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VORBEMERKUNGEN
Ende 2021 wird der Bund Bildender Künstler BBK Niedersachsen im Schloss Bevern seinen fünften Aktionsort im Rahmen seiner Jubiläums-Landesausstellung ‘d-plaziert‘ mit künstlerischen Aktivitäten organisieren und hat als thematische Ankerfigur Statius von Münchhausen, also den Bauherrn dieses adeligen Hauses 1603-1612, vorgegeben – ob damit eine künstlerische Rehabilitation des in der Vergangenheit so nachhaltig diskreditierten Statius von Münchhausen intendiert ist, wird sich zeigen.
Schon im Jahr der Weserrenaissance 1996 gewann das Schloss Bevern landesweite Aufmerksamkeit, konnte als die für die Renaissance bundesweit vorbildlichste Bauanlage ermittelt, aber leider wegen fehlender niedersächsischer Mittel nicht Zentrum der Feierlichkeiten werden – Schloss Brake bei Lemgo wurde zentraler Ausstellungsort dank ausreichender Finanzierungsmöglichkeiten durch die nordrheinwestfälische Landesregierung. Durch ehrenamtliche Initiative wurde der Landkreis Holzminden im Jahr der Weserrenaissance zumindest ein ‘kulinarisches Zentrum‘. Vierundzwanzig Gaststätten des Landkreises aktualisierten einzelne Momente der bürgerlichen Tafelkultur der Renaissance und entwickelten daraus spezielle Angebote. Ganz ohne Kartoffel, denn diese kam mit Johann Georg von Langen erst im 18. Jh. in den braunschweigischen Weserdistrikt.
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Seit 1984 hatte sich der Landkreis Holzminden bemüht, Schloss Bevern von der Gemeinde Bevern zu übernehmen, ließ eine umfassende ‘Technische Bestandsaufnahme‘ als Bausubstanzuntersuchung anfertigen und gab auf deren Grundlage alternative Nutzungskonzepte und darauf aufbauende Vorentwürfe in Auftrag. Als Impulsnutzung wurde nach einem DEHOGA-Gutachten zu drei Gastronomie-Konzepten bzw. Vorentwürfen im Nordwestbereich ein Schlossrestaurant mit gehobenen Anspruch in der ehemaligen Schloss-Küche entwickelt. Immer jeweils drei alternative Detailvorschläge dienten als breitere Entscheidungsbasis für den Bauherrn und die beratende Denkmalpflege. Der Schlosshof konnte für Konzerte und Veranstaltungen genutzt werden. Er wurde insbesondere für eine jährliche Aufführung der ‘bremer shakespeare-company‘ mit einem Brunnen als Hommage an den Renaissance-Baumeister Schickardt und den italienischen Architekten Carlo Scarpa gestaltet und sollte als zentraler Spielort einer ‘Shakespeare-Bühne‘ nutzbar sein. Die restaurierte Schlosskapelle wurde für Trauungen, Konzerte und Veranstaltungen, auch durch den ‘Freundeskreis Schloss Bevern‘, immer intensiver genutzt. Im Ostflügel fand das Kulturamt und die Archäologie des Landkreises eine neue Heimat. Und im Nordwest-Bereich des Obergeschosses wurden Ausstellungsräume als Provisorium geschaffen, in denen der Kunstkreis Holzminden seine Jahresausstellungen und sieben Grafiktriennalen organisieren konnte. Auch große Themen-Ausstellungen wie ‘Die Ostgoten‘, ‘Die Vandalen‘ u.a. konnten in diesem Ausstellungsbereich realisiert werden. Dies alles wurde durch das kulturelle Engagement des Kreisverwaltungsdirektors Thomas Veil möglich, nach dessen Weggang als Landrat von Halberstadt leider das Engagement der Kreisverwaltung merklich nachließ.
Erst mit dem Beitritt des Landkreises zum Kopfprojekt ‘Erlebniswelt Renaissance‘ wurde im Oberge-
schoss des Westflügels eine Ausstellung konzipiert mit dem Titel ‘Geld regiert die Welt – Ist Münchhausen noch zu retten?‘, die die alten örtlichen Ressentiments der Wilhelmsstift-Zeit (‘Bist du nicht artig, kommst du nach Bevern‘) reaktivierte und den Bauherrn dieses Adelssitzes, Statius von Münchhausen, als Bankrotteur diskreditierte. Der frühere Spruch über dem Tor vom Innenhof zum Lustgarten (Palatium pulchrum – nisi emigrandum) wurde, nach zweifelhaften Behauptungen eines örtlichen Chronisten, als Bekenntnis des Statius v.M. zu seinen ‘waghalsigen‘ Finanzaktionen interpretiert. Jede annähernd gründliche Recherche hätte ergeben, dass Statius v.M. des ‘Schreibens wenig kundig‘ war, schon gar kein Latein beherrschte und dieser Spruch nachweislich von Herzog Ferdinand Albrecht I. nach dessen Einzug 1668 in das herzogliche Jagdhaus Bevern appliziert wurde. Mit einer Vielzahl von Sinnsprüchen in allen Räumen des Schlosses Bevern hat Herzog Ferdinand Albrecht I. nicht nur die ‘herzogliche Apanageresidenz Bevern‘ begründet, den ehemaligen Adelssitz zum ‘Schloss‘ gewandelt und sich als fleißiges Mitglied der ‘Fruchtbringenden Gesellschaft‘ im anhaltinischen Köthen ausgewiesen. Den lustigsten Sinnspruch hatte der Herzog an der als Kerker genutzten ehemaligen Pulverkammer anbringen lassen: Böser Belzials Buben Behausung.
