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„Viele Leute glauben, Architektur ist Tapete“

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CHRIS und Kunst

CHRIS und Kunst

Es ist lieb gewordene Tradition beim Vinschgerwind im Rahmen des Sonderthemas BAUEN Architektengespräche zu führen. In dieser Ausgabe führen wir diese Tradition mit der Architektin Sylvia Dell’Agnolo, gebürtig aus Tarsch und Ingenieur Egon Kelderer aus Tramin, fort.

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Vinschgerwind: Sie gelten als anerkannte Expertin für die Renovierung historischer Gebäude. Was sagen Sie zum Abrissversuch der Drususkaserne in Schlanders?

Sylvia dell’Agnolo: Jeglicher Abriss ist ein Verlust in jeder Hinsicht. Grundsätzlich. Zum andern haben das Land und die Europäische Union ausgegeben, dass man nachhaltig bauen soll. Die ganze Welt geht in die Richtung, dass man den Bestand erhält. Wenn man den Bestand erhalten kann und transformieren kann, dann ist das eigentlich die größte Nachhaltigkeit. Außerdem ist da jetzt das Landesdenkmalamt am Zug und deshalb ist eine bestimmt Schutzfrist für dieses Areal da. Was ich ganz wichtig finde, dass die Gemeinde Schlanders, die Bürger, der Vinschgau überhaupt den Wert dieser Möglichkeit da am Dorfrand erkennt. Man kann nicht sagen mitten im Dorf, weil das Dorf ist durch die Straße auseinandergerissen. Die müsste man schon längst mit einer Variante wegbrin- gen, damit dieses Dorf wieder zusammenwachsen kann. Die 4 Hektar da oben haben einen immensen Wert. Was ich ganz toll finde, ist, dass BASIS darin Platz gefunden hat und dass solche Initiativen dort stattfinden können, weil das für viele Menschen eine Möglichkeit ist sich zu realisieren und eine andere Sicht der Dinge zu entwickeln. Das finde ich eine ganz wesentliche gute Initiative und bin immer wieder erstaunt, wie lange sie das durchhalten, denn sie haben ordentlich Gegenwind. Über die Palazzina brauchen wir nicht reden. Das ist ein Drama, diese Nacht- und Nebelaktion, was der Bürgermeister da gestartet hat, da hat er sich selber ins Out gestellt. Was ich sehr wichtig finde, ist der große Platz drinnen, der natürlich so nicht geht, weil es eine versiegelte Fläche ist. Aber, wenn man imstande ist, über das Areal nachzudenken und links und rechts die Gebäude mitnimmt, dann ist das ein wahnsinnig wichtiges und großes Areal, wo man viel zulassen könnte.

Vinschgerwind: Wo viel entstehen könnte.

Sylvia dell’Agnolo: Entstehen und man viel zulassen könnte.

Vinschgerwind: Was würden Sie der Schlanderser Politik aus architektonischer und historischer Sicht dringend anraten?

Sylvia dell’Agnolo: Architekten raten der Politik nicht an. Wir machen Vorschläge. Egon Kelderer: Da muss man auf kultureller Ebene antworten und nicht auf politischer. Sylvia dell’Agnolo: Grundsätzlich möchte ich zum Kasernenareal Schlanders nur sagen: Man kann Geschichte nicht einfach abreißen und dann ist sie weg. Das ist ein Thema, mit dem sich die Menschen vor Ort auseinandersetzen müssen, sie müssen eine Haltung zur Ge- schichte entwickeln. Wir haben damals in Bozen auf dem Gerichtsplatz unten die bekannte Variante gefunden, damals mit dem Künstlerbund, wo ich auch dabei war, und haben den Spruch von der Hanna Arendt ausgewählt. Man muss sich mit dem Thema auseinandersetzen, und das ist das Um und Auf. Was dann herauskommt, wird die Zeit bringen.

