Hörspielsommer e.V. (Hg.) - Hörspielplätze

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Das vorliegende Buch versammelt verschiedene Beiträge zu Fragen rund um Hörspiel- und Radiokunst: Auf den Hör - Spielplätzen tummeln sich dabei alle Formen, die als Kunstprodukt das Spiel mit dem Hören im weitesten Sinne betreiben. Wo aber sind eigentlich die Hörspiel - Plätze – im Radioprogramm, in der Hörbuchabteilung, im „Hörtheater“, auf dem MP 3-Player oder auf einer Wiese ? Lassen wir uns nebenbei vom Radio berieseln, hören wir konzentriert mit Kopfhörern, im Kollektiv im abgedunkelten Raum oder mehrsinnig erlebend bei der Liveaufführung ? Das Buch richtet sich an alle Hörspielinteressierten: ob freie Hörspielmacher, professionelle Autorinnen, Regisseure, Redakteure, Wissenschaftlerinnen oder Hörspielfans.


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Den Anstoß zur Publikation gab das Symposion Attention, please! Das Hörspiel im Zeitalter der verkürzten Aufmerksamkeitsspanne,

das der Hörspielsommer e. V. gemeinsam mit der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig im März 2010 in Leipzig veranstaltete. Bei Workshops, Vorträgen und Podiumsdiskussionen entspann sich eine angeregte Debatte über Aspekte auditiver Aufmerksamkeit, über Produktionsbedingungen und Perspektiven des Hörspielens. Die begleitende Ausstellung Gehörgang machte darüber hinaus Hörspielgeschichte anschaulich und hörbar. Damit entstand ein guter Ausgangspunkt für die vorliegende Publikation, die auch einige Beiträge der Konferenz, u. a. die beiden Podiumsdiskussionen, umfasst. Als besonders kontroverse Themen stellten sich die Strukturen, in denen heute in Deutschland Radioformate gedeihen, und die Bedeutung der freien Szene in diesem Kontext heraus. Über das Verhältnis zwischen den Rundfunkanstalten als die „etablierten“ Stätten der Produktion und Distribution von Hörspielen und den freien Autoren wurde heftig gestritten. Diese Brisanz war ein guter Grund, den Diskurs in einem Buch festzuhalten und damit seine Fortsetzung möglich zu machen. Zum anderen ist aber auch das Hörspielfestival Leipziger Hörspielsommer und der dahinterstehende gemeinnützige

Verein Hörspielsommer e. V. Teil dieses spannungsreichen Gefüges und muss sich seit Beginn des Festivals darin positionieren. Eine Veröffentlichung bietet somit auch die Möglichkeit, innezuhalten, sich umzuschauen und selbst etwas zur Debatte beizusteuern.


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Als wir zum ersten Mal den Hörspielwettbewerb auf der Leipziger Buchmesse veranstalteten, erhielten wir per E-Mail eine reser-

vierte Replik auf unseren Aufruf, Autorenproduktionen für den Wettbewerb einzusenden. Der Verfasser, ein Mitarbeiter in leitender Position beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, bezweifelte, dass sich irgendjemand fände, der extra ein Stück für unseren Wettbewerb produzieren würde. Er erklärte zugleich, wie es „richtig“ abliefe, nämlich dass normalerweise Manuskripte eingesendet würden, die dann von Rundfunksendern produziert würden. Unsere Idee, die ausgewählten Produktionen auf der Leipziger Buchmesse zu präsentieren, hielt er für absurd. Wir hatten einen Profi herausgefordert, dem die freie Szene und ihre Produktionsweisen unbekannt waren und der uns für Dilettanten hielt. Das ist in gewisser Weise richtig: Dilettanten oder Amateure sind wir, weil wir nicht unmittelbar berufsmäßig tun, was wir tun, und weil wir nicht innerhalb der Institutionen agieren, die „legitimerweise“ für diesen Bereich zuständig sind. Denn die Vehemenz, mit der die Kritik hervorgebracht wurde, zeigt, dass es auch darum ging, einen (professionellen) Anspruch zu verteidigen: den auf die Bestimmung der „richtigen“ Art, Hörspiele zu produzieren und ästhetisch zu beurteilen. Es soll nicht die (Hörspiel-)Welt in zwei Fronten, Amateure vs. Profis, geteilt werden. Künstler wie Paul Plamper oder Schorsch Kamerun, die in dieser Hinsicht „unkonventioneller“ arbeiten, oder unsere eigene Zusammenarbeit mit Sendern und Verlagen zeigen, dass es auch innerhalb der großen Institutionen künstlerische und strukturelle Freiräume gibt. Vorbehalte



