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Fachbericht

Form und Reform der europäischen Fussbekleidung

Der 1.Teil über die Geschichte der europäischen Fussbekleidung wurde in der Ausgabe 2/2020 veröffentlicht. Hier nun der 2. Teil, der sich insbesondere mit Militärschuhen befasst.

Ein Anatomieprofessor belehrt über den naturwidrigen Bau der Schuhe

«…und hier verweise ich auf das classische Werk Professor Hermann Meier’s: ‹Die richtige Gestalt der Schuhe› […], das jeden Sanitätsbeamten und Laien gründlich über den natürlichen Bau des menschlichen Fusses, den naturwidrigen, folglich schlechten Bau unserer modernen Beschuhung, sowie über die richtige, naturgemässe Form derselben belehren kann.» Gut (1865), 14. Der Schweizerische Ambulanzarzt im Sanitätsstab Johann Jakob Gut, der hier so nachdrücklich auf den Anatomieprofessor Georg Hermann von Meyer (1815–1892) aufmerksam machte, gehörte auch zu dessen allerersten Lesern. Gut machte sich nicht nur begeistert die Ideen des Professors zu eigen. In seiner eigenen Buchpublikation von 1865 übertrug er sie auch passgenau auf die schon lange als Problem erlebten Militärschuhe. Ein Autor der «Allgemeinen Schweizerischen Militärzeitung» verriet den interessierten Lesern, wie «die Sache» schliesslich ihren Anfang nahm, die schon bald als «Schuhreform» bekannt wurde: «Im Jahr 1860 bei dem eidgen. Offiziersfeste in Genf unterhielt ich meine Kollegen in einer Sitzung der Abtheilung der Militärärzte von der Fussbekleidung des Militärs und schlug dabei die Einführung des Meyer’schen Systems für die eidgenössische Armee vor. Die sich in Folge meiner Mittheilung entspinnende Diskussion erwies sich als dieser Idee durchaus günstig und man beschloss, darüber an das eidgen. Militärdepartement zu berichten. Kurze Zeit darauf überreichte der Herr Dr. Gut diesem letzteren eine Abhandlung über diese Frage, wodurch denn auch die Sache um einen guten Schritt vorwärts rückte.» ASMZ (1865), 22.

Die richtige Form der Schuhe –von einer Fussnote des Reglements zur Chefsache

1848 hatte sich die Schweiz nach dem Sonderbundskrieg von einem lockeren Staatenbund zum verfassten Bundesstaat geeint. Schon bald ging man daran, eine eidgenössische Armee aufzubauen und dabei auch die Bekleidungsfrage in den Blick zu nehmen. Im ersten gesamteidgenössischen Bekleidungsgesetz von 1851 und im Bekleidungsreglement von 1852 waren bereits grundsätzliche, aber allgemeine Empfehlungen über die Schuhe vermerkt: «Ohne allzu schwer zu sein», sollten sie die «erforderliche Dauerhaftigkeit für den Militärdienst besitzen». Zit. n. Arni (2010), 5. Dass die getragenen Schuhe dennoch gravierende Mängel aufwiesen, konnten die Verantwortlichen immer wieder beobachten. Bei Fussmärschen litten die Soldaten schnell unter Druckstellen an den Füssen und wurden «fussmarode». Demoralisiert mussten sie auf den Bagagewagen steigen, um nicht liegen zu bleiben. «In einem wirklichen Feldzuge würden sich diese Übelstände natürlich in viel ernsterer Weise herausstellen,» war sich der schon erwähnte Autor der ASMZ sicher. ASMZ (1865), 22. Vor diesem Sorgenszenario kam die kleine Schrift über «Die richtige Gestalt der Schuhe wie gerufen. Sie bot eine wissenschaftliche Erklärung der Probleme und zugleich ein praktisches Lösungsangebot. Auf das Schuhproblem war ihr Autor, der in Zürich lehrende Anatomieprofessor Georg Hermann von Meyer (1815–1892) gestossen, nachdem er bei Leichensektionen immer wieder «Unglaubliches an Fussmissstaltungen» (Meyer) zu Gesicht bekommen hatte. Von Meyer begann 1858 sich wissenschaftlich einen Namen zu machen. 1844 war er als Prosektor an die Universität Zürich gekommen, wo er 1857 auf den Lehrstuhl für Anatomie berufen wurde. Seine kleine Kampfschrift hatte er 1857 «in scharf satyrischem Tonfall» (Meyer) zunächst in einer wissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlicht. Ein Jahr später publizierte er sie überarbeitet als eigenständige Arbeit. Durch seine Forschungen zum menschlichen Knochengerüst erkannte der Anatom, dass die Schuhform die Ursache des Übels darstellte: Wenn eine symmetrische Schuhspitze die grosse Zehe aus ihrer natürlichen Lage drängt, wird die natürliche «Gehabwickelung» (Meyer) über die Achse Ferse-Grosszehe gestört. Die mechanischen Kräfte der Gehbewegung wirken in die falsche Richtung. Die grosse Zehe verliert ihre Steuerfunktion, der Fuss seine gesunde Form. Auf die Dauer nimmt der ganze Bewegungsapparat Schaden. Entrüstet fragte von Meyer: «Woher kommen all die Schäden an den Füssen, welche unschöne Missstaltungen sind und den Gebrauch der Füsse hindern? Jene eleganten Schuhgestalten haben sie erzeugt; […] aber man weiss, das ist einmal nicht anders, und il faut souffrir, pour etre beau. […] Man hat 10 bis 20 Jahre einen ‹schönen› Fuss gehabt, um dann für die ganze übrige Lebenszeit einen missstalteten und verkrüppelten Fuss zu haben.» Meyer (1857), 18f.

