Rechenzeit im Idealfall nur ein Zehntel im Vergleich zu nur einem Computer. Die Informatik kommt dann ins Spiel, wenn man nicht zehn, sondern 100, 1000 oder eine Million Rechner parallel hat. Dann spricht man von einem sogenannten Hochleistungs- oder Supercomputer. „Der Nutzen des Hochleistungsrechnens zeigt sich beispielsweise in Wettervorhersagen, die jeden Tag aktuell sein müssen. Würde ich sie auf einem Laptop berechnen, dauert das mehrere Wochen“, erläutert Gschwandtner. Doch nicht nur die kurze Rechenzeit macht den Einsatz von Hochleistungsrechnern für die Wissenschaft so attraktiv. Sie schaffen auch die Möglichkeit, Versuchsreihen zu simulieren, die in der Praxis nicht möglich sind. „Die Astrophysik bietet uns ein gutes Beispiel für ein Ereignis, das man experimentell nicht nachstellen kann. Galaxienkollisionen im Weltall kann man nicht aktiv herbeiführen, man kann sie lediglich passiv beobachten und selbst dann dauert es Jahrmillionen. Deshalb werden sie am Computer simuliert“, veranschaulicht der Informatiker die Relevanz von Simulationen mit Hochleistungsrechnern. Ihre Simulationsprogramme bringen die Arbeitsgruppen meist bereits selbst mit. Diese sind dann so geschrieben, dass sie auf einem normalen Arbeitsplatzrechner laufen würden. Informatiker wie Philipp Gschwandtner bringen dann das nötige Know-how mit, um die Programme
Fotos: Uni Innsbruck (1), Andreas Friedle (1)
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PHILIPP GSCHWANDTNER: „Würde ich aktuelle Wettervorhersagen auf einem Laptop berechnen, dauert das mehrere Wochen.“ für Hochleistungsrechner zu skalieren. „Es bedarf doch einiges an InformatikWissen, um ein Programm auf einem Hochleistungsrechner zum Laufen zu bringen und vor allem, um die vorhandenen Ressourcen effizient zu nutzen“, so Gschwandtner. Neben der unglaublichen Rechengeschwindigkeit zählen zu diesen Ressourcen auch die enormen Speicherkapazitäten von Hochleistungsrechnern. Davon profitieren beispielsweise Mikrobiologen, die mit sehr großen Datenmengen arbeiten.
Vernetzt
An der Uni Innsbruck gibt es derzeit vier Hochleistungsrechner. Der jüngste und leistungsstärkste ist LEO 4. Er wurde Anfang des Jahres offiziell in Betrieb genommen. National gesehen ist der VSC-3, der dritte einer Reihe von SupercomputerClustern, der schnellste Hochleistungsrechner. Vor allem in Deutschland gibt
es eine starke Tradition und viele Förderprogramme. Davon profitieren auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Uni Innsbruck. Können Projekte aufgrund von hohem Ressourcenbedarf nicht in Innsb ruck durchgeführt werden, besteht die Möglichkeit, in Wien oder europaweit um Rechenleistung anzusuchen. „Das macht nationales und internationales Networking zu einer zentralen Aufgabe für uns am Forschungszentrum. Die Uni Innsbruck ist hier auch sehr gut vertreten. So hat der Leiter des Forschungsschwerpunkts Scientific Computing, Alexander Ostermann, die Austrian High Performance Computing Conference ins Leben gerufen“, sagt Philipp Gschwandtner. Beim Fest der Wissenschaft wird das Forschungszentrum Hochleistungsrechnen der Bevölkerung einen Einblick in die Informatik generell und zum Hochleistungsrechnen im Besonderen ermög-
lichen. „Mit Hilfe eines kleinen tragbaren Supercomputers, einem sogenannten Cluster-Koffer, möchten wir gemeinsam mit den Besucherinnen und Besuchern vor Ort eine Simulation, die sogenannte Particle-in-Cell-Simulation, nachstellen. Dabei interagieren Teilnehmerinnen und Teilnehmer über eine Webcam mit dem Mini-Supercomputer“, erklärt Philipp Gschwandtner. Hintergrund dieser LiveSimulation ist ein EU-gefördertes Projekt zur Weltraumwettervorhersage, an dem in den vergangenen Jahren an der Informatik geforscht wurde. Durch das Erdmagnetfeld werden Partikel, die als Sonnenwinde von der Sonne zur Erde transportiert werden, von ihr abgehalten. Gemeinsam mit einem schwedischen Partner haben Wissenschaftler der Uni Inns bruck eine Simulation programmiert, die vorhersagen kann, wie sich diese Partikel im Falle von starken Sonnenstürmen verhalten. lm
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DIE MITOCHONDRIEN spielen eine wesentliche Rolle im Alterungsprozess und einen damit Forschungsbereiche an der Universität Innsbruck.
GEHEIMNIS DES ALTERNS Alterungsprozesse und neurodegenerative Erkrankungen verstehen und mögliche Mechanismen finden, um diese zu verlangsamen oder gar umzukehren – Wissenschaftler verschiedener Disziplinen der Universität Innsbruck setzen bei diesem Ziel auf Zusammenarbeit.
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hne sie könnte unser Herz nicht schlagen, wir könnten weder atmen noch uns bewegen – durch den Abbau von Nahrung sorgen sie für den größten Teil der Energie, die unser Körper für seine alltäglichen Funktionen braucht: Mitochondrien, die sogenannten Kraftwerke der Zelle. Als Forschungsgegenstand vereinen sie an der Universität Innsbruck auch Disziplinen. „Wir wissen, dass die Mitochondrien die Orte in Zellen sind, die im Alter dysfunktional werden. Das liegt vor allem daran, dass bei den Oxidationsprozessen in diesen Brennstoffzellen – in jeder Zelle sind zwischen 500 und 2000 Mitochondrien vorhanden – Sauerstoffradikale frei werden. Aus diesem Grund sind die Mi-
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tochondrien eine Schwachstelle der Zelle in Bezug auf Alterung“, erklärt Pidder Jansen-Dürr, Leiter des Forschungsinstituts für Biomedizinische Alternsforschung und Sprecher des neugegründeten Doktoratskolleg „Aging, Regeneration and Drug Research (ARDRE)“ an der Uni Innsbruck. Es überrascht also nicht, dass Mitochondrien im Fokus verschiedener Wissenschaftsdisziplinen stehen. Im 2017 gegründeten Doktoratskolleg „Aging and Regeneration“ vereinten sie bereits sieben Arbeitsgruppen aus den Instituten für Biomedizinische Alternsforschung, Molekularbiologie, Zoologie und Botanik. Um diese Vorgänge in den Zellen in Zukunft noch besser zu verstehen und möglicherweise verlangsamen bezie-
hungsweise umkehren zu können, wurde aufbauend auf diesem universitären Doktoratskolleg mit ARDRE ein MarieSkłodowska-Curie-COFUND-Programm beantragt, das kürzlich aus europaweit 114 Anträgen als eines von 28 Exzellenzzentren bewilligt wurde.
Forschungskompetenz bündeln
In diesem von der Europäischen Union geförderten neuen Ausbildungsprogramm sollen Doktorandinnen und Doktoranden nicht nur interdisziplinär, sondern auch intersektoral ausgebildet werden. „Zwölf Doktorandinnen und Doktoranden werden im Programm ARDRE umfassend in den Bereichen Stammzellforschung, Biologie des Alterns
Fotos: AdobeStock/Kateryna_Kon (1), Andreas Friedle (1)
TITELTHEMA und Wirkstoffforschung ausgebildet“, erklärt Jansen-Dürr. „Inhaltlich geht es dabei einerseits darum, die Mechanismen zu erkennen, die dazu führen, dass die Regenerationsfähigkeit im Alter nachlässt und andererseits die Methoden der regenerativen Medizin zu nutzen, um altersabhängige Erkrankungen zu überwinden.“ Vor allem Krebserkrankungen und neuro degenerative Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson aber auch Autismus, eine im frühen Kindheitsalter auftretende Entwicklungsstörung, stehen dabei im Fokus der WissenschaftlerInnen. Bereits im Vorfeld von ARDRE führte die Kooperation zwischen Biologen und Pharmazeuten an der Uni Innsbruck zu einigen wichtigen Ergebnissen. So konnte Pidder Jansen-Dürr zum Beispiel gemeinsam mit Jörg Striessnig, der sich in einem Sonderforschungsbereich der Universität mit chronischen Erkrankungen des zentralen Nervensystems beschäftigt, einen in der Literatur noch nicht dokumentierten Zusammenhang zwischen Autismus und einem mitochondrialen Enzym aufzeigen, der nun weiter erforscht werden soll. Von der strukturellen Intensivierung der Zusammenarbeit verspricht sich JansenDürr große Synergieeffekte: „Es gibt bereits hervorragende punktuelle Kooperationen zwischen den einzelnen in ARDRE vertretenen Arbeitsgruppen – die Zusammenfassung dieser zwölf Arbeitsgruppen in ein Exzellenzzentrum birgt großes Potenzial für den Standort.“
Einblicke
Einen Einblick in ihre Forschungsarbeit geben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dieses Schwerpunkts beim Fest der Wissenschaft in Innsbruck. Unter dem Titel „Autismus, Angst und Altern“ veranschaulichen sie, warum wir altern und was wir dagegen unternehmen können. Dies umfasst sowohl Medikamente, die gezielt alternde Zellen aus dem Körper entfernen, wie auch bestimmte Lebensmittel und Lebensweisen, die gesundes Altern unterstützen können. Sie informieren aber auch über sogenanntes Superfood und erklären, warum vermeintliche Anti-Aging-Wunderwaffen zwar im Zellversuch Erfolge zeigen, in der für Menschen nötigen Dosis aber rasch an ihre Grenzen stoßen. Darüber hinaus wird ein Alterssimulationsanzug zur Verfügung stehen, mit dem man die Einschränkungen des Alters selbst erfahren kann. sr
MITOCHONDRIEN UND HAUTALTERUNG Welche Bedeutung die Mitochondrien für Alterungsprozesse haben, konnte Pidder Jansen-Dürr im Rahmen seiner Forschungsarbeit an einem künstlichen Hautmodell zeigen.
PIDDER JANSEN-DÜRR: „Könnte man die Hautalterung verlangsamen, wäre das auch eine krebsvorbeugende Maßnahme.“
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uf Basis von einzelnen Hautzellen konnten wir künstliche Haut herstellen, die sich wie menschliche Haut verhält“, erklärt Pidder Jansen-Dürr. Dazu legen die Wissenschaftler eine Matrix aus Kollagen an, auf der sie Fibroblasten (Bindegewebszellen) anwachsen lassen. Auf diese Schicht bringen sie dann Keratinozyten – der in der Oberhaut zu 90 Prozent vorkommende Zelltyp – auf. Die so künstlich angelegte menschliche Haut ermöglicht ihnen zahlreiche Experimente und hat auch den Vorteil, dass Tierversuche an Säugetieren – die in Bezug auf Tests an der Haut in der Europäischen Union verboten sind – vermieden werden können. An diesem Modell, als Skin-Äquivalente bezeichnet, konnten die Wissenschaftler beispielsweise zeigen, dass die Mitochondrien der in der Lederhaut liegenden Fibroblasten über einen effek-
tiven Regenerationsmechanismus verfügen: die Mitophagie. „Bei unseren Bestrahlungstests mit UV-Licht konnten wir beobachten, dass die Funktion der Mitochondrien während der Bestrahlung stark zurückgeht. Diese defekten Mitochondrien werden dann von der bestrahlten Zelle quasi selbst verdaut, also in sogenannte Autophagosomen eingeschlossen und dort in ihre Bestandteile zerlegt. Die defekten Teile werden aussortiert und aus den übrigen werden wieder neue, gesunde Mitochondrien gebildet“, erklärt der Alternsforscher. „Ohne diesen Mechanismus wäre ein Leben ohne massive Hautschäden nicht möglich.“ Warum es doch immer wieder zur Bildung von Melanomen kommt, erklärt der Wissenschaftler mit einer Systemüberlastung. „Könnte man die Hautalterung verlangsamen, wäre das auch eine krebsvorbeugende Maßnahme.“ sr
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WETTERPROGNOSEN: AUS FEHLERN LERNEN Am neuen Digital Science Center (DiSC) bündelt sich Digitalisierungskompetenz der Uni Innsbruck. Das Know-how soll Wissenschaftlern vieler Fachdisziplinen helfen, ihre Forschung voranzutreiben.
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eto Stauffer ist Meteorologe, insofern verwundert es, wenn er betont: „Wettervorhersagen können eigentlich nicht stimmen.“ Doch der Forscher erläutert im selben Atemzug warum: „Denn Wettermodelle können die Welt nur in Annäherung abbilden.“ Dazu komme noch, sagt Stauffer, dass das Wetter bzw. die Atmosphäre ein chaotisches System sei – eine perfekte Prognose sei daher nicht möglich. „Natürlich können wir versuchen, höher aufgelöste und genauere Modelle zu entwickeln“, sagt Stauffer, „eine andere Möglichkeit besteht darin, aus den eigenen Fehlern zu lernen.“ Die Meteorologie greift schon seit rund 40 Jahren auf das sogenannte Post-Processing zurück – das Wissen um falsche Prognosen wird in die Vorhersage des Wetters eingebaut. Auch in Innsbruck wandten sich die Forscher des Instituts für Atmosphären- und Kryosphärenwissenschaften dieser Methode zu, Stauffer etwa legte seinen Studien- und Forschungsschwerpunkt auf angewandte Statistik. „Bei uns hat sich aber eine wissenschaftliche Lücke aufgetan“, blickt der Forscher zurück. Mit der Berufung von Achim Zeileis an die Uni Innsbruck bekamen Tirols Wetterforscher Unterstützung, diese Lücke zu schließen, brachte der neue Professor für Statistik „doch eine riesige Palette an statistischen Methoden mit“. Die Atmosphärenwissenschaftler wiederum hatten die riesigen Datenmengen, mit denen das Team um Zeileis diese Methoden weiterentwickeln in die Anwendung bringen konnte. Eine ideale interdisziplinäre Kombination, um mit dem Wetter von gestern dank digitaler Methoden Genaueres über das Wetter von morgen sagen zu können. Und eine Kombination, die den Meteorologen Stauffer als Forscher an das Institut für Statistik brachte. „Wir arbeiten mit Wetterdaten aus der Vergangenheit“, berichtet Stauffer, „teil-
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RETO STAUFFER: Der Meteorologe bringt sein statistisches Know-how in das neue Digital Science Center der Uni Innsbruck ein. weise jahrzehntealte Beobachtungen und speziell für solche Zwecke gerechnete Vorhersageprodukte.“ Mit statistischer Hilfe suchen wir Zusammenhänge, bei welcher Wetterlage und welchen Bedingungen welche Fehler systematisch in den Prognosen auftreten. Haben wir diese identifiziert, können wir davon ausgehen, dass in der gleichen Situation der gleiche Fehler wieder auftreten wird – und können unsere Prognose in diese Richtung korrigieren.“ In mehreren Projekten widmeten sich die Forscher solchen statistisch untermauerten Prognosen und entwickel(te)n Algorithmen für Windenergie-Vorhersagen für Windparks, Nebelprognosen für den Flughafen Wien oder hochaufgelöste Modelle für den Schneefall in Tirol.