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seitens der Profis, wie sie sich in der dargestellten Anekdote äußern, werden aber hin und wieder spürbar. Sie sind nachvollziehbar, insoweit Vereinsarbeit oft der Anschein des Unprofessionellen, des Chaotischen anhaftet, und das entspricht schon aus strukturellen Gründen auch ein Stück weit der Wirklichkeit. Daher ist es bei dieser Art von Arbeit besonders wichtig, die eigenen Grenzen und Möglichkeiten zu kennen. Schorsch Kamerun, den wir während der Vorbereitungen zum Buch trafen und mit dem wir über das Hörspiel (und all die anderen Künste, mit denen er zu tun hat) sprachen, bringt als professioneller Dilettant in Sachen Hörspiel und damit als unser „Wahlverwandter“ die Ausgangslage auf den Punkt: „Ich habe ja nichts von alle dem gelernt, sondern eher ausprobiert. Die Hörspiele, die ich bisher gemacht habe, habe ich alle selbst und mithilfe einer Aufnahmetechnik produziert, die ich mir nach und nach selbst angeeignet habe. Genauso habe ich keine Ahnung von Dramaturgie. Vielleicht eignet man die sich im Laufe einer ganz langen Praxis an, das kann sein. Aber erst einmal ist es ein Losmachen und Ausprobieren. Inhalte und Themen zu haben, das ist wahrscheinlich das Zentrale dabei.“ „Losmachen und ausprobieren“ beschreibt ganz gut die Arbeitsweise des Vereins Hörspielsommer e. V., dessen Mitglieder das Festival ehrenamtlich organisieren und ausrichten. Die stetig wechselnde Gruppe besteht in der Mehrheit aus hörspielaffinen Studenten und Absolventinnen. Ideengeberin und Initiatorin ist Sophia Littkopf. Mit der Vorstellung, dass kollektives Hören auf einer Wiese im Stadtpark eine spannende, weil un-


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gewohnte Rezeptionshaltung für Hörspiel in seinen verschiedenen Erscheinungsformen sein könnte, wurde das Festival 2003 ins Leben gerufen. Das Konzept lässt sich in aller Kürze beschreiben: Sommer, eine kleine Bühne, mehrere Lautsprecher, davor Leute mit Picknickdecken auf der beschallten Wiese. Das zehntägige Programm hat mehrere Schienen: Der Nachmittag gehört den Kindern, am frühen Abend werden Stücke aus dem festivalbegleitenden Hörspielwettbewerb für freie Produktionen gesendet, die täglich wechselnden Themenabende und Liveauftritte von Gastkünstlern und -künstlerinnen vervollständigen den Hörspielsommertag. So entsteht immer aufs Neue eine Mischung aus der Ereignishaftigkeit einer Theateraufführung und dem Rückgriff auf das Archivierbare, aufs Hörspiel. Es ergibt sich ein konzentriertes Feld kollektiver Rezeption, auf das die Reaktionen auf das Gehörte unmittelbar abstrahlen. Zugleich ist „die Wiese“, wie das Festival und sein Gelände als atmosphärischer Ort vereinsintern genannt werden, ein Platz der Zerstreuung, des Stimmengewirrs und der Begegnung. Hier treffen sich Menschen nicht nur zum Zuhören – sie finden einander, tauschen sich aus und machen das Festival zu einem vielschichtigen Moment des Miteinanders. Und darin besteht schließlich das Anliegen der Mitglieder des Hörspielsommer e. V., das sich im Laufe der Jahre herauskristallisiert hat: Dem Hörspiel einen Platz jenseits der wenigen Sendeplätze im Radio zu geben, es in andere Lebensbereiche zu tragen, vor anderen Hörern und in verschiedenen Situationen zu testen, und dabei immer die unmittel-