Im deutsch-französischen Krieg kämpfen alle ein letztes Mal in symmetrischen Stiefeln

Schon bald schlossen sich Oberfeldarzt Lehmann und Ambulanzarzt Weinmann ihrem Kollegen Gut an. Gemeinsam regten sie 1860 beim Bundesrat an, das neue «ratio-

Soldaten der Mitrailleur-Kp. III/31 im März 1918 als Beispiel des «bunten» Potpourri der Schweizer Uniformen vor und während dem Schweizer Landesstreik. Die Soldaten tragen den Waffenrock und das Beinkleid der Ordonnanz 1898 mit der Kopfbedeckung (Schiffchen), den Rangabzeichen und den Wickelgamaschen der Ordonnanz 1914. Ein Teil der Soldaten trägt die speziell fassonierten Ärmelpatten mit drei Garniturknöpfen, ebenfalls der Ordonnanz 1914. Bildquelle: www.kostueme-bs.ch

nelle System» für die Schweizerischen Militärschuhe einzuführen und entsprechende Proben durchzuführen. Die Antwort erfolgte prompt: das Militärdepartement liess 51 Paar Musterschuhe mit dem neuen Meyer’schen Sohlenschnitt herstellen und im Sommer 1861 und 1862 in den Rekrutenschulen für Scharfschützen in Winterthur, Walenstadt und Luziensteig probetragen. Die Versuche waren, wie der ASMZ-Autor feststellte, «von einem vollständigen Erfolge gekrönt.» ASMZ (1865), 22. Doch die Erfolgsmeldung versickerte folgenlos. Selbst weitere Stiefelproben brachten keinen Entscheid. Gut und seine Kollegen warteten vergeblich auf Konsequenzen aus diesen Erfahrungen und die Einführung des Meyer’schen Sohlenschnitts für das Schuhwerk der Wehrmänner. Erst der Deutsch-Französische Krieg 1870/71 brachte erneut Bewegung in die Schuhfrage. Dass bei der plötzlichen Mobilisierung der Schweizer Armee nicht ausreichend Schuhe in den Magazinen zur Verfügung standen, war das Eine. Das Andere war ihre überaus mangelhafte Passform. Das niederschmetternde Schauspiel der 90000 französischen Soldaten unter General Bourbaki mag ein Übriges dazu beigetragen haben, die schmerzliche Dringlichkeit des Problems erneut vor Augen zu führen: Als die Franzosen im Februar 1871 über die Schweizer Grenze drängten und von den Schweizern entwaffnet wurden, bot ihre Fussbekleidung einen ebenso jämmerlichen Anblick wie ihre Erscheinung: «Andere tragen neues Schuhwerk, und dennoch lugen die Zehen aus dem zerissenen Vorschuh», erinnerte sich später Major Heinrich Meier und grübelte: «Ist das von jenem Fabrikate gewesen, welches ein belgisches Haus und Schurken von Lieferanten der französischen Republik teilweise aus Papier angefertigt hatten, wie ein späterer Prozess bekundete?» Meier (1901), 38. Mit seinem Bataillon Nr. 66 war Meier verantwortlich an der FranzosenEntwaffnung beteiligt.

