Ein rebellischer Visionär. Vjenceslav Richter

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Neue Galerie Graz Joanneumsviertel Universalmuseum Joanneum

Ein rebellischer Visionär Vjenceslav Richter



Ein rebellischer Visionär Vjenceslav Richter


Diese Publikation erscheint anlässlich der Ausstellung Ein rebellischer Visionär Retrospektive Vjenceslav Richter Neue Galerie Graz Universalmuseum Joanneum 23. März – 2. September 2018 Kooperation mit dem MSU / Museum für zeitgenössische Kunst Zagreb


Peter Peer 4 Rebell, Visionär, Pionier Zur Retrospektive von Vjenceslav Richter in der Neuen Galerie Graz 8

Vesna Meštrić, Martina Munivrana Einleitung zum Ausstellungskatalog des MSU Zagreb 2017

Vesna Meštrić 12 Ein rebellischer Visionär Maroje Mrduljaš 36 Vjenceslav Richter und die Architektur Engagement versus „Assistenz“ 60

Maroje Mrduljaš, Vladimir Kulić Richters Synthurbanismus Die erweiterte Synthese: Urbanismus, Kunst, Politik

Günther Holler-Schuster 86 Vjenceslav Richter Der Architekt, Designer, Grafiker, Maler und seine Arbeiten in Graz 104 Biografie 112 Werkverzeichnis 118 Impressum


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Rebell, Visionär, Pionier Zur Retrospektive von Vjenceslav Richter in der Neuen Galerie Graz Peter Peer

Mit Vjenceslav Richter würdigt die Neue Galerie Graz einen Künstler aus den Pionierjahren der internationalen Avantgarde in Graz. So waren seine Werke in den legendären Ausstellungen trigon 67 (ambiente) und trigon 75 (identität – alternative identität – gegenidentität) sowie 1972 im Rahmen seiner „trigon-Personale“ in der Neuen Galerie zu sehen. Im Zuge Letzterer wurde eine seiner typischen „Systemplastiken“, Geschlossene Sinusoiden (1968), für die Sammlung angekauft. Auch dieses Werk war seitdem öfters ausgestellt, u. a. in umfangreichen historischen Gruppen­ausstellungen wie Identität:Differenz, 1992, der ResümeeAusstellung zu trigon, oder in der Ausstellung bit international. [Nove] tendencije: Computer und visuelle Forschung, 2007. Letztere widmete sich einer der wichtigsten internationalen Strömungen der 1960er-Jahre mit ihrem Ausgangspunkt in Zagreb und fokussierte speziell auf den künstlerischen Kontext, dem auch Richter angehört. Darüber hinaus fungierte Richter als Mitglied der Jury für die Ausstellung trigon 71 (intermedia urbana). Die vorliegende Retrospektive spannt erstmals einen großen Bogen über das umfangreiche architektonische und künstlerische Werk Richters zwischen 1948 und 1999 – von den ersten architektonischen Blaupausen für Ausstellungspavillons über Malerei und Skulptur bis hin zu seiner Architektur und den visionären urbanistischen Projekten. So gesehen war es uns verständlicherweise ein großes Anliegen, die Ausstellung dieses bedeutenden Künstlers, der mit der Kunstgeschichte dieser Stadt sowie mit unserem Haus eng verbunden ist, nach Graz zu bringen. Die Idee und das Konzept zur Ausstellung entstanden im MSU / Museum for Contemporary Art Zagreb, das zugleich die erste Station der Präsentation bildete und mit dem die Neue Galerie Graz seit mehreren Jahren sehr fruchtbar und erfolgreich kooperiert. So fand 2007 die bereits erwähnte Ausstellung bit international. [Nove] tendencije: Computer und visuelle Forschung statt, welche ebenso in Zagreb konzipiert worden war und in der Folge in der Neuen Galerie gezeigt wurde. Von 2013 bis


Geschlossene Sinusoiden, 1968 Neue Galerie Graz, UMJ

2015 nahm die Neue Galerie als eine von mehreren europäischen wissenschaftlichen Institutionen aus dem musealen und universitären Bereich an dem vom MSU geleiteten Forschungs- und Ausstellungsprojekt Das Bauhaus – Vernetzung von Ideen und Praxis (BAUNET) teil. So fügt sich das aktuelle Projekt sehr stimmig in die Reihe unserer Kooperationen ein, die zugleich auch die enge Vernetzung der künstlerischen Historie beider Länder und Institutionen belegt. Mein Dank gilt unseren Kolleginnen und Kollegen vom MSU, allen voran der Direktorin des Hauses, Snježana Pintarić, sowie Vesna Meštrić, welche die Ausstellung in Zagreb wie auch in Graz kuratiert hat. Für die Koordination der Ausstellung in Graz zeichnen überdies Gudrun Danzer und Günther Holler-Schuster verantwortlich, welchen ich auch sehr herzlich für die Konzeption des eigens für Graz produzierten begleitenden Ausstellungskatalogs danke. Dieser ergänzt den umfangreichen, auf Kroatisch und Englisch erschienenen Katalog der Zagreber Ausstellung durch eine darauf basierende, jedoch reduzierte deutsche Version, um die Bedeutung Richters dem heimischen Publikum so angenehm wie möglich zur Kenntnis zu bringen. Für die bewährte Gestaltung dieser Publikation danke ich Karin Buol-Wischenau. Mein Dank gilt weiters Monika Holzer-Kernbichler und Antonia Veitschegger für die sorgfältige Vermittlungsarbeit. Astrid Mönnich und Henrik Klug danke ich für die Organisation und gewissenhafte registrarische Betreuung dieser Schau. Nicht zuletzt möchte ich den Leihgeberinnen und Leihgebern meinen Dank aussprechen, die ihre Arbeiten auch für die Grazer Station dieser bemerkenswerten Ausstellung großzügig zur Verfügung stellten.


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Einleitung zum Ausstellungskatalog des MSU Zagreb 2017 Vesna Meštrić, Martina Munivrana

Vjenceslav Richter (Omilje, 1917 – Zagreb, 2002) war eine der Schlüsselfiguren der kroatischen Kunstszene in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und nimmt als Architekt und Künstler auch in der europäischen und internationalen Kunstgeschichte einen wichtigen Platz ein. Er war Mitbegründer der Künstlergruppe EXAT 51, wirkte aktiv an der internationalen Bewegung „Nove Tendencije“ (Neue Tendenzen) mit, entwarf zahlreiche öffentliche Gebäude und Wohnhäuser und entwickelte Lösungen auf dem Gebiet der Stadtplanung. Er verfasste zudem zahlreiche theoretische Texte über synthetische Zugänge zur Architektur, zum Urbanismus und zur bildenden Kunst und schaffte so eine theoretische und wissenschaftliche Grundlage für seine interdisziplinären Projekte. Richter war außerdem einer der Verfasser des Manifests von EXAT 51. Als vehementer Kritiker und Forscher, der immer aktiv am kultu­rellen und wissenschaftlichen Leben teilnahm, setzte er sich mit seiner Forschungs­tätigkeit zum Ziel, eine humanere Welt zu schaffen. Zum 100. Geburtstag von Vjenceslav Richter gestaltete das Museum für zeitgenössische Kunst (MSU) in Zagreb die erste umfassende Retrospektive seiner Werke und seines Schaffens. Begleitet wird die Ausstellung von einer umfangreichen Publikation mit Beiträgen von Architektur­ theoretikern und Kunsthistorikern, in denen das Gesamtwerk dieses außer­gewöhnlichen Künstlers und Architekten präsentiert wird. Ausgangspunkte der Ausstellung mit dem richtungsweisenden Titel Ein rebellischer Visionär sind Synthese und synthetischer Zugang. Sie sind in jeder Komponente von Richters Werk wiederzufinden, sowohl im künstlerischen Bereich wie auch in seinen theoretischen Überlegungen und seiner experimentell-wissenschaftlichen Arbeit. Die Ausstellung rückt einige seiner zentralen Projekte in den Vordergrund, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden sind und mit denen Richter international Karriere machte: die jugoslawischen Pavillons in Brüssel, Turin und Mailand sowie Entwürfe für Museumsbauten wie das Museum für räumliche Exponate, das Evolutionsmuseum in Krapina, das Revolutionsmuseum in Belgrad und das Archäologische Museum im syrischen


Vjenceslav Richter, 1964 Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb

Aleppo. Richter entwarf unter anderem auch die Villa Zagorje (ehemalige Residenz Titos in Zagreb und heutiger Amtssitz des kroatischen Staatsoberhauptes) und das Fabrikgebäude des kroatischen Seifen- und Reinigungsmittelherstellers Saponia in Osijek. Eines seiner zentralen Projekte Mitte der 1960er-Jahre war das visionäre architektonisch-urbanistische Projekt Synthurbanismus, das einen Dialog zwischen Architektur und bildender Kunst herstellte. Die enge Verbindung zwischen Architektur und bildender Kunst wird in zahlreichen seiner Werke deutlich: in den Serien von systemischen Skulpturen, Gemälden und Grafiken. In ihnen untersuchte er die Möglichkeiten der Synthese, indem er mit unterschiedlichen künstlerischen Medien experimentierte. Später entwickelte er diese Idee in seinen Zyklen von „spontanen“ oder „semi-spontanen“ Grafiken und den sogenannten „Gravitations“-Zeichnungen weiter. Richter war ein versierter Künstler, Erforscher neuer Gebiete, Theoretiker und Kritiker. Als solcher arbeitete er aus einer ganzheitlichen Perspektive an seinen Projekten und entwarf für seine Bauten oft auch das Mobiliar. Daher umfasst diese Retrospektive auch einige frühe Exemplare seiner Möbelstücke: etwa einen Stuhl für den Sitz der Vereinigung der bildenden Künstler Kroatiens (HDLU), Möbelstücke für die Triennale in Mailand (1957) und den jugoslawischen Pavillon in Turin (1961) sowie das Mobiliar für die Villa Zagorje (1963–65). Richters künstlerisches Schaffen wurde bisher nur teilweise untersucht und gezeigt. Dabei handelte es sich hauptsächlich um Ausstellungs­ projekte des MSU zu Kunstbewegungen der 1950er- und 1960er-Jahre. Besonders hervorzuheben sind hier folgende große thematische Ausstellungen, in welchen Richter als Künstler präsentiert und seine Position im Kontext der angeführten Kunstbewegungen analysiert wurde: Konstruktivizam i kinetička umjetnost (Konstruktivismus und kinetische Kunst, Zagreb, 1995), EXAT 51 & New Tendencies (Cascais, 2001; Siena, 2003), Die Neuen Tendenzen (Düren/Ingolstadt, 2007) und


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bit international – [Nove] tendencije – Computer und visuelle Forschung, Zagreb 1961–1973 (Graz, 2007; Karlsruhe, 2008/09 ). Einzelne seiner künstlerischen Zyklen wurden ab den 1960er-Jahren kontinuierlich in kleineren thematischen Ausstellungen gezeigt, die das MSU im In- und Ausland organisierte. Zudem sind zwei rezente Ausstellungen des MSU hervorzuheben, die einige von Richters bedeutendsten architektonischen Projekten zeigten: Architektur für eine humanere Welt – der jugoslawische Pavillon von Vjenceslav Richter auf der EXPO 58 (Zagreb, 2011) und Sozialismus und Moderne: Kunst, Kultur, Politik 1950–1974 (Zagreb, 2012). Sie stellen einen wertvollen Beitrag zur fachlichen Bearbeitung einzelner Elemente seines architektonischen und künstlerischen Werkes dar. Außer in den oben genannten und vom MSU organisierten Ausstellungen werden seine künstlerischen Arbeiten auch heute noch häufig in Themenausstellungen präsentiert. Zudem ist sein Gesamtwerk seit einigen Jahren Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Einen wichtigen Platz in der Erforschung von Vjenceslav Richters künstlerischer und architek­tonischer Arbeit nimmt die Sammlung Vjenceslav Richter und Nada Kareš Richter ein, eine Schenkung an die Stadt Zagreb. Die Sammlung befindet sich im Zagreber Stadtteil Vrhovec und wird vom MSU verwaltet. Die Sammlung beinhaltet heute an die 200 Kunstwerke sowie wertvolles Archivmaterial, das die Ehefrau des Künstlers 2007 dem MSU schenkte. Auch der umfangreiche Ausstellungskatalog Rebel with a Vision in kroatischer und englischer Sprache macht das große Interesse an der Erforschung des künstlerischen und architektonischen Nachlasses von Vjenceslav Richter sichtbar. Darin geben Texte von Architekturtheoretikern und Kunsthistorikern wie auch die Beschreibung konservatorischrestauratorischer Zugänge einen ausführlichen Einblick in Richters Werk. Der Katalog gliedert sich in sechs thematische Einheiten, wobei sich jede Einheit einer Komponente aus Richters Werk widmet und diese aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Zvonko Maković hebt in seinem Text Vjenceslav Richter: Von der Synthese zur Utopie hervor, dass Begriffe, die im Zusammenhang mit dem Problem der Synthese stehen, nirgends so klar artikuliert und so kontinuierlich behandelt werden wie im Gesamtwerk von Vjenceslav Richter. Der Frage der Synthese in der Kunst geht Vesna Meštrić anhand von Ausstellungen und bildnerischen Werken im Text Ein rebellischer Visionär nach. Richters architektonische Projekte werde im Übersichtstext Vjenceslav Richter und die Architektur: Engagement versus „Assistenz“ von Maroje Mrduljaš vorgestellt. Das Thema Synthurbanismus wird im Text Richters Synthurbanismus. Das erweiterte Feld der Synthese: Urbanismus, Kunst, Politik von Vladimir Kulić und Maroje Mrduljaš behandelt. Über die Transparenz in Richters Architektur schreiben Karin Šerman und Igor Ekštajn im Text Systemische Eindrücke: Nuancen der Transparenz in Richters Museumsprojekten 1961–1966. Richters jugoslawischer Pavillon auf der EXPO 58 wird im gleichnamigen Text von Rika Devos und Mil De Kooning diskutiert. Auf die Wichtigkeit der historischen und räumlichen Kontextualisierung von


Richters Mailänder Projekt weist Ivica Čović in seinem Text Illusions- und Experimentalraum: Vjenceslav Richter und die 13. Mailänder Triennale (1964) – Fragmente einer Ausstellung hin. Einen kleinen, jedoch wichtigen Teil seines Gesamtwerkes stellen Richters Bühnenbilder dar, die er über einen Zeitraum von mehr als zwanzig Jahren entwarf. Sie werden im Text Der Architekt im Theater: Bühnenbilder im Werk von Vjenceslav Richter von Lovorka Magaš Bilandžić vorgestellt. Design und Innenarchitektur, ein weiterer kleiner und wichtiger Teil von Richters Werk, werden im Text Von Möbeln als Skulpturen zu Kontroversen über Innenraumgestaltung: Theorie und Praxis von Design und Innen­architektur in Richters Werk von Vanja Brdar Mustapić besprochen. Die ungewöhnliche und unerwartete Zusammenarbeit zwischen Vjenceslav Richter und dem kroatischen naiven Maler Ivan Rabuzin beschreibt Snježana Pintarić im Text Vjenceslav Richter: Zwischen Kreis und Quadrat – das Haus von Ivan Rabuzin. Einen interessanten Blick auf die Synthese scheinbar unvereinbarer Diskurse und Disziplinen wirft Ivan Rupnik in Instrumente und Akteure des Programmierens: 1959–1969 anhand des Beispiels des Relief­meters und seiner Entwicklung. Über Vjenceslav Richter als Architekten, Designer, Grafiker und Maler sowie über seine Werke in Graz schreibt Günther Holler-Schuster. Das Projekt SintArt, das die thematische und historische Kontinuität von Richters Werk untersucht, wird in SintArt – Dialog zeitgenössischer Künstler mit Vjenceslav Richters Vermächtnis von Leila Topić vorgestellt. Eine sehr interessante fachliche Darstellung von Richter­s Werk gewähren Mirta Pavić und Šime Perović im Text Von der Zeit (un)berührt: eine konservatorisch-restaurative Analyse von Richters Werk. Über die private Bibliothek und das Archiv Richters, die sich in Vjenceslav und Nada Kareš Richters Villa mit der Adresse Vrhovec 38 befinden und die gleichzeitig Teil der Sammlung sind, schreibt Zrinka Ivković. Der Katalog bietet zudem einen chronologischen Überblick über Richters Gesamtwerk als Künstler und Architekt und enthält ein Verzeichnis aller Gemeinschafts- und Einzelausstellungen, Prämierungen und Bühnenbilder. Die Ersten, die die Wichtigkeit von Richters Werk erkannten, waren Vera Horvat-Pintarić, Ješa Denegri, Matko Meštrović und Marijan Susovski, deren theoretische Aufzeichnungen gleichzeitig auch unerlässliche Quellen für weitere Untersuchungen sind. Denn das Interesse und das Bewusstsein für die Wichtigkeit von Richters Nachlass werden immer größer, wovon auch diese Publikation zeugt. Retrospektive und Katalog gewähren einen Einblick in das Gesamtwerk eines visionären Künstlers, der seiner Zeit voraus war. Sie schaffen auch ein Bewusstsein für Richters Vermächtnis, das als Investition in die Zukunft betrachtet werden kann. Sein eindruckvolles Werk bietet Antworten auf viele Fragen auf dem Gebiet der räumlich-plastischen Forschung und zeigt Möglichkeiten der Synthese in Architektur, Skulptur und Malerei auf. Der experimentelle Ansatz, den Richter in seiner Arbeit verfolgte, hatte ein humaneres und besseres Leben in der Gesellschaft als Ganzes zum Ziel.


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Ein rebellischer Visionär Vesna Meštrić

1 Vjenceslav Richter, Sinturbanizam [Syn­ thurbanismus], Zagreb 1964. Im einleitenden Kapitel schreibt Richter, dass das Buch in drei Etappen entstanden ist: 1954 entstand der größte Teil des ersten Kapitels Prognoza životne i likovne sinteze kao izraza naše epohe [Prognose einer Syn­ these von Leben und Kunst als Ausdruck unserer Zeit], bzw. bis zum Unterkapitel Pred­ meti industrijskog obli­ kovanja [Gegenstände der industriellen Gestal­ tung]. 1956 setzte er die Arbeit an dem Buch fort. 1964 stellte er es fertig, nachdem er 1963 auf einem Symposium in Belgrad einen Vortrag zur Synthese in der bil­ denden Kunst gehalten hatte. 2 Jure Kaštelan, Mogućnost novoga [Die Möglichkeit des Neuen], Katalog zur Ausstellung Kristl – Picelj – Rašica – Srnec, die 1953 von der Vereinigung der kroatischen Architekten organisiert wurde.

„Ein Gegenstand – kann alles sein! ... Er kann sowohl ein architektonisches Werk, als auch ein Bild oder eine Plastik sein!“,1 schrieb Richter 1954 im ersten Kapitel seines Buches Synthurbanismus und bekräftigte damit klar seinen Standpunkt und seinen Forschungsweg, die ihre Wurzeln in einer synthetischen, ganzheitlichen Sichtweise der Welt hatten, wobei Synthese nicht nur eine praktische Frage, sondern in erster Linie ein Konzept war. Das Buch ist eine seiner wichtigsten Publikationen und wurde erst zehn Jahre nach diesem Zitat veröffentlicht. Die Zeit, in der das erste Kapitel entstand, war durch intensive Auseinandersetzungen geprägt, in deren Zentrum die abstrakte Kunst und die Position der Künstlergruppe EXAT 51 standen. Richter hatte in diesem anregenden Zeitraum, von 1951 bis 1955, den Lehrstuhl für Architektur an der Akademie für angewandte Kunst in Zagreb inne und spielte eine zunehmend wichtigere Rolle in der theoretischen Forschung zu Architektur, Stadtplanung und Kunst. Doch in erster Linie war er ein Protagonist der Künstlergruppe EXAT 51, die laut Jure Kaštelan der Auffassung war, dass Neues „durch Experimentieren entdeckt, dass es geschaffen und erobert werden muss [...] Jeder Künstler experimentiert, er entdeckt und erfindet sich selbst und die Wirklichkeit, in der er lebt.“ Von allen EXAT-51-Mitgliedern setzte Richter diese Aussage am konsequentesten um.2 Richters Interesse am Experimentieren zeigte sich bereits in seinen erste­n Ausstellungspavillons. Während seines Studiums hatte er sich mit Le Corbusier, Gropius, Mendelsohn, El Lissitzky, Mondrian und Moholy-Nagy beschäftigt. So ist es aus heutiger Sicht nur logisch, dass ihn Pavillons für Weltausstellungen und internationale Messen faszinierten. Dieser scheinbar weniger attraktive Bereich der Architektur hat sich in Richters Fall als offenes Feld mit vielen Anknüpfungspunkten zu Forschung und Experiment erwiesen und ihm zu internationaler Anerkennung verholfen. So entwarf Richter einige erfolgreiche Ausstellungspavillons, mit denen sich der damals junge Staat Jugoslawien durch die Sprache der Abstraktion auf Weltausstellungen und Messen als modern, fortschrittlich und progressiv präsentierte. 1949 und 1950 realisierte


Ivan Picelj, Vjenceslav Richter, Aleksandar Srnec mit Mio Bišćan Buchausstellung der Volksrepublik Kroatien, 1948 Ivan Picelj Archiv und Bibliothek, MSU Zagreb

Plakatentwurf für die Autobahn-Ausstellung im Kunstpavillon in Zagreb, 1949 MSU Zagreb

3 Der jugoslawische Pavillon für die interna­ tionale Ausstellung in Chicago (1950) wurde von Zvonimir Radić und Ivan Picelj entworfen, auch wenn in manchen Biografien Richter die Mitarbeit an der Reali­ sierung dieses Projektes zugeschrieben wird. Siehe: AK19/F75_52 bis 60. Laut Vjenceslav Richter selbst war seine Anwesenheit in Chicago dem Umstand geschul­ det, dass Zvonimir Radić keine Reiseerlaubnis bekam.

Ivan Picelj, Vjenceslav Richter, Aleksandar Srnec mit Zvonomir Radić Autobahn-Ausstellung im Kunstpavillon in Zagreb, 1950 Ivan Picelj Archiv und Bibliothek, MSU Zagreb

Richter in Zusammenarbeit mit Ivan Picelj und Aleksandar Srnec vier Ausstellungspavillons für die internationalen Messen in Wien, Stockholm, Hannover und Paris.3 Doch eines seiner ersten erfolgreichen Projekte entstand bereits ein Jahr zuvor: Die Konzeption der Buchausstellung der Volksrepublik Kroatien, die 1948 im Kunstpavillon in Zagreb stattfand. Richter war für die architektonische Gestaltung zuständig, während Picelj und Srnec die künstlerische Gestaltung innehatten. Zusammen fanden sie zu einer ganz neuen Umgangsweise mit dem Ausstellungsraum bzw. ließen eine neue Art der Beziehung zwischen Gegenstand und Architektur entstehen, indem sie Architektur, Malerei und Bildhauerei miteinander verschränkten. In einem seiner Interviews beschrieb Richter dieses Projekt, dessen Skizzen im Vjenceslav-Richter-Archiv aufbewahrt werden, mit folgenden Worten:4 „Ich habe die Höhe des Pavillons mithilfe konkaver Paneele gesenkt, um den Exponaten (kleinen Büchern) in diesem Raum die Möglichkeit zu geben, als attraktive Objekte zu wirken. [...] Auch die Beleuchtung ist von mir. Man könnte sagen, dass man damals – 1948 – in unserem Land das erste Mal von Design sprechen konnte, und als solches wurde es auch erkannt und wahrgenommen.“5 Ähnlich erfolgreich war auch die Gestaltung zweier Ausstellungen anlässlich der Fertigstellung der Autobahn Zagreb–Belgrad im Jahr 1950. Für dieses Projekt arbeiteten Richter, Picelj und Srnec mit Zvonimir Radić zusammen. Dasselbe Team gestaltete im gleichen Jahr die Ausstellung der lokalen Wirtschaft der Sozialistischen Republik Kroatie­n, die in Zusammenarbeit mit Đuka Kavurić auf der Zagreber Messe stattfand. Die Ausstellungspavillons und -gestaltungen, deren Entwürfe im Archiv des Museums für zeitgenössische Kunst in Zagreb (MSU) aufbewahrt werden, wurden von Marijan Susovski analysiert. Er kommt zu dem Schluss, dass es sich bei den Entwürfen selbst, den Skizzen und perspektivischen Studien um Kunstwerke, früheste abstrak­te Arbeiten von einigen der beteiligten Künstler handelt, und zwar in bester Bauhaus-Tradition, was sich wenige Jahre später zu einer eigenständigen künstlerischen (und architektonischen) Ausdrucksform weiterentwickeln sollte.6


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4 Das Vjenceslav-RichterArchiv ist Teil der Sammlung Vjenceslav Richter und Nada Kareš Richter, die Nada Kareš Richter 2007 dem MSU in Zagreb schenkte. 5 Vesna Meštrić, „Eksperiment s avan­­gardom – Od Bauhausa do EXAT-a“ [Das AvantgradeExperiment – Von Bauhaus bis EXAT], in: J. Vinterhalter (Hg.), Bauhaus – umrežavanje ideja i prakse [Bauhaus – Vernetzung von Idee und Praxis], MSU Zagreb 2015, S. 309. 6 Marijan Susovski, „EXAT 51 – europski avangardni pokret: umjetnost – stvarnos­t – politika“ [EXAT 51 – eine europäische Avantgarde-Bewegung: Kunst – Wirklichkeit – Politik], Život umjetnosti 71/72, Zagreb, 2004, S. 107–115, 108. 7 Ješa Denegri, Želimir Koščević, EXAT 51: 1951–1956, Galerija Nova, Zagreb, 1979, S. 27. 8 Vgl. Ješa Denegri, Želimir Koščević, EXAT 51: 1951–1956, Galerija Nova, Zagreb 1979; Jerko Denegri, Umjetnost konstruktivnog pristupa. EXAT 51 i Nove tendencije [Die Kunst des konstruktiven Ansatzes. EXAT 51 und die Neuen Tendenzen], Zagreb, 2004; Jasna Galjer, Dizajn pedesetih u Hrvatskoj. Od utopije do stvarnosti [Das Design der 1950er-Jahre in Kroatien. Von der Utopie zur Wirklichkeit], Zagreb 2004.

Die Ausstellungspavillons und -gestaltungen stammen aus einer Zeit, als sich der Kern der Künstlergruppe EXAT 51 formierte. Als einem ihrer Protagonisten und Theoretiker kam Vjenceslav Richter darin eine bedeutende Rolle zu. Die Gruppe EXAT 51 nahm ihre Arbeit 1951 mit der Verlesung ihres Manifests anlässlich der Plenarsitzung der Vereinigung der angewandten Künstler Kroatiens (ULUPUH) in Zagreb auf. Vjenceslav Richter war von 1951 bis 1953 Sekretär und von 1953 bis 1956 Präsident der Gruppe. Die Formierung von EXAT 51 hat zu vielen Debatten geführt, die während der gesamten Zeit des offiziellen Bestehens der Gruppe einmal mehr, einmal weniger intensiv geführt wurden. An diesen Debatten nahmen prominente Fachleute aus dem Kulturbereich, Architekten, Künstler, Schriftsteller, Kunstkritiker und Journalisten teil, deren Beiträge in der Presse diskutiert wurden. In den Diskussionen ging es um die abstrakte Kunst und ihre Berechtigung sowie um die Positionierung der EXAT-Gruppe in diesem Kontext. Die Auseinandersetzungen wurden intensiver, nachdem die Gruppe anlässlich der im Februar und März 1953 von der Vereinigung der kroatischen Architekten in Zagreb organisierten Ausstellung Kristl – Picelj – Rašica – Srnec ihr zweites Manifest veröffentlicht hatte. Die künstlerische Gestaltung der Ausstellung wies das unverkennbare Design der EXAT-Gruppe auf. Und an der Art, wie Raum und Kunstwerke zueinander in Beziehung gestellt wurden, war deutlich die Handschrift von Vjenceslav Richter erkennbar. Richter betonte in seiner Eröffnungsrede, dass in der Ausstellung nur ein kleiner Teil der Aktivitäten, die die Gruppe in Bezug auf die Synthese verfolgte, gezeigt werden könne. Es sei notwendig, eine komplexere Ausstellung zu organisieren, um die Idee der Synthese von Architektur, Skulptur und Malerei zu präsentieren.7 Aufgrund fehlender finanzieller Mittel konnte dieses Ausstellungsprojekt jedoch nicht verwirklicht werden. Trotz kritischer Stimmen betonte Richter in dieser Rede auch weiterhin den Zusammenhalt der Gruppe, auch wenn immer wieder behauptet wurde, dass die bildende Kunst gegenüber der Architektur bevorzugt würde. Bereits im Oktober desselben Jahres kam es zu einer neuen Debatte, die durch die von Vjenceslav Richter ausgeführte Umgestaltung des Nachtklubs Ritz Bar in der Petrinjska-Straße in Zagreb ausgelöst wurde. Der Stein des Anstoßes war ein Wandbild von Edo Murtić, das sich nicht in Richters Innenraumgestaltung einfügte, so die Meinung von Investoren und Gästen des Nachtklubs, der sich auch ein Teil des Fachpublikums anschloss. So stand EXAT 51 erneut im Zentrum von Auseinandersetzungen, in denen die einen Texte zugunsten der EXAT-Gruppe veröffentlichten, während andere diese Texte infrage stellten.8 Die Gründung und die Aktivitäten der Gruppe EXAT 51 waren entscheidende Impulse für die Erneuerung in der kroatischen Architektur-, Kunstund Designszene nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Gruppe selbst kann international mit verwandten Gruppierungen wie Movimento per l’arte concreta (MAC) aus Mailand, Forma 1 aus Rom oder Espace aus Paris verglichen werden. Einzelne Mitglieder dieser Gruppierungen wirkten später auch in der internationalen Kunstbewegung Nove Tendencije (Neue Tendenzen) mit. Zudem fand 1955 im Kunstpavillon in Zagreb


9 Richters Entwurf für den jugoslawischen Pavillon in Wien (1955) wurde auf der 1. Zagreber Triennale prämiert. Vgl. „Nagrađeni na Zagrebačkom triennalu“ [Preisträger der Zagreber Triennale], Čovjek i prostor, 46, 1956, S. 6. 10 Das Thema des jugoslawischen Pavillons auf der EXPO 58 in Brüssel wurde ausführlich von Jasna Galjer erforscht, die ihre Ergebnisse an der Ausstellung Arhitektura za humaniji svijet − Jugoslavenski paviljon Vjenceslava Richtera za Expo 58 [Architektur für eine humanere Welt – der jugoslawische Pavillon von Vjenceslav Richter an der EXPO 58] im Museum für zeitgenössische Kunst in Zagreb (2011) präsentierte. Die Ergebnisse wurden zudem in der folgen­den Publikation ver­öffent­licht: EXPO 58 i jugo­ slavenski paviljon Vjenceslava Richtera [Die EXPO 58 und der jugoslawische Pavillon von Vjenceslav Richter], Zagreb 2009. 11 Vladimir Kulić, „Richterov paviljon u Bruxellesu u pedesetoj“ [Richters Pavillon in Brüssel nach 50 Jahren], Oris, 54, 2008, S. 102–115.

mit der 1. Zagreber Triennale eine wichtige Ausstellung statt. Sie wurde von der Vereinigung der angewandten Künstler Kroatiens nach dem Vorbild der großen Designausstellungen wie der Mailänder Triennale organisiert. Über 500 Arbeiten aus unterschiedlichen Bereichen wurden gezeigt – von der Architektur und Bühnengestaltung über Malerei, Grafik und Fotografie bis hin zum Industrie- und Grafikdesign. Die Gestaltung der Ausstellung stellte eine Herausforderung dar. Die Objekte wurden nach visuellen Gesichtspunkten zu Mikroeinheiten gruppiert und die disziplinären Grenzen zwischen ihnen aufgehoben. Die Art der Ausstellungsgestaltung folgte einer der Hauptideen von EXAT 51: die Aufhebung der Grenzen zwischen „der bildenden und der angewandten Kunst“, wie es das Manifest der Gruppe aus dem Jahr 1951 vorsah. Es ist leicht zu erkennen, dass hinter diesem Ausstellungskonzept ein EXAT-Mitglied, nämlich Vjenceslav Richter, stand.9 Als sich EXAT 51 im darauffolgenden Jahr auflöste, setzten die ehemaligen EXAT-Mitglieder ihre Arbeit nach denselben Grundsätzen fort, allen voran Richter, der den eingeschlagenen Weg am leidenschaftlichsten und konsequentesten weiterverfolgte. Eine neue Herausforderung eröffnete sich für Richter, als der Wettbewerb für den jugoslawischen Pavillon auf der Weltausstellung in Brüssel 1958 ausgeschrieben wurde. Auf der EXPO 58 sollten nach dem Zweiten Weltkrieg die Errungenschaften der neuen, modernen Gesellschaft auf den Gebieten von Wissenschaft und Technologie präsentiert werden. In der zweiten Runde des Wettbewerbs schlug Richter in Zusammenarbeit mit Emil Weber für den Ausstellungspavillon ein bemerkenswertes Projekt mit dem Namen Diksi 2 vor. Es sollte die Offenheit und Kraft des neuen Staates sowie sein politisches System, das sich von jenem der Staaten hinter dem Eisernen Vorhang unterschied, repräsentieren. Die Originalität des Projekts bestand in einem „schwebenden Fundament“, mit dem Richter in der für ihn charakteristischen Art der traditionellen Auffassung von Architektur entgegentrat. Richter entwarf einen Ausstellungspavillon, der nur mit Stahlseilen von einem 70 Meter hohen Mast abgehängt war.10 Dieses Konzept eines Mastes schrieb Vladimir Kulić Richters Interesse am Konstruktivismus zu. Laut Kulić orientierte sich das Projekt an den an Stahlseilen hängenden Strukturen, wie sie in Bauprojekten Mitte der 1920er-Jahre verwendet worden waren, etwa für die Entwürfe der Petersschule von Hannes Meyer in Basel (1926) und des Moskauer Lenin-Instituts mit Bibliothek von Ivan Leonidov (1927).11 Richters Projekt war für die Zeit sowohl im konstruktiven wie auch im ideologischen Sinne ein anspruchsvolles Unterfangen. Daher verwundert es nicht, dass die Jury geteilter Meinung war und trotz Richters Erläuterungen eine Überarbeitung des Projekts verlangten. Das war auch ein deutliches Zeichen für fehlenden Mut, eine solch innovative Lösung umzusetzen, und für den Wunsch nach einer traditionellen Form. Dennoch stellt der nicht realisierte Entwurf für den jugoslawischen Pavillon eine wichtige Etappe in Richters räumlichen und plasti­schen Untersuchungen dar, die auf der Freiheit des architektonischen Ausdrucks beruhen. Dank Richters kühner Planung hätte die Kon­struktion als räumliche Plastik wahrgegenommen werden können und die primäre technische Funktion wäre


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Der jugoslawische Pavillon auf der EXPO 58 in Zagreb mit der Skulptur Nada, 1958 Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb

Skizze zu Nada, 1955–1958 Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb

in den Hintergrund gerückt. Durch die Änderungen, die vorgenommen werden mussten, wurde die Grundidee des Projektes verworfen, da der Pavillon nun „geerdet“ wurde und somit der plastische Hauptakzent – der tragende Mast – seine ursprüngliche Funktion verlor. Dennoch gelang es Richter in gestalterischer Hinsicht die Offenheit des Pavillons beizubehalten, indem er den Innenraum dem Außenraum gleichstellte und so die Besucher ermutigte, sich frei im Raum zu bewegen. Diese neue Situation bewog Richter dazu, den verlorenen vertikalen Akzent mit einer zusätzlichen Attraktion auszugleichen. Die Architektur des Pavillons sollte durch eine Skulptur ergänzt werden, die eine neue vertikale Achse bilden und den menschlichen Wunsch, die Schwerkraft zu überwinden, symbolisieren sollte. Es handelte sich um eine scheinbar einfache Skulptur, deren strukturelle Idee auf dem Prinzip der Spannung beruhte. Sie hätte aus industriell gefertigten Elementen hergestellt werden sollen: ein 35 Meter hohes Stahlseil und sieben Bögen, die in perfekter Balance und den Naturgesetzen trotzend die Vertikalität des Stahlseils hätten unterstützen sollen. Diese Skulptur symbolisierte in ihrer Größe die Überwindung der Schwerkraft und war ein Zeichen für Aufstieg, Rebellion und Optimismus. Sie war in den Worten des Künstlers „eine Art Obelisk unserer Zeit“. Um die Skulptur in ihrem ursprünglichen Entwurf auszuführen, wären Materialien höchster Qualität und vor allem Stahl, der elastisch genug gewesen wäre, um die gewünschte Spannung zu erreichen, notwendig gewesen. Doch anscheinend war Material von solcher Qualität zu jener Zeit nicht verfügbar oder aber es fehlte das Verständnis für ein solch innovatives Projekt. Daher musste laut dem Künstler „simuliert werden“: die sieben massiven Bögen wurden durch


12 Diese Information stammt aus der folgen­ den Quelle: Jordanka Grubač, „Ljubav prema geometriji“ [Liebe zur Geometrie], Slobodna Dalmacija, 19.05.1995.

sechs miteinander verbundene gitterähnliche Bögen ersetzt. Durch die Abweichung vom ursprünglichen Entwurf wurde die Beziehung zwischen dem leichten Stahlseil und den massiven Bögen aufgehoben und die Kraft der Elastizität durch die symmetrische Anzahl der Bögen verringert. Auch die Idee, durch die Skulptur die Überwindung der Schwerkraft zu symbolisieren, ging durch die Sichtbarkeit der Verbindungen zwischen den Bögen verloren. Für Richter war dies eine weitere Enttäuschung. Er gab jedoch die Idee, die Skulptur nach ihrem ursprünglichen Entwurf zu realisieren, nicht auf. Er benannte sie nach seiner Ehefrau Nada [Hoffnung], in der Hoffnung, sie zu einem späteren Zeitpunkt realisieren zu können. Dem Thema der Schwerkraft – eine der grundlegenden Kräfte, auf denen das Leben auf der Erde beruht – näherte sich Richter in den 1980er-Jahren auf spielerische Wiese in einem interessanten Zyklus von Zeichnungen. Er verband die menschliche Bewegungsfähigkeit mit der Wirkung der Schwerkraft, so entstanden durch Kreativität und Genauigkeit einzigartige Kompositionen, indem er Tinte durch das Neigen von Papier auf diesem verteilte. Richter ließ die Zeichnungen aus den Linien bzw. dem Verlauf der Tinte entstehen, ohne dabei die vollständige Kontrolle über das Endergebnis zu haben. Diesen Zyklus nannte Richter Gravitacijski crtež [Gravitationszeichnungen] und stellte ihn 1995 der Öffentlichkeit in einer Einzelausstellung in der Galerie der Vereinigung der angewandten Künstler Kroatiens (ULUPUH) in Zagreb vor. Zur selben Zeit wartete er ungeduldig auf einen Anruf des bekannten Stahlunternehmens Hüttenwerke Krupp Mannesmann GmbH. Die Geschäftsführung des Unternehmens begutachtete soeben seinen Vorschlag, zwei Skulpturen für das Lehmbruck-Museum in Duisburg zu realisieren. Ein Jahr zuvor hatte im selben Museum die große Ausstellung Zentrum Zagreb: Skulptur in Kroatien 1950–1990, die von Želimir Koščević kuratiert wurde, stattgefunden. Dort wurde Zagreb als wichtiges Kunstzentrum porträtiert, in dem seit der Abwendung vom Sozialistischen Realismus neue künstlerische Tendenzen entstanden waren, die eine wichtige Rolle in der Entwicklung der europäischen Kunstszene spielten. Ein Teil der Ausstellung widmete sich der räumlichen Forschung in den Arbeiten von Ivan Picelj, Aleksandar Srnec und Vjenceslav Richter und zeigte die Entwicklung von den Anfängen von EXAT 51 bis zur Entstehung der Bewegung Neue Tendenzen. Laut den verfügbaren Quellen sprach Richter gegen Ende der Ausstellung mit Christoph Brockhaus, dem Direktor des Museums, über den Vorschlag, zwei Skulpturen für dessen Sammlung zu erstellen. Richter wusste, dass sich in Duisburg eines der größten Stahlwerke befand, das auch Kunst- und Kulturprojekte förderte und finanziell unterstützte. Eine der vorgeschlagenen Skulpturen war die der Schwerkraft trotzende Skulptur Nada (1957/58), die zweite Skulptur war das Lamelometar [Lamellmeter], ein Objekt, das 1972 entstanden war und in der Ausstellung T-5: Tendenzen 5 gezeigt wurde.12 Da es sich in beiden Fällen um sehr komplexe und kostspielige Skulpturen handelte, war die Geschäftsführung des Stahlunternehmens Hüttenwerke Krupp Mannesmann GmbH bereit, sich an einem der Werke zu beteiligen: der Skulptur Nada. Das Unternehmen wusste, dass es sich um ein herausforderndes


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13 Die Skulptur befindet sich heute im Eigentum des Unternehmens Hüttenwerke Krupp Mannes­mann GmbH und ist im Verwal­ tungsgebäude des Unternehmens ausge­ stellt. Hiermit danke ich den Mitgliedern der Geschäftsführung des Unternehmens Hütten­ werke Krupp Mannes­ mann GmbH, Gerhard Erdmann, Rolf Höffken und Carsten Laakmann für ihre Mithilfe und die Erlaubnis, dass dieses Werk an der Retros­ pektive von Vjenceslav Richter in Zagreb Buntovnik s vizijom [Ein rebellischer Visionär] gezeigt werden konnte. Einen besonderen Dank möchte ich Karin Aust, der Leiterin der PR-Abteilung bei Hüt­ tenwerke Krupp Man­ nesmann GmbH, sowie Regina Klusemann und Zvonko Šimunjak aussprechen. 14 Vjenceslav Richter und seine Ehefrau Nada Kareš Richter schenkten 1981 das Familienhaus und Kunstwerke der Stadt Zagreb. Die Sammlung wurde 1998 dem Museum für zeitgenössische Kunst (MSU) in Zagreb zur Verwaltung übergeben und 2000 für die Öffentlichkeit geöffnet.

