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photographing light – on Do Paladini’s photographs Heinz Stahlhut, art historian

das Licht selbst, das sich in Do Paladinis Bildern als Sphären «materialisiert». Die in allen Farben des Regenbogens schimmernden Kreisflächen verschiedener Grösse überlagern und überschnei- den sich, scheinen federleicht und perlend aufzusteigen oder beherrschen als ruhende Einzelform einen Grossteil des Bildformats.

Konvention und Erkenntnis

Do Paladini reiht sich mit diesen Arbeiten in doppeltem Sinne ein in die Nachfolge der Klas- sischen Moderne, nämlich durch den Bezug auf die Selbstreflexion des Mediums wie durch die Veranschaulichung des üblicherweise nicht Sichtbaren. Künstler der Klassischen Moderne wie Laszlo MoholyNagy (1895–1946) hofften beispielsweise, durch Verfremdung von alltägli- chen Motiven eine neue Sichtweise auf die Welt zu eröffnen.3 So verstand Moholy-Nagy die Kor- rektur unseres wissenden Sehens als eine zent- rale Funktion der Fotografie: Auge und Gehirn brächten alles Gesehene automatisch in die «richtigen», das heisst konventionellen Verhält- nisse, an die wir so gewöhnt seien, dass wir sie gar nicht mehr als solche, nämlich als relative Konventionen begriffen. Die Kamera dagegen erbringe diese Leistung gerade nicht: Wenn wir einen Fuss oder eine Hand vor unser Gesicht hielten, verändere unser Vorwissen sofort die Dimension, in der sie vor uns erscheinen, und bringe sie in die «richtige» Relation zum übri- gen Körper –eine solche Justierung leiste die Kamera jedoch nicht. Insofern biete die Foto- grafie die Möglichkeit, die Welt ohne den Filter unseres Vorwissens zu sehen. Darüber hinaus sei die Fotografie in der Lage, Dinge sichtbar zu machen, die wir mit unserem körperlichen Auge nicht sehen könnten, was Paul Klee 1920 in sei- ner «Schöpferischen Konfession» auf den Punkt brachte: «Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern Kunst macht sichtbar.» Der Kunst kommt nach dieser Theorie eine bedeutende Rolle bei der menschlichen Erkenntnis zu, sie gewährt Einsichten in Bereiche, die uns sonst, weil unanschaulich, nicht zugänglich wären.

Grundlagen des Mediums

Dass Do Paladini das Licht selbst in ihren Bildern einzufangen sucht, ist ein Rückbezug auf die An- fänge des Mediums selbst. Damals suchte man das lichtbildnerische Prinzip so zu definieren, dass das Licht sich selbst auf die fotografische Platte einschreibt. So betitelte der englische Foto-Pionier William Henry Fox Talbot (1800– 1877) sein Grundlagenwerk über das Mitte des 19. Jahrhunderts neue Medium Fotografie «The Pencil of Nature» und suggerierte damit, dass dem Licht eine aktive Rolle im Bildprozess zu- komme. Diese Idee einer Personifizierung der Naturkräfte schlägt den Bogen zurück zu vormo- dernen Weltvorstellungen einer Beseelung des gesamten Kosmos und eröffnet den Blick auf die esoterische Seite der Klassischen Moderne.4 Nun liesse sich zwar einwenden, dass Paladini gar nicht das Licht selbst, sondern nur den Effekt seiner Brechung an den in der Luft schwebenden Kleinpartikeln zeige. Denn die im Englischen als Orbs bezeichneten Kreisformen in den Bildern Paladinis entstehen besonders bei der digitalen Fotografie durch die Lichtreflektion auf Staub- körnchen, die durch die Digitalkameras einzeln in den Fokus genommen werden können.5 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass das Licht nur sichtbar gemacht werden kann durch ihm in den Weg gelegte Hindernisse, durch die es gebrochen wird und sich in der Vibration artikulieren kann6: Auch Paladinis Kunst gibt also nicht das Sicht- bare wieder, sondern macht sichtbar.

P H O T O G R A P H I N G L I G H T –O N D O P A L A D I N I ’ S P H O T O G R A P H S

Heinz Stahlhut, art historian

1 https://www.prontopro.ch/de/blog/kreativer-mix/ 2 Schöne, Wolfgang: Über das Licht in der Malerei [On

Light in Painting], Berlin 1994(8), p. 12f; it is worth noting brief- ly here that, while Schöne explores the topic of position- al light only in terms of presenting artworks in a museum context and without considering its artistic effect in any way, a young generation of artists, such as Group Zero, emerged who made this positional light a crucial factor in their work. 3 Varnedoe, Kirk: “Overview. The flight of the mind”, in: A fine disregard. What makes modern art modern, London 1990, pp. 216–278, p. 262ff. 4 For more about the esoteric sources of classical modern- ism, see for example the following by Mary

Max: “Das Fadennetz, in das der Künstler seine

Visionen hinein- webt. Mondrian, Hodler und die

Theosophie,” [The Web of Threads Into Which the

Artist Weaves His Visions: Mondrian, Hodler and

Theosophy] in: Ferdinand Holder. Piet Mondrian.

Eine Begegnung [An Encounter], edited by Beat

Wismer, exhibition catalog Aargauer Kunsthaus,

Aarau 1998, Baden: Verlag Lars Müller, 1998, pp. 121–149. 5 https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/panorama/ esoterik-das-geheimnis-der-orbs/1331146.html 6 Perucchi-Petri, Ursula: “Zu den Bildvorstellungen von ZERO” [On ZERO’s Conceptions of the Image] in: ZERO. Bildvorstellungen einer europäischen

Avantgarde 1958– 1964 [Conceptions of the Image in a European Avant- garde 1958–1964] exhibition catalog Kunsthaus Zürich, Zurich 1979, pp. 41–89, p. 46. For eight years now, the artist Do Paladini (born in 1970 in Interlaken, Switzerland) has been cre- ating photographs that are unique in the way they capture light in all its ethereal beauty and about which the artist herself says: “The images of light photography are abstract, real-surreal, showing subtle materiality and its colors.”1 But how can these works be described more pre- cisely? In his 1954 book “Über das Licht in der Malerei” (On Light in Painting), the German art historian Wolfgang Schöne succeeded in com- ing up with a system for categorizing the artistic treatment of light that still applies in research today.2 For instance, he coined the concept of self-light or transmitting light in paintings from the Middles Ages with their gold ground, as it is “... as if the imagery itself were radiating imma- nent light onto us as observers.” He contrasts this with the projected or illuminating light of modern painting, which radiates from a visible or invisible light source onto the objects in the image, shedding light onto the illuminated im- agery of the work of art. Finally he describes po- sitional light, which is the kind of light under which the observer sees the artwork and which is therefore not actually immanent to the piece of art itself.

The light of images

If we wanted to apply just one of the concepts devised by Schöne to the early works of the art- ist Do Paladini, we would soon discover that none of these concepts truly fits, as there is nei- ther a transmitting light emanating from a radi- ant background nor does the positional light un- der which the image is seen play a significant role. The best option for describing the effect of light in these photographs would be to categorize is as illuminating light. At first glance there are admittedly few illuminated objects that could

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