VIELfalter. Das nachhaltige Magazin zur STEIERMARK SCHAU 2023

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Das nachhaltige Magazin zur STEIERMARK SCHAU 2023

EDITION
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JANE GOODALL Die Forschungsikone im Exklusivgespräch
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KILLER-KÄFER Wie Marienkäfer als Nützlinge punkten
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LEBEN IM ALTBAUM Vögel, Käfer & Würmer in perfekter WG
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UNKRÄUTERKÜCHE Hauben-Menüs aus Wald und Wiese für daheim

» Kultur braucht einen wachen Geist. Zum Beispiel Ihren. «

Aus Überzeugung leistet die GRAWE seit vielen Jahren gerne einen Beitrag zur Förderung von Kunst und Kultur –wie bei der Steiermark Schau 2023.

grawe.at

Alljährlich werden in einer unabhängigen Studie (FMVÖ Recommender Award) 8.000 Versicherungskunden in ganz Österreich zu Ihrer Zufriedenheit und Bereitschaft zur Weiterempfehlung befragt. Die GRAWE steht bei den überregionalen Versicherungen in der Gesamtbewertung der Versicherungen im Durchschnitt der Jahre 2018-2022 klar an erster Stelle. Details: grawe.at/meistempfohlen

Liebe Leserinnen & Leser,

Joanneum

→ Foto © UMJ/ J. J. Kucek

Kaulquappen beobachten, im Sommer war unsere Haut mit Mückenstichen bedeckt und im Herbst besetzten die Schwalben fast alle verfügbaren Stromleitungen um unser Haus. Diese Kindheitserinnerungen kann ich meinem Sohn nicht mehr wirklich zeigen. Das Quaken der Frösche in den Sommernächten wird immer weniger und das Zwitschern der Schwalben um unser Haus vermisse ich sehr. Das kann ich zwar nicht über viele stechende Insekten sagen, aber es ist klar, dass vieles sehr stark zusammenhängt. Auch deshalb ist es mir persönlich so wichtig, dass wir mit der STEIERMARK SCHAU 2023 ein starkes Zeichen für den Schutz der Artenvielfalt setzen können.

Sie halten den »Vielfalter« in Händen, das Magazin zur STEIERMARK SCHAU 2023. Wir möchten Sie mit diesem bunten Nachhaltigkeitsjournal nicht nur durch die Schau begleiten, sondern Sie auch für die Schönheit unseres Planeten begeistern. Schon als Erzherzog Johann von Österreich 1811 das Joanneum als »Innerösterreichisches Nationalmuseum« gründete, war seine Liebe zur Natur eine der wichtigsten Triebfedern. Eine Bildungsinstitution mit naturwissenschaftlicher Ausrichtung sollte das erste öffentliche Museum Österreichs sein; diesem Gedanken fühlen wir uns auch heute noch verpflichtet. In der zweiten STEIERMARK SCHAU können wir eines der dringlichsten Probleme unserer Zeit aufgreifen und angreifbar machen: den Verlust der Biodiversität. Wenn man, so wie ich, am Land aufgewachsen ist und öfters in den Ort seiner Kindheit zurückkehrt, dann muss man kein großer Wissenschafter sein, um zu merken, dass sich die Tierwelt verändert hat. Mein Bauchgefühl sagt, dass irgendwas nicht mehr stimmt. Als ich klein war, konnten wir im Frühling in einem kleinen Bach hinter unserem Haus immer tausende

Mit der Eingliederung der Tierwelt Herberstein in das Universalmuseum Joanneum verfügen wir nun auch über den bestmöglichen Standort für eine Ausstellung wie diese. Denn auch dort zeigt sich die Vielfalt des Lebens in all ihrer Pracht und bringt große und kleine Besucher*innen zum Staunen. Das soll auch mit der STEIERMARK SCHAU gelingen, denn wenn wir die Schönheit der Natur wahrnehmen und erkennen, dass wir ein Teil von ihr sind und sie unsere Lebensgrundlage bildet, wird ihr Schutz unverhandelbar. Die Schau mit zahlreichen interaktiven Elementen, OutdoorStationen und dem mobilen Pavillon ist wegweisend, was moderne Vermittlungskonzepte und Innovationen angeht. Und beides werden wir brauchen, um als Museum weiterhin eine aktive Rolle im öffentlichen Diskurs um unsere Umwelt zu spielen.

Ich lade Sie herzlich ein, die STEIERMARK SCHAU mit allen Sinnen zu genießen und einzutauchen in die wunderbare Vielfalt unseres Landes. Dabei und darüber hinaus soll Sie dieses Magazin begleiten. Sie finden hier einen Überblick zur STEIERMARK SCHAU, aber auch viele Storys, Interviews, Rezepte und Tipps rund um das Thema Biodiversität.

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Viel
Spaß beim Lesen!
→ Marko Mele, wissenschaftlicher Direktor des Universalmuseums
Editorial

Das Magazin zur STEIERMARK SCHAU 2023

Impressum → Medieninhaber Universalmuseum

Joanneum GmbH → Projektkoordination Alexandra

Reischl → Design KOPFSTAND – Werbeagentur Martin

Gutjahr | Art Direction Bianca Höller & Saskia Schmidt |

Illustrationen Karo Oh → Redaktion Susanne Ary, Alexandra Reischl, Stefan Schwar → Coverbild Leonteena, Alamy Stock Photo | Fotos, wenn nicht anders angegeben, von Unsplash, Pexels, Pixeden oder Shutterstock → Hersteller Manufaktur - Spezial – Dietmar Reiber e.U, 8010 Graz → Herstellungsort 8010 Graz

DIE NATUR ALS PROTOTYP

DER PAVILLON DER STEIERMARK SCHAU

BIODIVERSITÄT UND ETHIK

Ein philosophischer Exkurs von Thomas Pölzler 32   34

SCHAU IN DIE ZUKUNFT

DIE STEIERMARK SCHAU IM DETAIL

Ein Rundgang durch die Ausstellung 42   47

TIPP

Vielfalt am Balkon  49

INTERVIEW Forscherlegende Jane Goodall 6   11
Marienkäfer und sein Killer-Cousin 13   15
wahre Gesicht der Biodiversität 16   21 TIPP Vielfalt beim Einkaufen  22
PUNKTESIEG Der
FOTOSERIE Das
Bionik: Lernen von der Natur 23   25
Das Unvorstellbare vorstellen 26   31
Stimmen aus Politik, Kunst und Wissenschaft 35   41
Ein Projekt von Powered by Supported by SERVICE Die besten Blogs zu Natur und Biodiversität 50   51 DIE SUPERKÄFER AUS DER FEISTRITZKLAMM Von Helden, Einsiedlern und flotten Käfern 52   56 WO DIE VIELFALT ZU HAUSE IST Das neue »Haus der Biodiversität« 57  59 ALTBAUMWOHNUNG Specht & Co. im Eichenwald 60   63 SERVICE Die besten Bücher zu Natur und Biodiversität 64   65
MIKRO-MAKROBILDERRÄTSEL Ganz klein ganz groß 66   69 WUSSTEN SIE, DASS … Tierisch-Spannendes aus der Tierwelt Herberstein & Kommentar des steirischen Tierschutzreferenten 70   71 INTERVIEW Foodbloggerin Marisa Becker 72   74 BUCHREZENSION Lesetipp & Auflösung Bilderrätsel  75 SERVICE Rezepte aus Wald und Wiese 76   77 ZUM ABSCHIED GRÜSST DAS MURMELTIER Bedrohte Arten in Berg, Wiese und Fluss 78   83 SERVICE Die besten Podcasts zu Natur und Biodiversität 84   85 GEWINNSPIEL Fotowettbewerb »Insekten«  86
DAS

Jane Goodall, international renommierte Verhaltensforscherin und Grande Dame des Natur- und Artenschutzes, im

Exklusivinterview.

Wir alle brauchen diesen Planeten

→ Interview Alexandra Reischl

→ Fotos © The Jane Goodall Institute Hugo van Lawick, Michael Neugebauer

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Vielfalter: Warum ist es für uns Menschen wichtig, dass wir uns um die Biodiversität kümmern?

Provokant gefragt: Was hat Artenschutz mit uns zu tun, was bringt er uns?

Jane Goodall: Biodiversität, die enorme Vielfalt an Arten, macht das Leben auf diesem Planeten so einmalig und ist durch nichts zu ersetzen. Ich vergleiche Biodiversität immer sehr gerne mit einem großen Orchester. Stellen Sie sich vor, ein Instrument fällt während eines Konzertes aus. Es wird nicht mehr gespielt. Was passiert? Nicht viel. Merkt man einen Unterschied? Wahrscheinlich kaum. Aber stellen wir uns vor, es hören immer mehr Musikerinnen und Musiker auf. Einer nach dem anderen. Sie werden ganz schnell eine Disharmonie feststellen und das Gesamte, das ganze Musikstück, wird in sich zusammenfallen. So ist es mit jedem einzelnen Tier, das ausgerottet wird, und jeder Pflanze, die nicht mehr in einem Ökosystem existiert. Irgendwann kommt es zum Zusammenbruch, weil ein Teil vom anderen abhängig ist.

Kein Teil kann ohne den anderen auf Dauer überleben. Und wir Menschen sind ein Teil des Ganzen.

Ich hatte in Wien tatsächlich zweimal die Möglichkeit, ein derartiges Experiment mit großartigen Musikern zu erleben. Als ich im Rahmen meines Vortrages zu dieser Aufführung kam, wurde es im Saal immer ruhiger. Ein Instrument nach dem anderen verstummte. Die Stille am Ende war unheimlich und beklemmend. Ich hatte sehr mit meinen Emotionen zu kämpfen.

Was haben Sie von der Natur lernen dürfen? Was können/ sollten wir alle lernen?

Ich habe über 25 Jahre im Regenwald von Gombe geforscht, die Schimpansen beobachtet, mitten in der Natur gearbeitet und gelebt. Im Jahr 1986 gab es ein einschneidendes Ereignis in meinem Leben. Bei einer großen Konferenz in Chicago berichteten Biologen aus aller Welt darüber, dass die Zahl der freilebenden Schimpansen immer geringer wird. Die Abholzung des afrikanischen Urwalds und die Jagd waren die Ursache. Auch die Tatsache, dass Schimpansen in der medizinischen Forschung eingesetzt wurden, rüttelte mich auf. Ich war zutiefst erschüttert. Als ich damals erkannte, wie schnell ihre Zahl abnahm und die Wälder verschwanden, wusste ich einfach, dass ich etwas tun musste. Die Schimpansen von Gombe haben mir so viel ermöglicht und mir wurde bewusst, ich muss diesen einzigartigen Wesen etwas zurückgeben. Also begann ich, den Menschen vom Schicksal dieser Menschenaffen zu erzählen. Ich sah und sehe es nach wie vor als meine Pflicht an, etwas für den Schutz der Natur, die mir so viel gab und gibt, zu tun. Hier in Gombe, in Afrika, und auf meinen Reisen konnte ich so viel über die Zusammenhänge in der Natur lernen. Wie Ökosysteme zusammenspielen und wie notwendig ein funktionierendes System, gesunde Lebensräume für alle Lebewesen sind. Eine gesunde Umwelt ist die Basis allen Lebens! Es wäre so wichtig, wenn alle das endlich erkennen würden und wir uns ernsthaft bemühen, unsere Umwelt zu schützen. Wir sind ein Teil dieser

Umwelt und die Verbindung mit der Natur ist der Schlüssel, wenn wir den Planeten retten wollen.

Warum tun wir uns oft so schwer, uns als Teil der Natur zu verstehen?

Weil wir sehr oft diese Verbindung zur Natur verloren haben. Es gibt so viele Menschen, die kein Wissen mehr über natürliche Abläufe und über die Zusammenhänge der Ökosysteme haben und nicht sehen, wie wichtig der Schutz jedes einzelnen Lebewesens ist. Wir können den Planeten nicht unendlich ausnützen. Wir sind Teil dieser einmaligen Erde und müssen achtsam damit umgehen.

Natürlich ist mir bewusst, dass die Ungleichverteilung von Ressourcen, die Armut und Ungerechtigkeit die Grundlagen vieler unserer Probleme sind. Menschen, die um das tägliche Überleben kämpfen müssen und keine Perspektiven haben, haben keine Kraft und Möglichkeit, sich für anderes einzusetzen.

Wie können wir diesem Gefühl der Entfremdung entgegenwirken?

Es beginnt bei den Jüngsten. Bildung und die Chance auf eine gute Ausbildung, Perspektiven für die Zukunft und ein nachhaltiges Leben. Das ist ein Schlüssel. Zusammenhänge in der Natur und die Vermittlung, dass wir alle ein Teil der Umwelt sind. Und wenn man älter wird, dass man sich seiner Verantwortung bewusst ist, die man für seine Umwelt hat. Ich würde jedem Menschen wünschen, dass es die Möglichkeit gibt, die Schönheiten der Natur zu sehen, zu spüren, wie kostbar das Leben auf unserem Planeten ist.

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Aber ich weiß, dass für viele dieser Zugang nicht gegeben ist.

Mittlerweile wissen wir und spüren sogar selbst, wohin uns unsere Lebensweise bringt – können Sie als Verhaltensforscherin erklären, warum wir es im Angesicht der Klimakrise trotzdem nicht schaffen, das Ruder endlich radikal herumzureißen?

Für mich spielen hier Ignoranz, Intoleranz, Respektlosigkeit, Macht, Gier und Profit die größten negativen Rollen. Und wie ich zuvor erwähnt habe, ist ein riesiges Problem die Ungleichverteilung von Ressourcen. Armut und soziale Probleme, der Kampf um tägliches Überleben stellen unsere Gesellschaften vor große Probleme, die sich enorm auf den Umweltschutz und das Klima auswirken.

Ihre Organisation Roots & Shoots bindet Kinder in den Natur- und Artenschutz ein – wie stehen Sie zu Bewegungen wie Fridays for Future oder Last Generation? Kann Klimaschutz zu radikal sein?

Ich begeistere mich für die Jugend! Die junge Generation und ihre enorme Energie, ihr Enthusiasmus und Einsatz geben mir immer wieder Hoffnung.

Dass sie für eine intakte Umwelt kämpfen, ist ihr gutes Recht, denn diese Welt wird morgen ihre sein.

Gut informierte junge Menschen, die berechtigt und bereit sind zu handeln und die erkennen, dass ihr eigenes Tun entscheidend ist, können die Welt verändern. Junge Menschen, aber auch jene aus älteren Generationen, die sich

diesen Bewegungen anschließen, bekommen sehr viel Aufmerksamkeit. Es ist toll, dass sie so viele Leute aufrütteln. Sie ergreifen Initiative. Ganz egal, wie man darüber denkt – die schiere Anzahl auf der Straße ist eine Botschaft. Sie vermittelt, dass wir aufwachen müssen – und erkennen, dass wir die Welt verlieren. Was mich ganz, ganz tief getroffen hat und betroffen macht, sind verzweifelten Hilferufe von Menschen aller Generationen, die um ihre Heimat, ihre Lebensräume kämpfen, die durch Umweltkatastrophen und Zerstörung bedroht sind.

Dabei kommt es vor, dass sich diese Verzweiflung in Aggression und Wut verwandelt. Etwas, das ich

nicht für gut und sinnvoll empfinde. Auch ich habe im Laufe der mehr als drei Jahrzehnte als Umweltaktivistin meine Meinung kundgetan –ich tue dies noch immer. Unermüdlich. Und oft bin ich auch auf taube Ohren gestoßen. Ich kann diese Ohnmacht nachvollziehen. Aber ich kann immer wieder nur dazu aufrufen, die Hoffnung nicht zu verlieren und sich gegenseitig mit Respekt zu begegnen und ein offenes Ohr für Anliegen zu haben. Ich denke, es ist so wichtig, sich ein Bild über die verschiedenen Kulturen, Traditionen, Religionen, über wirtschaftliche und politische Verhältnisse zu machen. Je besser wir uns verstehen, desto leichter kann uns ein friedlicher Umgang miteinander gelingen.

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Ich gebe meine Hoffnung auf friedliche Lösungen nicht auf. Nur in einem friedvollen und respektvollen Umgang mit unserer Umwelt werden wir unsere Probleme und Konflikte konstruktiv lösen können.

Gibt es aus Ihrer Sicht überhaupt noch die Chance, den Planeten zu retten?

Ja, aber es muss jetzt passieren! Wenn wir nicht jetzt gleich beginnen oder bereits Begonnenes aktiv weiter vorantreiben, dann ist es zu spät. Wir haben unser Hirn, das Wissen, die Technologie und große Bewegungen, die sich für den Klimaschutz einsetzen. Wir engagieren uns gegen die Massentierhaltung, denn sie behandelt ↘

Jane Goodall Institute Austria

Im Jahr 1977 gründete die Forscherin das Jane Goodall Institute, das weiterhin die Forschungen in Gombe unterstützt. Mit 31 Büros auf der ganzen Welt setzen sich Jane Goodall und das Institut für nachhaltige, ganzheitliche Tierschutz- und Entwicklungsprogramme in Afrika ein und betreiben Schutzstationen für verwaiste und beschlagnahmte Schimpansen. Auch in Österreich gibt es eine Niederlassung. Im Jahr 1991, nach dem Treffen mit einer Gruppe von tansanischen Jugendlichen, schuf Jane Goodall Roots & Shoots. Dieses Programm bestärkt junge Menschen darin, in ihren Gemeinden Projekte für Mensch, Tier oder Natur zu entwickeln und umzusetzen. 150.000 Kinder und Jugendliche in knapp 100 Ländern sind derzeit bei Roots & Shoots aktiv.

→ Infos Jane Goodall Institute Austria Belvederegasse 26, 1040 Wien janegoodall.at | + 43 1318. 60 86

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Tiere entsetzlich und zerstört riesige Lebensräume. Wir bauen Getreide an, das mit Chemikalien, Pestiziden, Herbiziden, Düngern behandelt wird. Dieses Gift fließt in unsere Flüsse, Seen und Ozeane. Gleichzeitig verhungern immer noch Menschen. Das Wichtigste ist, dass wir die Armut besiegen, denn wer arm ist, trifft manchmal auch falsche Entscheidungen. Aus Hungersnot werden Wälder gerodet, arbeiten Kinder, Jugendliche, Frauen und Männer im Kohlebergbau, um ein klein wenig Geld zu verdienen, von dem sie dann billiges Junkfood kaufen. Hier geht es oft ums nackte Überleben. Natürlich ist dann kein Raum für Bildung, Selbstbestimmtheit. Dann greifen die westlichen Länder ein. Das ist ein großer Teufelskreis. Meine Organisation versucht, diese Situationen zu verbessern und dazu beizutragen, die Welt ein Stück zu

verbessern. Wir sollten dabei nicht auf die Rechte der Menschen, aber auch nicht auf unsere Verantwortung vergessen. Denn wir alle sind abhängig von der Natur. Wir alle benötigen Luft, Nahrung und Wasser. Wir alle brauchen diesen Planeten.

Wie geht es Ihnen persönlich mit der Situation, in der sich der Planet befindet?

Ich werde sehr oft gefragt, ob ich angesichts der Weltsituation nicht jede Hoffnung verliere oder bereits verloren habe. Um ehrlich zu sein, es gibt manchmal dunkle Stunden, in welchen auch ich an gewissen Entwicklungen zweifle. Aber die Begegnungen mit Menschen in aller Welt, die vielen engagierten Aktivitäten, der Austausch von Berichten und das Lesen von positiven Nachrichten – all das gibt mir wieder Hoffnung. Und auch Kraft, nicht locker zu lassen und anderen

auch Mut zu machen. Ich denke, es ist gut, wenn wir unsere Erlebnisse und Erfahrungen teilen. Ich liebe Geschichten, die Hoffnung schenken. Hoffnung – nicht in Form von passivem Wunschdenken, sondern als aufrichtiges Engagement für unseren Planeten – ist ansteckend.

Was müssten die Mächtigen jetzt tun, also etwa Regierungen oder Superreiche?