Projekt handelte, erkannte aber gleichzeitig auch die Möglichkeit, den technologischen Fortschritt in der Stahlproduktion und -verwendung zu bewerben. In diesem Zeitraum wurde außerdem die äußerst wichtige Ausstellung Kunst im Aufbruch: Abstraktion zwischen 1945 und 1959 vorbereitet, die die Entwicklung der Abstraktion nach dem Zweiten Weltkrieg präsentierte. Die positive Rezeption der Ausstellung Zentrum Zagreb war sicherlich ein zusätzlicher Grund dafür, dass die Werke von Oton Gliha, Ivan Picelj, Julije Knifer, Božidar Rašica, Aleksandar Srnec, Edo Murtić und Vjenceslav Richter in diesen geschichtlichen Überblick mit Werken von über 200 Künstlern aufgenommen wurden. Als Richter eingeladen wurde, an der Ausstellung teilzunehmen, schlug er den Organisatoren die Skulptur Nada vor, da er an ihre erfolgreiche Fertigstellung glaubte. Die Herstellung der Skulptur, die diesmal präzise nach der Anleitung und den Entwürfen des Künstlers hergestellt wurde, dauerte drei Jahre. Sie maß 439 cm und bestand aus einem Stahlseil, Bögen und Schrauben. Von der Basis in Form eines Halbkreises wurde das Stahlseil mit Hilfe der siebe­n Bögen, die sich gegenseitig nicht berührten, durch die entstehende hohe Spannung senkrecht und stabil aufgerichtet. Stahlseil, Bögen und Schrauben waren die einzigen Elemente, die verwendet wurden, und stellten ein Gleichgewicht zwischen tragenden und lastenden Elementen her. Es entstand ein Kunstwerk, das erst auf den zweiten Blick seine Grundidee und Bedeutung offenbart. Diese Skulptur ist eines der frühesten Werke im künstlerischen Gesamtwerk Richters und wurde 1998 in der Ausstellung Kunst im Aufbruch: Abstraktion zwischen 1945 und 1959 im Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen ausgestellt sowie 2000 anlässlich der Feier zum 90-jährigen Jubiläum der Stahlherstellung und zum 10-jährigen Jubiläum der Gruppe Hüttenwerke Krupp Mannesmann.13 Richter verbarg seine große Freude über die Realisierung seiner Skulptur Nada nicht, betrachtete sie jedoch nur als Vorstufe für ein weiteres Projekt: eine 16 m hohe Skulptur. Daher experimentierte er 1999 erneut mit der Schwerkraft und konstruierte eine dritte Version der Skulptur: NadaZagreb. Die 245 cm hohe und aus einem Draht bestehende Skulptur wird heute in der Sammlung Vjenceslav Richter und Nada Kareš Richter verwahrt.14 Für die Ausstellung Kunst im Aufbruch: Abstraktion zwischen 1945 und 1959 wurde eine weitere Arbeit Richters realisiert, wodurch dieser Abschnitt in Richters Gesamtwerk abgeschlossen wurde: Triennalski signal [Triennale-Signal], eine Skulptur, die er für die 2. Zagreber Triennale (1959) geschaffen hatte. Richter war in mehreren Funktionen an der 2. Zagreber Triennale beteiligt: Als Verantwortlicher für die Ausstellungsgestaltung war er für Plakate und Kataloge zuständig und als Künstler stellte er sein Bühnenbild für die Oper Die Verlobung im Kloster von Sergej Prokofjew aus. Als Herausgeber der Zeitschrift Čovjek i prostor [Mensch und Raum] schrieb Richter in der Einleitung der Ausgabe vom Mai 1959, dass mit der 1. Zagreber Triennale die angewandte Kunst „ein gleichberechtigtes Element der kulturellen und künstlerischen Entwicklung“ geworden war. Die 2. Zagreber Triennale, so Richter, übernehme


Nada, 1998 Hüttenwerke Krupp Mannesmann GmbH, Duisburg

15 Vjenceslav Richter, „Likovni regulator industrijske proizvod­ nje“ [Der Kunstregulator der Industrieproduk­ tion], Čovjek i prostor [Mensch und Raum], Nr. 86, 1959.

nun die Rolle eines „Regulators der Kunstströmungen“ in der indu­s­ triellen Produktion ein.15 Die Jury bedachte Richter mit einer wichtigen Anerkennung und verlieh ihm den ersten Preis für seine gesamte Arbeit an der 2. Zagreber Triennale – die Ausstellungsgestaltung, das Plakatdesign und das Bühnenbild. Die Skulptur Triennale-Signal stellt den Beginn einer ganzen Werkserie dar: Centre, centrije i centrijade [Centras, Centrias, Centriadas]. Dieser Zyklus führte Richter zu seinen Systemplastiken. Triennale-Signal bestand aus waagrechten Holzbrettern mit im rhythmischen Abstand von 5 cm eingeschnittenen Rändern, wodurch eine vertikale und eine innere Rotation erzielt wurde. Die Skulptur wurde im zentralen Raum des Zagrebe­r Kunstpavillons, direkt unter der Kuppel, aufgestellt und bot, wie auf Fotografien zu sehen ist, ein besonderes Erlebnis im Zusammenspiel mit dem verglasten Teil der Kuppel. In dieser Komposition ließen sich bereits Richters spätere Untersuchungen zu den Kreisen erahnen. Nach der 2. Zagreber Triennale wurde die Skulptur 1964 in der ersten Personale von Vjenceslav Richter im Zagreber Kunstgewerbemuseum ausgestellt. Danach zerfiel die Skulptur aufgrund falscher Lagerung, wurde aber 1998 auf Initiative des Kulturministeriums der Republik Kroatien aus Aluminium neu geschaffen und befindet sich heute im Skulpturenpark der Richter-Sammlung. Der senkrechte Akzent lässt sich – als eigenständiges wie als integrales Element – in einigen von Richters Architekturprojekten wiederfinden: So etwa beim österreichischen Pavillon auf der Zagreber Messe, der in Zusammenarbeit mit Zdravko Bregovac (1957/58) entstanden ist, oder beim Entwurf des Gedenkkomplexes in Montevideo (1959). Doch diese weisen im Vergleich mit den Skulpturen Nada und Triennale-Signal, die im Rahmen von Richters Forschungstätigkeit entstanden sind, eine geringere Komplexität auf. Ein komplexerer Vorschlag war hingegen das Projekt Atraktivni toranj [Attraktiver Turm]. Richter entwarf das Projekt 1969, zu einer Zeit, als die Vorbedingungen für den Neubau der kroatischen Rundfunk- und Fernsehanstalt geschaffen wurden. Richter dachte in großen Dimensionen und schlug einen 150 m hohen Turm vor, der die Hauptattraktion Zagrebs hätte werden sollen, nicht nur aufgrund seiner Höhe, sondern auch weil er als Besucherzentrum konzipiert war. Es handelte sich um eine zylindrische Stahlkonstruktion aus zwei Ringen – einem inneren Bereich, in welchem die gesamte Infrastruktur untergebracht war, und einem äußeren Bereich für die Besucher. In diesem äußeren Bereich waren in 120 m Höhe ein Restaurant sowie eine Aussichtsplattform auf zwei Ebenen angedacht, um allen Besuchern dieselbe Perspektive auf die Stadt und die Umgebung zu bieten. Der äußere Ring hätte zudem als Projektionsfläche für Lichtreklamen dienen sollen, um die kommerzielle Kommunikation zu fördern und das Fernsehen als führendes Medium zu bewerben. Dieses Vorhaben blieb eines von mehreren nicht realisierten Architekturprojekten. Dennoch hielt Richter an seiner Überzeugung fest, dass die langfristige Qualität eines Projektes im Vordergrund stehen sollte. In diesem Kontext ist ein weiteres, jedoch weniger attraktives Beispiel erwähnenswert. Es verdient vor allem deshalb Aufmerksamkeit, weil es Richters Gespür für die lokale Tradition illustriert. Richter nahm 1978


Klapotetz, Symposion Forma Prima, Krapina 1978 Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb

16 Dieses Werk blieb nicht erhalten. 17 AVR 7_F25. 18 Vera Horvat-Pintarić, Vjenceslav Richter, Zagreb 1970, S. 9. 19 AVR 13_F49, S. 29, 30.

am 3. Internationalen Symposium zur Skulptur, Forma Prima in Krapina teil, wo er von der lokalen Tradition inspiriert einen hölzernen Klapotetz errichtete. Klapotetze sind Windräder, die im Nordwesten Kroatiens aufgestellt werden, um Vögel von den Weingärten fernzuhalten. Richters hölzerne, 28 m hohe Konstruktion vereinte Tradition, Funktionalität und Ästhetik. Sie galt als eines der erfolgreichsten Werke des Symposiums und wurde zum Symbol von Forma Prima.16 Diesen kurzen Überblick über Richters vertikale Skulpturen rundet ein weniger bekannter, ebenfalls nicht realisierter Entwurf für eine Gedenkstätte in Sošice aus dem Jahr 1983 ab. Der Entwurf hatte als Hauptakzent einen 8 m hohen Stahlmast, der aus einem als Skulptur gestalteten Plateau ragte. Die verfügbaren Daten weisen darauf hin, dass dieses Projekt nicht realisiert wurde. Der Grund dafür dürften die hohen Herstellungskosten gewesen sein. Vom Projekt existieren mehrere Entwurfsskizzen und eine Auflistung der geschätzten Kosten, die die vorgesehenen Arbeiten, nicht aber eine detaillierte Beschreibung der Gedenkstätte enthalten.17 Seine Untersuchungen zu räumlich-plastischen Strukturen verbanden Richter mit der internationalen Bewegung der Neuen Tendenzen. Er erkannte dort, laut Vera Horvat-Pintarić, die Möglichkeit, „das Werk der Synthese zu verwirklichen, für welche sich seiner Meinung nach die Mitglieder der Bewegung aufgrund ihres beruflichen Werdeganges nicht interessierten. [...] Richter glaubte, wie er 1963 festhielt, dass bereits die damaligen Resultate der Neuen Tendenzen als elementare künstlerische Ressourcen für neue synthetische Kreationen begriffen werden konnten. Das Potenzial, das er sah, entsprach in der Größe und im Vorhaben demjenigen der Malerei, der Skulptur, der Architektur und der Urbanistik.“18 In diesem Kontext entstand Anfang 1963 in nur drei Monaten eine Serie von acht Skulpturen aus Holzstücken, die, an den Kanten aneinandergefügt, eine Kugel formten. Es handelte sich um komplexe Konstruktionen, denn die perfekte geometrische Form der Kugel entstand hier aus der dynamischen Beziehung rechteckiger Elemente. In diesem Verfahren wurde eine Kugel aus ihr gegensätzlichen Elementen gestaltet. Das war auch Richters erster künstlerische Zyklus, den er Centre, centrije i centrijade [Centras, Centrias, Centriadas] nannte. Die graduelle Abstufung in den Titeln des Zyklus weist auf die konstruktiven Verfahren hin, durch die unterschiedliche Kugel-Varianten entstanden. Richter schrieb in seinen Notizen: „Ich stelle mir vor, dass neben einer plastischen Synthese, die – anhand von plastischen (Darstellungen) – ausgearbeitet und von einer theoretischen Diskussion begleitet werden müsste, auch ein plastischer Umgang mit Wörtern möglich sein sollte. Mir fällt dabei die assoziative Gleichzeitigkeit ein – einzelner Begriffe – Verbindungen und ihres Hintergrunds – und ich kann mir eine Segmentierung einzelner Sätze in logische Ebenen vorstellen – durch räumliche Verrückung ebenso wie durch formale Umgestaltung des plastischen Elements durch ein bestimmtes Wort ...“19 Ritmizirana centra [Rythmisierte Centra], Asimetrična centra [Asymmetrische Centra], Centrija [Centria] und Dijagonalna centra [Diagonale Centra] sind nur einige der Bezeichnungen von Werken, die die Intention des Autors wiedergeben. Aufgrund seiner


Asymmetrische Centra, 1963 Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb

Centra 3, 1964 Sammlung Vugrinec, Varaždin

Experimente mit Kugeln definierte Richter die Centras als Körper, deren konstruktive Elemente so angeordnet waren, dass sie den Eindruck einer Kugel erzeugten. Im Gegensatz zu den Centras haben die Centrias eine komplexere Struktur und können eine positive und eine negative Centra beinhalten, während die Centriadas gemäß Richter eine Kategorie sind, in denen sowohl Centras wie auch Centrias vorkommen. Diese Werkserie entstand nur wenige Monate vor der zweiten Ausstellung der Neuen Tendenzen im Sommer 1963, zu der Richter eingeladen wurde und für die er Asymmetrische Centra vorschlug. Damit wurde er Teil dieser weltweiten Bewegung. Richter setzte seine Untersuchungen zur Beziehung zwischen Raum, Fläche und räumlichen Strukturen im Bereich der Geometrie bzw. der geometrischen Formen fort. Seinen Fokus richtete er dabei auch weiterhin auf Kugeln. Neben Holzlatten verwendete er dafür industriell gefertigte Materialien wie Röhren aus Aluminium, Glas oder farbiges Glas, mit welchen er gekonnt die imaginäre Außengrenze einer Kugel konstruierte, die auf einem präzisen System von Bauelementen beruhte. In diesen Arbeiten war das Licht sehr wesentlich. Eines der schönsten Beispiele dieses Zyklus ist die Skulptur Centra 3, die Richter aus Aluminiumröhren unterschiedlicher Längen und Querschnitte konstruierte. Die Röhren sind dabei so strukturiert, dass sie den äußeren Rand einer Kugel bilden. Hier spielen die Beziehungen zwischen Innen- und Außenraum, positiv und negativ, Licht und Schatten, eine wichtige Rolle, die in perfekter Harmonie den Eindruck materieller Transparenz schaffen. Die Arbeit wurde von Richter in einem Durchmesser von 170 cm ausgeführt und befindet sich heute im Skulpturenpark der Richter-Sammlung. Zwischen Architektur und Kunst, räumlicher und plastischer Forschung, nach Dutzenden von Wettbewerben, erfolgreichen Realisierungen architektonischer Projekte, Gestaltungen von Ausstellungen, der aktiven Mitarbeit in Redaktionen von Fachzeitschriften und Fachverbänden,


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20 AVR AK13_F49_11, 11a.

Konferenzvorträgen, um sich selbst einzelne Phasen seiner Arbeit und Forschung erklären zu können, setzte es sich Richter zum Ziel, eine für einen Architekten typische Einzelausstellung zu realisieren. Dies war eine große Herausforderung, denn er wollte darin die Grundlagen für seine Untersuchungen beleuchten, aus denen seine Architekturprojekte, Innenraumgestaltungen, Bühnenbilder, Grafikdesigns und Skulpturen entstanden waren. Die Ausstellung fand 1964 im Kunstgewerbemuseum in Zagreb statt und zeigte ein beeindruckendes Gesamtwerk in den Bereichen Architektur, Stadtplanung, Kunst und Design, das in dem relativ kurzen Zeitraum von 1957 bis 1964 entstanden war. Neben bekannten Architekturprojekten wie dem jugoslawischen Pavillon auf der Weltausstellung in Brüssel, dem jugoslawischen Pavillon auf der Ausstellung Italia 61 in Turin, dem Saponia-Fabrikgebäude in Osijek, der Hotelfachschule in Dubrovnik oder dem jugoslawischen Pavillon auf der 13. Mailänder Triennale war dies die erste öffentliche Präsentation des architektonisch-urbanistischen Projekts des „Synthurbanismus“ und eines Werkzyklus, der in weniger als zwei Jahren entstanden war. Die Skulpturen aus den Zyklen Reljefometri [Reliefmeter], Centras, Centrias, Centriadas und Sistemske skulpture [Systemplastiken] gaben Antwort auf die Frage, was Architektur im künstlerischen Sinne ist: Richter schrieb in seinem Manuskript Sinteza [Synthese], Architektur sei ein „skulpturaler zweidimensionaler Körper – mit einer einfacheren oder komplexeren Struktur – und einer Reihe konkaver Formate, die sich gegenseitig beeinflussen – und die gemeinsame Perforationen aufweisen – und innerhalb dieser Räume alle möglichen Perspektiven malerischer und plastischer Möglichkeiten bieten.“20 Dieser Ansatz wird am Beispiel des aus Holzlatten bestehenden jugoslawischen Pavillons an der 13. Mailänder Triennale offensichtlich. Richter gestaltete dort anhand eines bestimmten Systems einen Raum innerhalb eines quadratischen Feldes. Der Synthurbanismus oder synthetische Urbanismus ist ein visionäres Projekt, das den Menschen als grundlegendes Maß aller Werte ins Zentrum rückt. Ausgehend vom Gedanken der rationalen Zeitnutzung und aus dem Bestreben heraus, Zeitverluste zu minimieren, plante Richter eine in Wohneinheiten unterteilte Stadt für eine Million Menschen. Diese Zikkurats genannten Einheiten bildeten eine Megastruktur für jeweils 10.000 Personen und vereinten sämtliche Lebensbereiche – ökonomische, kulturelle und gesellschaftliche bzw. Wohnen, Arbeit und Freizeit. In solch einem Objekt sollte der Zeitverlust für Wege zu Orten, an denen Menschen einer Arbeit, einer Freizeitbeschäftigung oder anderen Aktivitäten nachgehen, auf ein Minimum reduziert werden. Dieses komplexe Projekt ruhte auf einer eigenen ideologischen Basis: Denn die Organisationsweise der Grundeinheit – des Zikkurats – sollte die Entwicklung von kollektivem Bewusstsein und kollektiver Verantwortung als Grundlagen der Selbstverwaltung fördern. Richter betrachtete den Synthurbanismus, in dem sich sein synthetisches Denken widerspiegelte, als eines seiner wichtigsten Projekte. Daraus entwickelten sich alle weiteren Forschungsarbeiten, wie die Systemarchitektur, die Systemplastiken, die Systemmalerei und die Systemgrafik. In einer seiner Zeichnungen der synthurbanistischen Stadt stellt Richter die Centra als integrales


Reliefmeter 5, 1973 Sammlung Richter, MSU Zagreb

21 Im Jahr 1964 fanden zwei Ausstellungen zu den Neuen Tendenzen statt: Neue Tendenzen 2 im Städtischen Museum, Museum Schloss Morsbroich in Leverkusen, und Nouvelle Tendence im Musée des Arts décoratifs, Palais du Louvre, Pavillon de Marsan in Paris, an denen die Skulptur Centra 3 ausgestellt wurde.

Element der synthurbanistischen Umgebung dar. Im Einleitungstext des Ausstellungskatalogs schrieb Radoslav Putar, die Skulpturen aus den Zyklen Centrias, Centriadas und Reljefmeter seien Multiplikatoren der synthurbanistischen, visionären Hoffnung und würden eine zielgerichtete Antwort auf die Frage geben, wie die Welt humaner gestaltet werden könnte. Der Zyklus Centras, Centrias, Centriadas war in dieser Ausstellung mit zwölf Werken vertreten, wobei der räumlichen Installation Imaginarna centra [Imaginäre Centra] ein besonderer Platz eingeräumt wurde. Es handelte sich um eine Installation mit einem Durchmesser von 200 cm, die aus unterschiedlich langen, an der Decke befestigten und eine Kugel bildenden Aluminiumstäben bestand. Im Kontext seiner Unter­suchungen zur Synthese kann die Skulptur Imaginarna centra als Raum­skulptur definiert werden. Hier wurden die Gesamtheit sowie die Details der Skulptur zu einem Ganzen vereint, wobei jedem Element innerhalb eines bestimmten Systems eine gewisse Rolle zukam. Dies war auch der Ausgangspunkt und Hauptfokus von Richters Untersuchungen.21 Mit dieser Ausstellung wollte Richter sein bisheriges Gesamtwerk zusammenfassen und Weichen für seine weiteren Experimente auf dem Gebiet der bildenden Kunst setzen. Er war daher in allen Bereichen beteiligt, von der Auswahl der Werke über die Ausstellungsgestaltung bis hin zu den Katalogtexten. Dort wurde auch erstmals das Reljefmeter vorgestellt, Richters Werk mit der größten Symbolkraft, das eine faszinierende Verbindung zwischen Architektur, Stadtplanung und Skulptur darstellt. Richter konstruierte das erste Reliefmeter 1963, kurz nachdem Umberto Ecos Das offene Kunstwerk veröffentlicht wurde. Eco definierte darin jenes Kunstwerk als offen, mit dem der Künstler die aktive Teilnahme des Betrachters anregt, die das Werk erst vollendet. Die Idee und Bedeutung der Skulptur Reliefmeter lag in der Interaktion, die dem Betrachter die unendliche Erforschung der Skulptur ermöglichte. In der Ausstellung wurden zwei Varianten des Reliefmeters gezeigt. Jede Variante bestand aus 10.000 beweglichen Elementen – Aluminiumstäbe,


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Vjenceslav Richter mit einem seiner Reliefmeter, 1991 Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb

22 Die Skulptur Relief­­meter 1 (1963) befindet sich heute in der Sammlung Vjenceslav Richter und Nada Kareš Richter, während die Skulptur Reliefmeter 2 zerstört wurde. 23 Detailliert dargestellt in: Lovorka Magaš: „Reljefometar Vjenceslava Richtera – odnos originala i varijante. Ideja transformabilnosti objekta i njezine posljedice“ [Das Reliefmeter Vjenceslav Richters – Beziehung zwischen dem Original und den Variationen. Die Idee der Transformabilität des Objekts und seine Folgen.], Anali Galerije Antuna Augustinčića, Klanjec 2010, 249–270.

deren Kunststoffenden an einem Ende rechteckig und am anderen Ende zylindrisch waren. Die beweglichen Elemente der ersten Variante des Reljefometar waren nicht miteinander verbunden. Jedes Element konnte maximal 10 cm herausgezogen bzw. hineingeschoben werden. Innerhalb eines solchen Systems konnte der Betrachter verschiedene strukturelle Oberflächen aus kreisförmigen oder quadratischen Elementen schaffen.22 Fotografien von Branko Balić, die während der Vorbereitung der Monographie von Vera Horvat-Pintarić aufgenommen wurden, zeigen verschiedene geometrische Strukturen, die Richter mit minimalen Bewegungen jedes Elements innerhalb des vorgegebenen Feldes nach einem zuvor festgelegten System gestaltete. Richter hat bald darauf dieses scheinbar begrenzte System weiterentwickelt und die quadratischen Aluminiumstäben miteinander verbunden, was eine größere Mobilität der Elemente ermöglichte.23 Zudem wurden an der Ausstellung die ersten Versionen (bzw. präziser: „Modelle“) aus dem Zyklus Systemplastiken gezeigt, die wie das Reliefmeter aus industriell gefertigten Elementen bestanden. Es handelte sich hierbei jedoch um ein fixes System aus Aluminiumstäben, deren Bewegungen vorbestimmt waren. Dieser Prozess ermöglichte ebenfalls die Schaffung von unendlich vielen Formen, wobei mithilfe von rechteckigen Elementen bewegliche Oberflächen mit unterschiedlichen Strukturen und Texturen gestaltet werden konnten. Im Gegensatz zu den aus Aluminiumstäben konstruierten Systemplastiken waren diese aus Holzelementen bestehenden Systemplastiken, denen Richter den Namen Simultane forme [Simultanformen] gab, weniger bekannt. In einzelnen Varianten sind die Holzelemente rot, gelb, blau und grün bemalt, was an den Zyklus Sistemske grafike [Systemgrafiken] erinnert, den Richter einige Jahre später schuf und der seinen Ausgangspunkt in den Systemplastiken hatte. Ausstellungen waren für Richter Möglichkeiten, seine neuesten Untersuchungen zu präsentieren und zu testen. Daher zeigte er dort meistens neue Werke. Insofern war die Ausstellung im Kunstgewerbemuseum in


Systemplastik 1, 1964 Sammlung Richter, MSU Zagreb

zweierlei Hinsicht wichtig: Einerseits bot sie durch die Art, wie die Werke zueinander in Beziehung gesetzt und präsentiert wurden, erstmals einen vollständigen Überblick über Richters bisheriges Gesamtwerk; andererseits verwies sie auf die weitere Entwicklung seiner durch Kon­ struktivismus, Bauhaus und EXAT 51 beeinflussten plastisch-räumlichen Forschung. Richters insgesamt mehr als 30 Einzel- und 160 Gemeinschaftsausstellungen zeigen die Entwicklung seiner Forschungen zur Synthese. Das Resultat ist ein faszinierendes Gesamtwerk aus unterschiedlichsten Materialien und mit verschiedensten Techniken: aus industriell hergestellten Materialien wie Holz, Metall, Beton und Plexiglas bis hin zu Arbeiten mit Siebdruck und Zeichnungen mit Bleistift, Pastellfarbe, Filzstift oder sogar Acrylfarbe. Richter produzierte seine Werke mit faszinierender Leichtigkeit. Er verwandelte auf einzigartige Weise Zeichnungen in Grafiken, Grafiken in räumliche Objekte und Malerei in Architektur. Den Entstehungsprozess beschrieb er dabei oft technisch präzise. Mit dem Zyklus Sistemsko slikarstvo [Systemmalerei] ist eine von vielen interessanten Geschichten verbunden. Richter schuf den Zyklus als Auflehnung gegen den rechten Winkel und aus dem Wunsch heraus, die Betrachter an andere, seltener genutzte Winkel heranzuführen. Dazu baute er ein Werkzeug, ein Dreieck ohne rechte Winkel, mit dem er begann, geometrische Zeichnungen zu erstellen, die aus vom vorgegebenen System abweichenden Winkeln bestanden. Diese Zeichnungen dienten als Grundlage für die Systemmalerei, einem Zyklus aus etwa zwanzig Ölbildern auf Leinwand, die Anfang der 1970er-Jahre entstanden sind. Auch diese Idee verfolgte Richter weiter, als er 1971 am Architekturwettbewerb für das neue Kulturzentrum in Paris teilnahm. Sein Entwurf zeigte ein Objekt, das dem Prinzip der Systemmalerei folgte: Es gab keine rechten Winkel, sondern nur Linien, die in Winkeln von 10° oder 80° geneigt waren. Mit Dreiecken ohne rechte Winkel sowie den Themen Schwerkraft und geometrische Körper beschäftigte sich Richter erneut Anfang der


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SIS 5 Systemmalerei, 1976 Sammlung Richter, MSU Zagreb

24 Richter war Mitglied des Organisationskomitees der Ausstellungen Nova tendencija 3 – Neue Tendenz 3 und Tendencije 4 – Tendenzen 4 und auch aktiv an den Begleitveranstaltungen beteiligt. Siehe: Margit Rosen (Hg.), A Little-Known Story about a Movement, a Magazine, and the Computer’s Arrival in Art: New Tendencies and Bit International, 1961-1973, Kat. ZKM Karlsruhe, Cambridge, MA, London 2011 und Peter Weibel (Hg.), bit international. [Nove] tendencije. Computer und visuelle Forschung, Zagreb 1961–1973, Kat. Neue Galerie Graz, Graz 2007. 25 Einer der Katalogtexte wurde von Giulio Carlo Argan, einem der wichtigsten Kunsttheoretiker des 20. Jahrhunderts, verfasst.

1990er-Jahre: In seinen Zeichnungen Leteće piramide [Fliegende Pyramiden] neigte er die horizontale Basis von Pyramiden und schuf so die Illusion fliegender stabiler Körper. Das Projekt Synthurbanismus und der Zyklus System­plastiken wurden 1965 auf der 8. Biennale von São Paulo gezeigt, die vom Kunstkritiker und -historiker Zoran Kržišnik kuratiert wurde. Richter stellte dort neben Gabrijel Stupica, Janez Bernik, Ljubo Ivančić, Dušan Džamonja und Miodrag Protić aus. Neben den Ausstellungen zu den Neuen Tendenzen war dies einer seiner ersten internationalen Auftritte und eine große Anerkennung für sein künstlerisches Schaffen. Richter stellte danach noch vier Mal auf der Biennale von São Paulo aus: 1971, 1973, 1977 und 1979. Die 11. Biennale im Jahr 1971, erneut kuratiert von Zoran Kržišnik, prägte seine Biografie maßgeblich: er gewann für den Zyklus Systemplastiken den Biennale-Preis. Diese intensive Periode, deren Beginn die erste Einzelausstellung markierte, setzte Richter im nachfolgenden Jahr mit seiner Teilnahme an der Ausstellung Nova tendencija 3 – Neue Tendenz 3 fort, auf der er den Reliefmeter 1 zeigte.24 Außerdem war er an der Ausstellung Perpetuum mobile über konstruktive und kinetische Kunst in der Galerie L’Obelisco in Rom beteiligt.25 Im selben Jahr nahm Richter am internationalen Bildhauersymposium Forma Viva in Kostanjevica na Krki teil. Dafür entfernte er sich für kurze Zeit von den Systemplastiken und schuf Cestruktura, bei dem er mit der Form des Würfels experimentierte, bzw. mit der Konstruktion dieses geometrischen Körpers, ohne die Verwendung von rechten Winkeln. Mit dieser Arbeit aus Holz setzte Richter seine Untersuchungen zu räumlichen Beziehungen innerhalb von geometrischen Körpern fort: Er konstruierte einen stabilen Körper – den Würfel – so, dass dieser einen Eindruck von Schwerelosigkeit hinterließ.


26 Die Wanderausstellung war 1967 in der National Gallery of Canada in Ottawa sowie 1968 in der Art Gallery in Toronto und im Museum of Fine Arts in Montreal zu sehen. 27 AK 2_F7_1078 bis 1088 und 1097. 28 Dank Matko Meštrović erhielt Douglas MacAgy einen umfangreichen Einblick in die Kunstbewegungen, die für die Entwicklung der Abstraktion in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg entscheidend waren. Dies belegen in der Vorbereitungszeit der Ausstellung geführte Korrespondenzen zwischen Meštrović und MacAgy (1965 bis 1967). Mein besonderer Dank gilt Matko Meštrović für die Informationen und die Erlaubnis zur Verwendung der Briefkopien.

Mitte der 1960er-Jahre fanden mehrere wichtige Ausstellungen statt, in denen Richters Werke im Kontext der internationalen Kunstszene des 20. Jahrhunderts präsentiert wurden. Eine davon war die Ausstellung Sculpture from Twenty Nations (1967) im Solomon R. Guggenheim Museum in New York, die anschließend auch in Ottawa, Toronto und Montreal gezeigt wurde.26 In der vom Kunstkritiker Edward Fry kuratierten Ausstellung wurden die jüngsten Arbeiten von achtzig Künstlern aus dem Bereich der Bildhauerei nach 1960 präsentiert. Richters Reliefmeter 1 wurde neben Werken von Alexander Calder, Max Bill, Lucio Fontana, Alberto Giacometti, Barbara Hepworth, Donald Judd, Ellsworth Kelly, Louise Nevelson, Isamu Noguchi, Claes Oldenburg, Pablo Picasso, George Rickey und Jean Tinguely präsentiert. Im Ausstellungskatalog schrieb Fry, erstklassige Architektur habe skulpturale Qualitäten, während zeit­genössische Skulpturen manchmal einem architektonischen Modell glichen, wobei er Richters flexibles System Reliefmeter als Beispiel anführte. Im selben Jahr erschien George Rickeys Buch Constructivism, Origins and Evolution, in dem der Autor die Entwicklung der konstruktiven Kunst analysierte. Dabei erwähnte er auch zwei von Richters Arbeiten: Centra und Reliefmeter 1. Im Kapitel über Werke, die mit Raum, geometrischen Formen und Beziehungen experimentierten, verglich Rickey Richters aus farbigen Glasröhren konstruiertes Werk Centra aus dem Jahr 1965 mit Werken von Naum Gabo, François Morellet und Enzo Mari. Im Kapitel Mikroelemente über Werke von Künstlern der Neuen Tendenzen wie Luis Tomasello, Günther Uecker, Julio le Parc, François Morelle­t und Almir Mavignier ist auch Richters Reliefmeter 1 genannt. Richter dachte auch weiterhin in den Dimensionen der Architektur und experimentierte mit kugelähnlichen Formen, setzte aber für die Teilnahme an der internationalen Ausstellung trigon 67 in Graz seine in Kostanjevica begonnenen Untersuchungen fort und schuf die Skulptur Rastavljena sfera M [Geteilte Kugel M], einen dekonstruierten Würfel aus Beton in den Dimensionen 450 x 450 x 450 cm, der die aktive Teilnahme des Betrachters erforderte. In diesem intensiven Zeitraum wandte sich einer der wichtigsten Kunsttheoretiker und -historiker, Udo Kulterman­n, auf Empfehlung des Architekten Andrija Mutnjaković an Richter mit der Bitte, ihm Fotografien von Architekturprojekten und Skulpturen für die Verwendung im Buch Zeitgenössische Architektur in Osteuropa zu schicken.27 Die nächste wichtige Ausstellung in Richters Biografie war die Ausstellung Plus by Minus: Today’s Half-Century (1968) in der Albright-Knox Art Gallery in Buffalo, die sich mit der Entwicklung der abstrakten Kunst von 1920 bis zu den Neuen Tendenzen 1965 beschäftigte. Sie wurde vom Kunsttheoretiker Douglas MacAgy kuratiert und präsentierte Arbeiten von mehr als neunzig Künstlern, denen in den Bewegungen und Strömungen der Abstraktion eine Schlüsselrolle zukam – von Suprematismus, Konstruktivismus, De Stijl und Bauhaus bis hin zu konkreter Kunst und den Neuen Tendenzen.28 Neben einer Retrospektive von Naum Gabo, die einen großen Platz in der Ausstellung einnahm, zeigte die Ausstellung wichtige Werke von Künstlern wie Theo van Doesburg, Sophie Taeuber-Arp, Georges Vantongerloo, László Moholy-Nagy, Otto Piene,


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29 Nach der Ausstellung schenkte Richter das Werk Vertikalni ritmovi [Vertikale Rhythmen] dem Museum für zeitgenössische Kunst (MSU) in Zagreb. Die Ausstellung wurde zudem 1969 im Salon des Museum für zeitgenössische Kunst in Belgrad, in der Kleinen Galerie in Ljubljana und in der Galerie Semiha Huber in Zürich gezeigt. 30 Boris Kelemen, Nova tendencija [Neue Tendenz], Treći trijenale likovnih umetnosti [Dritte Kunsttriennale], Belgrad 1967, S. 107–115.