Zum 400. Jubiläum des Schlosses Bevern 2012 hat dann der Festredner, immerhin Direktor des Staatsarchivs Wolfenbüttel und ‘bester Kenner der Geschichte des Adelsgeschlechtes von Münchhausen‘, dem Bauherrn des Adelssitzes Bevern ‘den ersten Millionenkonkurs in der niedersächsischen Geschichte‘ angedichtet. Spätestens dadurch entstand die Idee, mit einer intensiveren Darstellung der zeitgenössischen Lebensumstände des Statius v.M. seine Lebensleistung herauszuarbeiten und ihn zu rehabilitieren: Statius von Münchhausen – das Lebensbild eines frühen Europäers im Spiegel seiner Zeit.
Das Leben des Statius v.M. (1555-1633) war selbstverständlich von den tiefgreifenden politischen, gesellschaftlichen, religiösen, wirtschaftlichen und kulturellen Umbrüchen des 16. Jahrhunderts geprägt. Diese Handlungsebenen müssen in ihren oszilierenden Wechselwirkungen dargestellt werden, um ihre Wirkungen auf den Lebenshintergrund des Statius v.M. herausarbeiten zu können.
Mit den Entdeckungen der großen Seefahrer entstand ein völlig neues Bild von der Welt wie vom Menschen, das auch viele Glaubensdoktrinen der Kirche in Frage stellte, was nicht zuletzt zu kritischen Hinterfragungen der kirchlichen Glaubenslehren und am Ende u.a. zu den Reformationsbewegungen führte.
Die neue Münzwirtschaft / Geldwirtschaft ermöglichte bisher unbekannte Finanzierungsmöglichkeiten, aber auch den Missbrauch durch Falschgeld und Münzbeschneidung – blühende Konjunkturen wechselten mit gravierenden Rezessionen. Die höfische wie die bürgerliche Welt des Alltags erfuhren bewusste Gestaltungen – diese Kultur des Alltags diente der affirmativen Identitätsfindung und in Szene gesetzter Repräsentationsrituale. Der von Gutenberg erfundene Buchdruck ermöglichte eine ganz neue Kultur der Kommunikation, der Bildung und des Wissens und diese neue Wissenskultur führte auch zur Gründung vieler Universitäten, die neben dem hohen und niederen Adel auch bürgerlichen Schichten offenstanden.
Die höfische Tafelkultur förderte auch die sie begleitende Musikkultur und verdeutlicht ihre vordergründige Repräsentationsfunktion. In verschiedenen Familienkreisen des Adels wurden bald auch Mässig-
keitsvereinbarungen getroffen, um die überbordende Repräsentationslust zu zügeln. Die neue bürgerliche Esskultur dagegen zielte mit den von Apothekern verfassten Kochbüchern eher auf Diät und damit auf gesunde Ernährung.
Die Baukultur des hohen und niederen Adels wie auch die bürgerliche Baukultur des 16. Jahrhunderts entwickelte nach dem Beispiel der italienischen Renaissance repräsentative Bauformen mit einem ganzen Kanon manieristischer, auf den Zeitgeschmack ausgerichteter Fassadengliederungen (z.B. nach dem Goldenen Schnitt), und Bauauschmückungen, die das neue Selbstbewusstsein der jeweiligen Bauherren spiegelten. Die fürstlichen wie die adeligen Gartenanlagen verdeutlichen dies in besonders anschaulicher Weise.
So soll an jeweils zwei gegensätzlichen oder geographisch unterschiedlichen Beispielen der verschiedenen kulturellen Ebenen, die sich alle wechselseitig beeinflussten, in quasi multiperspektivischer Sicht der Zeitgeist des 16. Jahrhunderts veranschaulicht werden und als Spiegel für den Lebenshintergrund des Statius v.M. dienen.
Vor diesem Hintergrund wird der familiäre Hintergrund und das Curriculum vitae des Statius v.M. anhand authentischer Archivalien dargestellt: die Astimation des Hauses Bevern durch Statius v.M. 1617, die Werdierung des Hauses Bevern von 1620, die Leichpredigt des beveraner Pastors Andreas Compertus auf Statius v.M. 1633, das Inventarium des Hauses Bevern von 1652, das Inventarium des Hochadeligen Hauses Leitzkau von 1675 die ‘Geschlechtshistorie des Hochadeligen Hauses der Herren von Münchhausen‘ von Gottlieb Samuel Treuer von 1740 und die intensive Auseinandersetzung mit münchhausischen Archivalien durch Albert Neukirch, Bernhard Niemeyer und Karl Steinacker in ‘Renaissanceschlösser in Niedersachsen‘ von 1939. Albert Neukirch war wahrscheinlich der Letzte, der das Testament des Statius v.M. von 1629 im Landeshauptarchiv Hannover gelesen hat, bevor es am Ende des 2. Weltkrieges durch Löschwasser zerstört wurde.
Daraus werden auch die spezifischen Beziehungen des Statius v.M. zu den jeweiligen Landesherrn seiner Erb-und Pfandlehen, den Grafen von Hoya, den wolfenbüttelschen Herzögen Julius, Heinrich Julius, Friedrich Ulrich und August d.J. und den brandenburgischen Kurfürsten erkennbar, die seine infrastrukturellen Entwicklungsmaßnahmen wie auch seine Bauten genehmigen mussten – jeder wasserumgebene Adelshof bedurfte z.B. immer landesherrlicher Genehmigung. Mit einem Resumee kann dann die persönliche Lebensleistung des Statius v.M. und mit der Rezeptionsgeschichte der Schlösser Leitzkau und Bevern deren baugeschichtliche Bedeutung herausgearbeitet werden.