Algorithmen für Prognosen
Während Temperatur in solchen Modellen relativ einfach zu handhaben ist, stellt Niederschlag die Forscher vor andere Herausforderungen. Einerseits ist er stark von To-
pografie, Staueffekten, Luftzirkulationen etc. abhängig, andererseits tritt er nicht jeden Tag und dazu noch unregelmäßig (von Nieseln bis zu Starkregen) auf. Mit der Gauß-Verteilung, eine der wichtigsten Wahrscheinlichkeitsverteilungen, sei da nichts mehr anzufangen, sagt Stauffer. Die Messstationen liefern exakte Daten über Niederschlagsmenge und -intensität, im Rückblick können Prognosen und tatsächlicher Niederschlag in eine statistische Korrelation gebracht werden, um daraus einen Algorithmus zu entwickeln, der Wetterdaten mit Prognoseungenauigkeiten kombiniert. „Wir sind uns zu 99 Prozent sicher, dass es am nächsten Tag in einem bestimmten abgegrenzten Gebiet regnen wird, wahrscheinlich wird die Niederschlagsmenge vier Millimeter betragen, mit einer zehnprozentigen Wahrscheinlichkeit aber mehr als 20 Millimeter“, beschreibt Stauffer eine mögliche Prognose. „Exakt“, betont er nochmals, „wird es nie sein.“ Möglichst exakte Prognosen mit einer definierten Unsicherheit seien aber als Risikoabschätzung für viele Branchen – Wasserkraft, Windenergie, Eventmangement, Landwirtschaft … – von großem wirtschaftlichen Interesse. Wie die Digitalisierung so Einfluss auf die Arbeit der Wetterfrösche nehmen kann, will Stauffer beim Fest der Wissenschaft zeigen. Seit Kurzem ist er Teil des neuen Digital Science Center (DiSC) der Universität, welches die 350-Jahr-Feier nutzt, um sich der Öffentlichkeit vorzustellen. Das DiSC bringt wissenschaftliches Personal verschiedener Disziplinen mit Forschungsaktivitäten im Bereich der Digitalisierung an einem Ort zusammen. Die Plattform soll neue Synergien in der Forschung zwischen verschiedenen Fachdisziplinen sowie Statistik, Informatik, und Mathematik nutzen bzw. neue aufbauen. ah
Fotos: Andreas Friedle
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HERR DER BAUMRINGE Anhand der Jahresringe von Bäumen kann der Geograph Kurt Nicolussi Rückschlüsse auf Baugeschichte, Gletscherschmelze und sogar Klimageschichte ziehen.
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ber das Interesse an der Entwicklung der Gletscher in der Vergangenheit kam Kurt Nicolussi in den 1980er-Jahren zu seinem heutigen Fachgebiet, der Dendrochronologie. Mittlerweile ist der Geograph Leiter der Arbeitsgruppe für Alpine Dendrochronologie. „Wir beschäftigen uns mit der Analyse von Hölzern und versuchen als ersten Schritt, deren Alter zu datieren“, beschreibt Kurt Nicolussi seine Forschungsarbeit.
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Die Dendrochronologie geht wesentlich auf den amerikanischen Wissenschaftler Andrew Ellicott Douglass zurück, der Anfang des 20. Jahrhunderts Jahrringabfolgen von verschiedenen Hölzern in eine jahrgenaue Übereinstimmung gebracht hat. Gelungen ist das über die Variabilität der Baumzuwächse, der Jahrringe. „Jahrringe gleichen nie denen aus den Vorjahren. Diese Variabilität können wir untersuchen, was wiederum das Erstellen von charakteristischen Abfolgen, sogenann-
ten Jahrringkurven, ermöglicht“, sagt der Geograph. „Ausgehend von einem lebenden Baum weiß man in welchem Kalenderjahr der erste Jahrring unter der Rinde gebildet wurde, der nächste im Jahr zuvor und so weiter. So ist es möglich, mit lebenden Bäumen einen Jahrringkalender zu erstellen. Anschließend synchronisiert man älteres Holzmaterial dazu. So wird sukzessive ein absoluter, immer weiter in die Vergangenheit reichender Jahrringkalender erstellt, der es erlaubt, alte Hölzer
Fotos: Andreas Friedle (1), Kurt Nicolussi (2)
TITELTHEMA TITELTHEMA jahrgenau zu datieren“, beschreibt Kurt Nicolussi die Vorgangsweise. Die Arbeitsgruppe konnte mittlerweile einen Datensatz erarbeiten, der für die letzten 10.000 Jahre durchgängig ist. „Als ich meine Forschung in den Achtzigerjahren begonnen habe, hätte ich nie gedacht, dass man einmal so weit zurückdatieren kann“, freut sich Kurt Nicolussi über den Fortschritt der Dendrochronologie in den Alpen.
Klimaarchiv
Neben der Datierung erlaubt die Dendrochronologie auch, Rückschlüsse auf das Klima zu ziehen. Stellt man unterschiedliche Jahrringabfolgen gegenüber, zeigen sich unter gewissen Voraussetzungen ähnliche Schwankungen im Zuwachs bei den einzelnen Jahrring abfolgen. „Bei einem Abgleich stoßen wir allerdings auch auf Grenzen, weil der Standort der Bäume für das in den Jahrringen enthaltene Klimasignal entscheidend ist“, sagt Nicolussi. Ein gutes Beispiel dafür ist der sehr heiße und trockene Sommer 2003: Bäume in den Tieflagen haben sehr schmale Jahrringe gebildet, da ihnen die Feuchtigkeit für das Wachstum gefehlt hat. Bäume in den Hochlagen hatten hingegen einen sehr guten Zuwachs. „Jahrringe zeigen das regionale Klimasignal. Es gibt jedoch auch Ereignisse, die sich überregional, ja global auf das Baumwachstum auswirken können. Werden bei sehr großen Vulkanausbrüchen Asche und Schwefeldioxid in die Stratosphäre geschleudert, führt das zu einer globalen Abkühlung des Klimas, was sich wiederum in zeitgleichen, abrupten Einbrüchen des Jahrringwachstums auf verschiedenen Kontinenten auswirken kann“, erklärt Kurt Nicolussi. Holz ist ein sehr robustes Material, das etwa zur Hälfte aus Kohlenstoff besteht und sich unter Luftabschluss kaum zersetzt. So kommt das Holz für den langen alpinen Jahrringkalender aus Gletschervorfeldern, aber auch aus Mooren und Seen. Durch eine weitere Eigenschaft von Holz konnte und kann die Dendrochronologie auch zur Weiterentwicklung der Radiokarbonmethode beitragen, die beispielsweise in der Archäologie oder der Geologie zur Altersbestimmung unterschiedlicher organischer Materialien zum Einsatz kommt. In den einzelnen Jahrringen ist das instabile Kohlenstoffi-
FRÜHHOLOZÄNER STAMMREST vor dem Tschierva Gletscher in der Schweiz.
HOCHMITTELALTERLICHER Balkenquerschnitt (Schloss Tirol) mit Jahrringbreitenkurve.
sotop 14C enthalten, das zur Wachstums zeit dem 14 C-Gehalt der Atmosphäre entspricht. Über Messungen der heutigen 14C-Isotope in den Jahrringen alter Hölzer und unter Berücksichtigung der Halbwertszeit von 5.730 Jahren können die Radiokarbonmesswerte auf Basis der jahrgenau datierten Holzproben in Kalenderalter umgerechnet werden. Neben 14 C enthält Holz auch stabile Isotope wie 13 C, 18O oder Deuterium, die sich nicht durch das Abgeben von radioaktiver Strahlung zersetzen und ebenfalls Rückschlüsse auf das Klima zulassen. Aktuell arbeiten Nicolussi und sein Team im Rahmen eines vom FWF und vom SNF geförderten Projektes mit Schweizer Kolleginnen und Kollegen an Messungen dieser stabilen Isotope in Jahrringen für die letzten 9.000 Jahre.
manche Gletscherenden zusammenbrechen, weil aus den Nährgebieten immer weniger Eis nachkommt“, sagt Nicolussi zur aktuellen Entwicklung der Gletscher. Archäologische Relikte, die durch das Abschmelzen des Eises zum Vorschein treten, geben Aufschluss über die Gletscherentwicklung in der Vergangenheit und einen Einblick in die Begehung des Hochgebirges Alpen durch den Menschen. „Vor ein paar Jahren haben Touristen auf circa 3.000 Meter Höhe zwischen dem Matschertal und dem Schnalstal eine Art Holzschindel aus der Bronzezeit an einem zurückschmelzenden Eisfeld gefunden“, berichtet Nicolussi. Nicht selten sind es Bergwanderer, die solche Funde machen. „Dadurch, dass das Holz durch Schnee und Eis konserviert wird, kann man meist nicht sofort sagen, ob ein Holz nun 100 oder 3.000 Jahre alt ist, hier ist dann wieder die Dendrochronologie gefragt“, sagt Nicolussi weiter.
Vergangenes
Die Arbeitsgruppe Alpine Dendrochronologie arbeitet viel mit Forscherinnen und Forschern aus der Schweiz zusammen. Aufgrund der dort höhergelegenen und größeren Nährgebiete mancher Gletscher reichten deren längere Gletscherzungen eher in den Wald hinein. Dadurch ist hier die Anzahl an Funden von Hölzern an aktuellen Gletscherenden größer. In den letzten drei Jahrzehnten sind durch die Gletscherschmelze viele Hölzer freigegeben worden. In Österreich gab es bisher nur an zwei Gletschern, der Pasterze am Fuße des Großglockners und am Gepatschferner in den Ötztaler Alpen, größere Entdeckungen. „Diese Funde belegen lange frühere Rückzugsphasen, aber die Gletscher heute hinken dem aktuellen Klima hinterher und müssen erst weiter zurückschmelzen, um wieder in ein Gleichgewicht zu kommen. Deshalb erleben wir derzeit, dass
Fest der Wissenschaft
Die vielseitigen Anwendungsgebiete der Dendrochronologie werden auch beim Fest der Wissenschaft präsentiert. So ist Kurt Nicolussi gleich an zwei Stationen vertreten. „Die Arbeitsgruppe Alpine Dendrochronologie ist einmal im Volkskunstmuseum zu finden. Dort geht es um die Datierung von gotischen Stuben. Außerdem sind wir auch in in der Universitätsstraße anzutreffen, wo es um die Gletscher- und damit Klimaentwicklung in den letzten 10.000 Jahren bis heute gehen wird: Mit Hilfe des Inputs von Klimadaten treiben wir ein Gletschermodell an und wollen so analysieren, wie weit die Gletscher noch zurückschmelzen müssen, um im Gleichgewicht mit dem aktuellen Klima zu stehen“, sagt Nicolussi zum Programm. lm
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STANDORT
ORTE DES DISKURSES Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen über machtbewusste Professoren seiner S tudentenzeit in Tirol, über Universitäten als Ort der faktenbasierten Argumentation und den europäischen Hochschulraum als Vorbild der Integration. ZUKUNFT: Sie haben 1962 Ihr Studium der
Volkswirtschaft an der Universität Inns bruck begonnen. Wie kamen Sie zu dieser Entscheidung? ALEXANDER VAN DER BELLEN: Ich hatte damals das Glück, dass mir durch die Unterstützung meiner Eltern alle Bildungswege offen standen. Ich wollte eigentlich immer gerne Architekt werden. Mit Bauklötzen zu hantieren und Phantasiegebäude zu errichten, gefiel mir als Kind sehr. Aber später, im Gymnasium, merkte ich meine Grenzen. Ich wäre in Darstellender Geometrie fast durchgefallen. Keine sehr gute Voraussetzung für ein Architekturstudium. Die Berufsberatung empfahl mir dann Psychologie. Aber letztlich habe ich mich für Ökonomie entschieden, so wie auch schon mein Vater und mein Schwager. Ich hab‘s nie bereut, obwohl mich Vergleichende Literaturwissenschaft schon sehr reizen würde, hätte ich noch einmal die Wahl. ZUKUNFT: Was ist Ihre Erinnerung an die Studentenjahre? VAN DER BELLEN: Die Herausforderungen waren anders als heute. Ich war noch konfrontiert mit machtbewussten, konservativen Professoren. Wir waren viel festgezurrter in den Strukturen, in den Autoritätsverhältnissen. Transparenz und Mitspracherechte waren noch Fremdworte. Aber in den späten 1960erJahren gab es die berühmt-berüchtigten Studentenunruhen, von denen auch an der kleinen Universität Innsbruck Notiz genommen wurde. Ich hatte zu dieser Zeit schon eine Stelle als wissenschaftliche Hilfskraft angetreten. Wir waren fasziniert, zu sehen, dass Autoritäten auch zerbröckeln können. Ich habe damals viel gelernt über Politik. Vor allem, was passiert, wenn die Verantwortlichen nicht die Zeichen der Zeit erkennen. ZUKUNFT: Ihre Forscherkarriere begann auch in Innsbruck, zuerst – wie Sie schon erwähnt haben – als wissenschaftliche
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Hilfskraft, dann Dissertation, Habilitation und schließlich ordentlicher Professor an der Universität Wien. Wie erlebten Sie die Institution Universität damals, wie sehen Sie sie im Vergleich zur heutigen Universitätslandschaft? VAN DER BELLEN: Damals wie heute sind Universitäten jene Stätten, an denen sich junge Menschen viele wichtige Fähigkeiten aneignen können. Es geht ja nicht nur um die Wissensvermittlung, um später verschiedenste Karrierewege einschlagen zu können. Ich finde, dass die Heranführung zu kritischem Denken und zur Analysefähigkeit bzw. zum Verstehen von größeren Zusammenhängen besonders wichtig ist. Denken Sie nur daran, wie drängend inzwischen die Frage geworden ist, wie wir auf die Auswirkungen der Klimakatastrophe reagieren können. Eine weitere große Herausforderung ist die Rasanz, mit der in der globalisierten Welt das Wissen verbreitet wird und anwächst. Unsere gesamte Kreativität ist herausgefordert, damit umzugehen und Antworten zu finden. ZUKUNFT: Die Universität Innsb ruck blickt heuer auf eine 350-jährige Geschichte zurück. Welche Rolle können Universitäten – im Vergleich zu früher – in unserer Gesellschaft einnehmen? VAN DER BELLEN: Schon alleine der Umstand, dass heute viel mehr Menschen studieren, dass wir – um ein wenig charmantes Wort zu gebrauchen – Massen universitäten in vielen Städten Österreichs haben, verändert die Bedeutung der Universitäten für die Gesellschaft. In Graz sind fast 20 Prozent der Bevölkerung Studierende, in Innsbruck sind es rund 28 Prozent, in Wien rund elf Prozent. Das prägt selbstverständlich das Leben in einer Stadt. Hinzu kommt, dass heute die soziale Durchmengung eine ganz andere ist als noch vor hundert oder zweihundert Jahren. Zwar ist auf diesem Gebiet sicherlich noch einiges zu
tun, unbestritten aber ist, dass heute Studierende aus allen sozialen Schichten an den Universitäten vertreten sind. Damit bilden sie auch einen Spiegel der Gesellschaft. Und schließlich wirkt die Wissenschaft heute insgesamt ganz anders und viel intensiver in die Gesellschaft hinein.
ALEXANDER VAN DER BELLEN (geboren 1944 in Wien) wuchs im Tiroler Kaunertal auf. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Innsbruck studierte er an der Universität Innsbruck Volkswirtschaftslehre und schloss das Studium 1966 als Diplom-Volkswirt ab, die Dissertation folgte 1970. Die wissenschaftliche Karriere führte ihn von Innsbruck an die Universität Wien, wo er von 1980 bis 1999 als ordentlicher Universitätsprofessor für Volkswirtschaftslehre tätig war. 1994 zog Alexander Van der Bellen für die Grünen als Abgeordneter in den N ationalrat ein, 1997 wurde er zum Bundessprecher gewählt und blieb es bis 2008. 2012 schied er aus dem Nationalrat aus und wechselte bis 2015 in den Wiener Gemeinderat. 2016 kandidierte er für das Amt des Österreichischen Bundespräsidenten und wurde am 4.12.2016 in der – wiederholten – Stichwahl gewählt.
