reader göttingen

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Werte, Wichs und Waffenbr¨ uder

Editorial Zehn Jahre ist es jetzt her, dass in G¨ ottingen zuletzt eine Brosch¨ ure ver¨offentlicht worden ist, die sich kritisch mit Studentenverbindungen besch¨ aftigt. Der Reader Kl¨ ungel, Corps und Kapital“, damals vom AStA herausgegeben, ” schildert ausf¨ uhrlich die historische Rolle von Studentenverbindungen als Wegbereiter des Faschismus und enth¨alt dar¨ uberhinaus reichlich Rechercheergebnisse zum verbindungsstudentischen Weltbild. Der Reader ist leider seit mehreren Jahren vergriffen. Und auch sonst hat sich einiges ver¨andert. Das Klima an der Uni ist rauher geworden. Der AStA ist nicht mehr verbindungskritisch eingestellt. Inzwischen sitzen dort sogar Verbindungsstudenten. Die Korporationen werben im ZHG f¨ ur ihre Partys und treten auch sonst verst¨arkt ¨offentlich in Erscheinung. Als trauriger H¨ ohepunkt ist hier ein Fackelmarsch durch die G¨ottinger Innenstadt zur Sommersonnwende 2003 zu nennen. Es ist also h¨ochste Zeit, wieder ein breiteres Bewusstsein daf¨ ur zu schaffen, welches Weltbild hinter den bunten Verbindungsm¨ utzen eigentlich herrscht, warum das Leben auf“ einem Verbindungshaus nicht mit einer Studi-WG ” vergleichbar ist und welche gesellschaftliche Rolle den Korporationen zukommt. Darum haben sich im Sommer 2005 ein paar Menschen zusammengesetzt, miteinander diskutiert und Texte1 geschrieben. Beteiligt waren neben Einzelpersonen die Gruppen Antifa Aktion & Kritik, redical M, A.L.I. und Gruppe Gegenstrom. Dank finanzieller Unterst¨ utzung durch das Rosa Luxemburg Bildungswerk Niedersachsen e.V. und den Fachschaftsrat Biologie konnte daraus dieser Reader entstehen. Wir w¨ unschen Euch viel Spaß beim Lesen und freuen uns u uckmeldungen. ¨ber R¨

Kontaktadresse: Burschi-Reader-Redaktion c/o Buchladen Rote Strasse Nikolaikirchhof 7 37073 G¨ottingen. Hrsg.: Plast, Hans. A. Schutzgeb¨ uhr: 1,50 Euro

Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung

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2 Geschlechterbilder von Verbindungen

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3 V¨ olkische Ideologie

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4 Seilschaften – Netzwerke – Verbindungen

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5 Verbindungen von Verbindern in die Unipolitik und nach ganz rechts

18

6 Studentische Verbindungen in G¨ ottingen

21

1 Nicht

alle Texte spiegeln in allen Punkten die Meinung der gesamten Redaktion wider.


Werte, Wichs und Waffenbr¨ uder

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Einleitung

Nein, auch wenn das Wort Burschi“ nichtkorpo” rierten StudentInnen beim Anblick seltsam verkleideter Jungm¨anner leicht u ¨ber die Lippen kommt, bei weitem nicht alles was sich im Verbindungsstudententum tummelt, ist zugleich ein Burschenschafter: Der Untertitel des Verbindungsbuches Der Convent“, der Vielfalt und ” ” Einheit der deutschen Korporationsverb¨ ande“ lautet, beschreibt das deutsche Verbindungswesen ziemlich gut: Viele verschiedenen Verbindungen vieler verschiedener Verbindungstypen weisen n¨ amlich, trotz teilweise vorhandener politischer Differenzen, doch einige Gemeinsamkeiten in Hinsicht auf Geschichte, Habitus und vertretene Werte auf. Was ist aber nun eine Verbindung (oder Korporation)? Verbindungen waren u ¨ber Jahrhunderte hinweg die hegemoniale Form der studentischen Organisierung. Doch erst im Laufe des 19. Jhd. entwickelte sich das, was wir heute unter dem Korporationswesen verstehen. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es ungef¨ahr 1.000 studentische Korporationen mit etwa 22.000 Studierenden und 135.000 sogenannten Alten Herren (Stand 1997). Alte Herren sind die fertig studierten Mitglieder. Grob zu gliedern sind die Verbindungen nach folgenden Kriterien. 1. Danach, ob die Verbindung schlagend oder nichtschlagend ist. Dabei heißt schlagend, dass ihre Mitglieder die Mensur fechten. Bei einigen schlagenden Verbindungen ist das Fechten der Mensur freigestellt (fakultativ-schlagend). 2. Danach, ob die Verbindung farbentragend oder nichtfarbentragend ist. D.h. danach ob die Korporationsmitglieder die Farben des Verbindungswappens in Form von Kleidung (besser: Uniform), B¨ andern und M¨ utzen zu bestimmten Anl¨ assen am K¨ orper tragen oder nicht. 3. Danach, ob die Verbindung konfessionell gebunden ist oder nicht. Auch wenn es vereinfacht ist, ist es nicht ganz falsch zu sagen, dass Verbindungen, die nicht farbentragend sind, weniger reaktion¨ar sind als die farbentragenden und diejenigen, die nichtschlagend sind weniger reaktion¨ ar sind, als die schlagenden. Praktisch alle schlagenden Verbindungen sind zugleich farbentragend. 1.1

Die Mittel der korporierten Erziehung

Eine studentische Verbindung, in der Regel als reiner M¨annerbund mit Lebensbundprinzip organisiert, weist ein umfassendes Regelwerk auf, dem sich die Mitglieder unterordnen m¨ ussen. Erzogen werden die Mitglieder angeblich zu Vertretern eines ehrenhaften Studententums und ” 2 Stephan

3 im Wesentlichen u ¨bernommen von Stephan Peters.2

zu charakterfesten, tatkr¨ aftigen, pflichttreuen Pers¨ onlichkeiten“. 3 Ein weiterf¨ uhrendes Ziel der Erziehung: Das ” in der kleinen Gemeinschaft der Korporation Ge¨ ubte soll ¨ den einzelnen Bundesbruder bef¨ ahigen zur Ubernahme seiner Verantwortung in dem gr¨ oßeren Kreis von Staat und Gesellschaft.“ 4 Um eine Erziehung der Pers¨onlichkeit mit elit¨arem F¨ uhrungsanspruch gew¨ahrleisten zu k¨onnen, bedient sich eine Korporation eines ganzen Kanons unterschiedlicher Regeln, die in den sogenannten Comments zusammengefasst sind. Der Comment, das offizielle und auch schriftlich verf¨ ugbare Regelwerk, umfasst s¨amtliche Bereiche des korporierten Lebens, vom Farbentragen bis zum Biertrinken (Bier- und Kneipcomment) und regelt dar¨ uber hinaus auch das Zusammenleben der Mitglieder. Ziel der zahlreichen Regeln ist die Formung des einzelnen Mitgliedes durch Unterwerfung. Entscheidendes Kriterium ist dabei die korporierte Gemeinschaft, in die sich der Einzelne einzuf¨ ugen hat. Drei Erziehungs- und Formungsmittel seien hier kurz genauer erl¨autert: 1. Der Convent“, also die verbindungsstudentische ” Mitgliederversammlung, 2. Die Kneipe“, gemeint ist das ritualisierte Feiern ” 3. Die Mensur“, die sicherlich eines der h¨artesten Er” ziehungsmittel darstellt. Der Convent Der erzieherische Wert des Conventes als verbindungsstudentische Mitgliederversammlung liegt in der Vermittlung eines Feingef¨ uhls f¨ ur das Machbare. Das einzelne Mitglied erf¨ahrt, wie weit es gehen kann, ohne den Unmut der anderen auf sich zu ziehen. Es wird demnach auch als besonders geschickt empfunden, jene Mei” nung zu erforschen, welche den geringsten Widerstand findet.“ 5 Bei dieser Zielsetzung hat aber die zu erforschende Meinung opportunistischen Charakter und der Convent birgt in seinen Entscheidungen wenig Ver¨anderungspotential. Ferner wird behauptet, dass der Verbindungsconvent ” ein wesentlich besserer und wertvollerer Erziehungsfaktor ist als die ¨ offentlichen Parlamente.“ 6 Was eine Korporation darunter versteht und worin genau der wertvollere Erziehungsfaktor“ bestehen soll, wird ” im folgenden eingehender beschrieben: Der erzieherische ” Wert des Conventes in sprachlicher und psychologischer Schulung wird immer untersch¨ atzt. Erst muß ich einmal im Kreis der Freunde, der Bundesbr¨ uder die inneren Hemmungen u ¨berwinden lernen, sonst werde ich – im Berufe stehend und in das ¨ offentliche Leben gestellt – unter meinen Hemmungen eine Niete bleiben und das Feld dem hemmungslosen Demagogen u ¨berlassen.“ 7

Peters. Studentische Korporationen – Gemeinschaften mit elit¨ arer Zielsetzung. in: AStA der Heinrich-Heine-Universit¨ at D¨ usseldorf. 2002 3 Vorstand des Verbandes Alter Corpsstudenten (Hg.), Handbuch des K¨ osener Corpsstudenten. W¨ urzburg 1985. Bd. 2, S. 2/3. 4 Gesellschaft f¨ ur Studentengeschichte und studentisches Brauchtum e.V. (Hg.), CV-Handbuch. 1990. S. 269. 5 ebd. S. 218. 6 ebd. S. 217. 7 ebd. S. 222.


4 Erzogen wird auf diesen Mitgliederversammlungen durch Selbst¨ uberwindung. Der Korporierte soll lernen, seine eigenen Grenzen – in Abw¨ agung zu den Grenzen der Bundesbr¨ uder – zu u ¨berwinden. Es wird allerdings in der Darstellung nicht reflektiert, woher die genannten inne” ren Hemmungen“ r¨ uhren. Auch die Gegnerschaft, hier der hemmungslose Demagoge“, wird nicht spezifiziert. ” Es wird seitens der Gemeinschaft vielmehr ein dubioses Feindbild suggeriert, das es zu bek¨ ampfen, bzw. zu u ¨berwinden gilt – innen wie außen.

Die Kneipe Eine Kneipe meint ein geselliges Trinken ” in festgelegter Form“.8 Begr¨ ußungen und Ansprachen, Ehrungen und bestimmte Arten des Trinkens (geregelt im Biercomment) sind Formbestandteile der Kneipe. Durch den vorgegebenen Verhaltenskodex und der innerhalb der Ordnung noch bestehenden Freiheit soll sich eine – so heißt es – Atmosph¨are von festlicher Spannung“ und gl¨ uckli” ” cher Entspannung“ ergeben.9 Die Kneipe soll durch ihre Form den alten und jungen ” Studenten in eine Gemeinschaft“ aufnehmen, in der er ” ganz Mensch sein kann.“ 10 Bei der Kneipe bildet also eine Ordnungsvorgabe den Rahmen, innerhalb dessen sich der Korporierte zurecht¨ finden muß. Uberschreitet er den Rahmen, wird er nach H¨arte des Vergehens“ abgestraft (meist muß er in einer ” gewissen Form trinken, er kann aber auch der Kneiptafel verwiesen werden). Der erziehende und kontrollierende Aspekt der Kneipe wird folgendermaßen beschrieben: Trotz eines gewissen einzuhaltenden Zeremoniells darf ” nicht vergessen werden, dass [. . . ] auch die Kneipe ein Pr¨ ufstand ist, auf dem der junge Corpsstudent zeigen soll, 8 Robert

Werte, Wichs und Waffenbr¨ uder mit welcher Sicherheit er sich in dem ihm vorgegebenen Rahmen frei und ungezwungen bewegen kann. Beherrscht er ihn einmal, wird es ihm sp¨ ater im gesellschaftlichen und beruflichen Leben gut zustatten kommen.“ 11 Nur durch die Befolgung der Regeln, bzw. Einhaltung dieses von außen gesetzten Rahmens kann der Korporierte an der Gemeinschaft teilhaben, bzw. kann er gl¨ uckliche ” Entspannung“ erleben. Das bedeutet aber auch, dass sich der Korporierte den Regeln der Gemeinschaft unterordnen muß, bevor er ein wenig Freiheit genießen darf. Und zus¨atzlich wird der Verbindungsstudent mit sich selbst und seinen eigenen Grenzen konfrontiert: Dazu geh¨ ort ” auch, und gewiß nicht an letzter Stelle, die Erfahrung und die Kraft der Selbsteinsch¨ atzung, wann die eigene Grenze erreicht ist. Auch im vorger¨ ucktem Stadium [z.B. des Alkoholkonsums, S. P.] die guten Sitten und Br¨ auche zu beherrschen, l¨ aßt sich wohl kaum besser als auf der Kneipe im u uder erlernen.“ 12 ¨berschaubaren Kreise der Corpsbr¨ Die Kneipe stellt somit ein Medium korporierter Erziehung dar, in der der Verbindungsstudent durch dauerndes Abw¨agen seiner selbst und der gesetzten Vorgaben Freir¨aume zu entdecken lernt, innerhalb derer er sich bewegen darf. Er lernt sozusagen einen Balanceakt durchzuf¨ uhren, um in den Genuss der gelebten Gemeinschaft zu kommen. Dabei ist der Rahmen einer Kneipe von der Gemeinschaft selbst gesetzt, also konstruiert. Die Kneipe ist ein Spiel“ zwischen Freiheit und Sicherheit, zwischen ” Verbotenem und Erlaubtem, zwischen Beherrschung und Exzess, zwischen Ordnung und Chaos. Die Mensur Die Mensur gibt es nur in schlagenden Korporationen, in denen sie neben dem Convent und der Kneipe als drittes Erziehungsmittel hinzutritt. Die Mensur, der ritualisierte Kampf mit scharfen Waffen, ist f¨ ur pflichtschlagende B¨ unde ein Grundprinzip. Es kann nur derjenige aufgenommen werden, der mindestens einmal eine sogenannte Bestimmungsmensur gefochten hat. Weitere Mensuren kann der Convent festlegen und von einzelnen Mitgliedern verlangen. Der genaue Verlauf, Umfang der Vorbereitungen und die Regeln sind im jeweiligen Paukcomment festgehalten. Ernsthafte Verletzungen kommen heutzutage kaum noch vor, meistens handelt es sich lediglich um Platzwunden und kleinere Schnitte auf der Sch¨adeldecke oder anderen freiliegenden Gesichtspartien. Augen, Nase, Ohren sowie der Hals sind gesch¨ utzt. Zur Sicherheit ist ein Arzt anwesend, der die Verletzten nach der Mensur ohne Bet¨aubung versorgt, also z.B. die Wunden n¨aht. Bei der Mensur geht es nicht darum, den Gegen¨ uber zu besiegen, sondern vielmehr die eigene Angst vor der scharfen Waffe und eventuell drohenden Verletzungen zu u ¨berwinden, sich dadurch f¨ ur die Gemeinschaft einzusetzen und diese zu st¨arken: Die Mensur ist ein Mittel der Er” ziehung oder – wenn diese Bezeichnung etwa als zu schulmeisterisch empfunden wird – der Pers¨ onlichkeitsentwicklung dadurch, dass sie anleitet zu Mut, Selbst¨ uberwindung, Selbstbeherrschung und Standhalten. Wer auf scharfe

Paschke, Studentenhistorisches Lexikon. Aus dem Nachlass hrausgegeben und bearbeitet von Friedhelm Gol¨ ucke. K¨ oln 1999. S. 153. S. 154. 10 ebd. S. 154. 11 Handbuch des K¨ osener Corpsstudenten (aaO.) Bd. 1, S. 176 12 ebd. Bd. 1, S. 176 9 ebd.