Sie müssten endlich ihre Verantwortung für eine bessere Welt ernst nehmen und ethisch handeln und das Richtige tun. Ehrlich und mit einem Blick in alle Gesellschaftsschichten, mit Blick auf die junge und die zukünftigen Generationen. Sie sollten ohne Gier nach Profit und noch mehr Macht agieren. Gerade diese Menschen haben viele Möglichkeiten, dies täglich zu tun, im Rahmen ihrer Entscheidungen und Taten – ob

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Würdenträger, Politiker oder Verantwortliche in Wirtschaft und Industrie. Aber auch jede und jeder Einzelne von uns sollte sich der eigenen Verantwortung und der Auswirkungen des eigenen Handelns bewusst sein. Ich setze meine Energie darauf, das Bewusstsein zu schärfen und die Menschen zu bitten, ihrer Verantwortung gerecht zu werden, ihr Leben und ihre Fähigkeiten zu nutzen, um die Welt für Tiere und die Umwelt zu verbessern.

Was kann jeder Einzelne tun? Wie viel kann das, was ich als Einzelne tue, überhaupt bewirken?

Wenn man sich globale Entwicklungen ansieht, täglich die Nachrichten verfolgt, wundert es mich oft nicht, wenn man sich fragt, was man als einzelner Mensch ausrichten kann. Aber ich antworte immer wieder, wenn mir Menschen begegnen und mir genau diese Frage stellen: »Think global, but act local!«. Denn auch wenn man sich als Individuum manchmal schwach, einsam und in seiner Welt ohnmächtig fühlt, sollte man sich dennoch immer wieder seiner Rolle und Stärke bewusst werden. Jede und jeder von uns spielt eine Rolle auf diesem Planeten und für unser Leben. Wir alle können etwas verändern und jeder kleine Schritt zählt. Zusammen können wir einfach mehr bewegen. Je mehr Menschen aktiv werden, desto mehr Kraft kann entstehen. Jede gute Tat ist wertvoll und bewirkt etwas.

Was können solche Veranstaltungen wie die STEIERMARK SCHAU bewirken?

Es sind Veranstaltungen wie diese, die Menschen über Themen unserer Zeit, über globale Zusammenhänge und Entwicklungen informieren können. Hier können Austausch, Diskussionen stattfinden, Impulse zum Handeln gegeben werden. Präsentationen und Informationen im öffentlichen Raum sind wichtig, um Wissen zu vermitteln und um möglichst viele Menschen zum Aktivwerden anzuregen.

Gibt es noch eine Botschaft, die Sie den Besucher*innen der STEIERMARK SCHAU und den Leser*innen unseres Magazins mitgeben wollen?

Es ist wichtig, sich zu informieren, den Blick auf das Ganze zu haben, aber nie den Fokus auf das Wesentliche zu verlieren. Bedenken wir immer: Du kannst etwas verändern – jeden Tag und zu jeder Zeit! ∙

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»Nur in einem friedvollen und respektvollen Umgang mit unserer Umwelt werden wir unsere Probleme und Konflikte konstruktiv lösen können.«
Jane Goodall

WIR MACHT UNS ALLE STÄRKER.

WIR MACHT’S MÖGLICH.

Ein starkes Wir kann mehr bewegen als ein Du oder Ich alleine. Es ist die Kraft der Gemeinschaft, die uns den Mut gibt, neue Wege zu gehen, die uns beflügelt und die uns hilft, Berge zu versetzen. Daran glauben wir seit mehr als 160 Jahren und das ist, was wir meinen, wenn wir sagen: WIR macht’s möglich.

raiffeisen.at

Krabbler-Liebling gegen Killer-Käfer – ein ungleiches Match mit ungewissem Ausgang.

Punktesieg

Marienkäfer sind notorische Blattlausvertilger, was ihre Beliebtheit für Gärtnerei und Landwirtschaft erklärt.

Er ist rot mit schwarzen Tupfen, er bringt zu Silvester gemeinsam mit Rauchfangkehrer und Schweinchen Neujahrsglück und seine Beliebtheit liegt irgendwo zwischen einem Hundewelpen und einem Pokémon: der Marienkäfer. Oder Moment … war der Krabbler nicht eher orangerot und sitzt im Winter zu Tausenden an warmen Hauswänden? Beides ist richtig. Denn es handelt sich hier um zwei verschiedene Arten: Der erste Käfer ist der Siebenpunkt und ist hier heimisch, der zweite stammt aus Asien und passt eigentlich gar nicht in unseren Lebensraum. Aber er vermehrt sich prächtig.

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→ Text Susanne Ary Wissenschaftliche Beratung Sandra Aurenhammer → Foto © Sandra Aurenhammer Fotomontage © Karo Oh

Der Asiatische Marienkäfer ist heute die dominante Art unter den gepunkteten Krabblern, aber er ist erst seit 2006 offiziell in Österreich. Sein Auftauchen war aber kein Zufall oder Folge natürlicher Wanderungen. Nicht einmal der Klimawandel war schuld. Es waren Menschen, genauer gesagt Gärtnereien, die das Insekt als »natürliches Schädlingsbekämpfungsmittel« in Gewächshäuser einbrachten und dadurch werbewirksam auf die chemische Keule verzichten konnten. Marienkäfer sind nämlich notorische Blattlausvertilger,

was ihre Beliebtheit erklärt – und übrigens auch ihren Namen, der auf die Jungfrau Maria und ihre Güte anspielt. Ein hehrer Gedanke war es also, der die Käfer in die Gewächshäuser einziehen ließ, was aber am Ende gründlich schiefging.

Der Siebenpunkt ist der »klassische«, bei uns heimische Marienkäfer.

Fressmaschine mit zahlreichem Nachwuchs

Man weiß nicht mehr, was durch die Köpfe der Gärtnereibetreiber ging, als sie sich davon überzeugen ließen, dass ein 6 bis 8 mm großes Insekt brav an den Türen eines Gewächshauses Halt machen würde. Natürlich büxten die Krabbler aus und fanden draußen in freier Wildbahn wahrlich paradiesische Zustände. Der Asiatische Marienkäfer ist nicht nur größer und gefräßiger als seine heimischen Cousins – er vertilgt bis zu 270 Läuse pro Tag und pro Larve –, sondern auch genetisch variantenreicher. Das verleiht ihm nicht nur stylische Designs, sondern auch eine höhere Wahrscheinlichkeit für Mutationen – und damit eine bessere Chance für Anpassung. Außerdem ist er anspruchsloser, kein besonders wählerischer Esser, hat kaum Fressfeinde – nur eine Wanze namens Waldwächter ist bekannt – und er fühlt sich sogar in gebirgigen Höhen bis 2.000 Metern wohl. Und fortpflanzungsfreudiger ist er außerdem: Bis zu 3.500 Eier legt ein Weibchen. Und als

ob das noch nicht genug wäre, hat das kleine Monster noch eine chemische Waffe im Arsenal: In seinem Blut leben Parasiten, gegen die es selber immun ist. Treffen diese auf einen Siebenpunkt, ist der Arme hinüber. Diese Kombination aus »starken« Features macht den Asiatischen Marienkäfer zu einem wahren Killer-Käfer. Die umweltbewussten Gärtnereien haben mit ihm die Büchse der Pandora geöffnet, die sich nicht mehr schließen wird.

Neuzugang mit allzu großem Appetit: der Asiatische Marienkäfer.

Dass Tiere oder Pflanzen neue Lebensräume erobern, ist ein natürlicher Vorgang. Letztlich sind alle Arten so entstanden. Aber es gibt zwei Unterschiede zwischen natürlichen Einwanderern und sogenannten »Aliens«: die Geschwindigkeit und die Intensität. Wenn Arten überfallsartig fremde Lebensräume besiedeln, kann das System nicht darauf reagieren. Das war etwa bei den Kaninchen in Australien der Fall, die ab dem 18. Jahrhundert zu einer wahren Landplage wurden. Ein anderes Beispiel sind die Feuerfische in der Karibik: Der von Menschen ausgesetzte Aquarienfisch stammt aus dem Roten Meer, zieht eine Spur der Verwüstung durch die Korallenriffe und wird mittlerweile von Menschen mit Nachdruck gejagt. Auch das Pflanzenreich kennt invasive Arten.

Der Japanische Staudenknöterich überwuchert schnell ganze Flächen und erstickt andere Arten unter seinem Wachstum. Auch die Pestpandemie, die im 14. Jahrhundert ein Drittel Europas ausrottete, war in weiterer Folge durch eine über die Handelsrouten eingeschleppte Art verursacht worden, den Rattenfloh, der als blinder Passagier nach Europa kam.

14 STEIERMARK SCHAU
Das Gegenteil von gut … ist gut gemeint
»Einwanderungspolitik« ja, aber mit Weitblick!

Beißwerkzeug

Das kleine Monster hat eine chemische Waffe im Arsenal: In seinem Blut leben Parasiten, gegen die es selber immun ist.

Halsschild

Hautflügel

Dreieinhalb Punkte je

Seite beim SiebenpunktMarienkäfer

Deckflügel

Kartenhaus Ökosystem

So deutliche und gravierende Auswirkungen hat der Asiatische Marienkäfer zwar nicht: Die einzige »merkliche« Folge ist der bittere Geschmack, den Weinbauern beklagen, wenn die bedauernswerten Käfer im Rebensaft mitvergoren wurden. Aber die wirklich negativen Folgen der Invasion sind im System zu finden: Das gesamte ökologische Gleichgewicht kommt ins Wanken, wenn einzelne Komponenten sich plötzlich ändern. Wenn der heimische Siebenpunkt zurückgedrängt wird, ist das wie eine einzige Karte, die man aus einem Kartenhaus entfernt. Es steht weiterhin vermeintlich stabil, aber sobald ein Windhauch aufkommt oder eine weitere Karte wegfällt, bricht es in sich zusammen. Dazu kommt, dass der Klimawandel die Ansiedelung von invasiven Arten begünstigt: Höhere Temperaturen bedeuten weniger Frost. Was im Winter normalerweise einen K.o.-Schlag für Arten bedeutet, die an die Klimazone nicht angepasst sind, bleibt immer öfter aus. Die Tiere und Pflanzen überleben ein weiteres Jahr und vermehren sich erneut. Wie das Match zwischen Siebenpunkt und Asiatischem Marienkäfer ausgeht, ist noch offen. Es sieht aber nicht gut aus für den heimischen Krabbler. Die Folgen bleiben abzuwarten. ∙

Schildchen

Variable Färbung und Punktierung beim Asiatischen Marienkäfer

15 2023

nachgebildet.

ausstarb. Im Kinderbuch »Alice im Wunderland« erweckte ihn die Fantasie von Millionen Kindern zu neuem Leben, nun wurde der Vogel

Auferstanden –Der Dodo war ein flugunfähiger Vogel, der ausschließlich auf der Insel Mauritius lebte und um 1690

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Foto © Reinhard Fink

Tod am Fenster –Diese Singdrossel flog gegen ein Fenster und starb. Was an sich unspektakulär klingt, ist mittlerweile die häufigste Todesursache für Vögel im 21. Jahrhundert. Jährlich sterben allein in Deutschland rund 20 Millionen Vögel nach einem Fensterschlag.

17 2023
→ Foto © Reinhard Fink

allein in Österreich.

sind Rosen und Nelken. Die allermeisten davon kommen täglich per Flugzeug –aus Kenia und Kolumbien. Pro Jahr übrigens 150 Mio. Rosen

Foto © Annie Spratt

Guten Flug –Schnittblumen erfreuen das Herz, mehrere hundert Sorten gibt es bei uns im Handel. Am beliebtesten

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Wildwuchs –Nichts berührt uns mehr als die unberührte Schönheit einer Blumenwiese im Frühsommer. Blüten locken, Insekten krabbeln, 15.000 Grashalme/m 2 wiegen sich im Wind. Zum Vergleich: Ein Gartenrasen zählt 20.000, ein Fußballplatz 40.000 und ein Golfplatz 100.000 Halme/m 2 . → Foto © Annie Spratt

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plan der Super-Spinne steht.

auf Blüten, z. B. dieser herrlichen Margerite, tarnen. Sehr zum Leidwesen der nektarsuchenden

Honigbiene, die heute noch auf dem Speise -

Spinnenjäger –Die Krabbenspinne kann, ähnlich einem Chamäleon, ihre Körperfarbe aktiv ändern und sich so perfekt

20 STEIERMARK SCHAU
→ Foto ©
Reinhard Fink

Schrecke lass nach! –Zweige? Äste? Halme? Oder doch Tiere? Stabschrecken verschmelzen mit ihrem grünen, langgezogenen Körper und ihren schmalen Beinen perfekt mit ihrer Umgebung. Weltweit gibt es mehr als 3.000 Arten davon.

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→ Foto © Reinhard Fink

Alles im grünen Bereich

Gut geschützt

Sonne tanken, aber richtig: Aktuell enthalten die meisten Sonnencremes chemische Filter, die das hormonelle Gleichgewicht von Tieren, aber auch von Menschen beeinflussen. Diese Filter tragen auch zum Korallensterben bei. Also lieber zu Sonnenschutz mit physikalischen Filtern greifen oder UV-undurchlässige Textilien tragen.

Besser behutsam

Nehmen Sie bei Spaziergängen oder Wanderungen Rücksicht auf jene Lebewesen, deren »Wohnzimmer« Sie betreten. Bleiben Sie auf den ausgewiesenen Wegen, so werden während der Vegetationsperiode weniger Pflanzen, Moose oder Pilze zertreten. Und Sie schrecken so auch keine Tiere auf; diese zehren auf der Flucht von ihren Nahrungsreserven, was für sie fatal enden kann.

Erlebnis Urlaub

Abenteuer gefällig? Dann machen Sie doch einmal einen Camping-Urlaub! Wer mit dem Zelt unterwegs ist, verreist umweltschonend und kann dabei noch dazu die Natur hautnah genießen. Bitte bleiben Sie dabei aber an den ausgewiesenen Orten und campieren Sie nicht wild.

Regionale Köstlichkeiten

Investieren Sie in Ihre Gesundheit, in Genuss und in Lebensmittel aus der Region. Alte Obstund Gemüsesorten oder Tierarten sind an den Standort angepasst, schmecken meist intensiver und sind von höherer ernährungsphysiologischer Qualität.

→ Unsere Tipps kommen vom Umwelt- Bildungs -Zentrum Steiermark, mehr Infos: ubz - stmk.at

Ölfrei gepflegt

Wussten Sie, dass viele Kosmetika Erdöl enthalten? Verwöhnen Sie Ihre Haut lieber mit Naturkosmetik und greifen Sie zu Reinigungsmitteln mit einem Ökozertifikat. Diese enthalten Inhaltsstoffe, die biologisch abbaubar sind und so die Artenvielfalt in den Gewässern schonen. ∙

22 STEIERMARK SCHAU
Die besten Tipps, um die Umwelt zu schonen und die Biodiversität zu bewahren – egal ob zu Hause oder im Urlaub.

Die Natur als Prototyp

→ Text Susanne Ary

→ Illustrationen/Fotomontagen © Karo Oh

Weniger Widerstand dank HaiHaut: Die raue Oberfläche der speziellen Beschichtung lässt Flugzeuge durch die Luft flitzen wie ein wendiger Raubfisch im Wasser.

Bionik – Tiere und Pflanzen als technische Wunderwerke

Moderne Technik ist hochfunktional. Ist sie zusätzlich geschickt designt, schont das wertvolle Ressourcen. Gute Technologie optimiert also, aber maximiert nicht, sie denkt integral und prozesshaft. Neu ist dieses Credo allerdings nicht: Die arrivierteste Entwicklerin des gesamten Universums, die Natur, folgt ihm seit Milliarden von Jahren. Die Bionik nutzt ihren Genius, formt Autos geschmeidig wie Fische, stärkt Dächer wie Seerosenblätter und sammelt Wasser wie ein Wüstenkäfer.

Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung sind die Schlagwörter einer modernen Zeit, die endlich erkannt hat, dass Verschwendung kein Zeichen von Wohlstand ist. Was wir als neu und bahnbrechend empfinden, ist in Wirklichkeit aber so alt wie das Universum: Mit möglichst wenig möglichst viel zu machen, ist das Erfolgsgeheimnis der Evolution. Die Natur geizt mit Energie, wo sie nur kann. Und das Leben ringt ihr Energie ab, auch da, wo es fast unmöglich erscheint.

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Wasser für die Wüste

In der Wüste zum Beispiel. Wasser gibt es dort erwartungsgemäß wenig. Ein kleiner Käfer in der Namibwüste kommt aber selbst dort gut über die Runden. Um zu trinken, reckt er seinen kleinen Körper in den Morgentau. Sein Panzer hat eine spezielle Oberfläche mit mikroskopischen Unebenheiten. Sie lassen den Tau kondensieren und abfließen – in seinen Mund. Der Australier Edward Linacre von der Swinburne University of Technology war davon fasziniert. Sein Land hatte gerade eine der schlimmsten Dürren der Geschichte erlebt, die die Bewässerung in der Landwirtschaft verunmöglichte. Inspiriert vom kleinen Wüstenkäfer, entwickelte er den Airdrop, eine Wasserpumpe, die mittels hydrophiler Oberflächenstruktur aus in unterirdischen Röhren zirkulierender Luft das wertvolle Nass kondensieren lässt. Das Ganze funktioniert ohne Strom. Für die Erfindung bekam der Australier 2011 den James Dyson Award.

Fliegen wie ein Hai

Reichlich Wasser gibt es dagegen im Meer. Um sich im dichten, flüssigen Medium effizient fortzubewegen, haben die Bewohner ein paar Tricks auf Lager. Beispielsweise Haie. 500 Arten der Raubfische sind bekannt. Statt Schuppen haben sie eine Haut, die mit Mini-Zähnen übersät ist. Sie ist nicht glatt, sondern rau. Wenn der Hai schwimmt, kommt es dann zu weniger Verwirbelungen – das spart Energie. Dieses Prinzip war Vorbild für eine bionische Technologie: AeroShark, entwickelt von Lufthansa und BASF, ist eine Klebefolie für Flugzeuge, die Millionen von prismenförmigen Zähnchen auf die Flieger zaubert. Die Haut reduziert den Treibstoffverbrauch um 1,1 %. 3.700 Tonnen Treibstoff spart Swiss mit der Hai-Haut jedes Jahr ein, das sind außerdem 15.000 Tonnen CO2. Lufthansa nutzt die Technik auch für die Cargoflotte. Der Haifisch, der hat Zähne – und ein probates Mittel zum Energiesparen. Übrigens: Die »Sharklets« an den Tragflächenspitzen der Flugzeuge machen sie zusätzlich aerodynamischer.

Das flotte Fisch­Auto

Auch bei Autos nützt der Blick ins Tierreich. Rechnet man die Schwimmgeschwindigkeit des 70 cm großen Eselspinguins auf ein Auto um, das sich durch Luft bewegt, kommt man auf 360 km/h. Pro Tag frisst er eine Magenfüllung Plankton, schwimmt hunderte Kilometer und taucht auf 400 Meter. Sein »Verbrauch« liegt umgerechnet aber nur bei einem Liter Benzin auf bis zu 2.000 km. Auch Kofferfische sind gut unterwegs: Sie sind zwar wegen ihres starren Körpers kaum beweglich, aber sehr effizient. Mercedes Benz präsentierte 2005 ein bionisches Kofferfisch-Auto, eines der emissionsärmsten Autos überhaupt. »Lebende Prototypen« nannte der amerikanische Luftwaffenmajor Jack E. Steele 1960 auf einer Konferenz die natürlichen Vorbilder in der Technik. Er schuf auch den Begriff »Bionik«.

24 STEIERMARK SCHAU
Das Kofferfisch - Design macht das Auto besonders stromlinienförmig. Wasser auch in der Wüste: ein genialer Käfer als technisches Vorbild

Die Klassiker: der Lotus und die Klette

Eine der berühmtesten Anwendungen der Bionik ist über 75 Jahre alt: der Klettverschluss. Es war im Jahr 1941, als der Schweizer Erfinder Georges de Mestral aus Aubonne bei Lausanne bemerkte, wie stark eine Klettpflanze an seiner Hose haftete. Winzige Häkchen griffen dabei in den Stoff. Seine darauf aufbauende Erfindung, der Klettverschluss, ging unter dem Namen »Velcro« um die Welt. Die zwei Silben von »Velcro« stammen von den französischen Wörtern »velours«, dem Flauschband, und »crochets«, den Häkchen.