Fotos: Wolfgang Zajc (1), HBF/Peter Lechner (1)
STANDORT
„ Eine Wissensgesellschaft kann nur dann erfolgreich sein, wenn sie langfristig denkt, Neugier belohnt, Risiko des Scheiterns akzeptiert und gleichsam einen wissenschaftlichen Generationenvertrag schließt.“ Alexander Van der Bellen ZUKUNFT: Die Feierlichkeiten stehen unter dem Motto „Wir bauen Brücken“. Welche Brücken kann eine Universität bauen? VAN DER BELLEN: Gerade die Universität Innsbruck ist ein Paradebeispiel für die Brückenfunktion der Universitäten. Als Brücke zu Südtirol und Deutschland, als Institution, die das Leben in der Stadt maßgeblich mitprägt. Oder, denken wir nur an die Medizinische Universität Innsbruck, die ja früher ein Teil der Uni Innsbruck war, als Verbindung von Wissenschaft und Anwendung – in dem Fall in den Kliniken. Wir müssen aber auch immer darauf achten, dass die Universitäten auch zwischen den sozialen Schichten verbindend wirken. Dass ein Studium keine Frage der Herkunft ist, sondern eine Frage der Begabung, des Fleißes, der Leistung. Und schließlich ist die Universität als Lebensphase zwischen Schule und Berufsleben ebenfalls eine mächtige und wichtige Brücke. ZUKUNFT: Universitäten sind der Ort der Grundlagenforschung. Wo sehen Sie deren Bedeutung für unsere Gesellschaft? VAN DER BELLEN: Universitäten sind auch Orte der Grundlagenforschung. Darüber hinaus sind sie Orte der Bildung, der Wissensvermittlung, des Diskurses und
Orte, an denen man lernt, faktenbasiert zu argumentieren. Alleine der letzte Punkt ist von enormem gesellschaftlichen Nutzen. Wenn wir aber die Grundlagenforschung als solche betrachten, dann wissen wir aus Erfahrung, dass eine Wissensgesellschaft nur dann erfolgreich sein kann, wenn sie langfristig denkt, Neugier belohnt, Risiko des Scheiterns akzeptiert und gleichsam einen wissenschaftlichen Generationenvertrag schließt. ZUKUNFT: Wird Österreich eigentlich als Land der Forschung wahrgenommen – oder sieht man uns als Land der Skifahrer und der Kultur? VAN DER BELLEN: Österreich ist ein Land der Forschung, das ist unbestritten. Sogar der Spitzenforschung – sowohl im angewandten Bereich wie in der Grundlagenforschung. Dass Leistungen auf diesen Gebieten nicht so sichtbar sind wie etwa im Sport oder bei der Kultur, ist keine neue Entwicklung. Innerhalb der Scientific Community ist die österreichische Grundlagenforschung allerdings durchaus anerkannt. Das bemerkt man auch daran, dass immer wieder Persönlichkeiten von Weltruf an heimischen Institutionen verpflichtet werden können. Bei der angewandten Forschung zeigen
Großinvestitionen wie jene gerade jetzt von Böhringer, dass die Industrie sich der hohen Qualität des Forschungsstandortes Österreich durchaus bewusst ist. ZUKUNFT: Mit dem Beitritt Österreichs zur EU sind die heimischen Universitäten – Stichwort Erasmus, Arbeitnehmerfreizügigkeit, EU-Förderprogramme… – internationaler geworden. Kann diese gelebte europäische Integration Vorbild für andere Gesellschaftsbereiche sein? Wenn ja, wie? VAN DER BELLEN: Der europäische Hochschulraum ist ja bereits ein Vorbild für die Integration in anderen Bereichen. Denken Sie nur an Erasmus+, das die Mobilität auf europäischer Ebene auf außeruniversitäre Einrichtungen ausgeweitet hat. Und ganz generell denke ich, dass die heute 30-Jährigen schon eine ganz andere europäische Selbstverständlichkeit haben und leben als deren Elterngeneration. Wenn wir den Verführungen der heute wieder stärkeren Nationalismen widerstehen und das europäische Projekt weiter vorantreiben, wird sich die Frage nach einer Integration des Kontinents irgendwann nicht mehr stellen – so wie heute schon die Universitäten transnational handeln und kooperieren. ah
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KURZMELDUNGEN
LEBEN AUS DEM EIS
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uch der Rotmoosferner in den Ötztaler Alpen zieht sich immer weiter zurück. Forschern der Universität Innsbruck erlaubt dies die Beobachtung früher Phasen der Bodenentwicklung. Einem Team um die Mikrobiologin Ursula Peintner ist es gelungen, Mikroorganismen vor allem in Form von Pilzen im Gletschervorfeld nachzuweisen. Selbst im kargen Boden direkt an der Gletscherzunge konnten die Forscherinnen und Forscher eine hohe Diversität an Pilzarten nachweisen. Durch Untersuchungen sowohl im Sommer als auch im Winter konnten sie zudem erstmals einen saisonalen Wechsel von Arten dokumentieren. „Bereits in früheren Arbeiten haben wir festgestellt, dass Mikroorganismen in schneebedecktem Boden zehnmal mehr Biomasse bilden als im Sommer. Bis jetzt haben wir uns aber noch nicht an Stellen herangewagt, an denen Leben erst
entsteht, wie etwa im gerade von Eis befreiten Boden. Sogar in der erst seit kurzem eisfreien Fläche haben wir Pilze im Boden gefunden und noch dazu je nach Saison andere. Im Winter zum Teil sogar mehr verschiedene Arten als im Sommer“, erzählt Peintner.
FEST & SUPRAFLÜSSIG ZUGLEICH Forscher um Francesca Ferlaino beobachteten in dipolaren Quantengasen aus Erbium- und Dysprosiumatomen suprasolide Zustände.
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uprasolidität ist ein paradoxer Zustand, in dem die Materie sowohl supraflüssige als auch kristalline Eigenschaften besitzt. Die Teilchen sind wie in einem Kristall regelmäßig angeordnet, bewegen sich aber gleichzeitig ohne Reibung wie in einer Supraflüssigkeit. Vor 50 Jahren vorhergesagt, wurde bisher versucht, diesen ungewöhnlichen Materiezustand mit seinen widersprüchlichen Eigenschaften in supraflüssigem Helium nachzuweisen. Nach jahrzehntelanger theoretischer und experimenteller Forschung fehlt jedoch noch ein eindeutiger Nachweis von Suprasolidität in diesem System. Zwei Forschungsgruppen unter der Leitung von Francesca Ferlaino am Ins titut für Experimentalphysik der Universität Innsbruck und am Institut für Quantenoptik und Quanteninformati-
on der Österreichischen Akademie der Wissenschaften haben nun Merkmale dieses exotischen Zustands in ultrakalten Quantengasen beobachtet. Die Forscher schafften es, diese Eigenschaften von Suprasolidität sowohl in Erbium- als auch in Dysprosium-Quantengasen zu zeigen, indem sie die Wechselwirkung zwischen den Teilchen der starken dipolaren Quantengase entsprechend regelten. „Während in Erbium das suprasolide Verhalten wie bei ähnlichen Experimenten in Pisa und Stuttgart nur vorübergehend erscheint, ist es im Dysprosium-Quantengas beispiellos stabil“, sagt Francesca Ferlaino. „Hier zeigt sich das suprasolide Verhalten nicht nur sehr lange, es kann auch direkt durch Verdampfungskühlung erreicht werden.“ Dies bietet spannende Perspektiven für neue Experimente und Theorien.
NACHWUCHSFORSCHUNG „IM AUGE DES BETRACHTERS“
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ie Verarbeitung visueller Signale im Herzen der Netzhaut steht im Mittelpunkt eines EU-finanzierten Trainingsprogramms für Nachwuchsforscher, das in diesem Jahr endet. Ende Mai kamen die 15 beteiligten Doktoranden aus acht verschiedenen europäischen Labors zu einem Abschlusstreffen an der Universität Innsbruck zusammen, um ihre Arbeiten an der Schnittstelle von Neurobiologie, Informationsverarbeitung und Neurotechnologie in größerem Rahmen zu präsentieren. Auf dem Programm standen außerdem drei Plenarvorträge von international renommierten Professoren. Das Europäische Trainingsnetzwerk „switchBoard – In the Eye of the Observer“ ist Teil des Horizon 2020 Programms.
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Fotos: S.flaischlen, CC BY-SA 4.0 (1), Uni Innsbruck (1), istockphoto.com (1)
Engagement für Wissenschaft und Bildung Mit der aus Anlass des 350-Jahr-Jubiläums der Universität Innsbruck gegründeten gemeinnützigen Universitätsstiftung können Sie als Stifterin und Stifter dazu beitragen, unsere Universität weiter nach vorne zu bringen und Antworten auf die Fragen von morgen zu finden.
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Unser Land braucht die besten Köpfe, um
die Gesellschaft von morgen: Die Leopold-Franzens-
international bestehen zu können. Die Universität
Universität Innsbruck als Bildungsflaggschiff
Innsbruck ist für uns dabei eine wichtige Stütze!
Westösterreichs ist dafür unverzichtbar!
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Günther Platter Landeshauptmann von Tirol
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und eröffnet neue Handlungsspielräume.
stützen wir unsere traditionsreiche Innsbrucker
Damit wird die Universität Innsbruck ihre
Universität auf ihrem Weg – für eine gemeinsame
Spitzenposition in Österreich ausbauen.
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1669 - Wissenschafft Gesellschaft Förderkreis der Universität Innsbruck
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Arno Kompatscher Landeshauptmann von Südtirol
CHEMIE
„VIEL ZEIT und einige falsche Fährten“ führten Gregor Hoerder und Hubert Huppertz (v.li.) zum neuen Leuchtstoff SALON.
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Fotos: Andreas Friedle (1), Uni Innsbruck (2)
CHEMIE
LEUCHTENDER ZUFALL Um LEDs zu verbessern, setzen Chemiker um Hubert Huppertz und das Unternehmen OSRAM Opto Semiconductors auf Rot und Grün. Während der in dieser Kooperation entdeckte rote Leuchtstoff SALON Leuchtdioden energieeffizienter machen soll, geht es bei Grün um eine bessere Differenzierung und mehr Grüntöne für effizientere Displays.
A
lles unreaktiver Müll“ – Mitte der 1990er-Jahre urteilte Hubert Huppertz hart über die Substanzen, die im Mittelpunkt seiner Doktorarbeit standen. Zwar hatte er mit Eu2Si5N8 erstmals ein Nitridosilicat mit Europium, einem Metall der seltenen Erden, synthetisiert, doch es war „bombenstabil“ und reagierte mit nichts mehr. In der Natur kommen solche Nitridosilicate – statt Sauerstoff bindet Stickstoff an Silicium – nicht vor,
dotierte Phasen der Zusammensetzung M2Si5N8 (M = Ca, Sr, Ba), auch 258-Familie genannt – diese roten Leuchtstoffe sind mitverantwortlich, dass LEDs nicht mehr kalt-weiß, sondern warm-weiß leuchten. „Bei einer weißen LED werden rote und gelb-grüne Phosphore durch das Licht einer blauen Diode angeregt. Die Partikel emittieren entsprechendes Licht im roten und grünen Bereich, die Kombination mit dem blauen Licht ergibt weißes Licht“, beschreibt Huppertz das Prinzip ei„ SALON emittiert mehr im orangen als im ner LED. Das Problem der roten Bereich, genau in dem Bereich, Phosphore der 258-Familie den wir sehen können. Als Folge haben wir ist eines des menschlichen Hubert Huppertz weniger Energieverlust.“ Auges. Am sensibelsten reagiert unser Auge auf die FarFestkörperchemiker wie Huppertz erzeu- be Grün, weshalb wir Grüntöne als sehr gen sie im Labor. „Dabei muss man einige hell wahrnehmen. Im blauen und roten Tricks anwenden“, berichtet Huppertz, Bereich ist das Auge hingegen weniger etwa müssen Wasser und Sauerstoff aus- empfindlich. Zwar emittieren 258-Phosgeschlossen werden, in einem Hochfre- phore im roten Bereich, den unser Auge quenzofen benötigt es extrem hohe Tempe- wahrnimmt, ein Teil der Energie aber, so raturen und Schutzgasbedingungen. Die Huppertz, „geht in den tiefroten Bereich, derart synthetisierten Nitridosilicate sind den wir kaum sehen können“. Hochtemperaturkeramiken und stabil bis 1.600 Grad Celsius – eben bombenstabil. „Eine fortführende Synthese war mit Eu2Si5N8 nicht möglich, für einen Chemiker war diese Substanz also eher uninteressant.“ Eine Anwendung war, so Huppertz, trotz „der herrlich-schönen knackeroten Farbe“ auch nicht vorstellbar, die Idee, es als neues Farbpigment z.B. für Feuerwehrautos einzusetzen, scheiterte am astronomischen Preis von Europium. Und doch sind mit Eu2Si5N8 verwandte Materialien heute omnipräsent. „Wir wussten damals schon, dass es fluoresziert“, erinnert sich Huppertz. Unter anderem arbeitete in München die Gruppe rund um Huppertz‘ DoktorvaBEI EINER LED werden Phosphore ter Wolfgang Schnick weiter an dieser durch blaues Licht angeregt, die Partikel Phase, optimierte sie, verdünnte das emittieren dann entsprechendes Licht. Europium. Am Ende standen Europium-
Das Potenzial der Energieeinsparung durch optimierte Leuchtstoffe ist enorm, im Jahr 2015 war der Beleuchtungssektor in den USA für rund 15 Prozent des gesamten Stromverbrauchs des Landes verantwortlich. Das Energieministerium der USA schätzt das mögliche Energieeinsparpotenzial aufgrund der sogenannten Solid-State-Lighting-Technologie – Leuchten mit Leuchtdioden (LEDs), organische Leuchtdioden (OLED), PolymerLeuchtdioden (PLED) sowie Laserdioden als Lichtquellen – bis zum Jahr 2035 auf bis zu 75 Prozent im Vergleich zu einem Nicht-SSL-Szenario.
Ein rotes Krümelchen
Huppertz‘ Team und Forscher von OSRAM Opto Semiconductors beschäftigen sich jedenfalls seit einigen Jahren wieder mit dem Thema, das ehrgeizige Ziel: „Wir arbeiten an roten und grünen Leuchtstoffen, wollen neue synthetisieren und damit LEDs verbessern.“ Für einen neuen roten Leuchtstoff verfolgen die Teams die Strategie, die Emission von Rot in Richtung Blau zu verschieben. Und bei dieser Arbeit kam Gregor Hoerder, Dissertant bei Huppertz, der Zufall zu Hilfe. „Wir haben es mit einer Substitution versucht“, benennt Hoerder die chemische Reaktion, bei der Atome bzw. Atomgruppen in einem Molekül durch ein anderes Atom oder eine andere Atomgruppe ersetzt werden. „Das erste Ergebnis war ein Phosphor, der gelb emittiert hat“, erinnert er sich. Die Verschiebung Richtung Blau war somit zu weit geraten, zudem war noch eine andere erwünschte chemische Eigenschaft verloren gegangen. In dem kleinen, gerade mal 200 Milligramm leichten Häufchen, bestehend aus Staub und klitzekleinen Krümelchen, fanden die Forscher bei der Charakterisierung noch eine Nebenprobe, nicht
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DIE KRISTALLSTRUKTUR von SALON ist die Ursache für die hervorragenden Lumineszenzeigenschaften. Die Entdeckung war ein Zufall, wie Gregor Hoerder sagt: „Die 200-Milligramm-Probe hat gelb emittiert, nur ein Krümel von knapp 0,01 Millimeter Größe hat rot geleuchet.“ ganz einen Hundertstel Millimeter groß – und dieser Krümel leuchtete rot. Nach einer fluoreszenztechnischen Charakterisierung stellten die Forscher fest: „Das ist genau das, was wir haben wollen. Wir haben aber keine Ahnung, was es ist.“ Für Huppertz ein Zufall, der Teil der Festkörperchemie ist, er spricht vom Serendipity-Prinzip. Horace Walpole, in der Literaturgeschichte als Begründer der Gothic Novel („The Castle of Otran to“) bekannt, sprach 1754 in einem Brief erstmals von Serendipity in Zusammenhang mit neuen und überraschenden Entdeckungen, welche die Protagonisten von The Three Princes of Serendip, ein ins Englische übertragenes persisches Märchen, machten. „Synthesen der Festkörperchemie sind so komplex, dass eine Vorhersage sehr selten möglich ist. Man muss vielmehr schauen, was passiert – oftmals ist das etwas völlig Unerwartetes. Daraus gilt es dann intelligente Schlüsse zu ziehen, die einen wissenschaftlich weiterbringen“, erläutert Huppertz das Serendipity-Prinzip für die Festkörperchemie.
SALON für neue LED
Für Hoerder bedeutet der rote Krümel jedenfalls „viel Zeit und einige falsche Fährten“ bis er den Synthese-Prozess nachvollziehen, mehr rote Krümelchen herstellen, mehr über diese erfahren und ihre Struktur durch OSRAM Opto Semiconductors aufgeklärt werden konnte. Heute wissen die Forscher, dass es „reines Glück war, dass die Bedingungen in dem Batch an dieser Stelle exakt so gewesen sind, dass die
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Phase mit dieser Anordnung synthetisch eingerastet ist“. Die Teams gaben dem neuen leistungsstarken roten Phosphor Sr[Li 2Al 2O 2N 2]:Eu 2+, dessen Lumineszenze igenschaften LED-Beleuchtungsmittel deutlich energieeffizienter machen sollten, den Namen SALON und publizierten ihre Erkenntnisse in Nature Communications. „SALON emittiert mehr im orangen als im roten Bereich, genau in dem Bereich, den wir sehen können. Als Folge haben wir weniger Energieverlust“, erläutert Huppertz. Und Hoerder ergänzt: „Das US-Energieministerium sieht für rotes Licht den optimalen Wellenlängenbereich bei 614 Nanometer – genau da liegt SALON.“ An der weiteren Charakterisierung des neuen Materials waren auch das Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS in Halle und die Forschungsgruppe um Dirk Johrendt an der Ludwig-Maximi lians-Universität München beteiligt. Die Entwicklung wurde bereits zum Patent angemeldet.