Werte, Wichs und Waffenbr¨ uder Waffen antritt, muß soldatisch ausgedr¨ uckt – den inneren Schweinehund u amlich die [. . . ] Angst. Nicht ¨berwinden, n¨ kniesen‘ oder reagieren verlangt Selbstbeherrschung. [. . . ] ’ Die Mensur ist nach Innen ein Bindemittel, ein Integrationsmittel, also ein Mittel zur Verst¨ arkung der Bindung an den Bund und die Br¨ uder. Wer wiederholt auf die Farben seines Corps gefochten, sich dabei bew¨ ahrt und meist auch kleinere Blutopfer gebracht hat, f¨ uhlt sich diesem ritterlichen M¨ annerbunde unvergleichlich enger verbunden, als in aller Regel ein Mitglied irgendeines anderen Vereins sich diesem verbunden f¨ uhlt. [. . . ] Die Mensur ist nach außen ein Abschreckungsmittel, n¨ amlich gegen¨ uber solchen, die es nicht fertigbringen, den inneren Schweinehund‘ zu ’ u ¨berwinden, und die wir deshalb in unseren Reihen nicht haben wollen.“ 13 Es finden sich hier Parallelen zur Kneipe: Wieder gibt es einen fest reglementierten Rahmen, innerhalb dessen das Waffenspiel“ Mensur stattfinden muß. Wieder sieht ” sich das Mitglied seinen eigenen Grenzen ausgesetzt, die es zu u ¨berwinden gilt, und wieder geht es um das Erlernen eines Balanceaktes zwischen den eigenen Grenzen und den Gesetzen der Gemeinschaft. Die Regeln m¨ ussen unter der Gefahr von Schmerz erlernt und angewandt werden, erst dann kann der Korporierte vollwertiges Mitglied der Gemeinschaft werden. Die Mensur stellt somit eine Zugangsbeschr¨ankung zur ritterlichen Gemeinschaft“ dar. ” Da sie durch Anordnung beliebig wiederholt werden kann, ist sie als ein wichtiges Mittel der Disziplinierung nach innen zu verstehen. Insgesamt ist die Intensit¨ at der so” zialen Kontrolle in schlagenden Verbindungen [. . . ] vergleichbar der in asketischen Sekten.“ 14 Die Unterwerfung unter das Reglement dient sowohl dem Zusammenhalt der m¨ annerb¨ undischen Gemeinschaft, als auch der Abgrenzung nach außen. 1.2

Der Verlauf einer Mitgliedschaft

Die Mitgliedschaft als Student, also die Karriere“ eines ” Korporierten, weist eine Drei-PhasenStruktur auf: 1. Die Phase der Integration, in der es der Korporation darum geht, das neue Mitglied m¨ oglichst vollkommen und z¨ ugig in die Gemeinschaft einzugliedern. 2. Die Phase der Festigung, in der sich das neue Mitglied mehr oder weniger unwiderruflich f¨ ur die Korporation entschieden hat und die Korporation ihn aktiv f¨ ur ihre Zwecke einsetzt und 3. Die Angliederungsphase, in der der mittlerweile zum inaktiven“ Burschen aufgestiegene Student aus vie” len Pflichten entlassen wird, um sein Studium zu beenden und sich auf den Einstieg in das Berufsleben vorbereiten zu k¨ onnen. Diese Phase endet mit der Aufnahme in die Altherrenschaft“. ” Die drei Phasen werden im Folgenden genauer geschildert: 13 Joachim

5 Die Integrationsphase Die Integrationsphase ist variabel und umfasst den Zeitraum vom Beginn der Anwerbung bis zur offiziellen Aufnahme des neuen Mitgliedes als Vollmitglied. Meistens dauert sie bis zu einem Jahr, selten l¨anger. Mit der sogenannten Burschung findet die Phase ihren Abschluss. Zum Verlauf: Korporationen werben ihren Nachwuchs meist gezielt an, z.B. anl¨aßlich der ZVS-Einschreibung durch Einladung zu einem Mittagessen oder bieten den Erstsemestern billigen, meist durch die Altherrenschaft subventionierten Wohnraum an. Ein solches Entgegenkommen ist nicht zu untersch¨atzen, van Gennep schreibt dazu: Ein solcher ” Gabentausch hat eine unmittelbar verpflichtende Wirkung: ein Geschenk von jemanden akzeptieren heißt, sich an ihn binden.“ 15 Lebt der sogenannte Spe” fuchs“ dann im Hause der Korporation, wird er zun¨achst unverbindlich zu einigen Veranstaltungen eingeladen, usw. Auch hier bleibt seitens der Verbindung nichts dem Zufall u ¨berlassen. Der Neue wird gezielt in die Korporation integriert (z.B. darf er am Mittagstisch teilnehmen, lernt im o¨ffentlichen Leben bedeutende Alte ” Nach dem Fechten Herren“ kennen, etc.). Nach einer kurzen Phase der Orientierung erkl¨art sich der Neue dann unter Umst¨anden bereit, dem Bund beizutreten. Oder er wird auf seinen Beitritt zur Gemeinschaft hin gefragt. Tritt er bei, bekommt er zun¨achst das meist zweifarbige Band als Zeichen der Mitgliedschaft verliehen (jetzt darf er z.B. auch die anderen Mitglieder duzen), ist damit Fuchs, also sozusagen Anw¨arter auf eine Vollmitgliedschaft und befindet sich in der Probezeit. Damit ist eine eindeutige Statuszuweisung verbunden. Als eine Art Novize ist der Fuchs derjenige, der in der Hierarchieleiter an unterster Stelle steht. Zur Erleichterung der Integration, aber auch zur Kontrolle muß sich der Fuchs einen sogenannten Leibburschen“ w¨ahlen, der ” ihn in schwierigen Lagen vertreten kann. Zus¨atzlichen bekommt er Unterricht vom f¨ ur die Nachwuchserziehung zust¨andigen Fuchsmajor“ (gelernt wird das Reglement, ” die Geschichte der Korporation, des Dachverbandes, etc.). Erst nach und nach werden die Regeln der Korporation angewandt, so dass das neue Mitglied die beginnende Er-

Raack, Vom Sinn und Wert der Zensur, in: Die Wachenburg, Zeitschrift des Weinheimer Senioren Convents 1983. S. 116 (aaO.) S. 179 15 Arnold van Gennep, Ubergangsriten. ¨ Frankfurt am Main/New York 1986. S. 37 16 CV-Handbuch 1990 (aaO.) S. 159 14 Paschke


6 ziehung kaum bemerkt: Dieser Formungsprozeß vollzieht ” sich in der Regel weitgehend unmerklich f¨ ur das einzelne Mitglied“.16 Der Fuchs hat nur eingeschr¨ ankte Rechte in den Organen der Korporation, aber volle Pflichten, so sollte er an jeder Veranstaltung teilnehmen und Anweisungen (z.B. vom Fuchsmajor) mit unbedingtem Gehorsam“ 17 ausf¨ uhren. ” Manchmal ist es aus Sicht der Korporation auch notwendig, inhaltlich und zeitlich mehr Druck auf das neue Mitglied auszu¨ uben, um eventuell vorhandenen Widerst¨anden und Differenzen zu begegnen, schließlich soll der Korporierte die Regeln r¨ uckhaltlos akzeptieren und verinnerlichen. Dazu wird die Einbindung des Neuen verst¨arkt, zus¨atzlich finden lange Gespr¨ ache, meist mit dem Leibburschen, statt. Die kurze Integrationsphase wird begleitet von einer Anzahl unterschiedlicher Rituale. Zu nennen sind u. a. ein Adoptionsritual, das mit einer Namensgebung (Biername) verbunden ist, das offizielle Aufnahmeritual als Initiation (mit Status¨ anderung) und bei den schlagenden Korporationen die Bestimmungsmensur als besonderes Initiations- und M¨ annlichkeitsritual. Daneben gibt es eine Vielzahl kleinerer, sich st¨ andig wiederholender Rituale, z.B. Trinkrituale. Die Rituale erf¨ ullen u.a. den beabsichtigten Zweck einer emotionalen Vermittlungsrolle: Die zwi” schenmenschlichen Tugenden, die uns zur Pers¨ onlichkeit pr¨ agen, lassen sich indessen nicht durch Vorlesungen, Seminare oder Predigten tradieren, man muß sie durch die Riten einer kleinen Gruppe, durch das Brauchtum einer ¨ Lebensform, durch das Vorbild der Alteren mehr unterschwellig als lehrhaft, mehr emotional als verstandesm¨ aßig zur Gewohnheit, zum Habitus, zur Lebensart machen.“ 18 Durch die Rituale lernt das Mitglied das Reglement kennen, erf¨ahrt die f¨ ur die Korporation wichtigen inhaltlichen Zusammenh¨ ange und vor allem den Umgang mit den anderen Korporierten, sowie mit der Gemeinschaft, in die er sich integrieren muss. Insgesamt zeichnet sich die Integrationsphase f¨ ur das neue Mitglied durch hohe zeitliche und inhaltliche Dichte aus, durch die er einerseits aus der universit¨aren Umgebung in die Korporation hineingezogen wird und ihm andererseits die M¨ oglichkeit zur Reflexion seines Tuns bewusst stark eingeschr¨ ankt wird. Ziel ist dabei nicht nur das Erlernen der Regeln, sondern auch eine Reduzierung des Fuchsen zur sogenannten prima mate” ria“, die m¨ uheloser geformt, geschliffen, bzw. erzogen werden kann. Die Phase der Festigung Die aktive Burschenzeit umfasst ca. drei Semester, so dass der Korporierte zuz¨ uglich der Fuchsenzeit mindestens vier Semester der Korporation aktiv zur Verf¨ ugung steht. Auch in dieser Phase bleibt die zeitliche und inhaltliche Belastung des Korporierten hoch. Jedoch hat sich durch die Burschung“ sein Status ” ver¨andert. Er ist nun vollwertiges Mitglied auf Lebenszeit und genießt die vollen Rechte. Er ist damit in der La¨ ge, seinerseits die Gemeinschaft mitzugestalten, Amter zu bekleiden und die Korporation nach außen zu vertreten. Wurde der Korporierte in der Integrationsphase erzogen, 17 Satzung

Werte, Wichs und Waffenbr¨ uder so ist er nun in der Position selbst zu erziehen. War er vorher derjenige, der die Befehle auszuf¨ uhren hatte, so ist er nun derjenige, der die Befehle gibt. Zeichnete sich die Integrationsphase durch eine Erziehung durch Zwang aus, so wird in der Festigungsphase durch angeleitete Regelanwendung erzogen. Der Korporierte hat als Fuchs“ die Re” geln verinnerlicht, die ihm nun als Leitlinien zur Ausgestaltung des korporierten Gemeinschaftsleben dienen. Die Festigungsphase ist die Zeit des spielerischen Umgangs mit den Regeln, also die Zeit, in der sich der Student frei“ im Raum der Regeln bewegen und diese auf andere ” Mitglieder anwenden darf. Freiheit ist hier im Sinne des folgenden Zitates zu verstehen, n¨amlich als schon vordefiniert: Freiheit heißt nicht, tun und lassen k¨ onnen, was ” man will, sondern was man soll.“ 19 Die Angliederungsphase Die Phase der Angliederung bezeichnet die inaktive“ Zeit des Korporierten, in der ” dieser sein Studium beendet und sich auf den Eintritt in das Berufsleben (und damit auf seine R¨ uckkehr“ in die ” Gesellschaft) vorbereitet. Je nach Studiumsdauer umfasst diese Phase einen Zeitraum von zwei Jahren und mehr. Die Inaktivit¨at“ des Korporierten wird auf Antrag an die ” Gemeinschaft von dieser auf dem zust¨andigen Convent“ ” beschlossen. Den Abschluss der Inaktivenzeit bildet die ¨ Philistrierung“, also die f¨ormliche Ubernahme des Korpo” rierten in die Altherrenschaft“, die gleichfalls durch Be” schluss des zust¨andigen Conventes“ vollzogen wird. Als ” inaktiver Bursche muss der Korporierte nicht mehr allen Verpflichtungen der korporierten Gemeinschaft nachkommen und steht dieser eher beratend zur Verf¨ ugung. Seine Rechte bleiben davon unber¨ uhrt. Erst der Status als Al” ter Herr“ ver¨andert noch einmal sowohl Rechte als auch Pflichten. Der Alte Herr“ subventioniert die korporierte ” Gemeinschaft, steht beratend zur Seite, kann aber notfalls auch in die Geschicke der sogenannten Aktivitas“ ” eingreifen. Nicht unwichtiger ist seine Aufgabe, in der Gesellschaft seine erlernten korporierten Vorstellungen umzusetzen. 1.3

Schluss

Die studentische Korporation kann in ihrer Funktion als ¨ ein Ubergangsritual bezeichnet werden, das seinen Sinn in der Kontrolle der Dynamik des sozialen Lebens“ ha” ben soll. Sie trennt dazu die neuen Mitglieder aus ihrem bisherigen Leben/Umfeld, f¨ ugt sie in ihr sicheres Zwangs” system“ mit einer Vielzahl von Methoden ein. Dabei wendet die Gemeinschaft teilweise Methoden an, die auf eine gezielte Bewusstseinsver¨anderung abzielen. Insbesondere durch die Vielzahl und Intensit¨at der Rituale erfolgt eine emotionale Vereinnahmung des Neuen durch die korporierte Gemeinschaft. Letzteres wird sogar von Korporierten ¨offentlich propagiert, denn die Erziehung soll schließlich den ganzen“ Menschen formen.20 ” Es ist deutlich geworden, dass eine Korporation mehr als eine sich gegenseitig st¨ utzende Gemeinschaft ist. Sie ist eine Schicksals-, Erziehungs-, und Lebensgemeinschaft.

der KDStV Palatia im CV, 1984, §24 c Kessler, Rede anl¨ aßlich des Stiftungsfestes des Corps Franconia Berlin zu Kaiserslautern. in: Die Wachenburg, 1986. S. 3 19 CV-Handbuch 1990 (aaO.) S. 360 20 Herbert Kessler, in: CDA/CDK (Hg.), Vielfalt und Einheit des deutschen Korporationsverb¨ ande. 1998. 18 Herbert


Werte, Wichs und Waffenbr¨ uder

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Geschlechterbilder von Verbindungen

Wenn man sich mit den Geschlechterbildern – insbesondere dem Frauenbild – von Verbindungen befasst, dann f¨ allt als erstes eine scheinbare Banalit¨ at auf: Die Mitglieder von Verbindungen sind fast ausschließlich m¨ annlichen Geschlechts. Ob Burschenschaft, Verbindung, Korporation oder S¨angerschaft, soweit es sich nicht um eine der wenigen Frauen- oder gemischten Verbindungen handelt, d¨ urfen Frauen meistens h¨ ochstens als G¨ aste und nettes ” Beiwerk“ auftreten. Sie sind die Freundinnen, Ehefrauen oder T¨ ochter der aktiven Korporierten und alten Herren.

Vereinen war Frauen weitgehend verwehrt. Auf diese Art und Weise bildete sich eine Trennung der konstruierten Geschlechtercharaktere heraus, die trotz Ver¨anderungen zum Teil bis heute als g¨ ultig angesehen wird. So bezieht sich der Verein Deutscher Studenten (VDSt) zu G¨ottingen auf seiner Internetseite unter der Rubrik M¨annerbundprinzip“ folgendermaßen auf diese ” Tradition der Geschlechterpolarit¨at: Bei uns k¨ onnen aus ” Tradition heraus lediglich M¨ anner Mitglied werden! Das heißt nat¨ urlich nicht, dass wir frauenfeindlich sind. Ehefrauen, Verlobte, Freundinnen und weibliche G¨ aste sind Als Begr¨ undung auf vielen unser Veranstaltungen dabei. In unserer Gesellwird auf die Bedeu- schaft gibt es schließlich auch andere Vereine und Organitung des m¨ annlichen sationen, die nach Geschlechtern getrennt sind, beispielsGeschlechts f¨ ur das ver- weise Sportvereine.“ bindungsstudentische Selbstverst¨ andnis verannerbild wiesen: Unser Bur- M¨ ” schenbrauchtum ist im¨ von der Feudal- zur b¨ urgerlimer auf eine bestimmte W¨ahrend des Ubergangs m¨ annliche Gruppe ab- chen Gesellschaft wurde dem deutschen, Mann, in seinem gestimmt. Die mensch- k¨orperlichen Erscheinungsbild, mehr Bedeutung zugemesliche Weltordnung ist sen. Er wurde als mutig, stark und potent charakteriuchtigungen, milit¨ariauf das M¨ annliche aus- siert und stereotypisiert. Leibesert¨ ¨ ¨” sche Ubungen“, Patriotismus und m¨annliche Asthetik“ gerichtet.“ 21 ” wurden miteinander verbunden um neue Deutsche“ zu ” erschaffen. Nicht in das Bild der M¨annlichkeit passte emoGeschlechterpolarit¨ at tionalisiertes Verhalten wie sexuelle Leidenschaften oder Mit der Entwicklung Triebe. der b¨ urgerlichen GesellDie m¨annlichen schaft ab dem 18. Jahr” Qualit¨aten“ w¨ urden die hundert und den damit verbundenen sozio¨ okonomischen entsprechenden Aufgaund politischen Ver¨anderungen entwickelte sich das Geben bestimmen, die in schlechterverh¨altnis zur modernen Geschlechterpolarit¨at. den Dienst der GesellDer h¨ ausliche Raum, als Einheit des Wohnens und Arschaft und Nation gebeitens l¨oste sich immer mehr auf und wurde immer stellt werden sollten. mehr durch die moderne b¨ urgerliche Familie abgel¨ost. Als besonders m¨annlich Gleichzeitig kam es zur Konstruktion von Geschlechterund heroisch galt es in charakteren, die angeblich durch die Natur bestimmt seiden Krieg zu ziehen. en. Sie sollten bestimmte Wesensz¨ uge verk¨ orpern und eine Einordnung der Personen in ein universales ZuordEntsprechend wurnungssystem gew¨ahrleisten. Den Inhalt der Geschlechterden sowohl Gesellschaft ¨ charaktere lieferte die polaristische Geschichtsphilosophie, und Offentlichkeit als die der Frau emotional-reproduktive, dem Mann hingeauch deren milit¨arigen rational-kreative Wesensmerkmale zusprach.22 Obsche Verteidigung als wohl philosophisch zun¨achst keine explizite Hierarchie der m¨annlich-milit¨arischer ” Geschlechtercharaktere formuliert wurde, verankerten sie Raum“ verstanden. Dasich insbesondere in der Restaurationsphase immer st¨arker her sollte die Nation in der Gesellschaft. auch ein Br¨ uderbund ” ¨ W¨ ahrend M¨anner als Akteure der Offentlichkeit, des von Kriegern“ sein. So Erwerbs- und Staatslebens, sowie des sonstigen politischen wurde der NationalEngagement galten, sollten Frauen sich um das Ehe- und krieg, wie z.B. der Befreiungskrieg gegen das napoleoniFamilienleben k¨ ummern, die h¨ ausliche Zufriedenheit, ihre sche Frankreich, als Bew¨ahrungsprobe wahrer M¨annlich” Mitmenschlichkeit und Emotionalit¨ at vermitteln und f¨ ur keit“ verstanden. Die meisten Burschenschaften w¨ urden die Erziehung der Kinder sorgen. Partizipation am poli- das wahrscheinlich noch heute als heroische Tat“ glorifi” tischen Geschehen oder die Mitgliedschaft in politischen zieren.