Der zweite Klassiker der Bionik ist zweifelsohne der Lotus-Effekt. Man sagt, dass vor über 2.500 Jahren Siddhartha Gautama, der Buddha, eine Predigt gehalten haben soll, ohne ein einziges Wort zu sagen. Stattdessen hielt er eine Blüte in der Hand: den Lotus. Er gilt als Symbol der Reinheit. Die grünen Blätter der Pflanze sind so resistent gegen Benetzung, dass sogar Flüssigklebstoff davon abperlt. Das schützt die Pflanze vor Schädlingen. In den 1970er Jahren entschlüsselte Wilhelm Barth lott, Botaniker und Bioniker an der Universität Bonn, schließlich den Effekt: An der mikrostrukturierten, hydrophoben Oberfläche rollt Wasser wie kleine Kügelchen einfach ab. Barthlotts Entdeckung wurde zuerst belächelt.

Erst in den 1980er Jahren, als »Waldsterben« und andere Umweltthemen populär wurden, tourte der »Lotus­Effekt« plötzlich durch Magazine, Fachliteratur und Zeitschriften.

Mittlerweile gibt es Fassadenfarben, Textilien, Sprays und »Easyto-Clean«-Oberflächen, die diesen Effekt nutzen.

Optimal statt maximal

Die Natur hat also immer das Optimum im Blick, nicht das Maximum. Das gilt auch für die Konstruktion von mechanischen Komponenten: So verfügen etwa menschliche Knochen nicht über die höchstmögliche Festigkeit. Sie sind flexibel durch Hohlräume und Verstrebungen. Das Design des Eiffelturms ist beispielsweise dem menschlichen Oberschenkelknochen abgeschaut. Biomorphe Architektur nennt man das. Sie nimmt auch gerne Anleihen an Palmenblättern, Schneckenhäusern

oder Bienenwaben. Riesenseerosen schwimmen im Wasser und können dennoch eine Person von bis zu 60 kg tragen. Leicht und zart gebaut, hocheffizient und auch noch wunderschön: Das sind die idealen Prototypen direkt aus der Natur. ∙

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Der Lotus - Effekt ist eine der bekanntesten bionischen Anwendungen.

Der mobile Pavillon ist ein zentrales Element der STEIERMARK SCHAU. Er verknüpft auf

atemberaubende Weise künstlerische Praxis, ästhetische Erfahrung und wissenschaftliche Erkenntnis.

Das Unvorstellbare vorstellen

→ Text Stefan Schwar

→ Renderings © Kadadesign

→ Fotos © UMJ/J. J. Kucek

26 STEIERMARK SCHAU

Wer im mobilen Pavillon der

STEIERMARK SCHAU – zu sehen Ende März am Wiener

Heldenplatz und ab 29. April in der Tierwelt Herber stein – eine traditionelle Ausstellung erwartet, der könnte möglicher weise überrascht werden.

Denn mit klassischen Ausstellungskonzepten ist diese Form der Präsentation nicht zu vergleichen. Weder gibt es einen fixen musealen Ort, an den man sich begibt, noch findet man klassische Exponate vor. Das hat viel mit dem Thema der Ausstellung zu tun, aber mindestens ebenso viel mit der Suche nach modernen und zukünftigen Darstellungsformen. Nach der positiven Resonanz auf die erste STEIERMARK SCHAU 2021, in die bereits ein

mobiler Pavillon integriert war, wurde dieses Konzept auch für die diesjährige Auflage fortgeführt – eine große Herausforderung für alle Beteiligten, sowohl was die Architektur des Pavillons als auch die darin gezeigten Inhalte betrifft. Bereits der Titel »Atmosphären –Kunst, Klima- und Weltraumforschung« verweist auf ein inhaltliches Spektrum, das breiter nicht sein könnte. Dahinter wiederum verbirgt sich die eigentliche Frage, um die sich alles dreht: Was ist Leben? ↘

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→ Pressetermin Alexander Kada, Landeshauptmann Christopher Drexler, Astrid Kury sowie Landeshauptmann- Stellvertreter Anton Lang (v. l.)

Open­Air ­Museum

Behandelt wird diese Frage in einem als »Bright Oval« konzipierten Raum. Bevor man diesen betritt, erwartet die Besucher*innen ein großzügig dimensioniertes, von allen Seiten frei zugängliches Foyer mit 8 jeweils 6 Meter hohen fahnenartigen Flächen, die gemeinsam als großes Display eine Art bewegtes Bühnenbild entstehen lassen. Das verleiht dem Gesamtgebäude eine sehr luftige, leichte und – passend zum Titel – atmosphärische Anmutung. Für die Architektur und Gestaltung des Pavillons zeichnet auch heuer der Grazer Designer Alexander Kada in Kooperation mit dem Architekten Gerhard Mitterberger verantwortlich. Damit ist ein europaweit wohl einzigartiges neues Format kreiert worden, eine Art Open-Air-Museum, für das

die Mobilität und damit die Verwendbarkeit an unterschiedlichen Orten ein ganz zentrales Kriterium ist: »Der öffentliche Raum wird immer mehr zu einer wichtigen Präsentationsfläche für Museen. Damit definiert der Pavillon die Präsentationsform von Ausstellungen neu und sorgt für besondere Erlebnisse, die alle Sinne ansprechen«, so Kada.

Immersive Erlebnisse

Im Inneren verbirgt sich ein spektakulärer, in sich abgeschlossener Raum, in dem Boden und Wände gleichermaßen als Projektionsflächen für eine insgesamt 30 Meter lange Leinwand fungieren. Das führt dazu, dass ein sehr intensives Erlebnis auf die Besucher*innen wartet, in dem Video als zentrales Medium der Vermittlung eingesetzt wird, durchaus in engem Zusammenspiel mit akustischen Eindrücken und einem eigens konzipierten Sounddesign, das vom Grazer Institut für elektronische Musik entwickelt wurde (Ambisonics mit 29 Lautsprechern). Der Raumklang unterstützt die Raumwahrnehmung und folglich auch die Wahrnehmung der gezeigten Inhalte. Und hier schöpft der Pavillon aus dem Vollen. Er gibt

Einblicke in den im Herbst erscheinenden Klimaatlas der Steiermark, ausgewählte Daten daraus werden anhand von animierten Karten gezeigt. Das umfasst klimarelevante Phänomene wie die Zunahme von Hitzetagen, Änderung der Niederschlagsmuster, Klimafolgen der Zersiedelung und vieles mehr. Es geht dabei aber nicht nur um eine reine Visualisierung, sondern auch um neue Zugänge zu den

thematischen Karten, die durch die immersive Präsentation entstehen.

28 STEIERMARK SCHAU

Am Rand des Vorstellbaren

Insgesamt 17 internationale Künstler*innen aus den Disziplinen bildende Kunst, Film und Komposition/Sound Art haben Arbeiten für die STEIERMARK SCHAU entwickelt und führen die Ausstellung weit über die Grenzen der bloßen Vermittlung von Wissen hinaus. Durch die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema Atmosphäre eröffnen sich neue ästhetische Eindrücke und außergewöhnliche sinnliche Erfahrungen, auch vor dem Hintergrund des Zusammenführens von Genres und Akteur*innen: »Zusammenarbeit, Kooperation, das ist ein Layer, der sich durch alle Ebenen der Produktion zieht«, meint die Kuratorin der Ausstellung, Astrid Kury. Viele Bereiche der Wissenschaft blicken auch intensiv in Rich -

tung zeitgenössische Kunst, und zwar aus einem einfachen Grund: »Es ist eine genuine Praxis der Kunst, sich immer wieder an die Ränder zu bewegen. Das kann darin schulen, uns stärker in Vorstellungswelten zu bewegen und kreativer mit dem umzugehen, was uns umgibt, weil sich so neue, bisher unvorstellbare Wege entdecken lassen, die wir brauchen werden.« Es gibt also einen klar erkennbaren gemeinsamen Nenner für beide Disziplinen, nämlich die Beschäftigung mit dem, was am Rand des Vorstellbaren ist. Das betrifft die Weltraumforschung genauso wie die zeitgenössische Kunst. Dieses Hinausdenken über Bestehendes und das Verschieben und Neuausloten von Grenzen macht die Qualität der Beiträge sowie der Ausstellung insgesamt aus. Dabei geht es um nichts Geringeres als um die Grundfragen des Lebens: Was sind lebensfreundliche Bedingungen? Wo und wie entsteht Leben? Wie besonders ist die Erde? Und schlussendlich: Wie verändert der Klimawandel die Steiermark?

Kein Zeigefinger

Die Ausstellung insgesamt ist für Alexander Kada eine »freundliche Einladung, sich mit den Themen Kunst, Klima- und Weltraumforschung zu beschäftigen«. Einen erhobenen Zeigefinger oder eine Handlungsanleitung für klimabewusstes Handeln sucht man dabei jedoch vergeblich. Es geht vielmehr um die Aktivierung aller Sinne, um die Ausdehnung des Bewusstseins, um das Erkennen, wie alles miteinander zusammenhängt, und um die Vermittlung komplexer Themen nicht nur auf rein kognitiver Ebene, ↘

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sondern vor allem auch in einer unmittelbar verständlichen ästhetischen Form. Denn auch so kann Erkenntnis entstehen, aus der wiederum relevantes Handeln erwächst. Für Astrid Kury spannt die Ausstellung zusätzlich auch einen großen Bogen zwischen dem »Sense of Place« und dem »Sense of Planet«: »Wenn jeder an seinem Ort aktiv wird, überall, dann verändert sich auch für den Planeten viel. Denn es ist klar: Jeder kann etwas tun, jeder von uns ist handlungsmächtig und wenn wir uns alle in einem ökologischen Sinn für etwas einsetzen, was uns nahe geht und was uns wichtig ist, dann wird sich auch insgesamt etwas verändern. Das kann auch so ein Bildungssetting, wie es eine Ausstellung ist, bestärken.« Das wiederum ist vor allem für jene Zielgruppe entscheidend, die mit der Ausstellung ebenfalls angesprochen wird: Kinder und Jugendliche zwischen 3 und 14 Jahren, die in der Ausstellung einerseits direkt beteiligt waren und für die es andererseits in jedem Bereich eigene Ausstellungselemente gibt.

Pavillon als internationaler Botschafter

Eine »Miniaturfassung« des Präsentationsraums mit denselben Inhalten wird übrigens international zum Einsatz kommen und in Kooperation mit dem Außenministerium zu verschiedenen Destinationen reisen, etwa zu den österreichischen Kulturinstituten. Damit wird der Pavillon – und vor allem seine Inhalte – auch jenseits der Steiermark und über die STEIERMARK SCHAU hinaus wahrgenommen und fungiert als unkonventioneller Botschafter – nicht nur der Steiermark, sondern auch eines Themas, das weltweit ganz oben auf der Agenda des Handelns stehen muss. ∙

Der Pavillon der STEIERMARK SCHAU 2023

»Atmosphären – Kunst, Klima- und Weltraumforschung«

→ Idee, Konzept, Gestaltung der Ausstellung: Alexander Kada

→ Architektur: Arch. Gerhard Mitterberger

→ Kuratierung der Ausstellung: Astrid Kury

→ Kuratorische Beratung: Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber (Intendanten der Diagonale. Festival des österreichischen Films), Thomas Macho (Direktor des Internationalen Forschungszentrums Kultur wissenschaften, Kunstuniversität Linz in Wien), Lea Titz (bildende Künstlerin), Thomas Trummer (Leiter Kunsthaus Bregenz)

In Zusammenarbeit mit

→ IWF Institut für Weltraumforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Graz

→ Medizinische Universität, Graz

→ Abteilung 15 für Energie, Wohnbau, Technik des Landes Steiermark/ Klimaatlas Steiermark

→ ZAMG Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik Steiermark

→ Abteilung 17 für Landes - und Regionalentwicklung des Landes Steiermark/ Referat für Statistik und Geoinformation

→ Wegener Center für Klima und Globalen Wandel der Karl - FranzensUniversität Graz

→ IEM Institut für Elektronische Musik und Akustik der Kunstuniversität Graz

→ IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften, Kunstuniversität Linz in Wien

→ Institut für Geografie und Raum forschung der Karl -Franzens - Universität Graz

Mitwirkende Künstler*innen

Videokunst und Komposition:

→ Azra Akšamija (BIH/AT/US) & Dietmar Offenhuber (AT/US)

→ Benedikt Alphart (AT) & Adina Camhy (AT)

→ Michaela Grill (AT/CAN)

→ Markus Jeschaunig (AT)

→ Rainer Kohlberger (AT/DE) & Peter Kutin (AT)

→ Gudrun Krebitz (AT/DE)

→ Ralo Mayer (AT)

→ Muntean/Rosenblum:

30 STEIERMARK SCHAU

Markus Muntean (AT) & Adi Rosenblum (IL/AT)

→ Kay Walkowiak (AT)

→ Richard Wilhelmer (AT/DE) & Sonja Mutić (AT/BiH/SRB/US/CR)

Kunstprojekt für Kinder:

→ Silvana Beraldo Massera (BR) & Daniela Brasil (BR/AT)

Mitwirkende Wissenschafter*innen

IWF Graz/Weltraumforschung:

→ Luca Fossati (Projektleitung,IT/AT) ,

Katy Chubb (UK/AT), Nanna

Bach -Møller (DK/AT), Ludmila Carone (IT/AT) ,

Dominic Samra (UK/AT) ,

Helena Lecoq Molinos (E/AT), Jan Philip

Sindel (DE/AT), Patrick Barth (DE/AT), Emma Puranen (US/AT), Ruth - Sophie Taubner (AT)

Med-Uni Graz/Astrobiologie:

→ Christine Moissl-Eichinger (Projektleitung, DE/AT)

KF-Uni Graz/Weltraumrecht:

→ Anita Rinner (AT), Hannes Mayer (AT)

IFK Wien/Kulturwissenschaften:

→ Thomas Macho (Direktor, AT/DE) , Andreas Karl (AT), u. a.

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Biodiversität und Ethik

Weshalb sollte Biodiversität (im Sinne von Artenvielfalt) bewahrt werden?

Diese Frage ist komplexer, als sie zunächst scheint.

Ethische Überlegungen können eine Richtschnur bieten.

Der Schwertstör, der Nyakala-Frosch, der Elfenbeinspecht: Dies sind nur drei der zahlreichen Spezies, die im Jahr 2022 von der Internationalen Union zur Bewahrung der Natur für ausgestorben erklärt wurden. In den nächsten Jahrzehnten dürfte sich das Artensterben aufgrund des Klimawandels weiter beschleunigen. Sollten die globalen Temperaturen auf mehr als 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter ansteigen, würde dies laut dem Weltklimarat nicht weniger als 44 % aller Spezies einem Aussterberisiko aussetzen und 24 % sogar einem sehr hohen Risiko.

Die internationale Staatengemeinschaft erkennt den Verlust an Biodiversität mittlerweile fast einhellig als gravierendes Problem an. 1993 etwa wurde die UN-Konvention über die biologische Vielfalt in Kraft gesetzt, die die Unterzeichner-Staaten völkerrechtlich zur Umsetzung einer Reihe von Zielen verpflichtet. Biodiversität, so wird weithin angenommen, ist etwas Gutes und damit schützenswert. Tatsächlich erscheint diese Aussage fast wie eine Binsenweisheit. Aber trifft sie wirklich zu? Hat Biodiversität Wert? Und wenn ja, in welchem Sinn?

Fragen wie diese – Fragen nach dem Wert von Dingen – fallen in den Gegenstandsbereich der Ethik, eines Teilbereiches der Philosophie. Ethiker*innen haben in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche Argumente und Thesen zu Debatten über Biodiversität

32 STEIERMARK SCHAU
→ Text Thomas Pölzler

beigetragen. Eine wichtige Rolle bei der Formulierung ihrer Einschätzungen hat die Unterscheidung zwischen sogenannten extrinsischen und intrinsischen Werten gespielt.

Biodiversität als Mittel zum Zweck

So gut wie alle Ethiker*innen würden zustimmen, dass Biodiversität zumindest gegenwärtig bis zu einem gewissen Grad in einem extrinsischen Sinne gut ist. Das heißt, sie ist gut, weil sie andere Werte befördert. Klassische Beispiele sind neben der Aufrechterhaltung von Ökosystemen vor allem die Verwendung von Naturgütern als Nahrungsmittel oder Inhaltsstoffe von Medikamenten. Wir wissen nicht, ob der Schwertstör nicht irgendwann einmal bestimmten Gesellschaften über Nahrungsmittelkrisen hinweghelfen hätte können. Wir wissen nicht, ob das Drüsensekret des Nyakala-Frosches nicht irgendwann einmal eine bislang unbekannte Krankheit heilen hätte können. Deshalb sollten wir so viele Spezies wie möglich zu unserem eigenen Nutzen bewahren.

Der Philosoph Daniel Faith hat dieses Argument in Form einer bekannten Analogie ausgedrückt. Biodiversität stelle ein »Lagerhaus von derzeit unbekannten Vorteilen« dar, das für zukünftige Generationen erhalten werden müsse. So würden diese sich, wenn erforderlich, aus diesem Lagerhaus bedienen können. Manche Ethiker*innen haben darauf hingewiesen, dass die Vielfalt des Lebens dem Menschen neben dieser Versorgungsfunktion auch

eine Reihe wertvoller Erfahrungen ermögliche, etwa ästhetische, metaphysische, religiöse und regenerative. Zwar können wenig diverse Ökosysteme durchaus ihren Reiz haben (man denke z. B. an den Grand Canyon). Oft ist es aber gerade die Pluralität an Arten und damit an Farben und Formen, die uns eine Wiese oder einen Wald als schön erscheinen lässt, die uns Erhabenheit und Verbundenheit spüren lässt oder einen Tag in der Natur so erholsam macht.

statt ins Grüne in virtuelle Räume wie das Metaverse zurückziehen. Da Biodiversität in diesem Fall weniger Nutzen hätte, verlöre sie der obigen Argumentation zufolge auch an Wert.

Es gibt also zahlreiche gute Gründe, der Biodiversität gegenwärtig großen extrinsischen Wert zuzuschreiben. Allerdings sollte man sich bewusst sein, dass dieser Wert nicht in Stein gemeißelt ist. Fleisch könnte schon in wenigen Jahrzehnten vorwiegend aus dem Labor stammen; die meisten Arzneimittel werden schon heute auf chemisch-synthetische Weise hergestellt; und in ihrer Freizeit könnten sich unsere Nachfahren

Einige Ethiker*innen haben angesichts dessen zu zeigen versucht, dass Biodiversität auch in einem intrinsischen Sinne gut ist, also für sich genommen, unabhängig vom Nutzen, den sie hat. Sogar in der UN-Konvention über die biologische Vielfalt heißt es, dass die Vertragsparteien ihren Zielen »im Bewusstsein des Eigenwerts der biologischen Vielfalt« zustimmen würden. Allerdings ist die These vom intrinsischen Wert der Biodiversität philosophisch umstritten – und das wohl zu Recht.

Ganz gleich, ob es um Biologie oder andere Bereiche des Lebens geht, Vielfalt scheint nicht schon für sich genommen wertvoll zu sein. Was etwa sollte daran gut sein, wenn zusätzlich zu schon bestehenden Foltermethoden neue entwickelt werden? Oder wenn eine neue Form von Salmonellen oder Coronaviren das Angesicht der Welt erblickt?

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Ist das alles?
»Niemand kann die Entwicklung der Menschheit zuverlässig vorhersagen.
Wir sollten deshalb den nach uns
Kommenden zumindest die Möglichkeit hinterlassen, naturverbundene Existenzen zu führen.«
Thomas Pölzler

Vielfalt hat nur dann einen Wert, so scheint es, wenn das in vielfältiger Weise Vorhandene selbst wertvoll ist. Konkreter formuliert: Zwei unterschiedliche Arten an Sonetten sind besser als nur eine. Aber zwei unterschiedliche Arten von politischer Repression sind nicht besser als eine.

»Vielfalt ist, so könnte man sagen, ein komplementärer Wert«, schreibt der Philosoph Dieter Birnbacher. »Diversität ist etwas, das den Wert von Dingen erhöht, die bereits gut sind. Ihr Wert hängt damit vom Wert der einzelnen Dinge, die diese Diversität begründen, ab. Wenn die Dinge selbst nicht solchen Wert haben, dann auch nicht ihre Vielfalt.«

Möglichkeiten für die Zukunft

Dass sich der Wert von Biodiversität wohl nur extrinsisch begründen lässt, bedeutet, dass er wesentlich von den Bedürfnissen zukünftiger Menschen und nicht-menschlicher Lebewesen abhängt.

Unter der Annahme einer weitgehend von der Natur emanzipierten Menschheit wird er eher gering sein. Gehen wir hingegen davon aus, dass auch spätere Generationen für bestimmte Versorgungsleistungen, Erfahrungen usw. auf ihr natürliches Umfeld angewiesen sein werden, dann muss der Vielfalt des Lebens ein sehr hoher Wert beigemessen werden.