Huppertz jedenfalls will SALON noch mit weiteren analytischen Methoden unter die Lupe nehmen, um es noch besser zu verstehen. Die Weiterentwicklung der LED hat er weiterhin im Auge, geht es bei Rot um mehr Effizienz, geht es den Forschern bei Grün um eine bessere Differenzierung. „Es ist eine der faszinierendsten Sachen, die unheimlich vielen und unterschiedlichen Grüntöne im Frühjahr zu sehen. Die derzeitige Darstellung auf Bildschirmen und Displays kommt da nicht mit“, sagt Huppertz. Daher sucht er mit seinen Mitarbeitern neue Phosphore, die stärker im grünen Bereich emittieren, ein kleiner Schritt in diese Richtung „bedeutet eine Vielzahl neuer Farben, die man generieren kann.“ Finden wollen sie diese mit Alkalilithosilikaten, erste lumineszierende Vertreter dieser Substanzklasse wurden schon synthetisiert. Und Huppertz ist überzeugt, dass sich damit unzählige Grüntöne auf Bildschirme zaubern lassen, damit „auch der Rasen eines Fußballfelds im Fernsehen wie ein natürlicher Rasen ausschaut.“ ah
HUBERT HUPPERTZ (*1967 in Münster) studierte an der Universität Bayreuth Chemie und dissertierte in der Arbeitsgruppe von Wolfgang Schnick zum Thema Strukturelle Erweiterungen der Nitridosilicate. Danach forschte er als Post-Doc an der Ludwig-Maximilians-Universität München am Lehrstuhl für Anorganische Festkörperchemie in der Arbeitsgruppe von Schnick und wurde 2003 mit Arbeiten zu neuen Oxoboraten durch Multianvil Hochdruck-/Hochtemperatursynthesen habilitiert. 2008 wurde Huppertz an das Institut für Allgemeine, Anorganische und Theoretische Chemie der Universität Innsbruck berufen.
Fotos: Uni Innsbruck (1), Andreas Friedle (2)
Bild: Werkstätte Wattens (Fotograf: Clemens Ascher)
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WWW.STARTUP.TIROL zukunft 01/19 29 forschung
MUSIKWISSENSCHAFT
SARAH LUTZ und Bernhard Achhorner arbeiten an einer Theorie der musikalischen Schrift.
ZWISCHEN DEN NOTENLINIEN Von Musik im Mittelalter über klassische Musik bis hin zur modernen Popmusik haben Komponistinnen und Komponisten ihre Ideen in vielfältiger Art und Weise verschriftlicht. Die Art der Notation hat sich über die Jahrhunderte mit den Anforderungen und technischen Möglichkeiten gewandelt. Ein internationales Forschungsteam möchte nun eine Theorie der musikalischen Schrift entwickeln.
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eethoven, Haydn und Mozart haben ihre eigenen Systeme zur Verschriftlichung ihrer musikalischen Ideen entworfen und so ihre großartigen Kompositionen zu Papier gebracht. Von der Notation auf Pergament bis zu den heute gängigen digitalen Methoden haben Komponistinnen und Komponisten über alle Epochen die musikalische Schrift weiterentwickelt und neuen Möglichkeiten angepasst. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland, der Schweiz und Österreich haben sich in einem Projekt zusammengeschlossen und sich zum Ziel gesetzt, mit der Analyse unterschiedlicher Aspekte musikalischer Schrift eine Theorie zu entwickeln.
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In Innsbruck arbeiten Bernhard Achhorner und Sarah Lutz unter der Leitung von Federico Celestini, Professor am Institut für Musikwissenschaft, an performativen Aspekten der Notation. Die im Projekt verankerten Forschungen in Wien und Inns bruck werden vom FWF gefördert. „Wir haben uns entschieden, die ikonischen, performativen, operativen und materialen Aspekte musikalischer Notation zu untersuchen“, verdeutlicht Celestini. Neben den Forschungen an der Uni Innsbruck beschäftigen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, der Universität Gießen und der Paul Sacher Stiftung in Basel mit konkreten Fragestellungen im Projekt „writing music“.
Die musikalische Schrift erlaubt über Musik anders zu denken, denn plötzlich wird ein Zeitphänomen in den Raum übertragen. Damit beschäftigt sich die Frage nach der Operativität, die in Wien behandelt wird. „Es ist nicht einfach, sich an alle Details eines dreißigminütigen Satzes zu erinnern. Habe ich aber die Notenschrift vor mir liegen, sehe ich den Anfang, die Mitte und das Ende auf einen Blick“, betont Celestini. Mit der Perspektive der Ikonizität von Schrift setzen sich die Forschenden in Gießen auseinander. Das Notenbild hilft Musikerinnen und Musikern, einen ersten Eindruck des Werkes zu bekommen. „Mit etwas Erfahrung kann man sofort erkennen, ob es sich beim vorliegenden Stück
Fotos: Andreas Friedle (1), Milijana Pavlović (1), Sarah Lutz (2)
MUSIKWISSENSCHAFT um ein Werk von Haydn, Beethoven oder Brahms handelt oder aus welcher Epoche die Musik stammt“, so der Wissenschaftler. Ein weiterer Schwerpunkt im Projekt ist die Materialität der Schrift, die in Basel behandelt wird. In der privaten Paul Sacher Stiftung werden Nachlässe der wichtigsten Komponisten des 20. Jahrhunderts aufbewahrt. Die Qualität von Pergament oder günstigeren Formen von Papier, die Wahl der Tinte und der Schreib instrumente oder die unterschiedlichen Formen von Druck sagen viel über den Prozess des Komponierens aus. Neben diesen Schwerpunkten in der Forschung beschäftigen sich die Expertinnen und Experten an der Uni Innsbruck mit der Performativität in der musikalischen Schrift.
Körperlichkeit von Musik
Der besondere Zusammenhang zwischen Sprechen und Handeln wird als Performativität bezeichnet. Bernhard Achhorner und Sarah Lutz folgen den Spuren der Körperlichkeit in der musikalischen Schrift und kommen so den großen Komponistinnen und Komponisten näher. „Handlungen wie das Schreiben und das Spielen von Musik sind für uns von zentraler Bedeutung. In unterschiedlichen Epochen möchten wir zeigen, wie bedeutend und prägend diese performativen Akte für das Komponieren sind“, erläutert Bernhard Achhorner, der genau wie Sarah Lutz an seiner Dissertation arbeitet. Der Wissenschaftler widmet sich dem Akt des musikalischen Schreibens und dessen Bedeutung für die Komponisten dieser Zeit wie Beethoven, Mozart, Schubert oder Haydn. Bringen Komponisten ihre Ideen zu Papier, so lassen sich noch Jahrhunderte später mögliche Gefühlsregungen in der Art und Weise ihrer Notizen erkennen, wie etwa in den Skizzen
GUSTAV MAHLER, Ausschnitt aus der Faksimile-Edition „Das Lied von der Erde. Abschied“, Den Haag 2017.
von Beethoven deutlich wird: „Seine Schrift wird kleiner und größer, schwillt an, verändert die Schräglage und entwickelt eine große Dynamik, wie sie entsteht, wenn man eilig eine spannende Idee zu Papier bringen möchte.“ So war der Akt des Schreibens für Beethoven wohl ein Hilfsmittel, seine Gedanken zu
der Komposition, die auch im Schriftbild Konsequenzen mit sich bringt. „Entscheidungen, die bis dahin im Bereich der Aufführung zu treffen waren, werden nun durch die auktoriale Verschriftlichung als Teil der Komposition angesehen und somit verbindlich gemacht“, erläutert Lutz, die verdeutlicht, dass große Traktate be-
„ Es ist nicht einfach, sich an alle Details eines dreißigminütigen Satzes zu erinnern. Habe ich aber die Notenschrift vor mir liegen, sehe ich Federico Celestini den Anfang, die Mitte und das Ende auf einen Blick.“
Im Vergleich dazu widmet sich Sarah Lutz den körperlichen Spuren in Drucken und im Digitalen. „Die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert markiert in Italien eine Zeit musikhistorischer Umbrüche. Die erste Oper und das erste Oratorium sind entstanden und der Generalbass wird eingeführt. Wir haben uns gefragt, ob sich diese Umstellungen nicht auch auf die Schrift auswirken“, so die Wissenschaftlerin. Neu ist ab diesem Zeitpunkt die Verschiebung der Grenze zwischen der früher gängigen Improvisation und
schrieben, wie beispielsweise ein Triller zu formen ist. Ähnlich dazu sucht die Musikwissenschaftlerin auch im vermeintlich streng programmierten digitalen Raum nach der Körperlichkeit: „Diese Annahme entwickelt sich genau gegensätzlich, denn im digitalen Bereich verschmelzen die Kompositionsleistung mit der performativen Leistung.“ Heute ist es möglich, mit Tasteninstrumenten, aber auch mit Wind instrumenten die Musik direkt in digitale Programme einzuspielen. Diese Form der Komposition ähnelt am Ende mehr dem Musizieren als dem Schreiben selbst, denn die Gleichzeitigkeit von Notieren und Improvisieren war so noch nie möglich. „Der digitale Raum ist im Gegensatz zu einem Blatt Papier virtuell navigierbar und der Komponist bekommt eine zusätzliche Ebene mehr an Freiheit, denn mit zwei Klicks können Dinge ersetzt oder neu angeordnet werden“, erläutert die Wissenschaftlerin. Im Austausch mit ihren Kolleginnen und Kollegen wollen Celestini, Lutz und Achhorner bis zum Projektende im Jahr 2020 zum Erstellen einer Theorie der musikalischen Schrift beitragen. dp
CLAUDIO MONTEVERDI, „Il quinto libro de madrigali“, Typendruck von Amadino, Venedig 1608.
SCREENSHOT eines Cubase 8.5 Projektes mit Markern, Tempo- und Taktspuren, MIDIund Audiospuren, Innsbruck 2019.
fassen und so seine weiteren Ideen performativ hervorzubringen und zu entwickeln. Im Vergleich soll etwa Haydn sehr strukturiert gearbeitet und bereits mit seinen Skizzen eine Reinschrift vorgelegt haben. „Zu untersuchen, welchen Stellenwert das Schreiben für die Komponistinnen und Komponisten hatte und diese Stile auch miteinander zu vergleichen, ist sehr spannend“, verdeutlicht Achhorner, der so dem musikalischen Schaffensprozess der großen Meister ganz nahekommt.
Digitale Freiheit
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SPRACHWISSENSCHAFT
DIE DIGITALISIERUNG DES BERGBAUS InnsÂbrucker Forscherinnen und Forscher arbeiten erstmals mittelalterliche Quellen zu Bergbaugebieten im Tiroler Unterland umfassend digital auf.
DER GEOINFORMATIKER Gerald Hiebel und die Sprachwissenschaftlerinnen Bettina Larl und Elisabeth Gruber (v.li.) arbeiten an der Digitalisierung zweier Bergbau-Quellen aus dem Mittelalter, hier im Tiroler Landesarchiv.
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Fotos: Andreas Friedle
SPRACHWISSENSCHAFT
V
iele der Gruben hießen nach Barbara oder Anna, das sind Bergbauheilige. Wir haben auch die Heiligen Drei Könige, die 14 Nothelfer, vergleichsweise selten aber Namen von Bergleuten als Namen der Grube“, sagt die Sprachwissenschaftlerin Elisabeth Gruber. Gemeinsam mit Bettina Larl und Gerald Hiebel widmet sie sich im Projekt „Text Mining Medieval Mining Texts“ (T.M.M.M.T.) dem Bergbau im Mittelalter – und auch die Namen der Gruben spielen eine zentrale Rolle. Konkret forschen die beiden Sprachwissenschaftlerinnen und der Geoinformatiker an zwei historischen Quellen: Das „Verleihbuch der Rattenberger Bergrichter“ (TLA Hs. 37) und das „Schwazer Berglehenbuch“ (TLA Cod. 1587). Beide Quellen beschreiben die wechselseitigen Beziehungen zwischen Grubenverleihern, Bergleuten und den einzelnen Gruben und geben außerdem Aufschluss über die geografische Verortung der einzelnen Gruben: Das „Verleihbuch“ über die Jahre 1460 bis 1463 im Bergbaugebiet Rattenberg-Brixlegg, das „Berglehenbuch“ über das Abbaugebiet Falkenstein in Schwaz um ca. 1515. Beide Quellen sind im Tiroler Landesarchiv (TLA) zugänglich. „Wir haben hier zwei einzigartige Quellen, von denen eine noch gar nicht und die zweite bereits in editierter Form in einem Buch von Wolfgang Tschan aus 2009 vorliegt. In einem ersten Schritt geht es uns darum, diese Quellen zu digitalisieren, zu transkribieren und der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen“, erklärt Bettina Larl.
Einträge in den Quellen sind meistens nach dem gleichen Schema aufgebaut: Eine Person übernimmt in diesem und jenem Gebiet die Grube mit diesem und jenem Namen. Dazu gibt es dann noch ein Datum“, erklärt Bettina Larl. Die uneinheitliche Rechtschreibung im Mittelalter ist hier eine Herausforderung, welche die beiden Wissenschaftlerinnen und der Wissenschaftler zumindest teilweise mit schon vorhandenen Registern abfedern können: Die Germanistin Yvonne Kathrein, ebenfalls von der Universität Innsbruck, hat etwa in ihrer Dissertation die historische Familiennamenlandschaft der Landgerichte Freundsberg und Rottenburg aufgearbeitet und stellt damit eine gute Quelle für historische Personennamen und deren Schreibweisen zur Verfügung. Unter anderem mit derartigen Registern funktioniert die „named-entity recognition“, also die automatisierte Erkennung von Eigennamen: Am Ende werden Tabellen mit Orts- und Personennamen stehen, die untereinander verknüpft werden können – basierend auf den semantischen Angaben in den untersuchten Quellen. „Wir haben da aber auch ein sprachwissenschaftliches Interesse: Wie wurden Namen geschrieben und was sagt uns das über den Wandel der Sprache über die Jahrhunderte, welche Benennungsmo-
Transkription
Für die Digitalisierung der Quellen nutzen die Forscherinnen und der Forscher das in Innsbruck entwickelte Tool „Transkribus“, das – nach Training auf die jeweilige Quelle – eine weitgehend automatische Transkription erlaubt. „Transkribus erleichtert uns die Arbeit sehr, aber auch hier müssen wir jeweils nochmals korrigierend eingreifen. Es sind auch undeutlich geschriebene Passagen dabei, verschmutzte Seiten oder zum Beispiel Seiten mit Wasserschäden“, sagt Elisabeth Gruber. Ein zentrales Ziel ist es, Grubenund Personennamen automatisch zu extrahieren und sie in ihrem räumlichen und zeitlichen Kontext in einer digitalen topografischen Karte darzustellen. „Die
BETTINA LARL bei der Digitalisierung der Quelle TLA Hs. 37 mithilfe des ScanTent.
tive waren maßgeblich für die Grubennamen?“, erläutert Elisabeth Gruber.