21 Burschenschaftliche 22 Dietrich

Bl¨ atter 5/1980, zitiert nach: AStA Uni Hamburg, Reader zum Verbindungs(un)wesen in Hamburg. 2005. S. 19 Heither, Verb¨ undete M¨ anner. K¨ oln 2000. S. 123


8 Das Frauenbild Im Gegensatz zum vermeintlich heldenhaft m¨annlichen wurden Frauen, w¨ ahrend der Herausbildung der modernen Geschlechterpolarit¨ at weitgehend auf sexuell-biologische Funktionen reduziert. Aus dieser Unterscheidung zwischen M¨annlichkeit und Weiblichkeit entwickelten sich im 19. Jahrhundert fest umrissene, klar abgegrenzte und quasi unver¨anderbare Rollen. Eine Frau habe die Aufgabe Kinder zu erziehen und sich um den Haushalt zu k¨ ummern und somit H¨ uterin von Moral und privater Ordnung zu sein. Frauen sollten sich aus der M¨ annerwelt“ heraushal” ten, sie sollten durch F¨ ursorge und Beistand, die M¨anner in ihren gesellschaftlichen Aufgaben und im Privaten unterst¨ utzen. So wurden etwa Frauen auf einem Stiftungsfest des Corps Rhenania zu Braunschweig 1990 folgendermaßen beschrieben: Meine lieben Damen, Sie sind f¨ ur uns ” M¨ anner ein Geschenk des Himmels. Ihnen verdanken wir Zufriedenheit und Erfolg im Studium oder in unserem Beruf, denn wenn wir es vielleicht auch nicht immer zugeben, wir wissen jedoch alle, wie wohltuend ein ruhiges, ein lustiges oder auch ein aufmunterndes Wort aus ihrem Munde wirken kann. Ich stelle also fest: Die hochverehrten Damen erleichtern unser Leben nicht nur in vielen vielen Dingen, sondern durch ihre Liebe und Zuneigung und durch ihre Reize vers¨ ußen und versch¨ onern sie unser Leben.“ 23

Werte, Wichs und Waffenbr¨ uder pliziter Ausschluss aus Studentenverbindungen auch nicht erforderlich. Die Nichtzulassung von Frauen wurde erst um die Jahrhundertwende relevant. Bis dahin zeigte sich der m¨annerb¨ undische Charakter der Korporationen in der ¨ Uberh¨ ohung des in der Gesellschaft und damit auch an der Universit¨at geltenden geschlechterpolaren Wertesystems, was einen Dominanzanspruch des m¨annlichen Geschlechts bedeutete, deren Mitglieder sich in einem Bund, einer Studentenverbindung, zusammenschließen sollten.25

Aus dieser Konzeption heraus entwickelten sich Verbindungen als M¨annerb¨ unde. Ein solcher M¨annerbund bilde eine Instanz, die u ¨ber dem Individuum angesiedelt sein soll, die u ¨ber pers¨onliche Sympathien und Antipathien hinausginge und f¨ ur ein Sakral- beziehungsweise Zusammengeh¨origkeitsgef¨ uhl verantwortlich sei, das durch Rituale und Br¨auche immer wieder hergestellt werHier wird die klasden m¨ usste.26 Zur Bilsisch patriarchalische dung eines solchen BunPolarit¨at von m¨ anndes, der sich gegen die lich zugeschriebener, als profan verstandene produktiver und weibUmwelt abgrenzt, seien lich zugeschriebener, ausschließlich M¨anner im Stande. Das Sicherstellen der reproduktiver Arbeit Reinhaltung“ des M¨annerbundes ist ein wesentliches Ziel ” deutlich. Ein Geder korporierten Erziehung. In deren Verlauf muss sich der schlechterbild, das jeEinzelne durch martialische Rituale wie der Mensur oder dem emanzipatorikollektive und streng reglementierte Bes¨aufnisse beweisen schen Anspruch konund wird zur wahren M¨annlichkeit“ erzogen. Ein weiteres ” tr¨ar entgegensteht. Ziel einer solchen Erziehung ist, die F¨ahigkeit, Schmerz An diesem Punkt zu ertragen zu f¨ordern und auf die Weise H¨arte gegen sich schließt sich der Kreis selber und andere zu entwickeln und Gemeinschaftsgef¨ uhle zum oben skizzierten zu st¨arken. Die Zugeh¨origkeitsgef¨ uhle zur Gemeinschaft und immer noch bewerden dabei einerseits u ¨ber die emotionale Dimension stehenden patriarchader Rituale und das gemeinsame Regelwerk hergestellt. lischen Frauenbild in der Gesellschaft und dessen Repro- Andererseits wird Gemeinsamkeit u ¨ber Abgrenzung nach duktion. Denn Verbindungen betreiben die Verbreitung ih- Außen gestiftet.27 rer Werte und Vorstellungen in der Gesellschaft und traEin weiteres wichtiges Axiom des M¨annlichkeitsbildes gen so zu der Festigung der Geschlechterpolarit¨at in der f¨ ur Burschenschaften ist die Einsatz- und Opferbereit” Gesellschaft bei. schaft f¨ ur das Vaterland“, welches sie als nationale Elite Ein Mitglied der Mainzer Landsmannschaft Hercyna qualifiziere und ihren Herrschaftsanspruch u ¨ber die Welt ” brachte sein Frauenbild und die Aufnahme von Frauen in der Frauen und Kinder“ legitimiere. seine Landsmannschaft so auf den Punkt: Ein Golf GTI” Club nimmt auch keine Mantas auf.“ 24 Verschr¨ ankung des Geschlechterbildes mit politischen Konzeptionen Verbindungen als M¨ annerb¨ unde Die Mitgliedschaft von Frauen ist in StudentenverbinHistorisch war die Universit¨ at im 19. Jh. ein Raum, in dungen unerw¨ unscht, einerseits weil Frauen, wie erw¨ahnt, dem Frauen nicht zugelassen waren. Daher war ihr ex- von Burschenschaftlern von Natur aus als das schwache ” 23 zitiert

nach: AStA Uni G¨ ottingen, Kl¨ ungel, Corps und Kapital. 1994. S. 15 der Universit¨ at Mainz, Herrschaftszeiten nochmal! 2001, S. 52 25 Dietrich Heither, Verb¨ undete M¨ anner. S. 123 26 ebd. S. 310 27 ebd. S. 388. Vergleiche auch Abschnitt 1 in diesem Reader.

24 AStA


Werte, Wichs und Waffenbr¨ uder

9 gen die angebliche Hetzkampagne gegen die Wehrmacht, wobei die Teilnahme am nationalsozialistischen Vernichtungsprojekt geleugnet wurde.28 Frauenverbindungen

Es k¨onnte hier der Anschein erweckt werden, dass es sich bei Frauenverbindungen um ein emanzipiertes Gegenprojekt oder eventuell einem ironischen WGProjekt handelt. Doch das Gesellschaftsbild dieser Verbindungsstudentinnen basiert nicht auf der Grundlage von Emanzipation, sondern manifestiert sich in der Negation dessen. Die Rolle der Frau ist f¨ ur diese Gruppierung ebenso selbstverst¨andlich, wie f¨ ur ihre m¨annlichen Kamera” den“. Das schließt das Bekenntnis zur ” deutschen Nation“ und den Willen, den Eliten“ gute M¨ utter zu sein, ein. Auch ” in dem internen Hierarchiegeflecht stehen sie den Burschen“ um nichts nach. ” ¨ Das Aquivalent zu den Burschen“ ist ” M¨adels“ und anstatt alter Herren“ gibt ” ” es als Synonym die hohen Damen“. Auch ” hier steht das Lebensbundprinzip im Mittelpunkt dieser Verbindungen. Unser ” Bund ist auf die Braut, die Freundin, die Frau gebaut, ohne sie verl¨ or’ er ganz die außere Form und die Substanz.“ Nach ei¨ genen Angaben der Parnassia G¨ottingen gebe es in keiner Form Veranstaltungen wie Zwangstrinken, Zwangskneipen usw. Doch, wie bei allen Verbindungen dieser Coleur steht das Individuum in dem Konflikt, in der Gruppierung aufzugehen oder Einladung zur Party auf dem Haus“ ” doch eigene Interessen wahrzunehmen. Es m¨ ussen somit u ¨berhaupt keine Zwangsmaßnahmen durchGeschlecht“ angesehen werden und andererseits weil die gesetzt werden, wenn Konformit¨at lebensgestaltend wird Erziehungsziele in Burschenschaften ein Bekenntnis zur und sich das Individuum freiwillig in das Lebensbundprin” reinen M¨annergesellschaft“ beinhalten. Diese Gesellschaft zip unterordnet. ist, nach eigenem Verst¨ andnis, national, geh¨ artet“ und ” unvereinbar sowohl mit Weiblichkeit“ als auch der so” ” zialistischen Idee der Gleichheit“ als auch dem extremen ” Liberalismus“, der das Individuum u ¨ber die nationale ” Gemeinschaft“ stellt. Individuen sollen sich der nationa” len Gemeinschaft“ unterordnen. M¨ annerbund und Weltanschauung bilden hier eine Einheit. Auch die Gesellschaft wird z.T. wegen angeblich mangelnden Nationalempfindens, als verweichlicht“ bzw. verweiblicht“ angesehen. ” ” Soldaten stehen f¨ ur den Inbegriff des Nationalverteidigers. Somit kann nicht verwundern, dass es zu einer mystischen ¨ Uberh¨ ohung von Soldaten kommt, einem Soldatenkult“. ” Ein solcher Kult f¨ uhrt z.B. bei der Deutschen Burschenschaft unter anderem zur Parteinahme f¨ ur die deutsche Wehrmacht, deren Ruf gerettet werden m¨ usse. Im aus: Academia, Zeitschrift des CV 4/2005 Zuge der Ausstellung Vernichtungskrieg. Verbrechen der ” Wehrmacht 1941–1944“ des Hamburger Instituts f¨ ur Sozialforschung richtete sich die Deutsche Burschenschaft ge28 ebd.

S. 377ff.


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3

Werte, Wichs und Waffenbr¨ uder

V¨ olkische Ideologie

Konservative, liberale, farbentragende, schlagende Verbindungen: Sie alle eint ihr offensiv positiver Bezug zum deutschen Vaterland. Damit stehen sie nicht alleine, denn das m¨oglichst unverkrampfte Bekenntnis zur Nation gilt mittlerweile als nicht zu begr¨ undende Selbstverst¨ andlichkeit. Ob sie nun als Fackeln tragende Burschis Deutschland u ¨ber al” les“ gr¨ohlen oder zeitgem¨ aßer als hippe Deutschpopper MIA“s Ode an das gel¨ auterte Vaterland mitsingen; ob sie ” als antifaschistische weltoffene B¨ urgerInnen am 8. Mai in Berlin gegen Neonazis demonstrieren oder auf zahlreichen Demos gegen den Irakkrieg Deutschland als pazifistische Alternative zu den USA bejubeln: so unterschiedlich deutsche Nationalisten sind, wenn es drauf ankommt, stehen sie alle zu ihrem Vaterland. Auf die Frage, wieso es V¨ olker und Nationen im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen gibt, folgen Unverst¨andnis oder krude Erkl¨ arungen von der Naturhaftigkeit der Nation u ¨berhaupt oder der Schicksalsge” meinschaft“ (Lafontaine) der Deutschen. Das gebildete rot-gr¨ une Milieu jedoch verweist lieber auf den Verfas” sungspatriotismus“ (Habermas), das Bekenntnis zu den Werten des Grundgesetzes. Auch wenn jene aufgekl¨arte PatriotInnen von der Standortgemeinschaft Deutschland sprechen und das v¨ olkische Modell mitunter anachronistisch wirkt, so bricht der Wunsch nach der Nation als Volksgemeinschaft immer wieder durch: als Dauerzustand in den national befreiten Zonen“, als sich unter ” der Parole Wir sind das Volk!“ versammelnde Montags” DemonstrantInnen oder eben im Denken der deutschen Burschenschaften. Deutsches Volk: jene Vorstellung, f¨ ur die es keine vern¨ unftige Begr¨ undung, sondern allenfalls eine historische Erkl¨ arung geben kann, soll im Folgenden Gegenstand unserer Kritik sein.

von der Gruppe Antifa Aktion & Kritik

gesch¨ urten Hoffnungen auf ein einiges Deutschland nach Napoleons Niederlage und im Zuge der Restauration nach dem Wiener Kongress entt¨auscht wurden, begannen sie sich in Burschenschaften zu organisieren und den Prozess eines einigen Vaterlandes selbst in die Hand zu nehmen. So k¨ampften sie sowohl gegen die absolutistisch regierenden F¨ ursten, die nicht bereit waren, ihren Herrschaftsanspruch an einen gemeinsamen deutschen Souver¨an abzutreten, auf der anderen Seite gegen den Einfluss von außen“, den ” Ideen der Franz¨osischen Revolution. Die Aufkl¨arung und die erfolgreiche Gr¨ undung einer Franz¨osischen Republik f¨ uhrten jedoch zu unterschiedlichen Einsch¨atzungen unter den Studenten, wie denn Deutschland verwirklicht werden k¨onne, sich entweder am franz¨osischen Modell zu orientieren oder in Abgrenzung dazu. Es setzten sich diejenigen durch, die einen auf Kultur und Abstammung beruhenden Weg zum Nationalstaat gehen wollten. Eine erste ¨offentlichkeitswirksame Demonstration dessen, was sie darunter verstanden, lieferten sie im Oktober 1817 beim Wartburgfest, wo sich ca. 500 Burschenschaftler versammelten, um unter anderem den Sieg u ¨ber Napoleon zu feiern. Im Laufe des Fests veranstalteten einige Studenten eine B¨ ucherverbrennung. Verbrannt wurde das Buch

Nation building auf deutsch Dass es ein deutsches Volk“ g¨ abe, war n¨ amlich bis ins 19. ” Jahrhundert hinein keine besonders verbreitete Vorstellung. Das ¨anderte sich um 1800, als sich die Ideen der Aufkl¨arung verbreiteten und Napoleon dem ein wenig nachhalf und halb Europa besetzte. Im Gep¨ ack hatte er den Code Napoleon, ein B¨ urgerliches Gesetzbuch, das auf den Ideen von Freiheit, Gleichheit, Br¨ uderlichkeit“ aufgebaut ” war und gleichzeitig notwendige Rahmenbedingungen f¨ ur kapitalistische Produktionsweise schuf. Die Autorit¨at der deutschen F¨ ursten in den besetzten Gebieten wurde dadurch massiv eingeschr¨ ankt und ihre Herrschaft u ¨berhaupt in Frage gestellt. So appellierten sie an das deutsche Volk“ ” und meinten damit zum ersten mal eben all jene Menschen, die ihren Vorstellungen von deutsch“ entsprachen, ” um zum Aufstand gegen Napoleon zu mobilisieren. Einige Studenten ließen sich nur zu gern f¨ urs Vaterland begeistern, gr¨ undeten Corps“ und engagierten sich beson” ders in den Kriegen gegen Napoleon. Als ihre eben noch 29 Zitiert

B¨ ucherverbrennung beim Wartburgfest 1817

des j¨ udischen Schriftstellers Saul Ascher Germanomanie“ ” mit den Worten: Wehe u ¨ber die Juden, so da festhal” ten an ihrem Judenthum und wollen u ¨ber unser Volksthum schm¨ ahen und spotten!“ 29 , des weiteren der Code Napoleon sowie weitere sogenannte antideutsche, liberale aber auch konservative30 B¨ ucher und Symbole. Hier zeigt sich, dass schon mit der Gr¨ undung der ersten Burschenschaften ein v¨olkisch-nationalistisches Denken Wirkung entfaltete, welches sich bis heute wie ein roter Faden durch die Geschichte des deutschen Verbindungswesens zieht; entgegen der bis heute verbreiteten Vorstellung, alle studentischen Verbindungen seien zumindest in ihren Anf¨angen, liberale,

nach: Heither, Gehler, Kurth, Sch¨ afer, Blut und Paukboden. S. 27 bezeichnet in diesem Fall die Restauration nach dem Wiener Kongress, womit die alte Ordnung“ mit einzelnen, absolutistisch ” regierten F¨ urstent¨ umern gemeint war.

30 Konservativ


Werte, Wichs und Waffenbr¨ uder demokratische Freiheitsk¨ ampfer“ gewesen. ” Die ideologische Grundlage dieses v¨ olkischen Nationalismus bildete der deutsche Idealismus von Fichte und Schelling, welche die organische und naturhafte Gemeinschaft der Deutschen halluzinierten und diese mit einer langen Abstammungskette bis hin zu den Germanen und Ur-Ariern zur¨ uckverfolgen wollten. Demnach sei das deutsche Volk auch keine Willensgemeinschaft“, als rein po” litisches Wesen, wie die Nation etwa in Frankreich begr¨ undet wurde, sondern ausdr¨ ucklich eine archaische, vorpolitisch begriffene Gemeinschaft. Dass die Deutschen alle etwas ganz besonderes gemeinsam h¨ atten, n¨ amlich ihr Blut, sei die Grundlage, auf der eine deutsche Nation zu errichten sei. Dar¨ uber hinaus galt das deutsche Blut“ als ” Tr¨ager von Charaktereigenschaften, Sprache, Kultur und Aussehen. Bis dieses Deutschland dann aber gegr¨ undet wurde, dauerte es noch u ¨ber ein halbes Jahrhundert und schließlich konnte dieser Schritt, der doch eigentlich die Umsetzung dessen sein sollte, was von Natur aus eh notwendig sei, nur mit Gewalt erreicht werden.

11 folge deutscher Staatsb¨ urger nur sein kann, wer deutsche Vorfahren hat also deutsches Blut“. Das deutsche Kai” serreich war die Bl¨ utezeit des deutschen Verbindungswesens, stellten sie doch einen Großteil der gesellschaftlichen Elite. So war Bismarck, der die Reichsgr¨ undung 1871 umgesetzt hat, Mitglied in der Corps Hannovera G¨ottingen. (Zur weiteren Bedeutung von Burschenschaften im Kaiserreich der Weimarer Republik und im NS siehe Abschnitt 4 Seilschaften – Netzwerke – Verbindungen“) ” Nur mit einer Homogenisierung nach innen und Abgrenzung nach außen konnte sich der v¨olkische Nationalismus durchsetzen. Die Homogenisierung wurde unter anderem durch das ius sanguis herbeigef¨ uhrt. Die ab Mitte des 19. Jahrhunderts sich durchsetzenden Rassentheorien erm¨oglichten v¨olkischen Deutschen die wissenschaftliche Legitimiation ihres Denkens. Wurde die Trennung zwischen Deutschen“ und Franzosen“ haupts¨achlich u ¨ber ” ” Kultur vollzogen, wurde die j¨ udische Rasse“ als absolu” tes Gegenst¨ uck zur deutschen“ betrachtet. Bei der deut” schen Burschenschaft sah das gegen Ende des 19. Jhd. so aus, dass diese in ihrer Postille Burschenschaftliche ” Bl¨atter“ feststellten, dass gegenw¨ artig die deutsche akti” ve Burschenschaft, [. . . ] den Kampf gegen das Judentum als eine nationale Aufgabe ansehen an deren L¨ osung sich die Burschenschaft beteiligen soll.“ 31 Einzig aus diesem Grund entstand der Verein Deutscher Studenten“ (siehe ” 6.7). Auch in anderen Verbindungen kam es seit diesem Zeitpunkt vermehrt zum Ausschluss j¨ udischer Studenten, was zur Folge hatte, dass 1895 diese in der Deutschen Burschenschaft nicht mehr vertreten waren. Schon 1879 entbrannten (sp¨ater als Antisemitismus” streit“ bezeichnete) Auseinandersetzungen an den Universit¨aten dar¨ uber, ob sich assimilierende Juden Teil der deutschen Nation sein k¨onnten. Die verschiedenen Burschenschaften ergriffen einhellig die Partei f¨ ur Professor von Treitschke, der in diesem Zusammenhang den folgenschweren Satz die Juden sind unser Ungl¨ uck“ formulieren ” sollte. Antisemitismus verr¨ at uns nichts u ¨ber die Ju” den, aber eine Menge u ¨ber die Antisemiten und die Kultur, die sie hervorbringt.“ (Daniel Jonah Goldhagen)

Design veraltet – Aussage modern.

