Edo Popovic - Die Spieler

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SONAR

“ Die Wirklichkeit ist ein

sehr starkes Halluzinogen. Und wenn sie euch einmal packt, dann hält sie euch ein Leben lang fest. „ “ Edo Popovic´ erzählt auf jener diskreten Höhe, auf der Können sich nicht mehr beweisen muss. DER SPIEGEL

ROMAN

EUR 19,90 (D) ISBN 978-3-938424-33-9

www.voland-quist.de

Voland & Quist

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Von Austern und Dragoners Pudel

Nun sah Dragoner nicht mehr auf die Uhr, sondern saß mit Zweizentner im Separée des Restaurants mit Ausblick auf den Friedhof Mirogoj, wo sie das Geschät feierten, dass sie gerade auf dem Parkplatz abgeschlossen haten. Auf dem Parkplatz haten sich simultan zwei Dinge abgespielt: die Mappe mit den Kopien von Folos Bericht war in Dragoners Tasche gegliten, während ein gewöhnlicher weißer Briefumschlag elegant in die Innentasche von Zweizentners Italo-Jacket gewandert war, das beinahe nicht mehr nach Geschät roch. Und jetzt schlürten sie Austern und begossen sie mit Champagner. Das ist nicht schlecht, sagte Zweizentner, während er mit seinen dicken Fingern auf der Plate mit den Austern herumhantierte. Ihr Journalisten versteht was vom Genießen. Und du hast dich angeblich vor Arbeit überschlagen, sagte Dragoner, nur um irgendetwas zu sagen. Er hate keine besondere Lust, mit Zweizentner zu reden. Seit zwölf langen Jahren wiederholte er mindestens einmal die Woche dieses Ritual. Er hate sich an allen möglichen Visagen satgesehen, an allen möglichen Geschichten sat gefressen, und schon seit Jahren spürte er nur noch einen ekligen Geschmack in seinem Mund, der sich nicht mit Mundwasser wegspülen ließ, nicht mit reifem Bourbon, nicht mit Markenwein, nicht mit kulinarischen Glanzleistungen verschiedener Cheköche, mit gar nichts.

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Dragoner war müde. Sehr müde. Und jetzt träumte er davon, wie er sich zurückziehen würde. Er phantasierte von küntigen friedlichen Tagen und Jahren, vielleicht einem Lehrstuhl für Journalistik, nachmitags ein Spaziergang mit seinem Pudel durch den Zrinjevac-Park, dann Kafee im Palace … Die Umstellung auf Euro fällt mir irgendwie schwer, der mit seinen Austern beschätigte Zweizentner bemerkte gar nicht, dass Dragoner abgedritet war. Es kommt mir vor, als häte ich dir das Ganze für Peanuts gegeben … fünf lächerliche Tausend … irgendwas. Verdammt, sagte Dragoner, der gerade dabei war, den Pudel für sein ungehöriges Benehmen im Café zu tadeln, du hätest mir auch gleich sagen können, dass du slowenische Tolar haben willst. Ha, ha, ha! Der ist gut, sagte Zweizentner. Na, dann will ich mal nachsehen, was ich für die Peanuts bekommen habe, sagte Dragoner und nahm die Mappe aus der Tasche. Muss das hier sein?, fragte Zweizentner und blickte sich um. Komm, mach mal halblang, sagte Dragoner. Zweizentner seufzte und goss sich Champagner nach. Brut Barocco, was für ein Name, murmelte er. Boris Elazar!, Dragoner war perplex, den kenne ich, er schreibt nicht schlecht, hat für uns auch schon einige Texte geschrieben. Super, sagte Zweizentner. Was ist das denn für ein Mist!, Dragoner starrte in die Mappe. Was hast du mir denn hier untergejubelt, was soll Elazar mit den Arabern zu tun haben? Der ist doch Jude. Leise, sagte Zweizentner, du schreist ja wie ein beschissener Kolporteur. Elazar ist Alki, er ist gaga, völlig durch den Wind, aber das hier … Dragoner bläterte nervös in dem Bericht. Ich weiß darüber gar nichts, sagte Zweizentner. Folos Büro leitet die Ermitlungen, ich bin sozusagen nur der Kurier.

