Die schönsten Wanderwege der Wanderhure
Als Schriftsteller muss man sich aktuelle Themen suchen, sonst geht man in der Masse unter. Die Vorstellung, dass sich irgendein Mensch außer dem Autor für aus der Welt gefallene Topoi wie die Sybel-Ficker-Kontroverse oder den späten Minnesang im mittelsächsischen Raum interessiert, ist ungefähr so unrealistisch wie der Wunsch vieler Kinder nach Weltfrieden. Die meisten von ihnen kaufen später Waffen. Oder SamsungTablets. Oder Produkte von Nestlé. Was im Prinzip dasselbe ist. Vom Schreiben leben kann man aber im Grunde genommen nur, wenn man einen hochbrisanten Stoff wie den Korea-Konflikt oder die Bühnenschlüpfer von Lady Gaga mit einem Titel kombiniert, der so gut ist, dass die Leute das Buch ganz selbstverständlich in den Einkaufswagen legen. Wie Klopapier. Der Inhalt ist vollkommen irrelevant, es muss sich nur verkaufen. Bei der Wahl des Titels müssen mehrere Faktoren beachtet werden. Zuerst natürlich die Art des Buches. Was heutzutage geht: Krimis, historische Krimis, Kochbücher, historische Kochbücher, Fantasy, Ratgeber, alles mit Vampiren, Frank Schätzing. Das wissen dummerweise alle anderen Autoren auch. Wenn man auf einer Buchmesse unterwegs ist, wird einem schlagartig bewusst, wie viele Autoren es eigentlich gibt. Die dann von niemandem gelesen werden, denn das Publikum auf der Buchmesse hat nur zwei Gründe für seine Anwesenheit. Riesige Beutel mit Infomaterial von Cornelsen abzustauben oder sich als Manga-Mäuschen zu verkleiden.
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Ein Beweis dafür, dass kaum einer den ganzen Kram lesen kann, der heutzutage geschrieben wird, war die Autogrammstunde einer Fantasy-Autorin, an deren Namen und Buch ich mich nicht mehr erinnern kann. Sagen wir, sie hieß Anne Zimmermann und das Buch Die Drachenorks vom Azal-Zûm. Kein Mensch kam zu ihrer Autogrammstunde. Außer mir. Und das obwohl sie als Prinzessin Mononoke verkleidet war und dabei nur entfernt an Vin Diesel erinnerte. Statistiken zufolge, die ich hier nicht richtig wiedergeben kann, weil mich das nicht interessiert, soll der Umsatz des deutschen Buchmarktes 2012 zu drei Vierteln von der SadomasoKlamotte Shades of Grey bestritten worden sein. Insofern wäre das natürlich das perfekte Trittbrett, nur gibt es eben nicht so viele Farben. Das neueste Buch von Peter Handke wiederum, immerhin einer der wichtigsten deutschsprachigen Schriftsteller der letzten 40 Jahre, beheimatet in der Titanic der Großverlage, also Suhrkamp, soll sich laut unabhängigen Medienberichten in den ersten zwei Wochen exakt viermal verkauft haben. Und wie war der Titel? … Sehnse? Dann doch lieber Krimis oder Ratgeber. Oder Ratgeber-Krimis. Mit nordisch klingenden Namen. Kommissar Hagelund betrat das Gebäude allein und ohne Taschenlampe. Auch seine Pistole hatte er im Auto vergessen. Seit seiner Arthroskopie im vergangenen Herbst zog er das linke Bein etwas nach. Als er einen der beiden Täter sah, war es zu spät. Er konnte ihn weder einholen noch erschießen. Merke: Taschenlampe, Dienstwaffe und eine funktionierende Anatomie sind unbedingte Vorraussetzung für die erfolgreiche Verbrecherjagd. Oder Krimi-Ratgeber: Krimis für Dummies. Oder Dummie-Ratgeber: Dummies für Dummies. Ratgeber sind prinzipiell eine gute Sache. Wenn sie sich kombinieren lassen mit aktuellen Hypes oder Themen, umso besser. Hilfe, ich bin noch kein Vampir!