¨ Nachdem sich Preußen gegen Osterreich um die Vorherrschaft des erw¨ unschten Deutschlands durchgesetzt hatte (bis dahin war auch nicht klar was denn nun alles dazugeh¨oren sollte) und nachdem Preußen D¨ anemark und Frankreich besiegt hatte, konnte die Gr¨ undung Deutschlands von oben“ vollzogen werden. Der Mythos von ” der organischen Volksgemeinschaft wurde beibehalten und fand als offizielle Staatsdoktrin mit dem ius sanguis ihren Niederschlag im Reichsgesetz. Das ius sanguis ist das preußische Bluts- und Abstammungsgesetz von 1842, demzu31 Zitiert

Jawohl die V¨ olkischen hassen die Juden, aber nicht die ” Juden als mechanisch wirkende Krankheitserreger; sondern den j¨ udischen Geist, der mit seinem Intellektualismus die Welt entg¨ ottert, die Kulturen zersetzt, die historisch-soziale Ordnung aufl¨ ost, eine ¨ asthetische Genießerphilosophie verbreitet, die reinen Geschlechtsbeziehungen des Germanen pervertiert und dank seiner Eignung zu abstrakten Geldgesch¨ aften die V¨ olker – ob bewußt oder unbewußt [. . . ] – zu Knechten macht.“ 32 Die gewaltsame Durchsetzung und Universalisierung kapitalistischer Warenvergesellschaftung wurde von vielen Menschen als Bedrohung oder als Katastrophe empfunden, weil sie alle bisherigen gesellschaftlichen Verh¨altnisse und Beziehungen aufbrach. Insbesondere in jenen Gesellschaften, in denen die kapitalistische Modernisierung durch den Staat durchgef¨ uhrt wurde, entstand das Bed¨ urfnis, eine

nach: Heither, Gehler, Kurth, Sch¨ afer, Blut und Paukboden. S. 71f. Bl¨ atter, 1924. zitiert nach: Heither, Gehler, Kurth, Sch¨ afer, Blut und Paukboden. S. 91f

32 Burschenschaftliche


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Werte, Wichs und Waffenbr¨ uder

Zusammengeh¨origkeit zu finden, die auf mehr beruht als auf dem Zufall der Unterworfenheit aller einzelner unter die selbe abstrakte Herrschaft. In Deutschland war es der Wunsch nach konkreter, und nat¨ urlicher“ Gemeinschaft ” einerseits und der Identit¨ at der guten“ Herrschaft mit ” den Beherrschten anderseits, dem Volksstaat“ (U. Ender” witz). Der gegen Ende des 19. Jahrhunderts als politische Massenbewegung aufkommende moderne Antisemitismus unterscheidet sich von seinem Vorg¨ anger, dem sich religi¨os legitimierenden Antijudaismus insbesondere darin, dass er die Vorstellung globaler Macht zum Inhalt hat; der moderne Antisemitismus ist die prominenteste Verschw¨orungs” theorie, um den Weltmarkt zu erkl¨ aren“ (M. Postone). Darin liegt der fundamentale Unterschied zum Rassismus,

aus: Burschenschafter und nationale Identit¨ at, herausgegeben von der Burschenschaft Ghibellinia im Auftrag der Burschen¨ Stuttgart 1984 schaftlichen Gemeinschaft in DB und DBO,

der die anderen“ als unterlegen abwertet, sollen doch die ” ” Juden“ eine universale, unfassbare Macht darstellen, die eine Gefahr f¨ ur alle authentischen V¨ olker bedeutet. Dem Antisemitismus zugrunde liegt die rigide Trennung zwischen Wesen und Erscheinung des Kapitalismus: die als konkret empfundene Seite kapitaler Vergesellschaftung gilt dem Alltagsbewusstsein als nat¨ urlich und nicht zu hinterfragen, als bedrohlich gilt ausschließlich das Abstrakte, nur jene Seite erscheint u ¨berhaupt als kapitalistisch. Der moderne Antisemitismus formuliert den Gegensatz von stofflich Konkretem und dem Abstrakten als rassi” schen“ Gegensatz zwischen Deutschen und Juden, er vollzieht die Biologisierung des Kapitalismus als Weltjuden” tum“. Bezogen auf die Nation bedeutet dies, dass J¨ udin33 Homepage

der Deutschen Burschenschaft“ ”

nen und Juden zwar deutsche Staatsb¨ urgerInnen, aber eben keine Deutschen waren. Sie galten ausschließlich auf der abstrakt rechtlichen Ebene als Teil der Nation, jedoch nicht als konkrete Individuen. Das Konstrukt des Juden“ ” erf¨ ullte vielmehr die Funktion des Anti-Volkes“ (Am´ery ” 1990, 201) und der Gegenrasse“ (Rosenberg 1934, 462), ” als dessen negativer Doppelg¨anger der Deutsche“ bzw. ” der Arier“ gesetzt wurde. ” Als Konstitutionsprinzip des Volkes gilt jener Ideologie zus¨atzlich der spezifisch deutsche Begriff von Ar” beit“. Die Vorstellung einer ehrlichen, fleißigen deutschen Arbeit lieferte die Grundlage der Projektion einer raffenden j¨ udischen Nicht-Arbeit: eine Projektion, die auch bei Teilen der sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeiterbewegung nicht nur auf Ablehnung stieß. Das v¨olkische Denken impliziert zudem notwendig, dass Klassengegens¨atze innerhalb der deutschen Gesellschaft verschleiert werden. Die v¨olkische Homogenit¨at darf nicht durch partikulare Klasseninteressen beeintr¨achtigt werden, daher gilt es, diese zu negieren. Das nationale B¨ undnis zwi” schen Kapital und Arbeit“ im Nationalsozialismus wurde nach 1945 transformiert in das korporatistische Gesellschaftsmodell der BRD. Vor dem Hintergrund dieser klas” senlosen Klassengesellschaft“ (T.W. Adorno) laufen auch heute noch die sozialpolitischen Auseinandersetzungen in Deutschland ab. Gr¨ oßer als die BRD. . .“ ” Wie bereits oben erw¨ahnt, wird im v¨olkischen Denken, die Zugeh¨origkeit zu einer Gemeinschaft u ¨ber scheinbar nat¨ urliche und organische Eigenschaften definiert. Wichtigstes Kriterium stellen demnach das Blut bzw. in der modernen Form die Gene da. Jetzt ist Blut aber bei allen Menschen rot, hat einen Rhesusfaktor oder nicht und weltweit gibt es die Blutgruppen 0, A, AB und B. Charaktereigenschaften oder Aussehen haben damit nichts zu tun. Die Herleitung, die Deutschen seien die direkten Nachfahren der Germanen, r¨ uhrt aus einem solchen Denken. Demnach seien die Charaktereigenschaften, die bei den Germanen zu finden gewesen w¨aren, wie Stolz, Fleiß, Mut, Treue, Ehre usw. alles auch Eigenschaften, die sie direkt weiter an die Deutschen vererbt h¨atten. Nun klingen diese Ideen heute doch ziemlich albern und l¨angst u ¨berholt. Wer dazu geh¨ort wird jedoch immer noch in etwas abgewandelter Form nach dem ius sanguis (s.o.) bestimmt. F¨ ur die Deutsche Burschenschaft ist demnach auch klar, wer denn deutsch“ und wo Deutschland“ u ¨berall ist. ” ” Die Deutsche Burschenschaft sieht das deutsche Va” terland unabh¨ angig von staatlichen Grenzen in einem freien und einigen Europa, welches Osteuropa einschließt. Sie setzt sich f¨ ur eine enge Verbundenheit aller Teile des deutschen Volkes in Freiheit ein [. . . ]. Unter dem Volk versteht sie die Gemeinschaft, die durch gleiches geschichtliches Schicksal, gleiche Kultur, verwandtes Brauchtum und gleiche Sprache verbunden ist. Pflicht der Burschenschaften ist das dauernde rechtsstaatliche Wirken f¨ ur die freie Entfaltung deutschen Volkstums“. 33 Entsprechend wurden in den letzten Jahren in Osteuropa Verbindungen gegr¨ undet und in die Deutsche Bur-


Werte, Wichs und Waffenbr¨ uder schenschaft mit aufgenommen. Mit ihrer Forderung nach dem Recht jedes einzelnen und jedes Volksteiles auf sei” ne angestammte Heimat“ 34 wird folgendes deutlich: Die Grenzen der BRD seien nicht die wahren Grenzen, sondern das deutsche Volk“ habe seine Heimat auch den ehe” maligen Ostgebieten des Deutschen Reiches, so werden die neuen Bundesl¨ander“ gerne auch als Mitteldeutschland“ ” ” bezeichnet. Diese Meinung teilen Verbindungen mit revisionistischen Gruppen wie dem Bund der Vertriebenen, der sich der Unterst¨ utzung von Teilen der b¨ urgerlichen Mitte sicher sein kann. Deutschland? Nie wieder!“ (Marlene Dietrich) ” Ziel einer Kritik des v¨olkischen Nationalismus deutscher Burschenschaften ist keineswegs die Propagierung eines besseren, weil aufgekl¨arten Bezugs zur Nation. Dies sei der rot-gr¨ unen Zivilgesellschaft zur Rationalisierung ihres Nationalstolzes u ¨berlassen. Jedoch kann gerade in Deutschland die Kritik der Nation keine ausschließlich allgemeine sein, sie muss nicht zuletzt eine spezifische Kritik des regressivsten Konzepts von Nation, und zwar dem v¨ olkischdeutschen, sein. Die deutsche Volksgemeinschaft wurde verwirklicht durch das nationale Projekt der Deutschen“ (Goldha” gen), die Vernichtung der J¨ udinnen und Juden. In heutiger Zeit zieht der deutsche Nationalismus seine vermeintliche Legitimit¨at aus dem Bekenntnis zur deutschen Schuld und einem hieraus resultierenden antifaschistischen Selbstverst¨andnis. Zugleich dient der Diskurs u ¨ber die Leichen der Deutschen im Zweiten Weltkrieg dazu, die Grenzen zwischen T¨atern und Opfern zu verwischen. W¨ ahrend des Gedenkens an die deutschen Opfer“ des alliierten Bom” ” benkriegs“ in Dresden und anderen St¨ adten vollzieht sich

34 ebd.

13 der gesellschaftliche Schulterschluss zwischen den Generationen. Die deutsche Mehrheitsgesellschaft mag sich noch sehr um Abgrenzung zur offen neonazistischen Minderheit bem¨ uht sein; indem sie sich jedoch als Opfer des alliierten Luftkriegs oder des amerikanischen Heuschrecken-

Burschenschaftler beim neonazistischen Heldengedenken“ in ” Halbe, November 2004

Kapitalismus (M¨ untefering) stilisiert, halluziniert sie sich immer wieder aufs neue als Gemeinschaft, der von außen durch finstere M¨achte u ¨bel mitgespielt wird. Gegen die deutsche Nation und die in ihr stets enthaltenen M¨ oglichkeit v¨olkischer Barbarei setzt emanzipatorische Kritik das Konzept der Assoziation freier Individuen“ (Marx), den ” Kommunismus. Eine solche Gesellschaft, die Differenz ” ohne Angst“ (Adorno) erm¨oglicht, ist ohne die Absage an das nationale Kollektiv jedoch nicht zu haben.


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4

Werte, Wichs und Waffenbr¨ uder

Seilschaften – Netzwerke – Verbindungen

¨ Uber das Elitenwesen der studentischen Korporationen Bei dem Gedankenan studentische Verbindungen ist die Assoziation mit dem Elite-Gedanken nicht weit. Der Elitebegriff (lat. = Auswahl) kann von verschiedenen Standpunkten betrachtet werden. Zum Einen beschreibt er eine Zusammenfassung u ¨berdurchschnittlich qualifizierter Personen (Funktionseliten), zum Anderen die herrschenden bzw. einflussreichen Kreise in einer Gesellschaft (Machteliten). Ebenso kann der Elitebegriff im milit¨arischen Zusammenhang genutzt werden, wobei er besonders ausgebildete und bewaffnete Truppenteile beschreibt. Die meisten Mitglieder von Studentenverbindungen werden sich h¨ochstwahrscheinlich unter dem funktionalen Elitebegriff einordnen. Dabei verkennen sie aber, was Qualifikation bedeutet. Letztlich besteht die Hauptfunktion der Verbindungen darin, gesellschaftliche Macht zu b¨ undeln und unter den eigenen Mitgliedern zu verteilen. Einige m¨ogen in ihrer Erziehung auch eine besondere Ausr¨ ustung“ oder Bewaffnung“ f¨ ur den Kampf in der Gesellschaft sehen, ir” ” gendwelche relevanten Aussagen bez¨ uglich der gesellschaftlichen Funktion lassen sich vom Standpunkt der letztgenannten Definition aber wohl nicht ernsthaft treffen. Deswegen wird im folgenden ausschließlich auf die Machtelitenbildung eingegangen. 4.1

Vetternwirtschaft und Elited¨ unkel gestern

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstanden mit den Corps die ersten Studentenverbindungen nach heutigem Muster. Mitglieder der Corps waren fast ausschließlich adelige Studenten. Im Gegensatz zu den Burschenschaften und Landsmannschaften der damaligen Zeit, war es Ende des 19.Jahrhunderts nur noch mit Empfehlung der Alten Herren oder der Aktivitas des Corps m¨ oglich in die Verbindung des Corps aufgenommen zu werden. Weitere Vorrausetzungen waren hohe Eintrittsbeitr¨ age und die Herkunft aus einem reichen, am besten adeligen Elternhaus. In den feudal-aristokratisch gesinnten Corps, mit dem Hohen K¨osener Senioren-Convents Verband als Dachverband, befanden sich fast ausschließlich aus Studenten aus dem Adel, aus Offiziersfamillien, aus Familien von Industriellen, Bankiers, hohen Beamten oder Großgrundbesitzern. Die Karrieref¨orderung und der Nepotismus (Vetternwirtschaft) waren in den K¨ osener Corps am st¨ arksten ausgepr¨agt. Das bekannteste Corps-Mitglied zu dieser Zeit, Kaiser Wilhelm II., nannte die Erziehung im Corps die beste ” Erziehung, die ein junger Mann f¨ ur sein sp¨ ateres Leben bekommt.“ Die ehemals b¨ urgerlich-demokratischen Burschenschaften vollzogen sp¨atestens mit dem Beginn des Kaiserreiches den ideologischen Schulterschluss mit den gesellschaftlichen Eliten. Ihnen kam jetzt die wichtige Aufgabe zu, b¨ urgerliche Studenten zu feudalisieren“, um sie so an ” vorindustriell-adlige Eliten zu binden.35 Das aufstrebende Industrieb¨ urgertum, gepr¨agt von einem wachsenden Nationalismus, versuchte seine Position gegen¨ uber der ebenfalls aufstrebenden Arbeiterbewegung zu verteidigen. Zusammen mit den traditionellen Eliten verfolgten sie die wilhelminische Forderung nach einem deutschen Platz an der Sonne“.36 Zu dieser Zeit ” Mitglied in einer Studentenverbindung zu sein, bedeutete einen Aufstieg in das Establishment, in die Oberschicht Deutschlands, und zwar nicht nur innerhalb einer Stadt, sondern national. Man galt als Zugeh¨ origer einer Elite, deren Mitglieder eine eigene Werte- und Normenvorstel35 Heiter,

lung verband. Ein Beispiel hierf¨ ur ist das Duell mit Waffen bei Ehrverletzungen, das trotz des Verbots des Waffengebrauchs w¨ahrend der Kaiserzeit toleriert wurde.37 Neben dem Konstrukt der St¨andegesell” schaft“ kam Ende des 19. Jahrhunderts mit dem v¨olkischbiologistischen Nationalismus noch ein ganz anderer Elitegedanke hinzu. In den Ausgaben der Burschenschaftlichen Bl¨atter dieser Zeit findet man eine Vielzahl von nationalistischCorpsstudent 1925 v¨olkischen und rassistischen Artikeln. 1894 wurde dort ein Aufruf ver¨offentlicht, in dem die Verfasser die Gr¨ undung einer all-germanischen Bewegung“ beschw¨oren und zum ” Kampf der Rassen“ aufrufen.38 ” Auch der moderne politische Antisemitismus, der sich zeitgleich rasend schnell in studentischen Kreisen verbreitete, hatte elit¨are Komponenten. Die Juden wurden zur Gegenrasse“ der arischen Rasse stilisiert, zu Unter” ” menschen“, die innerhalb Deutschlands zersetzend wirken und somit im Kampf der Rassen“ der Hauptfeind wa” ren.’39 Mit der Abschaffung der Monarchie verloren die Corps ihre dominante Stellung als Rekrutierungsinstanz f¨ ur die deutsche Elite an die Burschenschaften und vor allem an die katholischen Studentenverbindungen CV und KV. Die soziale Herkunft spielte bei den katholischen Verb¨anden eine nur untergeordnete Rolle. Wichtiger waren gemeinsame