Der Kanton Bern ergreift die Initiative für eine Schuhreform

Dass die minderwertigen Schuhe der französischen Soldaten immerhin «rationell» geformt gewesen wären, dafür gibt es keine Hinweise. Der schwedische Arzt und Schriftsteller Anton Nyström hatte zwar 1870 sein Buch «Du pied et de la forme hygiénique des chaussures» in Paris veröffentlicht. Darin stellte Nyström nach dem schwedischen auch einem französischen Publikum die Ideen der Meyer’schen Schuhreform vor. Eine Umsetzung liess jedoch auf sich warten – wie in allen anderen europäischen Ländern, in denen Meyers Schrift bald nach ihrem Erscheinen 1858 gelesen wurde. Das Desaster, das

sämtliche beteiligten Parteien im DeutschFranzösischen Krieg mit ihrer Fussbekleidung erlitten hatten, die siegreichen Deutschen eingeschlossen, sprach sich jedoch herum. Ein Schock, der bewirkte, dass vor allem die Heeresverwaltungen begannen, mit der neuen Meyer’schen Stiefelform zu experimentieren. Da in der Schweiz der Kanton Bern die grössten Verluste an «fussmaroden» Soldaten hatte, ergriff er auch die Initiative, um das «drückende» Schuhproblem endlich zu lösen. Zunächst bat das in Bern ansässige Schweizerische Militärdepartement von Meyer in Zürich um eine fachliche Stellungnahme darüber, «welche Anforderung an die Fussbekleidung der Soldaten gestellt werden sollten». Der inzwischen international beachtete Experte bekräftigte in seinem Antwortschreiben vom 26. November 1872 erneut seine bereits veröffentlichten Erkenntnisse über die Bewegungsgesetze des menschlichen Körpers und die Notwendigkeit einer zweckmässigen Fussbekleidung. Mit dem gewünschten Blick auf Militärschuhe hob er den Zusammenhang von Natürlichkeit und Funktionstüchtigkeit nochmals hervor: «Er [der Soldat] wird aber die grösste Leistungsfähigkeit entwickeln können, wenn die Fussbekleidung so eingerichtet ist, dass der Fuss naturgemäss funktioniren kann. […] Die richtige Gestalt der Fussbekleidung ist ohne weitere Kosten allein durch die richtige Gestalt der Leisten zu erzielen, und die Anforderungen […] sind auf folgende einfache Grundsätze zurückzuführen: Der grössten Zehe muss die Möglichkeit gegeben sein, ihre richtige Lage einzunehmen. Das Fussgewölbe darf nicht niedergedrückt werden.» Von Meyer schloss mit den Worten: «Sollte, was mich sehr freuen würde, ernsthaft daran gedacht werden, dieselben bei den schweizerischen Truppen in umfassendere Anwendung zu bringen, so erkläre ich mich gerne bereit, mich mit einer von Ihnen zu bezeichnenden Vertrauensperson näher über diese Angelegenheit zu besprechen.» Meyer (1872). Es wurde ernsthaft daran gedacht und Stabshauptmann Göldlin aus Luzern beauftragt, mit von Meyer in Kontakt zu treten und «das Modell einer Fussbekleidung festzusetzen», wie es im Antwortschreiben an den Professor hiess.

Preisfrage an die Offiziere

Im Laufe des Jahres 1873 weitete das Militärdepartement seine Aktivitäten weiter aus und richtete am 1. Dezember folgende Preisfrage an die Schweizer Offiziere: «Welches sind die Mängel unserer Fussbekleidung? Welches sind die Mittel, dieselben zu beseitigen? Was könnte und sollte der Staat hierin thun?» Parallel bat man nach Meyer auch den Basler Anatomieprofessor Carl Ernst Emil Hoffmann um ein Gutachten über «Die zweckmässigste Form und Beschaffenheit einer Fussbekleidung für Militärs». Vgl. Hoffmann (1874), 1. Als auch dieser sich im Januar 1874 unmissverständlich für die Notwendigkeit einer rationellen Sohlenform aussprach, dürfte dies den letzten Anstoss für die Entscheidung des Departements gegeben haben. Denn Infanteriehauptmann Auguste Salquin, der sich als Sieger qualifizierte, erwies sich in seinem Beitrag als überzeugter Anhänger von Meyers und sprach sich nachdrücklich für Schuhe nach dem neuen «System» und ihre baldige Einführung beim Militär wie auch in der Zivilbevölkerung aus. Vgl. Salquin (1876), 21. Er erklärte dabei nicht nur die praktische Umsetzung der «rationellen» Kriterien in eine tragbare Fussbekleidung, sondern berichtete auch über die damalige Rezeption der Meyer’schen Schrift. So zählte er auf, dass sie in England bereits allgemein anerkannt sei, aber auch in Deutschland, Dänemark und Schweden aufmerksam gelesen würde. Durch Hermann von Meyer selbst wissen wir, dass diese 1874 auch in Nordamerika bereits «vielfach anregend gewirkt hat». Meyer (1874), 139. Salquins Wettbewerbsbeitrag und seine Kritik am Zögern schweizerischer Institutionen und Behörden, «die Sache» in verdientem Umfang zu fördern, regten das Militärdepartement dazu an, erneute Trageproben mit Stiefeln zu veranlassen. Neben dem rationellen Sohlenschnitt wurden nun auch alternative Modelle ausprobiert. Obwohl vier Entwürfe, mal geschnürt, mal mit Schnallen verschlossen, zur Auswahl standen, konnten sich die Verantwortlichen nicht auf einen Favoriten verständigen. Einigkeit herrschte allein über den Sohlenschnitt: «Das Beste an den Stiefeln ist jedenfalls die Form der Sohle», notierte der Eidgenössische Oberfeldarzt, der die Trageproben des Ammann’schen Modells geleitet hatte, in seinem Bericht. «Alles übrige halte ich für weniger wichtig und was die Sohle betrifft so herrschte damit auch allgemeine Zufriedenheit.» Der Eidgenössische Oberfeldarzt (1875).