Diese Abhängigkeit von zukünftigen Bedürfnissen sollte nicht als ethischer Freibrief missverstanden werden. Niemand kann die Entwicklung der Menschheit zuverlässig vorhersagen. Wir sollten deshalb den nach uns Kommenden zumindest die Möglichkeit hinterlassen, naturverbundene Existenzen zu führen. Allein das kann meiner Meinung nach sehr entschlossenes Handeln zum Schutz der Biodiversität begründen, insbesondere in Form von Maßnahmen gegen den Klimawandel. Sogar ausgehend von einer sehr vorsichtigen, konservativen Argumentation sollten wir unser Bestmögliches dafür geben, dass so wenige andere Arten wie möglich das Schicksal des Schwertstörs, des Nyakala-Frosches und des Elfenbeinspechts ereilt. ∙

Thomas Pölzler, Jahrgang 1984,

Mitarbeiter am Institut für Philosophie der Universität Graz; Forschungsschwerpunkte Ethik und Moralpsychologie.

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ist wissenschaftlicher

Schau in die Zukunft

Die STEIERMARK SCHAU 2023 hat sich viel vorgenommen. Das ist gut so, denn es geht um viel, nämlich buchstäblich um die Rettung der Welt. Wie das mit zeitgemäßen Ausstellungen gelingen kann, erzählen die treibenden Kräfte hinter der STEIERMARK SCHAU.

→ Gesprächspartner*innen Wolfgang Paill, Leiter Abteilung Naturkunde & Chefkurator Zoologie am Universalmuseum Joanneum, Alexia Getzinger, Leiterin Tierwelt Herberstein, Alexander Kada, Idee, Konzept und Gestaltung des Pavillons, Christopher Drexler, Landeshauptmann der Steiermark, Astrid Kury, Kuratorin der Ausstellung im mobilen Pavillon (v. l.)

→ Das Gespräch führten Alexandra Reischl und Stefan Schwar im Jänner 2023 in der »Needle« im Kunsthaus Graz.

→ Fotos © UMJ/J. J. Kucek

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Herr Landeshauptmann, die STEIERMARK SCHAU geht heuer in die 2. Runde – was sind Ihre Erwartungen als »Erfinder« dieses Formats?

Christopher Drexler: Den Erfinder muss ich sofort relativieren. Ich habe den Anstoß dazu gegeben, aber wir haben das gemeinsam – vor allem mit Alexander Kada – entwickelt. Als ich das Kulturressort übernommen habe, war rasch klar, dass wir ein neues Format finden müssen, um die Lücke zu schließen, die die früheren Landesausstellungen hinterlassen haben. Mit der STEIERMARK SCHAU rund um den mobilen Pavillon haben wir das passende Format gefunden. Meine Erwartungen sind relativ hoch, weil wir mit dem Thema Vielfalt des Lebens ein großartiges Generalthema gefunden haben, das wirklich am Puls der Zeit ist. Wir haben mit der Tierwelt Herberstein einen prächtigen Haupt aus stellungs ort und ich freue mich, dass das Haus der Biodiversität dort entsteht, was ja auch eine nachhaltige Investition darstellt.

Herr Paill, was erwarten Sie sich als Naturwissenschafter von dieser STEIERMARK SCHAU?

Wolfgang Paill:

Ich bin sehr glücklich, dass wir dieses Thema rund um Nachhaltigkeit und Biodiversität heuer wählen konnten, weil wir uns neben der bereits gut in der Öffentlichkeit bekannten Klimakrise auch in einer erheblichen Biodiversitätskrise befinden. Es ist entscheidend, dass wir da nachlegen und möglichst viele Besucherinnen und Besucher nach Herberstein bringen, um ihnen dort die Zusammenhänge näherzubringen. Wir wollen dieses Thema in die breite Öffentlichkeit tragen und positive Emotionen auslösen, um die Menschen dafür zu sensibilisieren und zum Nachdenken darüber anzuregen, was sie tun könnten, um dieser Krise entgegenzutreten.

Frau Getzinger: Welchen kurzund langfristigen Impact auf die Tierwelt und ihre unmittelbare Umgebung erwarten Sie sich von der STEIERMARK SCHAU?

Alexia Getzinger:

Ich sehe in der STEIERMARK SCHAU eine gute Gelegenheit, unseren Bildungsauftrag zu erweitern. Je mehr Menschen – vor allem auch Kinder und Jugendliche – die Tierwelt Herberstein und das Haus der Biodiversität besuchen, desto besser schaffen wir es, dass Verständnis für Flora und Fauna und die einzelnen Arten geweckt wird. Es geht also ganz stark um Sensibilisierung und um ein Bewusstmachen des Gegenübers: In unserem Fall sind das fast 700 Tiere, die man in Herberstein in einer naturnahen Umgebung erleben kann. Mit dem Haus der Biodiversität haben wir übrigens auch den ersten IndoorAufenthaltsort in unserem Areal. Das gab es bislang nicht.

Frau Kury, in der STEIERMARK SCHAU gibt es neben den naturwissenschaftlichen Themen auch einen starken Bezug zur Kunst. Wie können Kunst und Forschung zusammenarbeiten bzw. welche Rolle kommt der Kunst

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Wolfgang Paill & Alexia Getzinger Christopher Drexler & Astrid Kury

bei aktuellen Fragestellungen und Problemen wie der Klimakrise zu?

Astrid Kury: Für die Vermittlung von gesellschaftlich relevanten Themen ist die Zusammenarbeit zwischen Kunst und Forschung sehr fruchtbringend. Am Anfang standen Gespräche mit Personen, die für die Internationalität der Steiermark stehen, sowohl im Kunst- als auch im Wissenschaftsbereich. Wir haben mit dem Institut für Weltraumforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften einen enorm renommierten Partner. Das IWF ist an vielen internationalen Weltraummissionen beteiligt. Die nächste startet im April 2023: JUICE (JUpiter ICy moons Explorer), die erste Mission der ESA ins äußere Sonnensystem, untersucht unter anderem die Eismonde des Jupiters auf mögliche Lebensräume. Mit dem IWF landete die Steiermark sogar auf der Oberfläche des Saturnmondes Titan: Ein vom IWF gebautes Mikrofon nahm die Windgeräusche während der Abstiegsphase auf. So weit hinaus und noch weiter, nämlich bis zu den Exoplaneten, wollen wir auch mit der STEIERMARK SCHAU. Dazu gibt es, ebenso international und mit Steiermark-Bezug, Kooperationen mit Künstlern, wie etwa mit dem Art, Culture and Technology Programme

am MIT. Alle diese Forschungsprojekte können nur in internationaler Zusammenarbeit stattfinden. Nur im Zusammenwirken über Grenzen hinweg können wir die aktuell so wichtigen Veränderungen in Gang setzen.

Alexander Kada, Sie zeichnen auch heuer wieder für die Konzeption und Architektur des Pavillons verantwortlich. Wie ist die Idee des heurigen Pavillons entstanden und was sind seine charakteristischen Merkmale?

Alexander Kada:

Der Künstler Douglas Gordon hat einmal gesagt: »Kunst ist ein Angebot, über die wesentlichen Dinge des Lebens mit den Menschen ins Gespräch zu kommen.« Das ist, denke ich, auch ein Credo des mobilen Pavillons. Mit diesem Format haben wir auch etwas Einzigartiges in Europa entwickelt, nämlich einen idealen mobilen Museumsraum. Zentral ist dabei die Bespielung des öffentlichen Raums, wodurch sofort verständlich wird, dass es sich um eine große Ambition handelt: Ein Museum tritt aus seinen angestammten Räumen heraus und erweitert seine Präsentationsfläche in den öffentlichen Raum. Ein wesentliches Merkmal dabei ist, dass es sich um ein Open-AirMuseum handelt. Wir reden dabei von einer Grundfläche von 700 m2 und einem darüber schwebenden Dach, was auch technisch eine Herausforderung für Architekturplanung und die Ziviltechnikerleistungen unter der Leitung von Architekt Gerhard Mitterberger war. Unter diesem Dach befindet sich ein großes Oval, das einen spektakulären Raum für filmische Projektionen bietet. Wir haben

eine 30 Meter lange und 5 Meter hohe Leinwand, wobei wir auch auf den Boden projizieren können. So werden die Besucher selbst zu einem Teil des Gezeigten.

Wie ist es zum Thema Biodiversität und zum Titel »Vielfalt des Lebens« gekommen?

Alexia Getzinger: Klimaschutz und Biodiversität sind in aller Munde. Das Thema liegt also in der Luft. Aus diesem Grund hat auch der damalige wissenschaftliche Geschäftsführer Wolfgang Muchitsch seine Fühler in die wissenschaftliche Community ausgestreckt. Zum Glück gibt es ja am Universalmuseum Joanneum auch die Abteilung Naturkunde, die von Anfang an eingebunden war, und so haben wir uns auf das Thema und den Titel geeinigt.

Christopher Drexler:

Die Natur hat sich im Laufe der Jahre und Jahrzehnte verändert, fort- und weiterentwickelt und hält eine unglaublich faszinierende Vielfalt bereit, die sich in der Steiermark in ganz besonderer Weise zeigt. Aber gerade jetzt sind auch die Herausforderungen aller Generationen im Umgang mit den Lebenswelten von Mensch und Tier so groß wie nie zuvor. Deswegen widmen wir die STEIERMARK SCHAU auch gerade diesem Thema, das so zukunftsweisend ist und gleichzeitig zeigt: Wir haben den Auftrag, unsere bunte und vielfältige Heimat zu schützen und zu bewahren. Die Faszination, Bedeutung und Bedrohung der Biodiversität wollen wir aufgreifen, reflektieren und die Besucherinnen und Besucher auf die großen und kleinen Wunder unserer Natur und ihren Schutz hinweisen. ↘

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Alexander Kada

Warum ist Biodiversität auch für uns Menschen so wichtig? Oder reicht es, wenn wir den Ausstieg aus den fossilen Energieträgern schaffen, um eine große Krise zu verhindern?

Wolfgang Paill:

Wir haben mit Klima- und Biodiversitätskrise zwei simultane Krisen, die wir auf gleicher Ebene behandeln müssen, wobei die Biodiversitätskrise sogar an erster Stelle steht. Wenn wir Maßnahmen setzen wollen, dann müssen daraus parallele Auswirkungen entstehen. Wenn man etwa Lebensräume wie Moore, Wiesen oder Wälder schützt, dann ist eines klar: Je extensiver derartige Lebensräume bewirtschaftet werden, umso größer ist auch der Benefit aus klimatechnischer Sicht. Natürlich sind wir auch angehalten, unsere Energieproduktion auf erneuerbare Energien umzustellen, wobei man da auch differenzieren sollte. Ein Flusskraftwerk liefert regenerative Energie, hinsichtlich Biodiversität ist es hingegen meist nicht nachhaltig. Insbesondere dann, wenn der letzte freifließende Abschnitt eines großen Tieflandflusses verbaut wird.

Wenn Tierarten aussterben –welche Auswirkungen hat das?

Wolfgang Paill:

Wenn einzelne Arten aussterben, dann kann man die Folgen nur schwer einschätzen. Entscheidend ist, dass jeder Organismus im ökologischen Netzwerk eine Funktion innehat. Diese Funktionen sind in gesunden Ökosystemen mit vielen Arten sehr gut abgesichert. Da gibt es Funktionen, die können mehrere Arten ausüben. Allerdings sind wir mittlerweile so weit, dass in der

Steiermark 50 bis 60 Prozent aller Arten gefährdet sind. Das heißt, viele Funktionen können nicht mehr in der vollen Breite abgedeckt werden – wie ein Netz, das immer löchriger wird. Und da sprechen wir von ganz zentralen Funktionen, etwa die Bereitstellung von Nahrung für uns Menschen. Deswegen ist es wichtig, auf jeden einzelnen Player zu achten, weil wir nicht wissen, wann und an welchen Stellen dieses Netz reißen kann.

Es ist also nicht so, dass die Natur diese Verluste automatisch kompensieren wird und man sich eigentlich keine Sorgen machen muss …

Wolfgang Paill: Nein, so ist das natürlich nicht! Wir Menschen greifen mittlerweile so stark in die Systeme ein, dass wir absolut an die Grenzen kommen. Die Auswirkungen sind so multifak-

toriell, dass man sich das ja gar nicht ausmalen kann. Dass die Temperatur ansteigt, ist ja fast eine triviale Beobachtung, aber welche Folgewirkungen hat das? Die Organismen sind ja an ganz bestimmte Bedingungen angepasst. Die können nicht einfach anders agieren, als sie es aus der Evolution heraus »gelernt« haben.

An dieser Stelle eine Frage an alle: Welchen Impact kann eine solche Ausstellung vor dem Hintergrund der Klima- und Biodiversitätskrise haben?

Christopher Drexler: Das Thema ist einerseits eine Liebeserklärung an unsere Heimat in all ihrer Schönheit und Buntheit. Gleichzeitig ist sie Auftrag, die »Vielfalt des Lebens« aus wissenschaftlicher und künstlerischer Sicht zu betrachten und auch auf die Bedrohungen hinzuweisen. Das Thema ist

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nicht nur in der Steiermark wichtig. Wir sehen weltweit ein Artensterben, das Schmelzen von Gletschern und Eisbergen oder Naturgewalten nie vorhergegangenen Ausmaßes. Es ist daher höchst an der Zeit, darauf hinzuweisen, dass wir alle, jeder und jede Einzelne von uns, etwas dazu beitragen können, um diesen Problemen zu begegnen.

Alexia Getzinger:

Es geht darum, diese Entwicklungen sichtbar zu machen und auf die Probleme hinzuweisen. Das Netz ist da ein sehr schönes Bild: Was passiert, wenn dieses Netz immer löchriger wird? Und was kann ich als Einzelner tun, welche Möglichkeiten habe ich?

Alexander Kada:

Es gibt zusätzlich noch ein Metathema, nämlich die Bedeutung von Wissenschaft und Forschung deutlich zu machen. Wir beschäftigen uns im Pavillon mit künstlerischer und wissenschaftlicher Forschung und führen beide zueinander. Der mobile Pavillon ist ja auch selbst eine Art Forschungsstation, in der man mögliche Ausstellungsformen der Zukunft ausprobiert.

Welche Formen der Präsentation braucht es, um die Komplexität des Themas Biodiversität adäquat abzubilden?

Alexander Kada: Es geht hauptsächlich um das Medium Film. Animationen, bewegte Bilder und auch akustische Konzepte bieten wirklich gute Möglichkeiten, diese Inhalte präzise, kurz und emotionsgeladen zu präsentieren.

Astrid Kury:

Ganz generell bietet der Raum für die Künstler die Gelegenheit,

Dinge auszuprobieren, für die man sonst weder den Raum noch die Mittel hat. Das macht den Pavillon auch zu einem Treiber von Innovation im Kunstbereich. In diesem experimentellen Setting werden Verbindungen geknüpft, zwischen Künstlern und Wissenschaftern ebenso wie etwa zwischen bildender Kunst und zeitgenössischer Komposition. Das Zusammenführen von Forschungsmethoden, Genres und Akteuren befördert unterschiedliche Formen der Kooperation, und die ist das Wesentliche der Produktion.

Das alles passiert gewissermaßen am Rand des Vorstellbaren, in beiden Bereichen. Wie wird sich diese Kooperation zwischen Kunst und Wissenschaft in Zukunft bei der Vermittlung solcher komplexen Inhalte auswirken?

Astrid Kury:

Zeitgenössische Kunst wird vom breiten Publikum oft als unverständlich empfunden. In der Zusammenarbeit mit der Forschung ist sie jedoch ganz offensichtlich eine wunderbare Ergänzung, die noch einmal eine ganz andere und vor allem sinnliche Perspektive dazu eröffnet. Am IWF herrscht großes Interesse an der zeitgenössischen Kunst, weil sie sich ebenso wie die Weltraumforschung am Rand des Vorstellbaren bewegt und mit Entdeckungsfreude ins Unvorstellbare blickt. Wie kann man sich dem Unvorstellbaren nähern, das ist die zentrale Frage der Ausstellung, in einer Gegenwart, in der die Zukunft so unvorstellbar anders sein wird – und sein wird müssen, damit doch einiges so bleiben kann, wie es ist. Kunst schärft die Wahrnehmung, sie lehrt uns,

bewusster zu sehen oder zu hören. Im Kontext dieser Ausstellung geht es auch sehr um eine Sensibilisierung für die Schönheit dessen, was uns umgibt. Wir konzentrieren uns ja auf die Luft- und Wetterphänomene. Aber auch beim Erhalt von Ökosystemen stellt sich bei näherer Beobachtung heraus, dass wir das Schöne, wie es die Natur bietet, notwendig brauchen. Es geht nicht nur um die sogenannten Ökosystemdienstleistungen, was ein doch recht irritierendes Konzept ist, sondern es braucht auch diese Nahrung für die Seele, wie sie intakte Naturräume bieten. Die Faszination der Schönheit in der Natur ist wichtig und dieser Faszination berauben wir uns gerade.

Wie bringt man die Komplexität dieses Themas eigentlich Kindern am besten näher?

Astrid Kury:

Da passt der Rand des Vorstellbaren wieder gut dazu: Wir haben Kinder zum Mitmachen eingeladen, denn als Kind ist man beständig mit dem Entdecken von Neuem beschäftigt und mit dem noch Unbekannten konfrontiert. Aber viel zu selten werden Kinder auf Augenhöhe in die Gestaltung der Zukunft eingebunden, und viel zu wenig spielen sie auch eine Rolle in der Kunst oder in Ausstellungen. Sie sind es schließlich, die letzten Endes in einer massiv veränderten Zukunft leben werden. Wir haben sie daher eingeladen, gedanklich über die Atmosphäre hinaus ins All zu wandern. Dabei beginnen sie zu philosophieren: Sie sagen uns, was sie schön finden auf der Erde und was sie einer außerirdischenLebensform zeigen wollten.

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Dieses von großem Respekt getragene Einbinden der Kompetenz von Kindern ist ein Anliegen der Ausstellung.

Was können wir als Erwachsene jetzt noch tun bzw. was tun Sie konkret in Ihrem Umfeld, um den Entwicklungen entgegenzuwirken?

Wolfgang Paill:

Jeder muss beziehungsweise sollte etwas tun! Das reicht von »Klassikern« wie etwa der Mäßigung des eigenen Konsums, auch beim Verzehr von Fleisch, bis zur Reduktion und Umstellung des eigenen motorisierten Verkehrs. Ich fahre beispielsweise seit einiger Zeit nur mehr mit 100 km/h auf der Autobahn.

Alexia Getzinger:

In der Tierwelt Herberstein fragen wir uns auch ganz konkret, was wir als Institution beitragen können. Es gibt so viele Möglichkeiten, auf das Lebendige hinzuweisen, vom Käfer in der Feistritzklamm bis hin zu unseren exotischen Tieren aus allen Kontinenten.

Im Tierpark gibt es so viel zum Angreifen: zum Beispiel den Streichelzoo, wo Kinder aus dem urbanen Raum oft erstmals mit Tieren in Berührung kommen. Die kommentierten Fütterungen bieten von Raubkatzen bis zu Primaten ein spannendes und lehrreiches Vermittlungsprogramm.

Was die Frage des eigenen Beitrags betrifft: Wir können nur Vorbild für unsere Kinder sein.

Alexander Kada:

Deswegen ist es ja auch so wichtig –wie vorher angesprochen –, Inhalte über das Medium der Schönheit zu kommunizieren. Der Appell an die Vernunft reicht nicht aus, man muss die emotionale Ebene erreichen.

Christopher Drexler:

Jeder und jede Einzelne von uns ist Teil eines großen Ganzen. Wenn in einem (Öko-)System Rädchen wegfallen, gerät das gesamte System ins Stottern, bis es sich nicht mehr bewegt. Jeder kann etwas dazu beitragen, dass in einem System alle Rädchen (weiter-)laufen. Und die Steiermark ist, wie jede Steirerin und jeder Steirer, Teil dieses Geflechtes. Wir waren etwa das erste Bundesland, das ein Klimakabinett eingerichtet und damit wichtige Impulse in diese Richtung gesetzt hat. Wir arbeiten über Ressortgrenzen hinweg – ich denke da an den Ausbau der erneuerbaren Energien, die Europaschutzgebiete, den Nationalpark Gesäuse –, um die Steiermark fit für die Zukunft zu machen.