Egon Kelderer: Natürlich ist die Frage, wie geht man mit der Geschichte um. Auch mit der Geschichte, die man nicht so positiv bewertet, aber die unser Land 100 Jahre wesentlich beeinflusst hat. 100 Jahre wegreißen ist sicher keine Vergangenheitsbewältigung. Grundsätzlich.

Sylvia dell’Agnolo: Das ist ein guter Ansatz. Es geht nicht nur um Nachhaltigkeit beim Bauen, sondern auch, was man im Kopf hat. Wie gehe ich damit um? Kann ich eine neue Welt denken ohne mir über die alte Welt Klarheit verschafft zu haben. Das sind philosophischkulturelle Auseinandersetzungen.

Vinschgerwind: Sie haben mit der Revitalisierung des Gasthofes Zum Riesen in Tarsch viel Anerkennung und Respekt bekommen. Wie schafft man die Symbiose zwischen Alt und Neu? Wie ist die Herangehensweise?

Sylvia Dell’Agnolo: Die Herangehensweise ist immer dieselbe. Wo bin ich? Was finde ich vor mir? In welchem Kontext bin ich? Was sind die Möglichkeiten der Bauherren. In jeder Hinsicht.

Egon Kelderer: Welche Mittel haben sie? Was ist das Gebäude als solches? Mit wem hat man es institutionell zu tun? Beim Riesen war das zum Beispiel das Landesdenkmalamt. Mit dem HGV haben wir viel zu tun gehabt. Und die Bauherren müssen auch durchhalten. Denn es ist eine lange Durststrecke. Es braucht Vertrauen. Die Bauherrin hat bei der Revitalisierung des Riesen viel Vertrauen gehabt.

Vinschgerwind: Dell’Agnolo

Kelderer Architekturbüro: Sie stammen aus Tarsch, Herr Kelderer Sie aus Tramin und haben das gemeinsame Archi- tekturbüro in Bozen. Ein Blick von außen: Gibt es architektonische Unterschiede zwischen dem Vinschgau und dem Rest von Südtirol?

Sylvia Dell’Agnolo: Es gibt Unterschiede. Aber das hängt mit vielen Faktoren zusammen. Wir haben Haufendörfer. Tramin ist zum Beispiel ein Straßendorf. Da sind schon wesentliche Unterschiede in der Topografie. Im Vinschgau hat es in den 80er und 90er Jahren sehr gute Architekten gegeben, die auch bereit waren für ihre Sache einzustehen. In den Baukommissionen damals waren interessante Leute wie ein Karl Grasser, also Künstler, die ihre

Meinung und ihr Wissen eingebracht haben und sich etwas entwickeln konnte. Also, dass sich neue Ideen entwickeln können.

Egon Kelderer: Aus meiner Sicht war der Vinschgau immer schon ein ärmerer Teil von Südtirol und hat in dieser Armut eigentlich mehr positive Sachen geschaffen als jene mit mehr Mitteln. Das war zumindest eine Zeit lang so, inzwischen gibt es eine Nivellierung.

Vinschgerwind: Wenn Sie ein Projekt im Vinschgau nennen müssten, das Sie besonders beeindruckt?

Sylvia Dell’Agnolo: Alle

Projekte von Arnold Gapp. Die Grundschule in Kortsch zum Beispiel. Ich bin ein Fan von Gapp, ganz einfach, weil seine Art zu Bauen mir sehr nahe kommt. Ich bin immer der Meinung, Architektur muss nicht vordergründig sein. Architektur muss Zusammenhänge haben, muss verstehen. Und diese Zusammenhänge hängen mit dem Ort zusammen, mit der Landschaft, mit den Materialien, mit Lichteinflüssen, mit Akustik.

Egon Kelderer: Ich würde das Kloster Marienberg, die Sanierung und die Arbeit von Werner Tscholl nennen.

Sylvia Dell’Agnolo: Exzellent, ja.

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