Karten der Grubenlandschaft
An der geografischen Komponente des Projekts arbeitet insbesondere Gerald Hiebel: Er entwickelt eine geografische Repräsentation der (ehemaligen) Bergbaugebiete mit genauer Zuweisung der einzelnen Gruben. „Hier hilft uns ein Verzeichnis von Stollen und Gruben aus 1961 des Geologen Herwig Pirkl. Dort sind an die 900 Stollen eingezeichnet, etwa die Hälfte auch mit Namen versehen“, erklärt er. Hier schließt sich der Kreis: Sogenannte Gazetteers, Ortsverzeichnisse, verknüpfen die Namen von Gruben, geografische Koordinaten und Jahreszahlen und erlauben, am Material weiter zu forschen. „Wir könnten uns vorstellen, dass das Material, wie wir es am Ende zur Verfügung stellen, einen guten Ausgangspunkt für Historikerinnen und Historiker bietet, zum Beispiel einzelnen Bergleuten nachzugehen – und den Datensatz dadurch auch zu erweitern, etwa mit biografischen Daten. Oder auch mit makroökomischen Informationen aus der Region zur betroffenen Zeit, je nach Fachinteresse“, sagt Hiebel. Die Daten – sowohl die Transkripte der digitalisierten Originalquellen als auch die Gazetteer-Datensätze mit Karten – werden offen zugänglich zur Verfügung stehen. „Das ist eine Bedingung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, die unser Projekt fördert, und eine Bedingung, die wir auch vollinhaltlich unterstützen. Wir wollen mit dem Projekt einerseits eine Lücke schließen, andererseits aber auch eine Basis schaffen, an der Kolleginnen und Kollegen weiterarbeiten können“, sagt Gruber. T.M.M.M.T. wird im Rahmen der Schiene „go!digital“ der ÖAW gefördert, mit der die Wissenschaftsakademie insbesondere Projekte der Digital Humanities unterstützt – Projekte aus den Geisteswissenschaften, die wissenschaftliche Fragestellungen mit technischem Know-how verbinden. Das Projekt läuft seit Februar 2019 und ist auf zwei Jahre angelegt. Ihr für das aktuelle Projekt erworbenes Know-how bringen Gruber und Larl übrigens auch in der Wissensvermittlung für Kinder ein: Im Rahmen der „Jungen Uni“ bieten sie dieses Jahr „Machine Learning für Kinder“ an. sh
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WISSENSTRANSFER
PORENTIEFER BLICK Egal ob bei Beton, Keramik oder anderen porösen Materialien, Poren haben einen großen Einfluss auf die Eigenschaften von Materialien. Ein neues Röntgenmikroskop hilft Innsbrucker Wissenschaftlern, einen tiefen Blick in die Porenräume von Materialen zu werfen.
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eit zehn Jahren gibt es an der Fakultät für Technische Wissenschaften der Universität Innsbruck das NanoLab. Dort steht seit Kkurzem ein von der Europäischen Union gefördertes Röntgenmikroskop. Dieses Mikroskop ermöglicht einen tiefen Blick in Materia lien, die inneren Strukturen können bis auf 700 Nanometer aufgelöst werden. Bei den Messungen können die Proben auch mechanisch und thermisch belastet werden. „Uns interessieren besonders die Poren, sozusagen die Luft im Material“, sagt der Materialwissenschaftler Roman Lackner vom Arbeitsbereich für Material technologie. „Der Porenraum hat einen starken Einfluss auf die physikalischen Eigenschaften der Materialien.“ Der Porenraum entsteht während der Herstellung. Je nach Herstellungsart ergeben sich klar unterscheidbare Porenräume,
die sich in Größe, Form und Verbindung der Poren voneinander unterscheiden. Darüber hinaus verändert sich der Porenraum im Zuge der Verwendung der Materialien durch thermische, mechanische aber auch chemische Prozesse. Dies spiegelt sich schließlich auch in der Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit von Materialien wider. „Mit den am neuen Röntgenmikroskop generierten Daten können wir virtuelle Modelle des Porenraums erzeugen und dadurch die Leistungsfähigkeit von Materialien modell- und simulationsbasiert bestimmen und auch optimieren“, erklärt Lackner. Zurzeit wird das Gerät im Rahmen eines vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) geförderten Kooperationsprojekts zur Optimierung von technischen Keramiken eingesetzt. Gemeinsam mit den Tiroler Partnerfirmen
Steka-Werke und Luxner Engineering wollen die Innsbrucker Wissenschaftler um Lackner die Poren in technischen Keramiken gezielt verändern und dadurch neue Anwendungsmöglichkeiten schaffen. „Diese Methode ist aber nicht auf technische Keramiken beschränkt“, betont Roman Lackner. „Die meisten Materia lien wie auch biologische Stoffe besitzen einen Porenraum, welcher die physikalischen Eigenschaften stark beeinflusst.“ Als Beispiel nennt er Baustoffe wie Beton, Dämmstoffe und Holz aber auch Biomaterialien wie Knochen. In einer Kooperation mit der Medizinischen Universität Innsbruck will Lackner zum Beispiel die Verankerung von Implantaten in gesunden und kranken Knochen untersuchen und hinsichtlich ihrer Belastbarkeit und Dauerhaftigkeit verbessern. cf
UNTERSCHIEDLICH poröse Keramikproben wurden mit dem Röntgenmikroskop untersucht und am Computer in Ausschnitten rekonstruiert. Die unterschiedlichen Porenräume sind als dunkle Bereiche deutlich erkennbar.
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Fotos: Uni Innsbruck
WISSENSTRANSFER
GENIALER VERBINDER Mit einem neuen Verbinder können Holzdecken mit einer Spannweite von über fünf Metern ohne Unterzüge realisiert werden.
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m den Betonbau durch den klimafreundlicheren Holzbau ersetzen zu können, muss sich der konstruktive Ingenieurholzbau an dessen Leistungsfähigkeit messen lassen. Eine neue Entwicklung von Mitarbeitern des Arbeitsbereichs Holzbau an der Universität Innsbruck um Roland Maderebner bringt diese Bemühungen nun um einen entscheidenden Schritt weiter. Waren für Spannweiten wie im Stahlbetonbau bisher deutlich dickere und schwerere Holzdecken notwendig, kann mit dem in Inns bruck entwickelten Spider-Verbinder der Holzbau hier in Zukunft mithalten. Der Systemverbinder, der die Decke mit der Stütze verbindet, besteht aus strahlenförmigen Auslegern, die mit Schrauben mit der Holzplatte verbunden werden. Dank einer Laststeigerung im Anschlussbereich um fast das Dreifache können die Stützen im gleichen Abstand wie bei einer Stahlbetonkonstruktion mit gleicher Deckenstärke gesetzt werden. Das große Interes-
se der Holzbauproduzenten und Verbindungsmittelhersteller an dieser Neuentwicklung zeigt das hohe Potenzial dieses Systems. Die Erfindung wurde gemeinsam mit dem project.service.buero der Universität Innsbruck zum Patent angemeldet. Die Markteinführung erfolgt nun gemeinsam mit der Südtiroler Firma Rothoblaas über eine Europäische Technische Bewertung (ETA).
DAS TIROLER PHYTOVALLEY WÄCHST WEITER
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as Phytovalley Tirol sorgt mit der Forschung zum hohen Wirkstoffpotenzial von Pflanzen nicht nur für Innovationen und Arbeitsplätze, sondern nimmt auch eine Vorreiterrolle in der erfolgreichen Anwendung ein. „Das Projekt Phytovalley ist ein LeuchtturmProjekt am Forschungsstandort Tirol. Ein großer Dank gilt den Beteiligten – allen voran Michael Popp für sein Vertrauen in das Tiroler Know-how“, sagt Landeshauptmann Günther Platter. In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche Arbeitsplätze im Bereich der Phytowissenschaften geschaffen, aktuell arbeiten rund 140 Forscherinnen und Forscher im Phytovalley. Ab Herbst 2019 nimmt das Michael-Popp-Institut an der Universität Innsbruck seine Forschungsarbeit auf, das mit 3,5 Millionen Euro von Bionorica und mit 1,5 Millionen Euro vom Land Tirol gestiftet wird. „Ziel des neuen Instituts ist es, die Pharmakognosie an der Universität auszubauen und voranzutreiben. Ab Herbst startet ein siebenköpfiges Team mit der Forschung, das bis 2020 auf 20 Personen ansteigen wird. Das bringt unser Phytovalley auf ein neues Level,“ erläutert Günther Bonn, Leiter TILMANN MÄRK, Michael Popp, Günther Bonn und des Instituts für Analytische Günther Platter (v.li.) Chemie und Radiochemie.
Fotos: P8 (1), Uni Innsbruck (1), Rothoblaas (1)
NEUES LABOR FÜR LEISTUNGSELEKTRONIK
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etar Grbović wurde zum Stiftungsprofessor für das von der Infineon Technologies Austria AG und der Universität Innsb ruck gegründete Inns bruck Power Electronics Lab (i-PEL) berufen. Mit dieser Professur verstärken Infineon Austria und die Universität ihre Kooperation im Bereich Leis tungselektronik. „Es freut mich sehr, dass es in intensiver Zusammenarbeit mit der Universität Innsbruck gelungen ist, Petar Grbović für die Stiftungsprofessur Leistungselektronik zu gewinnen. Mit seiner umfassenden internationalen Erfahrung im Industriebereich kombiniert mit intensiver Lehr- und Forschungstätigkeit deckt er das Anforderungsprofil der Professur bestens ab“, betont Sabine Herlitschka, Vorstandsvorsitzende von Infineon Technologies Austria. „Mein Ziel ist es, mit i-PEL weltweit als starker Player auf dem Gebiet der Leistungselektronik wahrgenommen zu werden“, sagt Grbović. „Neben der wissenschaftlichen Arbeit mit den Studierenden werden wir Infineon bei der Entwicklung von energieeffizienten Spitzentechnologien unterstützen. In fünf Jahren sollte i-PEL als führendes Labor für Leistungselektronik in Österreich und Europa gelten.“ Mit der Uni Innsbruck steht ein idealer Partner mit internationaler Reputation, hervorragenden Leistungen in der Grundlagenforschung und einem guten Verständnis für die Bedürfnisse der Industrie zur Verfügung. Rektor Tilmann Märk: „Die Kooperation mit Infineon Austria entspricht unserer Strategie des aktiven Wissens- und Technologietransfers in Gesellschaft und Wirtschaft sowie eines Ausbaus der technischen Wissenschaften.“
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SICHERHEITSFORSCHUNG
OPTIMAL GERÜSTET FÜR DEN ERNSTFALL Im 2018 neu gegründeten „Disaster Competence Network Austria“ werden die vielfältigen Forschungsaktivitäten im Bereich der Sicherheits- und Katastrophenforschung Österreichs erstmals gebündelt. Die Uni Innsbruck beteiligt sich am interdisziplinären Netzwerk in mehreren Bereichen.
VOR UND IM Katastrophenfall gilt es viele Aspekte zu berücksichtigen: Das Disaster Competence Network Austria arbeitet an der Bündelung der Kompetenzen in Österreich.
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estmögliche Prävention und Reaktion: Katastrophen-Ereignisse wie Hochwasser, Erdbeben, Lawinen, Erdrutsche oder auch Cyberangriffe lassen sich leider nicht immer verhindern. Das Eintreten der Katastrophen aber so gut wie möglich zu vermeiden bzw. im Krisenfall schnell und effizient zu reagieren – dazu möchte das Disaster Competence Network Austria (DCNA) einen Beitrag leisten und die bereits vorhandene Expertise in Theorie und Praxis durch interdisziplinäre Zusammenarbeit weiter verbessern und ausbauen.
Das Netzwerk zur Katastrophenprävention DCNA wurde 2018 auf Initiative der Universität für Bodenkultur (BOKU) Wien und der TU Graz ins Leben gerufen und ist als Verein organisiert. Bereits kurz nach seiner Gründung trat die Universität Innsbruck im Sommer vergangenen Jahres dem Netzwerk bei. „Ziel des Netzwerkes ist es, wissenschaftliche Erkenntnisse in die Praxis zu transferieren und sowohl in der Prävention als auch im Ernstfall als kompetenter Ansprechpartner für Einsatzorganisationen und politische Entscheidungsträgerinnen und -träger zu fungie-
Fotos: AdobeStock/ Peter Buchacher (1), Andreas Friedle (1)
SICHERHEITSFORSCHUNG ren. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Innsbruck können sich hier auf verschiedenen Ebenen mit ihrer Expertise einbringen. Wissenstransfer in Gesellschaft und Wirtschaft ist ein wichtiger Teil unseres Leitbildes an der Universität Inns bruck. Gerade in diesem Bereich ist es uns ein Anliegen, als Volluniversität mit unseren vielfältigen Kompetenzen einen Beitrag zu leisten“, erklärt Ulrike Tanzer, Vizerektorin für Forschung, die Motivation der Universität Innsbruck, am Netzwerk teilzunehmen. Neben der Universität Innsbruck sind auch die Universitäten Salzburg, Graz und die Montanuni Leoben beteiligt sowie Forschungseinrichtungen und Einsatzorganisationen aus ganz Österreich. „Aktuell liegen die Projekt-Schwerpunkte unserer Universität in den Bereichen der psychosozialen Aspekte der Katastrophenbewältigung, der Spuren- und Atemgasanalytik, des Wasserbaus sowie der Cyberrisiken. Aber auch Gebiete wie etwa die Translationswissenschaften – ein vielleicht in diesem Zusammenhang nicht sofort auf der Hand liegender Bereich – werden eine Rolle spielen“, verdeutlicht Tanzer. Die Universität Innsbruck hat die Aktivitäten im Rahmen des DCNA auch in ihrer Leistungsvereinbarung verankert und strebt einen kontinuierlichen Ausbau der beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – etwa auch mit der umfassenden Kompetenz im Forschungsschwerpunkt „Alpiner Raum“ – in allen Bereichen und Arbeitsgruppen des DCNA im Laufe der nächsten Jahre an.
Komplexe Aufgabengebiete
Das Netzwerk hat sich in fünf Arbeitsgruppen organisiert: „Massenbewegungen, Lawinen und Erdbeben“, „Kritische Infrastruktur und Industriegefahren“, „Hochwasser“, „Extremwetterereignisse“ und „Katastrophenrisiko“. Die Arbeitsgruppe „Katastrophenrisiko“ steht unter der Leitung von Barbara Juen. Die außerordentliche Universitätsprofessorin am Institut für Psychologie der Uni Innsbruck ist bereits seit 2004 fachliche Leiterin der Psychosozialen Dienste des Österreichischen Roten Kreuzes und verfügt über jahrelange Erfahrung in Theorie und Praxis der Krisenintervention. Vor rund 20 Jahren war die Psychologin Mitbegründerin des ersten Kriseninterventions-Teams beim Roten Kreuz. „Das DCNA bringt zahlreiche Expertinnen und Experten auf dem Gebiet der Katastrophenforschung zusammen. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Wissenschaft-
lerinnen und Wissenschaftlern und Einsatzkräften ist sehr fruchtbar und wichtig, wie sich bereits in den ersten Treffen in den letzten Monaten gezeigt hat“, freut sich Juen über die Etablierung des Netzwerkes. Zwei Themenbereiche standen etwa auf der Agenda eines ers ten gemeinsamen Meetings der Arbeitsgruppe, das Ende März in Wien stattfand. „Die intensiv diskutierten Themen zeigen, wie komplex die zu berücksichtigenden Aspekte sind – und zwar sowohl vor dem Eintreten einer Katastrophe als auch im Krisenfall, wenn rasches und koordiniertes Handeln vonnöten ist“, sagt Juen. Die Arbeitsgruppe „Katastrophenrisiko“ beschäftige sich dazu unter anderem mit der Frage, wie Modelle für die Nutzung von Räumen im Katastrophenfall aussehen könnten. „Hier gilt es vieles schon in der Planung von öffentlichen Gebäuden zu berücksichtigen: Wie können Räume aus baulicher, sozialer, soziokultureller und psychologischer Sicht für den Katastrophenfall gestaltet werden? Gerade in Extremsituationen ist es wichtig, dass die betroffenen Menschen nicht ‚nur’ eine Unterkunft haben, sondern sich dort auch geborgen und wohl fühlen und den Raum für kurz- oder auch langfristige temporäre Aufenthalte bestmöglich nutzen können“, so Juen. Ein weiterer Bereich der Arbeitsgruppe umfasst die Analyse von Systemrisiken unter Einbeziehung der betroffenen Bevölkerung. „Hier geht es beispielsweise um die Frage, wie Menschen sowohl im städtischen als auch im ländlichen Raum für die Katastrophenvorsorge aber auch für die Mitwirkung im Katastrophenfall aktiviert werden können. Dabei geht es um die Entwicklung einer möglichst allgemein verständlichen Kommunikationsstrategie unter Berücksichtigung von soziokulturellen Aspekten, aber auch um Berücksichtigung des lokalen Wissens vor allem auch der älteren Bevölkerung“, erklärt Barbara Juen. Im kommenden Herbst werden die jährlichen Disaster Competence Days mit Beteiligung aller Institutionen in Graz stattfinden, um die weitere Vorgehensweise und bereits erarbeitete Konzepte zu diskutieren. „Die Universität Innsbruck freut sich, Teil dieses Netzwerkes sein zu können und strebt in den zahlreichen Bereichen, die für die Krisenprävention von Bedeutung und wissenschaftlich hier angesiedelt sind, die Etablierung von Dissertantinnen- und Dissertanten-Stellen, die Anschaffung von Gerätschaften oder die Durchführung von Summer-/Winterschools an“, ergänzt Tanzer abschließend. mb
BARBARA JUEN studierte Psychologie an der Universität Innsbruck, wo sie 1989 promovierte. Seit 1992 ist Juen am Institut für Psychologie tätig, seit 2003 als außerordentliche Universitätsprofessorin. Dort leitet sie die Arbeitsgruppe Psychotraumatologie und Notfallpsychologie. Barbara Juen ist Mitbegründerin des ersten KriseninterventionsTeams des Österreichischen Roten Kreuzes und entwickelte das entsprechende Curriculum. Seit 2004 ist sie Fachliche Leiterin der Psychosozialen Dienste des Österreichischen Roten Kreuzes.