Machen wir noch einmal einen Schwenk zum Tierpark: Zoos sind ja nicht ganz unumstritten. Welche Rolle kommt den Tierparks und Zoos im Rahmen des Artenschutzes und der Biodiversität zu?

Alexia Getzinger:

Astrid Kury:

Man kann im persönlichen Bereich natürlich viel machen und das wird ja auch gar nicht mehr anders gehen, wenn man einmal sensibilisiert ist für die Dramatik des Klimawandels und des Aussterbens so vieler Lebewesen. Es ist aber auch eine politische Angelegenheit, denn es sind Probleme, die wir nicht alleine lösen können. Es braucht den Druck möglichst vieler Menschen, damit politisch Maßnahmen gesetzt werden. Es ist natürlich schön, wenn wir in der Steiermark etwas verändern können, aber es ist klar, dass es sich um eine Krise des gesamten Planeten handelt.

Artenschutz ist natürlich eine ganz entscheidende Funktion in einem modernen Tierpark. Die Tierwelt Herberstein nimmt an 20 Artenschutzprogrammen teil, etwa am EEP, dem European Endangered Species Program. Dazu kommen mit dem Habichtskauz-Projekt und dem Weißen Barockesel noch zwei österreichische Zuchtprogramme. Möchten wir eine neue Tierart, zum Beispiel Giraffen, bei uns ansiedeln, ist die erste Aufgabe, mit der Zuchtkoordination Kontakt aufzunehmen und ein artgerechtes Umfeld für eine Verpartnerung oder eine Vergesellschaftung im Zoo zu schaffen. Das alles passiert international in einem riesigen Netzwerk, das nur ein Ziel kennt:

den Erhalt der genetischen Vielfalt. Zoologische Gärten haben das Ziel, als Tier ­ , Natur ­ und Artenschutzinstitution ihre Expertise der Wissenschaft und der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen.

40 STEIERMARK SCHAU

Wolfgang Paill:

Ich sehe auch eine Berechtigung für Tierparks. Das ist zum einen das Beobachten von Tieren, die man vielleicht nur von Bildern kennt. Das andere ist das Naturerlebnis selbst, gerade in einem so schönen Ambiente wie in Herberstein. Und dann gibt es auch noch diesen wissenschaftlichen Hintergrund, wo es um einen Beitrag zum Erhalt der Arten geht.

Was bleibt von der STEIERMARK SCHAU nach dem Ende am 5. November?

Wolfgang Paill:

Das, was wir dafür aufgebaut haben, wird so bleiben, wie es ist, vor allem auch das Haus der Biodiversität. Wir wollen auch das Rahmenprogramm weiterführen, auch in enger Vernetzung mit dem Naturkundemuseum in Graz, und wir wollen auch die Forschung aufrechterhalten bzw. ausbauen: Es ist geplant, eine Beobachtungsstätte aufzubauen, um die Biodiversität über einen längeren Zeitraum beobachten zu können.

Christopher Drexler:

Am meisten würde es mich freuen, wenn die Menschen, die nach Herberstein kommen oder den mobilen Pavillon besuchen, etwas für sich mitnehmen können und die STEIERMARK SCHAU damit nachhaltig Spuren hinterlässt. Man könnte sagen:

Von der STEIERMARK SCHAU soll das Bewusst sein um die Schönheit und Buntheit der Vielfalt des Lebens, aber auch das Wissen um die Herausforderungen, denen es zu begegnen gilt, bleiben. Und die Besucherinnen und Besucher sollen von der Vielfalt des Lebens, die sich in Herberstein so wunderbar präsentiert, erzählen und gerne wiederkehren an diesen wunderschönen Ort, der auch Erholung für Körper und Seele bietet.

2023 41

Vielfalt des Lebens

29.4. – 5.11.2023

Tierwelt

Unter dem Titel »Vielfalt des Lebens« stellt die STEIERMARK SCHAU 2023 die Erhaltung der Arten- und Lebensraumvielfalt sowie Maßnahmen gegen den Klimawandel als große Herausforderungen der Gegenwart in den Mittelpunkt. Einen Bogen vom Regionalen zum Planetaren spannt der mobile Pavillon und sensibilisiert für das, was uns selbstverständlich umgibt: Atmosphären.

→ Ticketpreise gelten für Tierwelt Herberstein inkl. STEIERMARK SCHAU 2023 (zusätzlich Gratis - Eintritt ins Naturkundemuseum in Graz)

→ Näheres zum Programm der STEIERMARK SCHAU 2023 finden Sie unter: steiermarkschau.at/programm

→ Buchen Sie Ihr Online -Ticket unter: ticket.tierwelt- herberstein.at

Jahre)

unter 3 Jahren Eintritt frei

Führung durch das »Haus der Biodiversität« (Termine auf Anfrage), Kinder gratis 2,50 €

Mobiler Pavillon

Eintritt frei

Weitere Infos finden Sie hier: steiermarkschau.at/ihr-besuch

steiermark_schau Steiermark Schau Tickets Preis Erwachsene 19,50
Kinder 9,50
Senior*innen, Studierende, Jugendliche
Herberstein STEIERMARK SCHAU
(16 – 18
16,50
Kinder
STEIERMARK SCHAU 42

Mobiler Pavillon

Haus der Biodiversität

Täglich geöffnet

forschung

Das Haus der Biodiversität lädt dazu ein, die Wunder und die zahlreichen Leistungen der Naturvielfalt zu bestaunen und zu entdecken.

Was ist Biodiversität, welche Bedeutung hat sie für uns und ist sie in Gefahr?

Die Menschheit steht an einem Punkt, an dem sich vieles ändern muss. Der Blick in den Himmel war schon immer verbunden mit der Frage nach der Verortung des Menschen in der Welt – woher wir kommen, wer wir sind und wohin wir gehen. Mit Kunst, Klima- und Weltraumforschung eröffnet die Ausstellung im Pavillon neue und ungeahnte Perspektiven. Wer sind wir im Verhältnis zur Natur, zur Vielfalt des Lebens? STEIERMARK SCHAU 43
Europaschutzgebiet Feistritzklamm/Herberstein
Haupteingang Eingang Zebra Stubenberg→
karooh.com
← Graz / Wien

STEIERMARK SCHAU 2023

Haus der Biodiversität

Herberstein-Relief

Netzwerk Wald

Arena der Lebensräume

Panorama Feistritzklamm

Forschungsmobil

Mobiler Pavillon

Haupteingang/Eingang Zebra

Ausgang

Ticketautomat

E-Tankstelle

Streichelzoo Shop

Gastronomie

Kinderspielplatz

Auditorium WC

Barrierefreies WC

Gartenschloss Herberstein

Historischer Garten

Parkplatz

Steigungen – Gefälle

Feistritzklamm/Herberstein

Weg der Vielfalt

Täglich geöffnet

Der Weg der Vielfalt verbindet ausgewiesene Naturschauplätze. Lesesteine und Blumenschilder dienen der Orientierung und weisen auf Besonderheiten hin.

Herberstein­Relief

Das begehbare Relief vor dem Eingang zur Tierwelt verortet das Haus der Biodiversität und die Naturschauplätze entlang des Weges der Vielfalt und unterstreicht den landschaftlichen Reiz des Gebietes.

Netzwerk Wald

Die Komplexität eines biologischen Netzwerkes zieht Besucher*innen in ihre Mitte. Eine ringförmige Installation aus 33 Holzstelen zeigt ein 360°-Wimmelbild, das biologische Zusammenhänge und Abhängigkeiten innerhalb eines Waldökosystems in Form einer bunten Collage visualisiert.

Arena der Lebensräume

Die wichtigsten heimischen Großlebensräume werden auf den Sitzflächen der Arena vorgestellt, insbesondere deren Funktion, Gefährdung und Schutzstrategien zur Erhaltung. Die Architektur lädt dazu ein, unterschiedliche Sichtweisen und Positionen zu diskutieren.

Panorama Feistritzklamm

In Kammlage an einer der höchsten Stellen im Gelände der Tierwelt Herberstein bieten eine Aussichtsterrasse und ein etwa sechs Meter hoher Turm einen neuen Blick auf die Natur- und Kulturlandschaft von Herberstein. Es öffnet sich ein Blick auf urwaldartige Alteichen, Schlucht- und Hangmischwälder sowie Felstrockenrasen der Feistritzklamm. Diese wertvollen Strukturen können mit einem Blick durch Erlebnis-Ferngläser genau betrachtet werden.

Forschungsmobil

Am Fuß des Schlossfelsens von Herber stein befindet sich die mobile Forschungsstation. Sie beherbergt verschiedene Geräte zur Untersuchung und Beobachtung der biologischen Vielfalt. Gruppen und Einzelpersonen können hier zu bestimmten Zeiten in Form von Workshops betreut arbeiten. Das Mobil liefert aber auch Anregungen für selbstständiges Forschen.

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Tierwelt Herberstein

Täglich geöffnet

Tierische Abenteuer in der Tierwelt Herberstein!

Genießen Sie die Natur und tauchen Sie ein in die Welt der Tiere! Bei den kommentierten Fütterungen erfahren Sie Interessantes und Lehrreiches über deren Lebensgewohnheiten.

Unternehmen Sie einen Spaziergang quer durch alle Kontinente und erleben Sie heimische und exotische Tiere in einer malerischen Landschaft. Auch Ihr vierbeiniger Freund ist bei uns standstein für Ihr leibliches Wohl. Für Ihr Lieblingstier können Sie eine Patenschaft übernehmen oder verschenken. Für Auskünfte kontaktieren Sie uns bitte

Gartenschloss

Schlossführungen:

täglich

Spüren Sie die Geschichte hautnah im Gartenschloss Herberstein. Das majestätische Bauwerk führt durch 700 Jahre Familiengeschichte. Im historischen Rosengarten stehen Blühen, Duften und Staunen am Programm. Lassen Sie sich verzaubern von der einzigartigen Schönheit der Pflanzenwelt.

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→ Unsere Tipps kommen vom Umwelt- Bildungs -Zentrum

Steiermark, mehr Infos: ubz - stmk.at

Heimspiel

Sommerflieder oder Goldrute werden oft als insektenfreundlich angepriesen – dabei sind diese Neophyten alles andere als umweltverträglich. Sie breiten sich stark aus und verdrängen heimische Pflanzen. Zudem dienen sie zwar als Nektarquelle, sind jedoch als Fraßpflanze für Schmetterlingsraupen ungeeignet. Also lieber heimische Blüher wie Blutweiderich, gewöhnlichen Wasserdost oder echten Baldrian im Garten einsetzen.

Wildes Eck

Die besten Tipps, wie Sie mehr Biodiversität in Ihren Alltag bringen. So wird’s bunt im Garten und am Balkon

Treiben Sie es wild: Ein sogenanntes Wildniseck im Garten in Form von dornigen Sträuchern, hohem Gras und Brennnesseln fördert das Tierleben. Ein Asthaufen bietet Zaunkönig, Laufkäfern und Igeln Schutz – diese danken es, indem sie zum Beispiel die rote Wegschnecke im Zaum halten.

Bienen­Bar

Etliche Wildbienenarten haben oft nur wenige hundert Meter Flugradius – zusätzlich zu Futter (heimischen Blühpflanzen) sollten daher auch Wasserstellen im Garten oder auf dem Balkon angeboten werden. Aber bitte regelmäßig (mindestens einmal pro Woche) vollständig austauschen, damit sich dort keine Stechmückenlarven vermehren können.

Samenfest

Kaufen Sie Saatgut von alten, in Vergessenheit geratenen Sorten – und das bitte nur samenfest, also keine F1-Hybridsamen. So tragen Sie zum Erhalt der genetischen Vielfalt bei und die Pflanzen bleiben anpassungsfähiger, was Trockenheit, Schädlingsbefall oder Krankheiten betrifft.

Zweite Chance

Recycling, einmal anders: Obst- und Gemüsereste müssen nicht immer in der Biotonne landen, viele treiben nochmals aus, wenn sie in die Erde gesteckt werden. Dazu zählen zum Beispiel Karotten, ausgetriebene Kartoffeln, Lauch, Frühlingszwiebeln, Knoblauch, Salatblätter und vieles mehr.

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Biodiversität, gebloggt

Waste no Thyme Nachhaltig in Graz

Lokal orientierte Website mit wertvollen Tipps zum nachhaltigen Leben und dazu passenden Projekten in und um Graz sowie spannenden Blogbeiträgen zu Klima, Ernährung, Garten und vielem mehr.

Die Wienerin Ulrike bloggt über einfache, vegane und saisonale Rezepte und simple Eco-Hacks für den Alltag. Sie zeigt, dass man sich für ein nachhaltiges Leben viel weniger verbiegen muss, als man oft glaubt.

Natur im Garten

Das Kompetenzzentrum in Tulln bietet auf seiner Website ein vielfältiges Angebot mit Gartentipps, Veranstaltungen, Beratung und natürlich auch einem Blog. Die Beiträge greifen aktuelle Themen auf und machen Lust auf mehr Biodiversität im eigenen Garten.

Der AntiWegwerf­Blog

Die Autorin Elisabeth ist im »richtigen Leben« Abfallberaterin in Oberösterreich. Sie postet jedes Wochenende Tipps, wie man Abfall vermeiden kann.

Mami rocks

Ein Blog für Familien, die ihr Leben nachhaltiger gestalten wollen: Auf Deutsch und Englisch wird hier alles behandelt, was Spaß macht: Reisen, Yoga, gutes Essen und Bio-Lebensmittel.

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nachhaltig-in-graz.at
mamirocks.com antiwegwerfblog.blogspot.com wastenothyme.com blog.naturimgarten.at
Die besten Blogs rund um das Thema Biodiversität und Nachhaltigkeit

Sie möchten noch tiefer eintauchen in die Welt der Biodiversität und Nachhaltigkeit und sich aktuelle

Tipps holen, was Sie für die Zukunft des Planeten unternehmen können? Wir haben die besten Blogtipps zusammengestellt.

Nachhaltig kann auch ästhetisch sein: Das beweist dieser Blog rund um Fashion, Beauty und EcoLifestyle. Das Online-Magazin ist gut gegliedert und ansprechend gestaltet.

peppermynta.de

Nachhaltig 4 Future

Auf diesem Blog finden sich zahlreiche Inhalte rund um das Thema Nachhaltigkeit, mit Tipps und Inspirationen für einen umweltfreundlichen Alltag und eine saubere und gesunde Zukunft auf unserer Erde. Mehr dazu gibt es auch in der dazugehörigen FacebookGruppe »Nachhaltigkeit im Alltag«.

nachhaltig4future.de

Mutter Erde

Mutter Erde ist ein Zusammenschluss des ORF und der führenden Umwelt- und Naturschutzorganisationen Österreichs – Alpenverein, BirdLife, GLOBAL 2000, Greenpeace, Naturfreunde, Naturschutzbund, VCÖ und WWF. Jedes Jahr wird ein anderes relevantes Umweltthema ins Zentrum der gemeinsamen Aktivitäten gestellt.

muttererde.at

Rezeptideen, DIY-Anleitungen für plastikfreie Pflegeprodukte wie selbstgemachte Seifen und Tipps für ein Zero-Waste-Leben findet man auf diesem übersichtlichen und praxisnahen Blog.

zerowaste-laden.at

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Zero ­Waste ­Laden Peppermynta

Von Helden, Einsiedlern und flotten Käfern

Der Hirschkäfer ist eine besonders imposante Erscheinung.

→ Text Alexandra Reischl

→ Fotos © UMJ/J. J. Kucek, Tierwelt

Herberstein, W. Aurenhammer, Gernot

Kunz, Emanuel Trummer - Fink

52 STEIERMARK SCHAU

Die Superkäfer aus der Feistritzklamm

Wer hätte das gedacht: Totes

Die 115 Hektar große Feistritzklamm wurde als erstes österreichisches »Europaschutzgebiet« ausgewiesen.

Ein Glück, dass es rund um die Tierwelt Herberstein so viel davon gibt. Denn das ist einer der Gründe, warum in diesem relativ kleinen Gebiet mittlerweile mehr als 2.200 Arten von Käfern nachgewiesen werden konnten. Und darunter sind sogar echte Superhelden – extrem seltene Exemplare, die teilweise österreichweit noch an keinem anderen Ort nachgewiesen werden konnten.

Gemeinsam mit einem Fachmann begeben wir uns auf die Suche nach den Superkäfern rund ums Feistritztal. Emanuel Trummer-Fink ist Biologe mit dem Schwerpunkt Pflanzensoziologie und Zoologie, Europaschutzgebietsbeauftragter und kennt die Gegend daher wie seine Westentasche. 115 Hektar umfasst sein Territorium, und dieses gar nicht so große Areal zeichnet sich vor allem durch eines aus: Vielfalt.

Denn auf sehr kleinem Raum findet man die unterschiedlichsten kleinklimatischen Zonen – und somit auch einen unglaublich reichen Schatz an verschiedenen Pflanzen und Tieren. Nicht zuletzt findet man hier eine Vielzahl seltener Käfer – ein Umstand, der mit dazu beigetragen hat, dass dieses Gebiet als erstes in Österreich als »Europaschutzgebiet« ausgewiesen wurde. Dieser Titel zeichnet das Gebiet als Naturrefugium mit internationaler Bedeutung aus. ↘

53 2023
→ Emanuel Trummer - Fink
Holz ist gutes Holz – zumindest
wenn man es aus der Perspektive zahlreicher Käfer, Fledermäuse und anderer mittlerweile immer seltener werdenden Tierarten betrachtet.

Das große Krabbeln

Am Wolfsgehege vorbei geht es in einen abgezäunten Sektor mit immer weniger Baumbestand. An der Kuppe bietet sich ein atemberaubender Blick über das Feistritztal. Mitten in dem üppigen Grün, auf einem Felsen, thront majestätisch Schloss Herberstein. »Hier oben ist es warm und sehr trocken, hier findet man Trockenrasen und nur vereinzelt verkrüppelte Bäume oder Büsche.« Unwirtlich sieht das aus – und doch gibt es eine Vielzahl von Tierchen, die sich hier wohlfühlen. Sogar dieser Silikat-Magerrasen beherbergt eine reichhaltige Käferfauna. Ein typischer Bewohner ist zum Beispiel der Blumenbock, ebenso vertreten sind besonders seltene Lauf- und Rüsselkäfer.

Um den Helden der Käferwelt zu Gesicht zu bekommen, müssen wir die alten Eichen am Oberhang genau unter die Lupe nehmen.

Denn hier findet man den Heldbock; er ist das größte Urwaldrelikt aus der Familie der Bockkäfer

und kämpft hier in der Feistritzklamm, seinem letzten Refugium in der Steiermark, tapfer ums Überleben. Mit fast sechs Zentimetern Körperlänge und einer Fühlerspannweite bis zu 20 Zentimetern macht er seinem Namen alle Ehre. »Dass dieser seltene Käfer hier eine vitale Population aufbauen konnte, liegt nicht zuletzt am jahrhundertealten Eichenbestand des Tierparks – denn dort legen die Tiere ihre Eier ab«, erklärt Trummer- Fink. Die uralten Baumriesen und die sonst kaum vorkommende Menge an Totholz verleihen manchen Stellen in der Klamm Urwaldcharakter und machen sie so zu einem der wertvollsten Lebensräume unseres Landes. Allein auf und in Eichen können bis zu 900 verschiedene Käferarten leben. »Und das Totholz ist einer der wichtigsten Faktoren für Biodiversität«, bestätigt der Botaniker. Und Lebensraum für den Helden von Herberstein.

54 STEIERMARK SCHAU
Im Frühling zaubert die HerbersteinPrimel rosa Tupfen auf den Felsen. Der Heldbock zählt zu den spektakulärsten heimischen Käfern. Heldböcke nutzen die vielen Eichen als Brutbäume.

Der größte und stärkste Käfer in Herberstein ist wohl der Hirschkäfer – bis zu neun Zentimeter lang kann er werden und somit ist er der größte Käfer Mitteleuropas. Die Larven entwickeln sich in morschen Laubbaumstrünken, bis zu acht Jahre dauert es, bis sich aus dem Ei ein prächtiger Hirschkäfer entwickelt hat. Das geht natürlich nur in einem Gebiet wie Herberstein, wo über einen so langen Zeitraum keine Eingriffe in seinen Lebensraum

Tausende seltene Arten

erfolgen – somit erklärt sich auch, warum man diesen Käfer anderswo nur selten zu Gesicht bekommt.