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bare Reaktion der Leute vor Ort zu erleben. Zumindest in diesem Moment, so unsere Hoffnung, wird das Hörspiel Teil eines ihm gesellschaftliche Bedeutung verschaffenden Dialogs. Das zeigt sich auch darin, dass es nicht nur bei dem Festival allein geblieben ist. Zum Leipziger Hörspielsommer gehört seit Beginn der Hörspielwettbewerb für freie Autoren, u. a. in Zusammenarbeit mit der Leipziger Buchmesse, der diesen die Möglichkeit gibt, ihre Debüts zu präsentieren und sich mit anderen auszutauschen. Darüber hinaus hat der Verein viele weitere Hörspielveranstaltungen geplant und durchgeführt: bei Veranstaltungen in soziokulturellen Zentren, an der Universität Leipzig und im Leipziger Zoo; bei einer Leipziger Initiative zur Erhaltung des historischen Stadtbades und einer Bürgerinitiative gegen Rechtsextremismus; bei den Hörspieltagen Halle , beim Geschichtsforum 19 8 9 / 20 0 9 in Berlin und vielem anderen mehr.

Die ganze Unternehmung hat also eine gewisse Eigendynamik entwickelt und mittlerweile entsteht der Eindruck, Teil einer Hörspielszene zu sein, die seit den 1980er Jahren aus dem Radio heraus und um das Radio herum gewachsen ist. Was ist das für ein Feld, das sich da zwischen Festivals, Hörnächten, Verlagen, Sendern und freier Szene auftut ? Dieser Frage geht vor allem das erste Kapitel des Buches nach. Im ersten Beitrag wird das Hörspielfestival Leipziger Hörspielsommer als ein möglicher Hörspielplatz vorgestellt. Die Reportage Ein Wechselbad entspannender Gefühlslagen – Auf der Suche nach der ganz speziellen Hörspielsommeratmosphäre von



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Johannes Lindenlaub beschreibt das, was jedes Jahr einmal im Sommer auf einer Wiese im Leipziger Stadtpark sicht- und hörbar wird und gibt Einblicke in die Hinterbühne des Festivals. Aus einer breiteren Perspektive nimmt die Kulturwissenschaftlerin Simone Schütz in ihrem Beitrag Im Schatten des Sendemastes. Eine kleine Geschichte der freien Hörspielszene die

freie Szene und ihre künstlerischen Produktionen in den Blick. Katrin Zipses Beitrag Selbstausbeutung, Selbstbespaßung. Produktionsbedingungen der freien Hörspielszene verdeutlicht die Pro-

duktionszwänge und -freiheiten aus Dramaturginnensicht, die sich aus der Arbeit freier Autoren ergeben. Die aktuellen Entwicklungen und Spannungen zwischen freier Szene und Rundfunk- und Verlagsstrukturen dokumentieren sich in der Diskussion Etablierte und Außenseiter – Zum Verhältnis von Profis und Amateuren in der Hörspielproduktion , die das

oben genannte Symposion abschloss. Verhandelt werden hier Definitionen von Profis und Amateuren mit allen positiven und negativen Implikationen, die Verschiebungen im Rundfunkbereich und die Verteilungskämpfe, die damit zusammenhängen, die Frage nach redaktioneller Autonomie und rundfunkpolitischer Abhängigkeit sowie der Kampf um künstlerische Eigenständigkeit und Selbstbestimmung. Schließlich geht es hier aber auch um die Legitimation des Hörspiels an sich: Die Frage nach der Position des freien Hörspiels wird ebenso zu einer Frage nach der Zukunft des Hörspiels als Kunstgattung überhaupt. Die Diskussion ist durch leidenschaftliche Publikumsbeiträge gekennzeichnet. In der Hitze dieses Diskurses steckt aber