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Atombunker im Praxistest Wie bio ist mein Baby? Abnehmen durch sterben Oder Bildbände über Popmusik und Dadaismus: Papa-papa-razzi: Als Dada plötzlich Gaga war. Wichtig ist nur: Irgendwas im Titel müssen die Leute kennen. Dann verkauft es sich. Historische Fischgerichte mit Frank Schätzing – Mega-Bestseller. Wenn ich ein Kochbuch schreiben würde, dann hieße es: Das riecht aber komisch – 50 Gerichte mit Spargel. Neben dem Wunsch der Menschen nach Rat, den sie nicht in der Kirche finden, sondern eher bei Richard David Precht, ist auch der Wunsch nach politischer oder historischer Erkenntnis in Bezug auf aktuelle Themen sehr wichtig. Sobald ein neuer Diktator erscheint oder ein alter abtritt, sobald eine Partei oder ein Standpunkt lange genug existieren, werden dazu Bücher geschrieben. Kim Jong-un – Mein Papa hat gesagt, ich darf nicht mit fremden Männern reden Angela Merkel – Eine belanglose Kindheit Nicht unter jedem Schleier steckt eine Braut – Die lauernde Gefahr des Terrorismus In der Belletristik gibt es wieder andere Regeln. Wichtig ist, dass man als Autor beachtet, welche Zusatzartikel sich rund um’s eigene Werk noch schaffen lassen. Anhand von Shades of Grey lässt sich das sehr gut zeigen. Überall auf der Welt gibt es mittlerweile Läden für Frauenbedarf, sprich: Öle, Seifen, Crémes, Literatur, aber auch Dinge für untenrum. Was würde da besser passen, als solche Geschäfte mit Shades of Grey-Produkten auszustatten? Hier einige Beispiele, gesehen in Wien im Laden »Liebenswert – Erotikfachgeschäft für Frauen und alle, die Frauen lieben«: Shades of Grey – Seidenmalfarben (50er-Set, plus graues Seidentuch) Shades of Grey – Aktfotografien, schwarz-weiß, 50 Abbildungen
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Der Lebenslauf
Als Schriftsteller muss man sich gut vermarkten können, sonst geht man in der Masse unter. Die Vorstellung, dass man irgendwann von irgendwem entdeckt wird, ist ungefähr so realistisch wie mein Kindheitstraum, dass ich durch einen Auftritt in der Mini Playback Show zu einem Rockstar hätte werden können. Leute wie ich werden nicht entdeckt, weil keiner nach uns sucht. Ich bin sehr schlecht in Sachen Eigenwerbung. Ich spiele herunter, relativiere, gebe Gründe an, warum ich gar nicht so krass bin oder warum meine Krassness nur dem Zufall geschuldet ist. Man könnte sagen, ich bin der heftigste Untertreiber der Welt, was aber auch wieder nicht geht, denn das wäre eine Übertreibung. Und übertreiben kann ich nicht. Sagen wir vielleicht so viel: Meine Lebensgeschichte würde sich, von mir aufgeschrieben, anhören wie der Polizeireport über einen ruhigen Abend in einem Dorf in Bayern. Nun soll ich einen Lebenslauf für einen Literaturwettbewerb schreiben. Zwölf Zeilen, die aussagen, dass ich der Geilste bin oder zumindest genau der Richtige für diesen Literaturwettbewerb. Ich schreibe zwölf spröde Zeilen, wo und wann ich geboren bin, was ich studiert habe bis zu meiner Exmatrikulation und irgendeinen Standardsatz über meine »Erfolge« als Slammer und Kabarettist. Meine Freundin liest sich das durch, schüttelt den Kopf und sagt: »Den Preis gewinnt man mit der Vita, nicht mit dem Text. Da musst du übertreiben, dass den Leuten die Augen bluten.