Ad Reinhardt, Bridget Riley und Gerrit Thomas Rietveld. Die Auswahl umfasste auch Werke von Ivan Picelj und Vjenceslav Richter. Der Kurator der Ausstellung präsentierte die räumlich-plastischen Untersuchungen Richters anhand seines Projekts Synthurbanismus sowie sieben Werken aus dem Zyklus der Systemplastiken. Diese Ausstellung verhalf Richte­r zur Einzelausstellung Recent Sculpture, die im selben Jahr in der Staempfl­i Gallery in New York stattfand. Der Zyklus der Systemplastiken, der auf beiden Ausstellungen gezeigt wurde, zog private Sammler an und der Großteil der Ausstellungsstücke wurde verkauft. Im selben Jahr organisierte die Galerie für zeitgenössischer Kunst in Zagreb auch Richters zweite Einzelausstellung. Richter präsentierte dort an die zwanzig Systemplastiken, mit denen er seine Experimente auf dem Gebiet der Synthese von Architektur und Skulptur fortsetzte. Richter begründete in seinem Katalogtext Hipoteza sistemske arhitektur­e [Die Hypothese der Systemarchitektur] seine Experimente in Bezug auf die Synthese von Architektur und Skulptur folgendermaßen: Wird die Systemplastik als architektonisches Modell begriffen bzw. wird ihr Mono­element bis zur Größe einer architektonischen Struktur vergrößert, entsteht eine Architektur, die als Systemarchitektur bezeichnet werden kann. Richter fand hier die Möglichkeit der Synthese in großen Dimensionen, die ihre Wurzeln im Synthurbanismus hatte.29 Ebenfalls 1968 wurde eine Systemplastik in der von Božo Bek und Vera Horvat-Pintarić kuratierten Ausstellung Alternative Attuali 3 im Castello Spagnolo in L’Aquila neben Arbeiten von Ivan Picelj, Vojin Bakić und Miroslav Šutej gezeigt. An der 3. Kunsttriennale in Belgrad stellte Boris Kelemen Richters­neue Werke – Rastavljene sfere [Geteilte Kugeln] – aus dem Jahr 1967 aus. Es handelte sich dabei um Arbeiten aus dem Zyklus Centre, Centrije i Centrijade, die Richter aus Glasröhrchen nach einem programmierten System schuf und mit denen er die Kugelform dekonstruierte. Kelemen kam im Katalogtext zu dem Schluss, dass es sich hierbei um „einen sehr reinen Forschungsansatz und eine höchst akkurate Ausführung handelte, umgesetzt mit großer Sensibilität.“30 Das Ende der 1960er-Jahre bedeutete auch Richters allmähliche Distanzierung von den Systemplastiken, die als Idee sehr einflussreich, aber in der Herstellung nicht perfekt waren. Der Kleber zwischen den Aluminiumelementen wies eine schlechte Haftungseigenschaft auf und die Werke begannen unter ihrem Gewicht auseinanderzufallen. Da Richter keine akzeptable Lösung für das Problem fand, wandte er sich Druck­grafiken und Zeichnungen zu. In einem scherzhaften Kommentar bezeichnete Richter seine Abwendung von den Systemplastiken als Glücksfall, denn hätten sich diese nicht aufzulösen begonnen, würde er – aufgrund der großen Nachfrage – bis an sein Lebensende weitere schaffen müssen. Die Systemplastik bekam ihre zweidimensionale Entsprechung in der Grafik, deren Hauptelement das Quadrat war. Die Grafik wurde für Richter zu einem neuen Forschungsgebiet, in welchem er der Zweidimensionalität entkam, indem er einen Plexiglaswürfel konstruierte, dessen gegenüberliegende Seiten nach einem bestimmten Programm durch Linien oder Aluminiumstäbe verbunden waren. Die Raumgrafik war nach Meinung von Marijan Susovski ein Zwischenschritt auf dem Weg


Systemgrafik 2, Ende 1960er-Jahre Sammlung Richter, MSU Zagreb

31 Marijan Susovski, Zbirka Richter [Die RichterSammlung], Museum of Contemporary Art, Zagreb 2003, S. 32. 32 Im Organisations­ komitee von Tendencija 4 waren Božo Bek, Dimitrije Bašičević, Vladimir Bonačić, Branimir Makanec, Matko Meštrović, Leslie Mezi, Abraham A. Moles, Vladimir Muljević, Frieder Nake, Radoslav Putar, Ivan Picelj, Vjenceslav Richter, Zdenko Šternberg, Božo Težak und Jiři Valoch. 33 Vjenceslav Richter, „Dilema“ [Dilemma], Bit international, 3, Zagreb 1968, S. 25–28.

zum Raumbild: ein Werk, das die drei Aspekte der visuellen Welt – Bild, Skulptur und Raum – vereinte.31 Die Raumgrafik Ondulaciona prostorna struktura [Wellige räumliche Struktur] wurde in der Ausstellung Tendencije 4 – Tendenzen 4 als aktuelles Beispiel für visuelle Forschung gezeigt. Für die Präsentation dieser Grafik sowie für die Gestaltung des Objekts spielte, wie bereits bei den Systemplastiken, Licht eine wichtige Rolle. In dieser Zeit wurde das Thema der Computer in visuellen Untersuchungen aktuell und den Auftakt zur Ausstellung Tendencije 4 – Tendenzen 4 bildete das internationale Kolloquium Computer und visuelle Forschung, auf welchem die Positionen von Künstlern und Organisatoren, darunter auch Vjenceslav Richter, zur Verwendung von Computern in der visuellen Forschung dargelegt wurden.32 Seine Position bekräftigte Richter auch in seinem Text Dilema [Dilemma], in welchem er die neue Beziehung zwischen Künstler und Computer reflektierte und Zweifel an der Sinnhaftigkeit äußerte, den Computer in den kreativen Prozess einzubinden. Er kam dabei zu folgendem Schluss: „Während ich noch auf einen echten Computer warte, habe ich in meinem Studio einen ‚manuellen‘ Computer organisiert, der folgendermaßen funktioniert: durch vereinbarte Zeichen programmiere ich bestimmte Kompositionen; auf dieser Grundlage arbeitet mein eingespieltes Team sehr präzise und gut.“33 Richter wurde unmittelbar nach dem internationalen Kolloquium, in der Vorbereitungszeit von Tendencije 4, zur vom Los Angeles County Museum of Art organisierten Ausstellung Art and Technology eingeladen, wo er die Möglichkeiten der Realisierung eines elektronisch betriebenen Reliefmeters entdeckte. Doch aufgrund der komplexen und finanziell kostspieligen Realisierung wurde sein Vorschlag letztlich nicht umgesetzt. Er wurde jedoch teilweise im Lamelometar [Lamellmeter] – einem Kunstwerk im Gegensatz zum Reliefmetar, das Richter als „Instrument“ bezeichnete – verwirklicht. Dabei handelte es sich um ein kinetisches Objekt, das aus 100 elastischen, 15 mm breiten, nebeneinander aufgereihten Lamellen bestand, die ein Elektromotor innerhalb eines


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Skizze zu Lamellmeter, 1995 Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb

34 Beschreibung des Lamelometar [Lamell­ meter] in: AVR_ F 131, V. Richter, Moj misaoni prostor [Mein Gedan­ kenraum], MSU, Zagreb 2016, S. 18. 35 Der Kurator des jugo­ slawischen Pavillons auf der 36. Biennale war der Kunstkritiker und Kunsttheoretiker Miodrag B. Protić, der auch das Museum für zeitgenössische Kunst in Belgrad gründete. Seine Auswahl umfasste Werke von Vladimir Veličković, Dušan Otašević und Vjenceslav Richter, während in der begleitenden Ausstellung Graphic Art Today Werke von Miroslav Šutej, Ivan Picelj, Juraj Dobrović, Edo Murtić und Virgilije Nevjestić ausgestellt wurden. 1970 nahm Richter zusammen mit Alexandar Srnec an der begleitenden Aus­ stellung Proposal for Experimental Exhibition der 35. Biennale in Venedig teil.

festgelegten Rahmens bewegte.34 Das Lamellmeter wurde 1972 auf der 36. Biennale in Venedig ausgestellt.35 Darauf folgte eine Einzelausstellung Richters im Rahmen der trigon-Personale in der Neuen Galerie in Graz. Die Ausstellung wurde von Wilfried Skreiner organisiert, dem damaligen Leiter der Neuen Galerie, der neben der Kunsttheoretikerin Vera Horvat-Pintarić einen Text für den Ausstellungskatalog verfasste. Richters Gesamtwerk wurde anhand von etwa vierzig Werken aus den Bereichen der Systemplastiken, der Architektur und der Stadtplanung auf vielschichtige Weise präsentiert. Vor dem Hintergrund, dass Richter zu dieser Zeit an Untersuchungen zu Grafiken und Zeichnungen arbeitete, stellte diese Ausstellung eine Retrospektive seines Gesamtwerkes dar. Das Lamellmeter wurde gemäß verfügbaren Informationen nach der Ausstellung in Graz 1973 in der Einzelausstellung in der Galerie Il Centro in Neapel gezeigt,36 und später in der Ausstellung T-5: Tendenzen 5 in der Sektion „Konstruktive visuelle Forschung“, welche die Aktualität dieses Bereichs untersuchte. Neben dem Lamellmeter, das Richter als Kunstwerk bezeichnete, „das nach einer sinnvollen und inspirierten Erfüllung sucht“,37 stellte Richter an der T-5 auch sein Werk Dijagonalni reljefometar [Diagonales Reliefmeter] und den Zyklus Systemgrafiken aus, seinen neuen Forschungsbereich, in dem er seine Untersuchungen von System, Struktur und Form weiterführte.38 Die Werke aus dem Zyklus Systemgrafiken bewegen sich zwischen Architektur und Kunst. Sie bestehen jeweils aus vier Matrizen mit 900 Feldern und sind so angeordnet, dass jede Matrix im Rastersystem jedes vierte Feld abdeckt. Die Matrizen decken das gesamte Raster ab und erzeugen ein Bild. Sie können so programmiert sein, dass eine Matrix in einer Farbe oder in mehreren Farben erscheint. Durch Drehen einer oder mehrerer Matrizen werden immer neue visuelle Ergebnis erzielt, wobei das System eine unbegrenzte Anzahl an Variationen ermöglicht.39 Als Vorläufer


SESPOC 2 (Spontane Zeichnung), 1977 Sammlung Richter, MSU Zagreb

36 Der Kurator der Ausstel­ lung war Zoran Kržišnik. 37 Vjenceslav Richter, Moj misaoni prostor [Mein Gedankenraum], MSU, Zagreb 2016, S. 19. 38 Die Werke Lamellmeter und Diagonales Relief­ j32meter sind in einer Auflistung von Richters Werken im Jahr 1973 verzeichnet, daher ist es möglich, dass es zwei Versionen des Lamell­ meters gab. Die ver­ fügbaren Daten geben keinen Aufschluss darüber, was mit dem Werk geschehen ist. 39 Im selben Jahr veröf­ fentlichte Vjenceslav Richter die Publikation Systemic Graphics im Eigenverlag.

der Systemgrafiken im räumlichen Sinn können die bereits erwähnten Simultanformen betrachtet werden, die aus farbigen, in einem bestimmten System angeordneten Monoelementen aus Holz bestanden. Die Systemgrafiken betrachtete Richter in einem räumlichen Rahmen und hielt diese Betrachtungen 1997 im Zyklus Slika s vlastitom sjenom [Bild mit eigenem Schatten] fest, wobei die Matrix auf der Vorder- und der Rückseite eines Plexiglas aufgedruckt wurde. Unter einem bestimmten Blickwinkel, aber auch wenn sich der Betrachter bewegt, spielt der kleine Zwischenraum, der aus der Dicke des Plexiglases entsteht, eine wichtige Rolle in der Formierung des Raumes und wird so zum Hauptbestandteil dieses Kunstwerks. Die obsessive Beschäftigung mit Systemen und großen Zahlen war in Richters Gesamtwerk immer präsent. Dies zeigte sich auch in jenem Werk, mit dem er 1975 an trigon 75 teilnahm. Er stattete das Innere eines dekonstruierten Würfels mit Selbstporträts aus, die von Abbildungen seiner zentralen Beschäftigungs- und Forschungsbereiche überlagert wurden. Mit dem Betreten des Würfels betraten die Besucher gleichzeitig Richter­s experimentelle Welt des Synthurbanismus, der Systemplastiken, der Centras und der räumlichen Strukturen. Im selben Jahr nahm er mit einer Systemplastik an der 10. Biennale für Bronze- und Kleinskulpturen in Padua teil, die von Ješa Denegri kuratiert wurde. Im darauffolgenden Jahr fand in der Galleria Visconti in Mailand eine äußerst interessante Einzelausstellung Richters statt, in welcher seine systemische Forschung zu Skulpturen und Grafiken präsentiert wurde. In diesem Zeitraum experimentierte Richter verstärkt mit Malerei, mit Grafik und Zeichnung. Er bewegte sich von der geometrischen Strenge der Systemgrafiken weg und hin zu einem freieren Ausdruck in den Zyklen zu „spontanen, semi-spontanen und freien“ Grafiken und Zeichnungen. Diese zeigte er erstmals auf der 11. Internationalen Biennale für Grafik in Ljubljana (1975). Der erste Preis, mit dem er prämiert wurde,


Modell des jugoslawischen Pavillons in Turin, 1961 Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb

Modell des Evolutionsmuseums in Krapina, 1966 Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb

war eine große Anerkennung. Die spontanen Grafiken und Zeichnungen bedeuteten eine Distanzierung von den programmierten Bildern. Richter bewegte sich hier in einem neuen Feld, in dem spontane Handbewegungen eine Reihe Kreise gestalteten. Durch eingehendes Studieren dieser Grafiken und Zeichnungen wird jedoch deutlich, dass sich Richter dennoch nicht vom Rationalen entfernt hatte. In den spontanen Handbewegungen steckt ein programmatischer Ansatz, ein aus präzise gezeichneten Kreisen bestehendes System. Durch Reproduktion entstanden komplexe Kompositionen innerhalb eines quadratischen Formats, die in der Art programmierter Oberflächen von Systemplastiken gestaltet sind. Die spontanen und semi-spontanen Grafiken der 1970er- und 1980erJahre stellte Richter häufig auf inter­nationalen Grafikausstellungen in Ljubljana, Krakau, Tokio, London, Bilbao, Katowice und vielen weiteren europäischen Städten aus. Zwischen den systemischen und spontanen Zyklen blieb Richter der Geometrie treu und warf in diesem Bereich interessante Fragen zu bereits bekannten Erkenntnissen auf: Der Würfel ohne rechte Winkel, ein Dreieckspaar ohne rechte Winkel, ein nicht wiederholbares Bild und eine neue Unterteilung des Kreises sind nur einige der Themen, mit denen er sich beschäftigte. Darunter war insbesondere der Vorschlag einer neuen Unterteilung des Kreises interessant, mit dem Richter die Unterteilung des Kreises in 360° infrage stellte. Mit mathematischer Präzision erfand er ein System, in welchem er eine neue Größe für einen Grad – die Grundeinheit des Kreises – vorschlug. Damit ermöglichte er die Unterteilung des Kreises in 512° und eine genauere Kreislinie. Diese mathematische Berechnung übertrug Richter wie einen programmierten Code in seinem Werk Milenijska rozeta [Millenniumsrosette] in eine visuelle Sprache, wodurch das Werk die aufgestellte These in künstlerischer Hinsicht bestätigte. Hier lassen sich die Vorläufer der Milenijska rozeta erkennen: der jugoslawische Pavillon in Turin, das Evolutionsmuseum in Krapina, der Zyklus der Systemmalerei und die Innenraumgestaltung der Villa Zagorje.


Raumbild Nr. 19, 1997 Sammlung Richter, MSU Zagreb

Die nächste wichtige Phase in Richters Forschung führte ihn in den späten 1990er-Jahren zu einer endgültigen und zufriedenstellenden Antwort auf die vor langer Zeit eröffnete Frage nach einer Synthese von Architektur, Skulptur und Malerei. Auf der Suche nach einer Antwort, wie man ein System des direkten Dialogs mit dem Raum herstellen kann, fand Richter die Lösung im Werk Prostorna slika [Raumbild] – ein Würfel mit sechzehn durchsichtigen Oberflächen, wobei für jede Oberfläche eine andere künstlerische Lösung gefunden wurde. Dieses Werk funktioniert – aus jeder Perspektive betrachtet – wie ein Bild, kann aber gleichzeitig Bild, Skulptur und Architektur sein.

40 Ana Ofak, EXPO-Lab: „Paviljoni 1950-ih godina između umjetnosti i industrije“ [Die Pavillons der 1950er Jahre zwischen Kunst und Industrie], in: J. Vinterhalter (Hg.), Bauhaus – umrežavanje ideja i prakse [Bauhaus – Vernetzung von Idee und Praxis], Kat., MSU, Zagreb 2015, S. 349.

Hier endet der Forschungsweg, der seinen Ausgangspunkt im EXATManifest genommen hatte. Die Serie der Raumbilder bildet die Antwort auf Richters Fragen, die er im Text Prognoza životne i likovne sinteze kao izraza naše epohe [Prognose einer Synthese von Leben und Kunst als Ausdruck unserer Zeit] notierte: „In der Synthese gibt es weder das architektonische Werk noch die Plastik oder das Bild im klassischen Sinne. Es gibt den Betrachter als Subjekt und die einzigartige Welt der bildenden Kunst, den Raum, in dem sich alles befindet, sich bewegt, ruht, lebt. Wenn wir in einer ganzheitlichen Welt Teil einer künstlerischen Synthese sind, ist alles Architektur, alles Skulptur, alles Bild, den Betrachter als motorisch-plastisches und psychologisches Element eingeschlossen.“ Einen der ersten Ausstellungspavillons hatte Richter gemeinsam mit Ivan Picelj und Aleksandar Srnec auf der internationalen Wirtschaftsmesse in Hannover realisiert. Er wurde in der Presse spektakulär unter der Überschrift Balkanische Dekorationsexplosion vorgestellt.40 2000 nahm Richter erneut an der Expo in Hannover teil und dachte auch dort wieder in großen Dimensionen: Er stellte ein Raumbild aus Glas in den Dimensionen 180 x 180 x 180 cm auf einer rotierenden Basis aus. Architekt, Künstler, Maler, Grafiker, Designer, Bühnenbildner, Theoretiker – Vjenceslav Richter untersuchte in einem Zeitraum von über fünfzig Jahren die Synthese. Und es waren diese Untersuchungen, die ihn zu Meisterleistungen auf dem Gebiet der Architektur, der Stadtplanung, der Kunst und der Theorie motiviert hatten.


Raumbild Nr. 3, 1997 Sammlung Richter, MSU Zagreb


Raumbild Nr. 17, 1997 Sammlung Richter, MSU Zagreb


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Vjenceslav Richter und die Architektur: Engagement versus „Assistenz“* Maroje Mrduljaš

* Der Untertitel ist eine Paraphrase auf einen Aufsatz Richters, „Asis­ tencija i angežira­nost – o nekim fundamen­ talnim pitanjima naše arhitekture [Assistenz und Engagement: Über einige grundlegende Fragen zu unserer Architektur], in: Praxis, 04/05, 1965, wobei Richter das Wort „Asis­ tencija“ in spezieller Weise versteht (siehe S. 59 in diesem Kata­ log) . 1 Siehe auch: Jasna Galjer: „Izložbena arhitektura Vjenceslava Richtera: Eksperiment kao metoda“ [Die Ausstellungsarchitektur von Vjenceslav Richter: Das Experiment als Methode], in: Jasna Galjer, Expo 58 i jugoslavenski paviljon Vjenceslava Richtera [Die Expo 58 und der jugoslawische Pavillon von Vjenceslav Richter], Zagreb 2009, S. 313–363.

Vjenceslav Richter ragt aus der lokalen kroatischen Architektur­ geschicht­e der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als einzigartige Persönlichkeit hervor. In den mehr als 50 Jahren seiner Tätigkeit schuf er ein umfangreiches Werk, das mit dem traditionellen Kanon seines Fachgebietes weder konform ging noch sich ihm unterordnete. Vielmehr ist es durch überraschende Wendungen und Erkundungen in unterschiedlichen und scheinbar widersprüchlichen Konzeptionen geprägt. Doch fußt das Gesamtwerk Richters auf einigen zentralen Anliegen: auf der Synthese der bildenden Künste, einem experimentellen Ansatz und dem Bestreben, seine Arbeit auf den Gebieten der Architektur und der bildenden Kunst auf einer möglichst breiten gesellschaftlichen Ebene umzusetzen. Richter, zu seiner Zeit anerkannt und stark umstritten, war ein Vorläufer der neuen Strömungen in der kroatischen Architekturszene. Im Gegensatz zu den meisten seiner Zeitgenossen in Kroatien und dem damaligen Jugoslawien interessierte Richter vor allem das Experimentieren im Bereich der „reinen Architektur“. Es ist kein Zufall, dass die meisten seiner Schlüsselprojekte – Interieurs, Ausstellungspavillons und -stände – selbstinitiierte Projekte waren und zu einem Bereich gehörten, der nicht mit komplexen Funktionen oder typologischen Vorgaben belastet war. Diese Aufgaben erlaubten es Richter, Methoden zu entwickeln, die von der „abstrakten“ räumlich-architektonischen, plastischen Vorstellung ausgingen. Sein Ansatz war also grundsätzlich „a-funktional“. Richter vermied Situationen, die ihn gezwungen hätten, vorgegebenen programmatischen Aufgaben eine Form zu geben, sondern definierte, wenn irgend möglich, die Programme selbst – einfacher gesagt, stellte er seine eigenen Fragen und beantwortete sie selbst. Ein solcher Ansatz wäre nicht überzeugend gewesen ohne den entsprechenden theoretischen Hintergrund sowie die große Bandbreite zwangsläufig zusammenhängender Tätigkeitsbereiche.1 Richter wechselte mit Leichtigkeit von einem Medium zum anderen, wobei er seine theoretischen Konzepte und Gestaltungsmethoden auf unterschiedliche Themen anwandte – was beweist, dass seine Forschungen auf grundsätzlichen Überlegungen beruhten. Sein theoretisches Werk ist umfangreich und deckt ein weites


Die Architekten Zdravko Bregovac, Vjenceslav Richter und Bernardo Bernardi der Gruppe EXAT 51, Zagreb, 1950 Kroatisches Architektur­ museum, Zagreb

Themenfeld ab, von der Theorie der bildenden Kunst bis zur gesellschaftlichen Rolle der Architektur. Im Bewusstsein der Wichtigkeit der Wissensverbreitung und des Wissensaustausches innerhalb der Disziplinen wie auch im Kontext einer breiteren Öffentlichkeit initiierte oder unterstützte Richter in den 1950er- und 1960er-Jahren einige bedeutende Projekte in Kroatien, die mit der Durchsetzung der abstrakten Kunst, dem Design-Diskurs und einem wissenschaftlichen Ansatz in der Architektur in Zusammenhang standen. Er beteiligte sich auch aktiv an der Arbeit natio­naler und internationaler Berufsorganisationen und wirkte als Vermittler zwischen den internationalen und den lokalen Architekturszenen. Er war einer der wenigen kroatischen Architekten, die bereits zu Lebzeiten einen Beitrag zur globalen Architekturdebatte geleistet haben.

Synthese und frühe Experimente Richter begann 1937 am Institut für Architektur der Technischen Fakultät an der Universität Zagreb mit seinem Architekturstudium, das er nach einer Unterbrechung während des Zweiten Weltkriegs auch dort fortsetzte. Seine Lehrer waren unter anderen Alfred Albini, Zdenko Strižić, Josip Seissel, Vladimir Turina – ausgezeichnete Architekten verschiedener Generationen, die unterschiedliche, aber auch kompromisslos modernistische Standpunkte vertraten. Parallel zum Studienabschluss arbeitete Richter bereits an seinen ersten vom OZEH (Oglasni zavod Hrvatske/Kroatisches Amt für Werbung) beauftragten Projekten, an Ausstellungsständen im In- und Ausland. Diese scheinbar flüchtigen Aufgaben boten Richter Gelegenheit für Experimente, da sie weniger mit funktionalen, konstruktiven und anderen Vorgaben belastet waren, als es architektonische Aufgaben für gewöhnlich sind. Nach den Ausstellungspavillons für die Messen in Triest (1947) und Mailand 1948 (Letztere hatte er gemeinsam mit Zvonimir Faist entworfen) arbeitete Richter für die Buchausstellung der Volksrepublik Kroatien (1948) mit den Malern und zukünftigen Designern Ivan Picelj und Aleksandar Srnec zusammen. Dieses Team, zu dem später noch der Architekt und Theoretiker Zvonimir


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2 Vladimir Kulić, „Architecture and State Representation in Postwar Yugoslavia», in: Vladimir Kulić, Timothy Parker und Monica Penick (Hg.), Sanctioning Modernism, Architecture and the Making of Postwar Identities, Austin 2014, S. 44–45. 3 Jasna Galjer, Expo 58 i jugoslavenski paviljon Vjenceslava Richtera [Die Expo 58 und der jugoslawische Pavillon von Vjenceslav Richter], Zagreb, Horetzky, 2009, S. 316.

Radić stieß, entwarf in wechselnder Zusammensetzung Pavillons für die internationalen Messen in Paris und Wien (1949 und 1950), Hannover (1950), Stockholm (1949 und 1950) und Chicago (First United Nations International Trade Fair, 1950). In Jugoslawien gestaltete das Team die große und wichtige Ausstellung Autoput bratstva i jedinstva [Die Autobahn der Brüderlichkeit und Einheit] in Zagreb und Belgrad (1950) und die Ausstellung Lokalna privreda SRH [Die lokale Wirtschaft der Sozialistischen Republik Kroatien] in Zagreb (1950). Während der Arbeit an diesen Projekten wurde Richter der Sonderstatus eines „freien Künstlers“ zugestanden – zu einer Zeit, als in Kroatien die gesamte Architekturpraxis im Bauministerium und später im Amt für Architektur und Projektierung (APZ) zentralisiert und mit den dringenden, jedoch durchwegs routinemäßigen Aufgaben des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg beschäftigt war. Auch die Architektenkarriere, die üblicherweise mit einer Anstellung bei erfahrenen Gestaltern beginnt, verlief bei Richter anders. Er hatte schon zu Beginn die Möglichkeit, Mitarbeiter auszuwählen und berufliche Netzwerke zu knüpfen. Somit war die Arbeit an den Ausstellungen auch eine Gelegenheit zur Bildung einer kollektiven Arbeitsplattform, aus der dann EXAT 51 hervorging. Richters ungewöhnliche, neuartige Pavillons und Ausstellungsgestaltungen führten überraschend zur Entstehung avantgardistischer Tendenzen im spezifischen und unruhigen Umfeld Jugoslawiens. Hier wurden Diskussio­nen über die Suche nach dem entsprechenden architektonischen Ausdruck für eine neue sozialistische Gesellschaft oder Polemiken über die abstrakte Kunst geführt. Tatsächlich waren diese Projekte, abgesehen von den wenigen Arbeiten von Jo Klek (Josip Seissel), die ersten Schritte zu einer radikalen Avantgarde der Architektur in Kroatien, neben dem Projekt des Schwimmbadkomplexes im Rijeka-Sušak-Delta von Vladimir Turina und anderen (1948). Vladimir Kulić benannte die Quellen der Pavillonprojekte, aus denen für die synkretistische Kombination unterschiedlicher Elemente aus der Ästhetik der Avantgarde und des Designs geschöpft wurde: „Sie umfassten die konstruktivistische Reduktion der Formensprache, schwebende lineare und flache Elemente mit sichtbaren Metallrahmen und -trägern als Stützen, bis hin zu biomorphen Formen, die an den Surrealismus von Hans Arp erinnerten. Einige Ausstellungen enthielten sogar Elemente, die wie direkte Zitate von Friedrich Kiesler wirkten: konkave Wände, kurvige schmale Elemente oder ungewöhnliche organische Säulen.“2 In den Pavillons wurden die Exponate nicht einfach nur präsentiert, vielmehr wurde der Inhalt der Ausstellung mit ihrer räumlichen Gestaltung verschränkt, um so eine sorgfältig inszenierte dreidimensionale Erfahrung zu erzeugen. Die Stände und Ausstellungspavillons agierten quasi als multimediale Installationen, die den Inhalt auf unterschiedlichen Ebenen mittels Fotografien, Zeichnungen, Schriften, Möbeln und sogar mit interaktiven didaktischen Instrumenten vermittelten. Jasna Galjer betont mit Recht die multimedialen Strategien, welche „Collagen, Montagen, Erfahrungen aus dem Film und von Wandtapeten bzw. die Prinzipien der simultanen Darstellung nutzen.“3 Für die Ausstellungen wurden perspektivische Collagen erstellt, die als Vorbereitungsstudien für die


Dauerausstellung, Revolutionsmuseum des kroatischen Volkes, Zagreb, 1955 Kroatisches Geschichte­ museum, Zagreb

räumliche Anordnung dienten, wobei deren visuelle Qualität gelegentlich sogar die eigentliche Umsetzung übertraf. Die Arbeit an den ausländischen Pavillons bot die wertvolle Möglichkeit, Studienreisen zu unternehmen. Für den Pavillon in Chicago reiste Richter zum ersten Mal in die USA. Er nutzte diese Gelegenheit, um das 1937 von Lázló Moholy-Nagy gegründete Institute of Design am Illinois Institute of Technology in Chicago zu besuchen, einen „Wallfahrtsort“ der Nachkriegs-Avantgarde. Nach einer Serie von Gemeinschaftsarbeiten gestaltete Richter eine Ausstellung jugoslawischer Keramik in London (1953). Er teilte den Ausstellungsraum mittels leichter, rhythmisierter Paravents, die er in späteren Arbeiten weiterentwickelte. Die Zusammenarbeit zwischen Richter, Srnec, Radić und Picelj führte zur Gründung der Gruppe EXAT 51 (Experimentelles Atelier), deren Manifest 1951 bei der Künstlervereinigung der angewandten Künste in Zagreb verlesen wurde. Dort wurden jene Interessen angestoßen, die Richter ein Leben lang begleiteten: die Freiheit des künstlerischen Schaffens, die Aufhebung der Grenzen zwischen der angewandten und der reinen Kunst und die „totale plastische Synthese“, die ihren Sinn in der Transformation der Gesellschaft durch die Gestaltung der Umgebung findet. Das Wirken der Gruppe fand seinen Höhepunkt in einer Kunstausstellung beim Zagreber Architektenverein im Jahr 1953. Die Konzepte der Gruppe EXAT 51 bildeten die konzeptionelle Grundlage für die Entwicklung des modernen Designs in Kroatien, an der Richter intensiv beteiligt war. Die neoavantgardistische Ästhetik erreichte die breitere Öffentlichkeit gerade durch das Design des Interieurs, von Möbeln und Publikationen. Zu Beginn der 1950er-Jahre arbeitete Richter an zwei Interieurs, die jedes in seiner Art Kontroversen auslöste. Nach der vorherigen Umgestaltung des von Stjepan Planić projektierten Pavillons in eine Moschee inter­venierte Richter im Künstlerpavillon von Meštrović in Zagreb, in dem er das Revolutionsmuseum (1951–1955) einrichtete. Richters Geste war


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Ritz Bar, Zagreb, 1953 Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb

4 Für eine ausführ­ liche Übersicht der Diskussion über Meštrovićs Pavillon siehe: Meštrovićev Dom umjetnosti: građenje, razgrađivanje i obnav­ ljanje [Das Haus der Kunst von Meštrović: Bau, Entwicklung und Erneuerung], Art bulle­ tin, 61, Zagreb, 2011, S. 67-109.

radikal und logisch zugleich: Er fügte in den monumentalen und schwer nutzbaren kreisrunden Raum des Pavillons ein System schwebender Plattformen und Treppen ein, deren unregelmäßige, polygonale Geometrie mit der reinen, platonischen „einheimischen“ Form kontrastierte. Richter schuf eine formale Spannung zwischen dem Alten und dem Neuen, wobei beide Einheiten ihre Integrität bewahrten, während die neue Intervention bessere und effizientere Bewegungs- und Nutzungsmöglichkeiten im Gebäude eröffnete. Der von zahlreichen führenden Architekten jener Zeit verfasste Revisionsbericht aus dem Jahr 1951 ist durchgehend negativ und spricht von Disharmonie.4 Es gelang Richter jedoch, sein Projekt zu Ende zu führen. Es war die erste in einer Reihe von zahlreichen Anfeindungen. Das Interieur der Ritz Bar (1953) in Zagreb, in unerwarteter Zusammenarbeit mit Edo Murtić, eröffnete dann doch die berühmte Diskussion über die Frage der richtigen Synthese und Abstraktion. Diese Diskussion polarisierte die Architektur- und Kunstszene und nahm zuweilen kämpferische Züge an. Gerade die Polemik um Synthese und Abstraktion motivierte Richter, erste kritisch-publizistische Texte zu veröffentlichen. Richter meldete sich in der Folge öfters mit umfangreichen thematisch-theoretischen Texten zu Wort, die ihm auch als Grundlage für seine Arbeit dienten. Im gleichen Jahr projektierte Richter ein Restaurant mit einem Gastgarten in Slavonski Brod (1952) und übertrug so seine Arbeitserfahrung aus den Ausstellungen auf eine dauerhaftere Architektur. Dieses Projekt ist eine innovative Variation des Themas eines offenen Pavillons: eine Außenlandschaft mit unterschiedlichen Formen des Ab- und Überdeckens des Raums. Die Glaswand am Terrassenrand und die Betonüberdachung sind freie surrealistische Formen, während das System der schlanken Metallpergola in einer ganz anderen Ästhetik projektiert wurde: als ein konstruktivistisches modulares System. Die gewölbten Glaswände schufen ein dynamisches optisches Spiel von Reflexionen und das Raumerlebnis erforschte die Themen der konsequenten und phänomenologischen Verbindung und Abgrenzung. Richter arbeitete auch an der Einrichtung des PavillonRestaurants im Hotel Adria in Umag, für dessen harmonische Architektur


Nada Šilović (1953) verantwortlich zeichnet. Die Arbeit an diesem Inte­ rieur diente Richter auch als Konkretisierung seines Interesses am industriellen Design und an der Herstellung der ersten Serie von Möbelgegenständen. Darauf folgte eine Reihe von Produktdesigns, die entweder als Prototypen erhalten blieben oder aber in limitierten Serien hergestellt wurden. Die Werke aus den 1950er-Jahren sind die Fortsetzung der Ausstellungsgestaltungen und sie sind ein klug gewähltes Medium, das die Umsetzung des experimentellen Ansatzes erlaubte. Sowohl das Revolutionsmuseum als auch das Restaurant in Slavonski Brod sind ausgesprochen dynamische, heterogene Ambiente mit mehrfachen Ausrichtungen, mit komplexen, überlappenden räumlichen Geometrien. Diese Projekte, wesentlich anders, „moderner“ als die Mehrzahl der Produktionen jener Zeit, zeigen deutlich Richters Radikalismus auf, und auch seine Suche nach authentischen räumlichen Ideen ohne Konventionen.

5 Vgl. Jasna Galjer, „Doprinos arhitekta Zvonimira Radića teoriji oblikovanja“ [Beitrag des Architekten Zvonimir Radić zur Theorie des Gestaltens], Prostor, 11, Fakultät für Architektur der Universität in Zagre­b, S. 57-65. 6 Vjenceslav Richter, „Likovni regulator industrijske proizvonje“ [Der Kunstregulator der Industrieproduktion], ČIP, 86, Zagreb, SAH, 1959, S. 1. 7 „Stan za naše prilike“ [Eine Wohnung für unsere Verhältnisse], Arhitektura, 1-6, Zag­ reb, SAH, 1956, S. 46.

In dieser intensiven Zeit engagierte sich Richter vermehrt auch auf gesellschaftlicher Ebene. Ab 1951 lehrte er am Institut für Architektur der Akademie für angewandte Kunst in Zagreb, wo er von 1949 bis 1955 wirkte. Dort pflegte man dank eines bedeutenden Beitrags von Radić5 einen synthetischen und auf Forschung ausgerichteten Ansatz und verband die Vorlesungen mit der Praxis. 1955 wurde die Zagreber Triennale als eine der zentralen Initiativen zur Verknüpfung neuer Bewegungen in der Architektur, im Design und in den visuellen Künsten, mit Fokussierung auf das Alltagsdesign gegründet. Die Idee der Synthese kommt insbesondere in der 3. Triennale 1958 zum Ausdruck, für die Richter die Ausstellung projektierte und die Corporate Identity entwarf. In der Einleitung umriss Richter die programmatische Rolle der Ausstellung, indem er behauptete, dass die bildende Kunst zum gesellschaftlichen Faktor einer demokratischen Kategorie auf kultureller Ebene würde, so wie dies auf der gesellschaftspolitischen Ebene das System der Selbstverwaltung durch die Arbeiter und die Gesellschaft sei.6 Das Programm der Triennale war umfassend. Neben der zentralen Ausstellung mit gleichberechtigt präsentierten Werken aus den Gebieten der visuellen Künste, des Designs und der Architektur, die Richter innerhalb eines räumlichen Rasters, wie im Künstlerpavillon in Zagreb angewendet, anordnete, was einer frühen Erforschung des Konzepts des Raumbildes entspricht, schloss er auch didaktische Begleitausstellungen mit ein. Richter und die Mitglieder der Gruppe EXAT 51 waren auch der harte Kern des nur für kurze Zeit aktiven Studios für industrielle Gestaltung (SIO). Dieses wurde bei der Vereinigung der angewandten Künstler Kroatiens (ULUPUH) gegründet und vereinte 28 Architekten, Künstler, Textil- und Keramik­designer. Es hatte den Übergang von individuellen Aktionen zur radikalen Gestaltung von industriellen Objekten zum Ziel, um so „den Standard der Kroaten zu heben“.7 In seinem Programm betonte das SIO, dass sich seine Mitglieder nicht nur mit der Designpraxis befassten, ihr Ziel sei vielmehr die Programmierung der avantgardistischen Kunst durch verschiedene Formen des öffentlichen Auftretens: Vorträge, Ausstellungen und Diskussionen. Das wichtigste Kollektivprojekt des SIO war sein Auftritt bei der Mailänder Triennale 1957, wo es zusammen mit dem slowenischen Architekten


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8 Es wurden zwei erste Preise verliehen, den zweiten ersten Preis erhielt der Architekt Ratimir Bojević aus Belgrad.

Niko Kralj Jugoslawien auf der internationalen Wohnungsausstellung vertrat. Im neu erbauten Pavillon stellten die Design-Großmächte Frankreich, Italien, Finnland, Dänemark, Schweden und die Bundesrepublik Deutschland sowie eine internationale Besetzung Musterwohnräume aus. Der jugoslawische Pavillon stand dem in nichts nach, und im Vergleich zu den übrigen Ausstellungen tat er sich mit einer Diversität und Fülle der Exponate hervor: von kleinen Gebrauchsgegenständen über verschiedene Kunstwerke bis hin zu Möbelstücken, einschließlich der von Richter entworfenen Stühle und Beleuchtungen. Von 1958 bis 1961 war Richter schließlich Chefredakteur der Zeitschrift Čovjek i prostor [Mensch und Raum]. Er führte das bereits etablierte Zeitungsformat weiter, das sich sowohl an ein Fach- als auch an ein breiteres Publikum wandte und die weitgefasste Frage nach dem Raum kritisch beleuchtete. Die frühesten eigentlichen architektonischen Projekte Richters entstanden zwischen 1954 und 1958 gemeinsam mit Zdravko Bregovac, ebenfalls Mitglied der Künstlergruppe EXAT 51. Es waren Museen und Ausstellungspavillons, die sich durch elementare Volumina auszeichneten. Die typologischen und funktionalen Anforderungen ordneten sich den Bedingungen formaler und räumlicher Klarheit unter, unter Betonung der tektonischen Gestaltung der Volumina. Diese Projektserie ist die erste direkte Reaktion auf das Chicagoer Nachkriegswerk von Mies van der Rohe im kroatischen Kontext, fast parallel zu den Umsetzungen von Mies van der Rohe für das Illinois Institute of Technology in Chicago. Das erstprämierte Wettbewerbsprojekt für das Museum der Stadt Belgrad (1954)8 und die Wohnsiedlung in Banja Luka (1955, mit Zdravko Bregovac und Franjo Neidhardt) skizzierten ein Modell offener, luftiger Räume und akzentuierter grafischer Fassadengestaltung. Beim Architekturwettbewerb für das Archäologiemuseum in Aleppo in Syrien (1956/1957) erhielten Bregovac und Richter den ersten Preis für ihren aus zwei horizontalen Volumina bestehenden Entwurf: ein größerer Ausstellungspavillon mit geschlossener Front und auf das intime Atrium ausgerichtet und ein kleinerer Pavillon für sekundäre Inhalte. Der Bau wurde ausgeführt und war – neben dem Komplex der Post- und Telekommunikationszentrale in Addis Abeba (Äthiopien) des aus Sarajewo stammenden Architekten Ivan Štraus – international einer der größten architektonischen Erfolge aus dem ehemaligen Jugoslawien. Es folgte die Realisierung des österreichischen Pavillons auf der neuen Messe Zagreb (1957/58, später wieder abgebaut), bei welchem die formale Strenge des Gebäudes mit einzelnen frei gestalteten Elementen – der Eingangsfassade und -säule – ergänzt wurde. Diese Begegnung des formal konzisen Pavillons mit verspielten geometrischen Formen veranschaulicht auch den Dialog zwischen Bregovac und Richter. Das Wettbewerbsprojekt für das Revolutionsmuseum in Sarajevo (1958, heute Historisches Museum von Bosnien-Herzegowina) folgt dem in Aleppo realisierten Modell von primärem Ausstellungs- und sekundärem Dienstleistungsvolumen. Am konsequentesten wurden die Ambitionen Richters für eine Architektur des „universellen Raums“ in der Studie eines multifunktionalen Pavillons mit einem zentralen Auditorium umgesetzt, der wahrscheinlich für die


Zdravko Bregovac, Vjenceslav Richter Archäologiemuseum, Aleppo, 1956/57 Kroatisches Architekturmuseum, Zagreb

Messe in Zagreb projektiert war. Darin wird das Raumkonzept endlich auch von einem entsprechenden konstruktiven System mit gitterartigen Trägern gestützt, die eine große Spannweite überbrücken. Diese formal bereinigten, disziplinierten Projekte, die sich an die Tradition des Neoklassizismus anlehnen, deuteten die Entwicklung von Richters Forschungen hin zum Konzept der Raumbilder bereits an, die er später sowohl in der Theorie als auch in der architektonischen Praxis erforschte.

Das Raumbild

9 Vjenceslav Richter, Sinturbanizam [Syn­ thurbanismus], Zagreb, 1964, S. 55.

Während seiner Arbeit an der Akademie für angewandte Künste im Jahr 1954 schrieb Richter die didaktisch angehauchte theoretische Abhandlung Prognoza životne i likovne sinteze kao izraza naše epohe [Die Prognose einer Synthese von Leben und Kunst als Ausdruck unserer Zeit]. Dieser Text wurde erst 1964 im Buch Synthurbanismus publiziert und stellt die vollständigste Theorie des Gestaltens dar, die jemals in Kroatien verfasst wurde. Auch wenn der Text schwer lesbar und es offensichtlich ist, dass Richter mit den Grenzen seines theoretischen Apparats konfrontiert war, lässt sich daraus doch auf jene Ideen schließen, die die methodologische Grundlage boten für die Projektserie in der zweiten Hälfte der 1950er- und 1960er-Jahre. Mit Bezug auf De Stijl und Mondrian versuchte Richter das Konzept des Raumbildes zu erarbeiten, in dem es zur Synthese der Gestaltung des Raums und der ihn umschreibenden Flächen kommt. Dadurch wird die Situation vermieden, wonach künstlerische Applikationen post festum auch mechanisch auf die Architektur angewendet werden. Die modulare Koordination und die rektanguläre Teilung sind die Grundwerkzeuge dieser Synthese. An den räumlichtechnischen Rohstoff tritt man im Einklang mit dessen funktio­naler und baulicher Logik heran, und der künstlerische Beitrag ist keine Zugabe, sondern ein Eingriff der qualitativen Veränderung.9 Grundsätzlich versucht Richter, ein neoplastisches Artikulationsmodell einer Kunstfläche in ein dreidimensionales System zu überführen, das alle Elemente der


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10 Die Ausstellung wurde vom Grafikdesigner Emil Vičić und dem Architek­ ten Đuka Kavurić koor­ diniert. Die komplexe Aufgabe, Jugoslawien vorzustellen, wurde auf drei thematische Einhei­ ten aufgeteilt: Staatsund Gesellschaftsform; Wissenschaft, Kunst und Bildung; Wirtschaft und Tourismus. Richter wirkte in zwei großen Teams mit, die für das Design der Ausstellung zuständig waren: dem Zagreber und dem Belgrader Team, die auf Richters räumliche Konzeption und seine Anleitungen für die Wei­ terbearbeitung Bezug nahmen.