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eigentlich der Beweis für die Lebendigkeit des Hörspiels – und das dürfte Profis wie Amateure gleichermaßen freuen. Diese Lebendigkeit spiegelt sich auch in den Beiträgen der beiden anderen Kapitel wider. Im zweiten Kapitel geht es dabei vor allem um das Hörspiel, wie es im Radio hörbar ist. Basierend auf seinem Eröffnungsvortrag des Symposions gibt Frank Schätzlein in dem Artikel Der „aufmerksame Hörer“. Zur Diskursgeschichte des Hörspiel- und Radio-Hörens einen Überblick darü-

ber, welche Ansprüche an Hörweisen und -haltungen gestellt wurden und werden. Die Diskussion Leben und Hörspielen im Zeitalter der verkürzten Aufmerksamkeitsspanne bringt Radiomacherinnen, Künstler

und Wissenschaftler ins Gespräch über das Wo und Wie des Hörens und Gehört-Werdens und über das Hörspiel als solches: Was kann es als genuine Kunstform des Radios und als Bestandteil einer Radiotradition oder als Medium außerhalb dessen leisten ? Wolfgang Hagen, Mit-Erfinder der Wurfsendung von Deutschlandradio Kultur, erklärt in seinem Artikel Nur ganz kurz. Anmerkungen zu den kürzesten Hörspielen den Entstehungskon-

text dieser aktuellen Hörspielform. Das dritte Kapitel zeigt schließlich unterschiedliche Richtungen, in die die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Hörspiel gehen kann. Die drei Beiträge beruhen auf Vorträgen des Symposions. Barbara Büscher erweitert das Hörspiel in ihrem Beitrag Radiophone Ereignisse: Zum Verhältnis von Live-Aufführungen und medialen Aufführungsformaten in Richtung Medi-

enkunst. Michael Wehren untersucht in seinem Artikel „Gemein-


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schaftsarbeit” – Aufmerksamkeit, Geste und Hör-Spiel bei Brecht und LIGNA nicht nur den ästhetischen Zwischenraum zwischen Ra-

dio und Theater, sondern zugleich die Utopien des Kollektiven, die sich mit dem Radio Anfang des 20. Jahrhunderts verbanden und die heute wieder bearbeitet werden. Eva Gruber eröffnet einen tiefgreifenden, theoretischen Diskurs über das Hörspiel in ihrem Beitrag Das Hörspiel im Spiegel des „ Acoustic Turn“. Kulturwissenschaftliche Perspektiven.

Auf der beiliegenden MP 3-CD finden sich ausgezeichnete Stücke aus acht Jahren Hörspielwettbewerb des Leipziger Hörspielsommers und damit ein Eindruck vom Klang der freien Szene. Ein Überblick über die Gewinner der letzten Jahre und die Angaben zu den Stücken auf der CD befinden sich im hinteren Teil des Buches. Wir danken an dieser Stelle allen, die die Entstehung der Hörspielplätze unterstützt haben und den Leipziger Hörspielsom-

mer mit seinem Wettbewerb ermöglichen: der Kulturstiftung des Bundes, die das Symposion und das Buch auf den Weg gebracht und finanziell ermöglicht hat, besonders Eva Maria Gauß; der Leipziger Buchmesse, die seit vielen Jahren den Hörspielsommer e. V. unterstützt; allen Sponsoren, Förderern, Medienpartnern, Spendern und Preisstiftern; unserem langjährigen Kulturpartner MDR Figaro; den Besucherinnen und Besuchern des Festivals, über deren Hörlust wir uns jeden Sommer freuen; den Gästen des Symposions und den Autorinnen und Autoren, die mit ihren Beiträgen dieses Buch inhaltlich füllten



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und bei der Vorbereitung als kompetente Partner mithalfen. An dieser Stelle bedanken wir uns außerdem herzlich bei den Hörfunkanstalten der ARD sowie dem österreichischen Sender ORF und dem Schweizer Sender DRS und den freien Autorinnen und Autoren, die ihre Produktionen für das Programm bzw. für den Wettbewerb zur Verfügung stellen – denn ohne die Produktionen bliebe vom Leipziger Hörspielsommer nur der Leipziger Sommer übrig. Wir hoffen, dass die Hörspielplätze einen Startpunkt bilden, von dem aus ein gedankliches oder praktisches „Losmachen und Ausprobieren“ für alle Leser und Leserinnen möglich ist. Leipzig im Februar 2011 Anja Frank, Twyla Chantelau, Tina Klatte



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