Leseprobe Der jüdische Hintergrund zum "Vaterunser"

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Brad H. Young

Der jüdische Hintergrund zum „Vaterunser“

Aus dem amerikanischen Englisch von Horst Krüger und Volker Müller

Verlag G. Bernard Solingen


1. Auflage 2017 © der deutschen Ausgabe 2017 Verlag Gottfried Bernard · Heidstraße 2a · 42719 Solingen E-Mail: verlag.gottfriedbernard@t-online.de · Internet: www.gbernard.de Originally published in English under the title: The Jewish Background to the Lord’s Prayer. Copyright 1984 by Brad Young, All Rights reserved. Publisher in the USA: Gospel Research Foundation, P.O. Box 703101, Tulsa, Oklahoma 74170, USA Verwendete Bibelübersetzung: Revidierte Elberfelder Bibel 1985/91, © SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag GmbH & Co. KG, Witten Übersetzung: Horst Krüger und Volker Müller, Aachen Grafik: Stefanie Riewe – Mediengestaltung, Magdala/Th Satz: Satz & Medien Wieser, Stolberg Druck: Müller Fotosatz & Druck GmbH, 95152 Selbitz Printed in Germany ISBN 978-3-941714-54-0 Best. Nr. 175554


Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Zum Geleit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Einleitung: Das Gebet der Jünger . . . . . . . . . . . . . . . 11 Unser Vater, der du bist im Himmel . . . . . . . . . . . . . 14 Geheiligt werde dein Name . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Dein Reich komme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Dein Wille geschehe auf Erden wie im Himmel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Unser tägliches Brot gib uns heute . . . . . . . . . . . . . . 41 Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir unseren Schuldigern vergeben haben . . . . . . . . . . . . 46 Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen . . . . . . . . . . . . . . 50 Zusammenfassung: Das Reich Gottes und der Auftrag . . . . . . . . . . . . . . . 55 Über den Autor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58


Einleitung: Das Gebet der Jünger Viele stehen beim Vaterunser vor einem Rätsel. Wenig überrascht indes, dass die Jünger Jesus darum baten, sie beten zu lehren.1 Jesu Antwort ist uns inzwischen gut bekannt. Auch wenn Viele das Vaterunser bzw. das Gebet des Herrn auswendig aufsagen können, wissen doch nur Wenige um die wahre Bedeutung der Worte. Die Anzahl der Bücher über den Sinn des kurzen Gebetes ist Legion, Wenige indes erklären den wahren Inhalt der Worte Jesu. In der Tat ist (vor allem im englischsprachigen Bereich, Bem. d. Übers.) die erste Hürde vor einem rechten Verständnis des Gebets der (englische) traditionelle Titel „Das Gebet des Herrn“. Jesus selbst hat nämlich die bekannten Worte gar nicht gebetet, vielmehr vertraute er sie seinen Nachfolgern an. Darum müsste man sie „Das Gebet der Jünger“ nennen. Leider beginnen hier die Missverständnisse; denn das Hauptproblem ist die Frage nach der richtigen Weise des Herangehens, weil die Wichtigkeit des jüdischen Hintergrunds und der Sprache Jesu übersehen oder herunter gespielt wurde. Jesus war Jude und sprach Hebräisch mit seinen jüdischen Nachfolgern2 während der schweren Zeit der römischen Besetzung Israels in der Zweiten Tempelperiode. Der moderne Christ hat ein anderes Verständnis von Gebet, Schriften und Glauben als ein jüdischer Lehrer wie Jesus, ganz zu schweigen von 1 2

Jedenfalls ist das die Einleitung zum Gebet (Lk 11,1); Kontext: Mt 6,5-8. Hebräisch als lebendige Sprache im Palästina des 1. Jahrhunderts, David Bivin, Roy B. Blizzard, Was hat Jesus wirklich gesagt?

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den erheblichen Unterschieden hinsichtlich Sprache, Kultur und Geschichte. Wir können leicht die Tiefe der Botschaft Jesu verfehlen, obwohl wir an ihn glauben. Hier wollen wir versuchen, etwas von der ursprünglichen jüdischen Atmosphäre zu entdecken, in der Jesus seine Jünger lehrte, sich Gott im Gebet zu nahen. Das Vaterunser liegt uns in zwei parallelen Fassungen vor. Es gibt viele Gründe für die Annahme, dass beide Texte auf einer gemeinsamen Quelle basieren. Wir sehen bei einem Vergleich beider Lesarten der Worte Jesu Unterschiede. Das Gebet steht bei Matthäus und Lukas, aber nicht bei Markus, obwohl er Kenntnis gehabt haben muss (vgl. Mk 11,25-26). Hier die Texte (rev. Elberf. Übers.) – mit den Unterschieden in Kursivschrift: Lukas 11,2-4:

Matthäus 6,9-13:

Vater, geheiligt werde dein Name;

Unser Vater, der du bist in den Himmeln, geheiligt werde dein Name;

dein Reich komme;

10 dein Reich komme; dein Wille geschehe, wie im Himmel so auch auf Erden!

3 unser nötiges Brot gib uns täglich;

11 Unser tägliches Brot gib uns heute;

4 und vergib uns unsere Sünden, denn auch wir selbst vergeben jedem, der uns schuldig ist;

12 und vergib uns unsere Schulden, wie auch wir unseren Schuldnern vergeben haben;

und führe uns nicht in Versuchung.

13 und führe uns nicht in Versuchung, sondern errette uns von dem Bösen!

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(Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen!)

Warum fehlt die Doxologie bei Lukas? Die älteren Handschriften kennen sie nicht. Sie erinnert an Davids Segen 1Chr 29,10b-13: Gepriesen seist Du, Herr, Gott unseres Vaters Israel, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Dein, Herr, ist die Größe und die Stärke und die Herrlichkeit und der Glanz und die Majestät … Dein, Herr, ist das Königtum, du bist über alles erhaben als Haupt … Unser Gott, wir preisen dich, wir loben deinen herrlichen Namen. Ein wichtiger Bereich der NT-Forschung bewertet die mannigfachen Manuskripte. In unserem Fall ist kaum zu verstehen, warum ein späterer Autor den Segen herausgenommen hat. Es ist aber auch leicht zu erkennen, warum jemand das Gebet erweitern wollte; denn man mag es als unpassend empfunden haben, mit der Bitte erlöse uns vom Bösen abzuschließen. Wollte jemand das verbessern? Trotzdem: Die kürzere Fassung des Endes liegt mehr auf der Linie des Gebets. Lukas ist ohnehin kürzer. Frühe Kommentare der Kirchenväter zum Vaterunser (Tertullian, Origenes, Cyprian) kennen den Zusatz nicht. Spätere Zeugnisse von einem längeren Ende stimmen nicht überein. Die Didache (8,2-3) enthält den Segen abweichend: Denn dein ist die Kraft und die Ehre ewiglich. Die frühen Christen sollten das Gebet dreimal täglich beten.

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