Raumartikulation harmonisiert. Im Text stellt Richter das Konzept des Raumbildes über die Problematik des Inneren des architektonischen Raums vor, in der Perspektive von innen nach außen. Doch das Konzept ist auch auf die Gestaltung des ganzen Gebäudes anwendbar, wobei die äußere Gestaltung die inneren Verhältnisse widerspiegelt. Die Spuren dieses Konzepts sind bereits in den Arbeiten mit Bregovac vorhanden, das Konzept wurde jedoch schon bald präziser. 1956 gewann Richter mit Emil Weber in der zweiten Phase der Ausschreibung den Wettbewerb für den Pavillon an der EXPO in Brüssel. Sie entwarfen ein ungewöhnlich radikales Konzept, eine Hybridform zwischen dem Konzept des Raumbildes und der Affinität zu konstruktivistischen Experimenten. Der luftdurchflutete hochmodernistische Pavillon sollte an einem schwebenden Fundament aufgehängt werden, das von einer gigantischen Mittelsäule getragen wurde. Dadurch wäre das Gebäude an nur einem Punkt mit dem Boden verbunden gewesen und hätte so geradezu naiv der Schwerkraft getrotzt. Das minutiöse Design des luftdurchfluteten Pavillons und die radikal strukturelle Lösung schienen zwei verschiedene Sprachen zu sprechen. Mit weiteren Änderungen des Projekts wurde trotz Richters Bemühungen, dessen Ausführbarkeit zu beweisen, die radikale Konstruktionsidee als kaum umsetzbar verworfen. Schließlich wurde ein eleganter Pavillon aus Stahl und Glas mit einer einfachen skeletthaften Trägerkonstruktion errichtet. Diese Vereinfachung brachte den plastisch-synthetischen Ansatz klarer zum Ausdruck, durch den alle Elemente des Gebäudes und seiner Umgebung koordiniert wurden. Ähnlich dem Pavillon von Mies van der Rohe in Barcelona war der Pavillon ein offener Raum ohne genaue Grenzen zwischen dem Interieur und dem Exterieur. Sowohl das architektonische Konzept als auch die Szenerie der Ausstellung begannen außerhalb des Pavillons, der auf einer künstlichen Topografie bestehend aus einem Terrassen- und Treppensystem ruhte. Man erreichte den Pavillon, der im Erdgeschoss völlig offen war, ohne Türen und Zwischenwände über diese künstliche Topografie. Im Inneren des Pavillons setzte sich die äußerliche architektonische Promenade über breite Treppen und Plattformen fort, die sich um den vom Tageslicht beleuchteten Mittelraum wanden. Auf der symbolischen Ebene suggerierte der türenlose Pavillon die Offenheit des jugoslawischen Selbstverwaltungssozialismus. Er verteidigte jedoch auch buchstäblich die Aufhebung von räumlichen Grenzen in der Architektur, der neoplastischen Theorie der totalen Kontinuität des urbanen Raums folgend. Entlang der architektonischen Promenade reihten sich die Ausstellungsgegenstände sorgfältig aneinander: von Kunstwerken über Infografiken und Fotografien bis hin zu Kunsterzeugnissen der jugoslawischen Industrie. Architektur und Ausstellungsgegenstände waren sorgfältig auf das ganzheitliche räumliche System abgestimmt und in dieses integriert. Der räumliche Rahmen und alle Elemente der Ausstellung waren einwandfrei harmonisiert und repräsentierten die utopische Idee der gesellschaftlichen Entwicklung als einen Prozess, der ebenfalls synthetisch planbar war.10 Doch wie Jasna Galjer anmerkte, hatte die totale Synthese auch bestimmte Nebenwirkungen: Die konsequente Umsetzung der Synthese von Architektur und Ausstellung, beruhend auf den Prinzipien von


Realisierter Bau des jugoslawischen Pavillons auf der Expo 58 in Br端ssel, 1958 Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb

Modell f端r den jugoslawischen Pavillon auf der Expo 58 in Br端ssel, 1956 Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb

Jugoslawischer Pavillon auf der Expo 58 in Br端ssel, 1958 Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb


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Gedenkkomplex in Montevideo, 1959 Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb

11 Jasna Galjer, „Jugoslavenski paviljon, jedna otvorena kuća na Expo 58“ [Der jugoslawische Pavillon, ein offenes Haus auf der EXPO 58], in: Jasna Galjer, Expo 58 i jugoslavenski paviljon Vjenceslava Richtera [Die Expo 58 und der jugoslawische Pavillon von Vjenceslav Richter], Zagreb, Horetzky, 2009, S. 430. 12 Vgl. Vladimir Kulić, „An Avant-Garde Architecture for an Avant-Garde Socialism: Yugoslavia at EXPO 58“, Journal of Contemporary History, 46, Nr. 1 (Jänner 2012), S. 160–183.

Gestalt, hatte im Vergleich mit den russischen Sputniks, den amerikanischen Modeschauen und den restlichen spektakulären Ausstellungsobjekten keine guten Aussichten.11 Andererseits war die internationale Wahrnehmung des Pavillons sehr gut. So schrieben beispielsweise die Architectural Review und die Brüsseler Zeitung Le Peuple: „Der jugoslawische Pavillon ist ein Palast aus Glas, Stahl und Holz. Seine Eleganz beruht auf seiner Zurückhaltung.“12 Auch das Interesse von Richter und Weber an konstruktiven Experimenten wurde zumindest teilweise in der statisch innovativen und visuell eleganten Stahlsäule verwirklicht. Diese bestand aus sechs gitterartig übereinander gelegten Bogenelementen, die nur durch ein zentrales Stahlseil miteinander verbunden waren. Und so schien es tatsächlich, als würde die Konstruktion der Schwerkraft trotzen. Zudem hatte der Pavillon an der EXPO die Flexibilität sowohl seines räumlichen Konzepts als auch der Konstruktion bewiesen, denn das Gebäude wurde abgebaut und im belgischen Städtchen Wevelgem wiederaufgebaut. Dort dient es auch heute noch als Schule, das SaintPaulus College. Nach der EXPO in Brüssel folgte das Projekt des Gedenkkomplexes in Montevideo (1959), das jedoch betont expressiv war. Richter entwarf eine Komposition bestehend aus einem horizontalen, dramatisch über dem Hügel schwebenden Pavillon und einer schlanken Skulptur aus Türmen. Das Dach des Pavillons gliederte sich in eine dynamische Landschaft gewölbter, verschieden großer Öffnungen, die das Licht ins Innere hereinließen. Das Modell der offenen räumlichen Struktur innerhalb einer einfachen prismatischen Hülle wurde in zwei Projekten weitergeführt: das erstprämierte Wettbewerbsprojekt des Revolutionsmuseums in Belgrad (1961) und die Studie zum Museum für räumliche Exponate (1963). Beim


Vjenceslav Richter, Josip Tesij Fabrik Saponia, Osijek, 1960–1961 Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb

Revolutionsmuseum war Richter bestrebt, das Konzept des universalen, sich horizontal erstreckenden Raums mit dem System der übereinander liegenden Terrassen zu versöhnen. Die Kontur des Gebäudes findet ihren Höhepunkt in reichlich formalistisch abgerundeten Türmen. Die Studie zum Museum für räumliche Exponate wurde formal und strukturell durch eine zweiachsige symmetrische modulare Konstruktion verfeinert. Diese ließ den ganzen Innenraum frei für unterschiedliche Anordnungen der Ausstellungsgegenstände, zwischen denen man flexible innere Passerellen (Übergänge) aufstellen konnte. Das Museum für räumliche Exponate ist Richters einzige Arbeit, die sich mit dem Thema Flexibilität und Transformationsfähigkeit des Raums direkt auseinandersetzte, vergleichbar mit dem Erweiterungsprojekt der Galerie Zacheta (1958) der polnischen Architekten Oskar Hansen, Lech Tomaszewski und Stanislaw Zamecznik. Für die Gestaltung der Außenhülle des Produktionsturms des Seifen- und Reinigungsmittelherstellers Saponia in Osijek (mit Josip Tešij, 1960/61) verwendete er die Struktur einer technischen Anlage, um ein starkes räumliches Zeichen zu setzen, indem Tankbehälter, die von einer präzise gegliederten gläsernen Membrane umhüllt sind, zu einer Attraktion werden. In einer Serie eleganter Interieurs verband Richter Ende der 1950er-Jahre und in den 1960er-Jahren die Erforschung dreidimensionaler orthogonaler Netze mit der Erfahrung in der vertikalen Verbindung von Räumen: Die Buchhandlung Naprijed in der Zagreber Straße Ilica (1958), die Bibliothek Bogdan Ogrizović (1961–1962) in der Preradovićeva-Straße, der Schallplattensalon Jugoton (1962) in der Bogovićeva-Straße, das Kultur- und Informationszentrum in der Preradovićeva-Straße (1966, teilweise realisiert) und die Galerie Forum (1969) in der Teslina-Straße, alle in Zagreb, sind Beispiele dafür. Richter entwickelte die Interieurs über zwei Stockwerke und betonte dabei im höchstmöglichen Maße den verfügbaren Raum, indem er neue Elemente auf leichte, an den Rand gerückte Treppen und Galerien reduzierte. Die Transparenz dieser Interieurs wird durch die maximale Öffnung zur Straße hin mittels sorgfältig proportionaler Glaswände betont. Die Interieurs sind durchdesignt; die Methode der rektangulären Teilung und der Koordination des Raums wird lesbar aus den betonten Linien der Fensterrahmen, Geländer, Einbaumöbel, der sonstigen Möbel und der weiteren Elemente der technisch-räumlichen Substanz. Während das Konzept des Raumbildes bei den nicht realisierten Museumsprojekten rigoros war, führten die funktionalen räumlichen Anforderungen bei den Interieurs zu bildhafteren Lösungen. Dies zeigt, dass Richter die Fähigkeit besaß, gleichzeitig alle Maßstäbe zu kontrollieren, vom Ganzen bis zum Detail. Von größter symbolischer Bedeutung ist das Projekt des Interieurs für das „Kroatische Zimmer“ im Regierungsgebäude in Belgrad (1962), bei dem sich Richter auf die Beleuchtung fokussierte und entlang der Mitte des Raums eine dichte Struktur schlanker, in verschiedener Höhe aufgehängter Glaszylinder installierte, einen Vorläufer der „Systemplastik“.


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13 Kepes war Professor für visuelles Design an der einflussreichen ameri­ kanischen Universität Massachusettes Insti­ tute of Technology. 14 György Kepes, „Intro­ duction“, in: ders. (Hg.), Structure in Art and Science, London, 1965, S. ii.

Strukturen, Systemplastik und freie Geometrien Richter blieb nicht gefangen im Konzept des Raumbildes. Er war vertraut mit den internationalen Forschungen über plastische Strukturen der späten 1950er- und 1960er-Jahre, die durch systemisches oder programmiertes Konstruieren das künstlerische Schaffen möglichst zu objektivieren versuchten. Diese Untersuchungen entfernten sich vom klassischen Verständnis von Malerei und Skulptur und führten zu Objekten und Ambienten (bzw. Installationen). Bei der Arbeit in dieser Richtung eröffnete Richter im Projekt der Hotelfachschule in Dubrovnik (1961/1962) ein völlig neues Forschungsfeld und schnitt zum ersten Mal in Kroatien das Thema des nicht hierarchischen, strukturalistischen Ansatzes der Form bei architektonischen Konfigurationen an. Der amerikanische Maler und Designer mit ungarischen Wurzeln György Kepes13 beschreibt in der Einleitung des einflussreichen Buchs Struktur in Kunst und Wissenschaft aus dem Jahr 1965 die Beschäftigung mit dem Begriff der Struktur und umreißt die Tendenzen in verschiedenen Disziplinen dieser Zeit: Struktur ist in ihrer Grundbedeutung die Herstellung der Einheit der einzelnen Teile und Verbindungen einer Entität. Sie ist das Muster (pattern) der dynamischen Kohäsion, in der das Nomen und das Verb Form und formen koexistieren und austauschbar sind; interaktive Kräfte, erlebt als räumlich-zeitliche Entität.14 Mit eben dieser Methode des gleichzeitigen Erforschens der Form und der Tätigkeit des Formens projektierte Richter 1961 die Hotelfachschule und deren zweite Phase (1963). Er entwickelte an einem Hang eine Struktur aus individuellen kubischen Elementen. Die nicht hierarchische Konfiguration des Gebäudes ist die Folge des gegenseitigen Ausweichens der Einheiten aufgrund der Topografie, und die organisch-systematische Methode des Formens führt zur Auflösung der typologischen Konventionen der Schule. Anstelle des üblichen Korridortyps entstand ein verzweigtes, dreidimensionales Bewegungssystem – Treppen, Gänge und Podeste, als einzigartige „Lymphe“, ein zwischen der Struktur und dem Volumen der Klassenzimmer spontan übrig gebliebener Zwischenraum. Ein solches Konzept ermöglicht eine Erweiterung (oder Verkleinerung) durch Anbau (oder Abbau) von Klassenzimmern und anderen inhaltlichen Elementen. Anstelle des totalen Raums artikulierte Richter eine Anhäufung, die durch Sequenzen und räumliche Segmente erlebt wird. Im Unterschied zur Übersichtlichkeit, Offenheit und Lesbarkeit des Pavillons in Brüssel war die Schule in Dubrovnik labyrinthisch, dicht, voll von räumlichen Überraschungen. Das dynamische und verdichtete Verhältnis von Volumen, offenen Räumen und Atrien, als einzigartige Nebenwirkung formaler Operationen, führte zu einem Ambiente, das mit der mediterranen Bautradition vergleichbar ist. Zeitgleich mit der Hotelfachschule in Dubrovnik eröffnete Richter mit dem Projekt des jugoslawischen Pavillons für die Weltausstellung in Turin (1961) noch ein neues Thema: die nichtorthogonale, jedoch auch weiterhin systemkonforme Geometrie. Der ganze, im riesigen Palazzo del Lavoro des Architekten Pier Luigi Nervi untergebrachte Pavillon entwickelte sich durch Raumsequenzen, in denen die gekrümmten Rundungen


Hotelfachschule, Dubrovnik, 1961 Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb

mit der triangulären Teilung der leicht gewölbten Decke, ähnlich der Kon­struktion eines Regenschirms, kombiniert wurden. Die sorgfältig designte Wand mit einem komplexen inhaltlichen Narrativ fand ihren Höhepunkt in einem ungewöhnlich interaktiven didaktischen Instrument aus einer Reihe konzentrischer Kreise mit Schlüsselbegriffen, mit denen versucht wurde, das Konzept des selbstverwaltenden Sozialismus zu erklären. In Dubrovnik wie auch in Turin ersetzte Richter die „Totalität“ des Projekts durch einen systemischen Ansatz, beruhend auf Additionen, Iterationen und geometrischen Mutationen der Elemente.

15 Marijan Susovski, „Richter – zbirka“ [Die Richter-Sammlung], Kat., Museum für zeitgenössische Kunst, Zagreb 2003, S. 30.

Wie ist die Entdeckung neuer Methoden und Gestaltungsverfahren zu erklären? Drei Projekte fallen mit der ersten Ausstellung Neue Tendenzen in der Galerie für zeitgenössische Kunst in Zagreb 1961 zusammen. Richter stellte zum ersten Mal im Rahmen der Ausstellung Nove tendencije 2 – Neue Tendenzen 2 (1963) aus, dann bei Nova tendencija 3 – Neue Tendenz 3 (1965), Tendencije 4 –Tendenzen 4 (1969) und Tendencije 5 – Tendenzen 5 (1973). Vera Horvat-Pintarić erklärte Richters Interesse an den „Neuen Tendenzen“ so: „In jenen plastisch-räumlichen Strukturen, in denen sich ein neues Konzept des geschichteten, instabilen und veränderbaren Raums zeigt, der aufgrund neuer Gestaltungsverfahren und neuer optischer und kinetischer Mittel entstanden ist, sieht Richter zugleich wichtige Anreize für die Entwicklung eines neuen Bewusstseins und neuer Erkenntnisse auch im Bereich der Architektur.“15 Doch im Fall der Hotelfachschule in Dubrovnik und des Pavillons in Turin kommt es zur Umkehrung: Anstatt neue Konzepte zuerst in einem kleineren Maßstab plastischer Objekte zu erforschen, führte Richter neue Konzepte gerade durch die Architektur ein. Richters strukturalistische Konzeption der Hotelfachschule in Dubrovnik folgte indirekt aus oder verlief parallel


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16 Jerko Denegri, Umjetnost konstru­ ktivnog pristupa – EXAT 51 i Nove tendencije [Die Kunst des kon­­ struk­tiven Ansatzes – EXAT 51 und die Neuen Tendenzen] Zagreb 2000, S. 412. 17 Igor Ekštajn, Karin Šerman, „Ideological Parallax“, in: Vladimir Mako, Mirjana Roter Blagojević, Marta Vukotić Lazar (Hg.), Architecture and Idelogy, Newcastle upon Tyne 2014, S. 266.

zu den Objekten Centre [Centras], Centrije [Centrias] und Centrijade [Centriada­s] aus dem Jahr 1963. Danach folgte auch die Systemplastik und das erste Reljefometar [Reliefmeter] aus dem Jahr 1964, das mit beweglichen Elementen ausgeführt wurde. Sowohl in Richters plastischen Objekten als auch in seinen Architektur-Projekten der frühen 1960er-Jahre wurde die Methode des Komponierens gemäß der Definition von Kepes durch das dynamische Verhältnis von Form und formen ersetzt. Jerko Denegri kommentierte das damalige Verhältnis zwischen Richters architektonischen und engeren künstlerischen Forschungen folgendermaßen: „Wenn Richter mit der Konstruktion seiner plastischen Objekte beginnt, so tut er das nicht, wie die meisten Anhänger der Bewegung Neue Tendenzen, um damit Exponate für Ausstellungen zu erarbeiten. Für ihn sind das spezifische Forschungsinstrumente im Rahmen seiner generellen architektonischen und urbanistischen Ideen, und Objekte, die sozusagen durch eine bestimmte ‚ästhetische‘ Qualität eine zusätzliche Eigenschaft besitzen.“16 Richters Projekt des jugoslawischen Pavillons bei der 13. Triennale in Mailand (1963/1964), wo der Unterschied zwischen dem skulpturalen Objekt und der Architektur aufgehoben wird, bestätigt Denegris präzise Beobachtung. Die Triennale befasste sich mit dem Thema Freizeit. Der einleitende Bereich wurde von dem Semiotiker Umberto Eco und dem Architekten Vittorio Gregotti gestaltet, Kommissär für den jugoslawischen Pavillon war Bernardo Bernardi. Der Pavillon wurde als dreidimensionales dichtes Netz, bestehend aus einem einzigen Bauelement erstellt: vertikal und horizontal wurden schmale Holzlatten in unterschiedlichem Abstand zueinander installiert. Richter hob das Konzept des Raums, definiert als Leere, durch ihre äußeren Grenzen auf, denn das Material – ein Definitionsmittel der Architektur – und der Raum durchdringen sich und werden gleichwertig. Dadurch wurde ein Ambiente ohne Dominante geformt, in dem alle binären Konventionen der Architektur relativiert wurden, zum Beispiel: Grenze – Verbindung, voll – leer, Masse – Raum. Mit der Bewegung durch den Pavillon, in dem es weder eine visuelle noch eine räumliche Dominante gab, veränderte sich auch das Raumbild. Der gleiche kinetische Effekt fand sich auch bei den Fotografien, den einzigen Ausstellungsgegenständen im Pavillon, die entzweigeschnitten und an den Holzlatten angebracht waren, wodurch sie nur von einem genau bestimmten Standpunkt aus lesbar waren, um beim Weitergehen wieder zu verschwinden. Auf diese Weise funktionierten der Pavillon und seine Ausstellungsgegenstände im Sinne des „offenen Kunstwerks“ von Umberto Eco: Erst durch die Interaktion mit dem Betrachter wurde der Pavillon aktiviert und bekam seinen Sinn. Igor Ekštajn und Karin Šerman diskutieren über die Ambivalenz der Kommunikationsrolle des Pavillons, in der das Architekturkonzept potenziell die ideologische oder propagandistische Rolle subvertiert hatte: „Erlebte und diskursive Aspekte verflechten sich in diesem schwer fassbaren, kryptischen und mystischen mehrdimensionalen räumlichen Rahmen, der gleichzeitig von einem Schleier äußerster Transparenz, Klarheit und Lesbarkeit umgeben ist.“17


Modell des jugoslawischen Pavillons für die XIII. Mailänder Triennale, 1963–1964 Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb

Jugoslawischer Pavillon auf der XIII. Mailänder Triennale, 1964 Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb


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18 Jerko Denegri, Umjetnost konstruktiv­ nog pristupa – EXAT 51 i Nove tendencije [Die Kunst des konstruktiven Ansatzes – EXAT 51 und die Neue Tendenzen], Zagreb 2000, 415. 19 Marko Meštrović, „Iznimno ka općem (Uz izložbu inž. arh. Vjenceslava Richtera u Zagrebu)“ [Vom Außer­ gewöhlichen zum Allge­ meinen (zur Ausstellung von von Vjenceslav Richter in Zagreb)], in: Arhitektura i urbanizam, 27, 1964, S. 46. 20 Vjenceslav Richter, „Asistencija i angežira­ nost – o nekim fundamentalnim pitanjima naše arhitekture/ Assistance and Engagement: About some Fundamental Questions of our Architecture“, in: Praxis, 04/05, 1965. 21 Die Angabe wurde aus dem Buch von Jasna Galjer übernommen, welche diese Informa­ tion Emina Vidas zuschreibt, S. 355.

Die radikalen Projekte bewogen die damaligen führenden Kunstkritiker, in Richters Forschungen einen authentischen Beitrag zum Architektur­ konzept der offenen Form zu entdecken. Vera Horvat-Pintarić schrieb: „Die Resultate dieser Abklärungen haben uns natürlich neue Elemente für die Formung des architektonischen Raums mit völlig neuen Werten geliefert, die in hohem Maße unsere Erkenntnis über die unendliche Verdünnung der Materie sensibilisieren, und somit auch eine unweigerliche Vagheit und Instabilität unserer räumlichen Bestimmtheit.“18 Marko Meštrović hingegen sagte zu Richters Kunstwerk: „Es geht um die Aufhebung des fixen Wertes der Form, die Dynamisierung des Prinzips der Struktur einschließlich der Zeitkomponente und der offenen Prozessualität des räumlichen Geschehens.“19 Richters Architektur ist nicht physisch transformierbar, sie bietet jedoch eine Raumerfahrung, die prozessual, dynamisch ist und wesentlich von der Perzeption des Benutzers abhängt. Richter setzte seine Untersuchungen zur Struktur fort, indem er die Frage der Anwendung der Synthese in ihrem größten Maßstab aufwarf. Im Jahr 1964 publizierte er das utopische Projekt einer idealen Stadt unter dem Titel Sinturbanizam [Synthurbanismus]. Dieses Projekt erlebte zahlreiche Iterationen und Namensvariationen: Synthurbanismus 2 und Heliopolis. Das umstrittene Projekt einer Stadt für bis zu eine Million Menschen, bestehend aus Zikkurats, in einigen späteren Varianten „Arkama“ genannt, in der alle städtischen Funktionen integriert sind, muss man im Kontext des internationalen Trends utopischer Visionen und der fantastischen Architektur der 1960er-Jahre sehen, aber auch im Zusammenhang mit Richters Verfechtung eines spezifischen erweiterten Gebiets der Architektur, was er in mehreren Texten zum Ausdruck brachte, einschließlich des Vortrags „Der Ausdruck in unserer modernen Architektur“ am 2. Architekturkongress in Ohrid (1960) sowie des Artikels „Assistenz und Engagement“,20 der in der philosophischen Zeitschrift Praxis publiziert wurde. Richter bezeichnete in diesen Texten die formale Frage der Architektur als zweitrangig und hob prioritär die Systementwicklung des gebauten Environments hervor. Richter war der Ansicht, dass die architektonische Praxis nicht als Reaktion auf den Auftrag entwickelt werden kann, sondern verlangte die Aufhebung des binären Verhältnisses zwischen Auftraggeber und Architekt und die aktive Mitwirkung des Architekten gleich zu Beginn der Bauaufträge. Für eine so geplante Tätigkeit und die Unterstützung der integrativen Wirkung zwischen Architektur und Kunstdesign einerseits und Industrie und gesellschaftlichen Realität andererseits setzte sich auch das Zentrum für industrielle Gestaltung (CIO) ein. Richter war der erste Direktor des CIO und blieb es bis zum Jahr 1967.21 Zur heterogenen Gruppe des Zentrums gehörten auch Personen, mit denen Richter schon früher zusammengearbeitet hatte und die die gleichen Standpunkte vertraten: Meštrović, Radić, der Kritiker und Kustos Radoslav Putar, Fedor Kritovac und andere. In seinem Programm betont das CIO, es sei keine Projektierungsanstalt, sondern es wirke erzieherisch, es wolle Design und Industrie integrieren und als Koordinator der Produktionskultur, des Austausches und des


Modell einer Wohnsiedlung in Zagreb, 1968 (Detail) Galerie für zeitgenössische Kunst, Varaždin

Konsums agieren. Aus der Perspektive der Theoretiker des CIO kann der Markt nicht als einziger Regulator und einziges Motiv für die Entwicklung des Designs wirken, vielmehr sei die Schlüsselrolle des Designs eine humanisierende: Die physische Umgebung soll verbessert und gefördert werden und die gesamte Produktion auf die Wertgrundlage der Synthese von Wissenschaft und Kunst und der harmonischen Entwicklung gestellt werden.22 Das CIO wurde nur im Jahr 1964 als Forschungsinstitution subventioniert. Danach wurde es dem Markt überlassen. Doch sein ursprüngliches Konzept hilft beim Verständnis von Richters Position und seiner Idee des Synthurbanismus, von der Richter öfters behauptete, es handle sich in erster Linie um ein Modell und nicht um einen konkreten formalen Vorschlag. Das synthurbanistische Prinzip wie auch das CIO verfochten die Integration von Programmieren, Planen und Projektieren, die Synthese von gesellschaftlichen Formationen und der materiellen Produktion. Auch wenn das Profil dieser beiden Initiativen völlig unterschiedlich war, so waren doch ihre Ziele vergleichbar und erwiesen sich am Ende als utopisch. Trotz des Festhaltens an den synthurbanistischen Konzepten projektierte Richter dennoch auch einige weniger radikale urbanistische Vorschläge und Wohngebäude. Das urbanistische Projekt Sopot (1964) bestand aus dicht gebauten Türmen, die einen Kreis um eine freie Mitte bildeten, und unterschied sich wesentlich von den damals üblichen formalen und funktionalen urbanistischen Modellen. Das Projekt der extrem langen, gebogenen Wohnsiedlung in Zagreb in der Beogradska-Straße (heute Kneza-Višeslava-Straße) von 1968 ist so etwas wie ein mechanischer Hybrid zwischen dem Wohnperimeter eines synthurbanistischen Zikkurats und einer Systemplastik.

22 Uputa za industrijsko oblikovanje [Anleitung zur industriellen Gestal­ tung], CIO, Zagreb 1964, o. S.

Beim Wettbewerb für den Pavillon bei der EXPO in Montreal 1965 schlug Richter einen völlig offenen Pavillon vor, zur Hälfte überdacht mit einer großen vierseitigen Pyramide, deren gegenüberliegende Seiten zwei dreieckige Felswände verschlossen. Den systemischen Teil der ansonsten ziemlich statischen, ja fast monumentalen Lösung bildeten zylindrische


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Modell für den Pavillon der EXPO 67 in Montréal, 1967 Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb

Elemente, die am Gewölbe unter der Pyramide aufgehängt waren. Das von Richter „halbdefinierter Raum“23 genannte Konzept des Pavillons war sicherlich eine interessante formale Idee, erreichte jedoch nicht die Radikalität des Mailänder Pavillons und dessen Fähigkeit, ein darüber hinaus verwendbares Raummodell zu werden. In der zweiten Wettbewerbsrunde erhielt Richter den 2. Preis. Der 1. Preis ging an den völlig unbekannten Belgrader Architekten Miroslav Pešić. Richter wurde mit der Projektierung des Innenraums der Ausstellung beauftragt. In der Spätphase seines Schaffens kehrte Richter beim Wettbewerb für den jugoslawischen Pavillon für die EXPO in Sevilla 1992 zur Pyramidenform zurück und erhielt den 2. Preis. Zu den Werken, die ins Konzept des Raumbilds passen, können auch die frühen Studien für sein Ferienhaus in Sovlje gezählt werden. Richter erforschte die Konzeption der Dekonstruktion der standardmäßigen Wohntypologie, die sich gemäß den erhaltenen, nicht mehr ganz so gut lesbaren Skizzen abwechselt mit einem offenen System mit zen­tralem Gemeinschaftsraum – einem Außen-Wohnzimmer, an dessen Ecken kleinere funktionale Blöcke platziert sind. Richter arbeitete an mehreren Varianten dieser gänzlich originellen Interpretation der mediterranen Behausung. Doch er verwirft sie zugunsten eines nicht sonderlich überzeugenden pseudo-vernakulären Gebäudes (1979).

23 Vjenceslav Richter, Moj misaoni prostor [Mein Gedankenraum], MSU, Zagreb 2016, S. 22.

Richter verwirklichte das letzte Strukturprojekt, gleichzeitig auch das letzte Projekt eines großen öffentlichen Gebäudes beim großen internationalen Wettbewerb für die Belgrader Oper (1970/1971) zusammen mit Dražen Gjoić, Zdenko Grbec und Dinko Zlatarić. Dies war wahrscheinlich der ambitionierteste Architekturwettbewerb im Jugoslawien der Nachkriegszeit. Richters Team bekam den dritten Preis für ein Projekt, das gemäß der Jury eine „kristalline Kombination“ eines Polyeders war, dessen pyra­­midale Silhouette und äußere Form, die in eine Reihe kleinerer Elemente zerlegt war, vom Konzept her vergleichbar war mit den


Vjenceslav Richter, Kazimir Ostrogović Modell für die Villa Zagorje, Zagreb, 1963–1965 Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb

synthurbanistischen Zikkurats. Das umfassende Programm und die großen benötigten Volumina wurden in eine geometrisch komplexe Raumstruktur zerlegt, die eine formal radikale, nichtmonumentale Sicht auf die Architektur einer wichtigen kulturellen Institution bot.

Centar 51 (Zentrum 51) und die Zeit danach

24 Die Rekonstruktion der Vorgeschichte des Projekts beruht auf Richters Interview in der Wochenzeitschrift Nacio­nal, Nr. 362, 23. Oktober 2002. Sie ist mit entsprechender Vor­ sicht zu genießen. Die Pläne des architekto­ nischen Hauptprojekts von 1964, die noch erhalten sind und der Umsetzung recht nahe kommen, haben Richter und Ostrogović gemein­ sam unterzeichnet.

1963 beteiligte sich Richter an einem Projekt mit einer komplexen Entstehungsgeschichte: Titos Zagreber Residenz Villa Zagorje im vornehmen Stadtteil Pantovčak. Den ersten Entwurf machte Drago Ibler (1961–1963). Danach wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, an dem sich Ivo Vintić, Zvonimir Marohnić und Richter beteiligten. Letzterer schlug ein Projekt mit dem Namen „Reprezentativna obiteljska kuća Bela Hiža na Pantovčaku“ [Repräsentatives Weißes Haus im Zagreber Stadtteil Pantovčak] (1963) vor. Richter konzipierte den Entwurf einer antimonumentalen, radikal modernen, einstöckigen kubischen Struktur als präzise modelliertes „Raumbild“. Richter war in keiner Weise daran interessiert, dem Kunden zu schmeicheln und Titos Hang zu einer eher konservativen Ästhetik zu unterstützen. In diesem Projekt wandte Richter auf das gesamte Bauwerk die Methode der „rektangulären Teilung“ an, welche keine festen äußeren Perimeter aufweist, sondern als komplexes, poröses System modular koordinierter offener und geschlossener Räume funktioniert. Der Kommissionspräsident Kazimir Ostrogović entschied sich für Richter und sie bearbeiteten gemeinsam die umgesetzte Variante. Gemäß Richter haben auf die tatsächlich errichtete Variante der Villa Zagorje dann zahlreiche externe Faktoren eingewirkt, was insbesondere für die übertriebenen Dimensionen gilt.24 Sie stellt daher einen Kompromiss dar, der nicht mehr Richters ursprünglichem Entwurf entspricht und daher, trotz mehrerer Details im Innenbereich, nicht mehr als integrales authentisches Werk betrachtet werden kann. Richter unterstützte in den 1990er-Jahren die Idee, das Museum für zeitgenössische Kunst in die Villa Zagorje umzusiedeln.


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25 Als Architekten zeich­ neten Neven Kovačević und Zvonimir Krznarić von UIH sowie Berislav Šerbetić. Richter wurde in der Liste der Berater genannt, Vgl. Impres­ sum in der Publikation Babin kuk, Dubrovnik, Urbanistički projekt – kratki izvještaj, Projekt Južni Jadran [Babin kuk, Dubrovnik, Urbanisti­ sches Projekt – Kurzbe­ richt, Projekt Südliche Adria], Dubrovnik 1969.

Durch Ostrogović kam Richter zur Zusammenarbeit mit dem angesehenen Büro Centar 51, das als Architekturbüro Ostrogović gegründet worden war. Ostrogović starb 1965 und Richter, der international in der visuellen Kunst gerade bekannt und erfolgreich wurde, arbeitete zum ersten Mal über die „Institution‘‘ Büro an seiner Karriere. Mit der Zeit übernahm Richter die Rolle des Direktors und war im Centar 51 Mitunterzeichner von Entwürfen und Projekten als gleichwertiges Teammitglied mit wechselnden Koautoren. In Anbetracht der sehr konkreten Aufgaben kombinierte Richter seine Erfahrungen der Teamarbeit mit der Infrastruktur des konventionellen Büros, wobei es sehr schwierig auszumachen ist, in welchem Maße Richter zu den einzelnen Projekten beigetragen hat. Tatsache jedoch ist, dass sich die Hauptprojekte von Centar 51 durchwegs von der Hauptströmung der Architektur in Kroatien unterschieden: expressiv, robust, mit betont formalen Merkmalen. Der Wohnkomplex Vrbnik (mit Berislav Šerbetić, Ljubo Ivet und Olga Koržinek, 1967–1969), ein Komplex, bestehend aus drei sperrigen Hochhäusern auf einer Fußgängerplattform, markierte eine brutalistische architektonische Sprache, und die betonten seitlichen Säulen verliehen den Hochhäusern im Geist der Rhetorik der Konstruktion einen robusten Charakter. Das Elektronische Rechenzentrum im Stadtteil Trešnjevka in Zagreb (mit Krešo Cimperšak und Maja Šah-Radović, 1968/1969), ausgezeichnet mit dem begehrten Preis der Republik durch die Zeitung Borba, ist ein Experiment mit den Konstruktionsmöglichkeiten des Betons. Die symmetrisch angeordneten zweiachsigen Konsolen ragen weit über den Betonkern hinaus, an den das Gebäude angelehnt ist, sodass der Gebäudekörper über dem Boden schwebt. Die brutalistische Sprache, die exzentrische Konstruktion und Symmetrie binden an die japanische Architektur jener Zeit an, und der Kampf mit der Gravitation ist vielleicht ein entferntes Echo der Ambitionen aus der nicht umgesetzten Variante des Pavillons für die EXPO 58. Das Wohn- und Geschäftshaus Astra am Ribnjak (mit Vjenceslav Lončarić und Krešimir Cimperšak, 1969) ist durch das System der aufgegliederten Fassade, bei der miteinander verkreuzte Betonbalken in den Raum projiziert werden, erkennbar als expressiver, jedoch formalistischer Widerhall der Systemplastik. Die erste Variante der Tourismussiedlung Babin Kuk in Dubrovnik (1969/1970), das wohl ambitionierteste Projekt dieser Art in Jugoslawien, wurde von SWCO aus Schweden und dem Urbanistischen Institut Kroatiens (UIH) projektiert. Auch Centar 5125 war im Rahmen des großen Regionalplans „Južni Jadran“ (Südliche Adria) gleichberechtigt als Autor am Projekt beteiligt, welches von der jugoslawischen Regierung und der UNO mitfinanziert wurde. Der detaillierte Plan für Babin Kuk schlug eine große Touristenstadt mit entsprechender Dichte vor, in der moderne Morphologien mit traditionellen urbanen Gestaltungen wie einer Fußgängerzone mit öffentlichen Einrichtungen miteinander kombiniert wurden. Das Projekt wurde von Centar 51 mit Durell Stone (USA) weiterentwickelt, wobei die einzelnen Teile des Komplexes präziser erarbeitet wurden. Umgesetzt wurde eine vereinfachte Variante, bei der die komplexe urbanistische Morphologie einem konventionellen System, bestehend aus einigen großen Hotels, darunter auch das Hotel President von Durell Stone, gewichen war. Richter projektierte in Dubrovnik die


Modell für eine Kirche in Bibinje, 1966 Modell für ein Islamisches Glaubenszentrum in Zagreb, 1969 Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb

Seilbahn zum Srđ (1968), deren Talstation durch die skulpturale fünfte Fassade, bestehend aus einer Struktur von gebogenen parallelen Betonplatten unterschiedlicher Breite und Höhe, erkennbar ist. Bei den nicht umgesetzten Werken von Centar 51 ist das Projekt für das Geschäftsund Verwaltungsobjekt der Stadt Zagreb (mit Vjenceslav Lončarić, Olga Koržinek und Ljubo Ivet) erwähnenswert. Es bestand aus zwei mit einer eleganten Stahlkonstruktion verbundenen Zwillingshochhäusern, über das Centar 51 in einem Fachmagazin schrieb und das es offensichtlich als wichtiges Werk betrachtete. Mit Blick auf den Projektnamen und das Erbe von Ostrogić, der im teilweise umgesetzten Projekt der Stadtverwaltung in Zagreb in der heutigen Vukovarska-Straße den Turm entworfen hatte, handelte es sich hierbei möglicherweise um ein neues Projekt für den gleichen Standort. Parallel zu diesen Projekten von Centar 51 entwarf Richter eine Reihe nicht umgesetzter Werke. Das Evolutionsmuseum in Krapina (1966) und die Kirche in Bibinje (1966) knüpften an die Turiner Erfahrung von Werken mit Spiralformen und leichten Dachkonstruktionen an. Das Islamische Glaubenszentrum in Zagreb (mit Nevenka Postružnik, 1969) ist eine neoexpressionistische Komposition, die sich um einen intimen Innenhof organisiert. Das Wettbewerbsprojekt für das Luftfahrtmuseum in Surčin bei Belgrad (mit Vlasta Kohout, 1969) hingegen schlägt einen symmetrischen Pavillon mit exakten Linien vor. Bei diesen Projekten sind die Ansätze mannigfaltig, doch alle verbindet die Erforschung des Themas Dach und die Silhouette des Gebäudes, vollkommen anders als die disziplinierte, abstrakte Architektur der 1950er- und der ersten Hälfte der 1960er-Jahre. Das Projekt des Werbeturms in Zagreb (erste Variante 1967) im Stadtteil Prisavlje, neben dem heutigen Gebäudekomplex der Kroatischen Radio- und Fernsehanstalt entlang der Verlängerung der Runjaninova-Straße, stellt ebenfalls ein Beispiel für die Rückkehr zu konstruktivistischen Themen dar. Der Turm ist eine leichte Stahlkonstruktion, die 150 m hoch ist und ein Panoramarestaurant birgt. Richter rechnete mit einer Verkleidung aus Leuchtreklamen und einem Display mit beweglichen Buchstaben. Zeitweise beschäftigte sich Richter auch mit urbanistischen Zagreber Themen. Die drittprämierte Wettbewerbsarbeit für eine urbanistische Lösung für das Stadtzentrum von Zagreb (1970, mit Hildegard Auf-Franić und Marijan Uzelac) bringt zwei radikale Vorschläge, die beide die vermehrte Verdichtung der Bausubstanz im


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26 Vjenceslav Richter, Moj misaoni prostor [Mein Gedankenraum], Zagreb, MSU, 2016, 23. 27 Das kleinere an die Galerie Klovićevi dvori anschließende Gebäude wurde inzwischen abgerissen.

historischen Zentrum anstreben: ein Hochhaus im Inneren der Häuserblöcke in der Unterstadt und der Bau einer megastrukturellen Gebäudezeile entlang der Bahngleise. Für die Berechnung der Verkehrsbelastung war die angewandte Berechnungstechnologie zu jener Zeit immer noch ein Novum. Mit dem Interieur des Theater-Cafés (1970) und des Café Corso (1979) in Zagreb machte Richter einen Schnitt mit dem Konzept des Raumbildes und der rektangulären Teilung. Hatte Richter in den vorangegangenen Interieur-Arbeiten den vorgefundenen Baurahmen regelmäßig bis zum Maximum seiner Raumkapazitäten gereinigt, um dann in diesen Raum seine physisch leichten Strukturen zu interpolieren, baute er nun eine „Architektur in der Architektur“ mit freien, begrenzten Formen. Dies ist insbesondere der Fall beim Café Corso, wo Richter eine neue Methode der Unterbrechung zwischen dem vorgefundenen Zustand und der Intervention anwandte, wobei die neue räumliche Form nicht vom Auftraggeber abhängig war. Anstelle von leicht überblickbaren universalen Räumen wurden in den vorhandenen Raum skulpturale gebogene Wände und Hängedecken eingegliedert, die organische räumliche Sequenzen bildeten. Auch wenn diese Interieurs stark umstritten und auch formal exzentrisch waren, ist ihre methodologische Innovation unbestritten. Ab den 1970er-Jahren arbeitete Richter weniger in der Architektur. Er plante eine Reihe von Einfamilienhäusern in Zagreb und an anderen Orten, komfortable Objekte, in denen moderne Raumkonzeptionen mit Reinterpretationen historischer und regionaler Formen kombiniert wurden, die für Richter unerwartet und ästhetisch ungewöhnlich sind. Unter diesen Projekten hob Richter das Projekt des Hauses Horvat in Podsused (1970) hervor, bei dem es keinen einzigen rechten Winkel gab. Gebaut wurde das Gebäude jedoch in einer konventionelleren Form.26 Eines der weniger bekannten Werke ist die Gestaltung des Plateaus von Gradec, zwischen der Galerie Klovićevi dvori und dem Museums- und Galeriezentrum (1979–1985), projektiert von Igor Emili. Auch dies ein kontroverser und umstrittener Bau, der in die Geschichte der Oberstadt zwei interessante Volumina interpolierte, die in Bezug auf das Format im Dialog mit dem Kontext der Nachbargebäude stehen, sie sind jedoch mit violetten Glasprismen verkleidet.27 Richters urbanes Design folgte dem kleinen Maßstab der Membranen von Emilis Gebäuden. Daher wurde das Parterre des großen Plateaus der südöstlichen Ecke der Oberstadt mit Plättchen belegt, die kreisförmige geometrische Muster bildeten. Die kreisförmige Geometrie wurde teilweise auch bei der begrünten Lösung des Raums angewendet, der an den Platz der hl. Katharina angrenzt. Zu Richters letzten Werken zählt die Studie des Save-Raums (1987), genannt Savlje, in der er einen einzigartigen Rückbau des Save-Flusses vorschlug, eine Verkleinerung des Flussbetts, das sich in mehrere Arme und Seen gliedern sollte. Dadurch würde die Umgebung um die Save natürlicher und intimer werden. Die Geometrie wie auch die eigentliche Idee folgte der Logik einer spontanen Gravitationszeichnung, was einmal mehr von Richters Fähigkeit zeugt, von einem Medium zum anderen zu wechseln.


