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ERSTELLUNG EINES REFERENZ-GENOMS MENSCHLICHER BLUTGRUPPEN
Das «Institut für Translationale Medizin» der Privaten Universität im Fürstentum Liechtenstein (UFL) führt gegenwärtig ein Projekt zur Entschlüsselung der genetischen Vielfalt menschlicher Blutgruppen durch. Im Laufe des Jahres 2021 werden bei regulären Blutspende-Aktionen des Roten Kreuzes Liechtenstein und Österreich (Feldkirch) Proben von insgesamt 500 Liechtensteinerinnen und Liechtensteinern gesammelt.
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KLINISCHE BEDEUTUNG DER MENSCHLICHEN
BLUTGRUPPEN
«Blutgruppen» sind seit Langem untersuchte menschliche Merkmale. Der Abgleich zwischen Spender und Empfänger stellt die grösste Herausforderung für die Durchführung einer erfolgreichen Bluttransfusion dar. Weltweit werden durch Bluttransfusionen jedes Jahr Millionen von Leben gerettet. Obwohl oft lebensrettend, sind Transfusionen nicht risikofrei. Das liegt zum grossen Teil an der Vielgestaltigkeit von Blutgruppen. Neben den bekannten Eigenschaften A, B, AB und O und RhD positiv und RhD negativ gibt es, für den Laien oft überraschend, gegenwärtig 345 bekannte Blutgruppen-Eigenschaften. Die 345 bekannten Blutgruppen-Eigenschaften («Antigene») verteilen sich auf insgesamt 43 Blutgruppen-Systeme, welche von ca. 50 Genen kodiert werden. Jeder Mensch hat alle 50 Gene, die Variationen dieser Gene (sog. «Allele») sind variabel, was jeden von uns alleine schon im Bereich Blutgruppen beinahe einzigartig macht. Rein rechnerisch und somit rein in der Theorie bedeutet das: Jedes Blutgruppen-System enthält im Durchschnitt acht verschiedene Varianten (345 «Antigene» dividiert durch 43 Blutgruppen-Systeme). Diese Varianten sind die Ursache für die biologische Existenz von Blutgruppen und haben die dringende medizinische Notwendigkeit zur Folge, Spender- auf Empfängerblut abzugleichen.
Ein Fehlabgleich zwischen Spender und Empfänger und die Übertragung einer dem Immunsystem des Empfängers unbekannten Blutgruppen-Variante des Spenders können bei Transfusion zu einer Immunisierung (auch «Sensibilisierung», oder deskriptiv: «zur Bildung von Antikörpern») führen. Bei Empfängern und Empfängerinnen, die bereits durch frühere Transfusionen oder Schwangerschaften «vor-immunisiert» sind, können die bereits vorliegenden Antikörper eine tödliche hämolytische Transfusionsreaktion verursachen. Solche Zwischenfälle sind immer noch eine der häufigsten Ursachen für transfusionsbedingte Todesfälle. Eine Verbesserung der Übereinstimmung von Spender- und Empfängerblut bzw. eine verbesserte Blutgruppen-Diagnostik ist daher letztendlich Voraussetzung für eine insgesamt geringere transfusionsbedingte Sterblichkeitsrate.
SEROLOGIE GOES GENETICS
Die DNA-Analyse zur Vorhersage der Blutgruppen-Antigene eines Menschen wird als moderne Alternative zu den klassischen serologischen Agglutinationsmethoden eingesetzt. Während die DNA-Analyse die Erbanlagen für Antigene «indirekt» analysiert, verwenden serologische Methoden spezifische diagnostische Antikörper (Test-Seren), die bei Anwesenheit eines Antigens zu einer «direkt» optisch erkennbaren «Agglutination» («Klumpenbildung») im Test-
Alignment («Vergleich») partieller DNA-Sequenzen des Gens für die Blutgruppen-Eigenschaft ABO. Die Sequenzen bestehen aus den vier «Grund-Buchstaben», Basen der DNA: Adenin (A), Guanin (G), Cytosin (C) und Thymin (T). Die untereinander dargestellten Sequenzen («Allele») unterscheiden sich nur durch einzelne Basenaustäusche voneinander. Diese Unterschiede verursachen die Blutgruppen-Eigenschaften O, A und B in verschiedenen Menschen. Offizielle «GenBank Accession»-Nummern (zweite Spalte) definieren diese unterschiedlichen Sequenzen und machen sie öffentlich verfügbar. (Quelle: UFL)
blut führen. Die serologische Methode ist schnell, aber nur bis zu einem bestimmten Grad normierbar. Die Genotypisierung ist langsam. Besonders effizient ist diese – auch «molekulare Blutgruppenbestimmung» genannte – Technologie jedoch bei der Suche nach Spenderinnen und Spendern mit seltenen Blutgruppen-Eigenschaften, in der vorgeburtlichen Blutgruppen-Bestimmung am Ungeborenen und wenn es an spezifischen serologischen Test-Seren mangelt. Der rein genetische Abgleich von Spender- mit Empfängerblut als Ersatz zur herkömmlichen Kreuzprobe ist zwar noch Zukunftsmusik, aber es finden weltweit bereits einzelne Pilotprojekte statt. Voraussetzung für alle Arten von Genotypisierung, egal ob Spender- oder Empfänger-Blutgruppen, ist das exakte Wissen über die kodierende genetische Vielgestaltigkeit, die Erfassung des sog. «genetischen Polymorphismus» von Blutgruppen-Genen.