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Lass Felix Krull wie eine Kopie von Münchhausen aussehen. Du hast doch bestimmt mal ein YouTube-Video kommentiert. Zack! Diverse Veröffentlichungen in Anthologien und relevanten Literaturmagazinen. Du hast doch bestimmt mal ein kleines Kind auf dem Arm gehalten. Zack! Charity! Dass du nicht zu Ende studiert hast, braucht ja keiner wissen. Außerdem muss dir auch immer erst mal jemand das Gegenteil beweisen!« »Machst du das auch so?«, frage ich. »Bist du gar nicht die, für die ich dich halte? Beste deines Jahrgangs, Schachweltmeisterin und niedersächsische Dressurkönigin 2003?« »Also ich war zumindest da … Und wieso geht es jetzt eigentlich um mich? Es geht hier um dein Leben!« »Mir fällt das aber schwer.« »Es ist nun mal deine einzige Möglichkeit. Ein Netzwerker bist du ja auch nicht gerade.« Das stimmt. Ich bin eben lieber für mich. Bei Empfängen stehe ich meist im Weg herum und rauche unglaublich viel, wirke dabei aber nicht interessant, sondern wie ein Kettenraucher mit Herzproblemen und schlechter Haut. Was ich ja auch bin. Zwölf Zeilen, was soll man denn in zwölf Zeilen alles reinschreiben? Erfolge als Poetry Slammer in ganz Deutschland. Das kann jeder Poetry Slammer in seine Biografie reinschreiben, da es mittlerweile sogar in Görlitz einen Slam gibt, den man gewinnt, weil einfach kein anderer Teilnehmer da ist. Deutschsprachiger Team-Slam-Meister bin ich, sogar zweimal hintereinander, ein Titel, der so viel Bedeutung hat wie eine geschüttelte Flasche Mineralwasser in einem Tsunami. Ich habe einige Bücher veröffentlicht, alleine oder mit anderen zusammen, und ich habe diese Band: The Fuck Hornisschen Orchestra. Spitzenname. Wir waren drei Jahre lang die Hausband des NDR-Comedy-Contests und wurden nominiert für einige Kabarettpreise. Wir haben hier wie dort das vorwiegend aus Rentnern bestehende Publikum mit unserem intellektuellen Studentenscheiß zu Tode gelangweilt.
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Also wirklich zu Tode, zwei Leichen pro Wettbewerb, aber sollte das mit rein in so einen Lebenslauf? Und was bedeuten überhaupt zwölf Zeilen? Beziehungsweise maximal zwölf Zeilen. Ich würde ja sowas schreiben wie: »84 geboren, aufgewachsen und nicht gestorben. Deswegen Autor und Musiker. Hat auch mal was gewonnen. Weitere Infos unter www.juliusfischer.de und im Internet.« Das ist im Prinzip alles. »Ich frage mich, warum ich mich damals in dich verliebt habe!«, sagt meine Freundin, nachdem ich ihr das vorgelesen habe. »Aber es stimmt!«, sage ich. »Du brauchst echt Hilfe!« »Von wem denn?« »Von mir!« Sofort läuten meine Alarmglocken. Nie Berufliches und Privates mischen. Das weiß mittlerweile sogar die CSU. »Nee, ich mache das selber!«, rufe ich, während ich mich an die alte Schreibmaschine meines Großvaters setze, um den Lebenslauf meines Lebens zu schreiben. Zwölf Zeilen, eng gesetzt, Schriftgröße 5. Es ist eine sehr kleine, sehr alte Schreibmaschine, ein vergilbtes, vollgeschriebenes Blatt steckt darin. Ich lese den ersten Satz: »In einer Höhle im Boden, da lebte ein Hobbit.« Ich hatte sowas geahnt. Julius Fischer, Jahrgang 1984, Findelkind aus Gera, wurde von zwei rivalisierenden Zirkusfamilien im monatlichen Wechsel aufgezogen, entschied sich aber bereits im Alter von drei für eine Laufbahn als Pantomime und Maler, wofür er nach Dresden zog. Dieser Tapetenwechsel inspirierte ihn zu seinem ersten Aquarell-Zyklus »Mama, Papa, Papa und ich«, welcher von der Öffentlichkeit wohlwollend aufgenommen wurde. Nach diversen Umzügen in Dresden, wohl zurückzuführen auf Fischers fehlendes pantomimisches Talent – er fand nie eine Tür – ließ er sich in Niederwartha nieder und prägte das Dorfgeschehen entscheidend. Schon vor seinem zehnten Lebensjahr bewies Fischer, dass er eigentlich Thomas Mann war. Wie das ging, war zwar allen schleierhaft, aber widerlegen konnte es auch keiner. Nach dem Abitur zog es Fischer in die Messestadt Leipzig, wo er neben seiner Ausbildung als Pizzaverleiher Geschichte und Literaturwissenschaften, Wirtschaftsökonomie und Pflanzenbestimmung sowie Architektur, Film und Schauspiel studierte. Erste Auftritte, vor allem bei Poetry Slams, im gesamten
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