Via Claudia Augusta Dormitz

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 ZURÜCK Printausgabe der Tiroler Tageszeitung vom Mi, 27.12.2017

BEZIRK IMST

Wohnen mit Aussicht in der Antike Der Weiler Dormitz war schon zur Römerzeit besiedelt. Zwei Schreibgriffel deuten darauf hin, dass die antiken Nassereither lesen konnten. Die Bewohner haben wahrscheinlich vom „Tourismus“ an der Via Claudia gelebt.

ARTIKEL

DISKUSSION

Eine Gruppe Archäologen der Universität Innsbruck legte in Dormitz die Reste zweier römischer Gebäude

© Pircher

frei.

Von Matthias Reichle Nassereith – „Der Platz ist nicht blöd ausgesucht. Viele Sonnenstunden im Winter und auch strategisch ausgerichtet mit dem Blick aufs Gurgeltal und Richtung Fernpass sowie einer Anbindung über den Holzleitensattel“, erklärt Archäologe Stefan Pircher. Die alten Römer wussten, was sie taten, als sie sich in dem kleinen über Nassereith gelegenen Weiler Dormitz


niedergelassen haben. Einem Team der Universität Innsbruck ist es heuer gelungen, Teile der alten Ansiedlung freizulegen. Finanziert wurde die Ausgrabung durch das Projekt „Interreg V-A Italien Österreich ITAT 2007 Hereditas Virtual Via Claudia Augusta“. Auftraggeber ist der Verein Via Claudia Augusta. Neben Pircher gruben Lukas Gundolf (Wenns), Valentin Huter (Innsbruck), Armin Kröpfl (Imst) unter der Leitung von Gerald Grabherr und Barbara Kainrath vom Institut für Archäologien insgesamt zwei Wohngebäude aus. Der Platz war, das zeigt das Fundmaterial, in der Zeit zwischen dem ersten und vierten Jahrhundert nach Christus besiedelt.

Pircher

Freilich ist von den beiden Häusern im Laufe der Zeit nicht mehr viel übrig. In einer natürlich gewachsenen Schotterschicht entdeckten die Forscher mehrere unterschiedlich große Erdverfärbungen. „Bei diesen Erdverfärbungen handelt es sich um ehemalige Pfostenlöcher und Erdkeller“, erklärt Pircher, „In römischer Zeit war es vor allem im alpinen Raum – speziell in Tirol – üblich, dass die Menschen ihre Häuser als Holzbauten errichteten. Dazu musste man Pfosten in die Erde rammen, an denen die Holzwände mit geschmiedeten Eisennägeln befestigt wurden.“


Als Dämmung verwendeten die Römer – wie auch heute wieder manchmal üblich – Lehm. „Das Dach deckten die Dormitzer der Antike womöglich mit Tonziegeln, aber auch Schieferplatten oder Holzschindeln könnten verwendet worden sein“, erklärt der Archäologe. Das ältere und größere Gebäude, das auf der 222 Quadratmeter großen Grabungsfläche entdeckt wurde, misst 12,17 mal 9,16 Meter und besaß einen nach Imst ausgerichteten vorspringenden Giebel. Ihre Vorräte lagerten die Bewohner in zwei Erdkellern. Nach einigen Jahrzehnten wurde über dem ersten Haus ein weiteres errichtet. Es war mit 7,97 mal 5,98 Metern etwas kleiner, aber auch von dort blickte man direkt ins Gurgtal. Ein Hinweis auf die Geschichte der kleinen Siedlung gab den Archäologen auch eine Grube. Darin befanden sich verbrannte und ausgetrocknete Teile des zur Isolierung verwendeten Lehms und Holzkohlereste. „Es ist möglich, dass die Ansiedlung von einem Schadfeuer zumindest teilweise beschädigt worden war“, schätzt Pircher. Aber wer waren die frühen Dormitzer, die dort gelebt haben? Da können auch die Archäologen nur mutmaßen. Aufschluss geben die Fundstücke – etwa eine Hipposandale, sprich, ein antikes Hufeisen, eine Gewandspange, Tonscherben und sehr viele Münzen. Ein besonderer Fund waren zwei Schreibgriffel aus Eisen. „Die Bewohner müssen Bildung gehabt haben. In römischer Zeit konnte nicht jeder lesen und schreiben“, so Pircher. Die Menschen haben aber trotzdem recht einfach gewohnt und gehörten nicht der Oberschicht an, es sei wahrscheinlich eine „einfache, ländliche Bevölkerung“ gewesen. Aufschlussreich sind auch die vielen Münzen, die die Archäologen entdeckten, „Geld verliert man nicht einfach“, betont Pircher. Es dürfte also den Menschen gehört haben und auf einen regen Handel hindeuten. „So wie die zwei weiteren, im unmittelbaren Umfeld von Nassereith entdeckten römischen Siedlungen in Strad und Biberwier, dürften die Einwohner des antiken Dormitz für die Erhaltung der Straße und Versorgung der Reisenden verantwortlich gewesen sein.“ Vereinsobmann und Auftraggeber Walter Stefan ist mit dem Ergebnis zufrieden. „Im kommenden Jahr werden wir im Rahmen des Projekts noch eine Grabung durchführen – diesmal wahrscheinlich im Bezirk Reutte.“ 


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