Zwar nur 15 Millimeter lang, aber wunderschön zinnoberrot gefärbt zeigt sich das Topmodel unter den Krabbeltieren, der Scharlachkäfer. Er braucht das Totholz, um zu überleben, und zählt aufgrund falsch verstandener »Pflegemaßnahmen« in unseren Wäldern zu einer stark bedrohten Art. Ein zurückgezogenes Leben führt ein

weiterer, europaweit sogar prioritär geschützter Geselle. Der Eremit lebt vor allem in Höhlen stehender alter Laubbäume und führt dort ein verstecktes Dasein. Seinen Namen trägt er mit vollem Recht, nur 15 Prozent der Käfer verlassen überhaupt jemals die Bruthöhle. Mit rund drei Zentimetern Länge und einer eher gedrungenen, plumpen Gestalt ist der Eremit zwar weniger spektakulär als seine Artgenossen, aber mindestens ebenso selten. ↘

55 2023
Spektakulär: der Blick in die Feistritzklamm und auf Schloss Herberstein

Insgesamt konnten in dem Areal bisher mehr als 2.200 Arten von Käfern nachgewiesen werden – von Winzlingen, die gerade einmal 0,5 Millimeter groß sind, bis hin zu den genannten Riesen mit neun Zentimetern Körperlänge. Rund 100 davon stehen auf der Roten Liste der gefährdeten Tiere Österreichs. Doch nicht nur seltene Käfer, sondern auch viele andere, kaum anderswo vorkommende Arten tummeln sich in dem grünen Paradies rund um Schloss Herberstein. Im Frühling malt die Herberstein-Primel rosarote Tupfen auf die Felswände der Geierwand – ursprünglich dachte man, dass diese Pflanze nur hier vorkommt. Und auch für Spinnen ist der Lebensraum ein wahres Dorado.

Sechs Spinnenarten wurden hier erstmals in der Steiermark nachgewiesen, eine der Plattbauchspinnen wurde sogar österreichweit zum ersten Mal in dem Europaschutzgebiet gefunden. Auch sie sind auf die seltenen Eichenwälder als Lebensraum angewiesen.

»Immer wieder werden hier neue Arten gefunden, von denen wir nicht wussten, dass sie hier ihren Lebensraum haben«,

so der Experte. Und wer weiß, vielleicht bekommen die Superkäfer von Herberstein künftig noch Verstärkung … ∙

STEIERMARK SCHAU
Die Prachtwanze trägt ihren Namen zu Recht. Farbenfroh: der Scharlachrote Plattkäfer

Das Haus der Biodiversität ist das Herzstück der STEIERMARK SCHAU 2023 – und es wird auch

nach dem Ende der Ausstellung als Forschungs- und Vermittlungsstandort bestehen bleiben.

Wo die Vielfalt zu Hause ist

Wenn die STEIERMARK SCHAU 2023 am 5. November ihre Pforten schließt, dann wird sie nicht nur einen bleibenden Eindruck bei den Besucher*innen hinterlassen haben, sondern auch tatsächlich nachhaltig wirken: Denn das Haus der Biodiversität, das eigens für die Ausstellung konzipiert wurde, bleibt in der Tierwelt Herberstein bestehen; das Konzept sieht eine langfristige Nutzung vor und umfasst auch die dauerhafte Beobachtung der lokalen Biodiversität mithilfe wissenschaftlicher Methoden. Und das hat seinen Grund: Denn die wohl größte Herausforderung unserer Zeit ist die durch menschliche Eingriffe hervorgerufene Veränderung unseres Planeten. Deren negative Auswirkungen auf das Klima, die Arten- und Lebensraumvielfalt und damit auf unsere Lebensgrundlage sind heutzutage allgegenwärtig. ↘

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→ Text Alexandra Reischl → Renderings © Haid Pretterhofer Rieper

Von der Scheune zur interaktiven Ausstellung

Die rund 350 Jahre alte, unter Denkmalschutz stehende Scheune in der Tierwelt Herberstein, in der bisher Teile des GironcoliMuseums untergebracht waren, wird zum Haus der Biodiversität umgestaltet. Das neue Haus der Biodiversität lädt dazu ein, die Wunder und die zahlreichen Leistungen der Naturvielfalt zu bestaunen und zu entdecken. In fünf Bereichen gilt es, Faszination und Begeisterung zu erleben, Inhalte zu entdecken und Zusammenhänge greifbar zu machen sowie zum Handeln und Gestalten anzuregen. Eine riesige stilisierte Eiche dient als Ausstellungsdisplay, -möbel und Raumteiler. Was Biodiversität »natürlich kostbar« macht, darauf weisen Objekte und Stationen im zweiten Bereich hin. Unter dem Titel »Du bist Teil des Ganzen« wird die Rolle des Menschen im Ökosystem beleuchtet. An einem Sandtisch kann man sich selbst daran versuchen, fiktive Landschaften zu formen. Je diverser, also vielgestaltiger, diese Landschaften sind, desto höher fällt der Biodiversitätsgrad aus. Zentrale Botschaft ist, dass wir es durch unsere Nutzung und Bewirtschaftung selbst in der Hand haben, ob wir von einem artenarmen Roboterrasen oder einer blütenreichen Mähwiese umgeben sein wollen. Im fünften und letzten Bereich der Ausstellung leuchtet einem ein interaktiver Globus entgegen. »Meine Zukunft, mein Planet« hängen unabdingbar miteinander zusammen.

Naturschauplätze am Weg der Vielfalt

Im Sinne eines ökologischen Netzes verknüpft sich das Haus der Biodiversität mit seiner unmittelbaren Umgebung, der Tierwelt Herberstein und dem angrenzenden Europaschutzgebiet Feistritzklamm/ Herberstein. Dabei werden entlang des Weges der Vielfalt beginnend mit dem Herberstein-Relief im Eingangsbereich zur Tierwelt Herberstein mehrere architektonisch in die Landschaft eingefügte Naturschauplätze inszeniert. Höhepunkt ist eine hoch über der Feistritzklamm errichtete Plattform mit faszinierenden Ausblicken auf eine artenreiche Landschaft. Zur Orientierung entlang des Weges dienen Lesesteine und Blumenschilder.

Das Herberstein­Relief – willkommen in der Vielfalt des Lebens!

Das begehbare Relief vor dem Eingang zur Tierwelt verortet das Haus der Biodiversität und die Naturschauplätze entlang des Weges der Vielfalt und unterstreicht gleichzeitig den landschaftlichen Reiz des Gebietes.

Im Haus der Biodiversität werden ökologische Zusammenhänge greifbar.

Arena der Lebensräume

Die Arena der Lebensräume lädt dazu ein, die wichtigsten heimischen Großlebensräume und deren Bedeutung kennenzulernen. Die Sitzflächen der in Sektoren gegliederten, mehrstufigen Arena vermitteln markante Fakten zu Funktionen, Gefährdungen und Schutzstrategien. Die Arena dient in ihrer beschatteten Lage auch als Entspannungsort und kann spielerisch von Gruppen genutzt werden.

Netzwerk Wald

Die Komplexität eines biologischen Netzwerkes steht hier im Mittelpunkt. Eine ringförmige Installation aus 33 Holzstelen dient als Informationsträger. Auf ihrer Innenseite zeigt sie ein 360°-Wimmelbild, das biologische Zusammenhänge und Abhängigkeiten innerhalb eines Waldökosystems in Form einer bunten Collage visualisiert. Angelehnt an das World Wide Web wird ein »Wood Wide Web« mit Fun Facts beschrieben.

58 STEIERMARK SCHAU

Panorama Feistritzklamm

In Kammlage, an einer der höchsten Stellen im Gelände der Tierwelt Herberstein, werden eine Aussichtsterrasse und ein etwa sechs Meter hoher Turm errichtet. Das »Panorama Feistritzklamm« wirft neues Licht auf die Natur- und Kulturlandschaft von Herberstein. Wertvolle Strukturen des Europaschutzgebietes Feistritzklamm/Herberstein werden mit einem Blick durch Erlebnis-Ferngläser zum ersten Mal erkennbar.

Forschungsmobil

Eingebettet in eine fantastische Naturkulisse am Fuß des Schlossfelsens Herberstein, zwischen der frei fließenden Feistritz und den angrenzenden naturnahen Wäldern, wird eine mobile Forschungsund Beobachtungsstation betrieben. Sie beherbergt verschiedene einfache Geräte zur Untersuchung und Beobachtung der biologischen Vielfalt. Hier sollen sowohl Schulklassen als auch andere Gruppen und Einzelpersonen in Form von Workshops betreut arbeiten. Großgeschrieben wird »Citizen Science«, also Naturbeobachtung durch Laien, wobei im Gebiet gewonnene Daten im Haus der Biodiversität präsentiert und weiterverarbeitet werden. ∙

Das Haus der Biodiversität und der Weg der Vielfalt in Herberstein:

→ Projektleitung: Wolfgang Paill (Naturkunde museum, Universalmuseum Joanneum)

→ Kuratierung: Sandra Aurenhammer*, Thomas Frieß* (*ÖKOTEAM), Michael C. Niki Knopp, Wolfgang Paill

→ Kuratorische Assistenz und Projektkoordination: Natalia Frühmann, Michael C. Niki Knopp, Patricia Wess

→ Ausstellungsarchitektur, - gestaltung und - grafik: Jakob Jakubowski*, Bianca Gamser*, Valentina Gruber*, Michael Rieper* (*MVD Austria), Beatrice Bucher**, Michael Haas**, Heidi Pretterhofer** (**Pretterhofer Arquitectos), Charlotte Heller***, Lena Michalik***, Benedikt Haid*** (***Benedikt Haid), Andi Lohner

→ Wissenschaftliche Mitarbeit: Gernot Friebes, Johanna Gunczy, Ulrike Hausl - Hofstätter, Tanja Holler, Harald Komposch, Gernot Kunz, Kurt Zernig, Martina Pöltl, Tamara Polt, Anna Rodenkirchen*, Liesa Valicek* (*ÖKOTEAM), Alois Wilfling (OIKOS), Lukas Zangl

→ Präparation und Modellbau: Christoph Brandl, Ulrike Fickler, Klaus Leitl, Stephan Macala, Elke McCullough, Christian Reinprecht, Dorota Piotrowiak (OIKOS), Mariya Tauschitz

→ Interaktive Stationen: Ioan - Ovidiu Cernei (Black & Field Srl), Egon Lauppert (egon.cx), Alexander Nischelwitzer (FH Joanneum), David Tschmuck (DATMOTION)

→ Film - und Multimediaproduktion: Rita und Michael Schlammberger, Matthias Aberer (Science Vision), Britta I. Lang (Blancmange Entertainment), David A. Tschmuck (DATMOTION)

Kooperationspartner*innen

→ Medizinische Universität Graz, Nationalpark Gesäuse, Naturnetzwerk Oststeiermark, Naturparke Steiermark, Naturschutzbund Steiermark

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Im ehemaligen Gironcoli-Museum in Herberstein entsteht das Haus der Biodiversität.

Altbaumwohnung

→ Text Susanne Ary

→ Wissenschaftliche Beratung Sandra Aurenhammer, Gernot Kunz, Gernot Friebes, Wolfgang Paill

→ Fotos © UMJ/J. J. Kucek, Tierwelt Herberstein, Gernot Kunz, Dr. Thomas Frankenhauser

Der Wohnungsmarkt boomt im Eichenwald: Stark nachgefragt sind Höhlen im gut erhaltenen Altbaum –eine Investition für viele Generationen. Gesucht wird

meist zur befristeten Miete. Die Nachbarschaft ist freundlich und sehr divers: Pilze, Vögel, Insekten und Pflanzen teilen sich die Wohnbaumgenossenschaft.

Dabei wollen sie vor allem eines: Ruhe.

60 STEIERMARK SCHAU
Der Große Rosenkäfer ist ein besonders prachtvoller Geselle.

Spechte bauen ihre Nester in gut geschützte Baumhöhlen.

Als die Spechtin im Frühjahr ihre zukünftige Wohnung zum ersten Mal besichtigt, ist sie begeistert. Hier, in diesem Seitenast aus Totholz in guter Lage, wird sie gemeinsam mit ihrem diesjährigen Lebensgefährten ihr Zuhause bauen. Für den Nachwuchs. Das Holz hat Top-Qualität: Stieleiche, die in Mitteleuropa am weitesten verbreitete Art. Zur Gattung »Quercus« zählen hier außerdem die Traubeneiche, die Flaumeiche und die Zerreiche. Mit 300 Jahren gilt der neue Baum der Spechtin zwar schon als alt, ist im Vergleich zu anderen Veteranen aber noch jung. Die älteste Eiche Mitteleuropas ist fast 1.000 Jahre alt und steht in Bad Blumau. Als Mittelspecht ist die Spechtin ein typischer bunter Specht mit kontrastierender schwarz-weißer Gefiederzeichnung. Sie ist ein Standvogel und wird ihre Kinder in der Baumkrone großziehen. Die Stelle, an der sie die Bruthöhle errichten wird, ist ideal. Im April will sie fertig sein.

Eine WG für Millionen Jahre

Was in der Baumhöhle gleich auffällt: Auch die Nachbarn, darunter Juchtenkäfer und der Große Rosenkäfer, haben ganze Arbeit geleistet. Ihre Larven fressen sich durch das köstliche Holz, bis es völlig abstirbt.

Über 1.000 Insektenarten wohnen in und an Eichen, darunter Großschmetterlinge und Wanzen. Manche Arten, wie der Rüsselkäfer, sind wahre Eichen-Gourmets, sie leben »monophag«, also exklusiv, von Eichenholz. Dass dieses Zusammenspiel so artenreich ist, liegt daran, dass die Krabbeltiere und die Eiche gemeinsam evolviert sind. Schon im Pliozän vor 5 bis 1,5 Millionen Jahren existierten diese Symbiosen.

Anthropogene Wälder haben mit einem naturnahen Wald wenig gemeinsam – sie sind eher wie Maisfelder. Bewusst angelegt, um Ernte einzufahren.

Der Juchten käfer ist ein echter EichenholzGourmet.

Bleibt ein Wald unberührt von menschlicher Hand, bleibt Totholz über lange Zeit am Baum – ein spezielles Feature der Eiche, was sie so beliebt als Wohnraum macht.

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Dunkle Gassen in der Nachbarschaft

Die neue Bleibe der Spechtin hat noch einen weiteren Vorzug. Sie bietet auch einen wunderbaren Ausblick auf das krautige Unterholz: sehr biodivers. Unzählige Arten leben hier, Schnecken, Spinnen, Asseln, Tausendfüßler und andere Insekten, unsichtbar, unbekannt, aber so wichtig. Da Eichenblätter im Frühjahr spät austreiben, scheint mehr Sonne auf den Waldboden als etwa im Buchenwald. Eichenknospen und Eichenlaub stehen außerdem bei Insektenlarven auf der Speisekarte. Und bei Pilzen.

Die stummen und unauffälligen Bewohner sind weder Pflanzen noch Tiere, sondern bilden eine ganz eigene Kategorie an Lebewesen. Mykorrhiza (»Pilzwurzler«) halten unterirdisch mit Eichenwurzeln Händchen, eine Symbiose fürs Leben.

Auch saprobiontisch (»in Fäulnis lebende«) Arten lieben die Eiche und ihr hochwertiges Totholz. Etwa 300 Großpilze sind an die Eiche als Substrat gebunden, davon sind 140 gefährdet, etwa der Gerippte Ritterling oder der Queraderige Milchling.

Beste Lage mit Aussicht

Das Beste an der Baumhöhle der Spechtin ist und bleibt aber der Standort: die Grazer Eustacchio-Gründe. Fast im Zentrum! In diesem Naturjuwel rotten mit grünem Moos überzogene, tote Bäume im sumpfigen Morast vor sich hin. 1870 wurde dort ein Ziegelwerk gegründet, fast genau 100 Jahre später wurde das Areal zum Naturpark. Viele Menschen nennen dieses Stück Wald »ungepflegt«. Es ist dort oft so gatschig, dass man ins dichte Innere lieber nicht vordringt. Und das ist gut so.

Denn: »In Ruhe lassen« hilft der Natur am meisten. Viele Menschen mögen Wald leider nur, wenn er »kultiviert« ist.

Fitte Eichenwälder

Also junge, frische Bäume in Reih und Glied, ohne Käfer – pardon, »Schädlinge« –, ohne Totholz, mit geraden, schönen Stämmen, die dann reichlich Ernte liefern. Da Buchen schneller und höher wachsen als Eichen, zieht die Eiche bei der Verjüngung unserer Wälder den Kürzeren.

Dabei ist gerade die Eiche sehr »klimafit«. Den Wandel hin zu mehr Trockenheit und Wärme steckt sie außerdem besser weg als etwa die Fichte, ein weiterer Top-Baum, der heute die Hälfte des gesamten Waldbestandes in Österreich ausmacht: Das meiste davon ist kultiviert. Diese anthropogenen Wälder haben mit einem naturnahen Wald wenig gemeinsam – sie sind eher wie Maisfelder. Bewusst angelegt, um Ernte einzufahren. Die Eustacchio-Gründe sind dagegen völlig anders. Hier greift niemand ein. Ähnlich naturnah, aber in trockener Ausführung, ist der Rosenhain. Das Naherholungsgebiet in Graz mit seinen Teichen ist einer der gesündesten und natürlichsten Wälder in der Umgebung. Auch rund um

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Herberstein findet sich noch »Urwald«. Der Eichenbestand dort ist auch Refugium für eine fulminante Gruppe Insekten: die Zikaden. 31 Arten leben in Österreich an Eichen, die Hälfte davon ist akut gefährdet. Mit ihren schrillen, modischen Outfits stechen sie aus dem Gehölz hervor. Sie tragen klingende Namen wie Leopardenblattzikade, Grüne Augenblattzikade oder Schöne Elfenzikade.

Nachmieter gesucht!

Ein unberührter Eichenwald gilt mit Fug und Recht als Garant für eine Zukunft, in der es sich noch lohnt, Eier zu legen. Kurz nach ihrem Einzug in die »Altbaumwohnung« in Graz-Eustacchio hat es bei der Spechtin damit bereits jedenfalls »geklappt«: Fünf weiße, runde Eier liegen im Nest. Sie und ihr Lebensgefährte kümmern sich abwechselnd darum, bis zwei Wochen später das erste Piepsen zu hören ist. Knapp einen Monat später ist der Mietvertrag auch schon abgelaufen: Die Jungen fliegen aus, die Eltern haben Lust auf eine neue Bleibe. Aber Nachmieter sind schnell gefunden: Blaumeisen, Stare, aber auch Mäuse, Siebenschläfer und Fledermäuse bewerben sich um die jetzt leere Wohnung. »Circular Economy« und »nachhaltige Nutzung« standen in der Natur eben immer schon auf der Tagesordnung. ∙

Die Schöne Elfenblattzikade

trägt ihren Namen

nicht umsonst.

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Biodiversität, gelesen

Faszinierende

Antworten der Natur auf die Klimakrise

Die

Ein bedrohter

Lebensraum für Tiere und Pflanzen

Zukunftsfrage

Artensterben: Wie wir die Ökokrise überwinden

Von schrumpfenden Tintenfischen und windfesten Eidechsen

Feinfühlig und nuanciert, legt Naturschutzbiologe Thor Hanson die oft im Verborgenen liegenden Geschichten vom Kampf der Natur gegen ein sich rapide änderndes Klima offen. Eine Reise an die Schauplätze, an denen die Klimakrise unmittelbar sichtbar wird.

Waldnatur

In diesem Buch führt der Zoologe Josef H. Reichholf durch einen der wichtigsten Lebensräume für Tiere und Pflanzen. Er gibt einen Einblick in die Geschichte der Waldnutzung und die Zukunft unseres Planeten.

Über Leben

Der Naturfilmer und ZDFTerra-X-Moderator Dirk Steffens engagiert sich seit Jahren für den Artenschutz. Gemeinsam mit dem Wissenschaftsjournalisten Fritz Habekuß zeigt er, warum der Erhalt der Artenvielfalt überlebensnotwendig für die Menschheit ist.

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Thor Hanson Josef H. Reichholf
Kösel Verlag, 2022 oekom Verlag, 2022 Penguin Verlag, 2020
Fritz Habekuß & Dirk Steffens
besten Bücher rund um Nachhaltigkeit und Biodiversität

Die Zukunft unseres Planeten ist eines der komplexesten und spannendsten Themen unserer Zeit. Hier finden Sie einige Literaturtipps, mit denen Sie in die Materie rund um Nachhaltigkeit, Klima und Natur eintauchen können.

