I AM.
Vanessa Leissring
S
eit den 1950er Jahren kennen wir jugendliche Subkulturen, deren Anhänger den vor-
individuelle Persönlichkeit ausleben, die nun mal nicht hundertprozentig mit den Vorgaben der
herrschenden Zeitgeist verarbeiten und sich dabei von den älteren Generationen los-
Subkultur über einstimmt. Das kann dazu führen, dass man sich entweder übertrieben in ein fest-
lösen. Dabei stand oft eine Gesinnung im Vordergrund, eine gemeinsame Idee mit der
gefahrenes Gruppendenken hineinsteigert, oder alle paar Wochen die Szene wechselt. Die Span-
man etwas erreichen wollte, seien es politische, gesellschaftliche oder subjektive Ziele.
nung zwischen den Erwartungen, welche Gleichaltrige an einen stellen und denen, die man an sich
Die Halbstarken waren aufsässig, die 68er kämpferisch, die Hippies friedliebend, die
selbst stellt, ist immer kompliziert und endet oft in innerer Zerrissenheit.
Punks nihilistisch und zerstörerisch. Zumindest sind dies die Klischees, welche von den Erinnerungen der Altgewordenen immer wieder bestätigt werden.
I AM verbildlicht diesen Konflikt. Vanessa Leissring zeigt Jugendliche zwischen 15 und 25
Wird in einigen Jahren eine ähnliche Schublade für die heutige Jugend aufgemacht? Egal, ob
Jahren, losgelöst von ihren Gefährten. Sie tragen szenetypische Kleidung und posen lässig für die
diese nun später als konsumgeil, verweichlicht oder als Vorreiter einer neuen gesellschaftlichen
Kamera, aber dennoch bleibt ein Eindruck von Unsicherheit und Verlorenheit zurück. Ist ihre
Mentalität abgestempelt wird; junge Menschen in der westlichen Welt haben seit Dekaden die
Coolness wirklich authentisch, oder ist sie tatsächlich ein reiner Schutzmechanismus, der nur
gleichen Bedürfnisse: Freiheit, Selbstverwirklichung, Abgrenzung von der Erwachsenengesell-
im Kreise ihrer Clique funktioniert? Es werden hauptsächlich Teenager abgebildet, die sich zur
schaft, und das Recht zusammenzukommen und sich auszudrücken, sei es nur durch gemeinsames
Alternative- oder Independent-Szene hingezogen fühlen; Gruppen die das Anderssein schon im
Feiern.
Namen tragen. Mit ihren schick ausgesuchten Klamotten wirken sie allerdings, als ob sie in einem
Diese Wünsche manifestieren sich in den Codes der einzelnen Gruppen:
angesagten Modemagazin abgedruckt werden wollen.
Die Musik ist energiegeladen, oft aggressiv, mit ihr haben die Jugendlichen ein Ventil bei dem sie
Auch die Rückzugsorte der Jugendlichen spielen in I AM eine große Rolle. Auf diesen öf-
ihren Alltagsfrust loswerden und gemeinsam feiern können. Der Kleidungsstil grenzt sich deut-
fentlichen Plätzen, oder Cool Places, spielt sich das eigentliche Leben der Protagonisten ab. Hier
lich vom biederen Stil der Erwachsenen ab und zeigt nach innen hin eindeutig Zugehörigkeit zu
präsentiert man sich der Gesellschaft; man hängt zusammen rum, lernt neue Leute kennen und
den jeweiligen Gruppierungen. Mit den Klamotten ist eine Lebenseinstellung verbunden, die nach
zerstreitet sich wieder. Es sind Schulhöfe nach Schulschluss, Parks oder Spielplätze. Orte, die frei
außen getragen wird. Ob chaotisch, lethargisch, romantisch, wütend oder lässig-cool, in jeder Sze-
zugänglich sind und die man verhältnismäßig einfach besetzen kann. Diese Revieraneignung zeigt
ne gibt es Verhaltenskodizes, die je nach Gruppe mehr oder weniger streng eingehalten werden.
