The Highest High

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Andreas Gonseth, Chefredaktor «FIT for LIFE»

Frisch verschneit und grandios wie selten präsentierte sich die Kulisse mit Eiger, Mönch und Jungfrau nicht nur allen Läuferinnen und Läufern, sondern auch einem begeisterten Autoren- und Fototeam. Aus hunderten von Fotos und den Erlebnissen einer spannenden, ereignisreichen Woche entstand eine einzigartige sportlich-touristische Buchkomposition: Die Entstehung des Jungfrau-Marathon Die touristischen Highlights Der Blick hinter die Kulissen Der polysportive Auftakt Der schönste Marathon der Welt Der Kampf an der Spitze Die Top-Events der Jungfrau-Region

Unterstützt von

Peter Wirz

Über den Autor Am Anfang stand das Feuer. Ein bewegtes Leben, der Wille, nicht stehenzubleiben. Nach 10 Jahren als aktiver Ruderer war seine Wettkampfkarriere eigentlich abgeschlossen, als Peter Wirz 1981 seine sportliche Neugeburt erlebte. Aus dem Stand nahm er am Murtenlauf, dem Hallwilerseelauf und im selben Herbst auch an seinem ersten Marathon teil. Die klassische Ausdauersportkarriere nahm ihren unvermeidlichen Lauf: Vom Jogger zum Läufer, vom Marathonläufer zum 100km-Finisher, vom Triathlonpionier zum Gigathleten! Der Triathlon steckte damals noch in den Kinderschuhen. Erst langsam drangen aus Hawaii erste Schauergeschichten nach Europa durch. Der ideale Zeitpunkt, sich in eine neue Herausforderung zu stürzen. Zuerst als Aktiver, dann als Suchender, wie man die Strapazen eines Ironman visualisieren könnte. Peter Wirz gründete mit Freunden den Triathlon Verband und lancierte als Veranstalter 1987 den einzigartigen Trans Swiss Triathlon. Auf der steten Suche, innere Leidenschaft und sportliche Herausforderung zu verbinden, wurde der Inhaber der gleichnamigen Zürcher Werbeagentur zum Wegbereiter moderner Ausdauerabenteuer. Aus dem Transswiss entwickelte er den Gigathlon, den unbestritttenen Höhepunkt multisportiver Schweizer Aktivitäten. Die Mischung aus Pioniergeist, Hartnäckigkeit, Kreativität und Weitblick führte ihn kontinuierlich zu seiner Rolle als Beobachter und Förderer. Mit seinen Büchern will er alle Generationen auf die sportliche Reise schicken und sie motivieren, ihre persönlichen Grenzen auszuloten. Die Bücherserie umfasst heute Trans Swiss Triathlon, Gigathlon, Engadin-Skimarathon, Jungfrau-Marathon, Swissalpine Davos und wird bald mit dem Lucerne Marathon fortgesetzt werden. Und längst ist Peter Wirz wieder nicht mehr nur als Autor am Start, sondern unterwegs in seiner «dritten Sportlerkarriere» – als reiner Genussläufer.

Jungfrau-Marathon

Peter Wirz

Christoph Seiler

The Highest High Waren es am Anfang zwei Komponisten, die ihr Werk als Solisten auch gleich selber zur Uraufführung brachten, so ist es heute ein ganzes Orchester, das den Jungfrau-Marathon in seiner ganzen Pracht zum Klingen bringt. Aber auch das beste Sinfonieorchester läuft ohne einen überragenden Dirigienten nicht zu Höchstform auf. Genauso verhält es sich bei einer sportlichen Grossveranstaltung und erst recht bei einem Klassiker wie dem Jungfrau-Marathon. Dass der «Schönste Marathon der Welt» dieses Prädikat beim anspruchsvollen «Publikum» Jahr für Jahr aufs Neue verdienen kann, liegt ebenso in der souveränen Interpretation der meisterlichen Partitur durch den OK-Präsidenten wie auch im inspirirenden Zusammenspiel der OK-Mitglieder und dem enormen Potenzial der Helfer. Nur unter solch optimalen Voraussetzungen lässt sich eine bewährte Komposition laufend neu erfinden, können ausgetretene Pfade verlassen und immer wieder neue Ziele anvisiert werden. Sei es durch Kooperation mit anderen Veranstaltern, die Mitarbeit in übergeordneten Organisationen oder die Entwicklung neuer Veranstaltungs-Ideen. Christoph Seiler scheint wie dazu geboren, den Jungfrau-Marathon zu dirigieren. Seine Reputation als hervorragender Läufer und seine lokale Verbundenheit befähigen ihn ebenso zu dieser Aufgabe wie seine beruflichen Meriten und seine Führungsposition bei den Jungfraubahnen. Der begeisterte Polysportler und glückliche Familienvater kann neben einem fundierten Fachwissen und einer sich auf vielen langen Strecken angeeigneten Ausdauer auch die mentale Stärke, motivierende Lebenfreude und schier grenzenlose Energie ausspielen, die ein Grossereignis wie der Jungfrau-Marathon von «einem Dirigenten» abverlangt. Dank seiner offenen, freundschaftlichen Art und seiner auf gegenseitigem Vertrauen aufbauenden Führungsmaxime wird es ihm und seinem Team sicher auch in Zukunft gelingen, mit dem Jungfrau-Marathon «die höchsten Gipfel» zu erklimmen. Peter Wirz