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Von einer weinenden Dame mit russischem Akzent

Tiefer konnte die Abteilung für Kulturterrorismus nicht sinken. Warum? Sie befand sich in der Krise, darum. Es gab nichts zu tun. Immer seltener war der Regierung etwas ein Dorn im Auge. Nicht die blasseste Spur eines Chomsky weit und breit. Und wer musste es ausbaden? Folo natürlich. Das reinste Elend. Folo war der einzige Beschätigte bei Akulter, er war sein eigener Abteilungsleiter, seine Sekretärin, seine Putzfrau, einfach alles. Der Polizeiminister scherte sich keinen Deut um ihn, der Finanzminister noch weniger, sonst würde Folo doch etwas Besseres fahren als diese alte Kiste, oder? Akulter war das dreizehnte, das vierzehnte oder sogar das fünfzehnte Schweinchen, auf jeden Fall das kleinste unter all den Schweinen der verschiedenen Polizeiabteilungen, die gierig die Kohle der Steuerzahler verschlangen, auch wenn das möglicherweise wie eine allzu prätentiöse und dumme Metapher klingt. Folo saß also in seinem Büro und bläterte in einer Zeitung:

aktivist der katholischen nationalliga vergewaltigt elf kinder betrunkener polizist bringt angetrunkenen fahrradfahrer zu fall frau tätowiert sich handy auf den rücken journalistin heiratet jordanischen prinzen 93


maradona spricht und isst wieder als es an der Tür klingelte. Folo konnte sich nicht erinnern, wann zuletzt eine normale Person bei Akulter geklingelt hate. Vor der Tür stand die Dame, die bei der Beerdigung so geweint hate und die er für die Schwester des Märzhasen hielt. Bite?, sagte Folo und musterte sie von Kopf bis Fuß. Sie war für einen Moment verwirrt, als sie begrif, dass sie Folo schon bei der Beerdigung gesehen hate. Ihm hingegen war nicht klar, wieso sie jetzt bei ihm autauchte. Hate der Märzhase seine … hm, nennen wir es mal Freizeitbeschätigung, etwa nicht geheim gehalten? Herr Folo?, fragte sie. Folo nickte und fragte sich, woher sie wohl diesen russischen Akzent hate. Darf ich hereinkommen?, fragte sie. Nur zu, sagte er. Sie sieht viel besser aus als bei der Beerdigung, dachte Folo, während er sie musterte. Ich bin eine Freundin von Dalibor, sagte sie, und ihre Augen bewegten sich ständig zwischen Folos Gesicht und einem Punkt an der Wand hin und her. Dalibor?, fragte er und hob seinen Blick von ihren Brüsten, die sich perfekt unter ihrem eng anliegenden T-Shirt abzeichneten. Dalibor Funtak, sagte sie, während ihr Blick auf Folos Gesicht zur Ruhe kam. Ach ja, natürlich, antwortete er, da ihm einiel, dass Spitzel neben ihren Tarnnamen auch ganz normale bürgerliche Namen haben. Sie stand da, als warte sie auf irgendetwas, und Folo begrif, dass es anständig wäre, ihr einen Stuhl anzubieten. Aber nicht den Spitzelstuhl, auf dem der Märzhase alias Dalibor Funtak so

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ot gesessen hate. Das wäre vielleicht unpassend, ging es ihm durch den Kopf. Biteschön, sagte er und wies auf den hölzernen Spitzelstuhl. Sie fragen sich sicher, warum ich gekommen bin, sagte sie. Folo nickte. Und nicht nur das. Er fragte sich auch, was sie in der Geschichte des Märzhasen zu suchen habe, welcher gute Geist die beiden wohl zusammen geführt hate. Ich bin etwas verwirrt, sagte sie, ich habe nicht erwartet, dass Sie der Mann sind, der … Sie verstehen schon. Das Leben ist voller Überraschungen, sagte Folo. Dalibor hat etwas für Sie hinterlassen, kam sie unvermitelt zur Sache. Sie zog einen Umschlag aus ihrer Tasche und legte ihn auf den Tisch. Einen gewöhnlichen weißen Umschlag, auf den jemand von Hand seine Adresse geschrieben hate: Herrn Abteilungsleiter Folo, akulter, Odranska 184/4. Er hat gesagt, dass ich Ihnen das übergeben soll, wenn ihm etwas zustößt. Warum haben Sie den Brief nicht der Polizei gegeben?, fragte Folo. Ich vermute mal, dass die mit Ihnen gesprochen haben. Ja, das haben sie, sagte sie und fügte leise hinzu, in letzter Zeit sogar häufiger als sonst. Aber, fuhr sie mit klarer Stimme fort, Dalibor hat gesagt, dass ich Ihnen den Brief geben soll und niemand anderem. Und außerdem, sie sah ihn an, sind Sie doch auch Polizist oder etwa nicht? Eigentlich schon, sagte Folo. Wann hat … Dalibor … Ihnen diesen Umschlag gegeben? Drei Tage, bevor er ermordet wurde. Und er hat Ihnen nichts weiter gesagt? Sie schütelte den Kopf. Es sei eine Absicherung, hat er gesagt. Folo nickte.