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MATHEMATIK
„ES BEWEGT SICH DOCH“ Der Mathematiker Hans-Peter Schröcker setzt mit seinem Team auf Algebra, um Mechanismen und Roboter effizienter anzutreiben.
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s schaut so einfach aus. Der Arm des Roboters hebt und senkt sich, bewegt sich vor und zurück, macht eine Drehung und am Ende ist das Werkzeug in der exakten Position, um die gewünschte Arbeit durchzuführen. Doch ganz so einfach ist es natürlich nicht, dahinter steckt eine Menge Technik und eine gehörige Portion Mathematik. Für jede Bewegung müssen die Drehgelenke des Roboters exakt und zeitlich koordiniert angesteuert werden. „Eine Möglichkeit besteht darin, die gewünschten Bewegungen am Computer zu planen“, beschreibt Hans-Peter Schröcker, Mathematiker am Arbeitsbereich für Geometrie und CAD der Universität Innsbruck, Variante 1 der Programmierung. Variante 2 findet sozusagen online mit dem Roboter statt – der Programmierer führt den Roboterarm bis zur gewünschten Werk-
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zeugposition, dieser merkt sich den Weg und spult diesen in Folge automatisiert ab. Doch beide Möglichkeiten, so Schröcker, haben den Nachteil, dass die Wege nicht optimal, nicht effizient genug sind: „Wird eine Bewegung millionenfach durchgeführt, spielt es schon eine Rolle, wie oft ein Drehgelenk dafür bewegt wird.“ Auch werden sogenannte singuläre Positionen, in denen der Roboterarm instabil oder unsteuerbar ist, großräumig umschifft, „man verliert dabei“, erklärt Schröcker, „einen großen Bereich, der nutzbar wäre.“ Schröcker und seine Kollegen vom Arbeitsbereich setzen daher beim Programmieren auf Variante 3 – algebraische Lösungsalgorithmen. „Bei Algebra ist das Schöne, dass sie garantierte Antworten liefert“, sagt Schröcker. Zudem ermöglicht sie exaktere und umfassendere Berechnungen
als die Numerik. Im konkreten RoboterAnwendungsfall werden dabei Bewegungen in mathematische Gleichungen übersetzt. Ausgangspunkt ist die geometrische Betrachtung des Problems, „das dient der effizienten algebraischen Beschreibung“. Mathematiker wie Schröcker arbeiten daran, Gleichungen „besonders schön und einfach zu formulieren“. Wie das funktioniert, demonstriert der Wissenschaftler am Beispiel zweier Geraden im Raum: „Gesucht werden alle Punkte, die von beiden Geraden den gleichen Abstand haben.“ Gleichung 1 füllt eine ganze Folie einer Power-Point-Präsentation, setzt man die Geraden allerdings in ein Koordinatensystem und macht eine Gerade zur z-Achse, wird die Gleichung schon kürzer. Trifft dann die y-Achse noch in einem bestimmten Winkel auf
Fotos: Andreas Friedle (4), Hans-Peter Schräcker (6)
MATHEMATIK
beide Geraden, befindet sich dazu deren Fußpunkt auf der y-Achse, ist die Gleichung nur mehr zwei Zeilen lang. „Noch immer nicht ganz schön“, befindet Schröcker, orientiert die Geraden am Gemeinlot, macht sie „gleichzeitig einfach“ – mit xy+pz=0 ist die Gleichung fertig.
Komplexe Mechanismen
Ähnlich den Geraden sucht Hans-Peter Schröcker die mathematische Umsetzung von Bewegungen für Objekte, die über Gelenke und Gestänge miteinander verbunden sind. Ein geschlossener Kreis etwa, bestehend aus sechs Gliedern, die jeweils mit einem Drehgelenk verbunden sind. „Normalerweise bewegt sich so etwas nicht“, sagt Schröcker, kann aber an seinem Anschauungsmechanismus zeigen, „dass es sich doch bewegt.“ Viele bewegliche Beispiele sind bekannt, aber nicht alle. Unzählige Trial-and-Error-Versuche wären eine Möglichkeit, die systematische mathematische Methode allerdings der elegantere Weg, alle möglichen Bewegungen herauszufinden. Wünscht man z.B. in der Mitte des Systems eine bestimmte Bewegung, stellt sich die Frage, wie das System aufgebaut sein muss, die Lösung „ist je nach Mechanismus ein
mehr oder weniger schwieriges mathematisches Problem“. Eine Möglichkeit besteht darin, bestimmte Schlüsselpositionen vorzugeben, die erreicht werden sollen, „anschließend“, so Schröcker, „wird ein Bewegungsvorgang gesucht, der diese Positionen interpoliert.“ Schröckers Team hat dafür ein Konzept entwickelt, wie man aus solchen Bewegungsvorgängen zu einem Mechanismus kommt. Was abstrakt und theoretisch klingt, ist im Alltag allgegenwärtig. Mischvorrichtungen funktionieren nach diesem System, Schreibtischlampen, auffaltbare Cabriodächer, zusammenklappbare Sofas – überall stecken Mechanismen dahinter. „Man muss zwischen einem Mechanismus und einem Roboter unterscheiden. Ein zusammenhängender Mechanismus hat wenig Freiheitsgrade, ändert man bei einem Gelenk den Winkel, bewegt sich alles mit – man braucht also nur einen Motor, der alles antreibt. Ein typischer Industrieroboter hingegen hat sechs miteinander verbundene Achsen, jede wird mit einem eigenen Motor separat angetrieben“, sagt Schröcker. Für so einen sechsachsigen Roboter gibt es 16 Möglichkeiten, die sechs Dreh-
HANS-PETER SCHRÖCKER studierte an der Technischen Universität Graz Mathematik und Darstellende Geometrie, wo er im Jahr 2000 dissertierte. Von 1999 bis 2003 war er als Assistent an der Universität für angewandte Kunst in Wien tätig. Im Anschluss forschte er am Institut für Diskrete Mathematik und Geometrie der TU Wien, ehe er 2004 an das Institut für Grundlagen der Technischen Wissenschaften/Arbeitsbereich Geometrie und CAD der Universität Innsbruck wechselte. 2010 führte ihn eine Gastprofessur an das Department of Computer and Graphic Science, Graduate School of Arts and Sciences, der Universität Tokyo. Schröcker habilitierte sich im Jahr 2007, 2018 wurde er als Professor für Geometrie & Kinematik an die Universität Innsbruck berufen.
gelenke einzustellen, um die gewünschte Endposition zu erreichen. Die Inns brucker Forscher haben dafür einen algebraischen Algorithmus entwickelt, diesen optimiert, beschleunigt – ohne Genauigkeit und Sicherheit zu verlieren – und an einem Prototyp implementiert. Zehn Millisekunden benötigt die Rechnung – „Das gilt als gut“, mein Schröcker. Und noch dazu so effizient wie möglich. ah
MATHEMATIKER wie Hans-Peter Schröcker wollen Gleichungen „besonders schön und einfach formulieren“. Füllt etwa die Lösung für alle Punkte, die von zwei Geraden den gleichen Abstand haben, anfangs eine ganze Seite, ist es am Ende eine kurze Zeile.
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DIE UNI INNSBRUCK FEIERT 350 JAHRE. Feiern Sie mit! Mit einem vielfältigen Programm begeht die Leopold-Franzens-Universität Innsbruck 2019 ihr 350-jähriges Bestehen. Zum Jubiläum öffnen wir die Türen und machen die Faszination von Forschung und Wissenschaft mit ihren vielen Facetten für alle erlebbar.
Das Programm und alle Informationen
www.uibk.ac.at/350-jahre
KURZMELDUNGEN
NEUES CHEMIE-STUDIUM Ab Herbst gibt es an der Universität Innsbruck mit dem Master Chemieingenieurwissenschaften einen neuen Studiengang. Ziel dabei ist es, Prozesse zu entwickeln, die es ermöglichen, Materialien möglichst kostengünstig, energieeffizient und umweltschonend herzustellen.
Neues Institut
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it dem Start des Studienjahrs 2019/2020 können Studierende an der Uni Innsbruck künftig auch eine technische Richtung im Bereich der Chemie einschlagen. „Aufbauend auf der chemischen Grundlagenforschung, die bei uns an der Fakultät betrieben
wird, konzentriert sich die technische Chemie darauf, diese auf einem industriellen Maßstab umzusetzen“, beschreibt Dekan Hubert Huppertz den Mehrwert des neuen Studiums. Ein großer Teil des Masterprogramms wird sich mit der Materialprozesstechnik auseinandersetzen.
MASTER FÜR DIGITALE KOMPETENZEN
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ie Uni Innsbruck bietet den einjährigen Universitätslehrgang „Digital Business (MSc)“ an. „Dieses Studienangebot, das alle Aspekte der Digitalisierung für Unternehmen abdeckt, ist im heimischen Raum einzigartig“, so Matthias Bank, Lehrgangsleiter und Dekan der Fakultät für Betriebswirtschaft. Ziel des Programms ist es, die Auswirkungen und Zusammenhänge der Digitalisierung von Unternehmen, Wirtschaft und Gesellschaft zu verstehen und Praxis und Theorie verknüpfen zu können. Mit dem Masterprogramm werden Absolventinnen und Absolventen im Bereich Wirtschaft, Wirtschaftsrecht oder auch der Informatik, sowie der Internationalen Wirtschaftswissenschaften angesprochen. Rund 50 Prozent der Studierenden mit einem Bachelorabschluss gehen nach dem Studium in die Wirtschaft. „Wer mit dieser Praxiserfahrung dann nach drei bis vier Jahren einen Master macht, hat einfach bessere Job-Chancen“, so Matthias Bank.
Fotos: Gerhard Berger (2), M.R.Knabl (1)
Mit der Einführung des neuen Studiums geht auch die Einrichtung eines neuen Instituts für Chemieingenieurwissenschaften einher. Dort angesiedelt werden gleich zwei neue Professorinnen oder Professoren: Eine von ADLER-Werk Lackfabrik gestiftete Professur für Chemieingenieurwesen und Materialprozesstechnik und eine vom Land Tirol gestiftete Professur für Thermische Verfahrenstechnik. Ab Oktober dieses Jahres sollen am neuen Institut zwischen zehn und 20 neue Studierende betreut werden. „Langfristig und nach Schaffung der nötigen Infrastruktur werden wir 30 und je nach Nachfrage auch mehr Studierende am neuen Institut ausbilden können“, sagt Dekan Huppertz.
NEUE PODCAST-FOLGE: WAS IST ZEIT?
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as „Was existiert, existiert in der Zeit. Umgekehrt setzt Zeit voraus, dass etwas existiert und sich dabei verändert.“ Aber was ist eigentlich die Zeit? Und was bedeutet es, zu existieren? In einer neuen Ausgabe von „Zeit für Wissenschaft“, dem Podcast der Universität Innsbruck, geht es um die Zeit und ihr (vielleicht vermeintliches) Vergehen. Melanie Bartos spricht mit Peter Kügler, dem Leiter des Instituts für Philosophie der Uni Innsbruck, über die Frage, was Zeit eigentlich ist – von Aristoteles bis zur Quantentheorie. Zu hören hier: www.bit.ly/zfw-zeit
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NEUROWISSENSCHAFTEN
IM ZEICHEN DER ZELLKOMMUNIKATION Innsbrucks Neurowissenschaftler haben ihre Expertise in einem Spezialforschungsbereich (SFB) gebündelt, um Erkrankungen des Zentralnervensystems besser zu verstehen. Koordinator und Forscher Jörg Striessnig zieht nach acht Jahren Bilanz. ZUKUNFT: 2011 wurde der SFB „Cell signaling in chronic CNS disorders“ durch den Wissenschaftsfonds FWF genehmigt. Vor welchen Herausforderungen standen Sie als Koordinator? JÖRG STRIESSNIG: Die grundsätzliche Herausforderung für die Etablierung eines solchen institutionen- und fächerübergreifenden Netzwerks ist, dass man ganz klar umrissene Fragestellungen definiert, welche die lokale Stärke in der Forschung abbilden. Gemeinsam mit der Medizinischen Universität haben wir hier am Standort eine hohe neurowissenschaftliche Forschungskompetenz im Bereich chronischer Erkrankungen des Zentralnervensystems. Diese durch die Auswahl geeigneter Forschungsgruppen zu bündeln, das Team durch regelmäßigen
Austausch zusammenzuschweißen und an einem Strang ziehen zu lassen, waren die Meilensteine, die wir im hochkompetitiven, zweistufigen Genehmigungsprozess mit internationalen Expertengutachtern erfolgreich erreicht haben. ZUKUNFT: Am SFB hat man sich auf zwei Signalwege der Zellkommunikation fokussiert, die im Zusammenhang mit mehreren neurologischen Erkrankungen stehen… STRIESSNIG: …genau. Es hat sich herauskristallisiert, dass einerseits eine lokale Kompetenz in der Forschung an Ionenkanälen besteht, anderseits im Bereich der epigenetischen Regulationsmechanismen. Beide Mechanismen regulieren die Aktivität neuronaler Schaltkreise und sind dadurch auch für die Entstehung
neuropsychiatrischer und neurodegenerativer Erkrankungen relevant. Diese Krankheitsmechanismen – mit Fokus auf Morbus Parkinson, Multiple System Atrophie, Morbus Alzheimer, Angststörungen und Autismus – auf molekularer Ebene besser zu verstehen und Möglichkeiten zu finden, wie man sie pharmakologisch beeinflussen kann, war unser Ziel. Auf die Praxis bezogen heißt das, dass wir uns auf die Suche nach geeigneten Ansatzpunkten für mögliche neue Therapien gemacht haben. Man darf nicht vergessen, dass der Leidensdruck durch chronische Erkrankungen des Zentralnervensystems enorm und die bestehenden medikamentösen Therapien oft unbefriedigend sind. ZUKUNFT: Waren diese Forschungsschwerpunkte so vielversprechend wie erwartet?