Allgemeine Ausstellung für Fussbekleidung

Noch während die Versuche zu einem neuen Ordonannz-Modell für die Fusstruppen liefen, begann der Kanton Bern 1875 mit den Vorbereitungen für ein anspruchsvolles Grossprojekt. Der Berner Regierungsrat Constantin Bodenheimer hatte die Entwicklung der Schuhfrage seit ihren Anfängen lebhaft interessiert verfolgt und ergriff nun die Initiative. Wie Hauptman Salquin beklagte auch er, dass die kluge Schrift des Professor Meyer nun seit «bald zwanzig» Jahren bekannt sei und dennoch die von ihm angeregte Reform nicht in Gang käme. Alarmiert beobachtete er: «Man bewundert den Fuss des Apollo von Belvedere, aber man betrachtet es als das Natürlichste von der Welt, dass der Fuss eines modernen Apollo plattgedrückt und mit Hühneraugen bedeckt sei, dass die aus ihrer Lage gedrängte grosse Zehe gegen die Mitte des Fusses zu liegen kömmt und steif gekrümmt eine Biegung nach oben macht.» Nachdrücklich fügte er hinzu: «Vom ästhetischen Standpunkt ist die Sache allerdings nicht von grosser Wichtigkeit, da unser Klima uns nöthigt, den Fuss einzuhüllen. Weniger gleichgültig sind aber die häufigen Fusskrankheiten […] und endlich vom nationalen Standpunkt aus die stets wachsende Zahl derjenigen, deren schlechte Füsse sie zu längeren Märschen und zur Mitwirkung bei der militärischen Vertheidigung des Landes unfähig machen». Zwei Direktionen der Bernischen Regierung, die des Inneren und des Gesundheitswesens sowie die des Militärwesens hätten es daher unter diesen Umständen «als ihre Pflicht erachtet, einen Versuch zu wagen, um der Reform der Fussbekleidung beim Volke Eingang zu verschaffen.» Gestützt auf einen Kredit von der Regierung fassten diese Direktionen das Vorhaben, «eine schweizerische Ausstellung für Fussbekleidung und dazu dienliche Gegenstände zu organisieren.» Bodenheimer (1875), 1f. Die Ausstellung sollte das Publikum an die neue rationelle Fussbekleidung heranführen und zugleich «der Schuh-Industrie Gelegenheit […] geben, ihre Produkte zur Geltung zu bringen», wie es das Ausstellungsprogramm formulierte. Andererseits versprachen sich die Veranstalter auch einen inspirierenden Expertenaustausch. Sie scheuten daher vor keinem Aufwand zurück. Um Ehrgeiz und Erfindungsreichtum zu fördern, wurde eine Expertenkommission bestellt und mit einem Budget ausgestattet. Diese sollte vorbildliche Produktentwicklungen mit einem Ehrendiplom honorieren.