Gehler, Kurth, Sch¨ afer, Blut und Paukboden. S. 71. der Heinrich-Heine-Universit¨ at D¨ usseldorf, Verbindungs(un)wesen. S. 16/17. 37 ebd. S. 16/17. 38 Heither, Gehler, Kurth, Sch¨ afer, Blut und Paukboden. S. 71. 39 ebd. S. 94ff. 36 AStA


Werte, Wichs und Waffenbr¨ uder christliche Wertvorstellungen und Ideale. Im Gegensatz zu den aristokratischen Corps erm¨ oglichten die katholischen Verbindungen auch Studenten aus den mittleren und unteren Schichten den gesellschaftlichen Aufstieg und das Erlangen hoher Positionen.40 Die Einfl¨ usse der b¨ urgerlich-demokratischen Errungenschaften der Weimarer Republik auf die Studentenverbindungen blieben sehr gering. Die Verbindungen waren weiterhin stark dem Monarchismus und der Wilhelminischen ¨ verhaftet.41 Die Legende vom Dolchstoß‘ der vaterAra ” ’ ’ landslosen Gesellen‘ wurde genauso verbreitet wie monarchistisches Gedankengut. Schließlich bedeutete Demokra’ tie‘ f¨ ur die Verbindungen Herrschaft der Masse‘ – und zu ’ dieser Masse‘ wollte man nicht geh¨ oren.“ 42 ’ Viele Korporationsstudenten z¨ ahlten schon Mitte der zwanziger Jahre zu den Gr¨ undungsmitgliedern und Unterst¨ utzern des Nationalsozialistischen Studentenbundes (NSDStB). Auch die G¨ ottinger Burschenschaft Holzminda engagierte sich schon fr¨ uh im NSDStB. Schon 1929 ” trugen Bundesbr¨ uder zu Band und M¨ utze stolz das Zeichen der Bewegung, und zwei Holzminder waren unter dem ersten Dutzend Mitglieder, die der NSDStB damals in G¨ ottingen z¨ ahlte [. . . ] In G¨ ottingen damals gab es kaum eine Versammlung des NSDStB, zu der wir nicht in Farben Vertreter schickten.“ 43 Allerdings war das Verh¨ altnis zwischen den Studentischen Korporationen und dem NSDStB auch von Konflikten gepr¨agt. Vor allem das elit¨ are Selbstverst¨ andnis der Corps kollidierte mit der als populistisch empfundenen Ausrichtung des NSDStB. Der Konflikt wurde erst 1928 mit der Benennung des ehemaligen Corps-Studenten Baldur von Schirach zum F¨ uhrer“ des NSDStB abgemildert. ” Offensichtliches Ziel dieses F¨ uhrungswechsels war die Anpassung des NSDStB an die elit¨ ar-akademischen Vorstellungen der Korporationen. So bekamen die Studentenverbindungen die Gelegenheit, auf ihre Art Teil des Nationalsozialismus zu sein. Baldur von Schirach erkl¨ arte zu der Kooperation: Es ” ist kein Zufall, daß der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund und die schlagenden Verbindungen eine gewisse Auslese des Menschenmaterials der heutigen Studentenschaft in ihren Reihen vereinen: der Wille zur Tat und zur Waffe hat hier die einzig wertvollen aktivistischen Elemente zusammengefasst.“ 44 Auch in der Zeit des Nationalsozialismus und nach dem ¨ Ubergang der Deutschen Burschenschaft in den NSDStB besetzten Burschenschafter hohe Positionen in der neuen Verbindung. Die frisch gegr¨ undete Alte Burschenschaft“ ” bestand fast nur aus ehemaligen Alten Herren“ der ver” schiedenen Korporationen. Die Seilschaften der alten Verbindungen funktionierten auch w¨ ahrend des Nationalsozialismus zur Zufriedenheit ihrer Protagonisten. 45 40 vgl.

15 4.2

Vetternwirtschaft und Elited¨ unkel heute

Nach 1945 erstarkten die studentischen Verbindungen relativ schnell zu alter Bl¨ ute. Zun¨achst als nationalistisch und das Naziregime unterst¨ utzend eingestuft und daher verboten, wurden die Verbindungen B¨ undnispartner der Alliierten im Kampf gegen die kommunistische ” Gefahr“. In der Folgezeit galten sie (zum gr¨oßten Teil f¨alschlicherChargen des VdSt heute weise) als nicht belastet oder entnazifiziert. Z¨ ugig konnten die Alten Herren“ daher ihre ” alten Seilschaften wieder in alter Form nutzen und Verbindungsbr¨ uder teils offen, meist verdeckt, in gehobene Positionen hieven. Im Folgenden soll dargestellt werden, wie und auf welcher ideologischen Basis beruhend die Korporierten heutzutage ihre Beziehungen spielen lassen und inwiefern sie hierbei Erfolg haben.

Systematische Protektion und ideologische Unterf¨ utterung Bei der Rekrutierung ihres Nachwuchses werben Studentenverbindungen, Corps und Burschenschaften mit den beruflichen Vorteilen, die eine Mitgliedschaft mit sich f¨ uhren kann. H¨aufig werden neben der Vergabe von Stipendien berufliche Einstiegsm¨oglichkeiten geboten. 46 F¨orderer und Finanziers des Nachwuchses sind ehemalige Aktive, die so genannten Alten Herren, zu denen zahlreiche Politiker und f¨ uhrende Wirtschaftsgr¨oßen z¨ahlen. 47 Die Alten Herren sind verpflichtet den Zum Natur- oder Geistes- oder Gesellschaftswis” senschaftler, zum Mediziner oder Techniker wird man an der Hochschule ausgebildet zum Akademiker aber bildet man sich im Lebensbund.“ ∗ ∗ Herbert

Kessler, Vielfalt und Einheit der deutschen Korpo” rationen“ in: Der Convent, H. 9/1985, S. 194 (198).

Felix Krebs in: Beyer, Knigge, Koch, Kocher, Krebs, Meyer, . . . und er muss deutsch sein“. S. 180. ” Heither, Gehler, Kurth, Sch¨ afer, Blut und Paukboden. S. 181. 42 Heither, Gehler, Kurth, Sch¨ afer, Blut und Paukboden. S. 181. 43 Alte-Herren-Zeitung der Burschenschaft Holzminda, G¨ ottingen 1935, zitiert nach: Heither, Gehler, Kurth, Sch¨ afer, Blut und Paukboden. S. 94f. 44 Baldur von Schirach, Wille und Weg des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes, zitiert nach: Heither, Gehler, Kurth, Sch¨ afer, Blut und Paukboden. S. 95. 45 vgl. Heither in: Heither, Gehler, Kurth, Sch¨ afer, Blut und Paukboden. S. 237–249. 46 vgl. Peter Schmitt: Es ist nat¨ urlich etwas anderes, wenn man weiß, der andere war auch aktiv“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, ” 26.03.2000) 47 vgl. Gute Verbindungen nach rechts (http://www.Freitag.de/2001/30/01300402.php) 41 vgl.


16 Nachwuchs ideologisch und finanziell zu unterst¨ utzen. Die prim¨are Aufgabe der Universit¨ aten wird von den Korporationen auf die Vermittlung von Fachwissen reduziert, die akademische Erziehung geschehe hingegen auf dem Verbindungshaus.

Werte, Wichs und Waffenbr¨ uder ther Alter Herr des Studentencorps Guestphalia et Suevoborussia52 beschreibt, dass es das Ziel der Burschenschaften und Corps sei [. . . ] auch weiterhin national gesinnte ” Menschen in alle f¨ uhrenden Berufe unserer Gesellschaft zu entsenden.“ 53

Die spezifischen Erziehungsideale der durch Seilschaften, Vetternwirtschaft und elit¨ aren Standesd¨ unkel gepr¨agten Korporationen, erm¨ oglichen korporierten Studenten den Zugang zu berufliche Stellen, deren Zugang Nichtkorporierten verwehrt bleibt. 48 Hier werden Nachfol” ger aufgebaut, Geld und Einfluß geltend gemacht, Helfer und Verb¨ undete unterst¨ utzt und beharrlich M¨ anner f¨ ur Machtpositionen selektiert.“ 49 Diese Mauscheleien und P¨ostchenschiebereien schr¨ anken den Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt ein und setzen die Chancengleichheit außer Kraft. Die Elite will sich selbst erhalten. Aus diesem Grund soll die Besetzung wichtiger Positionen mit identisch gepr¨agten Kandidaten die Reproduktion konservativer Wertvorstellungen gew¨ ahrleisten. 50

Je bedeutender die gesellschaftliche Position, desto eher ist sie mit einem Mann aus dem Milieu des gehobenen und konservativ eingestellten B¨ urgertums besetzt. 54 Treffend heißt es in der Zeitschrift Capital: Wer in ” einer Studentenverbindung ist, hat f¨ ur die Zukunft ausgesorgt f¨ ahrt Papst Benedikt XVI. in den Farben der Ruwie von einem pertia Regensburg Turbo-Lader beschleunigt der Karriere entgegen.“ 55 Folglich bekleiden zahlreiche Korporierte wichtige Positionen in Wirtschaft, Politik und gesellschaftlichen Verb¨anden.

Die Masse ” ist nicht besonders klug. Die Masse ist noch weniger fleißig, und am allerwenigsten ist sie ausdauernd. Die Schwachen suchen das KollekSeminar der CV-Akademie tiv, um in der Addition der Masse sich stark zu f¨ uhlen. Dieser Masse gegen¨ uber steht jene ’Elite’, die [. . . ] in jeder Gesellschaft vorhanden sein muss, um eine Ordnung in Freiheit und Recht zu gew¨ ahrleisten.“ 51 Der zum elit¨ aren Kreis der Korporierten geh¨ orende Ex-Innenminister Manfred Kan-

Verbindende Verbinder in Politik und Wirtschaft Die Einflussnahme und Postenschieberei in der Politik begann bereits mit der ersten deutschen Nachkriegsregie¨ so viele Amter ¨ rung. So waren in der Adenauer-Ara in den Ministerien von Alten Herren aus katholischen Korporationen besetzt, dass der Ex-Bundespr¨asident Theodor Heuß den Satz pr¨agte: In Bonn wird Zufall mit CV56 ge” schrieben“. Denn w¨ahrend Mitglieder der Burschenschaften und Corps vor allem im Industrie- und Finanzsektor vertreten sind, 57 lassen sich im CV neben Unternehmern58 und Geistlichen59 zahlreiche Politiker60 wieder finden. 61 Allein neun CVer waren als Mitglieder der christlichen Parteien im 14. Bundestag vertreten (zus¨atzlich zwei in der FDP). 62 In den Eigenwerbungen der zum CV geh¨orenden Verbindungen wird auf das Berufperspektiven er¨offnende

Erst die Weitergabe u ¨berdurchschnittlicher Leistungsertr¨ age sichert den sozial Schwachen eine menschenw¨ urdige Existenz. Die unter dem Deckmantel der Gleichheit gef¨ uhrten Angriffe gegen das Leistungsprinzip zielen auf die Produktivit¨ at unserer Gesellschaft und damit zugleich auf ihre F¨ ahigkeit, humane Verh¨ altnisse zu schaffen.∗ ∗ Christian

Wagner, Elitebildung in der Demokratie in: Spiegel der Korporationspresse, hrsg. Vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Bonn 1989. S. 6f.

48 vgl.

Krebs in: Beyer, Knigge, Koch, Kocher, Krebs, Meyer, . . . und er muss deutsch sein . . .“ S. 181ff ” W. Conell, Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von M¨ annlichkeit. 1999, zitiert nach: Peters, Elite sein. 50 vgl. Stephan Peters, Elite sein. 51 Prof. Hettlage (1966), damaliger Staatssekret¨ ar im Bundesfinanzministerium. Zitiert nach: Beyer, Knigge, Koch, Kocher, Krebs, Meyer, . . . und er muss deutsch sein . . .“ S. 183 ” 52 Vgl. Beyer, Knigge, Koch, Kocher, Krebs, Meyer, . . . und er muss deutsch sein . . .“ S. 183 ” 53 vgl. ebd. S. 183 54 vgl. Stephan Peters, Elite sein. 55 zitiert nach: Kollektive Kampftrinker: Einmal korporiert, immer korporiert (http://www.jungewelt.de/2000/08-04/017.shtml) 56 Cartellverband der katholischen deutschen Studentenverbindungen 57 vgl. Beyer, Knigge, Koch, Kocher, Krebs, Meyer, . . . und er muss deutsch sein . . .“ S. 180 ” 58 z.B. Hans und Friedrich Berentzen 59 z.B. Joseph Alois Ratzinger (Papst Benedikt XVI), Eugenio Pacelli (Papst Pius XII); Anton Schlembach (Bischof v. Speyer) 60 z.B. Edmund Stoiber, Erwin Teufel, J¨ urgen R¨ uttgers, Friedrich Merz, Klaus Kinkel oder Roland Koch usw. 61 Wer sich uber weitere Verbinder aus dem CV informieren m¨ ochte: http://de.wikipedia.org/wiki/Cartellverband. ¨ 62 In der Legislaturperiode von 1987 bis 1991, also zur Hochzeit christdemokratischer Macht, waren allein 30 CVer im Bundestag vertreten.

49 Robert


Werte, Wichs und Waffenbr¨ uder Netzwerk verwiesen: Im CV sind neben den genannten ” Pers¨ onlichkeiten u ¨ber 30000 weitere Akademiker und Studenten aktiv, damit ist der CV einer der gr¨ oßten Akademikerverb¨ ande Deutschlands“ Diese Dominanz macht sich vor allem in der Politik bezahlt. Insbesondere katholische (CV und KV63 ), aber auch andere Korporationen, wurden in der Kohl¨ Ara seit 1989 kontinuierlich mit staatlichen Geldern unDer andere Bierpapst terst¨ utzt. Neben Korporationen aus dem evangelischen Wingolfbund, dem Bund Deutscher Ingenieure-Corporationen, dem musischen Sonderh¨ auser Verband erhielten vor allem CV- und dem KV-Verbindungen staatliche Zusch¨ usse von insgesamt 720.000 D-Mark. 64 Hierzu geh¨ ort auch die F¨orderung von politischen, korporationsspezifischen und eliteorientierten Tagungen, Schulungen und Seminaren. Diese tragen so bezeichnende Titel wie Verbin” dungsarbeit und Nachwuchsarbeit“, Chargenschulung ” ¨ mit Schwerpunkt Presse und Offentlichkeitsarbeit“ oder Hat Deutschland zu wenig geistige Elite?“. ” Trotz vermeintlich liberaler und dem Korporationswesen an sich feindlich gegen¨ uber stehender politischer Ausrichtung sind auch in Parteien wie der SPD und den Gr¨ unen Mitglieder aus Korporationen vertreten. Als bekannteste Verbinder sind hier Johannes Kahrs65 (SPD – aktuell im Bundestag), Norbert Kastner66 (SPD – Oberb¨ urgermeister Coburg) oder Rezzo Schlauch67 (Gr¨ une) zu nennen. ¨ Bei gleichzeitigen Versuchen in der Offentlichkeit die Bedeutung der hochfunktionellen und undemokratischen Netzwerke herunterzuspielen ( Wenn sich einer bewer” be, sei das Korporiertsein letztlich nur ein kleiner Unterscheidungsgrad im Einheitsbrei.“ Oder: Seilschaften oder ” Netzwerke gibt es seiner Meinung nach allerdings nicht.