Der schönste Marathon der Schweiz, der schwierigste Europas! Und: Ein Marathon als Abenteuer. Von Interlaken führt die Strecke zuerst an den Brienzersee, weiter durchs Lauterbrunnental bis zu den Trümmelbachfällen, hinauf «durch die Wand» nach Wengen und schliesslich bis zur Moräne des Eigergletschers: 42,195 Kilometer die Distanz, 1839 Meter die Gesamtsteigung. Ein Marathon zum Geniessen . . . beinhart und trotzdem schön. Denn, wo in Europa gibt es diese grossartige Szenerie auf engstem Raum: Seen und Gletscher, stiebende Bäche und verträumte Alpen, saftige Matten und beeindruckende Felswände? Wo gibt es eine grossartigere Kulisse für einen Wettkampf als Eiger, Mönch und Jungfrau? Eine klassische Distanz, den Marathon, verbinden mit einer klassischen Kulisse, dem berühmtesten Dreigestirn der

Alpen. Erlebnis und Abenteuer zugleich, das ist die Jungfrau-Marathon-Idee! Dieses Credo, von Initiant Heinz Schild 1993 schon vor der ersten Austragung treffend formuliert, hat bis heute seine Gültigkeit behalten. Bis auf das nicht unwichtige Detail, dass der Jungfrau-Marathon heute sogar als «Der schönste Marathon der Welt» bezeichnet wird. Bergläufe liegen im Trend. Das Erlebnis draussen in der Natur wird auch im Wettkampf immer wichtiger und verdrängt zusehends die Jagd nach persönlichen Bestzeiten. Daher ist es nicht erstaunlich, dass jedes Jahr wieder neue Erlebnisund Bergläufe im Kalender auftauchen und Laufveranstaltungen mit EventCharakter steigende Teilnehmerzahlen aufweisen. Auch der Jungfrau-Marathon versteht sich als einmalige Berglaufveranstaltung mit Event-Charakter, und die

Organisatoren sind stehts darauf bedacht, den Event Jungfrau-Marathon weiterzuentwickeln. Aber der Lauf selbst basiert weiterhin auf der seit der ersten Austragung bewährten Strecke. Auch wenn damit Engpässe auf der Strecke und die Limitierung des Teilnehmerfeldes unvermeidlich bleiben. Was dem Jungfrau-Marathon mit den Genen seiner beiden geistigen Väter in die Wiege gelegt wurde, ist und bleibt ein weltweit einzigartiger Marathon-Genuss: Nur hier gibt es diese grandiose Kulisse zu bewundern, welche gleichzeitig die eigene Bedeutung relativiert, wo sich trotz der Strapazen regelmässiges Innehalten, Hochschauen und Zurückblicken lohnt und wo sich aus der Erinnerung auch noch nach Jahren jederzeit das erlebte Glücksgefühl abrufen lässt.



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inhalt Zwei Väter eine Vision

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Zahlen und Fakten

020 – 021

warm up and cool down

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anpacken, einchecken und starten 040 – 051

Ballenberg

024 – 025

Trans-Sportler

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Tellspiele

026 – 027

Vereinte Nationen

044 – 045

Harder

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Check-in

046 – 047

Paragliding

030 – 031

Carboloading

048 – 049

Eigergletscher

032 – 033

Gastgeber

050 – 051

Jungfraujoch

034 – 035

St. Beatus-Höhlen

036 – 037

Canyoning

038 – 039

Ein schwungvoller Auftakt

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Jungfrau-Minirun

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Handbike

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Pararace-Meile

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Jungfrau-Meile

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Helden

062 – 063


Der schönste Marathon der Welt

064 – 143

Der Kampf an der Spitze

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more top-events to enjoy

Bananorama

080 – 081

Das Siegerinterview

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Lauberhornrennen

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Frei nach Goethe

088 – 089

Die Siegerliste

168 – 169

Inferno-Rennen

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Sicherheitskonzept

118 – 119

SnowpenAir

178

Triumphmarsch

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Die Buchmacher

170 – 171

Greenfield Festival

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Durchlauferhitzer

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Fotonachweis

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Trucker & Country Festival

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Interlaken einfach

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Eiger Bike-Challenge

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Inferno Triathlon

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Brienzerseelauf

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Die Jungfrau-Marathon-Strecke