„ Basierend auf den Initiativen, die im Rahmen des SFB gestartet wurden, arbeiten wir bereits an NachfolgeproJörg Striessnig jekten.“
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Fotos: Andreas Friedle (1), Stefanie Geissler (1)
NEUROWISSENSCHAFTEN DER SPEZIALFORSCHUNGSBEREICH „Cell signaling in chronic CNS disorders“ (SFB F-44) wurde durch den Wissenschaftsfonds FWF mit insgesamt ca. 7,5 Millionen Euro über zwei Finanzierungsperioden von acht Jahren gefördert. Zusätzliche Unterstützung (ca. zwei Millionen Euro) kamen von den Rektoraten der Universität Innsbruck, der Medizinischen Universität und vom Land Tirol. Jörg Striessnig (Institut für Pharmakologie und Toxikologie) leitete über acht Jahre lang mit seinen Stellvertretern von der Medizinischen Universität Innsbruck, Gregor Wenning und Nadia Stefanova, die Geschicke des SFB. Insgesamt lieferten 13 Teilprojekte Ergebnisse, die in über 200 Publikationen veröffentlicht wurden – fast ausschließlich in Peer Reviewed Journals. Mehr als 120 WissenschaftlerInnen und StipendiatInnen aus dem In- und Ausland leisteten Beiträge zur Forschung. Vier Universitäten waren mit ihren Forschungsgruppen am Konsortium beteiligt: Universität Innsbruck: Nicolas Singewald: Pharmakologie und Toxikologie • Jörg Striessnig, Alexandra Koschak: Pharmakologie und Toxikologie Medizinische Universität: Georg Dechant, Galina Apostolova: Neurowissenschaften • Francesco Ferraguti: Pharmakologie • Alexander Hüttenhofer, Diana Scutelnic: Genomik und RNomik • Gerald Obermair, Bernhard Flucher: Physiologie • Nadia Stefanova, Gregor Wenning: Universitätsklinik für Neurologie • Christian Humpel, Josef Marksteiner: Universitätsklinik für Allgemeine und Sozialpsychiatrie • Alexandra Lusser: Molekularbiologie Paracelus Medizinische Privatuniversität: Ludwig Aigner, Sebastien Couillard-Despres: Molekulare Regenerative Medizin Universität Ulm: Birgit Liss: Angewandte Physiologie
STRIESSNIG: Ja auf jeden Fall. Das zeigt
sich auch in der Vielzahl an Publikationen und Erwähnungen in international renommierten wissenschaftlichen Journalen. Vier davon zählen im Web of Science bereits zu den sogenannten „Highly Cited Papers“ – finden also besonders viel Beachtung in Fachkreisen. Aber natürlich entwickelt sich so ein Forschungsnetzwerk niemals nur so, wie man es plant, schon gar nicht über acht Jahre. Es sind Aspekte weggefallen, aber auch neue dazugekommen – beispielsweise in der neuropsychiatrischen Forschung. ZUKUNFT: Der Output des SFB ist tatsächlich beeindruckend, können Sie dennoch das eine oder andere wichtige – vielleicht auch unerwartete – Forschungsergebnis hervorheben? STRIESSNIG: Gemeinsam mit unserem Forschungsnetzwerk haben MitarbeiterInnen meiner Arbeitsgruppe beispielsweise entdeckt, dass bestimmte Ionenkanal-Fehlfunktionen, die genetisch entstehen, zu einer seltenen Form von Autismus führen, meist assoziiert mit zusätzlichen neurologischen Symp tomen, wie etwa Epilepsie, und dass bereits am Markt befindliche, Blutdruck senkende Medikamente verwendet werden könnten, um Symptome bei diesen Patienten und Patientinnen zu verbessern. Wir sind aktuell dabei, dies in präklinischen Studien zu beweisen. Nicolas Singewald und sein Team haben heraus-
gefunden, dass ein ebenfalls im Einsatz befindliches Parkinson-Medikament – das sogenannte L-Dopa – dazu dienen könnte, die Erinnerung an bestimmte Angst auslösende Ereignisse leichter wieder zu löschen. In Kooperation mit einem deutschen Forschungsnetzwerk konnte diese Hypothese bereits in einer klinischen Studie an gesunden Probanden bestätigt werden. Und in diesem Zusammenhang möchte ich noch eine Entwicklung nennen: Ein Teil des Konsortiums – nämlich die Gruppe von Ludwig Aigner an der Paracelsus Medizinischen Universität – hat begonnen, sich sehr stark auf Entzündungszellen zu fokussieren, die im Gehirn beobachtet werden und zwar sowohl im Rahmen des Alterungsprozesses, als auch beispielsweise bei Morbus Alzheimer. Und auch in diesem Fall gibt es Hinweise aus präklinischen Untersuchungen, die vermuten lassen, dass ein derzeit in der Asthmatherapie verwendetes, gut verträgliches Medikament die Abnahme von Gedächtnisleistungen verzögern könnte. Auch dazu laufen bereits klinische Studien. ZUKUNFT: Welcher Mehrwert ist durch das Forschungsnetzwerk noch entstanden? STRIESSNIG: Ein Spezialforschungsbereich stellt ausreichend Mittel zur Verfügung, mit welchen internationale Spitzenforscher zu Vorträgen und zum Wissens transfer nach Innsbruck geholt werden können. Das ist insbesondere auch für
unsere NachwuchswissenschaftlerInnen von großer Bedeutung. So konnten wir auch eine ganze Reihe von internationalen Kongressen organisieren. Ein ganz wesentlicher Punkt war außerdem, dass wir ein externes Beratergremium hatten, dessen Feedback unglaublich wichtig für uns war. Außerdem haben wir uns darum bemüht, über unterschiedlichste Formate die Neurowissenschaften und unsere Forschung einer breiteren Öffentlichkeit näherzubringen. Wir haben beispielsweise Mitmachstationen entwickelt, die wir bei Veranstaltungen, aber auch in Schulen zeigen. Es gab im Rahmen eines von uns jährlich organisierten Tag des Gehirns (Brain-Day) auch Abendvorträge zu unterschiedlichen, das Gehirn betreffende Gesundheitsthemen wie z.B. Angsterkrankungen, Burn-Out, Autismus, die immer sehr gut besucht waren. Auch nach Auslaufen unseres Forschungsnetzwerks wollen wir diese Aktivitäten fortführen. ZUKUNFT: Und wie geht es nach dem Auslaufen des SFB weiter? STRIESSNIG: Natürlich wollen wir die Kooperationen weiter aufrechterhalten und sogar auf andere Gruppen ausweiten, um so den Forschungsstandort in den Neurowissenschaften weiter zu stärken und das Momentum des SFB dabei ausnützen. Basierend auf den Initiativen, die im Rahmen des SFB gestartet wurden, arbeiten wir bereits an Nachfolgeprojekten. ef
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KARRIERE GIPFEL 12. – 14. 11. 2019
DIE KARRIEREGIPFEL DER UNIVERSITÄT INNSBRUCK – SEIEN SIE EINEN SCHRITT VORAUS! Ihre Möglichkeit zur persönlichen Kontaktaufnahme mit den Nachwuchskräften von morgen. Informationen finden Sie unter: www.karrieregipfel.at Melden Sie sich jetzt an! Je kleiner das Unternehmen, desto kleiner der Preis.
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FÖRDERUNGEN
INGEBORG HOCHMAIR mit den neu berufenen Professorinnen Ivana Stiperski (links) und Gina Moseley (rechts).
HOCHMAIR-PROFESSORINNEN Die Meteorologin Ivana Stiperski und die Paläoklimatologin Gina Moseley wurden als neue IngeborgHochmair-Professorinnen berufen. Mit diesen nach der erfolgreichen Tiroler Unternehmerin benannten Professuren fördert die Universität Frauenkarrieren.
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issenschaftliche Karrieren von Frauen an der Uni Innsb ruck zu fördern, liegt der Universitätsleitung sehr am Herzen. Zur Förderung exzellenter Wissenschaftlerinnen schreibt die Universität Innsbruck seit 2016 auf fünf Jahre befristete IngeborgHochmair-Frauenprofessuren aus. „Mit Gina Moseley und Ivana Stiperski konnten auch bei der zweiten Ausschreibung der Hochmair-Frauenprofessuren zwei ausgezeichnete Nachwuchswissenschaftlerinnen berufen werden. Ich bin mir sicher, dass die beiden jungen Kolleginnen von der Fakultät für Geo- und Atmosphärenwissenschaften ihren Weg erfolgreich fortsetzen und die ihnen gebotene Chance nützen werden. Dass eine Hochmair-Professur wie von uns geplant als Sprungbrett funktionieren kann, hat Daniela Schuster bewiesen, die inzwischen an die Paracelsus Medizinische Privatuniversität in Salzburg berufen wurde“, so Ulrike Tanzer, Vizerektorin für Forschung an der Uni Innsbruck. Im Jahr 2017 wurde neben Schuster auch
Foto: Uni Innsbruck
die Quantenphysikerin Tracy Northup als Ingeborg-Hochmair-Professorin berufen. „Mit Ingeborg Hochmair leiht ein idealtypisches ‚Role Model’ diesem Programm seinen Namen. Dafür sind wir der erfolgreichen Forscherin und Unternehmerin sehr zu Dank verpflichtet“, betont Rektor Tilmann Märk. Ivana Stiperski arbeitet mit experimentellen Daten aus aller Welt an der Entwicklung einer universellen Theorie der oberflächennahen atmosphärischen Turbulenz. Eine solche Theorie würde nicht nur das grundlegende Verständnis dafür erhöhen, wie die komplexen Verhältnisse Turbulenz beeinflussen, sondern letztlich auch genauere Wettervorhersagen und Klimaprognosen ermöglichen. Stiperski kam 2011 an die Universität Innsbruck und arbeitete in der Gruppe von Mathias Rotach über bergige Grenzschichten sowie am Aufbau der Messplattform i-Box. Seit 2015 war sie Hertha-Firnberg-Stipendiatin des FWF. Neben der Forschung unterstützte sie mit ihren Prognosen auch mehrere Bergsteigexpeditionen, darunter
die kroatischen Frauenexpeditionen auf den Cho Oyu und den Mount Everest. Gina Moseley möchte mit ihren Forschungen zu einem besseren Verständnis der Entwicklungen des Klimas beitragen. Die Paläoklimatologin untersucht anhand von Analogien aus den letzten 500.000 Jahren, wie sich das Klima und die Umwelt in einer sich schnell verändernden und wärmeren Welt verändern. Dazu rekonstruiert sie Aufzeichnungen über vergangene Klima- und Umweltveränderungen aus geochemischen Variationen, die Schicht für Schicht in Höhlenmineralablagerungen wie z.B. Stalagmiten eingeschlossen sind. Ihre zukünftige Forschung wird sich auf die arktische und periglaziale Umwelt konzentrieren, die beide sehr empfindlich auf den Klimawandel reagieren. Moseley kam 2011 an die Universität Innsbruck und forschte hier in der Gruppe von Christoph Spötl an rasanten Klimaveränderungen der letzten Eiszeit. 2015 erhielt sie ein Hertha-Firnberg-Stipendium, 2018 den österreichischen START-Preis.
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PREISE & AUSZEICHNUNGEN NEUE ÖAW-MITGLIEDER
Martin Korenjak wurde Mitte April zum korrespondierenden Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gewählt. Er ist seit 2009 Professor für Klassische Philologie an der Uni Innsbruck und erhielt 2017 einen Advanced Grant des Europäischen Forschungsrats. In die Junge Akademie aufgenommen wurde die Geologin Gina Moseley. Sie ist IngeborgHochmair-Professorin und erhielt 2017 einen START-Preis. Insgesamt 19 Wissenschaftlerinnen und zehn Wissenschaftler verstärken künftig die Reihen der ÖAW. EHRENKREUZ Für seine Verdienste um den Verband der Professorinnen und Professoren der Universität Innsbruck und der Medizinischen Universität Inns bruck (UPVI), dessen Vorsitzender er zwei Jahrzehnte war, und sein wissenschaftliches Werk im Bereich der englischsprachigen Literatur- und Kulturwissenschaft wurde der emeritierte Anglist Wolfgang Zach mit dem Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse ausgezeichnet. HOUSKAPREIS Der Quantenphysiker Wolfgang Lechner erhielt im Mai den mit 150.000 Euro dotierten Houskapreis in der Kategorie „Universitäre Forschung“. Lechner wurde für die Entwicklung eines spezialisierten Quantencomputers ausgezeichnet, der Optimierungsaufgaben effizienter lösen kann als jeder bisherige Algorithmus. Auf dieser Architektur basierend baute Lechner eine Forschungsgruppe auf, die sich mit fundamentalen Eigenschaften, HardwareRealisierungen und Anwendungen dieser Technologie beschäftigt.
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LIECHENSTEIN-PREIS Der Preis des Fürstentums Liechtenstein für wissenschaftliche Forschung an den beiden Innsbrucker Universitäten stand heuer im Zeichen von 300 Jahre Fürstentum Liechtenstein und 350 Jahre Leopold-Franzens-Universität Innsbruck.
PREIS-ÜBERREICHUNG: Gert Mayer (Medizinuni Innsbruck), Ulrike Tanzer (Uni Inns bruck), die Preisträger Eduard Stefan, Farokh Mivehvar und Andreas Mair sowie Liechtensteins Regierungsrätin für Bildung, Inneres und Umwelt Dominique Hasler (v.li.)
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er Preis des Fürstentums Liechtenstein wird seit 1983 jährlich verliehen und zählt zu den renommiertesten Auszeichnungen für wissenschaftliche Forschung an der Universität Innsbruck und der Medizinischen Universität Innsbruck. Dominique Hasler, Regierungsrätin für Bildung, Inneres und Umwelt des Fürstentums Liechtenstein, betonte die gute Beziehung zwischen dem Fürstentum Liechtenstein und den beiden Innsb rucker Universitäten: „Ich bin sehr dankbar für die hervorragende Zusammenarbeit, denn der gegenseitige Zugang zum jeweiligen Hochschulraum ist sehr wertvoll.“ Auch für Rektor Tilmann Märk ist der Liechtenstein-Preis von großer Bedeutung: „Die Auszeichnung ist für unsere Forscherinnen und Forscher eine große Anerkennung. Es freut mich, auch in diesem Jahr wieder zu Forschung auf höchstem Niveau gratulieren zu dürfen.“ 2019 konnte er Eduard Stefan, Farokh Mivehvar und Andreas Mair von der Uni Inns bruck sowie Marta Campiglio von der Medizinuni Innsbruck gratulieren. Eduard Stefan vom Institut für Bio chemie wurde für eine Arbeit zu SecondMessenger-Molekülen ausgezeichnet. Wenn Zellen im menschlichen Körper miteinander kommunizieren, überneh-
men membranständige Proteine die Signalweiterleitung. Second-MessengerMoleküle sind an der Umwandlung von extrazellulären in intrazelluläre Signale beteiligt. Der Biochemiker charakterisierte mit seiner Arbeitsgruppe Proteine, die durch diese Moleküle aktiviert werden. Der aus dem Iran stammende Quantenphysiker Farokh Mivehvar erhielt den Preis für seine Forschung an Systemen aus Licht und Atomen. Diese erlauben es, komplexe Quantenphänomene zu simulieren und so kontrolliert zu analysieren. In drei Artikeln untersuchte er mit Kolleginnen und Kollegen an der Uni Innsbruck die Selbstorganisation ultrakalter Atome, die an dynamische Hohlraumfelder gekoppelt sind. Jurist Andreas Mair erhielt die Auszeichnung für seine Arbeit zur rechtlichen Stellung von Kollektivverträgen, in der er die Problempunkte der gesetzlich angeordneten Außenseiterwirkung analysiert und ein Modell erarbeitet, das die Vereinbarkeit der Außenseiterwirkung mit den Vorgaben der Rechts- und Verfassungsordnung sicherstellen soll. Marta Campiglio arbeitet an spannungsaktivierten Kalziumkanälen und zeigte, wie die Feineinstellung des Kalziumeinstroms in Muskel- und Nervenzellen bewerkstelligt wird.
Fotos: Uni Innsbruck (4), Robbie Shone (1)
PREISE & AUSZEICHNUNGEN US-PREIS
INTERNATIONAL GEWÜRDIGT Die Quantenphysiker Rainer Blatt und Peter Zoller wurden im Frühjahr für ihre herausragenden Leistungen mehrfach international ausgezeichnet.