sich durch ständige Präsenz, illegale Graffitis oder durch die Nähe zu den gemeinsamen Akti-
Für den Einzelnen führt das in einen Rollenkonflikt. Einerseits will man Teil der Szene sein
vitäten, so wie die öffentlichen Halfpipes und Anlagen für Skater und BMXer. Auch bei diesen
und sich mit seinen Freunden verstehen, ohne bei ihnen anzuecken, andererseits muss man seine
Bildern wird ein Gefühl der Isolation erzeugt. Die Plätze, die sonst belebt sind von jungen Men-
schen, werden hier stilvoll abgelichtet, menschenleer, oder nur mit vereinzelten Jugendlichen. Die privaten Impressionen, welche Vanessa Leissring auf ihren Erkundungen mitgenommen hat, runden ihr Werk ab. Lichtblitze, Nebel und Schatten vermitteln die Atmosphäre, in denen
zine regelmäßig Kauftipps, mit Fotos wie man auszusehen hat, was man alles braucht um zur jeweiligen Szene zu gehören und Infos in welchen Läden man einkaufen soll. Die Jugend wurde dadurch ihrer eigenen Innovationen beraubt.
die „Indies“ sich am wohlsten fühlen. Die Konzerträume und Clubs sind ebenfalls Orte der ge-
Betrachtet man die Leute, die heutzutage alternative Rockmusik hören, so fällt auf, dass es
meinsamen Selbstdarstellung, aber sie sind mit ihren diffusen, tanzenden Schemen auch ein Ge-
kaum einen Stil gibt, der nicht aus Vorgängermoden recycelt worden ist. Die Modelle in I AM,
genstück zu den abgekapselten Jugendlichen auf ihren öffentlichen Plätzen.
die ihre persönlichen Sachen tragen, stellen ein Patchwork aus vergangenen Trends zur Schau. Lederjacken, Baseballmützen oder Stücke aus der nun fast 20 Jahre zurückliegenden Grunge-
Eine Kommerzialisierung der populären Jugendkulturen durch die Medien und durch große
Zeit wie Nirvana-T-Shirt und Holzfällerhemd herrschen vor. Während man so etwas bei älteren
Konzerne fand in gewisser Weise schon immer statt. Den ersten Höhepunkt dieser Entwick-
Semestern noch als Festklammern an die „gute, alte Zeit“ nachvollziehen könnte, denkt man hier
lung gab es gegen Ende der siebziger Jahre, als die Sex Pistols von ihrem Management bewusst
an die Einfallslosigkeit einer ganzen Generation.
als Marke promotet wurden. Die ersten Anhänger der neu entstandenen englischen Punkszene
Aber auch wenn man gegenwärtig keine gemeinsame Ideologie, oder ausgefallene Kreativität
kamen zunächst auf der Straße und in kleinen Kaschemmen zusammen, doch die Musik- und
erkennen mag, so sind die Heranwachsenden heute, genau wie die vor ihnen, auf der Suche nach
Modeindustrie hat schnell begriffen, dass sich mit beeinflussbaren Jugendlichen ein großes Ge-
einer eigenen Identität. Mit dem Internet stehen ihnen heute neue, ungeahnte Möglichkeiten der
schäft machen ließ. Wo die jungen Punks sich anfangs noch die Kleider selber zerrissen und mit
sozialen Vernetzung zur Verfügung. Ideen und Trends kommen und gehen mit rasender Ge-
Sicherheitsnadeln wieder zusammenflickten, konnte man bald ebensolche Fetzen bereits fertig
schwindigkeit, und es ist nur eine Frage der Zeit bis die jungen Leute mit Hilfe dieser Technik
kaufen. Junge Bands, die den Sound ihrer populären Vorbilder nachahmten, wurden mit Plat-
eine Revolution herbeiführen, die dem neuen, globalen Jahrtausend würdig ist.
tenverträgen überhäuft, unabhängig davon, ob sie gut oder schlecht waren. Der Do-It-Your-
Die Spannung zwischen der inneren Unsicherheit und dem Geltungsdrang nach außen, wie
self Gedanke welcher, wie in vielen anderen Subkulturen auch, immer im Vordergrund stand,
sie hier dargestellt wird, gab es bei Jugendlichen allerdings schon immer und wird auch in Zu-
wurde von der Industrie ersetzt durch eine reine Konsumhaltung. Die jungen Leute, die sich
kunft nicht vergehen.