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Baseball für Punker und Paziisten

Es ist nicht dasselbe Gefühl, deinitiv nicht. Hundertmal bin ich über diesen Parkplatz gegangen, aber jetzt ist es etwas anderes. Auch jetzt liegt die hohe rote Ziegelsteinmauer hinter mir, das Verwaltungsgebäude, der Zellentrakt, der Glasturm mit den Wächtern. Ich spüre den Blick des Bullen an der Pforte in meinem Rücken. Aber heute werde ich nicht wieder in diesen Käig zurückgehen. Ich fühle mich wie ein Leopard. Mit dem Rucksack über der Schulter gehe ich zum letzten Mal über den Gefängnisparkplatz und atme. Oh Mann, ich atme krätig durch, alle hinter der Mauer da können mich hören. Der Gefängnisdirektor, die Wächter, die Gefangenen – was für ein verrücktes Gefühl. Kennst du das, wenn du einen Trit in den Solarplexus oder in die Eier bekommen hast … und deine Lunge explodiert, das Gehirn und die Augen bersten, alles wird trüb, und du musst kotzen, du stirbst, oh Mann, und du willst nur noch, dass alles schnell zu Ende geht, aber dann beginnt die Lunge plötzlich wieder zu funktionieren. Zuerst stockt sie ein wenig, aber dann indet sie langsam wieder ihren Rhythmus, dein Blick wird wieder klar, und du beginnst, mit voller Krat zu atmen … Es ist gut. Ich atme und sehe den Bosnier und den Hässlichen, wie sie sich über die Straße schleppen. Sie haben draußen was zu tun, keine Ahnung, was sie heute vorhaben. Wahrscheinlich drücken sie sich gerade wieder um irgendeine Arbeit. Ich hate auch Freigang. Ich habe außerhalb der Mauern gearbeitet, ich habe in

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dem Café da oben gekellnert. Das war gut. Es wäre super gewesen, wenn ich abends nicht zurück in die Zelle gemusst häte. Jetzt drehen sich der Bosnier und der Hässliche nach mir um und sehen mich an. Du gehst, Alter? Ich sage nichts. Die beiden gehen mir am Arsch vorbei. Ich atme. Ich heiße Niko. Wir haben uns lange nicht gesehen. Zwei Jahre. So lange war ich im Bau. Okay, ich hate mich aus heiterem Himmel auf diesen Typen gestürzt, das hab ich vor Gericht ja auch zugegeben, aber ich wollte ihn nicht … naja, zum Krüppel machen. Ich habe in jener Nacht einfach etwas stärker ausgeholt, und der Typ ist in letzter Sekunde ungünstig ausgewichen, und da habe ich ihn mit dem Schläger nicht wie beabsichtigt an der Schulter, sondern am Kopf getrofen, und seitdem funktioniert der Typ nur noch zu fünfzig Prozent. Und ich bin da gelandet, wo ich eben gelandet bin. Ich rechtfertige mich nicht, aber ich kann ehrlich sagen, dass es mir leid tut für den Typen, ich wollte ihn wirklich nicht so hart trefen. Er sollte nur eine krätigere Tracht Prügel bekommen. Als Warnung für die anderen, wie Darko es ausgedrückt hate. Es war nämlich Darkos Idee gewesen. Lass uns ein paar Schwule aufmischen, hate er gesagt. Eigentlich war es nicht einmal seine Idee gewesen. Darko sprudelte nicht gerade vor Ideen. Den Auftrag hate er von Max bekommen. Max war früher eine wichtige Person in der Nordkurve gewesen, aber dann begann er für den General zu arbeiten, das wussten alle. Der General war ein undurchsichtiger Mann. Eigentlich war er gar kein General, er wurde nur so genannt, und er war nicht der Typ, mit dem ich gerne Kafee trinken würde, einfach nicht mein Fall. Aber Max war halt zuständig für bestimmte Aufgaben. Er organisierte Angrife auf Punker, Paziisten, Schwarze, Schwule und ähnliche Personenkreise. Seine

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