Ökologische Krisen und Ressourcenverbrauch unter der Lupe

Die Vielfalt der heimischen Tierwelt

Die Zukunft von Natur und Mensch

Faktencheck Nachhaltigkeit

Der Mensch treibt Raubbau an der Natur, er verbraucht zu viel Energie, zu viele Rohstoffe, zu viel Land. Wer würde diesem Urteil schon widersprechen? Thomas Unnerstall beleuchtet in diesem Faktencheck verschiedene Indikatoren der Klimakrise, aber auch positive Entwicklungen.

Springer Verlag, 2021

Erklär mir die steirische Tierwelt

Mit detailreichen Grafiken, zahlreichen Infos und noch nie veröffentlichtem Fotomaterial werden mehr als 340 heimische Tierarten auf 80 Seiten spannend und anschaulich vorgestellt. Das Panoptikum an steirischer Naturschönheit soll zu einem bedachteren Umgang mit unseren Mitgeschöpfen anregen.

Edition Kleine Zeitung, 2013

Wer wird überleben?

Lothar Frenz hat bei Expeditionen – etwa in den Regenwald Amazoniens, nach Indonesien und Afrika – viele Aspekte des Artensterbens und der Biodiversitätskrise erlebt. Er zeigt auf, wie vielschichtig die Probleme sind, die wir in den nächsten Jahren lösen müssen.

Rowohlt Berlin Verlag, 2021

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Thomas Unnerstall Lothar Frenz Günter Pilch, Robert Preis & Wolfgang Paill
66 STEIERMARK SCHAU Bilderrätsel –Hat hier jemand die Kamera zu nahe an Omas Strickpullover gehalten oder versteckt sich doch eine der Antwortmöglichkeiten hinter diesem Bilderrätsel? Ⓐ Baumrinde Ⓑ Truthahn Ⓒ Korallenriff

Bilderrätsel –Wurde hier eine Szene aus dem Pixar-Animationsfilm »Findet Nemo« durcheinandergewürfelt? Was steckt hinter diesem farbenfrohen Bildausschnitt?

Schmetterling

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Ⓐ Schillerfalter,
Ⓑ Harlekingarnele Ⓒ Kaktusblüte

schillert uns hier tatsächlich entgegen?

Ⓐ Grüner Zipfenfalter

Ⓑ Kammbarsch

Ⓒ Hibiskus-Harlekin-Wanze

Bilderrätsel –Was zunächst ein bisschen aussieht wie eine japanische Kabuki-Maske, ist in Wahrheit etwas ganz anderes. Was

Ⓒ Pilz

Ⓑ Zapfen

Ⓐ Gürteltier

Bilderrätsel –Verwelkte Maiglöckchen oder doch ein Gemälde aus dem Kunsthistorischen Museum? Worauf hat der Fotograf bloß das Objektiv seiner Kamera gerichtet?

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Wussten Sie, dass …

... der Grundstein für die heutige Tierwelt bereits Mitte des 17. Jahrhunderts gelegt wurde? Damals erkannte Johann Maximilian I., Freiherr zu Herberstein, dass die steilen Hänge zwar für die Landwirtschaft unbrauchbar, aber dafür vorzüglich für die Haltung von Wildtieren geeignet sind. Darum siedelte er dort italienisches Damwild an.

... der für lange Zeit private Park erst gegen Ende der 1960er Jahre des 20. Jahrhunderts der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde?

... Herberstein den weltweit ersten Beutesimulator für Geparden sein Eigen nennen konnte? Konstruiert wurde er vom berühmten Verhaltensforscher Otto König in Zusammenarbeit mit den Tierpflegern des Parks.

... das gesamte Gelände der Tierwelt heute 46 Hektar umfasst, wovon 23 auf Tiergehege entfallen?

... der Mähnenwolf gar kein Wolf, sondern ein Fuchs ist? Grund für die falsche Bezeichnung ist ein Übersetzungsfehler aus der paraguayischen Sprache.

... insgesamt drei Wolfsrudel in Herberstein leben? Man kann in der Tierwelt Hudson-Bay-Wölfe, Timberwölfe und Polarwölfe bewundern.

... die Grande Dame des Tierparks Dschelada Momo ist? Die Blutbrustpavian-Dame ist stolze 32 Jahre alt.

... am 16. November 2019 mit Spartacus, Maximus und Tiberius der erste steirische Löwennachwuchs zur Welt kam? Aktuell werden die Löwen in einem Rudel von fünf Tieren gehalten.

... nach 15-jähriger Wartezeit im Jahr 2022 erstmals wieder Polarwölfe im Tierpark geboren wurden? Die Überraschung war riesig, immerhin handelte es sich sogar um Vierlinge.

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Tierisch- Spannendes aus der Tierwelt Herber stein
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... es pünktlich jeden Samstag um 12 Uhr eine »Heulgarantie« der Wölfe gibt? Da heulen nämlich auch die Feuerwehrsirenen in Stubenberg und die Tiere stimmen verlässlich ein.

Kommentar des Tierschutzreferenten und LandeshauptmannStellvertreters Anton Lang

... das letzte neue Gehege 2016 gebaut wurde, und zwar für die Vielfraße? Vielfraße kann man übrigens in Österreich nur im Zoo Salzburg und in Herberstein bewundern.

... Puma Pele bei einer Straßenverkehrskontrolle aufgegriffen wurde und seit Sommer 2022 nun sein artgerechtes Zuhause in der Tierwelt Herberstein gefunden hat?

Der Klima- und Umweltschutz sowie der Erhalt unserer einzigartigen Artenvielfalt ist eine der größten Zukunftsherausforderungen unserer Zeit. Es ist unsere Pflicht, auch den kommenden Generationen eine intakte Umwelt zu hinterlassen. Ich freue mich daher sehr, dass sich die diesjährige STEIERMARK SCHAU diesem so wichtigen Themenfeld widmet. Damit zeigen wir, dass Klima- und Umweltschutz in der Steiermark in allen Bereichen eine wesentliche Rolle spielt. Das Motto »Vielfalt des Lebens« passt hervorragend zur Steiermark, denn kaum ein Bundesland ist in zahlreichen Hinsichten so vielfältig wie unsere grüne Mark. Als Tierschutzreferent habe ich zur Tierwelt Herberstein einen ganz besonderen Bezug. Die Tierwelt selbst und das angrenzende Naturschutzgebiet Feistritzklamm sind für das diesjährige Motto hervorragend geeignete Plätze, um den Besucherinnen und Besuchern die Vielfalt der Steiermark näherzubringen. Zusätzlich wird die STEIERMARK SCHAU auch in Wien und den steirischen Regionen präsent sein, womit alle die Möglichkeit haben, sich von der toll gestalteten Ausstellung zu überzeugen. Die Künstlerinnen und Künstler sowie alle Verantwortlichen haben auch in diesem Jahr hervorragende Arbeit geleistet. Dafür danke ich allen Beteiligten sehr herzlich. Ich bin überzeugt davon, dass die STEIERMARK SCHAU auch diesmal viele Besucherinnen und Besucher anlocken wird.

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→ Text Alexandra Reischl → Fotos © Tierwelt Herberstein, Walter Zengerer → Foto © Land Steiermark/ Stefan Leitner

Alles fair & nachhaltig?

Autorin und Bloggerin

Marisa Becker verrät, worauf es bei einem nachhaltigen Lebensstil ankommt – und warum auch kleine Änderungen viel bewirken können.

Marisa Becker ist eine der umtriebigsten deutschsprachigen Influencerinnen, wenn es um Nachhaltigkeit geht. Sie betreibt gemeinsam mit der Journalistin Jona Zhitia das Online- Magazin »Ekologiska Mag«, ist in den sozialen Medien aktiv und moderiert den Podcast »Fairquatscht«. Zusammen mit ihrem Vater Peter Becker hat sie im Vorjahr das Buch »111 ungenutzte Pflanzen, die man gegessen haben muss« herausgebracht.

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Text Alexandra Reischl
Foto © Joanna Hörig

Dabei ist die Leipzigerin eher zufällig zur Nachhaltigkeit gekommen. »Ich habe 2017 ein redaktionelles Praktikum bei einem Leipziger Lokalblatt absolviert. Als Praktikantin war ich für die Start-upBerichterstattung zuständig, sollte schauen, was es so Neues gibt. Kurz davor hatte in Leipzig der erste Unverpackt-Laden eröffnet und Unternehmen wie der Sauberkasten gründeten sich zu dieser Zeit. Durch die Gespräche mit den Menschen hinter diesen Ideen wurde ich zum Umdenken angeregt und habe zunächst angefangen, mein privates Umfeld Schritt für Schritt nachhaltiger zu gestalten. Ich habe dann aber relativ schnell den Wunsch entwickelt, mich beruflich an solchen Themen abzuarbeiten und mich kreativ medial mit Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen. So entstand erst der Blog, dann die Instagram-Seite. Zwei Jahre später dann mein Podcast ›Fairquatscht‹ und ›Ekologiska Mag‹«, erzählt sie.

Das Magazin wurde 2020 sogar mit dem Hygge-Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet. Abgehandelt werden dort vor allem Themen rund um die soziale und ökologische Nachhaltigkeit, und zwar fundiert recherchiert und immer auch mit feministischem Ansatz. »Wir identifizieren uns alle als Frauen und stellen immer wieder fest, dass bestimmte Diskurse vor allem von Männern dominiert werden. Wir glauben, dass die feministische Perspektive oft fehlt, das wollen wir ändern.«

Wer alle Inhalte des Online-Magazins lesen möchte, bezahlt dafür drei Euro pro Monat und finanziert so die Recherche. »Honorare zahlen wir uns aber bisher nicht aus – es ist

ein Projekt, das derzeit noch von unserem Idealismus und dem Glauben an die Sache getragen wird«, lacht Becker.

Wie schwer es ist, konsequent nachhaltig zu leben, weiß sie aus eigener Erfahrung: »2019 bin ich mit meinem Mann, damals schwanger mit meiner Tochter, aufs Land gezogen. Anfangs sind wir noch regelmäßig nach Leipzig in den Unverpackt-Laden gefahren und haben unsere Vorräte aufgestockt. Mit der Entdeckung der vielen Allergien meiner Tochter wurde das unmöglich, weil sie zum Teil selbst auf Spuren reagiert und wir diese daher meiden müssen. Deshalb kaufen wir jetzt vieles verpackt – auch weil es ehrlicherweise einfacher ist, ums Eck in den Supermarkt zu springen, als jedes Mal in die Stadt zu fahren. Ein weiterer Kompromiss, den ich irgendwann eingegangen bin, ist mein Auto. Ich fahre jetzt gute anderthalb Jahre Auto, weil viele Dörfer in der Umgebung nur sehr schlecht mit dem öffentlichen Verkehr erreichbar sind. Außerdem wäre ich sonst in Notfällen, die noch nichts für einen Krankenwagen sind, absolut hilflos.« Ein weiterer Grund, warum der Ausbau des öffentlichen Verkehrs für sie eine ganz wichtige Säule ist. »Hier muss sich definitiv etwas tun, weil man momentan je nach Wohnort echt aufgeschmissen ist.«

Wir alle können etwas bewirken

Weil es eben so schwierig ist, alles auf einmal umzukrempeln, empfiehlt Becker, zunächst ein paar Basis-Säulen umzustellen. »So kann

man zum Beispiel sein Bankkonto zu einer Bank verlegen, die ökologische und ethische Kriterien beim Investieren für sich festgelegt hat. In Deutschland und 14 weiteren Ländern kann man sich dazu über den Fair Finance Guide informieren.« Österreichische Banken werden dort leider (noch) nicht bewertet, hier ist die Recherche für Endkonsument*innen schwieriger. Weitere wichtige Stellschrauben sind aber zum Beispiel der Wechsel zu ÖkoStrom- und Gasanbietern. Im Alltag ist die nachhaltige Entscheidung oft schwieriger und hängt von der jeweiligen Branche und den eigenen Kapazitäten ab. »Ein Beispiel: Wenn ich die Zeit und Muße habe, über einen lokalen Markt zu schlendern, wo handwerklich gefertigte Produkte aus der Region angeboten werden, dann kann ich mich vor Ort sehr detailliert über die Produktionsbedingungen informieren und ein Gefühl für das Unternehmen kriegen. Im Supermarkt ist das nicht ohne Weiteres möglich oder bedarf eben viel Recherche. Ich empfehle deshalb, sich mit den gängigsten Siegeln auseinanderzusetzen und nach und nach neue, nachhaltige Kaufgewohnheiten zu etablieren. Wichtig ist, dass man den Druck rausnimmt, gleich alles perfekt zu machen.«

Auch den eigenen Konsum gilt es zu hinterfragen. »Einer der wichtigsten Hebel ist, dass man nur das kauft, was man am Ende auch (ver-) braucht und so dafür sorgt, dass essbare Lebensmittel nicht im Müll landen. Das gelingt mir auch nicht immer, aber ich versuche, hier immer besser zu werden, indem ich mir zum Beispiel konkret überlege, was es diese Woche zu essen gibt. ↘

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Ich persönlich achte darauf, biologisch angebaute Lebensmittel zu kaufen und bei Südfrüchten fair gehandelte Produkte vorzuziehen. Außerdem verzichten wir weitestgehend auf tierische Produkte, insbesondere von solchen Tieren, die in direkter Nahrungsmittelkonkurrenz zum Menschen stehen, weil sie auch Getreide & Co. fressen (zum Beispiel Schweine, Huhn). Seit ich Urs Nigglis Buch ›Alle satt?‹ gelesen habe, würde ich Menschen, die sich nachhaltig ernähren und dabei Fleisch verzehren wollen, immer zu Fleisch von Rindern, Schafen und Co. raten. In Maßen, versteht sich. Klasse statt Masse«, meint Becker.

Politischer Wandel

Daneben sei es auch wichtig, einen politischen Wandel zu fordern: »Denn die Politik ist meiner Meinung nach dafür verantwortlich, die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit wir alle nachhaltig handeln können.« Darum findet Becker auch den Druck, der durch Bewegungen wie »Fridays for Future« oder »Scientists for Future« ausgeübt wird, enorm wichtig. »Außerdem tragen diese Bewegungen auch zu einem Bewusstseinswandel in der Öffentlichkeit bei und leisten wichtige Aufklärungsarbeit.«

Siegel, selbstgemacht

Wenig Verständnis hat die Deutsche für Greenwashing und Öko-Tricks großer Firmen: »Ich finde, es ist wirklich ein Unding, dass Unternehmen sich selbst Siegel ausdenken und auf ihre Produkte drucken dürfen. Gerade Menschen, die im Siegeldschungel noch nicht den Durchblick haben, werden so oft hinters Licht geführt. Außerdem nerven mich Unternehmen, die einem ein vermeintlich ›nachhaltiges‹ Produkt verkaufen mit der Begründung, pro verkaufter Einheit werde ein Baum gepflanzt und so CO2 kompensiert. Diese Projekte sind oft Augenauswischerei, weil die Bäume ja erst in 20 Jahren ausgewachsen sind und das CO2 wirklich aufnehmen können. Aber ob diese dann noch stehen? Wie sie gepflegt werden? Das wird oft nicht transparent gemacht.«

Raus aus der Klimaangst

Pandemie, Krieg, Energiekrise und Klimaangst gehen auch an der Influencerin nicht spurlos vorbei. »Ich weiß, dass diese Angstspirale uns lähmen kann. Selbst aktiv zu sein, aufzuklären und das Gefühl zu haben, Teil der Problemlösung zu sein: Das hilft mir persönlich, mit diesen Bedrohungen umzugehen. Ich habe so nicht das Gefühl, dem schutzlos ausgesetzt zu sein, sondern meinen ganz eigenen Beitrag dazu zu leisten, dass es besser wird.« So sieht sie auch in Formaten wie der STEIERMARK SCHAU einen wichtigen Puzzlestein: »Die STEIERMARK SCHAU hat, wie alle anderen Formate, das Potenzial, Veränderungen zu bewirken. Durch die Vermittlung von Wissen und Kombination mit konkreten Handlungsideen, die jede und jeder für sich abwandeln kann, kann man für meine Begriffe für eine echte Veränderung sorgen.« ∙

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»Selbst aktiv zu werden hilft, mit der Klimaangst besser umzuge
hen.«
Marisa Becker

Na Mahlzeit!

Mit Marisa und Peter Beckers

Buch »111 ungenutzte Pflanzen, die man gegessen haben muss« den Speiseplan bereichern.

Diesen Pflanzen gehört die Zukunft: Nachhaltigkeitsspezialistin Marisa Becker und ihr Vater Peter, Koch und Gesundheitsberater, haben sich auf die Suche nach Köstlichkeiten aus Wald und Flur begeben und ihre Tipps in »111 ungenutzte Pflanzen, die man gegessen haben muss« zusammengefasst. Derzeit landen von den 50.000 genießbaren Pflanzen gerade einmal 30 auf unseren Tellern. Dabei liefert jede Gattung wertvolle Nährstoffe. Daneben gilt es, Pflanzen in unseren Speiseplan zu integrieren, die

→ Auflösung Bilderrätsel S. 66 – 69

Truthahn

Durch Abholzung, Monokulturen und die Jagd existierten in den 40ern nur noch 130.000 wildlebende Exemplare in Nordamerika. Seit 1960 erholt sich der Bestand.

Harlekingarnele

Rund 8 cm lang und speist bevorzugt Seesterne. Dieser tropische Meeresbewohner sieht zwar lustig aus, ist aber nur sehr bedingt zu Scherzen aufgelegt.

auch in einer vom Klimawandel geprägten Welt (über-) leben. Viele der vorgestellten Gewächse findet man vor der Haustür, wie zum Beispiel Löwenzahn oder Spitzwegerich. Andere sind exotischer: Apios, die Kartoffel der amerikanischen Ureinwohner, ist bei uns kaum bekannt, dabei wurde sie schon 1845 in Europa eingeführt – und rangiert auf Platz vier der »Plants for Future«. Sogar Neophyten wie das »Indische Springkraut« kann man sich schmecken lassen. Eine spannende Lektüre, die Appetit auf mehr macht!

Erschienen 2022 im Emons Verlag, ISBN 978 - 3 -7408 -1200 - 3

Hibiskus ­Harlekin­Wanze

Dieses Prachtexemplar der australischen Wanzenart ist eine Larve. Die Tiere können von gänzlich orange bis fast vollständig grünschillernd unterschiedlich gefärbt sein.

Pilze

Nicht nur in digitalen Unterhaltungsmedien wie Videospielen, auch im echten Leben nutzen Pilze gerne andere Lebewesen als Nahrungsquelle und Wohnraum.

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Gesund und gratis: Unser Menü zeigt, wie einfach sich

Wildkräuter in den Speiseplan integrieren lassen.

Köstliches aus Wald und Wiese

Peter Becker hat gemeinsam mit Tochter Marisa das Buch »111 ungenutzte Pflanzen, die man gegessen haben muss« verfasst. Der Koch, Gesundheitsberater für Ernährung, Wildkräuter-Dozent und Pilz-Coach ist leider im Vorjahr verstorben, hat aber einen reichen Schatz an köstlichen Rezepten hinterlassen. Also, einfach beim nächsten Spaziergang ein paar Kräuter sammeln und dann: Mahlzeit!

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→ Text Alexandra Reischl → Fotos © Emons Verlag, Peter & Marisa Becker Berberitze Giersch Brennnessel Spitzwegerich Gänseblümchen Taubnessel

Sie brauchen: 1 kg Pastinakenwurzel, 2 L Gemüsesuppe, 1 große Zwiebel, 0,5 L Obers/vegane Alternative, 300 g Brennnesselblätter, Salz, Pfeffer

Vorspeise Hauptgang

Sie brauchen: 400 g Pizzateig (TK oder frisch), 50 g Wildkräuter der Saison: z. B. Löwenzahnblätter, Gänseblümchen, Bärlauch, Brennnessel, Taubnessel, Spitzwegerich, 2 EL Cashewnüsse, 2 EL geriebener Käse, 2 EL Pflanzenöl, 1 EL Berberitzen, Salz, Pfeffer, Butter

Nachspeise

Sie brauchen: 2 Äpfel, 1 EL Honig, 1 TL Butter, 100 g Eichelmehl, 100 g Dinkelmehl, 100 g Rohrzucker, 80 g weiche Butter, 1 Ei, 1 Eidotter, 250 ml Obers, 10 Gierschblütendolden, für die Form: 1 EL Butter, 1 EL Semmelbrösel

Brennnessel­Pastinaken­ Suppe

So geht’s:

Pastinake und Zwiebeln würfeln, scharf anbraten und mit der Suppe ablöschen. Eine halbe Stunde auf kleiner Flamme kochen und Obers hinzugeben, nochmals aufkochen und dann vom Feuer nehmen. Brennnesseln hacken, unterrühren, anschließend pürieren und mit Salz und Pfeffer abschmecken. Fertig!

