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Die Rückkehr des Regionalen
Über die Entstehung eines Modebegriffs im Kontext einer internationalen Branche
Jonathan Schönberger
In den letzten Jahren hat sich der Trend zu regional produzierten Lebensmitteln etabliert. Regionalität und regionale Identität sind zu politischen und ökonomischen Schlüsselbegriffen geworden. Der Begriff «regional» entstammt ursprünglich dem Vokabular der Raumplaner und Geografen und fand seit den 1980erJahren Eingang in den politischen, kulturellen und sozioökonomischen Diskurs. Parallel zu dieser Entwicklung vollzog sich in den Kultur und Sozialwissenschaften der sogenannte «spatial turn», die Hinwendung zum Raum. Der Raum und nicht mehr die Zeit steht im Zentrum kulturwissenschaftlicher Untersuchungen.
Diese Entwicklung ist auch an der Lebensmittel und Getränkebranche nicht spurlos vorübergegangen. Gründeten die Anfänge dieser Bewegung noch in einer ökologisch glaubhaft motivierten Überzeugung, so stehen mittlerweile zu einem grossen Teil ökonomische Überlegungen im Vordergrund. «Think globally, act locally»1 ist zur Parole derjenigen Protagonisten geworden, die noch vor wenigen Jahren die Globalisierung und Internationalisierung hiesiger Esskulturen als moderne Errungenschaft feierten. Die grossen, auf überregionales Wachstum ausgerichteten Detailhändler haben derweil mit grossem MarketingAufwand Konzepte und PRStrategien für die Vermarktung lokal produzierter Lebensmittel entworfen. Der Begriff des Regionalen ist zu einem inflationär verwendeten Marketing und Modebegriff geworden.
Werfen wir einen Blick auf die Getränkeund insbesondere die Spirituosenindustrie, so tritt Erstaunliches zutage: Die gesamte inländische Alkoholproduktion im Brennjahr 2020/21 betrug 30959 Hektoliter reinen Alkohols2. Demgegenüber wurden allein in den ersten beiden Quartalen des aktuellen Jahres 2022 bereits 276266 Hektoliter reinen Alkohols in die Schweiz importiert3. Das ergibt rund das neunfache Volumen in der Hälfte der Zeit. Den aufwändig kuratierten Worten der Verkaufsabteilungen folgen allzu oft also keine Taten.
Die Gründe dafür sind schnell gefunden. Insbesondere die Spirituosenindustrie wird dominiert von wenigen, global agierenden Milliardenkonzernen, deren Portfolio das Erscheinungsbild des Grossteils der Schweizer Back Bars und Speed Racks prägt. Mit lukrativen PouringVerträgen und grosszügigen MarketingBeiträgen ge
lingt es den internationalen Giganten, gastronomische Unternehmer zu binden und für ihre Zwecke einzusetzen. Deren Bereitschaft zur Kooperation ist verständlich, denn die Schweizer Barszene ist mit zahlreichen Einzelunternehmen sehr kleinteilig und die Inhaber gehen bei der Gründung zum Teil beträchtliche finanzielle Risiken ein.
Allerdings werden durch diese Alimentierung auch unwirtschaftlich arbeitende Betriebe künstlich am Leben gehalten und allzu viele Zauderer zum Schritt in die vermeintliche Selbstständigkeit verführt. Eine Korrektur täte der Branche gut und würde insbesondere denjenigen Gastronomen helfen, die tatsächliche Gastlichkeit mit klarem Konzept in den Vordergrund ihrer Tätigkeit stellen.
Der vorschnelle Ruf nach bedingungsloser Regionalität entpuppt sich hierbei allzu oft als modische Worthülse. Die entscheidende Frage sollte sein, wie ein Produkt hergestellt wurde, und nicht, wo dies geschah. Es lässt sich beobachten, dass das Label «Swiss Made» immer öfter als rein kosmetische Aufwertung für inhaltsleere Produkte missbraucht wird.
Die letzten Jahrzehnte waren von einem beständigen Ideen und Gedankentransfer zwischen den unterschiedlichen Regionen dieser Welt geprägt und haben eine unglaubliche Vielfalt an Nahrungsmitteln und sensorischen Errungenschaften ergeben, die heute niemand mehr missen möchte.
Ich plädiere für einen konservativen Regionalismus, der lokal produzierte Produkte sowie die dahinterstehende Expertise wertschätzt und fördert. Hierbei gilt es nicht, internationale gegen regionale Produkte auszuspielen, sondern diese nebeneinander zu präsentieren und gekonnt zu kombinieren. Neben einigen anderen möchte ich hierbei explizit die Karel Korner Bar in Luzern oder das Herz in Basel sowie das la belle vue Boutique Hotel in Spiez hervorheben. Deren kombinierter Ansatz, lokale Traditionsprodukte wie den Schweizer Obstbrand aufzugreifen und neu zu interpretieren, ist innovativ und zukunftsgerichtet. Den Gastronomen und Hoteliers obliegt in dieser Fragestellung eine besondere Verantwortung. Denn die Entscheidung liegt nicht beim Gast, sondern beim Gastgeber. Der Gast kann nur bestellen, was auf der Karte steht.
1 Die Aussage wird in ihrer originalen Form «Think global, act local» dem schottischen
Stadt und Raumplaner Patrick
Geddes zugeschrieben, der diese sinngemäss in seiner
Publikation «Cities in Evolution» wiedergibt.
2 Quelle: Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit, Statistik:
«Gesamte inländische
Erzeugung aus Destillation und Fabrikation in Hektoliter reinen Alkohols», Stand am 17.1.2022.
3 Quelle: Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit, Statistik:
«Einfuhr von Spirituosen, alkoholischen Erzeugnissen und nicht denaturiertem Ethanol in Hektoliter reinen Alkohols»,
Stand am 25.7.2022.
Jonathan Schönberger
Jonathan Schönberger trat 2019 in das Familienunternehmen Distillerie Studer & Co AG ein und leitet dieses seit 2022 in 5. Generation zusammen mit seinem Schwiegervater Ivano Friedli-Studer. Geboren wurde er 1989 in Münster (Westfalen, Deutschland), aufgewachsen ist er in Passau (Bayern). Nach dem Abitur studierte er in Berlin Architektur. Dieses Studium schloss er an der Universität der Künste mit dem Master of Arts erfolgreich ab. Gemeinsam mit seiner Frau Alicia sowie den drei Kindern Laila, Aaron und Johanna wohnt er in Luzern.