63 Kartellverband

17 Mit Vorurteilen wie diesen tun sich Korporierte noch immer schwer.“), wird aus Gr¨ unden der Werbewirksamkeit, mit der eigenen Erfolgsgeschichte gern hausieren gegangen. So sind nach eigenen Angaben von den rund 20.000 Alten Herren der Corps ca. 600 als Hochschulprofessoren t¨atig; 2000 als Rechtsanw¨alte oder Notare. Die Anzahl von Gesch¨aftsf¨ uhrern oder in Verb¨anden aktiver Corps wird auf 2.800 (14%) beziffert. Nahezu 3600 sind praktizieren¨ de Arzte. Das durchschnittliche Monatseinkommen wird auf ca. 5000 Euro gesch¨atzt. 68 4.3

Abschließende Betrachtung

Abschließend betrachtet zeigt sich, dass sich an der Funktion korporierter Protektion damals wie heute nicht viel ge¨andert hat. Das Ziel war und ist gleich. Es geht einzig darum herrschende bzw. einflussreiche Kreise in dieser Gesellschaft mit eigenen, hier konservativen Leuten zu besetzen. Damit stehen die studentischen Verbindungen mit diesem Eliten- und Protektions-Habitus in einer Gesellschaft, die auf Konkurrenz und Leistungsdenken beruht, nat¨ urlich nicht alleine. Letztendlich versuchen doch alle, die sich an dieser Form des politischen und gesellschaftlichen Systems beteiligen, irgendwie besser, schneller und weiter als der Rest zu sein. Offenbar sind die studentischen Verbindungen hierbei noch am Besten organisiert. Um also kein Missverst¨andnis aufkommen zu lassen: Wir wollen mit der Kritik an konservativer Elitenbildung nicht die Elitenbildung in der parlamentarischen Demokratie als demokratiefeindlich kritisieren. Wir kritisieren vielmehr einen politischen Gegner (weil v¨olkisch-nationalistisch, sexistisch etc.), der sich letztendlich genauso verh¨alt wie alle anderen Akteure, die das Konkurrenz- und Leistungsprinzip unterst¨ utzen.

katholischer deutscher Studentenvereine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Gruppe der PDS, Finanzielle Unterst¨ utzung von studentischen Korporationen aus Bundesmitteln. Bundestagsdrucksache 13/7686 vom 15.05.1997. 65 Wingolfsbund 66 Sch¨ ulerverbindung Casimiriana Coburg 67 Rezzo Schlauch war lange Zeit bei der Saxo-Silesia Freiburg und hat dort insgesamt 5 Mensuren geschlagen ist ausgetreten, als ihm die Verbindung zu unliberal“ wurde. Diskutiert aber auch jetzt noch ganz gerne mit ihnen weiter. ” 68 vgl. Peter Schmitt: Es ist nat¨ urlich etwas anderes, wenn man weiß, der andere war auch aktiv“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, ” 26.03.2000) 64 Kleine


18

5

Werte, Wichs und Waffenbr¨ uder

Verbindungen von Verbindern in die Unipolitik und nach ganz rechts

Die Aktivit¨aten von Studentenverbindungen bleiben nicht auf die Verbindungsh¨auser beschr¨ankt. Burschenschafter, Corpsstudenten und andere Korporierte bewegen sich auch in der Universit¨at, pflegen Kontakte und betreiben Politik. Activas oder Alte Herren sind im Grunde in allen Parteien zu finden, vor allem in CDU und FDP. Dabei kommt es insbesondere auch zur Zusammenarbeit von Korporierten mit rechts-konservativen Kr¨aften bis weit hinein in eine Grauzone zwischen nationalem Konservatismus und offen auftretendem Rechtsextremismus. Seit Ende der 80er l¨ asst sich in der BRD ein verst¨ark69 Karlheinz Weißmann lebt in Bovenden und ist einer der ter rechtskonservativer Backslash beobachten. W¨ahrend f¨ uhrenden Strategen der so genannten Neuen Rechten, die sich die zu offensichtlich neonazistisch auftretenden Str¨omunideologisch an die Nouvelle Droite“ und deren Vordenker Alain gen in G¨ottingen vor allem aufgrund von organisier” de Benoist anlehnt. Durch die angestrebte Kulturrevolution von tem antifaschistischen Widerstand, aber auch weil es ih” rechts“ von Intellektuellen wird eine systematische, schrittweinen nicht gelang an das b¨ urgerliche Lager anzudocken“, ” se gesellschaftliche Normenver¨ anderung angestrebt, um so eine nicht Fuß fassen konnten, ist es den sich b¨ urgerlichgeistig-politische Vormachtstellung als Voraussetzung f¨ ur polirechtkonservativ gebenden Elite-Gr¨ uppchen gelungen, tische Macht zu erlangen. Weißmann beschrieb diese Strategie diesen Trend voll zu ihren Gunsten auszunutzen. Die 1986 in Critic´ on: Die F¨ ahigkeit, in die Offensive zu gehen, muss von der Uni-Leitung forcierte Verdr¨ angung linksradika” entwickelt werden und dazu die F¨ ahigkeit, die Situation zu beler bis linker Kr¨ afte, tat ihr u ¨briges um die Stimmung urteilen: ob hier der offene Angriff oder die politische Mimikry auch an der Universit¨ at mehr oder weniger schleichend gefordert ist.“ (Critic´ on, 1986, Nr. 96, S. 61ff) Weißmann benach rechts zu verschieben. Auch in den immer h¨aufiger wegt sich so zwischen Konservatismus und Rechtsextremismus. von Rechten gestellten ASten finden die Verbindungen Seine Artikel erschienen sowohl in der Wochenzeitung des Bunein Vehikel f¨ ur die Verbreitung ihres patriarchalen, nadestages Das Parlament“ als auch in eindeutig rechtsextremen tionalistischen und chauvinistischen Weltbildes. ” Publikationsorganen. (http://www.lexikon.idgr.de) Im Folgenden werden einige dieser Verstrickungen aufgedeckt und skandal¨ ose Vorkommnisse der letzten Jahre geschildert. 5.1

Die Burschenschaften Hannovera und Holzminda

Die Burschenschaften Hannovera und Holzminda geh¨oren zum rechten Rand des G¨ ottinger Verbindungswesens. Am 21. Juni 2003 f¨ uhrten sie anl¨ asslich der Sonnenwende einen Fackelmarsch in der G¨ ottinger Innenstadt durch. Derartiges wurde von der NSDAP h¨ aufig inszeniert und wird heutzutage in Deutschland nur noch von FaschistInnen und traditionsbewussten“ Burschenschaftern veran” staltet. Angesichts der absehbaren Proteste verzichteten die Burschenschafter allerdings auf eine Widerholung des Fackelmarschs im folgenden Jahr. So beschr¨ ankte sich die Sonnenwendfeier in den folgenden Jahren auf den Garten des Burschenschaftshauses der Hannovera. Zu den Hauptaktivit¨aten der M¨ annerb¨ unde z¨ ahlen neben dem Trinken Veranstaltungen, oftmals auch mit Vertretern aus rechten bis faschistischen Kreisen. So hielt der neurechte Ideologe Karlheinz Weißmann69 am 03. November 2004 im Haus der Holzminda einen Vortrag u ¨ber den Weg zur Wieder” vereinigung“. Drei Wochen sp¨ ater sprach der durch die Medien bekannt gewordenen Ex-KSK-General Reinhard G¨ unzel70 u ¨ber das Ethos des Offiziers“. Beide Referen” ten sind unter anderem f¨ ur das Institut f¨ ur Staatspolitik 71 (IfS) t¨atig und traten in der Vergangenheit bei Veranstaltungen der offen faschistischen M¨ unchener Burschenschaft Danubia auf. Momentan bekleidet der Sprecher der Holzminda, Markus Guth, den Posten des Finanzrevisors, zu dem ihn die AStA-Koalition – bestehend aus Arbeitsgemeinschaft ” demokratischer Fachschaftsmitglieder (ADF)“ und Ring ” christlicher demokratischer Studenten (RCDS)“ – am 14. April 2005 gew¨ ahlt hat. Zu den die kriegsverbrecherische SS verharmlosenden Aussagen des Ex-KSK-Generals

70 G¨ unzel

wurde von Verteidigungsminister Peter Struck in

den vorzeitigen Ruhestand versetzt, weil er in einem auf Bundeswehr-Briefpapier erstellten Schreiben Martin Hohmanns Rede gelobt hatte, was als, BundeswehrsoldatInnen verbotene, politische Bet¨ atigung im Dienst gewertet wurde. Seitdem h¨ alt er vor einem mehrheitlich rechtem Publikum Vortr¨ age etwa u ¨ber Mut, die Opferbereitschaft und Tapferkeit der deutschen Sol” daten im Nationalsozialismus“

71 Das

Institut f¨ ur Staatspolitik (IfS), dessen Zielgruppen sind der konservative und rechte akademische Nachwuchs, aber auch Teile der politischen Elite sind, wurde im Mai 2000 wurde gegr¨ undet. Mittels Seminaren, Ver¨ offentlichungen und der F¨ orderung von Forschungsarbeiten sollen die Strategiediskussion der so genannten Neuen Rechten“ vorangetrieben und intellektu” elle Netzwerke gekn¨ upft werden. Omnipr¨ asent bei diesen verschiedenen Treffen und Tagungen sind die Gr¨ undungsmitglieder Dr. Karlheinz Weißmann und G¨ otz Kubitschek. F¨ ur den Br¨ uckenschlag in den Konservatismus sollte schon 2001 Martin Hohmann sorgen, der im Rahmen der Sommerakademie 2001 einen Redebeitrag unter dem bezeichnenden Titel Strategie ” im Parlamentarismus“ hielt. (http://www.nadir.org/nadir/ periodika/aib/archiv/63/26.php)

G¨ unzel befragt, verweigerte er jede Aussage. Die fehlende Distanzierung muss hier wohl als Zustimmung bewertet werden. Bei der diesj¨ahrigen Sonnwendfeier im Garten der Hannovera offenbarten deren Mitglieder einmal mehr ihr nationalchauvinistisches Weltbild. So soll, in der dort gehaltenen Rede: die Feinde unser Kultur sind rings um Europa ”


Werte, Wichs und Waffenbr¨ uder aufgereiht“ gesagt worden sein. Im Anschluss an die Feier sollen Marschlieder gesungen worden sein, unter anderem das Westerwald-Lied“ und Es zittern die morschen ” ” Knochen“ von Hans Baumann. Das Lied des ehemaligen HJ-F¨ uhrers und NS-Lyrikers endet mit dem mehr als programmatischen Und morgen geh¨ ort uns die Welt“. ”

G¨ ottingen, Februar 1999. Infostand der Jungen Union w¨ ahrend ihrer rassistischen Kampagne gegen die Doppelte Staatsb¨ urgerschaft. Rechts Karlheinz Weißmann (Publizist der Neuen Rechten), links Holger Welskop (CDU-Ratsmitglied und Stadtverbandsvorsitzender).

5.2

Kontakte zur NPD?

Die Burschenschaften Hannovera und Holzminda m¨ ussen auch u ottinger NPD¨ber gute Kontakte zum G¨ Ortsverband verf¨ ugen. Das zeigt sich insbesondere daran, dass die NPD-Homepage des ¨ ofteren zeitnah und erstaunlich gut informiert u ¨ber Veranstaltungen dieser Burschenschaften berichtet. So war im Juni 2004 von einem antifaschistischen Angriff auf die Sonnwendfeier obiger Burschenschaft sowie u unzel ¨ber die Veranstaltung mit R. G¨ und die gegen diese stattfindende Demonstration zu lesen. Die in ihrem Bericht u ¨ber die Veranstaltung mit R. G¨ unzel enthaltenen Informationen legen den Schluss nahe, dass Vertreter der NPD bei der Veranstaltung pers¨onlich anwesend waren oder zumindest aus erster Hand von dieser erfahren haben. Die Berichte wurden in jedem Fall so zeitnah nach den Veranstaltungen ver¨ offentlicht, dass die Informationen nicht den ¨ offentlichen Medien entnommen werden konnten. Die G¨ ottinger NPD schrieb u ¨ber den Vortrag, dass G¨ unzel [. . . ] erstaunlich kompromiss- und ” schonungslos mit dem noch bestehenden BRD-System abrechnete. [. . . ] Erfreulich fiel auf, dass Brigadegeneral G¨ unzel, im Gegensatz zu Martin Hohmann und so vielen anderen, ganz und gar auf irgendwelche Distanzierungen‘ ’ verzichtete, sondern ausschließlich seine klare und direkte Sicht der Dinge und momentanen Zust¨ ande wiedergab.“.72 Stephan Pfingsten, der damalige NPD-Kreisvorsitzende und Beisitzer im NPD-Landesvorstand Niedersachsen, hinterließ nach der G¨ unzel-Veranstaltung einen Eintrag im G¨ astebuch auf der Homepage der Holzminda, welcher aber, politisch klug, umgehend wieder gel¨ oscht wurde.73 72 Homepage

der NPD G¨ ottingen Blutgr¨ atsche Nr. 10, S. 3

73 Schwarz-Rot-Kollabs,

19 5.3

Christian Marcel Vollradt

Zu den hervorstechenden Personen der Hannovera z¨ahlt der ehemalige Fuxmajor (Wintersemesters 01/02) Christian Marcel Vollradt. Er ist Mitglied des RCDS und der Jungen Union (JU) und beobachtete und fotografierte in seiner Freizeit auch gerne mal linke Demonstrationen. Auch Zutritt zu linken Veranstaltungen versuchter er in der Vergangenheit zu bekommen. So erschien er mit anderen Vertretern des ADF/RCDS-AStA beim B¨ undnistreffen gegen den Naziaufmarsch am 15. April 2000. Seit 1998 schreibt Vollradt Artikel f¨ ur die rechtspopulistische Zeitung Junge ” Freiheit“, in denen er haupts¨achlich gegen die G¨ottinger Linke hetzt. Dar¨ uber hinaus publiziert er seit 2003 auch regelm¨aßig f¨ ur die vom IfS herausgegebene Zeitschrift Se” zession“. Gemeinsam mit Karlheinz Weißmann und dem heutigen CDU-Stadtverbandsvorsitzenden Holger Welskop beteiligte sich Vollradt im Fr¨ uhjahr 1999 an einem gegen die Doppelte Staatsb¨ urgerschaft“ gerichteten Infostand ” der JU in der G¨ottinger Innenstadt. Die damalige Unterschriftenaktion der CDU setzte auf eine rassistische Mobilisierung gegen den ohnehin noch diskriminierenden rotgr¨ unen Gesetzesentwurf zur doppelten Staatsb¨ urgerschaft. Im M¨arz 2000 wurde er Sprecher der neu gegr¨ undeten Jugendorganisation des Landesverbandes der Paneuropa Union, der Paneuropa Jugend Niedersachsen. Christian Vollradt geh¨orte auch Ende 2003 zu den Erstunterzeichnern eines Aufrufs Kritische Solidarit¨at mit Martin Hoh” mann“. Dieser war aus der CDU ausgeschlossen worden, nachdem er in einer Rede anl¨asslich des Tags der deutschen Einheit 2003 in Neuhof die M¨oglichkeit, Juden als T¨atervolk“ zu bezeichnen diskutiert hatte. Er verneinte ” dies zwar, distanzierte sich aber nicht von den antisemiti¨ schen Außerungen anhand derer er es diskutiert hatte.

Christian Vollradt am 1.11.2004 im ZHG der Uni G¨ ottingen. Gemeinsam mit anderen Burschis Saalschutz bei einer RCDSVeranstaltung mit dem nieders¨ achsischen Innenminister Uwe Sch¨ unemann.

H¨aufig ist er mit dem Ex-AStA-Vorsitzenden Thorsten Scharf (damals ADF) anzutreffen, der bei der oben beschriebenen G¨ unzel-Veranstaltung an den Eingangskon-


20

Werte, Wichs und Waffenbr¨ uder

trollen beteiligt war. W¨ ahrend seiner T¨ atigkeit als AStAVorsitzender erwirkte Thorsten Scharf gemeinsam mit Nicolo Martin die R¨ aumung des Raumes der Basisgruppe Geschichte und fiel hierbei mehrfach durch rechtsextreme ¨ Außerungen und das Zeigen des Hitlergrußes auf.

5.4

Nicolo Martin, Moritz Strate und die FDL

Anl¨asslich der Wahlen zum StudentInnenparlament 2003 trat der damals 23 j¨ ahrige Moritz Strate, Mitglied des katholischen Studentenvereins Winfridia G¨ ottingen, als Spitzenkandidat der Freiheitlich Demokratischen Liste ” (FDL)“ an. Mit auf der rechtsextremen Tarnliste kandidierte auch Tobias Fabiunke, Mitglied der Landsmann” schaft Gottinga“ und damaliger Gesch¨ aftsstellenleiter der FDP. Mit der FDL, einer rechten Abspaltung der Libe” ralen Hochschulgruppe (LHG)“ sollte am ¨ außersten rechten Rand des studentischen Spektrums auf Stimmenfang gegangen werden. Als Symbol benutzte die FDL eine lodernde Flamme, die bereits der neofaschistischen Na” tionalen Sammlung“ als Erkennungszeichen diente und von der franz¨osischen neofaschistischen Partei Front Na” tional“ verwendet wird. Da das Symbol ebenso wie die neofaschistische Nationale Sammlung“ in der BRD seit ” 1989 verboten sind, ermittelte Anfang des Jahres 2003 die G¨ottinger Staatsanwaltschaft gegen Moritz Strate wegen Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Orga” nisationen“. Ein Verfahren wurde aber gegen den Vorsitzenden des Arbeitskreises Innen- und Rechtspolitik“ der ” FDP, wie wohl auch nicht anders zu erwarten, nicht er¨offnet. In ihrem Programm betonte die FDL ihren Glauben ” an Werte und Traditionen, die eine starke Gemeinschaft begr¨ unden“. Bei einer derartigen Haltung in Bezug auf die deutsche Volksgemeinschaft“ verwundert der Law-and” order-Vorschlagskatalog der FDL kaum: Ausl¨andisches Studierendenparlament (ASP) abschaf” fen“, Keine AStA-Deutschkurse f¨ ur ausl¨ andische Nicht” Studenten“, Konsequente Maßnahmen gegen alkoholi” sierte Herumtreiber und Bettler auf dem Campusgel¨ande“, Schutz von Gesundheit und Eigentum durch private ” Wachdienste“ und Wirksame Kontrolle sicherheitsgef¨ahr” deter Bereiche durch Video¨ uberwachung“ lauteten die Forderung der FDL.74 Beteiligt am FDL-Projekt war auch Nicolo Martin, Mitglied der national-konservativen Verbindung Lunab” urgia“, damaliger LHG-Spitzenkandidat sowie Kreisvorsitzender und Bundestagskandidat der G¨ ottinger FDP. Nicolo Martin, der zum so genannten M¨ ollemann-Fl¨ ugel“ in” nerhalb der FDP geh¨ orte, hatte an Programm und Layout der FDL gefeilt und per Brief die G¨ ottinger Verbindungen und Burschenschaften umworben diese zu w¨ ahlen.75 Dass Nicolo Martin nicht nur Briefe schreibt, zeigte sich am Rande des G¨ ottinger Ringfestes 2003. In den fr¨ uhen Morgenstunden des 20. Juli drangen Moritz Strate und Nicolo Martin in den Keller eines Hauses im Kreuzbergring ein und z¨ undeten die sich dort befindende Ausstellung zur 74 Flugblatt