Mit Engagement gegen „Assistenz“ Richter hinterlässt kein einziges dauerhaftes Architekturwerk, das den Status eines kanonischen Werks hätte. Trotzdem ist er von außerordentlicher Bedeutung und einige Werke, wie beispielsweise der Pavillon für die Mailänder Triennale, zeugen von einem einzigartigen Moment, als die Zagreber Architekturszene aktiv an den internationalen avantgardistischen Bewegungen beteiligt war. Besonders überzeugend waren Richters Errungenschaften dann, wenn er die Grenzen der Medien aufhob, wenn er die Architektur unbelastet von disziplinarischer Tradition und funktionalen Vorbehalten als ein Phänomen innerhalb des Gebiets der plastischen Kunst erforschte. Doch neben Richters Beitrag zur „reinen Architektur“ ist seine theoretisch-gesellschaftliche Tragweite mindestens ebenso wichtig. Diese ging aus der Überzeugung hervor, dass die systematische und konkrete Anwendung des Fortschritts der plastischen Künste auf die ganzheitliche materielle Umgebung ein Bestandteil des grundlegenden gesellschaftlichen Wandels sein muss. Aus einer modernen Perspektive gesehen, scheinen diese zwei Interessen – radikale formale Experimente und gesellschaftlich nützliche Architektur – schlecht miteinander vereinbar zu sein. Heute neigen wir dazu, sowohl dem Visionären als auch den transformierenden Fähigkeiten der Architektur mit Skepsis zu begegnen. Richter war jedoch ein vitaler, energischer Architekt, er wirkte zu einer Zeit, in der man an Fortschritt glaubte, an die gesellschaftliche Evolution, als man daran glaubte, dass in diesen Prozessen Architektur, Design und visuelle Künste eine prägende Rolle spielten. EXAT 51, die Akademie für angewandte Kunst in Zagreb, ULUPUH, das Studio für industrielle Gestaltung, die Zeitschrift Čovjek i prostor [Mensch und Raum], Nove Tendencije, das Zentrum für industrielle Gestaltung: Allein schon die Liste an Initiativen und Institutionen, die Richter in Kroatien ins Leben rief oder zu denen er in bedeutender Weise beitrug, abgesehen von ähnlichen Engagements im Ausland wie beispielsweise die Biennale der industriellen Gestaltung in Ljubljana, schildert die Umrisse einer Kultur, die an die Möglichkeit einer radikalen Intervention in die gesellschaftliche Realität glaubte und bestrebt war, die instrumentale Modernisierung durch Experimente, Forschungsarbeit, aktive Kritik und gesellschaftliches Engagement zu humanisieren. Berücksichtigt man die internationalen Errungenschaften Richters, so muss seine Entscheidung anerkannt werden, sich während seines ganzen Arbeitslebens kompromisslos der Zukunft zuzuwenden und der konventionellen Architektur mit Misstrauen zu begegnen. Er wandte sich gegen eine Architektur, die er als „Assistenz“ des bürokratischen Apparats verstand und stellte dem seine engagierte, herausfordernde, aber auch riskante Position einer gleichzeitig persönlichen wie auch gesellschaftlichen „permanenten Revolution“ entgegen.


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Richters Synthurbanismus Die erweiterte Synthese: Urbanismus, Kunst, Politik Maroje Mrduljaš, Vladimir Kulić

Stellen Sie sich vor, in einer Metropole zu leben, die aus einer Ansammlung riesiger Pyramidenstümpfe inmitten von Parks besteht. Sie beginnen den Tag beim Kaffee auf der Terrasse mit Ausblick ins Grüne und nehmen dann einfach den Aufzug, der Sie zur Arbeit oder zur Schule im Inneren der Pyramide bringt. Abends können Sie vielleicht den Versammlungssaal auf dem Dach aufsuchen, um an kommunalen Entscheidungsfindungen teilzunehmen, oder sich auf dem Platz im Erdgeschoss mit Freunden treffen. Hier findet sich alles, was Sie brauchen: In diesem modernen Zikkurat ist für Wohnraum, Arbeit, Bildung, Erholung, Einkaufsmöglichkeiten und Unterhaltung gesorgt, und vor der Tür liegt ein idyllischer Park. Ein Schnellstraßennetz verbindet Sie mit anderen, ähnlichen Siedlungen. Sie brauchen keine Zeit im Verkehr zu vergeuden, sondern können sie stattdessen für ihr Freizeitprogramm oder die Weiterbildung verwenden. Dank der Genialität des Architekten und Stadtplaners wird das Leben in seiner ganzen modernen Komplexität ganz einfach.

1 Richters Begriffe „sinturbanizam“ und „sinturbanistički“ werden im Englischen als „synthurbanism“ und „synthurbanist“ wiedergegeben, obwohl die Varianten „synturbanism“ und „synturbanist“ ebenfalls in manchen Ausstellungskatalogen auftauchen.

Willkommen in der synthurbanistischen Stadt, Vjenceslav Richters Vision zur Verbesserung des modernen Lebens.1 Heutzutage, lange nachdem wir das Vertrauen in den utopischen Urbanismus und in seine Kraft zur Veränderung der menschlichen Natur verloren haben, erscheinen uns solche Visionen eher dystopisch als optimistisch. Doch Richter nahm die Möglichkeit ernst genug, um zwei Jahrzehnte seines Lebens der Perfektionierung dieser Visionen zu widmen und dabei nicht nur verschiedenartige urbane Funktionen, sondern auch seine eigenen Fähigkeiten als Architekt, Künstler, Designer, Theoretiker und Stadtplaner ins Spiel zu bringen. Seine Idee stand damals im Kreuzfeuer von Diskussionen um die Zukunft der Stadt, die zu weithin bekannten Projekten wie jenen von Archigram, Constant Nieuwenhuis, Yona Friedman oder den japanischen Metabolisten führten. Im Gegensatz zu seinen internationalen Pendants kritisierte Richters Synthurbanismus jedoch nicht den postfordistischen Kapitalismus und reagierte auch nicht auf den Aufstieg des Konsumismus, sondern versuchte stattdessen eine Antwort auf die spezifischen Bedürfnisse einer sozialistischen


Zikkurat-Skizzen, 1963–1964 Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb

Gesellschaft zu finden. Er war das Ergebnis eines großen Enthusiasmus in Verbindung mit dem jugoslawischen Projekt der Selbstverwaltung, sowohl im eigenen Land als auch im Ausland, der seinen Höhepunkt in den frühen 1960er-Jahren und damit genau zu dem Zeitpunkt erreichen sollte, an dem der Synthurbanismus geboren wurde. Das Projekt nimmt somit einen besonderen Platz in der Geschichte der Techno-Utopien nach dem Zweiten Weltkrieg ein, und zwar nicht nur als die am konsequentesten in Jugoslawien entwickelte urbane Vision, sondern auch als eines der wenigen in der ehemaligen sozialistischen Welt entwickelten Projekte, neben denen von Oskar und Sofia Hansen in Polen, Karel Honzik in der Tschechoslowakei oder der Gruppe NER in der Sowjetunion. Richter verfocht es auch noch für lange Zeit, nachdem ähnliche Projekte bereits verschwunden waren. Die Konzeptualisierung des Synthurbanismus stützte sich auf drei wohl miteinander verwandte, aber dennoch verschiedenartige kulturelle Kontexte. Der erste war die kollektive Forschung zur erweiterten Synthese im Zagreb der 1950er-Jahre, bei der neben anderen Protagonisten die Gruppe EXAT 51 eine tragende Rolle spielte. Der zweite ergab sich aus der internationalen Verbreitung von Projekten für die radikale technische Neuerfindung von Städten, allen voran der französische „urbanisme spatial“ oder räumliche Urbanismus, was eine Vielzahl von Visionen mit Parallelen zu jener Richters hervorbrachte. Der dritte bedeutende Kontext war mit den Bemühungen zur Interpretation und Repräsentation des jugoslawischen Selbstverwaltungssystems verbunden, das einen zentralisierten Staatssozialismus ablehnte und stattdessen durch die Einführung von direkter Demokratie in Wirtschaft und Politik den ‚wahren‘ Marxismus wiederzubeleben versuchte. Diese Bemühungen erreichten ihren Höhepunkt am Ende der 1950er- und zu Beginn der 1960er-Jahre, als sie große Hoffnungen zur weiteren politischen und kulturellen Liberalisierung weckten und zu intellektuellen und künstlerischen Initiativen führten, wie zu jener der marxistischhumanistischen Philosophen der Praxis-Gruppe. Diese drei Kontexte


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überschnitten sich in den 1960er-Jahren mit Richters Arbeit und führten zu einer bis dahin nie dagewesenen, umfassenden Schnittmenge zwischen Ästhetik, visionärem Urbanismus und Politik. Dieser Artikel wurde zum 50. Jahrestag des Buches Sinturbanizam geschrieben, in dem Richters synthurbanistische Stadt 1964 zum ersten Mal öffentlich in Erscheinung trat, jenem Jahr, das Rayner Banham bekanntlich zum „Jahr der Megastrukturen“ erklärte.2 Er wurde im Gefolge zahlreicher anderer Bemühungen zur Neubewertung der techno-utopischen Kultur dieser Zeit und während eines wachsenden Interesses am architektonischen Erbe des Sozialismus verfasst. In diesem Kontext ist es unser Ziel, Richters Projekt in die breiteren Strömungen dieser Zeit einzuordnen und seine historische Besonderheit, aber auch seine Originalität und Einzigartigkeit hervorzuheben. Allein die visuelle Attraktivität der zahlreichen von Richter und seinen Mitarbeitern geschaffenen Zeichnungen zum Synthurbanismus sprechen für diese Qualitäten. Letzten Endes würden wir jedoch auch gerne einiges von Richters utopischer treibender Kraft und seinem Mut wiederfinden, eine andere Welt zu imaginieren, deren Architektur in den letzten Jahrzehnten fast gänzlich verloren ging. Kontexte

2 Vgl. Rayner Banham, Megastructures: Urban Futures of the Recent Past, London 1976, S. 9. 3 In der CIAM rief Sigfried Giedion die Diskussion zur Synthese in Bridge­ water ins Leben und führte den Vorsitz der Kommission zur „Syn­ these der plastischen Künste“ anlässlich der Kongresse in Bergamo. 4 Für eine englische Übersetzung des EXAT-Manifests siehe: „Exat 51: Manifesto“, in: Miško Šuvaković and Dubravka Đurić (Hg.), Impossible Histories, Cambridge, MA 2003, S. 539. 5 Vladimir Turina, Centar za zašititu majke i dje­ teta u Zagrebu–studija, Zagreb, 1957.

Obwohl das heute oft übersehen wird, war Zagreb in den 1950er- und 1960er-Jahren ein pulsierendes Zentrum für Experimente auf dem Gebiet der bildenden Kunst. Bedingt durch seine Lage am Rande der wichtigsten europäischen Kulturzentren, verfügte es über ein reiches Erbe an engen Wechselbeziehungen mit verschiedenen modernistischen Strömungen. Ab den späten 1940er-Jahren und während des ganzen folgenden Jahrzehnts lag die Synthese der bildenden Künste im Zentrum der Aufmerksamkeit und spiegelte das internationale Geschehen.3 EXAT 51 war eine der treibenden Kräfte dieser Diskussion.4 Mit einem weiteren EXAT-Mitglied, dem Architekten Zvonimir Radić, führte Richter dieses Thema während seiner Zeit als Professor an der Fakultät für Architektur der kurzlebigen Akademie für angewandte Kunst in Zagre­b (1950–1954) in die Hochschulausbildung ein. Es gab jedoch auch außerhalb des EXAT-Kreises weitere Verfechter der Synthese, wie etwa Vladimir Turina, dessen Hauptanliegen die Architektur war, welche er durch Praxis, Theorie und Lehrtätigkeit erforschte. In einer Artikelserie untersuchte Turina die soziale Stellung des Berufsstandes und weitete die Frage der Synthese über die Ästhetik hinaus aus. Seiner Ansicht nach war die Synthese in der Architektur analog zum zeitgenössischen Fortschritt in Wissenschaft und Technik zu sehen. „Die Architektur der neuen Ära soll einen einzigartigen Satz an Wertvorstellungen im technischen, räumlichen und visuellen Sinne hervorbringen, [...] in sich selbst schon ein gesundes wirtschaftliches Fundament. Das Problem der Architektur und der Architekten lässt sich dabei – technisch, kulturell und pädagogisch – als Pionierrolle begreifen.“5


Auf Grundlage von Turinas These ging Richter noch einen Schritt weiter und versetzte das erweiterte Gebiet der Synthese direkt in die Sphäre der Politik. Von der Unvermeidlichkeit einer Neudefinition der sozialen Stellung des Berufsstandes überzeugt, rief er Architekten dazu auf, sich aktiv sozial zu engagieren. Die Theorie des jugoslawischen selbstverwalteten Sozialismus mit ihren Schwerpunkten auf Dezentralisierung, geringerem staatlichen Einfluss und weniger strengen Vorschriften nährte die Hoffnung, dass die Bürger auf allen Ebenen der Entscheidungsfindung aktiv partizipieren würden. Beim Symposium der Union der jugoslawischen Architekten in Ohrid 1960 erörterte Richter das latente Potenzial des selbstverwalteten Sozialismus. Für ihn war das Problem der architektonischen Sprache nicht entscheidend, da die modernistische Ästhetik in Jugoslawien bereits akzeptiert war. Stattdessen war es für die Synthese wichtiger, alle Aspekte der selbstverwalteten sozialistischen Raumproduktion zu integrieren. „Der Fortschritt [...] muss sich in komplexeren Formen manifestieren […] in der Phase, wo Programme geschaffen werden […]. Der Architekt ist nicht länger der beauftragte Vollstrecker einer von jenen vorgegebenen Aufgabe, die die Finanzierung bereitstellen, sondern ein ebenbürtiger Sozialpartner mit unmittelbarer sozialer Verantwortung.“6

6 Vjenceslav Richter, in: Milan Zloković (Hg.), Razgovori o arhitekturi 2. Ohrid 1960, Belgrad 1960, S. 6. 7 Matko Meštrović, „Što je budući put arhitekture“, in: Arhitektura Urba­ nizam, Nr. 19, Belgrad 1963, S. 38. 8 Meštrović, „Što je budući“, S. 39.

In den 1950er-Jahren wurde das Konzept der Synthese mit Erfolg bei mehreren Projekten angewandt, auch die Architekten hatten Einfluss auf Bauprogramme. Es gab jedoch aufgrund der beginnenden Massen­ urbanisierung in dem vom Krieg verwüsteten Land wenig Hoffnung auf die Erfüllung avantgardistischer Ambitionen. 1963, am Höhepunkt des Baubooms, stellte der Kritiker und Theoretiker Matko Meštrović das Versagen der Architektur fest, sich an die Bedürfnisse und Möglichkeiten der Gesellschaft anzupassen. „Die Massenarchitektur hat sich vollkommen von den Grundprinzipien abgewandt, die von ihren Propheten ausgerufen wurden, und so die Möglichkeit verspielt, wirklich Architektur zu werden. So blieb sie endgültig im Bereich schmählicher Spekulation.“7 Meštrović glaubte, dass die Abschaffung der Architektur (und anderer Sparten) als eigene Disziplin notwendig sei und verlangte ihre „volle Integration in komplexe Produktionssysteme auf der technischen und geistigen Ebene einer höheren organisatorischen Ordnung.“8 In einer Rezension von Richters Ausstellung im Kunstgewerbemuseum in Zagreb im Jahr 1964 argumentierte Meštrović, dass individuelle Architekturexperimente als temporäres Gegenmittel zur reduktiven Zweckdienlichkeit der gleichzeitigen Errichtung der gebauten Umwelt dienen könnten. „[Richters] synthetische Art des Denkens, welche gewichtige Fakten durch scharfsinnige und nicht-schematische Beobachtung verbindet, […] überschreitet die Grenzen eines einzigen Berufsstandes. […] Sie erhebt sich über die Pragmatik der operationalen Stadtplanung, deren unausgegorene Aktionen den tieferen Interessen der Gemeinschaft zuwiderlaufen oder diese beschneiden. Sie ist in der Lage, radikale Maßnahmen vorzuschlagen, die – bei all ihrem Utopismus – doch eine realistische Kernaussage enthalten, wie sie heute zumindest zum Teil durch die grundlegend progressiven Ereignisse bestätigt wird. Eine


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9 Matko Meštrović, „Iznimno ka općem (Uz izložbu inž. arh. Vjenceslava Richtera u Zagrebu)“, in: Arhitektura Urbanizam, Nr. 27, Belgrad 1964, S. 22. 10 Für eine ausführliche Darstellung der Neuen Tendenzen in englischer bzw. deutscher Sprache siehe: Margit Rosen (Hg.), A Little-Known Story about a Move­ ment, a Magazine, and the Computer’s Arrival in Art: New Tendencies and Bit International, 1961-1973, Kat. ZKM Karlsruhe, Cambridge, MA, London 2011; Peter Weibel (Hg.), bit international. [Nove] tendencije. Computer und visuelle Forschung, Zagreb 1961–1973, Kat. Neue Galerie Graz, Graz 2007. 11 Der Text wurde in Meštrovićs Sammlung Od pojedinačnog općem, Zagreb 1967 (2005), unter dem Titel „Ideologija Novih tendencija“ [Ideologie der Neuen Tendenzen] erneut veröffentlicht. 12 Maroje Mrduljaš und Tamara Bjažić Klarin, „Zagreb Revisionists: ‚Social standard‘ Architecture“, in: Lukasz Stanek (Hg.) Team X East – Revisionist Architecture in Real Existing Modernism, Kat., Museum of Modrn Art, Warschau 2014, S. 165–197.

solch außergewöhnliche Orientierung kann ihren Wert als Leitbild untermauern.“9 Der Dialog zwischen Meštrović und Richter war entscheidend für die synchrone Entwicklung des Synthurbanismus und der Künstlerbewegung Nove Tendencije oder Neue Tendenzen, die führende internatio­ nale Künstler und Theoretiker der „forschungsorientierten Kunst“ in einer Serie von in den Jahren 1961, 1963, 1965, 1968/69 und 1973 in Zagreb veranstalteten Ausstellungen zusammenbrachte. An den Ausstellungen nahmen Künstler aus verschiedenen Bereichen teil, von den Vertretern optischer, neo-konstruktivistischer, kinetischer und programmatischer Kunst, welche die ersten beiden Ausstellungen dominierten, bis hin zu solchen, die mehr Gewicht auf die aktive Beteiligung des Betrachters, die Kommunikationstheorie und den Einsatz von Computern legten.10 Richter nahm ab der zweiten Ausstellung bis zur letzten regelmäßig teil, während Meštrović einer der führenden Vertreter und Organisatoren der Neuen Tendenzen und Verfasser ihrer theoretischen Plattform war. Ein unbetitelter Artikel im Ausstellungskatalog Nove Tendencije 2 von 1963 forderte die Integration von Wissenschaft und Kunst.11 Laut Meštrović verlangte die soziale Entwicklung die Aufhebung der Unterscheidung zwischen Wissenschaft, Kunst und Gesellschaft. Die Kunst könne nur dann eine „Schlüsselrolle“ einnehmen, wenn sie in das „Außerpoetische und Außermenschliche“ hinaustrete, um „die allgemeinen Gesetze“ zu verstehen, was ebenfalls Aufgabe der Wissenschaft sei. Die Kunst könne nicht länger eine privilegierte Stellung einnehmen und die Wissenschaft sollte ihre gesellschaftliche Zielgerichtetheit steigern, während beide Gebiete als getrennte soziale Phänomene verschwinden sollten. Der Synthurbanismus wies programmatisch und aufgrund der von ihm angewandten zeitgenössischen künstlerischen Strategien zahlreiche Parallelen mit den Prinzipien der Neuen Tendenzen auf. Zum Synthurbanismus trug auch die gleichzeitige Faszination für Wissenschaft und Technik in Architektur und Stadtplanung bei. Das in den 1950er-Jahren in ganz Europa aufkeimende erneute Interesse an Architekturforschung war eine Reaktion auf die Unzulänglichkeiten der dominierenden Hochmoderne und des technokratischen Umganges mit dem Wiederaufbau der Städte nach dem Krieg. Die historischen Avantgarden hatten ihr ursprüngliches reformerisches Potenzial verloren. Das kapitalistische System im Westen hatte sie in seine reproduktiven Mechanismen integriert, und der Staatssozialismus im Osten instrumentalisierte sie in einer reduktiv konzipierten Modernisierung. Man suchte entlang zweier miteinander verwandter, doch konzeptuell gegensätzlicher Linien nach einem Ausweg aus der Sackgasse in Architektur und Stadtplanung: dem reformistischen und dem radikalen Weg, die beide mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hatten, nämlich der Beziehung zwischen dem Einzelnen und der Gesellschaft, urbaner Identität, wachsender Mobilität, einem zunehmend dynamischen und instabilen Sozialleben, den Auswirkungen von Massen- und


Synthurbanismus, Zikkurat, 1962–1963 (Detail) Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb 13 Die 60. Ausgabe der Belgrader Zeitschrift Arhitektura Urbanizam fasste viele dieser experimentellen und visionären städte­ baulichen Projekte etablierter Architekten wie Richter und Juraj Neidhardt zusammen, ebenso auch die „Neue Garde“, einschließlich Mutnjaković, Delfin, Peđa Ristić, Ranko Bon, Miša David usw. Die Ausgabe enthielt auch mehrere Artikel über den Einsatz von Computern in der Stadt­ planung. Ranko Radović schrieb eine Einführung zu „Bedeutung und Wert von Experiment und Forschung in der Architektur“. Vgl. Ranko Radović: „Smisao i vrednosti eksperimenta i istraživanja u arhitek­ turi“, Arhitektura Urba­ nizam, Nr. 60, Belgrad 1969, S. 25–48. 14 Zum französischen „urbanisme spatial“ siehe: Larry Busbea, Topologies: The Urban Utopia in France, 1960–1970 Cambridge, MA 2007.

Industrieproduktion usw. Reformistische Architekten wie jene, die im Team X vereint waren, versuchten, das Ethos der Moderne durch ein subtileres Verständnis der sozialen und psychologischen Bedürfnisse der Gemeinschaften auf Grundlage von Anthropologie, empirischen Beobachtungen des Alltagslebens und der Erfahrung ‚anderer‘, nichteuropäischer Kulturen neu zu beleben. Dieser Gedankengang gewann in Zagreb in den 1950er- und 1960er-Jahren durch die Arbeiten einer Gruppe junger Architekten an Boden, die mit den niederländischen Mitgliedern von Team X12 in Kontakt standen. Im Gegensatz dazu entfaltete die zweite, radikale Linie, die funktionalistische oder traditionelle städtebauliche Modelle durch hochtechnisierte futuristische Visionen zu ersetzen suchte, in Jugoslawien vor dem Auftreten des Synthurbanismus so gut wie keine Wirkung. Erst Richters unermüdlicher Einsatz verbunden mit Kenzo Tanges Tätigkeit beim Wiederaufbau der mazedonischen Hauptstadt Skopje nach dem Erdbeben von 1963 führten dazu, dass gegen Ende des Jahrzehnts gewagtere Visionen aufkamen; am deutlichsten wird das in der Arbeit von Richters jüngeren Zagreber Kollegen Andrija Mutnjaković, Vojtjeh Delfin und anderen in Jugoslawien sichtbar.13 Trotz ihrer randständigen Position waren die jugoslawischen Architekten für gewöhnlich über Debatten in den Zentren der Moderne gut informiert. Die Konzeptualisierung des Synthurbanismus kann daher nicht vom internationalen Kontext techno-utopischer Visionen getrennt werden, über die sich Richter durchaus bewusst war. Insbesondere die französischen Entwicklungen waren in dieser Hinsicht bedeutsam.14 Darüber hinaus wurde Richter 1958 Jugoslawienkorrespondent für


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15 „Architectures fantas­ tiques“, L’Architecture d’Aujourd’hui, Nr. 102, 1962. 16 Richter schrieb 1969 spezifisch über Raum­ architektur und erklärte, dass „Architektur nicht ausreichend dreidimen­ sional“ sei. Vgl. Richter – Mutnjaković: Polazne pretpostavke, Kat., Galerija Studentskog centra, Zagreb 1969. Die dem Text beigefügte Zeichnung zeigte einen synthurbanistischen „Zikkurat“ als abstrak­ tes dreidimensionales Gerüst. 17 Wrights Faszination für die Zikkurate fand Umsetzung im berühmten Guggenheim Museum in New Your City, geht aber bereits auf das Projekt für das Gordon Strong Automo­ bile Objective aus den 1920er-Jahren zurück. 18 Siehe: René Sarger, „Fantastique d’aujourd’hui, réalité de demain: Quelques études de Paul May­ mont“, in Architecture d’aujourd’hui, Nr. 102, 1962. 19 Für weitere Arbeiten Maymonts siehe: Bus­ bea, Topologies, S. 46–48.

L’Architecture d’Aujourd’hui und hatte diese Stellung auch noch 1962 inne, als die Zeitschrift ihre Ausgabe Nr. 102 zum Thema „Fantastische Architektur“ herausbrachte, was eine neue Welle städtischer Utopien auslöste und deren historische Abstammung bis zur Wende zum 20. Jahrhundert nachzeichnete.15 Für Richters Projekt können mehrere charakteristische Motive identifiziert werden. Dazu zählte die Vorliebe für eine umfassende räumliche oder „dreidimensionale Städteplanung“, die in den theoretischen und praktischen Vorschlägen von Yona Friedma­n, Constant Nieuwenhuis, Eckhard Schulze-Fielitz sowie Oscar und Sofia Hansen mit Lech Tomaszewski präsent war, die alle das Potenzial dreidimensionaler Konstruktionsraster ausleuchteten.16 Claude Parent und Lionel Mirabauds „Studien zur verdichteten räumlichen Architektur“ wiesen in riesigen freistehenden Kaskaden aufeinandergestapelte Wohnungen auf, die Richters eigener kaskadierender Bekleidung der Außenflächen seiner Megastrukturen ähnelten. Pyramidenförmige und konische Gebäude spielten in dieser Ausgabe ebenfalls eine tragende Rolle; die Zeitschrift stellte nicht weniger als drei solcher Projekte vor, die bis 1947 zurückreichten: Clive Entwistles Wettbewerbsbeitrag für einen neuen Kristallpalast in London (der seinerseits auf Le Corbusiers Mundaneum zurückging), Jean Mazets Idealstadt in Form eines gewaltigen Stumpfkegels und Frank Lloyd Wrights Projekt für ein Gemeindezentrum in Pittsburgh. In Wrights Fall wurde das Gebäude ausdrücklich als „Zikkurat“ bezeichnet – derselbe Begriff, den auch Richter für seine synthurbanistischen Einheiten gebrauchte und der auch verschiedene gesellschaftliche Programme umfasste, die innerhalb der spiralförmig rundumlaufenden Autorampe stattfinden sollten.17 Von allen in L’Architecture d’Aujourd’hui gezeigten Projekten müssen jedoch Paul Maymonts „Pilztürme“ bei Richter besonders starken Anklang gefunden haben.18 Jeder von ihnen bestand aus einem gewaltigen Mast, von dessen Spitze Maisonettewohnungen und verschiedene urbanistische Anwendungen an Kabeln hingen und auf diese Weise eine ins Riesenhafte gewachsene Version von Richters eigenem – wenn auch nie ausgeführtem – Wettbewerbsbeitrag für den Jugoslawien-Pavillon bei der EXPO 58 heraufbeschworen. Maymonts Türme scheinen auf mehrere wichtige Merkmale von Richters Projekt Einfluss genommen zu haben: die Konzentration aller städtischen Funktionen in einem einzigen Gebäude, einschließlich einer gewaltigen Garage zuunterst, die Bündelung dieser Bauwerke in größeren urbanen Agglomerationen und die allgegenwärtige pyramidale Form.19 Es gibt weitere Hinweise, dass Richter sowohl Interesse an Informationen über den französischen „urbanisme spatiale“ als auch Zugang dazu hatte. Er besaß die deutsche Übersetzung des Buches Où vivrons-nous demain? des produktiven Schriftstellers, Kritikers und Historikers Michel Ragon, das zu den wichtigsten Veröffentlichungen in der Etablie­rung und Verbreitung dieses Themas zählt. Mit Schwerpunkt auf in Frankreich tätige Designer fasste das Buch verschiedene internationale Techno-Utopien der frühen 1960er-Jahre zusammen, und ein


20 Siehe Sammlung Richter, Museum für zeitgenössische Kunst, Zagreb. Ragons Buch wurde erstmals 1963 in französischer Sprache veröffentlicht. Die deutsche Übersetzung in Richters Eigentum trug den Titel Wo leben wir morgen?: Mensch und Umwelt: Die Stadt der Zukunft, München 1970. 21 Zit. in: Jerko Denegri, „Inside or Outside ‚Socialist Modernism?‘“, in: Dubravka Đurić und Miško Šuvaković (Hg.), Impossible Histories: Historic Avant-Gardes, Neo-Avant-Gardes and Post-Avant-Gardes in Yugoslavia, 1918–1991, Cambridge, MA 2003, S. 174. 22 Vgl.: Busbea, Topo­ logies, S. 34–36. 23 Vgl. Boris Keleme­n und Radoslav Putar (Hg.), Bit International, Nr. 3, Galerije grada Zagreba, Zagreb 1968. Mit Max Bense gab Abraham Moles auch die erste Ausgabe von Bit International mit dem Titel „The Theory of Informations and the new Aesthetics“ heraus, Galerije grada Zagreba, Zagreb 1968. 24 Richter, Sinturbanizam, S. 86.

ganzes Kapitel war dem „urbanisme spatiale“ gewidmet.20 Ragon war außerdem Mitbegründer der Groupe International d’architecture prospective (GIAP), der führende „urbanistes spatiales“ wie Maymont und Friedman angehörten. Als lebenslanger Linker interessierte sich Ragon für die sozialistische Welt und besuchte Jugoslawien mindestens einmal: zur Eröffnung des Museums für zeitgenössische Kunst in Belgrad 1965, als er begeistert ausrief, dass „in Jugoslawien die lebende Kunst gleichzeitig die offizielle Kunst“21 sei. Die anhaltende Betonung der Synthese der Künste unter den französischen „urbanistes spatiales“, selbst nachdem die Synthese anderswo ihre Zugkraft verloren hatte, muss für Richter ein weiterer Grund gewesen sein, sich für ihre Arbeit zu interessieren.22 Die Überschneidung der Kontexte wurde vermutlich am deutlichsten in der dritten Ausgabe des Magazins Bit International festgehalten, der Zeitschrift der Neuen Tendenzen. Dort wurden die Gespräche eines 1968 in Zagreb abgehaltenen internationalen Kolloquiums über Computer und visuelle Forschung dokumentiert, an dem Richter mit Abraham Moles teilgenommen hatte, dem französischen Ingenieur, Soziologen, Philosophen und einem der Haupttheoretiker des „urbanisme spatial“.23 Radikale Gestalter wie Archigram, Friedman und seine Groupe d’Études d’Architecture Mobile (GEAM) oder Constant, Mitglied der Situationistischen Internationale, vertraten unterschiedliche ideologische Ausgangspunkte. Doch sie alle betrachteten die gebaute Umgebung als Mittel zur Emanzipierung und Befreiung individueller Wünsche und als Potenziale innerhalb einer hoch entwickelten Konsumgesellschaft. Richter teilte mit ihnen einige wichtige Anliegen: den Schwerpunkt auf dem Problem der Mobilität, einen technokratischen Ansatz für dieses Problem, den Organizismus als zugrundeliegende Metapher für die Lösung und die Konzentration der städtischen Funktionen in einem einzigen Gebäude als spezifische Lösung. Sein politischer und ökonomischer Kontext war jedoch ein ganz anderer, was zu unterschiedlichen gesellschaftlichen Schwerpunkten führen musste. Diese lagen bei ihm stärker auf der Gemeinschaftsbildung als auf der völligen Auflösung der sozialen Bindungen und Verantwortlichkeiten. Auf diese Weise machte sich der Synthurbanismus das im Sozialismus erkannte Potenzial, soziale Harmonie zu schaffen, zunutze, um sich auf die Suche nach einer organisierten Synthese des Lebens zu begeben. „Der Sozialismus– Kommunismus ist sicherlich jene soziale Bewegung, die, während sie eine harmonische Beziehung zwischen dem Individuum und dem Kollektiv anstrebt, ein Interesse am Menschen als integrales biologisches und soziales Wesen entwickelt.“24 Insbesondere das jugoslawische System der Selbstverwaltung bildete einen wichtigen ideologischen Hintergrund für das Projekt. Es wurde erstmals 1950 in Form einer ökonomischen Demokratie eingeführt, die (zumindest theoretisch) die Verwaltung von Industrieunternehmen in die Hände der Arbeiter legte, um von einer vom Staat dominierten Zentralverwaltungswirtschaft loszukommen. Bis 1952 hatte sich die Selbstverwaltung durch ihre Umsetzung auf verschiedenen Ebenen der Gemeinschaft jedoch schon


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25 Zu Konzeptualisierung, Realisierung und Rezeption des Pavillons bei der Expo 58 siehe: Kulić, „An Avant-Garde Architecture for an Avant-Garde Socialism“. Zum Pavillon auf der International Labour Exhibition siehe: Archive of Yugoslavia, Belgrade, Fonds 57, „Međunarodna izložba rada u Torinu“.

auf das politische Leben ausgeweitet und ein duales System geschaffen, das den völligen Abbau des Zentralstaates zum Ziel hatte. Weitere Reformen wurden in den 1950er-Jahren durchgeführt und von ausführlichen Diskussionen über Methoden zur Verbesserung des Systems und zur Gewährleistung der Funktion der direkten Demokratie begleitet. Es scheint, dass Richter diese Gespräche berücksichtigte, als er die geplante Anzahl der Bewohner eines synthurbanistischen Zikkurats mit etwa zehntausend ansetzte, der Standardgröße einer „Mikro-Einheit“ in den neugeplanten modernistischen Stadterweiterungen Zagrebs und Belgrads, die als selbstverwaltetete Gemeinschaften vorgesehen waren. Die Organisation der synthurbanistischen Einheit als selbstverwaltete Gemeinschaft war kein bloßer Nebengedanke und auch nicht lediglich dazu gedacht, dem Architekten durch Verbreiten offizieller Losungen politische Vorteile zu verschaffen. Angefangen mit seiner Arbeit am jugoslawischen Pavillon in Brüssel (1958) und danach mit seinen Entwürfen für die internationalen Ausstellungen in Turin (1961) und Mailand (1964) fand sich Richter im Mittelpunkt der Diskussion um die Frage der angemessenen Darstellung der Selbstverwaltung wieder. Das System führte in der Tat zu bemerkenswerten Ergebnissen (zwischen 1957 und 1960 hatte Jugoslawien das höchste Wirtschaftswachstum der Welt) und wurde als Innovation angesehen, die weltweite Anerkennung verdiente. Die prägnante und effiziente Erläuterung der Motive und Mechanismen der Selbstverwaltung gegenüber einem potenziell ablehnenden ausländischen Publikum war daher entscheidend, doch keineswegs einfach. Für die EXPO 58 in Brüssel und die internationale Ausstellung Italia 61 in Turin arbeiteten mehrere Teams an der Erstellung einer überzeugenden Präsentation. Die Archivaufzeichnungen zeigen gleichermaßen Begeisterung wie Frustration bei dem Versuch, die Essenz des selbstverwalteten Sozialismus zu erfassen, der damals stark en vogue war.25 In beiden Fällen rettete Richter die Situation, indem er den ziemlich lustlosen oder trockenen Skripten Zusammenhalt und visuelle Attraktivität einhauchte. So stellte er eine unterschwellige Verbindung her zwischen der Selbstverwaltung als Rückkehr zum ‚wahren‘ Marxismus vor dessen Korrumpierung unter Stalin und der avantgardistischen Ästhetik mit ihren Wurzeln in der ursprünglichen Kunst der Oktoberrevolution. Letzten Endes wurde Richter die volle Kontrolle über die Ausstellung im jugoslawischen Pavillon bei der 13. Triennale in Mailand 1964 übertragen, die der Freizeit in einer selbstverwalteten Gesellschaft gewidmet war. Er errichtete eine fließende, räumliche Struktur, deren Boden, Trennwände und Decke durch ein einziges Element, eine einfache Holzlatte, dominiert wurden. Der nichthierarchische und offene Charakter des Pavillons bezog sich auf einige Experimente von „spatial urbanists“, insbesondere auf die von Yona Friedman. Da Richter an der Gestaltung der Art und Weise, wie die Selbstverwaltung gesehen werden sollte, unmittelbar beteiligt war, glaubte er möglicherweise, auch zu ihrer Umsetzung im wirklichen Leben einen wesentlichen Beitrag leisten zu können.