einer Gruppe anschließen wollten, sei es weil sie deren Ideen tatsächlich verinnerlicht hatten, aus reiner Aufsässigkeit oder aus Gruppenzwang, konnten sich ihren Stil nun bequem erkaufen. Diese Entwicklung ist seit damals immer weiter fortgeschritten. Längst geben Jugendmaga-
thIs Is our decIsIon to LIVe fAst And dIe young we‘Ve got the VIsIon now Let‘s hAVe soMe fun yeAh It‘s oVerwheLMIng but whAt eLse cAn we do get jobs In offIces And wAke up for the MornIng coMMute MgMt
I wAnnA go to cooL pLAces wIth you I wAnnA tAke you cooL pLAces tonIte I wAnnA go where nobody‘s A fooL sparks
I gottA teLL you you‘re LookIn‘ reAL good they Let us In so I‘M feeLIn‘ ALL rIght I LIke to go where soMetIMes they refuse yeAh I reMeMber LAst sAturdAy nIte but I‘M feeLIng cooLer now And they couLd teLL we‘re cooLer now It‘s obVIous we‘re cooLer now cooLer now cooL cooL cooL cooL pLAces tonIte the sparks
I just wAnnA be MyseLf I just wAnnA be MyseLf I just wAnnA be MyseLf be MyseLf be MyseLf Alice cooper
I Lost the sAcred feeLIng but I MAde A coupLe of frIends And now our thIngs hAVe neVer Looked so good our thIngs hAVe neVer been so cLeAr And now I‘M ALone wIth you I‘M ALwAys up ALL nIght And I get MusIc runnIng In My heAd And I, I Lose the strength to fIght cAuse I, I‘Ve been up ALL nIght she‘s been up ALL nIght we‘re we‘re just up ALL nIght razorlight
Are teenAge dreAMs so hArd to beAt eVerytIMe she wALks down the street Another gIrL In the neIghbourhood wIsh she wAs MIne she Looks so good I wAnnA hoLd her wAnnA hoLd her tIght get teenAge kIcks rIght through the nIght the undertones
wIth the LIghts out It‘s Less dAngerous here we Are now entertAIn us I feeL stupId And contAgIous here we Are now entertAIn us nirvana
oh yeAh here It coMes bAby And there‘s nothIng to sAy here It coMes now you don‘t cAre AnywAy he sees your eyes you‘re just the rock‘n‘roLL eyes oh but It‘s just LIes bAbe It‘s just the rock‘n‘roLL LIes razorlight
schรถn und jung und stArk schรถn und jung und stArk du bIst schรถn und jung und stArk nIMM dIr wAs du wILLst nIMM dIr wAs du wILLst so LAnge du nur noch kAnnst Verschwende deIne jugend Verschwende deIne jugend dAf
I don‘t mind other guys dancing with my girl That‘s fine I know them all pretty well But I know sometimes I must get out in the light Better leave her behind with the kids they‘re alright The kids are alright The Who
there‘s soMethIng About the wAy she wALks you know It suIts the cIty streets so weLL And yet razorlight
I‘Ve hAd A song trApped In My heAd ALL dAy I cAn‘t shAke It It won‘t go AwAy I stArt to sIng It but MAnAged to stop I coVer It up wIth A LIttLe cough hA hA Art brut
but we Are young we get by cAn‘t go MAd AIn‘t got tIMe sLeep Around If we LIke but we‘re ALrIght got soMe cAsh bought soMe wheeLs took It out ‘cross the fIeLds Lost controL hIt A wALL but we‘re ALrIght supergrass
I‘M feeLIng rough I‘M feeLIng rAw I‘M In the prIMe of My LIfe Let‘s MAke soMe MusIc MAke soMe Money fInd soMe ModeLs for wIVes thIs Is our decIsIon to LIVe fAst And dIe young we‘Ve got the VIsIon now Let‘s hAVe soMe fun yeAh It‘s oVerwheLMIng but whAt eLse cAn we do get jobs In offIces And wAke up for the MornIng coMMute MgMt
Mein besonderer Dank geht an Prof. Caroline Dlugos & Prof. Jörg Winde Karin & Christian Leißring Katja Burlyga, Jean-Marc Gerhards, Ann-Kathrin Eickhoff, Roman Maas, Nannette Römer, Thorsten Bergmann, Philipp Linde, Patrick Flittner und allen Modellen die mir ihre private Zeit geschenkt und mir den Zugang in ihre Welt ermöglicht haben.
IMpressuM Die Arbeit ist entstanden im SS/09 im Rahmen der Diplomarbeit „I AM“ von Vanessa Leißring an der Fachhochschule Dortmund. Betreut durch Prof. Caroline Dlugos und Jörg Winde Konzeption: Fotografie: Layout: Text:
Vanessa Leißring Vanessa Leißring Vanessa Leißring & Jean-Marc Gerhards Vanessa Leißring
© Vanessa Leißring, 2009 www.iam-project.com www.vanessaleissring.com contact@vanessaleissring.com