Moritz Strate (kath. Studentenverein Winfridia) und Nicolo Martin (Verbindung Lunaburgia) mehrmonatigen Besetzung eines Raums der Basisgruppe Geschichte im AStA-Geb¨aude an. Als sie von einer in den R¨aumlichkeiten u ¨bernachtenden Person entdeckt wurden, suchten sie schnell das Weite. Der Zeuge, der versucht hatte ihnen zu folgen, bemerkte gleich nach seiner R¨ uckkehr den Brandgeruch und konnte ein Ausbreiten des Feuers im Haus, in dem zu dieser Zeit 16 Menschen schliefen, verhindern. Die Ausstellung thematisierte insbesondere auch die Rolle der beiden FDP-Politiker als maßgebliche Akteure gegen die BesetzerInnen des Basisgruppenraums und linke Universit¨atsstrukturen im Allgemeinen. Die herbeigerufene Polizei sah die beiden Verbindungsstudenten als dringend tatverd¨achtig“ an. ” Die folgenden Ermittlungen gegen Moritz Strate und Nicolo Martin waren jedoch von Anfang an durch Pannen und Schlamperei gekennzeichnet. Insgesamt h¨auften sich 16 Ermittungs- und Verfahrensfehler an. Da das Brandgutachten von falschen Tatsachen ausging, wurde die Nebenklage der HausbewohnerInnen abgelehnt. Das Strafverfahren gegen Strate und Martin wurde gegen ein Zahlung von jeweils 300e eingestellt, da es kurz nach Prozessbeginn hinter den Kulissen und unter Ausschluss der ¨ Offentlichkeit offensichtlich zu einer Absprache zwischen ¨ Gericht und Verteidigung kam. Uber das Zustandekommen der Einigung h¨ ullte sich der Richter allerdings entge¨ gen des Offentlichkeitsgrundsatzes der Gerichtsverfassung (§169 GVG) in Schweigen.76 Die G¨ottinger FDP wollte sich zur kriminellen Karrie” re“ ihres Vorsitzenden erst recht nicht ¨außern. Personelle Konsequenzen erfolgten trotz erheblichen ¨offentlichen Drucks nicht. Langfristig scheinen die Geschehnisse aber dennoch einen Karriereknick verursacht zu haben, zumindest hat Nicolo Martin heute keine Partei¨amter mehr inne. Die LHG, die bisher mit sexistischer Wahlwerbung von sich reden machte, versuchte im Sommer diesen Jahres wieder ein positiveres Image zu bekommen und holte daf¨ ur eine Ausstellung u ¨ber die antifaschistische Widerstandgruppe Weiße Rose“ in das Zentrale H¨orsaalgeb¨aude der ” Universit¨at. Dass es aber augenscheinlich zu keiner Tren-

der FDL, FDL – Die neue Kraft. G¨ ottingen 2003. der Autonomen Antifa [M], Rechte Verbindungen kappen. G¨ ottingen 2003. 76 http://.www.goest.de/freiraum_modell.html 75 Flugblatt


Werte, Wichs und Waffenbr¨ uder

21

nung von ihrem extrem rechten Fl¨ ugel gekommen ist, er- unter anderem die beiden schon erw¨ahnten Burschenschafsieht man an der Tatsache, dass der Ex-FDLer Tobias Fa- ter Christian Vollradt und Markus Guth. Bei der LHG biunke auch weiterhin f¨ ur die LHG kandidierte. sind mindestens drei von 22 und bei der ADF sieben von 153 Kandidaten Verbindungen zugeh¨orig, darunter der ehemalige Pr¨asident des Studentenparlaments Percy5.5 Unipolitik Constantin von Samson-Himmelstjerna, welcher Mitglied Von den sieben zur letzten StudentInnenparlamentswahl der Studentenverbindung Teutonia-Hercynia“ ist. Diese ” angetretenen Gruppen treten nur auf den Listen der ADF, w¨ unscht sich, ganz an der aktuellen Debatte um deutsche der LHG und des RCDS Verbindungsstudenten an. Spit- Leitkultur orientiert von ihren Mitgliedern das Bekenntzenreiter ist der RCDS: Von den 88 KandidatInnen waren nis zum deutschen Staat in der europ¨aischen ”V¨olkergemehr als ein Siebtel Korporierte, die zudem meist aus den meinschaft“. politisch weiter rechts stehenden Verbindungen stammten;

6

Studentische Verbindungen in G¨ ottingen

¨ Wir wollen nun eine Ubersicht u ottingen ans¨assigen Verbindungen geben. Die Einsch¨atzungen beruhen auf ¨ber die in G¨ Beobachtungen, diversen Ver¨ offentlichungen sowie eigenen Angaben der Verbindungen. Viele G¨ottinger Verbindungen halten sich aber bedeckt, was ihr Innenleben betrifft, oder sie stellen sich nach aussen bewusst anders dar. Daher sind die Angaben hier mit Sicherheit unvollst¨ andig. Zur leichteren Orientierung haben wir die Verbindungen nach Dachverb¨anden und Verbindungstypen sortiert und zu den einflussreichsten Dachverb¨ anden auch noch ein paar Beschreibungen77 hinzugef¨ ugt. Denn meistens sagt der Charakter des Dachverbands auch etwas u unde aus. ¨ber die Mitgliedsb¨ Andererseits darf man die Aufteilung in Dachverb¨ande nicht als strikte Trennung verstehen. Verbindungen aus verschiedenen Dachverb¨ anden sehen sich in einer gemeinsamen Tradition, sie feiern und fechten miteinander und sie arbeiten im CDK und CDA78 zusammen.

6.1

Burschenschaften

Die Bezeichnung Burschenschaft“ wird ” oft f¨alschlich als Sammelbegriff f¨ ur Studentenverbindungen benutzt. Gerade Verbindungsstudenten legen aber viel Wert darauf, dass es sich dabei nur um einen Typ von Verbindungen handelt. Burschenschaften berufen sich meist auf die 1815 in Jena gegr¨ undete Urburschenschaft, sowie das Wartburgfest von 1817. Sie stehen damit in einer Tradition von Deutscht¨ umelei und B¨ ucherverbrennungen. Die meisten Burschenschaften sind im Dachverband Deutsche Burschenschaft“ organisiert. ” Deutsche Burschenschaft (DB) Die DB hat anders als der Name vermuten l¨ asst auch ¨ Mitgliedsb¨ unde in Osterreich und Chile. Ihr Wahlspruch ist Ehre – Freiheit – Vaterland“. Es werden keine Frau” en, Ausl¨ ander, Homosexuelle und Kriegsdienstverweigerer aufgenommen. In der DB ist eine v¨ olkisch nationalistische Politik hegemonial, so fordert die DB zum Beispiel die R¨ uckgabe der 77 aus

deutschen Ostgebiete. Die meisten DB-Burschenschaften verf¨ ugen u ¨ber gute Kontakte in rechtsextremistische Kreise oder sind selber dem rechtsextremen Lager zuzuordnen. Veranstaltungen mit NPD-Funktion¨aren in Burschenschaftsh¨ausern sind an der Tagesordnung. In G¨ottingen sind die Burschenschaften Holzminda (Wilhelm-Weber-Str. 26/30, fakultativ-schlagend) und Hannovera (Herzberger Landstr. 9, pflichtschlagend) in der DB. Sie arbeiten bei Veranstaltungen eng zusammen. So haben sie Ende 2004 unter massivem Polizeischutz Reinhard G¨ unzel u ¨ber das Ethos des Offiziers“ vortragen ” lassen. G¨ unzel war vorher aus der Bundeswehr entlassen worden, nachdem er Martin Hohmann f¨ ur dessen antisemitische T¨atervolk“-Rede gelobt hatte. ” Andere Burschenschaften In G¨ottingen gibt es noch drei Burschenschaften, die nicht in der DB organisiert sind. Die Burschenschaft Brunsviga (Schildweg 40, fakultativ-schlagend) ist 1995 aus der DB ausgetreten und hat zusammen mit Burschenschaften aus anderen St¨adten die Neue Deutsche Burschenschaft“ als Dachverband ge” gr¨ undet. Damit wollten sie sich von den rechtsextremen Str¨omungen in der DB abgrenzen. Ganz so liberal und offen, wie sie sich gerne darstellt, ist die Brunsviga allerdings nicht, so k¨onnen FH-Studenten nur Gastmitglied werden. Die Burschenschaft Germania (B¨ uhlstr. 11) ist nichtschlagend, hat als Wahlspruch Gott, Freiheit, Vaterland“ ” und ist im Schwarzburgbund organisiert. Zur Burschenschaft Germania geh¨ort auch das sog. Studentenwohn”

der Datenbank http://www.fzs-online.de des freien Zusammenschlusses von Studierendenschaften (Convent Deutsche Akademikerverb¨ ande) ist Dachorganisationen der Alten Herren, CDK (Convent Deutscher Korporationsverb¨ ande) das Pendant der Aktiven.

78 CDA


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Werte, Wichs und Waffenbr¨ uder

heim Albert Schweitzer e.V.“ – also Vorsicht, wenn Ihr dort g¨ unstige Zimmerangebote seht. Die K¨onigsberger Burschenschaft Gothia (Ewaldstr. 23) ist pflichtschlagend. Sie ist bereits 1974 aus der DB ausgetreten und jetzt Mitglied im S¨ uddeutschen Kartell.

Brauchtum und sehen sich in der Tradition von Studentenverbindungen. Das Turnen ist f¨ ur sie wichtiges Mittel zur ” Pers¨onlichkeitsbildung, eigenen Ert¨ uchtigung und Ausbildung der Gesellschaftsf¨ahigkeit“. In G¨ottingen gibt es zwei ATB-Verbindungen: die Albertia (Friedl¨ander Weg 57, reiner M¨annerbund) und die Gothia-Alemannia (Schillerstr. 68), die auch Frau6.2 Landsmannschaften en aufnimmt. Beide betreiben einen seltsamen InitiationsLandsmannschaften gelten als die ¨ alteste Form studen- ritus (die Fuxentaufe“), bei der neue Mitglieder einen ” tischer Zusammenschl¨ usse. Sie nahmen urspr¨ unglich nur verbindungsinternen Spitznamen erhalten. Nach Fotos auf Landsm¨anner“ aus derselben Region auf, nach der sie in der Albertia-Homepage zu urteilen, handelt es sich dabei ” der Regel bis heute benannt sind. Ihr Dachverband ist der um eine schleimige Orgie mit sexistischem Einschlag, wenn Coburger Convent (CC), in dem etwa 100 pflichtschlagende Verbindungen zusammengeschlossen sind. Jedes Mitglied einer CC-Verbindung muss mindestens zwei Pflichtpartien fechten. Der CC versteht sich selbst als tolerant“, da die Ver” bindungen im CC auch Ausl¨ ander, Juden oder Kriegsdienstverweigerer aufnehmen d¨ urfen. Mit dem Toleranzprinzip werden aber oft auch Kontakte zur rechtsextremen Szene gerechtfertigt. Mittlerweile verzichtet der CC allerdings darauf, die 1. Strophe des Deutschlandlieds in der ¨ Offentlichkeit zu singen. In G¨ottingen aktive CC-Verbindungen sind die Landsmannschaft Gottinga (Nikolausberger Weg 25) und die Landsmannschaft Verdensia (Theaterstr. 15). Daneben gibt es noch die Landsmannschaft Cimbria, die aber seit 1997 keine Aktivitas und kein Haus mehr hat.

6.3

Turnerschaften Fuxentaufe der Albertia

Turnerschaften sind Studentenverbindungen, die sich u uchtigung definieren. Man kann ¨ber Sport und Leibesert¨ zum Beispiel die T¨auflinge“ am ausgestopften Busen ei” sie grob einteilen in die nicht-schlagenden und nichtnes Bundesbruders nuckeln. farbentragenden Verbindungen, die im Akademischen Turnbund organisiert sind, und die u ¨brigen, die heute in G¨ottingen fast alle verbandsfrei sind. Andere Turnerschaften Die Turnerschaften, die nicht im ATB organisiert sind, waren bis Anfang der 1970er Jahre zusammen mit den Landsmannschaften im Coburger Convent. Dann gab es Unstimmigkeiten u ¨ber die Bestimmungsmensur“, woraufhin ” die Turnerschaften, die die Mensur freiwillig machen wollten, austraten oder ausgeschlossen wurden. Sie gr¨ undeten dann den Marburger Konvent (MK), dem aber heute nur noch die Turnerschaft Gottingo-Normannia (LeonardNelson-Str. 14, fakultativ-schlagend) angeh¨ort. Die u ¨brigen Turnerschaften in G¨ottingen sind verbandsfrei: Turnerschaft Ghibellinia (Hermann-F¨ogeWeg 8, fakultativ-schlagend), Turnerschaft Cheruscia (Herzberger Landstr. 67, fakultativ-schlagend) und Turnerschaft Salia-Jenensis (Nikolausberger Weg 114, fakultativ-schlagend?). Fuxentaufe der Albertia

6.4 Akademischer Turnbund (ATB)

S¨ angerschaften

S¨angerschaften sind Studentenverbindungen, die sich die ” Die Verbindungen im ATB sind nicht-farbentragend Musik auf ihre Fahnen geschrieben haben“. Die meisten und nicht-schlagend. Sie vertreten das Lebensbund- und S¨angerschaften sind im Dachverband Deutsche S¨angerdas Konventsprinzip, pflegen verbindungsstudentisches schaft organisiert.


Werte, Wichs und Waffenbr¨ uder Deutsche S¨ angerschaft (DS) Die in der DS zusammengeschlossenen S¨ angerschaften sind farbentragend und fakultativ-schlagend. In G¨ottingen geh¨oren die S¨ angerschaft Arion-Altpreußen (Reinh¨auser Landstr. 51a) und die S¨ angerschaft Gotia et Baltia Kiel (Planckstr. 14) zur DS. Sie sind bekennende M¨ annerb¨ unde. Die Gotia et Baltia Kiel schreibt dazu: Wir meinen, dass durch eine aus bei” den Geschlechtern bestehende Mitgliedschaft innere Konflikte entstehen k¨ onnen, die uns nicht helfen, unsere Ziele zu verwirklichen.“ Diese Ziele bezeichnet die DS als nicht politisch: Mu” sische statt politische Orientierung ist Sache.“ Es wird viel deutsches Liedgut“ gesungen, u ¨ber die deutsche Rol” le in Europa debattiert und dabei schon mal die ehemalige DDR als mitteldeutsch“ bezeichnet. ” Sondersh¨ auser Verband akademisch-musikalischer Verbindungen (SV) Der 1867 gegr¨ undete Sondersh¨ auser Verband (SV) ist ein Zusammenschluss von 22 musischen“ Studentenverbin” dungen aus dem deutschsprachigen Raum. Konzerte und gemeinsames Musizieren pr¨ agen das Bundesleben der SVKorporationen. Traditionen wie das Lebensbundprinzip werden auch hier gepflegt. Grunds¨ atze sind Lied, Freund” schaft, Vaterland“. Unter Vaterland“ versteht der SV ” die Bereitschaft seiner Mitglieder, sich im Rahmen einer ” rechtsstaatlichen Ordnung f¨ ur ihr Land und seine Menschen einzusetzen“. Der Verband ist nicht-farbentragend, lehnt das studentische Fechten seit 1951 ab. Nationalit¨ at und Religion spielen bei der Aufnahme von Mitgliedern angeblich keine Rolle. In G¨ ottingen geh¨ort die Studentische Musikvereinigung Blaue S¨ anger (D¨ ustere-Eichen-Weg 26), die auch Frauen ¨ aufnimmt, dem SV an. Uber ihre wechselvolle Geschichte, zu der auch eine Periode als Kameradschaft Schlage” ter“ w¨ahrend des Nationalsozialismus z¨ ahlt, schreibt Ulrich Witt auf der Homepage der Blauen S¨ anger, dass die Wandlungen nicht immer zum Vorteil“ geschahen. ” Außerdem beklagen sich die Blauen S¨ anger auf ihrer Homepage dar¨ uber, von der Universit¨ at nicht als Kultureinrichtung anerkannt zu werden. Sie sind aber nicht bereit, sich von ihrer Tradition als studentische Verbindung zu l¨osen.

6.5

Katholische Studentenverbindungen

Cartellverband der deutschen katholischen Studentenverbindungen (CV) Der CV ist mit insgesamt ca. 32.000 Mitgliedern der gr¨oßte deutsche Korporationsdachverband (davon ca. 6000 Studierende und 26000 Alte Herren in 127 Verbindungen). Da nur katholische M¨anner aufgenommen werden, ist der CV in Norddeutschlad, wo die katholische Konfession weniger verbreitet ist, l¨angst nicht so stark vertreten, wie beispielsweise in S¨ uddeutschland und im Rheinland, wo ihm eine hegemoniale Rolle in der Korporationsszene zuf¨ allt. Die CV-Verbindungen sind farbentragend, aber nichtschlagend, da das Fechten im Widerspruch zu den

23 Grunds¨atzen der katholischen Kirche stehe. Die Prinzipien der CV-B¨ unde lauten Religio (Glaube), Scientia (Wissenschaft), Amicitia (Freundschaft) und Patria (Vaterland). Der katholische Glauben ist Grundlage der gemeinsamen Lebensgestaltung, gemeinsame Gottesdienstbesuche sind fester Bestandteil des CV-Alltags. Den Vorwurf, nationale Vorstellungen zu vertreten entgegnen CV-Mitglieder gerne mit einem Verweis auf die europ¨aischen Verbandsaktivit¨aten – Patria“ wird also gerne mit Europa identifiziert. ” Dass das noch lange den Vorwurf des Nationalismus nicht entkr¨aftet, wird dabei gew¨ohnlich u ¨bersehen. In G¨ottingen gibt es drei CV-Verbindungen: die Akademische Verbindung Palatia (Lotzestr. 44), die Sugambria (Jena) zu G¨ottingen (Planckstr. 5) und die Forstakademische Verbindung Rheno-Guestfalia (Herzberger Landstr. 3). Traditionell gilt der CV als Kaderschmiede f¨ ur konservative Politiker (Edmund Stoiber, J¨ urgen R¨ uttgers, Joseph Ratzinger . . . ). Anfang Februar 2005 hat sich der CV in einer Pressemitteilung f¨ ur Studiengeb¨ uhren ausgesprochen; das Geld solle aber in den Hochschulen bleiben. Kartellverband katholischer deutscher Studentenvereine (KV) Der Kartellverband katholischer deutscher Studentenvereine (KV) wurde 1866 gegr¨ undet und ist heute der drittgr¨oßte korporationsstudentische Dachverband. Er ist nicht-schlagend und nicht-farbentragend. Im Gegensatz zum CV werden auch nicht katholische Christen aufge¨ nommen. Frauen sind aber ausgeschlossen. Ahnlich wie der CV bekennt der KV sich zum Katholizismus als seiner Grundlage. Zu den Verbandsprinzipien z¨ahlen aber nur Religio, Scientia und Amicitia“. ” In G¨ottingen gibt es zwei KV-Verbindungen: Die Winfridia (Otto-Wallach-Weg 12) wurde 2003 vor allem durch ihr Mitglied Moritz Strate bekannt. Strate kandidierte bei der StuPa-Wahl f¨ ur eine Liste, die mit dem Symbol der rechtsextremen Front National in den Wahlkampf zog und eine S¨auberung des Campus von bestimmten Menschengruppen forderte. Außerdem wurde Strate beschuldigt zusammen mit Nicolo Martin (Verbindung Lunaburgia) in einem Wohnheim im Kreuzbergring einen Brand gelegt zu haben (vgl. 5.4). Die zweite G¨ottinger KV-Verbindung heißt FrankoBorussia-Breslau (Friedl¨ander Weg 48). Der Charakter dieser Verbindung ist immer wieder Anlass f¨ ur Diskussionen. Das Leben auf dem Haus ist jedenfalls sehr verbindungsuntypisch und ¨ahnelt eher einer Wohngemeinschaft. Aber solange noch Leute die Tradition dieser ExilBreslauer Studentenverbindung aufrecht erhalten wollen, kann sich das auch wieder ¨andern.