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Eigentlich ist es im Rückblick betrachtet erstaunlich, dass es den Jungfrau-Marathon erst seit 1993 gibt und nicht schon wie den Boston-Marathon seit 1897. Wären doch die alles entscheidenden Grundvoraussetzungen für den schönsten Marathon der Welt schon damals in der aufstrebenden Jungfrau-Region vorhanden gewesen. Gleich im ersten Jahr nach der Olympiade von Athen, wo bekanntlich 1896 der erste klassische Marathon der Neuzeit stattfand, wurde auch der Boston-Marathon zum ersten und seither schon über hundert weitere Mal durchgeführt. Aber hier soll nicht etwa der Eindruck erweckt werden, dass es von der Idee bis zur ersten Durchführung des JungfrauMarathon 100 Jahre gedauert hätte. Wir möchten viel mehr aufzeigen, wie befruchtend es ist, wenn zwei auf vollkommen verschiedenen Wegen durchs Leben laufende

Menschen im richtigen Moment und am richtigen Ort aufeinandertreffen. Bezeichnenderweise heisst dieser Ort Interlaken. Ein Name, der das Aufeinandertreffen und die Vielfalt der hier zur Wahl stehenden Möglichkeiten quasi schon in sich trägt. Der Werber Ich treffe Peter Wenger im von der Sprintwertung her bekannten Wohncenter von Allmen beim Bahnhof Interlaken-Ost. Wie sich sofort herausstellt, hat er nicht nur die gleichen Initialen wie ich, sondern auch den gleichen Beruf: Werber. In dieser Funktion bei den Jungfraubahnen als Leiter der Werbeabteilung tätig, machte er sich 1990 auf die Suche nach einer Idee, wie das Jubiläum der Schynige Platte-Bahn, die seit 1893 Gäste aus der ganzen Welt in die Bergwelt hinauftransportiert, zelebriert werden könnte. 006 | 007


Start

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Auf einer sieben Kilometer langen Strecke führt das historische Zahnrad-Bähnchen die Gäste von Wilderswil zur Bergstation Schynige Platte hoch auf 1967 m ü. M. Alleine die Fahrt mit der Bahn ist ein Erlebnis sondergleichen. Die Bergstation ist inmitten eines aussergewöhnlichen Wanderzentrums gelegen und die Aussicht auf Eiger, Mönch und Jungfrau, die Lütschinentäler sowie den Brienzer- und Thunersee suchen vergeblich Vergleichbares. Ein Ort wie geschaffen für Sport, dachte sich Peter Wenger und kam auf die naheliegende Idee, entlang der Bahnstrecke einen Berglauf zu veranstalten. Selber weder Läufer noch Sportveranstalter, hörte er sich herum, las den Sportteil der Zeitungen etwas aufmerksamer als bisher für ihn üblich und verfolgte auch die Sportreportagen an Radio und Fernsehen intensiver.

Der Laufpapst So war es ein kleiner Schritt, bald einmal auf Heinz Schild zu stosssen. Ihn hier der erfahrenen Läufer-Gilde vorzustellen, wäre wie Eulen nach Athen zu tragen. Als Journalist und Radiomann berichtete er während Jahrzehnten über die Leichtathletik im Allgemeinen und den Laufsport im Besonderen. Er inspirierte die Schweizer Laufszene mit vielen tollen Veranstaltungsideen und inszenierte in der Stadt Bern auch die Erfolgsgeschichte «Grand-Prix von Bern». Wer bei schönem Wetter durch Berns Altstadt spaziert, bleibt früher oder später auf der Bundesterrasse am Alpenpanorama «Eiger, Mönch und Jungfrau» hängen und möchte aus den engen Gassen ausbrechen. Im Fall von Heinz Schild geschah das von A wie Allmendingen bei Bern nach B wie Brissago am Lago Maggiore. Dieser Distanzlauf über mehrere Tage, der ihn auch