Zikkurat, Perspektive, 1963–1964 Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb

Synthurbanismus Der Synthurbanismus war nicht nur ein städtebauliches Projekt, sondern eine vollständige städtebauliche Theorie; die Einheit von Praxis und Theorie machte ihn im lokalen Kontext Kroatiens wie des sozialistischen Jugoslawiens einzigartig. Richter stellte ihn bei verschiedenen Gruppen- und Einzelausstellungen vor, schrieb verschiedentlich darüber und bot ihn als seine Antwort auf jede Diskussion über sozialistischen Urbanismus im Jugoslawien der 1960er-Jahre an. Führende Kritiker dieser Zeit unterstützten ihn, darunter auch Matko Meštrović und Vera Horvat-Pintarić. Auf diese Weise überschritt der Synthurbanismus die Grenzen eines Einzelvorschlages und wurde zu einer der zentralen symbolischen Ideen, die eine Gruppe von Individuen vereinte, die in fast militanter Weise von der Mobilisierung aller sozialen und materiellen Ressourcen für die Gesamtgestaltung der gebauten Umwelt in der neuen Gesellschaft des sozialistischen Jugoslawien besessen war. In den 1950er- und 1960er-Jahren bekleidete Richter führende Stellungen in einflussreichen Berufsverbänden, doch die Breite seiner Vision und seine Weigerung, seine Arbeit durch konventionelle disziplinäre Grenzen einzuschränken, distanzierten ihn vom Mainstream seines Berufsstandes. Beispielsweise lehrte er trotz seines unumstrittenen Rufs niemals an der Architekturfakultät in Zagreb. Das Projekt wurde erstmals in Sinturbanizam dargelegt, einer ausführlichen Abhandlung über die Synthese der bildenden Künste, die überraschenderweise mit einem radikalen Vorschlag für eine ideale Stadt endet. Die duale Struktur des Buches, die mit seiner langen Entstehungszeit von 1954 bis 1963 zusammenhängt, veranschaulicht die Entwicklung der Idee der Synthese in den kulturellen Kreisen von Zagre­b. In einer radikalen Erweiterung dieser Idee schlug Richter eine Stadt für über eine Million Menschen vor, die auf der Morphologie der


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26 In Jugoslawien erfolgte die Motorisierung tatsächlich in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre. Zu Beginn des Jahrzehnts gab es lediglich etwa 12 Autos pro 1000 Einwohner und 1965 um die 33, doch 1973 war diese Zahl bereits auf 180 hochgeschnellt; siehe: Brigitte Le Normand, „Automobility in Yugoslavia Between Urban Planner, Market, and Motorist: The Case of Belgrade, 1945–1972,“ in: Lewis Siegelbaum (Hg.),The Socialist Car: Automobility in Eastern Bloc, Ithaca, London 2011, S. 100. Siehe auch: Igor Duda, Pronađeno blagostanje: Svakodnevni život i potrošačka kultura u Hrvatskoj 1970-ih i 1980-ih godina,Zagreb 2010, S. 205–290. 27 Vgl. Richter, Sinturbanizam, S. 100. 28 Richter, Sinturbanizam, S. 99. 29 Vgl. Vjenceslav Richter, „Heliopolis – četverodimenzonalni grad“, in: Arhitektura XXII, Nr. 99/100, Zagreb 1968, S. 7–11. 30 Richter, Sinturbanizam, S. 85. 31 Vgl. Pamela Lee, Chronophobia: On Time in the Art of the 1960s, Cambridge, MA 2004.

Zikkurate aufbaute, gigantischen, pyramidenförmigen Megastrukturen mit Grundrissen von 270 mal 270 Metern, die jeweils acht-, zehn- oder zwölftausend Menschen beherbergen und alle städtischen Funktionen in sich vereinen sollten: Wohnen, Arbeiten, Gesellschaftsleben und Unterhaltung. Diese Grundrisse waren als riesige öffentliche Plätze ausgelegt, die überdacht, klimatisiert und mit Kinos, Galerien, Restaurants und Geschäften sowie einem vertikalen Verkehrssystem versehen waren. Weitere öffentliche Räume umfassten offene Terrassen im fünfzehnten Stock sowie eine Dachterrasse unter freiem Himmel. Die Zikkurate sollten auch dem politischen Leben dienen und umfassten jeweils eine Versammlungshalle für 6.000 Personen. Die ganze Stadt sollte aus hundert Zikkuraten bestehen, die entlang eines orthogonalen Straßensystems angeordnet waren; das Zentrum war als lineare Struktur gedacht und sollte in dieser ersten Version des Synthurbanismus noch aus herkömmlichen Pavillonbauten bestehen. Der argumentative Ausgangspunkt Richters für die Konzentration von Bewohnern und Funktionen war die pragmatische Notwendigkeit, jene Zeit einzusparen, die jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit und zurück vergeudet wurde. Man mag sich über die Dringlichkeit der von der Verkehrsüberlastung verursachten Probleme im Jugoslawien der frühen 1960er-Jahre wundern, da es im Land erst kurz nach dieser Zeit zur Explosion der Automobilität kam.26 Ob Richter nun auf die schlechte Qualität des öffentlichen Nahverkehrs im rasch wachsenden Zagreb reagierte oder schlicht und einfach Probleme antizipierte, die in weiter entwickelten Ländern längst Wirklichkeit geworden waren, sei dahingestellt – jedenfalls bezeichnete er Verkehrsüberlastungen als „schlimmer als Krebs“ wegen der Art und Weise, wie sie das effektive menschliche Leben verkürzten.27 Er erfand sogar einen neuen Begriff, „sintak“, für den „Arbeits-, Kreativ- oder Freizeittag […], den wir gegen unseren Willen durch eine anarchische städtische Desorganisation einbüßen.“28 Um die Zeit zu verlängern, komprimierte Richter daher den Raum, und die damit erzielte Synthese der Raum-Zeit begründete den Synthurbanismus als „vierdimensionale Stadt“.29 Doch die Beziehung des Projekts zur Zeit war noch komplexer, da es sich auf zwei simultane Weisen mit ihr befasste, und zwar einerseits in Richtung auf ein effizientes Management, andererseits in Richtung auf die Zukunft und auf eine „Vorschau [...] die als Hebel zur Überwindung der durch die Trägheit des Lebens verursachten Hindernisse dient.“30 In seinem Bestreben, die Zeit zu beherrschen, war der Synthurbanismus ein echtes Kind der Kultur der 1960er-Jahre in ihrer merkwürdigen Besessenheit von der Zeitlichkeit, die von der Kunsthistorikerin Pamela Lee als „Chronophobie“ bezeichnet wurde.31 Insbesondere spiegelte sie die wachsenden Anliegen bezüglich Erholung und Freizeit wider, die in der ganzen entwickelten Welt aus der boomenden Konsumkultur erwuchsen und die Jugoslawien in den frühen 1960er-Jahren ebenfalls zu spüren begann. Dass Richter 1964 den jugoslawischen Pavillon auf der 13. Triennale in Mailand – einer ausschließlich der Freizeit gewidmeten Ausstellung – entwarf, war wohl kaum ein Zufall.


Zikkurat, Querschnitt, 1963–1964 Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb

Synthurbanismus, Zikkurat, 1963–1964 (Detail) Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb


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Richters Zuversicht in seiner Polemik gegen die städtebaulichen Dok­ trin dieser Zeit war erheblich. „Abgesehen von einer wachsenden städtischen Dichte handelt es sich beim Urbanismus Le Corbusiers immer noch um einen analytischen Urbanismus, mit stark getrennten urbanen Funktionen.“32 Die Lösung lag in der Synthese nicht nur der Disziplinen, sondern auch der städtischen Funktionen, was ein radikal neues Lebensmodell ermöglichen würde. „Während es sich im urbanen Ablauf bei Le Corbusier in Wirklichkeit lediglich um eine Korrektur der sanitären Verhältnisse, Verkehrsmuster und des visuellen Erscheinungsbildes der bereits bestehenden Lebensweise handelt, ist in einer synthurbanistischen Einheit das Leben aufgrund einer effizienten Nutzung der Zeit von Grund auf anders.“33 Der Zikkurat erschien so als Manifest der urbanen Verdichtung und als evidente Kritik sowohl an der Planung als auch an der Suburbanisierung der CIAM; der Raum zwischen den Megastrukturen brauchte jedoch immer noch einen Park im Stil der CIAM, der nicht besonders fußgängerfreundlich zu sein schien. Das ganze Stadtsystem einschließlich der Interaktion mit weiter entfernten Zikkuraten hing von der mechanischen Erschließung ab. Die Außenmaße der Zikkurate waren so gewaltig, dass die einzelne Einheit „unendlich klein war, was eine totalen Gestaltungsfreiheit bedeutete“,34 d. h. Formen, die nicht auf herkömmliche Weise angeordnet waren, sondern sich aus strukturellen Regeln ergaben. In seiner Rezension von Richters Ausstellung von 1964 betonte Meštrović diese Abweichung von der konventionellen Architektur: „Die individuelle Form und das Prinzip der hierarchischen oder zusammengesetzten Organisation fallen weg. Richter begab sich zum einen seiner eigenen Erfahrung folgend, zum anderen durch die Neuen Tendenzen angeregt, auf dieses Terrain. Die klassische Auffassung vom Haus ist vollends verschwunden.“35 Die auf diese Weise nach einem klaren Regelwerk durchgestaltete Umgebung war egalitär. Denn sie gewährleistete „als Grundprinzip einer sozialistischen Gesellschaft den gleichen Zugang aller Bewohner zu den gleichen formalen und funktionalen Qualitäten“.36 Die einzige Ausnahme war das Problem der Sonneneinstrahlung, da die Wohneinheiten nur in eine Richtung ausgerichtet sein konnten, so dass Richter viel Zeit in die optimale Ausrichtung der Zikkurate zur Sonne hin investierte.

32 Richter, Sinturbanizam, S. 85. 33 Ebda, S. 97. 34 Ebda, S. 86. 35 Meštrović, „Iznimno ka općem“, S. 46. 36 Richter, Sinturbanizam, S. 86. 37 Ebda, S. 87.

Für Richter umfasste das erweiterte Konzept der Synthese nicht nur die formale Gestaltung und die Beziehung zwischen Raum und Zeit, sondern auch die sozialen Beziehungen in ihrer Gesamtheit. Der räumliche Rahmen war in seinen Augen ein Katalysator für soziale Veränderung. „Innerhalb des Zikkurats vollziehen sich alle lebendigen Funktionen des Kollektivs vor den Augen seiner Mitglieder–Bürger. Von klein auf sehen und lernen so die Menschen diese Funktionen als Teil des kollektiven Organismus zu verstehen und erlangen auf diese Weise ein Gefühl der Zugehörigkeit und Verantwortung. Gleichzeitig werden die Möglichkeiten der Selbstverwaltung als eine reale und konkrete politische Funktion sichtbar.“37 Eine völlige Synthese des Gesellschaftslebens und der


Zikkurat, Querschnitt, 1963–1964 Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb

Umwelt war nicht nur logischer Ausdruck, sondern auch Voraussetzung für die Realisierung des selbstverwalteten Sozialismus, den Richter als vollkommen rationales und räumlich ablesbares System sozialer Beziehungen ansah. Er lehnte die Bezeichnung seines Projekts als utopisch ab, da es darauf abzielte, „die Menschen mit der normalen Bandbreite akzeptabler sozialer, organisatorischer und technischer Dienstleistungen zu versehen.“38 Die Rolle der Stadtplanung lag in einer möglichst effizienten Harmonisierung dieser Beziehungen und Dienstleistungen. Damit gewann die Synthese noch eine weitere Bedeutung, nämlich die „Forderung nach einem breiteren sozialen Medium und nach einer philosophischen Orientierung hin auf eine ganzheitliche Konzeption der Welt.“39 Wie bei den Neuen Tendenzen wurde auch das Fortbestehen der bildenden Kunst in Zweifel gezogen, da nicht sicher schien, ob sie „einen solchen Quantensprung überleben würde“.40 Die erste Version des Synthurbanismus war in technischer Hinsicht nicht ganz ausgereift, aber es zeichneten sich Möglichkeiten für Vorfertigung und Massenproduktion ab. Die Grundlage für eine weitere Entwicklung in diese Richtung war Richters Tätigkeit im Bereich des Industriedesigns, wie seine Beteiligung an der Gründung des Studios für industrielles Design in Zagreb (SIO) 1956, seine Stellung als Direktor des Zentrums für industrielles Design (CIO) in Zagreb von 1964 bis 1967 und seine Mitgliedschaft im International Council of Societies of Industrial Design (Icsid) ab 1963 bewies. Entsprechend schlug Richter vor, dass der Synthurbanismus durch ein „Standard- und Kategorisierungssystem“ umgesetzt werden könne, obwohl er solche Themen hauptsächlich in Zusammenhang mit dem Visuellen und nicht im Kontext der Produktionskoordinierung diskutierte. 38 Ebda, S. 99. 39 Ebda, S. 87. 40 Ebda.

Nach der Veröffentlichung von Sinturbanizam schrieb Richter 1965 einen Artikel für eine Sonderausgabe der Philosophiezeitschrift Praxis über die jugoslawische Kultur. Unter dem Titel „Engangement und ‚Assistenz‘ – zu einigen fundamentalen Fragen unserer Architektur“


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41 Richter, Praxis, S. 575. 42 Ebda, S. 574. 43 Ebda, S. 577. 44 Ebda, S. 578. 45 Richter erwähnt einige dieser Kritiken in der nicht veröffentlichten zweiten Ausgabe von Sinturbanizam; Zbirka Richter, AK 16, 09.03.1973. 46 Vgl. Richter, „Heliopolis“. 47 Richters Vorschläge liegen zeitlich etwas vor der Arbeit einer jüngeren Generation kroatischer Architekten, die in der zweiten Hälfte der 1960erJahre mobile Bauten erforschten, vor allem Andrija Mutnjaković. Er arbeitete mit dem EXATMitglied Aleksandar Srnec zusammen an „luminokinetischen Objekten“, bevor er allein an Plänen für mobile veränderbare Bauten arbeitete. Richter und Mutnjaković organisierten 1969 in der Galerie des Studen­ tenzentrums in Zagreb eine gemeinsame Ausstellung.

zeigte der Artikel Hindernisse für eine humanistische Entwicklung der gebauten Umgebung durch die Teilung der Gesellschaft in Klienten (natürliche oder juristische Personen wie etwa Investoren), Gestalter und Subunternehmer auf.41 „Unsere Architektur resultiert zum Teil aus Beziehungen, deren materielle und organisatorische Basis einer bürokratisch verstandenen Wirtschaft unterliegen.“42 Somit war die Architektur für die soziale Entwicklung kein aktiver, engagierter Faktor, sondern unterstützte lediglich die kurzfristigen Ziele der sozialen Planung, welche gesellschaftliche Bedürfnisse in „Budgetposten“ zergliederte. Richter argumentierte, dass anstelle eines solchen fragmentarischen Vorgangs eine Diskussion über den Gesellschaftsvertrag notwendig sei. Diese war auch ein Ziel der Selbstverwaltung und die Voraussetzung für den Aufschwung der „Gesamtheit des gesellschaftlichen Lebens [...] wenn Architektur ident mit Urbanismus wird und beide zu organisatorischen Beförderern von sozialer Bewegung werden.“43 „Der Prozess der Synthese muss einen breiten sozialen Maßstab annehmen, zu Gunsten einer höheren Ebene konzeptueller und organisatorischer Einheit.“44 Der Text endet recht lakonisch mit einer Kritik an der Architektenschaft, die noch nicht bereit sei, ein Niveau der sozialen und wissenschaftlichen Entwicklung willkommen zu heißen, das einst utopisch schien. Der Artikel nimmt Bezug auf „synthurbanistische Aufgaben“, vermeidet das Beharren auf eindeutigen Prinzipien und gelangt zu dem Schluss, dass diese Aufgaben „eine unbegrenzte Zahl von Lösungen“ haben könnten. In dem einzigen jemals in Praxis zum Thema Architektur veröffentlichten Artikel stellte Richter somit seine Kritik auf die Grundlage eines Programms der sozialen Harmonisierung, das weniger auf „der Tradition der plastischen Synthese als auf der Problematik der gesellschaftlichen Fragmentierung und der Verteilung von Arbeit“ aufbaute. Als Richter den Synthurbanismus auf Ausstellungen zeigte, wurde er für dessen starre Struktur kritisiert, die mit einem „menschlichen Ameisenhaufen“ verglichen wurde. Das veranlasste ihn zur Revision und Perfektionierung des Konzepts.45 1968 veröffentlichte die Zeitschrift Arhitektura einen nicht illustrierten Artikel mit dem Titel „Heliopolis – Eine vierdimensionale Stadt“, in dem er bestimmte Ideen fortführte, die in Zeichnungen weiterentwickelt werden sollten.46 In den aktualisierten Versionen, die dem 1964 vorgestellten Projekt folgten, entwickelte sich der Synthurbanismus zu einem noch kühneren Vorhaben, das die zeitliche Komponente noch stärker betonte, da die Zikkurate nun drehbar waren und die Wohneinheiten verschoben und nach den Bedürfnissen ihrer Bewohner verändert werden konnten.47 Die Zeichnungen wurden sogar noch ausgefeilter als zuvor. Besonders anschaulich in dieser Hinsicht war der Querschnitt eines Zikkurats, wobei jeder Raum in Zentralperspektive und mit eigenem Fluchtpunkt dargestellt wurde, was die städtische Dichte und Gleichzeitigkeit der Raumzeit unterstrich. Auch die zentralen Funktionen veränderten sich. Das zuvor noch lineare Stadtzentrum wurde durch segmentierte Zikkurate ersetzt, in denen die Kultur-, Verwaltungs-, Wirtschafts- und Wissenschaftssektoren untergebracht waren. Diese Entwicklung fand allmählich und in enger


Beziehung zu Richters Arbeit an „Systemplastiken“ statt. Diese modularen Objekte nahmen in „Reliefmetern“ eine interaktive Form an, die 1965 bei Nove Tendencije 3 und im folgenden Jahrzehnt viele Male in Jugoslawien und im Ausland ausgestellt wurden.

Reliefmeter 1, 1963 (Detail) Fotoarchiv Branko Balić, Institut für Kunstgeschichte, Zagreb

48 Vgl. Vera HorvatPintarić, Vjenceslav Richter, Zagreb 1970, S. 45–46. 49 Ebda, S. 17.

Ein Reliefmeter ist eine bewegliche Struktur, die aus Aluminium­ modulen in Form rechteckiger Stäbe besteht. Diese sind an einem orthogonalen Raster ausgerichtet und über ein Rillensystem miteinander verbunden. Auf diese Weise können sie aneinander vorbei gleiten und doch verbunden bleiben. Ein Betrachter oder Benutzer kann mit ihnen in Interaktion treten und sie unterschiedlich anordnen. Trotz der strengen Geometrie des Systems macht es die große Anzahl der Module (in einigen Versionen bis zu 10.000) möglich, dass die daraus entstehende Oberfläche ähnlich wie bei einem digitalen Bildschirm organische Formen annimmt. Der Effekt ähnelt dem im Synthurbanismus vorgestellten: Verschwindend kleine Einheiten füllen ein Volumen von erheblich größerem Ausmaßen aus. Der nicht ausgeführte Entwurf für ein Wohnhaus in Zagreb von 1968 (in Zusammenarbeit mit Ljubo Iveta, Berislav Šerbetić und Mihajlo Kranjc) verdankte diesem Prinzip seine geschwungene Gestalt, wenn auch in fixierter Form und in kleinerem Maßstab als im Synthurbanismus.48 In ihrer Monografie von 1970 über Richters Arbeit betonte die Kunsthistorikerin Vera Horvat-Pintarić außerdem die Verbindung zwischen Systemplastik und Synthurbanismus: Das Reliefmeter „ist nicht nur ein Instrument zur Entwicklung neuer Gedanken zum Raum; es ist vielmehr ein Mittel, um eine neue Makrostruktur der Räumlichkeit zu schaffen“.49 Das Reliefmeter war somit ein Prototyp für die Experimente, die ihre volle Bedeutung im städtischen Maßstab erreichen sollten. Horvat-Pintarić benennt die Kernqualität des Synthurbanismus in zwei Aspekten der Veränderbarkeit städtischer Bauten: in der computerprogrammierten Drehung des ganzen Zikkurats und in der interaktiven Veränderung von Wohneinheiten durch einzelne Bewohner. Der Synthurbanismus vereinte auf diese Weise zwei zentrale Themen der Neuen Tendenzen – programmierte Kunst und die Interaktion zwischen Betrachter und Kunstwerk – und befasste sich gleichzeitig mit einem der zentralen Dilemmata der 1960er-Jahre, dem Problem der Harmonisierung von Technik und der Emanzipation des Einzelnen. Der Synthurbanismus konnte dieses Dilemma jedoch nie zur Gänze lösen. Er enthüllte von Anfang an Richters offensichtliches Bestreben nach der Nutzung des Potenzials für flexiblen Raum: Die Pläne sind durch die abstrakten Raster der tragenden Strukturen und der Infrastrukturnetzwerke mit nichthierarchisch angeordneten Funktionen im Inneren organisiert. Einige Zeichnungen erinnern an spätere Projekte der italienischen Gruppe Archizoom, obgleich Richters technische Ausführung bescheidener ist und sich das Raster nicht ins Unendliche ausdehnt, sondern durch den Zikkurat umschrieben ist. Diese Parallele ist bei späteren Formen des Synthurbanismus besonders faszinierend, bei denen die unregelmäßigen Rundungen der Natur in das starre Raster


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50 Rudi Supek, „Tehno­ kratski scijentizam i socijalistički huma­ nizam“, in: Praxis Yugoslav Edition, Nr. 1/2., 1967., S. 26. Der Verweis in diesem Zitat bezieht sich auf den französischen Soziologen Georges Friedmann, der ver­ mutlich am besten für seine Forschungen zur menschlichen Arbeit und ihrer Beziehung zum technischen Fort­ schritt bekannt ist. 51 Supek, a.a.O., 28 f. „Der Mensch wird (…) gerade durch seine überragende Kreativität als Künstler, Philosoph oder Wissenschaftler die Grenze erreichen, an der er Leere und Sinn­­losigkeit begegnet, und er wird durch Wil­ lensstärke bestimmen, wie viel Sinn er der Sinnlosigkeit und wie viel Menschlichkeit er der Unmenschlichkeit geben will.“

im Inneren vordringen – ähnlich wie die amöbenartigen Formen, die bei Archizoom das Raster überlagern. Andererseits hat Richter nie erklärt, was, neben der rein visuellen Wirkung, mit seinen anderen Flexi­bili­ täts­systemen – wie der Möglichkeit der Hin- und Herverschiebung der Wohneinheiten in einem Zikkurat ähnlich den Modulen in einem Reliefmeter – gewonnen wäre oder wie diese technisch umzusetzen wären. Die im Heliopolis-Projekt vorgeschlagene Drehung des äußeren Bereichs des Zikkurats, die den egalitären Zweck verfolgte, jede Einheit mit gleich viel Sonnenlicht und der visuellen Wirkung einer sich ständig verändernden Umgebung zu versehen, hätte eine sogar noch monumentalere technische und praktische Herausforderung bedeutet. Dilemmata zu den Auswirkungen der Technik und Wissenschaft auf die soziale Entwicklung interessierten auch die um die Zeitschrift Praxis versammelten Intellektuellen wie den Soziologen Rudi Supek, der 1967 seinen Optimismus hinsichtlich der Humanisierung technischer Veränderungen und ihrer Integration in eine harmonische soziale Entwicklung zum Ausdruck brachte: „Das Vorherrschen wissenschaftlicher und technischer Entdeckungen wird mit Sicherheit zur Schaffung eines ‚technischen Milieus‘ (Georges Friedmann) führen, welches großteils das ‚natürliche Milieu‘ menschlichen Lebens ersetzen wird. Doch genau so, wie die automatisierte Produktion die Basis für eine reale soziale Infra­ struktur schaffen wird, die es dem Menschen erlaubt, über seine Zeit und Möglichkeiten freier zu verfügen, so wird dieses ‚technische Milieu‘ zu einem trans-humanen Environment werden (zwar vom Menschen geschaffen, aber dennoch indifferent), das es ermöglichen wird, seine menschliche Natur leichter und voller zu entwickeln.“50 Supeks Optimismus war im Wesentlichen humanistisch. „Die wissenschaftliche und technische Revolution […] wird die Bedingungen für ein soziales Leben nicht zerstören, sondern Bedingungen schaffen, die es dem Menschen ermöglichen, über sich selbst zu reflektieren, über menschliche Bedürfnisse, die menschliche Natur.“51 Richters Synthurbanismus bildete eine Parallele zu derartigen optimistischen Überlegungen, die den radikalen Einfluss der Technik auf das Alltagsleben nicht als Bedrohung, sondern als ein Mittel zur Emanzipierung ansahen. Seine Mitarbeit an der Zeitschrift Praxis bestätigte die Nähe seiner intellektuellen Position zu denen der humanistischen Marxisten. Das „Wanderleben“ des Synthurbanisums Nachdem der Synthurbanismus 1964 erstmals in Erscheinung getreten war, durchlief er eine längere Entwicklung in vielen Schritten, umrundete dabei die Welt und wurde bei vielen internationalen Veranstaltungen auf drei Kontinenten und auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs vorgestellt. Richter selbst, ergriff sowohl in Jugoslawien als auch im Ausland jede Gelegenheit um sein Lieblingsprojekt zu propagieren, und es gelang ihm weitgehend, die Kuratoren von seinem Wert zu überzeugen. Als einer der jugoslawischen Vertreter bei der 8. Biennale in São Paulo 1965 stellte er Synthurbanism 1 und 2 vor, und zeigte ihn, nach


Zikkurat, Grundriss eines Stockwerks, 1963–1964 Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb

52 Zur 8. Biennale siehe: Zoran Kržišnik (Hg.), 8e Biennale de São Paulo ’65: Yougoslavie, Kat., Belgrad 1965. Zur 14. Biennale siehe: Zoran Kržišnik (Hg.), Yugoslavia ’77: 14th Biennale of São Paulo, Kat., Moderna Galerija Ljubljana, Ljubljana 1977. 53 Vgl. Programm des Symposions, Moskau, 10.– 14. Oktober 1978, Sammlung Richter, F 18. 54 Vgl. Wilfried Skreiner (Hg.), trigon-Personale: Vjenceslav Richter, Plastiken, Systeme, Architektur, Kat., Neue Galerie Graz, Graz 1972. 55 Vgl. Marijan Susovski (Hg.), Richter, Museum of Contemporary Art, Zagreb 2003, S. 17.

seiner Teilnahme an der 11. und 12. Biennale mit anderen Projekten, auf der 14. Biennale 1977 erneut in Sao Paolo.52 Im folgenden Jahr präsentierte Richter das Projekt in Moskau auf dem Symposium „Die Synthese von bildender Kunst und Architektur in der sozialistischen Gesellschaft“, kurz nachdem ein ähnliches Symposium in lokalem Rahmen im jugoslawischen Vrnjačka Banja abgehalten worden war.53 1972 stellte er es auf seiner Einzelausstellung in Graz vor, die zu trigon, der Ausstellungsreihe österreichischer, italienischer und jugoslawischer Künstler gehörte.54 Jede dieser Veranstaltungen gab Anlass zu einer etwas anderen Schwerpunktsetzung hinsichtlich bestimmter Eigenschaften des Projekts und trug so zu seiner Weiterentwicklung bei. Zum Beispiel stellte der Katalog für die 14. Biennale in São Paulo ökologische Aspekte einschließlich der Abfallwiederverwertung in den Vordergrund, die in der ersten Version lediglich gestreift worden waren. Die Auftritte des Synthurbanismus in den Vereinigten Staaten waren wegen ihrer ideologischen Konnotationen besonders interessant. Richters zahlreiche Kontakte mit den Vereinigten Staaten gehen auf das Jahr 1950 zurück, als er zum ersten Mal nach Chicago kam, um am jugoslawischen Pavillon mitzuarbeiten und bei dieser Gelegenheit öfters das von László Moholy-Nagy gegründete Institute of Design am Illinois Institute of Technology besuchte und so seine avantgardistische Position stärkte.55 Seine Beteiligung an den Neuen Tendenzen brachte ihm genug internationale Aufmerksamkeit ein, um ihm 1967 zu einem Durchbruch in Amerika zu verhelfen, als er zur Ausstellung eines der Reliefmeter zur fünften internationalen Guggenheim-Ausstellung in


78 — 79 56 Vgl. Linda Konheim (Hg.) Guggenheim International Exhibi­tion: Sculpture from Twenty Nations, Kat., Guggen­ heim Museum, New York 1967; George Rickey, Constructivism: Origins and Visions, New York 1967. Letzteres zeigt auf dem Einband eine von Richters sphäri­ schen Systemplastiken (Centras). 57 Vgl. Douglas McAgy (Hg.), Plus by Minus: Today’s Half Century, Kat., Albright-Knox Gallery, Buffalo 1968. 58 Ein weiterer für die Ausstellung ausge­ wählter Jugoslawe war der kroatische Künstler und häufige Mitarbeiter Richters, Ivan Picelj (der den Einband für das Buch Sinturbanizam entworfen hatte). 59 Mehrere andere zeitge­ nössische Künstler ein­ schließlich Hans Haacke stellten „Environments“ aus, und es gab auch eine Rekonstruktion von Ljubow Popowas legendärem Bühnenbild für Der große Hahnrei. Zu Douglas MacAgy und der Konzeptualisierung der Ausstellung Plus by Minus siehe: David Beasley, Douglas MacAgy and the Foun­ dations of Modern Art Curatorship, KindleAusgabe, Simcoe, Buffalo 1998), Loc. 2531–Loc. 2751. 60 MacAgy, Plus by Minus, o.S. 61 Zur Rezeption des jugo­ slawischen Pavillons auf der EXPO 58 siehe: Kulić, op. cit. 62 Vgl. John Canaday, „Art: Constructivism to Severe Abstraction“, in: The New York Times, 07.03.1968.

New York eingeladen und auch in das Buch Constructivism: Origins and Evolution des amerikanischen Bildhauers George Rickey einbezogen wurde.56 Im folgenden Jahr nahm Richter an der bahnbrechenden Ausstellung Plus by Minus: Today’s Half Century in der Albright-Knox Gallery in Buffalo teil, einer von Douglas McAgy kuratierten, riesigen und gut besuchten Schau, mit der die Tradition der „reinen Abstraktion“, die ihren Ursprung in Konstruktivismus und De Stijl hatte, zum ersten Mal einem amerikanischen Publikum vorgestellt wurde.57 Diese Ausstellung war für Richter von ganz besonderer Bedeutung, konnte er seine Arbeiten dort doch neben seinen Helden der Avantgarde wie László Moholy-Nagy, El Lissitzky, Kurt Schwitters, Alexander Rodtschenko und Kasimir Malewitsch sowie Amerikas aufgehenden Sternen am Kunstund Architekturhimmel wie Robert Smithson, Frank Stella oder Donald Judd präsentieren.58 Im Gegensatz zu Rickey, dessen Buch die politische Dimension des Konstruktivismus bestenfalls heruntergespielt hatte, schreckte MacAgy nicht davor zurück, das Potenzial der Kunst zum sozialen Engagement zu betonen. Er beauftragte Richter und den amerikanischen Bildhauer Tony Smith – beides Künstler, die vormals Architekten waren – jeweils mit dem Entwurf eines „Environments“. Die Idee dahinter war, Smiths „reine“ Abstraktion und Richters öffentliches Engagement einander gegenüberzustellen.59 Richter präsentierte sechs Systemplastiken neben zehn Paneelen mit Darstellungen des Synthurbanismus und machte sein Engagement damit ganz offensichtlich. In einer ausdrucksvollen Gegenüberstellung zeigte der Katalog den Querschnitt eines Zikkurats neben Theo van Doesburgs Spatial Construction no. 3 – vermutlich einer der Präzedenzfälle für die Fähigkeit der Kunst, die Autonomie zu überschreiten und mit der Architektur wie der Gesellschaft insgesamt zu interagieren. Die Beschriftung neben dem Zikkurat unterstrich die Verbindung zwischen Richters modularen abstrakten Formen und ihrem funktionalen Potential, also dem, was der Synthurbanismus einer „gut definierten Ideologie verdankte“.60 Wenn man die ideologischen Fundamente von Richters Ausstellungspavillons im Westen auch oft ignorierte, wurde die Verbindung hier, wenn auch nur mittelbar, bestätigt.61 In ihrer Rezension über die Ausstellung hob die New York Times Richters Beitrag als „spektakuläres Debut“ und „Publikumshit“ hervor und betonte erneut die Verbindung zwischen seinen Skulpturen und den auf den Wänden rundum gezeigten „visionären städteplanerischen Entwürfen“.62 Sechs Monate nach Plus by Minus hatte Richter eine erfolgreiche Einzelausstellung in der Staempfli Gallery in New York, wo er nur seine Systemplastiken zeigte. Dies zog eine Einladung zur Teilnahme an der unglücklich verlaufenden Ausstellung Art and Technology am Los Angeles County Museum of Art nach sich. Das von Maurice Tuchma­n kuratierte Programm teilte Künstler führenden amerikanischen Industrie­unternehmen zu, um die Verbindungen zwischen Kunst und Technik zu erforschen und Werke herzustellen, die ohne eine solche Patronage niemals hätten umgesetzt werden können. Ironischerweise


Block-Plan, 1963–1964 Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb

63 Vgl. Maurice Tuchman (Hg.), A Report on the Art and Technology Pro­ gram of the Los Angeles County Museum of Art, Kat., LACMA, Los Angele­s 1971, S. 296. 64 Ebda.

hatte Richter diese Art der Zusammenarbeit zu Hause in Jugoslawien niemals kennengelernt, nicht einmal in einer den bescheidenen technischen Möglichkeiten des Landes entsprechenden Form. Er flog im April 1969 nach Los Angeles und wurde nach Gesprächen mit mehreren an dem Programm beteiligten Unternehmen, einschließlich IBM, Litton Industries zugeteilt, einem auf Elektronik spezialisierten Rüstungs­unternehmen. Als Berater diente der berühmte Physiker und Nobelpreisträger Richard Feynman.63 Geplant war die Erstellung einer riesigen computergesteuerten Version des Reliefmeters, „welche es möglich machen sollte, dass jedes Mono-Element über ein ausgeklügeltes Computerprogramm vorwärts und rückwärts bewegt werden kann und so eine ständig sich ändernde ‚Membran‘ an Formen entstünde – nicht ungleich einer gekräuselten Wasseroberfläche. Die ultimative Erweiterung dieser Vorstellung wäre für Richter die Vergrößerung der Basis­einheit in eine architektonische Dimension, die letzten Endes in der ‚Systemarchitektur‘, seinem Traum für eine zukünftige Stadtplanung, ihren Höhepunkt finden würde.“64 Auch wenn der Synthurbanismus nicht ausdrücklich erwähnt wurde, war er im Hintergrund doch eindeutig als die größere Motivation für das Projekt präsent. Die Umsetzung erwies sich jedoch als weitaus schwieriger als gedacht. Feynman überzeugte Richter davon, dass zur Machbarkeit des Projektes einige Kompromisse geschlossen werden müssten, wozu auch eine erhebliche Verkleinerung gehörte. Richter flog zurück nach Zagreb und überließ Littons Ingenieuren die Arbeit an den technischen Einzelheiten.65 Jedoch gelangte Littons Personal nach Vorlage der Kostenvoranschläge zu dem Schluss, dass die Kosten gewaltig wären, sodass das


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65 In seinen Memoiren schrieb Feynman über seine Erlebnisse mit den für die Ausstellung Arts and Technology ver­ sammelten Künstlern, erwähnt Richter jedoch nicht namentlich. Er erklärte einige der Künstler zu „völligen Blendern“ und andere als in ihren Fantasiewel­ ten lebend, die sich „Bil­ der in drei Dimensionen [vorstellten], bei denen die Figur im Raum schwebt und glüht und flackert.“ Richter erweckte bestimmt nicht den Eindruck eines „Blenders“, jedoch ist unklar, ob er in die zweite Kategorie fiel. Da er die technischen Ein­ zelheiten für alle seine Projekte entwickelte, erscheint dies unwahr­ scheinlich. Vgl. Richard Feynman, Surely You’re Joking, Mr. Feynman! Kindle-Ausgabe, New York 1997, Loc 4863. 66 Richter erzählt die Episode sehr kurz in seinem Manuskript für sein „Systembuch“ Moj misaoni prostor: Nacrt programa sistemske knjige [Mein Gedan­ kenraum], Sammlung Richter, AK 52, S. 21 f. 67 Vgl. Jack Burnham, „Corporate Art“ und Max Kozloff, „The Multimillion Dollar Boondoggle“, in: Artforum, Oktober 1971, S. 66–82. 68 Vgl. Kozloff, „The Multimillion“, S. 72–74.

Unternehmen zu einem plötzlichen Ende kam.66 Letzten Endes nahm nur ein kleiner Teil der ursprünglich kontaktierten Künstler tatsächlich an der Ausstellung 1971 teil, und Richter war nicht unter ihnen. Mehrere Ironien im Zusammenhang mit Richters gescheiterter Teilnahme am Art and Technology-Programm werfen Fragen zu seiner Einstellung zu den verschiedenen Kontexten auf, in denen er ausstellte. Amerikanische Kritiker verrissen die Ausstellung, und das aus gutem Grund: Im Kielwasser der Bürgerrechtsbewegung und inmitten einer Rezession mit massiver Subventionierung der Konzernwirtschaft sowie auf dem Höhepunkt der Proteste gegen den Vietnamkrieg hatte das Programm eine Gruppe ausschließlich weißer männlicher Künstler zur Zusammenarbeit mit Konzernriesen eingeladen. Einige von diesen Konzernen gehörten zu dem für die Kriegsgräuel verantwortlichen militärisch-industriellen Komplex.67 Wie der Kritiker Max Kozloff treffend in Artforum schrieb: Die „kollektivistischen synthetischen Art-for-peopleand-life-Positionen der Konstruktivisten und des Bauhauses“ – beides historische Verläufer des Projektes, Kunst und Technologie miteinander zu verbinden – standen in scharfem Kontrast zu der „Indifferenz gegenüber der sozialistischen Ästhetik“ der an der Ausstellung Beteiligten.68 Welchen Standpunkt sollte nun eine Person einnehmen, die sich dem Erhalt der sozial engagierten Kunst widmete und aus dem sozialistischen und blockfreien Jugoslawien stammte? War sich Richter der tiefen Ironie der Lage bewusst, und war er in diesem Falle bereit, zum Zweck der Verwirklichung seiner Vision darüber hinwegzusehen? Oder war er sich der problematischen Konnotationen des Projekts in einem fremden sozialen und kulturellen Kontext schlicht nicht bewusst? Und um diese Fragen noch weiter zu treiben: Wie stand Richter der Tatsache gegenüber, dass der Synthurbanismus auf Kunstausstellungen gezeigt wurde statt auf Veranstaltungen im Kontext von Architektur und Stadtplanung? Folgte er nur dem Weg des geringsten Widerstandes oder war das die kalkulierte Strategie eines Künstlers, der sich die Überwindung der Grenzen zwischen Architektur und bildender Kunst auf die Fahnen geschrieben hatte? War er sich bewusst, dass die Präsentation des Synthurbanismus als Kunstprojekt vermutlich die Aussichten schmälerte, als Vorschlag für das wirkliche Leben ernst­ genommen zu werden? Oder hatte er sich mit der Tatsache abgefunden, dass seine Umsetzung ohnehin unwahrscheinlich wäre, sodass er jede Gelegenheit nutzen wollte, ihn bekannt zu machen? Oder war der Synthurbanismus wirklich nicht mehr als ein ausgefeiltes Kunstprojekt? Auch Letzteres scheint im Lichte einiger sich ins Fantastische verirrender Versionen durchaus möglich. Trotz ihrer rationalen Motivation, jedermann gleich viel Sonnenlicht zu verschaffen, erwecken die langsam rotierenden Zikkurate der Heliopolis-Phase tatsächlich eher den Anschein einer surrealen Vision als einer mit realistischen Erwartungen erstellten Stadt­planung. Das gilt auch für einige der Zeichnungen, beispielsweise für die Querschnitte der Zikkurate, die ausgearbeitete komplexe kurvilineare Räume zeigen, welche jeweils mit ihrer eigenen


phantasmagorischen „Simultanperspektive“ dargestellt sind. Solche weit vom offensichtlichen Technizismus des Projekts entfernte Untertöne waren von Anfang an vorhanden, als Richter noch behauptete, der Synthurbanismus gründe auf der „Einheit rationaler und emotionaler Impulse“.69 Obendrein wählte er als Motto für sein Buch zwei ziemlich kryptische Verse aus einem Gedicht von Kurt Schwitters: „I am to build a house of ice / Because it is more liquid“.70 Schwitters war gewiss eine der zentralen Figuren, die die Idee der Synthese verkörperten. Er war nicht nur Grenzgänger zwischen den Medien, sondern auch zwischen Kunst und Leben sowie zwischen den Kunstströmungen und stand für die tiefgreifenden Verbindungen zwischen zwei anscheinend so verschiedenen Richtungen wie Konstruktivismus und Surrealismus.