6.6

Corps

Die ersten Corps entstanden zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Sie wurden u ¨berwiegend von adligen Studenten getragen und boten ihren Mitgliedern einen feudalen Lebensstil der Sauferei, V¨ollerei und des Duellwesens. Heute sind die meisten Corps in dem Kartell der Dachverb¨ande KSCV (K¨osener Senioren-Convents-Verband) und WSC (Weinheimer Senioren Convent) organisiert. Sie


24

Werte, Wichs und Waffenbr¨ uder

sind farbentragend und schlagend. Politisch stehen sie eher rechts auch wenn sie sich selbst als unpolitisch bezeichnen. Wie viele andere Dachverb¨ ande verschweigen und besch¨onigen auch der KSCV und der WSC dunkle Kapitel ihrer Geschichte. Der KSCV schloss als einer der ersten Verb¨ande Juden aus, begr¨ ußte die Macht¨ ubernahme durch die NSDAP und erkl¨ arte am 1.6.1933: Das deut” sche Corpsstudententum hat in einer einm¨ utigen Kundgebung den Willen dargetan, sich ohne jeden Vorbehalt einzugliedern in die nationalsozialistische Bewegung.“ 79 Auch heute kommt es noch vor, dass Mitglieder des KSCV oder des WSC (wie der Corps Marcomannia aus Siegen) an Hitlers Geburtstag Cocktailparties feiern. In G¨ottingen gibt es viele Corps. Allein im KSCV sind sechs organisiert: Corps Hannovera (B¨ urgerstr. 56/58),

Corps Teutonia-Hercynia (Nikolausberger Weg 38/40), Corps Brunsviga (B¨ urgerstr. 31), Corps HildesoGuestphalia (Wilhelm-Weber-Str. 36, Tanzverbindung, Wahlspruch: Es muss mehr gesoffen werden“), Corps Cu” ronia Goettingensis (Hainholzweg 20) und Corps Saxonia (Ewaldstr. 91, Adligenverbindung?). Bis zu seinem Austritt aus dem KSCV geh¨orte das Corps Bremensia (Reinh¨auser Landstr. 23) auch noch dazu. Mitglieder im WSC sind das Corps Agronomia Hallensis (Friedl¨ander Weg 47) und das Corps Frisia (Nikolausberger Weg 78). Das Corps Frisia ist durch Umbenennung aus der Burschenschaft Frisia entstanden, es hat den bezeichnenden Wahlspruch Ohne Bewusstsein muss kein ” Verlust sein“.

B¨ ucherverbrennung am 10. Mai 1933 in G¨ ottingen, Adolf-Hitler-Platz (heute: Albaniplatz) Das Braun der SA” und SS-Studenten beherrscht das lebensvolle Bild. Daneben sieht man das Grau der Hochschulgruppe des Bundes der Frontsoldaten, die im Stahlhelm angetreten ist, und dann die schier endlosen Reihen der Korporationsstudenten in bunten M¨ utzen und B¨ andern, deren Farben im ungewiß flackernden Lichte der Flammen hell aufleuchteten.“ 80

6.7

Sonstige Dachverb¨ ande

Verband (VVdSt)

der

Vereine

deutscher

Studenten

Der VVDSt ist der Dachverband der Vereine Deutscher Studenten (VDSt). Seit seiner Gr¨ undung 1881 war der VVDSt vor allem mit der Konstituierung und Verbreitung des studentischen Antisemitismus besch¨ aftigt. Der erste Verein Deutscher Studenten“ hatte sich 1880 in Berlin ” gegr¨ undet und direkt eine Petition gegen die rechtliche Gleichstellung von Juden verabschiedet. In der ab 1886 existierenden Verbandszeitschrift Aka” demische Bl¨atter“ heißt es zum zehnj¨ ahrigen Bestehen: Eine Verbindung, die dem Judentum ihre Reihen ¨ offnet, ” verf¨ allt heute der allgemeinen Mißachtung der Gesamtheit der Studierenden. Kein Teil des deutschen Volkes ist in so weitem Umfange heute von der Berechtigung und Notwendigkeit des Antisemitismus u ¨berzeugt, in so hohem Maße von antij¨ udischem Geiste beseelt, als die Bl¨ ute der deutschen Jugend.“ Bald findet sich auch der rassistisch definierte Antisemitismus, z.B. in einer Satzungserl¨ auterung von 1896: Die VVDSt d¨ urfen nicht Leute aufnehmen, unter deren ” Eltern sich getaufte oder ungetaufte Juden befinden.“ 79 Elm,

Zu den Prinzipien des nicht-schlagenden und nichtfarbentragenden VVDSt z¨ahlen unter anderem das Lebensbundprinzip, das M¨annerbundprinzip und das Politische Prinzip. Der VDSt G¨ ottingen (Nikolausberger Weg 75) beschreibt auf seiner Homepage auch noch sein Convents- und Demokratieprinzip“: demnach habe ” grunds¨atzlich jeder Aktive gleiches Stimmrecht“, der Se” nior sei aber primus inter pares (Erster unter Gleichen)“. ” Auch bei George Orwell sind manche Tiere gleicher als andere . . . Wingolfbund Der christlichen Wingolfsbund wurde 1860 gegr¨ undet. Seine Vorstellungen und Ideale basieren auf dem christlichen Glauben ( uns eint das Bekenntnis zum Glauben an Jesus ” Christus“), daher geh¨ort der Wingolf zu den nichtschlagenden Verbindungen. Die anderen u ¨blichen Sitten und Gebr¨auche des Verbindungsstudententums werden auch vom Wingolf gepflegt. Weltoffenheit, Freundschaft, gegenseitige Achtung, ” Verantwortungsbewusstsein“ – von diesen Tugenden, die sich der Wingolf heute auf die Fahnen schreibt, war in der Vergangenheit leider nicht viel zu erkennen. So unterst¨ utzte der Wingolfsbund im Jahre 1919 aktiv den Kapp-Putsch

Heither, Sch¨ afer, F¨ uxe, Burschen, Alte Herren. S. 133f. Tageblatt vom 11.10.1933 zitiert nach: Werner Treß, Wider den undeutschen Geist!“ B¨ ucherverbrennung 1933. Berlin 2003. ” S. 150.

80 G¨ ottinger


Werte, Wichs und Waffenbr¨ uder zum Sturz der Weimarer Demokratie, bei dem er die Bildung eines beweglichen Stoßtrupps u ¨bernommen hatte. Und in einer gemeinsamen Erkl¨ arung von Wingolf, Deutscher Burschenschaft und anderen studentischen B¨ unden im Jahre 1927 kamen rassistische Elemente zum Ausdruck: Die dem Deutschen Volkstum im Grenz- und Auslande ” drohenden Gefahren verlangen eine unbedingte Reinhaltung der Hochschulen von volksfremden Elementen, um die Lebens¨ ahigkeit des Deutschtums in diesen Gebieten zu wahren.“ 81 Vor diesem Hintergrund erscheint der unbek¨ ummerte Umgang des Wingold mit seiner Vergangenheit unverst¨andlich. Eine Aufarbeitung der Verbandsgeschichte steht bislang aus. Das Haus des G¨ ottinger Wingolf befindet sich in der Calsowstr. 18.

25 Allgemeiner Penn¨ alerring (APR)

Seit den 1980er Jahren versuchen einige Burschenschaften, sich mit v¨olkisch-nationalistischen, frauenfeindlichen und elit¨aren Ideologien an den Schulen zu bet¨atigen, um fr¨ uhzeitig ihren Nachwuchs zu rekrutieren. Sch¨ ulerverbindungen sind im 1989 gegr¨ undeten Dachverband Allgemei” ner Penn¨aler Ring“ (APR) zusammengeschlossen. Die Sch¨ ulerverbindungen sind ¨ahnlich organisiert wie die Burschenschaften. Die meisten teilen den Wahlspruch Ehre, Freiheit, Vaterland!“ mit der DB, verlangen von ” ihren Mitgliedern die Bereitschaft, das studentische Fechten zu erlernen, sind farbentragend, hierarchisch organisiert und pflegen die Br¨auche von studentischen Verbindungen. Wie in studentischen Verbindungen gilt auch in den Sch¨ ulerverbindungen das Lebensbundprinzip, d.h. das Fortbestehen der Mitgliedschaft auch nach Beendigung Wartburg-Cartell (WK) der Schulzeit. Die Akademisch-evangelische Verbindung WartburgF¨ ur die Pennalverbindung Hansea zu G¨ottingen funCoburgia (Keplerstr. 7) zu G¨ ottingen ist insgesamt die giert Holger Teuteberg aus Lohne als Kontaktperson. Oreinzige Verbindung in diesem Dachverband“. Sie ist ganisatorisch arbeitet sie eng mit der Burschenschaft Ger” nicht-schlagend und farbentragend. Von ihr selber erf¨ahrt mania in Kassel zusammen, so hat sie dort am 2.10.04 man, dass sie regelm¨aßig gegen eine katholische Verbin- Teilwiedervereinigung“ gefeiert. Außerdem hat die Handung Tischtennis spielt: . . . und es gibt immer einen hei- ”sea 2001 der Jungen Freiheit“ zum 15j¨ahrigen Bestehen ” ” ßen Kampf, erst an der Platte, dann am Bierglas.“ gratuliert. Miltenberger Ring (MR)

Der Miltenberger Ring wurde urspr¨ unglich 1919 gegr¨ undet. Seine sechs Mitgliedsverbindungen sind nichtfarbentragend und fakultativ-schlagend. In der in G¨ottingen ans¨ assigen Verbindung Lunaburgia (Leonard-Nelson-Str. 23) ist Nicolo Martin. Er hat es in der FDP bis zum Bundestagskandidaten gebracht. Zusammen mit Moritz Strate (Winfridia) wird er beschuldigt, 2003 in einem Wohnheim im Kreuzbergring einen Brand gelegt zu haben. Deutsche Gildenschaft (DG) Urspr¨ unglich aus der b¨ undischen Jugendbewegung hervorgegangen, fanden sich sich in der Deutschen Gildenschaft nach dem Ersten Weltkrieg Offiziers- und AkademikerWanderv¨ogel auf v¨olkischer und militaristischer Grundla¨ ge zusammen. Nach ihrem Zusammenschluss mit Osterreichern und B¨ohmen zur Großdeutschen Gildenschaft (1923) umfasste diese Organisation am Ausgang der Weimarer Republik etwa 30 Hochschulgilden, in denen schon damals f¨ uhrende Nationalsozialisten t¨ atig waren. Die DG bezeichnet sich selbst als wertkonservativ“, ” vertritt aber einen v¨ olkischen Nationalismus mit engen personellen und organisatorischen Verbindungen ins rechtsextreme Lager. Zu den Mitgliedern der DG z¨ahlen zum Beispiel Andreas Molau, der in G¨ ottingen studiert hat und f¨ ur neofaschistische Bl¨ atter wie Junge Freiheit“, ” Nation und Europa“ und Criticon“ geschrieben hat so” ” wie Karlheinz Weißmann, ein rechts-konservativer Lehrer am Northeimer Gymnasium Corvinianum. Die DG ist farbentragend und nicht-schlagend. Die Verbindung in G¨ottingen nennt sich Deutsche Hochschulgilde Trutzburg Jena. 81 Elm,

Heither, Sch¨ afer, F¨ uxe, Burschen, Alte Herren. S. 118

6.8

Verbindungen ohne Dachverband

Es ist auff¨allig, dass viele Verbindungen aus ihrem angestammten Dachverband austreten oder ausgeschlossen werden, ohne einem anderen Dachverband beizutreten. Zwar pflegen die meisten verbandsfreien Verbindungen durchaus u ¨berregionale Kontakte zu anderen Verbindungen. Dabei beschr¨anken sie sich aber wohl eher auf Saufen und Partymachen, ohne einen formellen Verband zu gr¨ unden. Das macht die Einsch¨atzung dieser Verbindungen f¨ ur Außenstehende schwieriger. Verbandsfreie Verbindungen in G¨ottingen sind neben den schon aufgez¨ahlten Turnerschaften und dem Corps Bremensia: • Akademische Damenverbindung G¨ottingen (farbentragend)

Parnassia

zu

• Studentische Verbindung Agronomia Gottingensis (Friedl¨ander Weg 61, farbentragend, fakultativschlagend?) • Studentische J¨agerschaft Hubertia (farbentragend, nicht-schlagend, nimmt auch Frauen auf) • Forstakademische Gesellschaft Freia (Jakob-HenleStr. 7, farbentragend, fakultativ-schlagend) • G¨ottinger Gesellschaft Max Eyth (Weender Str. 32), die im November 1993 den nieders¨achsischen Republikaner-Vorsitzenden Haase aus G¨ottingen zu einem Gastvortrag eigeladen hatte, der aber angesichts der Ank¨ undigung antifaschistischen Protests nicht stattfand.


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Werte, Wichs und Waffenbr¨ uder

Demonstration gegen die G¨ unzel-Veranstaltung am 24.11.2004

Literatur [1] AStA der Heinrich-Heine-Universit¨ at D¨ usseldorf. Verbindungs-(Un)Wesen. Anachronismus an den Hochschulen? Reader u usseldorf. 2002. ¨ber Burschenschaften und andere Zumutungen. D¨ [2] AStA der Universit¨ at G¨ ottingen. Kl¨ ungel, Corps und Kapital: Antifaschistische Recherche zur Ideologie und gesellschaftlichen Stellung studentischer Verbindungen. G¨ottingen. 1995 [3] AStA der Universit¨ at Hamburg. Reader zum Verbindungs(un)wesen in Hamburg: Falsch Verbunden. rat – reihe antifaschistischer texte. Hamburg. 2005 [4] AStA der Universit¨ at Mainz. herrschaftszeiten nochmal! Ein Reader zu Studentenverbindungen in Mainz. Mainz. 2001 [5] Beyer, Knigge, Koch, Kocher, Krebs, Meyer. ...und er muss deutsch sein...“–Geschichte und Gegenwart der ” studentischen Verbindungen in Hamburg VSA-Verlag. Hamburg. 2000 [6] Elm, Heither, Sch¨ afer. F¨ uxe, Burschen, Alte Herren – Studentische Korporationen vom Wartburgfest bis heute PapyRossa Verlag. K¨ oln 1992 [7] Diethrich Heither. Verb¨ undete M¨ anner: Die Deutsche Burschenschaft – Weltanschauung, Politik und Brauchtum. PapyRossa Verlag. K¨ oln. 2000 [8] Heither, Gehler, Kurth, Sch¨ afer. Blut und Paukboden. Eine Geschichte der Burschenschaften. Fischer. Frankfurt. 1997. [9] Alexandra Kurth. M¨ anner – B¨ unde – Rituale. Studentenverbindungen seit 1800. Campus Verlag. Frankfurt. 2004. [10] Jens Mecklenburg. Handbuch deutscher Rechtsextremismus. Elefanten Press. Berlin. 1996. [11] Stephan Peters. Elite sein. Wie und f¨ ur welche Gesellschaft sozialisiert eine studentische Verbindung? Tektum Verlag. Marburg. 2004.


Werte, Wichs und Waffenbr¨ uder

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7 Wo sie sitzen Karte bekannter Verbindungsh¨ auser in G¨ ottingen.

1. Forstakademische Verbindung RhenoGuestfalia 2. Burschenschaft Holzminda 3. Burschenschaft Brunsviga 4. Landsmannschaft Gottinga 5. Landsmannschaft Verdensia 6. Akademische Verbindung Palatia 7. K.D.St.V. Sugambria (Jena) zu G¨ ottingen 8. Burschenschaft Hannovera 9. Winfridia G¨ ottingen 10. Katholischer Studentenverein FrankoBorussia-Breslau 11. Corps Hannovera 12. Corps Teutonia-Hercynia 13. Corps Brunsviga 14. Corps Hildeso-Guestphalia

15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25.

Corps Curonia Goettingensis Corps Saxonia Corps Agronomia Hallensis G¨ ottingen Corps Frisia Akademische Turnverbindung Albertia G¨ ottingen Akademische Turnverbindung GothiaAlemannia G¨ ottingen S¨ angerschaft Arion-Altpreußen S¨ angerschaft Gotia et Baltia Kiel zu G¨ ottingen Verein Deutscher Studenten zu G¨ ottingen Studentische Musikvereinigung Blaue S¨ anger Burschenschaft Germania zu G¨ ottingen

26. Turnerschaft Gottingo-Normannia 27. G¨ ottinger Wingolf 28. Akademisch-evangelische Verbindung Wartburg-Coburgia zu G¨ ottingen 29. Verbindung Lunaburgia 30. K¨ onigsberger Burschenschaft Gothia zu G¨ ottingen 31. Turnerschaft Ghibellinia 32. Studentische Verbindung Agronomia Gottingensis 33. Turnerschaft Cheruscia 34. Turnerschaft Salia Jenensis zu G¨ ottingen 35. Forstakademische Gesellschaft Freia 36. Corps Bremensia 37. G¨ ottinger Gesellschaft Max Eyth



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