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ie chinesische Micius Quantum Foundation vergibt in diesem Jahr zum ersten Mal Preise zur Förderung herausragender anwendungsoffener Forschung in der Quantenphysik. Die mit bis zu einer Million Yuán (jeweils rund 150.000 US-Dollar) dotierten Auszeichnungen gehen heuer an zwölf Physiker, die mit ihren Arbeiten wichtige Grundlagen in der Quantenforschung geschaffen haben, mit denen weltweit neue Anwendungsmöglichkeiten eröffnet werden. Allein fünf der Preisträger sind oder waren an der Uni Innsbruck tätig: der Experimentalphysiker Rainer Blatt (Universität Innsbruck, IQOQI) erhält einen Micius-Preis für seine wegweisenden Experimente zu Quantencomputern, der Theoretische Physiker Peter Zoller (Universität Innsbruck, IQOQI) mit seinem ehemaligen Innsbrucker Kollegen Ignacio Cirac (Max-Planck-Institut für Quantenoptik) für entscheidende theoretische Arbeiten zu Quantenrechnern. Anton Zeilinger (Universität Wien, ÖAW) wird mit seinem ehemaligen Doktoranden Jian-Wei Pan (Chinesische Universität der Wissenschaften und Technik) für bahnbrechende Experimente
Foto: IQQOI/M.R.Knabl (1), Uni Innsbruck (2), privat (2)
zu sicherer Quantenkommunikation über lange Distanzen ausgezeichnet. Die Auszeichnung wird im September in der chinesischen Stadt Hefei verliehen. Ebenfalls Ende April wurde Blatt als „Foreign Associate“ in die USamerikanische National Academy of Sciences (NAS) gewählt. Die NAS ist eine der ältesten und angesehensten Wissenschaftseinrichtungen der USA. Sie wurde durch Abraham Lincoln 1863 ins Leben gerufen, mit der Aufgabe, die Regierung und Öffentlichkeit in wissenschaftlichen Fragen zu beraten. Sie zählt aktuell 2.347 US-amerikanische Mitglieder aus verschiedenen Disziplinen sowie 487 assoziierte Mitglieder im Ausland. Neben Blatt sind mit Wolfgang Lutz, Peter Schuster, Rudolf Zechner, Zeilinger und Zoller nun insgesamt sechs Österreicher in der NAS vertreten. Anfang Mai wurde Peter Zoller für seine Leistungen ein Ehrendoktorat der University of Colorado Boulder verliehen. Zoller war vor seiner Berufung nach Innsbruck vier Jahre Professor in Boulder sowie Fellow am JILA und arbeitet noch heute mit dortigen Forschungsgruppen eng zusammen.
Eine Forschungsarbeit von Physikern um Hans Briegel (im Bild) und Anton Zeilinger wurde mit dem Cozzarelli-Preis der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS) ausgezeichnet. In der Arbeit präsentieren die österreichischen Forscher ein lernfähiges Computerprogramm, das basierend auf einem in Innsbruck entwickelten Modell für künstliche Intelligenz eigenständig Quantenexperimente entwerfen kann. Die Auswahl der sechs besten Beiträge aus den 3.200 im Vorjahr erschienenen Artikeln traf die Redaktionsleitung der Zeitschrift. WASSER-PREIS Barbara Brinkmeier erhielt mit ihrem Team vom Arbeitsbereich Wasserbau beim Neptun Wasserpreis 2019 den zweiten Preis in der Kategorie Forschung. Ausgezeichnet wurde sie für die Entwicklung eines Elektro-Seilrechens zum Schutz von Fischen vor Wasserkraftanlagen. Ähnlich wie ein elektrischer Weidezaun hält dieser die Tiere von gefährlichen Turbinen ab und leitet sie zu Abstiegsrouten weiter. Die Stromschläge im Niedrigvoltbereich sind für die Tiere ungefährlich. Die Wirkung der Anlage wurde in mehreren Versuchen nachgewiesen. WEISS-PREIS Der von der WeissWissenschaftsstiftung verliehene Forschungsförderungspreis wurde im Bereich Meteorologie bereits zum dritten Mal an einen Forscher der Uni Innsbruck verliehen. Das mit rund 400.000 Euro geförderte Projekt von Christoph Spötl soll jenseits der instrumentellen Messperiode Klimadaten der sogenannten „Kleinen Eiszeit“ erheben, jener kühlen und wechselvollen Klimaperiode, die von etwa 1250 bis 1850 n. Chr. währte. Der Geologe wird dazu Eishöhlen in den österreichischen Ostalpen im Hinblick auf darin gespeicherte Klimaparameter untersuchen.
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ZWISCHENSTOPP INNSBRUCK
RELIGIÖSE BILDUNG IN EINER PLURALEN GESELLSCHAFT Als Professor für Islamische Religionspädagogik an der Universität Ankara beschäftigt sich Cemal Tosun vor allem mit der religiösen Bildung muslimischer Kinder in Deutschland und in anderen europäischen Ländern. Im Frühjahr war er an der Uni Innsbruck zu Gast.
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uf Einladung von Zekirija Sejdini von der Fakultät für LehrerInnenbildung besuchte Cemal Tosun im März und April die Universität Inns bruck. „Da wir uns von früher kannten und ich die erfreulichen Entwicklungen im Bereich der islamischen Theologie und Religionspädagogik an der Universität Innsbruck kenne, habe ich die Einladung zur Gastprofessur mit großer Freude angenommen“, sagt Tosun, der im Rahmen des GastprofessorInnenprogramms der Universität in Innsb ruck weilte. „Eine Internationalisierung im Bereich der Islamischen Religionspädagogik ist für die Etablierung und Akzeptanz dieses Fachgebiets in Österreich dringend notwendig“, ergänzt Zekirija Sejdini vom Institut für Islamische Theologie und Religionspädagogik. „Dabei können wir vor allem von jenen Ländern profitieren, deren Universitäten im Bildungs-
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bereich international als sehr renommiert wahrgenommen werden. Das kann neue Wege in der Ausbildung schaffen, die internationale Vernetzung und Kooperation stärken, aber auch helfen, mancher Skepsis vor Ort entgegenzuwirken“, betont Sejdini.
Wissenschaftliche Fundierung
Die größte Herausforderung für die Islamische Religionspädagogik sieht Gastwissenschaftler Cemal Tosun in der wissenschaftlichen Fundierung seines Fachbereichs. Die Frage nach den Grundlagen seines Faches war deshalb auch ein wichtiges Thema in der Zusammenarbeit mit Zekirija Sejdini und seinem Team. „Natürlich habe ich mich hier auch in das sehr spannende Projekt der interreligiösen Religionspädagogik, welches gemeinsam mit der katholischen Religionspädagogik an der Universität Innsbruck entwickelt wird, eingebracht.“
Für die Studierenden bot Cemal Tosun eine Lehrveranstaltung zum Thema islamische außerschulische Bildungsarbeit an. Daneben hielt der Professor am Institut für Islamische Religionspädagogik mehrere Vorträge, in denen er versucht hat, Menschen für Bildung, Zusammenleben und Integration und damit auch für das Studium zu sensibilisieren. cf
CEMAL TOSUN ist Professor für Islamische Religionspädagogik an der Theologischen Fakultät der Universität Ankara. Er beschäftigt sich mit religiöser Bildung und neuen Ansätzen im Religionsunterricht und war an verschiedenen europäischen Universitäten in Forschung und Lehre tätig. Am Institut für Islamische Theologie und Religionspädagogik wirkt er im Sommersemester 2019 als Gastprofessor in Lehre und Forschung mit.
Foto: Uni Innsbruck
SPRUNGBRETT INNSBRUCK
SCHWIERIGE PROBLEME LÖSEN Die in Vorarlberg geborene Biochemikerin Karolin Luger erforscht an der University of Colorado die Verpackung des Erbguts in Zellen.
K
arolin Luger hat sich immer schon für die Natur interessiert, und hier vor allem für die Botanik. Was sie dazu in der Schule hörte, langweilte sie eher. Und dass ihr Biologielehrer keine Ahnung davon hatte, wie bei der Synthese von Proteinen in der Zelle die TransferRNA mit der richtigen Aminosäure beladen wird, war für sie ein Erweckungserlebnis: „Das hat mir die Augen geöffnet, dass es noch viele Rätsel zu lösen gilt“, sagt die Biochemikerin mit Vorarlberger Wurzeln. Es war der Start einer wissenschaftlichen Karriere, die Karolin Luger über Innsbruck, Basel und Zürich nach Boulder, USA, geführt hat, wo sie heute als Professorin für Strukturbiologie an der University of Colorado arbeitet. Im Mikrobiologiestudium an der Universität Innsbruck konnte Luger endlich etwas Spannendes lernen, wie sie sagt. Vor allem die Vorlesungen in Molekularbiologie und Biochemie faszinierten sie. Neben dem Studium lernte sie hier neue Freunde kennen und genoss die winterlichen Skitouren in den Bergen. Fachlich spezialisierte sie sich rasch auf Biochemie und arbeitete mit Professor Manfred Schweiger. „Hier erlebte ich täglich die sehr hart arbeitenden Doktoranden, die oft frustriert, immer aber motiviert und sehr kollegial waren“, erinnert sich Luger an die leidenschaftlich geführten Diskussionen am Mittagstisch über experimentelle Erfolge und Misserfolge. „Da wusste ich, dass das genau das Leben ist, das ich führen möchte.“
Schönheit der Strukturen
„Ich liebe es, schwierige Probleme zu lösen“, beschreibt Karolin Luger ihr Arbeitsmotto. Dies bewies sie auch, als sie nach dem Abschluss ihrer Studien in Innsbruck nach Basel und später nach Zürich ging, um an der ETH in ein neues
Foto: Angie D. Branson
„ Wir untersuchen, wie das kompliziert verpackte Erbgut mit den nuklearen Maschinen interagiert, um Gene zu übersetzen.“ Gebiet, die Kristallografie, einzutauchen. Nach unzähligen Misserfolgen und sehr langer, harter Arbeit gelang es ihr und ihren Kollegen erstmals die Struktur der Nukleosomen aufzuklären. Die in Nature veröffentlichte und international gefeierte Beschreibung dieser ersten Verpackungsstufe der DNA im Zellkern beflügelte die weitere Erforschung des Chromatins, in dem das Erbgut verpackt ist. An diesem Thema arbeitet Karolin Luger auch heute noch: „Wir untersuchen, wie das kompliziert verpackte Erbgut mit den nuklearen Maschinen interagiert, um Gene zu übersetzen. Im Prinzip sind wir an der ‚Mechanik‘ dieser Prozesse interessiert.“ Um hier weitere Einblick zu gewinnen, etabliert sie aktuell gerade die Elektronenmikroskopie an ihrer Uni-
Karolin Luger
versität. „Das ist eine ganz spannende Methodik, die in den letzten Jahren revolutioniert wurde.“ Im Labor arbeitet sie freilich nur noch selten, sie versteht sich heute vor allem als Vermittlerin und Unterstützerin für ihre talentierten Mitarbeiter. Luger, die schon vielfach ausgezeichnet und ihm Vorjahr in die US-amerikanische National Academy of Sciences aufgenommen wurde, genießt ihre Wahlheimat Colorado. „Ich liebe die Weite, das ‚ländliche‘ Gefühl und den unkomplizierten Lebensstil“, schwärmt sie. Doch auch ihre Vorarlberger Heimat vermisst sie manchmal. „Vorarlberg hat den See, die Berge, und jede Menge Natur, und wäre deshalb fast perfekt für einen Outdoor-Menschen wie mich.“ cf
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ESSAY
SPUREN DER GESCHICHTE Zeithistoriker Dirk Rupnow zum Umgang mit der Innsbrucker Universitätsgeschichte im Jubiläumsjahr.
„Es entstand der Entschluss, die Sondierungsbohrungen in die Vergangenheit als ein Mahnmal offen zu lassen.“
DIRK RUPNOW studierte in Berlin, Wien und Klagenfurt Geschichte, Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte. Er forscht und lehrt seit 2009 am Institut für Zeitgeschichte der Uni Innsbruck, das er von 2010 bis 2018 auch leitete. Seit 2018 ist er Dekan der PhilosophischHistorischen Fakultät. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in der europäischen Zeit- und Gegenwartsgeschichte, der Wissenschafts- und Migrationsgeschichte, den Holocaustund Jüdischen Studien sowie im Bereich von Erinnerungskulturen und Geschichtspolitiken.
Den Essay in gesamter Länge finden Sie auf der Homepage der Uni Inns bruck unter:
www.uibk.ac.at/forschung/magazin
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as österreichische Gedenk- und Erinnerungsjahr 2018 bot nicht nur Anlass, Erfolge zu feiern – die Republikgründung 1918, aber auch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen im Dezember 1948 –, sondern machte vor allem die Gefährdetheit von Demokratie sichtbar, denn wir wurden gleichzeitig an ihren Untergang erinnert: Durch die von Engelbert Dollfuß betriebene Ausschaltung des Parlaments vor jetzt mittlerweile 86 Jahren Anfang März 1933; und durch den – von den meisten bejubelten – sogenannten „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich vor heuer 81 Jahren Mitte März 1938, auf den schließlich Verfolgung, Krieg und Völkermord folgten. Der Blick in die 350-jährige Universitätsgeschichte lässt währenddessen nicht nur deutlich werden, wie tiefgreifend sich diese Institution Universität verändert hat und wie sich die Wissenschaften in einem ständigen Wandlungsprozess befinden – im Sinne des wissenschaftlichen Fortschritts ebenso wie ihres Selbstverständnisses und Funktionierens und ihres Verhältnisses zu Gesellschaft und Politik. Auch Wissenschaft ist ständig Gefährdungen ausgesetzt, allerdings nicht nur von außen, wie es gängige Begriffe wie „missbrauchte Wissenschaft“ nahelegen. Wissenschaftler selbst und so auch Angehörige dieser Universität haben keinesfalls immer „ihr Wissen und Können in sozialer Verantwortung eingesetzt, zum Abbau von Irrtum und Vorurteilen beigetragen und sich um eine Kultur der geistigen Freiheit und Toleranz bemüht.“ – wie wir es heute unsere AbsolventInnen geloben lassen – und obwohl sie früher auch Menschlichkeit gegen alle, Redlichkeit und Gerechtigkeit gelobt haben. So kann dies kein selbstzufriedenes Jubeljahr für die Universität sein, wie 2018 kein selbstzufriedenes Jubeljahr für die Republik war – zumal in einer Zeit, die einerseits zwar wissenschaftsgläubig ist, allerdings gleichzeitig immer wissenschaftsfeindlicher wird. Aber auch in einer Zeit, in der – durchaus global – soziale Verantwortung, geistige Freiheit und Toleranz erneut in Frage stehen und der Abbau von Irrtum und Vorurteilen keineswegs mehr selbstverständlich ist, sondern eher deren Wiederkehr betrieben wird.
Als emblematisch für die Verstrickung der Universität Innsbruck in den Nationalsozialismus und den Umgang damit nach dem Krieg kann die Gestaltung der Aula gelten: In Übererfüllung der Vorgaben gab der damalige Rektor Harold Steinacker kurz nach dem „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland das Mosaik einer Hitler-Darstellung für die Stirnseite der Aula in Auftrag. Die Vorlage lieferte der Inns brucker Künstler Hubert Lanzinger – unter Rückgriff auf sein Gemälde „Der Bannerträger“, das Adolf Hitler in silberner Rüstung zu Pferde zeigt, mit der Hakenkreuzfahne in der Hand. Nach Kriegsende 1945 wurde das Mosaik offenbar weitgehend abgeschlagen und zunächst durch eine neutrale Putzoberfläche übertüncht. 1947 wurde an der Stelle eine stuckumrahmte Tafel mit dem Schriftzug „in veritate libertas“ – der Wahlspruch der katholischen Studentenverbindung Austria – angebracht. Da außer den Akten im Universitätsarchiv bis vor Kurzem kein fotografisches Zeugnis des Mosaiks in situ bekannt und auch sein Verschwinden nicht nachvollziehbar dokumentiert war, beauftragte das Rektorat 2017 eine Tiefensondierung, die Reste des Mosaiks selbst und die Spuren seiner Beseitigung zutage brachte. Angesichts der Vielschichtigkeit und Ambivalenz der damit sichtbaren Vorgänge – der vorauseilende Gehorsam der universitären Amtsträger 1938, die eilfertige Distanzierung und Verdrängung 1945, die Ausblendung der eigenen Mitverantwortung und Schuld über lange Zeit und der mühsame Vorgang des Freilegens der Spuren dieser Geschichte – entstand der Entschluss, die Sondierungsbohrungen in die Vergangenheit als ein Mahnmal offen zu lassen. Die Universität Innsbruck und ihre Angehörigen waren auf vielfältige Art und Weise in menschenverachtende Ideologien und Praktiken verstrickt – und das nicht nur während des „Dritten Reiches“. Wenn wir etwas einsehen wollen, „schlicht und einfach, allein dem Verstand zuliebe, des Anstands wegen, sozusagen“, wie es im „Roman eines Schicksallosen“ des Holocaust-Überlebenden und späteren Literaturnobelpreisträgers Imre Kertész heißt, dann müssen wir die Spuren dieser Geschichte freilegen und können sie nicht erneut übertünchen.
Foto: Andreas Friedle
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Foto: Andreas Friedle