Tipp:

Auf diese Art kann man übrigens die meisten Wildkräuter verarbeiten.

Wildkräuter ­Roulade

So geht’s:

Die Wildkräuter werden gewaschen und grob gehackt. Gemeinsam mit den Cashews, dem Käse, dem Pflanzenöl, den Berberitzen, Salz und Pfeffer wird aus den Kräutern ein Pesto bereitet. Das Pesto wird auf den ausgerollten Teig gestrichen. Im Anschluss wird der Teig wieder zusammengerollt und mit Butter bepinselt. Bei 180 Grad backt die Roulade 10-15 Minuten.

Zum Servieren wird die Roulade in Scheiben geschnitten. Dazu passt ein Dip aus Topfen und Knoblauchsrauke, abgeschmeckt mit Salz und Pfeffer.

Gierschblüten­Apfelkuchen

So geht’s:

Äpfel schälen, entkernen und in Spalten schneiden. Die Spalten werden dann in Butter angeschwitzt und mit Honig glasiert. Aus den Mehlen, der Butter, dem Zucker und dem Ei wird anschließend ein Mürbteig hergestellt. Die Springform einfetten und mit Semmelbröseln bestreuen. Den Mürbteig darin ausbreiten und einen zwei Zentimeter hohen Rand formen. Die Äpfel auf dem Teig verteilen. Für den Guss werden das Obers, die Blüten und das Eigelb püriert und anschließend über die Äpfel gegossen. Bei 170 Grad wird der Kuchen 35 Minuten gebacken.

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Zum Abschied grüßt das Murmeltier

Weiden und Wiesen mit ihrer bunten Vielfalt, Murmeltiere, die durchs alpine Grasland tollen, der launische Huchen im kristallklaren Wasser – das märchenhafte steirische Natur-Idyll ist Wirklichkeit. Aber wie lange noch?

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→ Text Susanne Ary → Wissenschaftliche Beratung Thomas Frieß, Lukas Zangl, Kurt Zernig

Die ersten warmen Sonnenstrahlen des Frühlings sind es, die Leben in die Überwinterungshöhle irgendwo auf 2.000 Meter Seehöhe im Hochschwab bringen. Wie uns Menschen der Kaffeeduft aus dem Schlaf holt, läutet der Wecker der inneren »Jahreszeitenuhr« im Frühling die Murmeltiere aus dem Winterschlaf. Auf die ausgehungerte Gruppe von etwa 20 Tieren inklusive Nachwuchs vom letzten Jahr wartet jetzt da draußen ein üppiges Nahrungsangebot, denn der Frühling hat alles bereits zum Wachsen gebracht. Das Erwachen der Murmeltiere ist perfekt getimt – abgestimmt auf die jährlichen Zyklen der Natur.

Klimabedingte Bettflucht

Aber nicht dieses Jahr. Seit Oktober haben die Tiere Winterschlaf gehalten. Als sie aus der Höhle hüpfen, finden sie eine karge Winterlandschaft vor. Nichts ist gewachsen. Es gibt keine Nahrung! Was ist passiert? Es ist noch nicht einmal richtig April, als sie aufwachen. Wegen des Klimawandels sind die Temperaturen so hoch, dass die Murmeltiere frühzeitig aus der Höhle kommen. Umdrehen und weiterschlafen ist nicht möglich, denn ein Winterschlaf ist im Grunde kein Schlaf, sondern eher wie ein Standby-Modus, der den gesamten Organismus in einen Zustand des Energiesparens bringt. Dieser ist hormonell gesteuert.

Die Tiere können nicht willentlich »wieder schlafen gehen«.

Die Körpertemperatur sinkt während der Hibernation – so der Fachausdruck – auf 2 °C, das Herz schlägt nur zwei bis drei Mal pro Minute und

der gesamte Stoffwechsel ist extrem reduziert. Alle zwei Wochen wachen die Tiere synchronisiert auf, der Stoffwechsel und die Körpertemperatur werden erhöht und dieser Zustand dauert ungefähr 24 Stunden an. Wie ein Handy, das sich für ein Update einschaltet. Der Grund für dieses Mysterium ist bis heute unbekannt. Bei der zu früh erwachten Gruppe bedeutet das karge Nahrungsangebot jedenfalls das sichere Todesurteil für einen Teil der Tiere.

Hungerkur wider Willen

Und das wird nicht der einzige bittere Verlust sein. Damit der Überwinterungsbau warm bleibt, braucht es eine dicke, dichte Schneedecke. Schnee dämmt nämlich hervorragend – so funktioniert auch ein Iglu. Die globale Erderwärmung hat zur Folge, dass der Schnee dünn und lückenhaft wird. Den Murmeltieren schmilzt ihr Iglu davon. Wenn sie den Frost überhaupt überleben, müssen die kleinen Körper sich nun selbst wärmen. Dazu kommt, dass auch der Wurf des letzten Jahres von der Gruppe mitgeheizt werden muss. All das verbraucht Unmengen an Kalorien. Der über den Sommer angefutterte Speck purzelt ohne die dichte Schneedämmung zu schnell. Wenn die Tiere aus dem Winterschlaf erwachen und sich eigentlich freuen sollten auf Fressen, Flirten und Familiengründung, sieht das für die Weibchen nicht gut aus: Sie sind zu schwach für eine Schwangerschaft und finden auch noch viel zu wenig Nahrung.

Wobei sich außerdem nur das dominante Weibchen fortpflanzt. Es mobbt alle anderen und verursacht bei ihnen einen solchen Stress, dass sie alle ihre Babys verlieren. Die Natur ist knallhart – und in diesem Fall sind die Folgen in Kombination mit dem Klimawandel fatal. Immer weniger Jungtiere werden geboren. Die Wintersterblichkeit steigt. ↘

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Klimawandel damals und heute

Noch eine schlechte Karte haben die Nagetiere: ihre Genetik. Seit der letzten Eiszeit im Pleistozän vor etwa 25.000 Jahren hat sich bei ihnen ein genetischer Flaschenhals gebildet. Die Gruppen waren abgeschnitten, sodass kein genetischer Austausch mehr stattfand. Inzucht bedeutet weniger Möglichkeiten für die Evolution, um ein paar Sechser zu würfeln, damit sich günstige Anpassungen bilden können. Die Murmeltiere haben es also besonders schwer, mit den neuen klimatischen Bedingungen umzugehen. Obwohl ihnen das in der Vergangenheit schon einmal gelungen ist. Am damaligen »Klimawandel« waren allerdings keine Menschen beteiligt. Ursprünglich war das Murmeltier ein Bewohner kaltzeitlicher Steppen, letzte Nachweise dafür stammen aus genau diesem Pleistozän, vor 25.000 Jahren. Gebüsch und Bäume mögen die Nager nämlich gar nicht: Sie können weder gut laufen noch klettern. Vor Fressfeinden schützen sie sich durch Spähtrupps: Die »Aufpasser« überwachen die Steppe und warnen die Gruppe durch Pfiffe,

wenn sich etwa ein Fuchs oder Adler nähert. Jede Bedrohung hat ein eigenes »Alarmmuster«, ganz ähnlich einer Sirene bei Luftalarm. Als sich die letzte Eiszeit langsam (!) ihrem Ende näherte, wanderten die Tiere immer höher in Richtung Gebirge, dorthin, wo es keine Büsche und Bäume gibt und ihnen die Temperatur eher zusagte. Irgendwann war das Murmeltier vom Steppenbewohner zum alpinen Nagetier geworden. Als »Klimaflüchtling« fand es eine neue Heimat. Dieser Prozess dauerte aber tausende Jahre. Die Evolution sorgte für eine schrittweise Anpassung der Tiere an die neue Umgebung. Die aktuelle globale Erwärmung ist völlig anders gestrickt: Sie läuft unnatürlich schnell wie im Zeitraffer ab. Die Evolution kommt da nicht hinterher. Die »Flucht vor der Wärme« treibt das Murmeltier auch heute noch in immer höhere Lagen. Aber diese Wanderung wird irgendwann in einer Sackgasse enden, nämlich wenn die Tiere nichts mehr zu fressen finden – oder einfach nicht mehr weiter hinaufwandern können.

Saftige Wiesen? Lieber nicht!

Dass alpine Weiden und Wiesen, in denen Murmeltiere leben, Steppen so ähnlichsehen, liegt am kargen Nahrungsangebot für Pflanzen. Solche Landschaften gibt es in natürlicher Form nur über der Waldgrenze, wo die Wachstumszeit eines Jahres zu kurz ist, damit Bäume und Sträucher gedeihen können. In tieferen Lagen gibt es solche »Urwiesen« oder einen »Naturrasen« nur sehr selten, und zwar über sehr felsigen, extrem nährstoffarmen Stellen. Blumenwiesen, wie wir sie als Inbegriff der unberührten Natur kennen, sind in Wirklichkeit die

Folge menschlichen Handelns: Durch das mehr oder weniger regelmäßige Mähen und Beweiden wird verhindert, dass Sträucher und Bäume anwachsen und groß werden können. Das passiert nämlich nur, wenn das System über längere Zeit »in Ruhe gelassen wird« und die Pflanzen genug Energie-Überschuss aufbauen können, um Holz zu bilden. Würden die Menschen plötzlich aussterben, wäre die ganze Steiermark über kurz oder lang ein Buchenwald – an wärmeren Stellen gäbe es Eichenwälder und entlang von Flüssen Auwälder. Wiesen gäbe es nur im Gebirge.

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Wegen des Klimawandels sind die Temperaturen so hoch, dass die Murmeltiere frühzeitig aus der Höhle kommen.

Sattes Gras statt

Biodiversität: Nur magere Wiesen sind wirklich artenreich.

Gülle und Dünger im Überfluss

Ein weiteres Missverständnis rund um Wiesen und ihre Biodiversität liegt im Nahrungsangebot. Man würde meinen, dass Wiesen mit vielen Nährstoffen besonders artenreich sein müssten. Aber das genaue Gegenteil ist der Fall: Sind viele Nährstoffe vorhanden, übernehmen einzelne Arten die Vorherrschaft und überwuchern alles, sodass die anderen Pflanzen keine Chance mehr haben. Saftige, sogenannte »Fettwiesen« sind nicht artenreich. Und sie entstehen auch nicht einfach so: Auch hier hat der Mensch seine Finger im Spiel. Drehund Angelpunkt ist hier der Stickstoff. Wie jeder Gärtner und jede Aquarienbesitzerin wissen, sorgt Stickstoff für Pflanzenwachstum, er ist ein Dünger und wichtiger Baustein für Enzyme und DNA. Über Stickoxide aus dieselbetriebenen Fahrzeugen bringt der Mensch Unmengen an Stickstoff in die Natur ein. Auch die Landwirtschaft ist hier nicht unschuldig: Wiesen sind oft »Mülldeponien« für Gülle, was zu einer massiven Überdüngung führt. Die Folgen sind Wiesen, wie man sie kennt: Knäuelgras, Wiesen-Lieschgras und insbesondere der Löwenzahn dominieren sie. Artenvielfalt ist das aber nicht: Im Schnitt leben in diesem Lebensraum nur rund 10 verschiedene Pflanzenarten. ↘

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Mager ist artenreich!

»Magerwiesen« oder auch »Trockenwiesen« sehen da schon anders aus. Sie zählen zu unseren artenreichsten Lebensräumen: Auf vier Quadratmetern findet man in diesen Wiesen bis zu 80 verschiedene Pflanzenarten, neben einer Unzahl an Tierarten wie Schmetterlingen, die sich auf bestimmte Arten spezialisiert haben. Das Orangerote Steppen-Aschenkraut wächst etwa auf genau solchen Magerwiesen und ist heute vom Aussterben bedroht. Nur mehr am Pleschkogel und in der Gegend von St. Anna am Aigen finden sich noch wenige Exemplare. Sogar die bis vor gar nicht allzu langer Zeit sehr häufige Wiesen-Glockenblume ist immer weniger anzutreffen. Rechnet man alle Faktoren zusammen, erleben wir gerade eine massive Überdüngung der Landschaft. Ist der Boden einmal überdüngt, ist ein Wiederaufkommen der Arten von nährstoffarmen Standorten kaum noch möglich. Das Verschwinden der biodiversen Magerwiese durch Überdüngung ist nur mehr eine Frage der Zeit.

Ein Jäger mit schrumpfendem Revier

Steigende Temperaturen, viel zu schnelle oder gar plötzliche Veränderungen im Lebensraum sind auch für das Leben im kühlen Nass ein immenses Problem. Der fließende Weg von der Quelle zum

Meer ist in unterschiedliche Habitate gegliedert, an die sich unterschiedliche Wasserbewohner im Laufe der Evolution angepasst haben. Ob Gebirgsbach oder Fluss, je nach Wassertemperatur, Bodenbeschaffenheit oder Fließgeschwindigkeit finden sich artenreiche Lebensräume an unterschiedlichen Stellen im Wasser. Der Huchen, auch »Donau-Lachs« genannt, ist mit seiner zartroten, auffälligen Färbung besonders in der Mur stark vertreten – als Endemit der Donauregion, also als eine Art, die einen bestimmten Lebensraum besiedelt.

Dort hat sich die stärkste Population entwickelt. Er liebt eine Wassertemperatur zwischen 10 und 12

Grad und braucht als Top-Predator glasklares Wasser. Denn ohne gute Sicht wird das auch nichts mit der Jagd.

Auch der Nachwuchs mag es nicht, wenn das Wasser aufgewirbelt ist: Wenn sich Sediment auf das Gelege legt, erstickt es. Der Lachsfisch hat also ziemlich genaue Vorstellungen von einem Lebensraum, in dem er sich wohlfühlt.

Der Huchen, auch »DonauLachs« genannt, ist mit seiner zartroten, auffälligen Färbung besonders in der Mur stark vertreten.

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Der Huchen, ein heimischer Lachsfisch, braucht klares Wasser für die Jagd.

Kletterleiter für Fische

Der Mensch mit seiner Gier nach Energie und seiner Vorliebe für »schöne«, gerade Flüsse macht dem Huchen einen Strich durch die Rechnung. Wasserkraftwerke, auch wenn sie im Gegensatz zu anderen Energiequellen »grün« sind, stellen sich ihm wortwörtlich in den Weg. Auch Flussbegradigungen wirken sich schädlich aus – schon die kleinste Veränderung in der Fließgeschwindigkeit des Wassers bringt das ganze Ökosystem durcheinander. Als Lachsfisch wandert auch der Huchen zum Ablaichen flussaufwärts.

Ein Wasserkraftwerk ist eine unüberwindliche Barriere, wie ein Tunnel, der permanent gesperrt ist. Hier haben sich die Menschen zumindest eine Lösung überlegt und »Fisch-Aufstiegshilfen« installiert. Mittlerweile darf ein Kraftwerk ohne eine solche gar nicht mehr gebaut werden. Damit der Fisch zum Durchschwimmen gebracht wird, muss das System ausgeklügelt gestaltet sein: Lachsartige Fische, und damit auch der Huchen, orientieren sich am Gegendruck, den das fließende Wasser erzeugt. Eine Fisch-Aufstiegshilfe muss also stark genug strömen, um den Tieren den Weg zu weisen. Nicht immer funktioniert

das. Vor und hinter den Staumauern werden die Bestände daher überwacht, um sicherzugehen, dass genug Exemplare den Aufstieg schaffen. Stauseen sind noch ein zusätzliches Problem für die Wasserwelt. Das stehende Wasser wird fast zu einem See, der eine völlig andere Umgebung als ein Fluss darstellt. Die Temperatur in stehenden Gewässern ist etwa viel höher. Der Untergrund ist völlig anders, da das Wasser kaum fließt. Zu allem Überfluss werden manche Stauseen auch noch periodisch gespült, was das gesamte System auf einen Schlag ruiniert, als ob man ein Aquarium ausrinnen lassen würde.

Dass sich Lebensräume wandeln, das Klima ändert und Arten sich an neue Bedingungen anpassen, sind natürliche Vorgänge. Aber ohne menschliches Zutun wären dafür tausende Jahre vorgesehen. Nicht ein paar Jahrzehnte, wie das aktuell auf unserem Planeten passiert. Die Zukunft für Huchen, Murmeltier und Blumenwiesen sieht im Moment nicht rosig aus. Wie es weitergeht, haben wir in der Hand.

Ein Wasserkraftwerk ist eine unüberwindliche Barriere, wie ein Tunnel, der permanent gesperrt ist.

83 2023

Biodiversität, gehört

Der Podcast des Klima ­ und Energiefonds

Der Podcast des Artenschutzprogramms » Saving Our Species«

Der STANDARDPodcast über das Leben und die Welt von morgen

Folgewirkung

Der Podcast des österreichischen Klima- und Energiefonds beschäftigt sich mit den Folgewirkungen des menschlichen Handelns auf Natur und Umwelt sowie mit den Herausforderungen einer nachhaltigen Klima- und Energiewende.

Business of Biodiversity

Dieser englischsprachige Podcast zeigt, wie sich der Zerfall der Biodiversität auf die Wirtschaft auswirkt – und warum jedes Business vom Erhalt bedrohter Tier- und Pflanzenarten profitiert. Mit dabei sind Gäste aus verschiedenen Bereichen: Wissenschaft, Umwelt, Wirtschaft und viele mehr.

Edition Zukunft

Die Redaktion der österreichischen Tageszeitung DER STANDARD spricht mit Expertinnen und Experten über Entwicklungen, die unseren Alltag verändern – von künstlicher Intelligenz und Robotern bis hin zu Migration und Klimawandel.

84 STEIERMARK SCHAU

Zahlreiche Podcasts beschäftigen sich mit aktuellen Erkenntnissen rund um Klimaschutz und Energie.

Diese Hörtipps in deutscher und englischer Sprache finden Sie auf allen gängigen Podcast-Plattformen.

Der SpektrumPodcast Podcast von klimaaktiv

Ein Podcast von Claudia Acklin

Spektrum der Wissenschaft

Im Spektrum-Podcast sprechen die Autorinnen und Autoren über die spannendsten Themen aus der faszinierenden Welt der Wissenschaft. Jeden Freitag widmet sich eine neue Folge unterschiedlichen Aspekten aus der aktuellen Ausgabe des renommierten Wissenschaftsmagazins.

Der Klimadialog

Die Best-Practice-Beispiele aus dem Podcast drehen sich um den Klimaschutz und zeigen mutige Wege in die Zukunft, lösungsorientiert und praxisnah verdeutlicht.

Die Natur und die Stadt

Die Journalistin Claudia Acklin stellt in diesem Podcast Menschen vor, die Schweizer Städten neues Leben einhauchen. Ihre Gäste reichen von Hobbygärtner*innen bis zu Wissenschafter*innen. Sie alle eint das Ziel, Natur in das Asphaltgrau zu bringen und die eigene Stadt zukunftsfähig zu machen.

85 2023
Die besten Podcasts rund um das Thema Biodiversität und Nachhaltigkeit

Gewinnspiel

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der STEIERMARK SCHAU auf unseren Websites sowie Social-Media-Kanälen. Die Gewinner*innen werden schriftlich verständigt, der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

→ Bildband Die Fotos auf den Seiten 16, 17, 20 und 21 hat der steirische Fotograf Reinhard Fink kostenlos zur Verfügung gestellt. Sie stammen aus dem Buch »Das etwas andere Tierbuch. Augenblicke aus unserem Alltagsleben mit Tieren«, das 2021 erschienen ist und im Kunsthaus - Graz - Shop sowie im Shop von Schloss Eggenberg erhältlich ist.

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Die Energie Steiermark sucht neue Talente. Jetzt bewerben unter e-steiermark.com/ karriere Ihre Karriere als Partner einer Bezahlte Anzeige Roland B., Abteilungsleiter Netzbetrieb 2022

Tierwelt Herberstein

VIELFALT DES LEBENS

29. Apr. bis

5. Nov. 2O23

kopf-stand.at

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