Alle Länder Europas sind vertreten

Obwohl die Innung der ortsansässigen Schuhmachermeister in ihrer Fachpublikation hartnäckig gegen die Ausstellung polemisierte, konnte dies dem Gelingen der Veranstaltung nichts anhaben. Vom 11. Juni bis 10. Juli 1876 zeigten insgesamt 326 Aussteller aus elf Ländern Europas ihre Beiträge zu einer neuartigen «naturgemässen» und «rationellen» Fussbekleidung. Als Lokation war die noch uneingeweihte neue Bernische Entbindungsanstalt auf der grossen Schanze gewählt worden, deren 12 Säle und Korridore die Aussteller und Besucher gut ausfüllten. «Ausser Portugal waren auf der Ausstellung alle Länder Europas vertreten», hiess es im Abschlussbericht mit einigem Stolz. Dass auch die vom Militärdepartement eingesetzte «Fussbekleidungskommission», die den neuen Militärstiefel entwickeln und evaluieren sollte, hier etliche hilfreiche Anregungen erhalten haben dürfte, lässt sich aus folgender Bemerkung im Abschlussbericht folgern: «Von allen diesen Ländern haben sich die Kriegsministerien (in Deutschland die von Preussen und Bayern) in sehr anerkennenswerther, theilweise in geradezu brillanter Weise (Russland und Österreich-Ungarn) betheiligt.» Bericht an das schweiz. MilitärDepartement (1881), 40. Neben Schuhleisten und fertiger Fussbekleidung vom Militärschuh bis zu «speziell elegantem Schuhwerk nach der rationellen Form», Rohstoffen, Maschinen und Arbeitswerkzeugen sollten zwei Exponat-Kategorien in besonderem Masse zur hygienischen Aufklärung beitragen: «plastische Fussmodelle in Gyps, Eisen oder andern Metallen», auch in Holz oder Kautschuk, die «alle Fussarten sowohl im normalen Zustande als in den vorkommenden Verunstaltungen» vor Augen führen sollten und dazu «Sammlungen von getragenem Schuhwerk, welche geeignet sind, das Resultat der bis jetzt über die rationelle Gestalt gemachten Erfahrungen darzustellen». Bericht an das schweiz. MilitärDepartement (1881), 39. Ein emsig wiederholtes Argument, welches das Publikum – und darum auch die Schuhmacher – gegen die neue rationelle Fussbekleidung einwandte, bestand in dem Vorwurf, dass diese Schuhe «tölpisch» und daher untragbar seien. Denn sie wichen von der als «schön» geltenden Symmetrie ab. Hier wurden getragene Schuhe zum schlagenden Gegenargument. Denn sie führten vor Augen, dass «naturgemässe» Formen, die zur Anatomie des Fusses passten und mit dieser zusammenarbeiteten anstatt gegen sie, weit weniger einem entstellenden Formverlust und Verschleiss unterworfen waren als die alten vermeintlich «schönen» Formen. Diese mussten ja erst mühsam eingetragen, mit anderen Worten ausgetreten werden, bevor sie – halbwegs – zum Fuss passten.

Die rationelle Fussbekleidung wird bekannt gemacht

Die Ausstellung hatte Erfolg. Während ihrer vierwöchigen Laufzeit wurden 6320 Billets verkauft. «Für eine solche Spezialausstellung und in Anbetracht der Entfernung des Lokals kann dieser Besuch als ein sehr befriedigender genannt werden,» hielt Regierungsrat Constantin Bodenheimer am Ende fest. Persönlich zog der als Präsident des Exekutiv-Ausschusses unermüdlich tätige Regierungsrat dennoch eine bittersüsse Bilanz: die Gesundheitspflege im Allgemeinen, nicht ganz Unbedeutendes geleistet. Für den Berichterstattenden ist hingegen das Facit ein höchst unerquickliches. Viele Arbeit, viele Mühe, Feinde und Opfer jeder Art ohne irgend welchen Entgelt als die ihm zu Theil gewordenen Verdächtigungen.» Bodenheimer (1877), 6, 8.

Das rationelle System wird Ordonnanz und ebnet den Weg für eine moderne Fussbekleidung

Zehn Jahre nach ihrem ersten Zusammentreten kam auch die 1876 eingesetzte Fussbekleidungskommission schliesslich zu der lange erwarteten Entscheidung. Der Schweizerische Bundesrat konnte am 24. Februar 1885 offiziell verkünden, dass von nun ab «für die Fusstruppen aller Waffen als erste Fussbekleidung ein paar Schnürschuhe mit Sohlenschnitt nach rationellem System, d.h. nach der Form des unbekleideten Fusses vorgeschrieben» seien. Auszug aus dem Protokoll 756 (1886). Nach schier endlosem Ringen, Verbessern und Überarbeiten war die anatomisch angepasste Form von Sohle und Leisten, wie sie von Meyer siebenundzwanzig Jahre zuvor in

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