Wie bereits erwähnt, werden die 345 bekannten Blutgruppen-Eigenschaften («Antigene») von ca. 50 Genen kodiert. Diese genetischen Varianten («Allele») sind unterschiedlich in verschiedenen Menschen und machen uns somit einzigartig. Und diese Allele sind noch vielgestaltiger als die 345 Antigene selbst. Das bedeutet, dass verschiedene Allele für ein und dasselbe Antigen kodieren können. Viele dieser Allele, nämlich ungefähr 1800, sind insgesamt bereits bekannt, die überwiegende Zahl jedoch nicht. Man kann davon ausgehen, dass in allen Menschen weltweit zehn- bis hunderttausende verschiedene allelische Varianten für Blutgruppen-Antigene existieren. Die meisten unbekannten genetischen Varianten führen zu keiner Änderung der Antigene, einzelne hingegen schon.
DAS PROJEKT
Mittels einer systematischen DNA-Sequenz-Analyse wird der erwartete genetische Polymorphismus im Projekt «Establishment of a genomic blood-group reference resource for precision medicine» katalogisiert, sortiert und interpretiert. Damit entsteht ein «Referenz-Genom» für Blutgruppen, quasi ein Nachschlagewerk für den genetischen Polymorphismus für Blutgruppen-Antigene, oder noch kürzer: eine «Genbibliothek der menschlichen Blutgruppen».
Im Zuge des Projekts werden von insgesamt 2000 Blutspenderinnen und Blutspendern aus Bern, Kiel, Triesen und Wien jeweils 500 Blutproben gesammelt. Alle teilnehmenden Probanden des Fürstentum Liechtensteins erklären ihre Bereitschaft zur Teilnahme an diesem Projekt freiwillig und schriftlich und erhalten Informationen zum Schutz ihrer persönlichen Daten. Tatsächlich verlassen keine personenbezogenen Daten das Fürstentum Liechtenstein bzw. den Blutspendedienst des Österreichischen Roten Kreuzes in Feldkirch. Die Extraktion der DNA aus dem Probenmaterial und die Sequenzierung selbst findet am Institut für Klinische Molekularbiologie (IKMB) der Christian-Albrechts Universität zu Kiel, mittels «Single Strand Next Generation Sequencing (NGS, PacBio)» statt. Die resultierenden Sequenzen haben technisch betrachtet die höchste gegenwärtig erreichbare Lesequalität und werden in eine öffentlich zugängliche Datenbank (die «Referenz-Datenbank») eingepflegt.
Das entstehende Referenz-Genom Blutgruppen beschreibt schlussendlich «nur» (Mittel-)Europäer und hat daher vor allem Bedeutung für jene Bevölkerungsgruppen, welche in Bezug auf ihre Ethnizität wissenschaftlich korrekt als «Kaukasier» bezeichnet werden. Das Referenz-Genom ist eine Grundlage für die Verknüpfung von Blutgruppen-Antigenen mit ihrem Genotyp und vice versa und hat somit direkte diagnostische Bedeutung. Auch «normiert» das Projekt Blutgruppen-Antigene durch das direkte Lesen des universellen genetischen Codes, also der Ermittlung der allumfassenden biologischen «Norm-Kodierung». Es eröffnet somit neue Aspekte, z. B. erlaubt es einen direkten Vergleich der Vielgestaltigkeit von Blutgruppen über alle bekannten Ethnien hinweg, also weltweit. Alle am Projekt involvierten Forscherinnen und Forscher gehen davon aus, dass die erhobenen Daten zukünftig zunehmend in der Routine-Diagnostik und der weiteren Erforschung der menschlichen Blutgruppen-Variation Bedeutung erlangen werden.
Illustration: Ariana Huber, mysl.li Prof. Dr. rer. nat. Christoph Gassner, Institutsleiter Institut für Translationale Medizin, Private Universität im Fürstentum Liechtenstein (UFL)
Dr. scient. med. Daniela Purin, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Institut für Translationale Medizin, Private Universität im Fürstentum Liechtenstein (UFL)