69 Vgl. Richter, Sinturbanizam, S. 101. 70 Das zitierte Gedicht trägt den Titel „My House“. Siehe: Richter, Sinturbanizam, S. 7. 71 Vgl. Nicht veröffentlichtes Manuskript für die zweite Ausgabe von Sinturbanizam, Sammlung Richter, AK 16, 09.03.1973. 72 Ebda. 73 „Elektrowagen mit Gummirädern“, ebda, undatiert, aber wahrscheinlich Ende März 1973. 74 Sammlung Richter, AK 16, 20.03.1973. 75 Sammlung Richter, AK 16, 09.03.1973.

Hinsichtlich Richters durchdachter Fusion des Rationalen mit dem Emotionalen gibt es zahlreiche Hinweise darauf, dass der Synthurbanismus vollkommen ernst gemeint war und dass Richter tatsächlich an eine Umsetzung in der Zukunft glaubte. Das nicht veröffentlichte Manuskript für eine aktualisierte und erweiterte zweite Ausgabe von Sinturbanizam, das 1973 verfasst wurde, verzeichnet seine Versuche, die über die Jahre genannten Kritikpunkte anzusprechen, es enthält Lösungen für erkannte Probleme sowie das Ringen mit der „naiven Hoffnung, es sei ausreichend, den Menschen die Vorteile eines neuen Vorschlages zu erläutern und sie, als intelligente Wesen, würden schließlich das, was offensichtlich besser ist, akzeptieren“.71 Selbst wenn er die Naivität seiner Erwartungen erkannte, war Richter doch fest von seiner Idee überzeugt. „Ich warf mir vor, nicht früher [damit] herausgekommen zu sein und fürchtete, jemand könnte mir die Rolle als Erster streitig machen und diese Wahrheit unter die Leute bringen, bevor ich es täte, und so zu einem neuen Propheten zu werden.“72 Aus diesem Grund konnte er auch seine Bestrebungen nicht aufgeben, das Projekt weiter­ zuentwickeln und den Nachweis für seine Machbarkeit zu erbringen, indem er jede denkbare technische Einzelheit vom Tragwerkssystem und der Schallisolierung bis hin zur Abfallbeseitigung löste. In einigen Punkten geht das Manuskript technisch sehr ins Detail und befasst sich beispielsweise mit der Konkretisierung einer Art Elektrowagen, der zur Verteilung von Gütern im Zikkurat genutzt werden sollten.73 Parallel zu solchen Erwägungen bespricht es zur Verteidigung der Grundidee auch die allgemeinen Grundsätze. Als Spiegel der Diskussionen der Zeit treten auch bestimmte neue Themen hinzu. Im Gegensatz zu dem zehn Jahre älteren Entwurf war das Zikkurat nun nicht mehr als bloßes Mittel zur Zeiteinsparung definiert, sondern als identitätsstiftende Form für den zukünftigen „Homo Zigguratus“.74 Der Schwerpunkt lag erneut auf der Natur, die nun nicht länger nach draußen verbannt war, sondern ihren Weg ins Erdgeschoss und auf die Seitenwände der Zikkurate fand, sie in „grüne Hügel“ verwandelte und diese mit dem „Raum zwischen den Zikkuraten“75 zu einer zusammenhängenden Landschaft verschmolz. Dieser neue Aspekt des Synthurbanismus ist nur auf wenigen Zeichnungen dargestellt, das evozierte Bild unterscheidet sich jedoch auffallend von der technokratischen Strenge der ersten Version. Wenn


Block-Plan, 1963–1964 Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb


Zikkurat, Erdgeschoss, 1963–1964 Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb


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das Wanderleben des Synthurbanismus ihn um den ganzen Globus führte, so geleitete es ihn auch durch die sich entwickelnde Kultur seiner Zeit und durch Richters eigene sich entfaltende Vorstellungswelt. Schlussfolgerung Der Synthurbanismus bildete den Höhepunkt und gleichzeitig Abschluss von Richters Werk, das sich rasch von einer äußerst eloquenten Interpretation der historischen Avantgarden hin zum erweiterten Feld der Synthese der bildenden Künste entwickelt hatte, die als „Raummodulator“ für die sozialen Beziehungen verstanden wurde. Die Erforschung plastischer Strukturen gewann ihre volle soziale Bedeutung und die programmatische Qualität einer bedeutsamen Praxis in der ganzheitlichen Beziehung zwischen Architektur, Stadtplanung und Gesellschaftsentwicklung, die – Richter zufolge – nur im selbstverwalteten Sozialismus möglich war. Somit war Richters Synthurbanismus das einzige vollständige Projekt auf dem Gebiet von Architektur und Stadtplanung, das sich ausdrücklich zum authentischen räumlichen Ausdruck der neuen sozialistischen Gesellschaft erklärte, so wie es auch – trotz Richters eigenem anti-utopischen Standpunkt – das einzige im ehemaligen Jugoslawien entwickelte vollständige utopische Urbanismusmodell war. Sein Ehrgeiz, dem jugoslawischen Projekt des Sozialismus eine Form zu geben, verband die künstlerische und die soziale Revolution auf eine Weise, wie man sie seit der Abschaffung des sowjetischen Konstruktivismus nicht mehr gesehen hatte. Das macht sie unter den Strömungen der internationalen Neoavantgarde einzigartig, die ihren Rückhalt entweder in der Opposition zur Nachkriegs­ gesellschaft oder in ihrem völligen Rückzug aus dieser suchen mussten.

76 Richter, Sinturbanizam, S. 99. 77 Vgl. Zoran Kržišnik (Hg.), Yugoslavia ’77: 14th Biennale of São Paulo, Kat., Moderna Galerija Ljubljana, Ljubljana 1977.

Es steht außer Zweifel, dass das Projekt bei buchstäblicher Betrachtung höchst umstritten war. Die auf der Vorstellungskraft eines einzigen Autors aufbauende radikale städtebauliche Vision auf Grundlage eines einzigen Raummodells weckte dystopische Assoziationen. Richter wies wiederholt auf die Notwendigkeit von gesteigerter sozialer Verantwortung hin, in der jeder Einzelne beständig dem sozialen Kontakt und damit auch der Beobachtung ausgesetzt wäre. Das erinnert an Jeremy Banthams Panoptikum-Gefängnis, das von Michel Foucault bekanntlich als Beispiel eines räumlichen „Disziplinarapparates“ und als Metapher für die moderne institutionelle Kontrolle beschworen wurde. Richter sah ähnliche Einwände bereits im Ergebnis von Sinturbanizam 1 voraus. „Einige werden das Zikkurat als Anschlag auf den freien Willen des Menschen diskreditieren“, schrieb er, doch offensichtlich glaubte er, dass seine Argumente zugunsten des Projekts jegliche derartige Kritik entkräften würden.76 Selbst die sozialen Aspekte wurden durch das Prisma wirtschaftlicher Effizienz und Verschwendung betrachtet. „Der Synthurbanismus wird klare Beziehungen vorgeben: Freiheit durch Pflicht, Leistung und Verantwortung, und der verhaltensbezogene Müll wird reduziert werden“.77


Zikkurat-Skizzen, 1963–1964 Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb

Und dennoch sind die vom Synthurbanismus vertretenen Motive und Werte nach wie vor von entscheidender Bedeutung. Sie umfassen die Notwendigkeit eines systematischen Ansatzes der Stadtplanung als vereinheitlichtes ökologisches und soziales Problem, die Erforschung der radikalen Möglichkeiten der Architektur und die Bemühung, die Stadt in egalitärer Weise zu entwerfen, statt sie durch ein Prisma aus Einzel­interessen zu sehen – und genau das machte das Projekt zur Utopie. Aus diesem Grund sollte der Synthurbanismus als Anstrengung bewertet werden, den traditionellen Rahmen der Stadtplanung zu erweitern und die Grenzen der Moderne in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts zu erkunden. Der optimistische „Gestaltungswille“ war ein wesentlicher Bestandteil des dynamischen internationalen kulturellen Kontextes im Zagreb der 1960er-Jahre wie auch des Projekts des selbstverwalteten Sozialismus, der eben im Synthurbanismus eine seiner radikalsten und konkretesten Formulierungen fand.


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Vjenceslav Richter Der Architekt, Designer, Grafiker, Maler und seine Arbeiten in Graz Günther Holler-Schuster

Dreimal war Vjenceslav Richter Gast in Graz und nahm dabei an wesentlichen Ausstellungen teil: Er war 1967 und 1975 zur Dreiländerbiennale trigon geladen, 1972 wurde seinem Werk in der Neuen Galerie Graz als „trigon-Personale“ eine große Retrospektive gewidmet. Außerdem fungierte Richter als Jurymitglied für die Ausstellung trigon 71 mit dem Titel intermedia urbana. Zur Ausstellung trigon 69 – die als offener Wettbewerb abgehalten wurde – reichte Vjenceslav Richter gemeinsam mit Nevenka Postruznik ein Projekt ein. Dieses wurde jedoch nicht zur Realisierung gebracht, da es vorher im Wettbewerb ausgeschieden war. In der Jury war damals neben Umbro Apollonio, Katja Ambrozic, Edo Ravnikar, Friedrich Kurrent, Friedrich St. Florian und Franca Helg auch Max Bill vertreten. Zusätzlich sei darauf hingewiesen, dass sich in der Sammlung der Neuen Galerie Graz zwei wesentliche Werke Richters befinden, die im Zusammenhang mit seinen Grazer Ausstellungen stehen. Es sind das die „Systemplastik“ Geschlossene Sinusoiden, 1968, und Das schwarze Loch, 1975. Letzteres ist ein von Richter gebautes Modell für einen pavillonartigen Bau im Rahmen der Ausstellung trigon 75 vor dem Künstlerhaus Graz. Im Zusammenhang mit Richters Werk interessieren hier vor allem die Themen der legendären Grazer trigon-Ausstellungen, handelte es sich doch um sehr virulente und international heftig diskutierte und in Ausstellungen vielfach vorgeführte Auseinandersetzungen mit der Erweiterung von Kunst in jeder Hinsicht. trigon 67 wurde unter dem Titel ambiente abgehalten. Damit wurde in Graz erstmals der Versuch unternommen, die damals international aktuelle Kunstsituation unmittelbar aufzugreifen und festzumachen. trigon 75 beschäftigte sich unter dem Titel identität – alternative identität – gegenidentität mit den durch die rasch wachsende Bedeutung von Medien bzw. Massenmedien ausgelösten Identitätsverschiebungen. Konnte man mit der richtungsweisenden Ausstellung trigon 73: Audiovisuelle Botschaften noch ein optimistisches Zugehen auf Sparten wie Video und Fernsehen feststellen, war dieser Ansatz 1975 schon weitgehend relativiert. Man begriff Video


Geschlossene Sinusoiden, 1968 (Detail) Neue Galerie Graz, UMJ

1 Vera Horvat-Pintaric, „die zeit der überprüfung“, in: trigon 75: identität – alternative identität – gegenidentität, Kat., Neue Galerie Graz, Graz 1975, o. S. 2 Marshall McLuhan, Quentin Fiore, Das Medium ist die Massage, Stuttgart 2011, S. 8.

bald als Komplizen des Massenmediums Fernsehen, erkannte aber, dass sich mit der Pop-Art einerseits und der Konzeptkunst andererseits wesentliche Fragen zum Identitätsverlust bzw. zum Identitätsproblem im Allgemeinen neu stellen lassen und damit differenzierter betrachtet werden müssen. Vera Horvat-Pintaric bemerkt im Katalogvorwort zur Ausstellung trigon 75: „so sind wir zu einem richtigen paradoxon gekommen: in der zeit der größten entwicklung der medien der zwischenmenschlichen kommunikation wird die wirkliche kommunikation der menschen erschwert. die voraussetzung des zwischenmenschlichen verständnisses ist der besitz einer eigenen identität: um zu anderem zu gelangen müssen wir zuerst zu uns selbst finden. das heißt, die krisis der kommunikation ist zugleich die krisis der identität.“1 Damit ist die Grundproblematik, die diese Ausstellung aufzeigte, auf den Punkt gebracht und zeigt sich als ein allgemeines Phänomen der soziokultu­ rellen Entwicklung der Zeit. Marshall McLuhans Das Medium ist die Massage erschien bereits 1967: „Das Medium oder der Prozess unserer Zeit – die elektronische Technologie – verändert die Form und Struktur sozialer Beziehungsmuster und alle Aspekte unseres Privatlebens. Es zwingt uns praktisch, jeden Gedanken, jede Handlung und jede Institution, die bisher als selbstverständlich galten, zu überdenken und neu zu bewerten. Alles verändert sich – du, deine Familie, deine Nachbarn, deine Ausbildung, deine Arbeit, deine Regierung, deine Beziehung zu ‚den anderen‘. Und die Veränderungen sind gravierend.“2 Für die Ausstellung trigon 67: ambiente war man damit beschäftigt, die Wahrnehmung des Kunstwerks von seiner Objekt- und Bildhaftigkeit zum Raum an sich zu analysieren. Es war klar, dass sich das Kunstwerk nicht mehr ausschließlich statisch zu präsentieren habe: „Heute, wo sich die Grenzen nicht nur zwischen den Techniken, sondern sogar zwischen den Zweigen in der Kunst verwischen, – wo die Filmkunst in die Malkunst und umgekehrt übergeht, wo das Industrieformen immer selbständiger wird und gleichzeitig alles mit den Schwesterzweigen der ‚hohen‘ Kunst intimer verbunden ist, wo das sogenannte ‚happening‘


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3 Zoran Krzisnik, in: trigon 67: ambiente, Kat., Neue Galerie Graz, Graz 1967, o. S. 4 Wilfried Skreiner, in: trigon 67, o. S.

tatsächlich die Grenze zwischen Kunst und Leben in ganz unmittelbarem Sinne überschritten hat, – erscheint es immer ungebräuchlicher, die Kunst, ja sogar ein Kunstwerk als etwas Statisches zu betrachten.“3 Damit wird klar, dass seit geraumer Zeit – bereits die Konzepte der Avantgarde des beginnenden 20. Jahrhunderts belegen das – ein Aufheben bzw. ein Verschmelzen der Grenzen zwischen den einzelnen Kunstsparten zu beobachten ist. So wird die Malerei raumgreifend, die Architektur strebt nach plastischer Aufgliederung der einst geschlossenen Baukörper, Licht und Bewegung sowie Gesetze der Optik und der Wahrnehmung werden zum Anlass für experimentelle Fragestellungen innerhalb der bildenden Kunst. Kunst wird in der Folge mehr und mehr zur Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit – ist Gestaltung unserer Welt. Diese Gestaltung bleibt nicht bei formalen Überlegungen stehen, sondern betrifft selbstverständlich auch den soziokulturellen Bereich der menschlichen Koexistenz, der nicht selten von radikalen gesellschaftlichen Umwälzungen ausgeht: „Nicht Werke für die Ewigkeit, sondern Gestaltungen für unsere Zeit, nicht verbindliche Schemata, sondern individuelle Aktion und Reaktion, gestaltende Antwort auf die Herausforderung unseres Lebens. Der ehrliche Künstler ist sich bewußt, daß es nicht eine Antwort gibt, die ihre Gültigkeit bewahrt, sondern daß diese immer wieder gegeben, immer wieder neu beantwortet werden muß.“4 Die gesellschaftliche Utopie, veranschaulicht durch die Kunst, wird in dem Moment zu einem wesentlichen Anliegen, das sich in unterschiedlichen Formulierungen bis heute immer wieder neu konfiguriert. Formale Überlegungen, die die Raumwahrnehmung einschließen, werden selbstverständlich auch von den Gebrauchsmodi des Raumes durch den Menschen definiert. Das Publikum wird gleichsam in die Konzeption inkludiert – bestimmt mit seinen soziologischen und psychologischen Bedingtheiten zusätzlich die Dimension des Räumlichen. Die Mitwirkung des Betrachters ist in dieser Überlegung immanent. Das wird auch angesichts der Formulierungen der Op-Art mit ihren scheinbaren Durchbrüchen in den Raum, den sie formiert und deformiert, deutlich. Dort ist die Publikumspartizipation selbstverständliches künstlerisches Kalkül. Der Betrachter muss sich bewegen, damit er die optischen Veränderungen und Täuschungen der Op-Art wahrnehmen kann, oder er muss die kinetischen Bildobjekte in Bewegung setzen und steuern, sodass sich daraus frühe Varianten von Interaktivität ergeben. In dieser Interaktivität, im aktiven Publikum, das den direkten Bezug zum Kunstwerk durch Manipulation sucht, ergeben sich konsequenterweise programmierte Kunstwerke. Nicht Computer führten diese frühen programmierbaren Konzepte aus, vielmehr realisierte man diese Überlegungen auf analogem, mechanischem Weg. Wie Maschinen folgen dabei auch Menschen den Anweisungen, den Spielregeln. Somit wurde der Betrachter zum Benutzer, der sich an der Konstruktion des Kunstwerks aktiv beteiligt. Gestalt, Inhalt und Verhalten des Kunstwerks werden davon bestimmt. Diese neuen Formen, die in der Op-Art, der Kinetik, Fluxus und Happening seit den 1950er-Jahren formuliert wurden, haben das Feld so weit vorbereitet, dass sich der aktive Beobachter aus der Kunst nicht


mehr wegdenken lässt und sich die Kunst im Betrachter, Benutzer vollendet. Umberto Eco hat in seinem 1962 erschienen Buch Opera aperta ausführlich und richtungsweisend dargestellt, wie sich das moderne Kunstwerk erst im Betrachter vollendet – dessen Zutun somit immanent ist. Der am Bauhaus in Dessau ausgebildete Max Bill fordert daher auch als Ziel des konkreten Kunstwerks die Entwicklung von Gegenständen für den geistigen Gebrauch. Hier kommt zum partizipativen der forschende Aspekt hinzu. Auch der Österreicher Marc Adrian – Teilnehmer an der Ausstellung trigon 67 sowie an zahlreichen Präsentationen der Nove Tendencije in Zagreb – fordert vom Kunstwerk einen objektiveren Zugang, wenn er meint, dass es die Aufgabe des Künstlers sei, intellektuell vertretbare allgemein gültige Prinzipien zur Produktion von Kunstwerken zu finden. Nicht nur das Bauhaus, sondern auch andere Strömungen der Vorkriegszeit – Konstruktivismus, Futurismus, De Stijl – hatten diese Denkweise auf vielfältige Weise vorbereitet. ambiente war als Ausstellungsprojekt 1967 bestrebt, den Raum als eine Tatsache der Gemeinschaft und des sozialen Handelns wie auch formal als Erweiterung der künstlerischen Sphäre zu begreifen. Umwelt, Lebensraum und das Selbst sowohl im räumlichen als auch im zeit­ lichen Bezug sind die wesentlichen Elemente, die man nunmehr nicht ausschließlich im statischen Kunstwerk abhandeln, sondern nur im Zusammenwirken aller kreativen Möglichkeiten erklären konnte. Der Architekt, Designer, Bildhauer, Maler und Grafiker Vjenceslav Richter steht mit seinem Werk für diese Haltung eines spartenübergreifenden Kunstbegriffes. Als Universalist – daher auch die bewusste kategorische Aufzählung seiner Tätigkeitbereiche – ist Richter nicht nur an den Einzelsparten der Kunst interessiert und praktiziert diese, sondern ihm geht es konsequenterweise um das Zusammenspiel aller künstlerischen Disziplinen. Richters Ansatz wurde indirekt durch die Formulierung einer „Allgemeinen Systemtheorie“, 1947, durch den österreichisch-amerikanischen Biologen Ludwig von Bertalanffy bestärkt. Wie Richters Überlegungen zur Kunst, waren die Ziele der Systemtheorie von Anfang an gegen eine Zersplitterung von Wissen in unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen gerichtet. Bertalanffy betont, dass der Mensch sich unter dem Begriff Kultur eine eigene Welt schafft. Durch Sprache, Zahlen, Noten, Landkarten etc. versucht der Mensch diese Welt zu erklären – und letztlich zu konstruieren. Die konstruktiven Symbole (Sprache, Zahlen etc.), die er dafür einsetzt, sind konzeptuelle Systeme, die der Realität entsprechen – sie gleichsam in einen Grad an Abstraktion versetzen. Richter sieht in dieser Entwicklung eine Möglichkeit, einem ganzheitlichen, synthetischen und dynamischen Weltbild als allgemeingültigem Entwurf für eine bessere Gesellschaft näher zu kommen. Der Mensch wird dabei nicht mehr als ein Wesen gesehen, das ausschließlich Stimuli von außen empfängt und darauf reagiert. Vielmehr geht es hier um ein komplexes Modell des Menschen, das ihn als einen sich selbst schaffenden Organismus begreift. Richter, der sich zwar primär als Architekt versteht, verfolgt in


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seinem gesamten Werk diesen universellen Gedanken. Er nennt seine Plastiken oft „Systemplastiken“, Malereien sind „Systemmalereien“, die Grafiken oft „Systemgrafiken“ und seine architektonischen bzw. städte­ baulichen Überlegungen gipfeln in den Begriffen „Synthurbanismus“ und „Heliopolis“. Das holistische Prinzip ist in Richters Werk gleichsam das Grundelement, von dem aus alle weiteren Detaillösungen ableitbar sind – seine Personale in der Neuen Galerie Graz 1972 veranschaulicht diese Entwicklung. Dass sich formale mit sozial-utopischen Konzepten hier vereinen, kann weit zurück bis zum russischen Konstruktivismus, dem Suprematismus, De Stijl und dem Bauhaus verfolgt werden. Überall dort hatte man in der Abstraktion und im universellen Zusammenwirken der einzelnen Kunstsparten eine Chance gesehen. Alle genannten Strömungen haben sich intensiv um das Tafelbild, die Skulptur, deren Erweiterung und deren Funktionsweisen bemüht. Für Mondrian oder van Doesburg genauso wie für Malewitsch oder El Lissitzky waren Gemälde visuelle Felder, in denen das Verhalten der Einzelelemente und deren Wechselwirkungen untersucht werden konnten. Das Bild wird, der Systemtheorie folgend, zum Modell eines Systems von Beziehungen, die auch auf andere Bereiche der Umwelt wirksam und übertragbar sind. So entsteht eine unabhängige plastische Sprache, die als einheitliche, globale, synthetische und dynamische Konzeption selbstverständlich einen „neuen Menschen“ erfordert. Dieser erfährt Kunst nun nicht mehr ausschließlich als abgeschlossene Absonderung eines genialen Künstlers, sondern er selbst nimmt aktiv an ihr teil. Das von Walter Gropius gegründete Bauhaus mit Mitgliedern wie Kandinsky, Klee, Breuer, Bill, Moholy-Nagy ist wohl der Prototyp für einen universellen Kunstansatz. Kunst und Handwerk bzw. Kunst und Industrie koalieren hier in vollem Umfang. In der Bauhaus-Schriftenreihe sind beispielsweise auch wesentliche internationale Publikationen von Mondrian über van Doesburg bis zu Malewitsch erschienen, die allesamt von ähnlichen Vorstellungen ausgingen. Überall dort wurden die am Gemälde untersuchten Formen diskutiert und weitergeleitet zur Skulptur, zum Design und zur Architektur. Die Abstraktion als universelle Sprache war dabei auf das gesamte visuelle Universum anwendbar. Malewitsch hat seinen Suprematismus genauso in der Architektur angewandt wie in einem Kaffeeservice oder in der Gestaltung von Möbeln. Richter hat zwar keine Kaffeetassen gestaltet, wendete aber sein Vokabular in allen von ihm bespielten Bereichen an. Seine „Systemplastiken“ sind architektonisch lesbar und in den Makrobereich hin erweiterbar. Richter übernahm den modernen Ansatz eines universellen Vokabulars, der auch ein gesellschaftspolitischer ist. Er orientierte sich im Wesentlichen an den Strömungen der Vorkriegsavantgarde und versuchte diese nach ihrer Zerstörung durch die totalitären Systeme wieder aufzugreifen. Durch die Gründung der experimentellen Gruppe EXAT 51 in Zagre­b mit Künstlern und Architekten wie Bernardo Bernardi, Zdravko Bregovac, Vlado Kristl, Ivan Picelj, Zvonimir Radic, Bozidar Rasica, Vjenceslav


Richter, Aleksandar Srnec und Vladimir Zaharovic kam es zu einer starken Manifestation für die Abstraktion und die universelle Sprache der Moderne in Jugoslawien. Das im Dezember 1951 formulierte Manifest der Gruppe, das im Plenum der Vereinigung der angewandten Künstler Kroatiens verlesen wurde, spricht von „visueller Kommunikation“, von der Notwendigkeit ständiger Experimente, stellt angewandte und reine Kunst auf eine Ebene und plädiert für die Abstraktion. Dass dies mit der damals noch existierenden Doktrin des sozialistischen Realismus nicht in Einklang zu bringen war, versteht sich von selbst. Auch ist die teilweise expressive, oft postcézannesche Tradition der kroatischen Kunst damit ebenfalls unter Beschuss geraten – zumindest befürchtete man das in bestimmten Kreisen. EXAT 51 begründete ihr Programm auf der Basis der geometrischen Abstraktion, deren historische Wurzeln zwar im Konstruktivismus, bei De Stijl und im Bauhaus der 1920erJahre lagen, aber auch Parallelen zu Zusammenschlüssen wie Espace in Frankreich oder MAC – Movimento Arte Concreta und Forma Uno in Italien erkennen ließen, die sich erst nach 1945 entwickelten. Die Bestrebungen der Gruppe EXAT 51 wurden zwar durchaus kritisch begleitet. Von unterschiedlichen Seiten kamen Argumente wie z. B., man dürfe sich nicht so sehr auf Formen der westlichen dekadenten Kunst einlassen.5 Grundsätzlich aber hatte das offizielle Jugoslawien nach dem Bruch mit der UdSSR auch mit dem sozialistischen Realismus gebrochen – dessen reale Grundlage war nun nicht mehr existent. Stalin verurteilte die KP Jugoslawiens, vom marxistisch-leninistischen Weg abgekommen zu sein. 1948 exkludierte man das Land durch eine Resolution aus dem Verband der sozialistischen Länder des Ostblocks. Das offizielle Jugoslawien war natürlich weiterhin – damit deckte man sich bis zu einem gewissen Grad mit den Forderungen der Gruppe EXAT 51 – für soziale Fragen offen und die Verbesserung der Lage der arbeitenden Bevölkerung war formuliertes Ziel. Auch das jugoslawische Wirtschaftssystem sollte ursprünglich auf der Basis der Selbstverwaltung funktionieren, was es aber de facto nicht tat. Die Befehle kamen am Ende doch vom Staat. Jugoslawien bildete u. a. mit Indien, Indonesien, Ägypten und Ghana die Allianz der „Blockfreien Staaten“. Der Lebensstandard war höher als in anderen kommunistischen Ländern und die Reisefreiheit war, als wesentlichstes Element, in vollem Umfang gegeben.

5 Zelimir Koscevic, „Kroatische Kunst“, in: Peter Weibel, Christa Steinle (Hg.), Identität und Differenz: Eine Topologie der Moderne 1940–1990, Kat., Neue Galerie Graz, Wien, Köln, Weimar 1992, S. 375 ff.

Die Ausrichtung der Kunst in Richtung Moderne und Abstraktion sollte sich als wirksames Instrument zur Abgrenzung gegenüber der UdSSR erweisen. Viele Monumente, öffentliche Bauten und städtebauliche Konzepte wurden so realisiert bzw. in die Wege geleitet. Die internationale Aufmerksamkeit ließ nicht lange auf sich warten, traten die Künstler – nicht nur der Gruppe EXAT 51 – doch international in Ausstellungen auf und verwirklichten in ganz Jugoslawien zahlreiche Projekte. Die von Richter auch gemeinsam mit Ivan Picelj, Zvonimir Faist, Emil Weber, Zvonimir Radić konzipierten und errichteten Pavillons für Messen und internationale Ausstellungen von Brüssel über Stockholm bis Turin waren seine experimentellsten Bauten. Sie standen modellhaft für


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verschiedene formale Probleme, die auf sehr radikale Weise umgesetzt wurden. Diese internationalen „Prestigeobjekte“ wurden oftmals mit Preisen ausgezeichnet und konnten zum international guten Ruf des sich modern und aufgeschlossen präsentierenden Jugoslawien der Nachkriegszeit wesentlich beitragen.6 Die Pavillons waren wesentlich geprägt von Richters Idee der plastischen Synthese aller Elemente. Die thematische Ausrichtung der im Pavillon stattfindenden Ausstellung sowie alle Details der Lichtführung und der Raumnutzung waren abgestimmt auf einen Gesamteindruck, der wiederum den des Plastischen vermittelte. Offenheit und freie Zugänglichkeit wurden beispielsweise beim Pavillon für die Weltausstellung 1958 in Brüssel zum Programm. Der Bau hatte keine Tür als Eingang, sondern man gelangte über eine breite Freitreppe in das Innere des Gebäudes. Auch dies sollte symbolhaft für die Offenheit des jungen Staates Jugoslawien stehen. Vjenceslav Richter bereitete seine architektonischen Projekte im kleineren Format der Plastik vor. Wie bereits erwähnt ging es ihm dabei um Formdiskussionen, die er im Kleinen deklinierte und deren Erkenntnisse er in der Folge auf die Architektur übertrug. Seit 1962 entstand so eine erhebliche Anzahl von plastischen Arbeiten, die im Mikrobereich vorführten, was sich auf der Makroebene – im „Synth­ urbanismus“ – konsequenterweise umsetzen lassen sollte. Seine hauptsächlichen Elemente im plastischen Gestalten waren einfache geometrische Formen – Kreis, Rechteck, Würfel, Sphäre, gekurvte und plane Flächen aller Art. Diese Körper folgten dem konstruktivistischen Prinzip, das aus den historischen Wurzeln der Avantgarde der Moderne hervorging. Diese „Systemplastiken“ waren Grundlage zur Erforschung des Räumlichen allgemein. Dabei spielte nicht nur die materielle Ebene der Plastik eine Rolle, sondern auch die Art der Beleuchtung veränderte den räumlichen Eindruck erheblich, je nach Blickrichtung. Das Element der Dynamik wird in dem Moment bewusst wahrgenommen – dieselbe Plastik in unterschiedlichen atmosphärischen Wirkungen. An diesem Punkt wird klar, dass sich Architektur und Skulptur schwer trennen lassen. Beide handeln von Volumen, Körpern, Räumen oder Distanzen und Orten. Auch das Sehen, Tasten, Bewegen spielt in beiden Bereichen eine bestimmende Rolle, genauso wie die Synthese von außen und innen bzw. von konkav und konvex.

6 Branka Stipancic, „Personal Cuts“, in: Personal Cuts. Art Scene in Zagreb from 1950 to Now, Kat., Nîmes 2014, S. 13 f.

Für die Ausstellung ambiente in Graz konzipierte Richter eine monumentale „Sphäre“, die sich mit dem Problem konkav/konvex beschäftigt. Dazu gab es einen Vorläufer: Geteilte Sphäre 2 war ein 1967 entwickeltes Glasmodell, das als Ausgang für die Arbeit in Graz diente. Für Graz wurde dieses Modell vergrößert und in einem anderen Material konzipiert. So entstand erneut eine „Sphäre“, ein Würfel aus Betonrippen, der im Inneren die Form einer Kugel freilässt und äußerlich an den Ecken jeweils eine konkave Viertelkugelform aufweist. Zusammengesetzt würden sie erneut eine Kugel ergeben. Diese Plastik stellt somit zwei Arten von Dreidimensionalität dar: Zum einen die sichtbaren Betonrippen, gleichsam das Grundgerüst der Plastik – zum anderen die


Geteilte Sphäre 2, 1967 Sammlung Richter, MSU Zagreb

Skizzen zu Geteilte Sphäre (1, 2 und trigon 67), 1967 Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb

7 Bruce Nauman, Interviews 1967–1988, Amsterdam 1996, S. 154.

beiden nicht materialisierten Kugeln, eine ganze im Inneren und vier Viertelkugeln an den äußeren Ecken. Es stellt sich hier grundsätzlich die Frage nach dem Sichtbarmachen von jenen Räumen, die man als Zwischenräume bezeichnen könnte. Wenn beispielsweise der Schatten zu einem Objekt gehört – er definiert die Dreidimensionalität –, verhält es sich mit den Zwischenräumen nicht anders. Zwischen jeweils zwei Gegenständen bildet sich ein Raum. Das Auge vereinfacht jedoch die Wahrnehmung und stellt jeweils den Gegenstand ins Zentrum. Es vernachlässigt die Zwischenräume, die höchstens als zweitrangig wahrgenommen werden. Jedoch ist es naheliegend, dass man als Bildhauer ein besonderes Sensorium für diese Sachverhalte entwickelt und damit die Möglichkeiten des Räumlichen auf diese Weise erweitern kann. Deutlich kann ein ähnlicher Effekt an einer ganz anderen Stelle beobachtet werden: 1965 bis 1968 konzipierte Bruce Nauman Objekte, die Betonabgüsse der leeren Räume unter einem Sessel waren. Der Künstler folgte hier sicherlich in erster Linie den Gesetzmäßigkeiten der Minimal Art – „Presence“ und „Place“. Bezeichnenderweise führt Nauman damit aber auch die Überlegungen eines Malers weiter – noch dazu eines gestisch-expressiven: „Der Abguss des Raumes unter einem Stuhl war die plastische Version von de Koonings Statement: Wenn man einen Raum malen will, sollte man den Raum zwischen seinen Teilen malen, nicht den Stuhl selbst. Genauso habe ich auch gedacht über Reste, negative Räume.“7 Man kann an diesem Beispiel sehen, wie auch Richter seine Überlegungen von der Plastik zur Architektur überträgt. Für die Skulptur ist es selbstverständlich, dass sich das visuelle Erscheinungsbild auf die materialisierten Bereiche des Objektes konzentriert – Stein, Holz, Metall etc. –, in der Architektur hingegen liegt der Schwerpunkt auf den Zwischenräumen. Die Mauern, Gläser, Dächer und Böden sind nicht das Primäre an der Architektur, vielmehr sind es die Räume, die sich dazwischen ergeben. Die Räume bestimmen die Funktion, jedoch sind es die Mauern etc., die in erster


Skizzen zu Geteilte Sphäre, trigon 67, aus dem Ausstellungskatalog Bibliothek Neue Galerie Graz, UMJ

Geteilte Sphäre, trigon 67: ambiente, Graz, 1967 Archiv Neue Galerie Graz, UMJ


Ausstellungsgelände von trigon 67: ambiente, Graz, 1967 (Arbeiten von Josef Pillhofer, Roland Goeschl, Mario Ceroli, Vjenceslav Richter und der „Informationsraum“ von Günther Domenig und Eilfried Huth) Archiv Neue Galerie Graz, UMJ


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8 Vjenceslav Richter, in: Skreiner, trigon 67, o. S.

Linie ästhetisch-visuell wahrgenommen werden. Letzteres wiederum verbindet Architektur und Skulptur aufs Engste. ambiente thematisierte unterschiedliche Raumvorstellungen, die allesamt entweder aus der Malerei oder aus der Skulptur entstanden sind. Richters Übersetzung des kleinen Glasmodells in eine nahezu begehbare Großplastik stellt sich zwischen Plastik und Architektur. Ihre Transparenz und leichte Zugänglichkeit macht sie räumlich erfahrbar – am Weg zum „Synthurbanismus“. Richter: „Die Sensibilität des modernen Menschen gegenüber dieser dynamischen Gleichzeitigkeit der Phänomene ist durch unsere Lebensart bedingt. Demnach ist es logisch, die Ausdrucksmittel der Kunst zu suchen, welche der dynamischen Gleichzeitigkeit entsprechen. Das ist das Zentralproblem meiner architektonischen und bildnerischen Tätigkeit. In den Problemen der inneren Organisation der Zikkurate (‚Sinturbanizam‘, ‚Heliopolis‘), sowie ‚Centriada‘ und ‚Systemplastik‘ durchzieht sich dieser Gedanke als eine grundlegende Obsession.“8 Die Idee des „Synthurbanismus“ wurde von Richter seit 1964 entwickelt. Es ist ein städtebauliches Konzept, das modulhaft Wohneinheiten in der Form von Zikkuraten für je etwa 10.000 Bewohner vorsieht. Diese in der Tradition Le Corbusiers oder Tatlins stehende Idee einer seriellen Wohnanlage, die alle Funktionen zentral steuert und im freien Feld beliebig erweiterbar wäre sowie selbstverwaltet gedacht war, hatte kaum Chancen auf Realisierung. Die ökonomischen und auch die gesellschaftlichen Voraussetzungen waren nirgendwo gegeben. Für das avancierte – vierdimensionale – Konzept der „Heliopolis“ sah Richter sich ständig langsam drehende Wohneinheiten vor. Sie sollten den Bewohnern einen wechselnden Ausblick verschaffen. Grundsätzlich ging es in beiden Konzepten „Synthurbanismus“ und „Heliopolis“ um eine ungeheure Ersparnis von Zeit. Die Bewohner sollten sich nicht stundenlang von einem Ort zum anderen bewegen müssen, um arbeiten, einkaufen oder Freizeitangebote konsumieren zu können. Alles war leicht und nahe erreichbar, war in der „neuen Stadt“ verfügbar. Le Corbusiers Gedanke der „Wohnmaschine“ liegt hier nahe. Er begriff Wohnanlagen als Maschinen zum Wohnen, genauso wie Autos als Maschinen zum Fahren und Flugzeuge als Maschinen zum Fliegen. Man kann aber weiter zurückschauen und wird erkennen, dass diese Dualität von kleinem und großem Maßstab in Bezug auf das Wohnen schon viel früher gedacht wurde. Schon Palladio stellte fest, dass ein Haus wie eine kleine Stadt und eine Stadt wie ein großes Haus funktionieren sollte. Städtebauliche Utopien blieben nicht immer Utopien, vielmehr versuchte man immer wieder – allerdings öfter aus militärisch-strategischen Gründen – Planstädte zu errichten. Im 20. Jahrhundert kulminierten die Ideen in diese Richtung an unterschiedlichen Orten und in vielfachen konzeptuellen Ansätzen. Man sprach von „Raumgittern“. Der Raum ist dabei frei verfügbar – unten, neben, über den Städten. Wieder stellt man sich die Architektur plastisch vor. In gewaltigen Raumgittern werden variable, multifunktionale Möglichkeiten gesehen. Die Variabilität entspricht dabei der Schnelllebigkeit der modernen Gesellschaft


Günther Domenig, Eilfried Huth Stadt Ragnitz, 1965/66, Modell Archiv Neue Galerie Graz, UMJ

im 20. Jahrhundert. In den Raumgittern lassen sich Lebensbereiche etablieren, Elemente einschieben, gewaltige Brücken werden zu neuen Lebensräumen. Somit kann man sagen: Wenn es keine sozialen, ökonomischen sowie technischen Zwänge gäbe, glaubte man, den grenzenlosen Raum schaffen zu können. Diese Denkweise war gerade in den 1950er- und 1960er-Jahren international verbreitet: Peter Cook (Archigram), Notes on Plug-in City, 1964; Yona Friedman, Spatial City, 1956; Kiyoshi Kawasaki, Spatial Structure Expo 70, 1967 Ekkehard Schulze-Fielitz, Spatial Grid City, 1964; , wären einige Beispiele dafür. In Österreich gab es ähnliche Bestrebungen, wenn man beispielsweise an missing link, Superimposed structure, Sia con Alt, 1971; Gernot Nalbach, Exhibition Austriaca 76, 1966; Helmut Ortner, Karl Plötzl, Mobile Homes, 1972, oder an das Grazer Projekt Stadt Ragnitz, 1965/66, von Günther Domenig und Eilfried Huth denkt. Diese exemplarische Aufzählung soll klarmachen, dass sich in diesem Zeitraum nach 1945 bis in die 1970er-Jahre an unterschiedlichen Orten der Welt ähnliche Konzepte entwickelten. Doch noch einmal zurück nach Graz, wo Vjenceslav Richter mit seiner „Sphäre“ ein Zeichen in diese Richtung gesetzt hat bzw. setzen wollte. Denn leider gab es bei der Ausführung für die Ausstellung trigon 67 ambiente technische Probleme, sodass das Objekt, das für eine Aufstellung im Freien vorgesehen war, nicht fertiggestellt werden konnte und so nur rudimentär wahrnehmbar blieb. Für die Ausstellung trigon 75 identität – alternative identität – gegen­ identität konzipierte Vjenceslav Richter erneut eine plastische Konfiguration, die am ehesten einem kleinen Pavillon entsprach und sehr stark mit Bildern arbeitete. Das schwarze Loch war der Titel dieser Installation, die auch für das Freie konzipiert und begehbar war. Im Wesentlichen war diese Anlage ein gesprengter Würfel, der seine Seitenflächen und die Decke für großformatige Bilder freigab. Auf den Boden war eine für Richter höchst untypische diffuse schwarze Kreisform auf weißen Grund gemalt – darauf stand man als Besucher. Das „Schwarze Loch“ – ein bekannter Topos in der Science-Fiction-Literatur – wurde als Begriff 1967 vom amerikanischen Physiker John Archibald Wheeler etabliert. Zum einen ist die negative Konnotation bekannt, dass das „Schwarze Loch“ alles zu verschlingen imstande ist und gleichsam einen Nullpunkt darstellt. „Sagittarius A*“ ist das bekannteste „Schwarze Loch“, das im Zentrum unserer Milchstraße liegt. Dabei handelt es sich um eine Strahlungsquelle, die im Außenraum von kompakten Massen oder Energieanhäufungen gebildet wird. In dieses Raumgebiet kann Materie nur hineinfallen, nicht aber wieder hinausgelangen. Auch elektromagnetische Wellen wie das Licht können dem nicht entkommen – daher „Schwarzes Loch“. Richter scheint diese Metapher nicht angewandt zu haben, um einem ausgeprägten Nihilismus nachzugeben oder um einen „Tabula-Rasa-Gedanken“ zu manifestieren. Vielmehr ist es wohl die Vorstellung des „Sagittarius A*“, die hier indirekt zur Anwendung gelangt. „Sagittarius A*“ ist gleichsam das mysteriöse Zentrum der Milchstraße, das durch seine Art alles zusammenhält, was wir unsere Galaxie nennen.


Modell für Das Schwarze Loch, trigon 75: identität – alternative identität – gegenidentität, Graz, 1975 Archiv Neue Galerie Graz, UMJ


Vjenceslav Richter vor seiner Arbeit Das Schwarze Loch, trigon 75: identität – alternative identität – gegenidentität, Graz, 1975 Archiv Neue Galerie Graz, UMJ


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Die Innenseiten des begehbaren Würfels wurden von Selbstporträts des Künstlers, die ihn von vorne, von hinten und von den beiden Seiten zeigten, gebildet. Diesen Porträts wurden collageartig Bilder von Richters Werken eingefügt. An der Decke konnte man ein Bild ausgestreckter Arme sehen, das mit dem Muster einer „Systemgrafik“ überzogen war. Es handelte sich dabei gleichsam um eine Zusammenfassung seiner Grundüberlegungen zur Plastik und Architektur. Man konnte so den „Systemplastiken“ oder dem „Synthurbanismus“ begegnen und wurde sich der Synthese bewusst, die der Künstler in seiner Kunst anstrebte. Er übertrug somit die formale Dimension wieder auf die soziale des Menschen. Die Eingebundenheit des Einzelnen in ein systemisches Ganzes wird hier anschaulich. Zusätzlich wird der Mensch als System vorgestellt, das – ganz im Sinne der Kunst Richters – mit der Gestal­tung seiner Umwelt zu einer Einheit verschmilzt. Somit gelang Richter mit seiner Installation Das schwarze Loch gleichsam ein künstlerisches Résumé – ein Pavillon, der eigenen Kunst gewidmet. Das Formenvokabular, das Richter hier für den Bau anwendet, erinnert an die „Sphären“, in denen er im Kleinformat grundsätzliche formale Fragen aufzeigte und klärte. Jede „Sphäre“ ist ein potenzieller Kosmos in sich, womit sich auch der gesprengte Würfel in Graz zu einem Raum öffnet und einen ganzen Kosmos symbolisiert – Richters künstlerischen Kosmos. Führt man Richters Gedankengänge weiter, würde der Pavillon, wenn man ihn heute errichtete, höchstwahrscheinlich statt starrer Bilder projizierte, bewegte Bilder bieten und wäre wohl auch interaktiv. Dieses Potenzial eines gleichsam als „Medien-Pavillon“ zu bezeichnenden Konzeptes ist aus heutiger Sicht plausibel. Ob Richter bereits mit derartigen Gedanken spielte, ist allerdings nicht belegt. Wenn man bedenkt, dass von der Gruppe EXAT 51 wesentliche Impulse für einen weiteren, größeren, weil internationalen Zusammenschluss – die Nove Tendencije – ausgingen, wird klar, dass Richter technischen Bildmedien wohl nicht abneigend gegenüberstand. Die Nove Tendencij­e sprachen von „visueller Forschung“ statt von Kunst. EXAT 51 verwendete, im von Richter verfassten Manifest von 1951, den Begriff „visuelle Kommunikation“. Man sieht hier deutlich, dass sich die Intentionen teilweise decken. Die Nove Tendencije gingen zwar vom Geist des Konstruktivismus aus, entwickelten aber die Konsequenzen weiter in Richtung technische Medien. Wie in der konstruktiven Avantgarde am Anfang des 20. Jahrhunderts das Gemälde zum visuellen Feld und Forschungsobjekt wurde, wird nun das digitale Bild, das aus einzelnen Pixeln besteht, konsequenterweise auch zum visuellen Feld. Es wird zu einem dynamischen System aus Variablen. Der Künstler, aber vor allem der Benutzer, steuert dieses Bildsystem. Die Rolle des Kunstwerks und die des Zuschauers wurden auch in den Nove Tendencije neu gedacht. Auch hier forderte man eine aktive Partizipation, die wichtiger war als eine passive Kontemplation. So sollten dem Publikum auch hier seine natürlichen schöpferischen Fähigkeiten


bewusst werden. Das Systemische, das Modulare, die Rationalität im Werk, das Konstruktive – all das führt direkt zum Computer. Die Maschine berechnet beispielsweise die unzähligen Varianten eines Prozesses. So wurden die „Systemgrafiken“, die auf der Vielfalt ihrer formalen Möglichkeiten basieren, von Richter auch programmiert. Allerdings noch auf analogem Weg, was heute ausgeschlossen wäre angesichts der technischen Möglichkeiten, die vielfältig und weit verbreitet zur Verfügung stehen. Raoul Hausmann Mechanischer Kopf – Der Geist unserer Zeit, 1919

Raoul Hausmann Tatlin at Home, 1920

Angesichts der Arbeit Das schwarze Loch, Graz, 1975, erhebt sich auch die Frage, inwieweit hier allein die Plastik die Schnittstelle zur Architektur ist, oder ob es das Bild ist. Das Bild in Richters Fall und in dieser speziellen Arbeit ist nicht abstrakt im klassischen Sinn. Die Bilder geben hier zwar Abstraktes wieder, jedoch illustrieren sie dies und repräsentieren einen Maschinenmenschen, dessen Identität in der kollektiven Eingebundenheit besteht. Raoul Hausmanns Mechanischer Kopf aus dem Jahr 1919 und vor allem dessen Fotomontage Tatlin at Home von 1920 bieten sich hier als Parallelen an. Generell ist festzustellen, dass sich Vjenceslav Richter sehr intensiv mit den Bewegungen der klassischen Avantgarde beschäftigt hat und deren Konzeptionen teilweise weiterführen wollte. Sie sollten nicht nur theoretisch existieren und die Kunstgeschichte bereichern, sondern tatsächlich an eine gegenwärtige Lebensrealität angenähert werden – in den Dienst dieser Aufgabe hat Richter sein gesamtes künstlerisches Werk gestellt.


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Biografie

1917 Vjenceslav Richter wird am 8. April als jüngstes von 9 Kindern einer Lehrerfamilie in Omilj bei Sveti Ivan Zelina nördlich von Zagreb geboren 1937–1949 Studium der Architektur in Zagreb 1941–1945 Unterbrechung des Studiums, aktiv im antifaschistischen Widerstand, wird mehrmals verwundet und eingesperrt 1946 Lernt als Designer im Kroatischen Amt für Werbung (OZEHA) Ivan Picelj kennen, wird Mitglied der Vereinigung der jugoslawischen Kommunisten 1947 Lernt Aleksandar Srnec kennen, entwirft seinen ersten Ausstellungspavillon für Jugoslawien anlässlich der Messe in Triest 1948 Gestaltung der Buchausstellung der Volksrepublik Kroatien in Zagreb, mit Ivan Picelj, Aleksandar Srnec und Mio Bišćan 1949 Nach dem Studienabschluss Anstellung am Institut für architektonische Projektplanung der Volksrepublik Jugoslawien in Zagreb 1950 USA-Reise an das von Moholy-Nagy gegründete Institut für Design am Illinois Institute of Technology in Chicago; Heirat mit der Schauspielerin Nada Kareš

Ivan Picelj, Vjenceslav Richter, Aleksandar Srnec Skizzen zu den jugoslawischen Ausstellungspavillons für Stockholm und Wien Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb

Ab 1949–1950 Ausstellungspavillons für internationale Messen in Wien, Stockholm, Hannover und Paris, mit Picelj und Srnec 1951 Gründungsmitglied der Künstlergruppe EXAT 51 (Experimentalni Atelijer), bestehend aus den Architekten Bernardo Bernardi, Zdravko Bregovac, Zvonimir Radić, Božidar Rašica, Vjenceslav Richter, Vladimir Zaharović und den Malern Ivan Picelj, Aleksandar Srnec, und (später) Vladimir Kristl


1951–1953 Sekretär der Kroatischen Vereinigung angewandter Künstler (ULUPUH) 1951–1955 Leiter der Abteilung für Entwurf (Architektur) an der Akademie für angewandte Kunst Zagreb 1953–1956 Präsident der Gruppe EXAT 51, die sich 1956 auflöste 1953–1958 Präsident der Kroatischen Vereinigung angewandter Künstler (ULUPUH) 1955 Ausstellungsorganisation der 1. Triennale Zagreb 1956 Projektplanung für das Archäologiemuseum in Aleppo, Syrien, mit Zdravko Bregovac Mitbegründer des Studios für Industriedesign Zagreb (SIO) 1957 Ausführung des Familienwohnsitzes in Zagreb (heute: Vjenceslav Richter und Nada Kareš Richter Sammlung der Stadt Zagreb) 1957–1958 Präsident der Kroatischen Architektenvereinigung Vjenceslav Richter, Mitte 1960er-Jahre Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb

1958 Jugoslawischer Pavillon auf der Weltausstellung in Brüssel, mit Emil Weber, in Kombination mit einer ersten Version der Skulptur Nada (Hoffnung) Ab 1958 Jugoslawien-Korrespondent für die Zeitschrift Architecture d’Aujourd’hui, Paris 1958–1961 Herausgeber der Zeitschrift Čovjek i prostor [Mensch und Raum] 1960 Veröffentlichung des Essays Dilema suvre­menog likovnog kretanja [Dilemma der zeitgenössischen künstlerischen Tendenzen], ČIP, Nr. 100, Jg. 7


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1961 Jugoslawischer Pavillon auf der Italia 61, der Internationalen Ausstellung der Arbeit in Turin, ohne einen einzigen rechten Winkel, Anerkennung dafür von Le Corbusier, Giovanni Ponti und Pier Luigi Nervi 1963 Jugoslawischer Pavillon auf der 13. Triennale in Mailand mit Holzlatten als einzigen Strukturelementen Arbeit am Skulpturenzyklus Centre, centrije i centrijade [Centras, Centrias und Centriadas] Entwickelt den ersten Reljefometar (Reliefmeter) aus 10.000 Elementen, entwickelt das Konzept der Systemplastik Veröffentlichung von Neke opservacije o sintezi likovnih umjetnosti, [Betrachtungen zur Synthese der Künste], Kulturni život, Nr. 9-10 Teilnahme an der Gruppenausstellung Nove tendencije 2 – Neue Tendenzen 2, Galerie für zeitgenössische Kunst, Zagreb 1963–1976 Zusammenarbeit mit dem Architekturbüro Centar 51 von Kazimir Ostrogović, ab 1965, nach dem Tod von Ostrogović, Leitung des Büros 1964 Veröffentlichung von Sinturbanizam [Synthurbanismus], seinem Hauptwerk über utopische Architektur und Stadtplanung, in den folgenden Jahren weltweite Propagierung des Konzepts Veröffentlichung von Sistemsku plastiku [Systemplastiken] im Verlag edition a 1964–1967 Präsident des Zentrums für Industriedesign Zagreb (CIO) 1965 Teilnahme an der Gruppenausstellung Nova tendencija 3, Galerie für zeitgenössische Kunst, Zagreb und Zentrum für Industriedesign, Zagreb


1967 Reliefmeter 1 wird auf der Ausstellung Sculpture from Twenty Nations des Guggenheim Museums in New York gezeigt und in das Buch Constructivism: Origins and Evolution des amerikanischen Bildhauers George Rickey aufgenommen. Teilnahme an der Gruppenausstellung trigon 67: ambiente in der Neuen Galerie am Landesmuseum Joanneum, Graz 1968 Veröffentlichung von Heliopolis – četverodimenzionalni grad [Heliopolis – eine vierdimensionale Stadt], Arhitektura, Nr. 99/100. Teilnahme an den Gruppenausstellungen Tendencije 4, Kunstgewerbemuseum, Zagreb und Plus by Minus: Today’s Half Century, Albright–Knox Gallery in Buffalo, USA, kuratiert von Douglas MacAgy 1969 Mit Nevenka Postruznik Einreichung eines Projektes für die Gruppenausstellung trigon 69: architektur und freiheit, das aber nicht angenommen wird 1970 Teilnahme an der 35. Biennale in Venedig Vjenceslav Richter in seinem Atelier, 1967 Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb

Erste Monografie über Richter von Vera Horvat-Pintarić erscheint 1971 Jurymitglied für die Gruppenausstellung trigon 71: intermedia urbana in der Neuen Galerie am Landesmuseum Joanneum, Graz 1972 Die trigon-Personale 4: Plastiken, Systeme, Architektur in der Neuen Galerie am Landesmuseum Joanneum, Graz, ist die erste retrospektive Ausstellung seines Werks. Teilnahme an der 36. Biennale in Venedig 1973 Veröffentlichung von Sistemska grafika [Systemgrafiken] über die gleichnamige Werkserie


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1973 Teilnahme an der Gruppenausstellung T-5: tendencije 5, Kunstgewerbemuseum, Zagreb und Technisches Museum, Zagreb 1974 Gründung der Gruppe Multidisziplinärer Synthurbanismus 1974–1978 Experimentiert auf dem Gebiet der Malerei und entwickelt spezielle geometrische Werkzeuge (Dreiecke ohne rechten Winkel), die in der Werkserie Sistemsko slikarstvo [Systemmalerei] verwendet werden. 1975 Teilnahme an der Gruppenausstellung trigon 75: identität–alternative identität - gegenidentität in der Neuen Galerie am Landesmuseum Joanneum, Graz 1976 Die Serien der Sistemske i Spontane grafike [Systemgrafiken und Spontane Grafiken] werden in Gruppenausstellungen in Tokio, Venedig, Ljubljana, Belfast und Washington gezeigt.

Vjenceslav Richter mit einem Reliefmeter, 1972 Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb

1980 Gemeinsam mit Nada Kareš Richter Schenkung des gemeinsamen Hauses und der Kunstsammlung an die Stadt Zagreb. 1981 Richter erhält den Johann Gottfried von Herder-Preis, einen der renommiertesten europäischen Preise für wissenschaftliches und künstlerisches Arbeiten, verliehen von der Universität Wien in Kooperation mit der Alfred Toepfer Stiftung in Hamburg 1986 Verleihung des Viktor-Kovacic-Preises für sein Lebenswerk 1992 Verleihung des Vladimir Nazor Life Achievement-Preises der Republik Kroatien


1996 Veröffentlichung des Textes Izazov nasljedu [Fordern Sie das Erbe heraus], in dem er sich mit der Geschichte der Geometrie befasst und die Teilung des Kreises in 512° vorschlägt 1997 Serie Prostorna slika [Raumbilder] als Resultat seiner kontinuierlichen Forschungen zur Synthese auf den Gebieten von Architektur, Skulptur und Malerei Die Stadt Zagreb übergibt die Verwaltung der Sammlung Vjenceslav Richter und Nada Kareš Richter an das MSU / Museum für zeitgenössische Kunst in Zagreb. 1998 Verfasst Moj misaoni prostor [Mein Gedankenraum], in dem er die Grundzüge seines Werkes nachzeichnet. 1999 Mit der Serie Gravitacijski crteži [Gravitationszeichnungen] Experimente mit der Schwerkraft und dem Zufall 2000 Teilnahme an der 47. Biennale in Venedig

Vjenceslav Richter, 1990 Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb

Öffnung der Sammlung Vjenceslav Richter und Nada Kareš Richter in Zagreb für das Publikum 2002 Vjenceslav Richter stirbt am 2. Dezember in Zagreb.


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Werkverzeichnis

Ivan Picelj, Vjenceslav Richter, Aleksandar Srnec Buchausstellung der Volksrepublik Kroatien 1948 Collage, Bleistift / Karton 5 x (34,8 x 32,3 cm) Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb

Skizzen für einen Sessel und einen Tisch für das Revolutionsmuseum des kroatischen Volkes ca. 1951 Kugelschreiber / Pauspapier 6 x (ca. 22 x 18 cm) Kroatisches Geschichte­ museum, Zagreb

Ivan Picelj, Zvonimir Radić, Vjenceslav Richter, Aleksandar Srnec Plakatentwurf für die Autobahn-Ausstellung im Zagreber Kunstpavillon 1949 Tempera / Papier 36,3 x 25,7 cm MSU / Museum für zeit­ genössische Kunst, Zagreb

Zeichnung für einen Sessel ca. 1952 Bleistift / Pauspapier 100 x 70 cm Kroatisches Geschichte­ museum, Zagreb

Ivan Picelj, Vjenceslav Richter, Aleksandar Srnec Projekt für den jugoslawischen Pavillon auf der Wiener Messe 1949 Tusche, Tempera, Collage / Papier 3 x (50 x 70 cm) MSU / Museum für zeit­ genössische Kunst, Zagreb Ivan Picelj, Vjenceslav Richter, Aleksandar Srnec, Zvonimir Radić Design-Entwürfe für die Autobahn-Ausstellung im Zagreber Kunstpavillon 1950 Tusche, Tempera, Collage / Papier 4 x (49,8 x 70,9 cm) MSU / Museum für zeit­ genössische Kunst, Zagreb Ivan Picelj, Vjenceslav Richter, Aleksandar Srnec, Zvonimir Radić Design-Entwürfe für die Autobahn-Ausstellung in Belgrad 1950 Tinte, Tempera, Collage / Papier 3x (50 x 70 cm) MSU / Museum für zeit­ genössische Kunst, Zagreb

Sessel ca. 1952 Schmiedeeisen, Sperrholz 74 x 67,5 x 64 cm Kunstgewerbemuseum, Zagreb Zdravko Bregovac, Vjenceslav Richter Archäologiemuseum in Aleppo, Syrien 1956–1957 Tusche / Pauspapier 66 x 88 cm Kroatisches Architektur­ museum, Zagreb Vjenceslav Richter, Ferdo Rosić, Slava Antoljak Tisch 1957 Schmiedeeisen, Maisblätter 50 x 80 x 60 cm Kunstgewerbemuseum, Zagreb Vjenceslav Richter, Ferdo Rosić, Slava Antoljak Lehnstuhl 1957 Schmiedeeisen, Maisblätter 70 x 67 x 52 cm Kunstgewerbemuseum, Zagreb Zdravko Bregovac, Vjenceslav Richter Österreichischer Pavillon auf der Zagreber Messe, Perspektive 1957–1958 Bleistift / Pauspapier 61 x 91 cm Kroatisches Architektur­ museum, Zagreb


Jugoslawischer Pavillon auf der EXPO 58 in Brüssel, Querschnitt 1958 Lichtpause 28 x 33,5 cm Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb Jugoslawischer Pavillon auf der EXPO 58 in Brüssel, Plan 1958 Lichtpause 33,5 x 28 cm Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb Jugoslawischer Pavillon auf der EXPO 58 in Brüssel, Plan 1958 Lichtpause 33,5 x 28 cm Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb Modell für den Jugoslawischen Pavillon, Expo 58, Brüssel Modellbauer: Thomas Stroobant 2010-2013 MDF-Platte, Furnier, Plexiglas 112 x 135 x 31 cm Fondation CIVA Stichting, Brüssel Plakat für die 2. Triennale in Zagreb 1959 Siebdruck / Papier 98,3 x 67 cm Kunstgewerbemuseum, Zagreb Studie für die Kinderoper „Wir machen eine Oper (Der kleine Schornsteinfeger)“ von Benjamin Britten und Eric Crozier (1949) 1960 Tempera / Papier 41 x 69 cm Kroatische Akademie der Wissenschaften und Künste, Abteilung der Geschichte des kroatischen Theaters

Jugoslawischer Pavillon auf der internationalen Ausstellung „Italia 61“ in Turin 1960–1961 SW-Fotografie (Digitaldruck 2018) 110 x 100 cm Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb Sessel 1961 Buchenfurnier, Buche 79 x 61 x 57 cm Kunstgewerbemuseum, Zagreb Turm der Chemiefabrik Saponia, Osijek 1960–1962 SW-Fotografie / Holz 110 x 100 x 1,6 cm Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb Revolutionsmuseum des jugoslawischen Volkes, Belgrad 1961 Tusche / Pauspapier 108 x 109 cm Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb Teilung eines Kreises 1962–1963 SW-Fotografie / Holz 110 x 100 x 1,5 cm Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb Simultane Perspektiven 1962–1963 SW-Fotografie / Holz 110 x 100 x 1,7 cm Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb Synthurbanismus, Zikkurat, Skizze des 13. Stocks 1962–1963 Filzstift, Bleistift / Papier 69 x 49,5 cm Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb

Synthurbanismus, Zikkurat, Querschnitt 1963–1964 Bleistift, Tusche / Pauspapier 78,5 x 206 cm Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb Synthurbanismus, Zikkurat, Querschnitt 1963–1964 Tusche / Pauspapier 109 x 211 cm Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb Synthurbanismus, Zikkurat, Querschnitt 1963–1964 Tusche / Pauspapier 84,5 x 136,5 cm Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb Synthurbanismus, Zikkurat, Perspektive 1963–1964 Bleistift / Pauspapier 86,5 x 141,5 cm Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb Synthurbanismus, Zikkurat, Grundriss Erdgeschoss 1963–1964 Tusche / Pauspapier 109,5 x 141 cm Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb Vjenceslav Richter, Kazimir Ostrogović Villa Zagorje, Zeichnung der Stiegenhalle 1963–1965 Tusche / Pauspapier 50 x 70 cm Kroatisches Staatsarchiv, Zagreb Vjenceslav Richter, Kazimir Ostrogović Villa Zagorje, Zeichnung des Hauptsalons 1963–1965 Tusche / Pauspapier 50 x 70 cm Kroatisches Staatsarchiv, Zagreb

Vjenceslav Richter, Kazimir Ostrogović Modell der Villa Zagorje 1963–1965 Holz 6 x 60 x 30 cm Büro des Präsidenten der Kroatischen Republik, Zagreb Teetischchen 1964 Holz 40 x 140 x 60 cm Büro des Präsidenten der Kroatischen Republik, Zagreb Centra 3 1964 Aluminium ∅ 45 cm Sammlung Vugrinec, Varaždin Imaginäres Centra, 1964 2017 Rekonstruktion anhand von Fotografien von 1964 von Professoren und Studenten an der Fakultät für Architektur der Universität Zagreb Aluminium ∅ 2 m MSU / Museum für zeit­ genössische Kunst, Zagreb Jugoslawischer Pavillon auf der XIII. Mailänder Triennale 1964 Digitaldruck 2018 110 x 100 x 1,7 cm Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb Systemplastik 1 1964 Aluminium 29 x 26,5 x 10 cm Sammlung Vjenceslav Richter und Nada Kareš Richter, MSU Zagreb Systemplastik 1966 Holz 8 x 10 x 50 cm Zeitgenössische Galerie, Subotica


Evolutionsmuseum, Krapina 1966 SW-Fotografie / Holz 110 x 100 x 1,6 cm Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb Geteilte Sphäre II 1967 Glas 27,5 x 27,5 x 27,5 cm Sammlung Vjenceslav Richter und Nada Kareš Richter, MSU Zagreb Sinusoiden II 1967 Aluminium 61,8 x 60,5 x 20 cm Galerie für zeitgenössische Kunst, Varaždin Reliefmeter, Modell ca. 1967 Aluminium 12 x 12 x 11,8 cm Privatsammlung Sint I 1968 Aluminium 48,6 x 27 x 26,6 cm Privatsammlung Vito 1968 Aluminium 50 x 50 x 10 cm Sammlung Vjenceslav Richter und Nada Kareš Richter, MSU Zagreb Vertika ca. 1968 Aluminium 73 x 24,3 x 24,3 cm Privatsammlung Systarch 1968 Aluminium 87 x 48 x 10 cm Sammlung Vjenceslav Richter und Nada Kareš Richter, MSU Zagreb Modell eines Wohnhauses in Zagreb 1968 Holz 11,5 x 119 x 36 cm Galerie für zeitgenössische Kunst, Varaždin

Vertikale Rhythmen 1968 Aluminium 78 x 59,6 x 30 cm MSU / Museum für zeitgenössische Kunst, Zagreb

SIG 6, Bbbba (Systemgrafik) 1970 Siebdruck / Papier 69 x 69 cm Sammlung Vjenceslav Richter und Nada Kareš Richter, Stadt Zagreb

Geschlossene Sinusoiden 1968 Aluminium 48,4 x 83 cm Neue Galerie Graz, Universalmuseum Joanneum

SIG 8, C dccd (Systemgrafik) 1970 Siebdruck / Papier 70 x 70 cm Sammlung Vjenceslav Richter und Nada Kareš Richter, Stadt Zagreb

Systarch 1969 Aluminium 76 x 25 x 17 cm Sammlung Vjenceslav Richter und Nada Kareš Richter, MSU Zagreb

Systemplastik ca. 1970 Aluminium 15,8 x 14,9 x 9,6 cm Privatsammlung

Allgemeine Methode der Winkelteilung ca. 1970 Filzstift / Papier 34 x 69,5 cm Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb

Räumliches Konkav-Konvex (Raumgrafik) 1970 Aluminium / Plexiglas 122 x 62 x 62 cm Sammlung Vjenceslav Richter und Nada Kareš Richter, MSU Zagreb

Allgemeine Methode der Winkelteilung ca. 1970 Lichtpause, Filzstift / Papier 45 x 94 cm Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb

Zeichnung für Dreiecke ohne rechte Winkel ca. 1970 Tusche / Papier 50 x 70,6 cm Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb

Allgemeine Methode der Winkelteilung ca. 1970 Lichtpause, Filzstift / Papier 45 x 94 cm Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb

Islamisches Zentrum in Zagreb 1969 SW-Fotografie / Holz 110 x 100 x 1,7 cm Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb Systemgrafik 1970 Siebdruck / Papier 69 x 69 cm Privatsammlung SIG 1, AnBsCnDn (Systemgrafik) 1970 Siebdruck / Papier 70 x 70 cm Sammlung Vjenceslav Richter und Nada Kareš Richter, Stadt Zagreb SIG 2, Ay (Systemgrafik) 1970 Siebdruck / Papier 70 x 70 cm Sammlung Vjenceslav Richter und Nada Kareš Richter, Stadt Zagreb SIG 4, AnBnCnDs (Systemgrafik) 1970 Siebdruck / Papier 68,5 x 68,5 cm Sammlung Vjenceslav Richter und Nada Kareš Richter, Stadt Zagreb

Zeichnung für Dreiecke ohne rechte Winkel ca. 1970 Filzstift / Papier 45 x 73 cm Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb Dreieck ca. 1970 Bleistift / Papier 46 x 96 cm Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb Dreieck ca. 1970 Bleistift / Papier 36 x 76 cm Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb

Dreieck ca. 1970 Bleistift / Papier 46 x 107 cm Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb Dreieck ca. 1970 Bleistift / Papier 46 x 96 cm Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb

Allgemeine Methode für die Winkelteilung und Dreiecke ohne rechte Winkel ca. 1970 Lichtpause 45 x 105,7 cm Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb Studie des Reliefmeters und des Lamellmeters 1972 SW-Fotografie / Holz 110 x 100 x 1,7 cm Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb


Reliefmeter 5 1973 Aluminium, Eisen 60 x 60 x 11,5 cm Sammlung Vjenceslav Richter und Nada Kareš Richter, Stadt Zagreb SIS 1 (Systemmalerei) 1974 Öl / Leinwand 150 x 150 cm Sammlung Vjenceslav Richter und Nada Kareš Richter, Stadt Zagreb SIS 4 (Systemmalerei) 1975 Öl / Leinwand 135 x 135 cm Sammlung Vjenceslav Richter und Nada Kareš Richter, Stadt Zagreb Modell für „Das Schwarze Loch“, trigon 75 1975 Fotografien, Papier, Holz, Styropor 47 x 32,8 x 33,5 cm Neue Galerie Graz, Universalmuseum Joanneum Modell für „Das Schwarze Loch“, trigon 75 1975 Fotograf: Peter Philipp, Graz 4 SW-Fotografien 4 x (24 x 18 cm) Neue Galerie Graz, Universalmuseum Joanneum, Archiv Dreidimensionale Grafik – Würfel aus galvanisiertem Holz 1977 Galvanisiertes Holz 40 x 40 x 40 cm MSU / Museum für zeitgenössische Kunst, Zagreb Skulptur Klapotetz, Symposion Forma Prima 1978 Tusche / Pauspapier 143 x 72 cm Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb

Gravitationszeichnung (stärker inszeniert) 1981 Tusche / Papier 100 x 70 cm Sammlung Vjenceslav Richter und Nada Kareš Richter, MSU Zagreb

Entwurf zu Raumbild Nr. 3 1997 Collage, Tusche / Papier, Karton 101,5 x 71 cm Sammlung Vjenceslav Richter und Nada Kareš Richter, MSU Zagreb

Raumbild Nr. 25 1997 Selbstklebende Folie / Plexiglas 70 x 70 x 70 cm Sammlung Vjenceslav Richter und Nada Kareš Richter, MSU Zagreb

Gravitationszeichnung (heiterer Dialog) 1990 Tusche / Papier 100 x 70 cm Sammlung Vjenceslav Richter und Nada Kareš Richter, MSU Zagreb

Entwurf zu Raumbild Nr. 4 1997 Collage, Tusche / Papier, Karton 101,5 x 71 cm Sammlung Vjenceslav Richter und Nada Kareš Richter, MSU Zagreb

Nada 1998 Stahl 440 x 100 cm Hüttenwerke Krupp Mannesmann GmbH, Duisburg

Gravitationszeichnung (endlich, eine Linie) 1990 Tusche / Papier 100 x 70 cm Sammlung Vjenceslav Richter und Nada Kareš Richter, MSU Zagreb

Entwurf zu Raumbild Nr. 5 1997 Collage, Tusche / Papier, Karton 101,5 x 71 cm Sammlung Vjenceslav Richter und Nada Kareš Richter, MSU Zagreb

Gravitationszeichnung (Versuch mit zusätzlicher Zeichnung) 1999 Tusche / Papier 100 x 70 cm Sammlung Vjenceslav Richter und Nada Kareš Richter, MSU Zagreb

Entwurf für die Skulptur „Nada“ 1995–1998 Tusche / Papier 107 x 44,5 cm Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb

Entwurf zu Raumbild Nr. 7 1997 Collage, Tusche / Papier, Karton 101,5 x 71 cm Sammlung Vjenceslav Richter und Nada Kareš Richter, MSU Zagreb

Gravitationszeichnungen (kleines Format) 1999 Tusche / Papier 10 x (25,5 x 21 cm) Sammlung Vjenceslav Richter und Nada Kareš Richter, MSU Zagreb

Raumbild Nr. 6 1997 Selbstklebende Folie / Plexiglas 19,5 x 19,5 x 19,5 cm Sammlung Vjenceslav Richter und Nada Kareš Richter, MSU Zagreb

„Das Schwarze Loch“, 1975 Computeranimation von Vladimir Končar 2018 Loop MSU / Museum für zeit­ genössische Kunst, Zagreb

Entwurf für die Skulptur „Nada“ 1995–1998 Tusche / Papier 104 x 45 cm Archiv Vjenceslav Richter, MSU Zagreb Entwurf zu Raumbild Nr. 1 1997 Collage, Tusche / Papier, Karton 101,5 x 71 cm Sammlung Vjenceslav Richter und Nada Kareš Richter, MSU Zagreb Entwurf zu Raumbild Nr. 2 1997 Collage, Tusche / Papier, Karton 101,5 x 71 cm Sammlung Vjenceslav Richter und Nada Kareš Richter, MSU Zagreb

Raumbild Nr. 12 1997 Selbstklebende Folie / Plexiglas 19,5 x 19,5 x 19,5 cm Sammlung Vjenceslav Richter und Nada Kareš Richter, MSU Zagreb Raumbild Nr. 21 1997 Selbstklebende Folie / Plexiglas 52 x 52 x 52 cm Sammlung Vjenceslav Richter und Nada Kareš Richter, MSU Zagreb


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Impressum

Ausstellung

Diese Publikation erscheint anlässlich der Ausstellung

Kuratorin Vesna Meštrić

Ein rebellischer Visionär Retrospektive Vjenceslav Richter 23.03.–02.09.2018

Ko-Kuratorin Gudrun Danzer Kuratorische Assistenz Petra Maier

Neue Galerie Graz Universalmuseum Joanneum Joanneumsviertel 2 8010 Graz, Österreich T +43-316/8017-9100 joanneumsviertel@ museum-joanneum.at www.neuegaleriegraz.at Leitung: Peter Peer

Registratur Henrik Klug, Astrid Mönnich

Universalmuseum Joanneum Geschäftsführung Alexia Getzinger, Wolfgang Muchitsch

Ausstellungsaufbau Robert Bodlos, David Bosin, Ivan Drilje, Simon Duh, Fabian Egger, Helmut Fuchs, Ivan Gorickic, Bernd Klinger, Irmgard Knechtl, Andreas Lindbichler, Stefan Reichmann, Klaus Riegler, Michael Saupper, Peter Semlitsch; Aleksandar Milošević, Silvio Strelar (Zagreb)

In Kooperation mit dem MSU / Museum für zeitgenössische Kunst Zagreb Avenija Dubrovnik 17 10010 Zagreb, Kroatien T +385-1/6052-700 msu@msu.hr www.msu.hr Leitung: Snježana Pintarić Die Ausstellung wurde durch die Stadt Zagreb und das Kulturministerium der Republik Kroatien unterstützt.

Ausstellungsgestaltung Vedran Kasap, Ozana Ursić (Clinica Studio, Zagreb) Ausstellungsgrafik und Computeranimation Vladimir Končar (Studio Revolucija, Zagreb)

Restaurierung Bernhard Eipper, Anna Kozorovicka, Evgeniia Sannikova; Ivana Drmić, Mirta Pavić (Zagreb) Passepartouts und Rahmung Christian Schmaranz Medientechnik und IT Georg Pachler Kunstvermittlung Monika Holzer-Kernbichler, Antonia Veitschegger und Team Ausstellungsgrafik Karin Buol-Wischenau Leitung Außenbeziehungen Andreas Schnitzler

Marketing und Kommunikation Julia Aichholzer, Nina Blum, Anita Brunner-Irujo, Barbara Ertl-Leitgeb, Anna Fras, Bärbel Hradecky, Marion Kirbis, Pia Moser, Eva Pessenhofer-Krebs, Astrid Rosmann, Elisabeth Weixler Veranstaltungsmanagement Gabriela Filzwieser, Franz Adlassnig, Magdalena Kermann, Niko Noriller Office Management Gertrude Leber, Teresa Ruff Besucher/innenservice Ausstellungsbetrieb Anke Leitner, Eva Ofner und Team Personalkoordination, Besucher/innenfeedback Sigrid Rachoinig

Publikation Herausgeberin Gudrun Danzer Redaktion Karin Buol-Wischenau, Gudrun Danzer Lektorat Karin Buol-Wischenau, Gudrun Danzer, Andrea Haberl-Zemljič Korrektorat Jörg Eipper-Kaiser Übersetzungen Zrinka Primorac Aberer (kroatisch), Angelika Peaston-Startinig (englisch) Grafische Konzeption Lichtwitz – Büro für visuelle Kommunikation Layout und Bildbearbeitung Karin Buol-Wischenau Druck Universitätsdruckerei Klampfer, St. Ruprecht/Raab Papier Invercote 300g/m², Biotop 3 Offset 100g/m² Schrift Tram Joanneum, ITC Charter Com Gedruckt in Österreich Erschienen im Eigenverlag Universalmuseum Joanneum GmbH

Umschlag: Vjenceslav Richter, Geschlossene Sinoiden, 1968 (Detail), Neue Galerie Graz, UMJ, Foto: Jovan Kliska


Die Texte in vorliegender Publikation sind dem Ausstellungskatalog der Richter-Retrospektive 2017 des MSU Zagreb entnommen und wurden aus dem Kroatischen (Vesna Meštrić/ Martina Munivrana, Vesna Meštrić, Maroje Mrduljas) bzw. dem Englischen (Maroje Mrdulja­s/Vladimir Kulić) übersetzt. Der Text von Günther HollerSchuster ist im deutschen Original abgedruckt. Die Inserts auf den S, 7, 103, 111 und 117 geben die von Vladimir Končar gestalteten Wandtapeten in der Ausstellung wieder. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere der Übersetzung, des Nachdrucks, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Weg und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2018 Neue Galerie Graz, Universalmuseum Joanneum © für die abgebildeten Werke bei den Künstlern oder deren Rechtsnachfolgern © Bildrecht, Wien, 2018: Raoul Hausmann: S. 101 © für die gedruckten Texte bei den Autorinnen und Autoren © für die Fotografien bei den Fotografinnen und Fotografen oder deren Rechtsnachfolgern: Branko Balić: S. 21 r., 32 r., 51 o., 54, 75 Maria Braut: S. 7 Joco Čermak: S. 45 u. Petar Dabac: S. 108

Tošo Dabac: S. 9, 32 l. Aleksandar Karoly: S. 49 J. Koinegg: S. 5, 87 Ana Opalić: S. 23, 31, 53, 57 Ana Opalić/Zbirka Richter: S. 25, 26, 29, 33–35 Milan Pavić: S. 16 Peter Philipp: S. 94, 95, 98, 99 Zbirka Richter: S. 109 Vanja Šolin/Zbirka Richter: S. 93 A. Roca: S. 46 Eckart Schuster: S. 97 Zvonko Šimunjak: S. 19 Marijan Szabo: 13 l. Zlatko Zrnec: 45 l. Die Herausgeber haben sich bemüht, alle Rechteinhaber ausfindig zu machen. Sollte der entsprechende Vermerk im einen oder anderen Fall fehlen, bitten wir um Mitteilung. Berechtigte Ansprüche werden selbstverständlich im Rahmen der üblichen Vereinbarungen abgegolten.

Dank an die Leihgeberinnen und Leihgeber: Büro des Staatspräsidenten der Republik Kroatien, Zagreb Fondation CIVA Stichting, Brüssel Galerie für zeitgenössische Kunst, Varaždin Hüttenwerke Krupp Mannesmann GmbH, Duisburg Kroatische Akademie der Wissenschaften und Künste, Abteilung für die Geschichte des kroatischen Theaters, Zagreb Kroatisches Architekturmuseum Zagreb Kroatisches Geschichtemuseum Zagreb Kroatisches Staatsarchiv Zagreb Kunstgewerbemuseum Zagreb MSU / Museum für zeitgenössische Kunst Zagreb Sammlung Vjenceslav Richter und Nada Kareš Richter, MSU Zagreb Sammlung Vjenceslav Richter und Nada Kareš Richter, Stadt Zagreb Sammlung Vugrinec, Varaždin Vjenceslav Richter Archiv, MSU Zagreb Zeitgenössische Galerie Subotica sowie an alle privaten Leihgeberinnen und Leihgeber, die nicht genannt werden wollen.





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