durchs Tourismusgebiet der Berner Alpen führte, öffnete seinen Geist für Neues: «Einen grossen Lauf über eine klassische Distanz in einem Tourismusgebiet.» Wie Sherlock Holmes machte er sich auf die Suche nach einer attraktiven Region und einer im wörtlichen wie übertragenen Sinn wirklich atemberaubenden Strecke. Meiringen als Ausgangspunkt vieler bekannter Pässefahrten schien ihm ein geeigneter Ort. Und so startete er zusammen mit seinem Sohn Mike auf eine erste Testtour über Roselaui hinauf auf die Grosse Scheidegg und anschliessend hinunter nach Grindelwald. Die Laufbilanz war für die beiden ernüchternd: 50 lange, steile Laufkilometer, 2000 Höhenmeter hinauf, aber auch ein paar hundert Höhenmeter hinunter. Und das Echo auf diese Mammut-Tour war auch bei den als Veranstaltungs-Partner in Fra008 | 009


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ge kommenden Tourismus-Organisationen gelinde ausgedrückt verhalten. Das Telefon Das war zufällig genau der Moment, als Peter Wenger zum Telefonhörer griff und die Nummer von Heinz Schild wählte. Er vereinbarte mit ihm in Interlaken bei den Jungfraubahnen einen Besprechungstermin, um ihm seine Berglaufidee auf die Schynige Platte zu präsentieren. Aber jetzt bekam Peter Wenger zuerst etwas «zum Chätschä». Heinz Schild beschied dem Projekt keine touristische Strahlkraft, verhiess ihm ein bescheidenes Medienecho und befand vernichtend, «Sottigi Bärglöif git’s scho gnueg». Und tischte Peter Wenger seine eigene Vision eines Erlebnislaufes auf. So trafen die beiden Ideenansätze ungebremst aufeinander. Aber die Aufprallenergie sorgte nicht für einen

Eklat, sondern öffnete den beiden Kontrahenten explosionsartig den Geist. Die Jungfraubahnen waren das, was Heinz Schild brauchte, und das Läuferwissen war das, was Peter Wenger zu seinem Bahnjubiläum fehlte. Und so beugte sich Schild, der ehemalige Kartograf, über die Landeskarte und entwickelte eine dritte Idee: Eine ökologisch vertretbare Grossveranstaltung, eine klassische Distanz in einer klassischen Tourismus-Region, ein Marathon am Fuss der Jungfrau. Aus orthopädischen Gründen sollte die Strecke möglichst wenig Gefälle aufweisen. Die einzige Ausnahme betrifft den Schlussteil der Strecke, die Passage vom Black Rock am Eigergletscher hinunter ans Ziel auf der Kleinen Scheidegg. Das Jubiläum Der nächste glückliche Umstand war Pe-

ter Wengers Feststellung, dass ja auch die Wengneralpbahn demnächst ihr hundertjähriges Jubiläum begehen könne und dieser Bahn ja im Schlussakt der sich herauskristallisierenden grandiosen Läuferoper gleichsam die tragende Hauptrolle zugedacht wäre. Während sich Heinz Schild mit Karten und Exkursionen draussen in der Natur an die Streckenplanung machte, startete Peter Wenger im Büro der Jungfraubahnen mit der Marketing- und Finanzplanung seines «Jubiläumslaufes». Er, als Nichtläufer, konnte, dank dem ihm inzwischen von Heinz Schild mit auf den Weg gegebenen Fachwissen, sehr bald auf valablen internen Support zählen. Als er die Idee bei einem Kaffee Walter Steuri, dem Vizedirektor und Finanzchef, vortrug, war dieser als begeisterter Läufer sofort Feuer und Flamme und versprach, beim Direktor 010 | 011


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der Jungfraubahnen ein gutes Wort dafür einzulegen. Aufgrund dieser Fürsprache erklärte sich Dr. Roland Hirni bereit, sich das noch namenlose Projekt auf neutralem Boden, in einem Bistro in der Berner Altstadt, von Heinz Schild und Peter Wenger präsentieren zu lassen. Mit einem kräftigen Händedruck wurde das Projekt anschliessend verabschiedet und auf die Reise geschickt. Der rote Teppich Während Heinz Schild von der Kleinen Scheidegg Meter für Meter zurückmarschierte und in grosszügigen Schlaufen den noch heute gültigen «roten Teppich» in die Landschaft legte, gingen im Atelier der Werbeabteilung der Jungfraubahnen auch die Texter und Grafiker ans Werk. Und sie hatten leichtes Spiel: Auf der dreidimensionalen Panoramakarte der Bahnstrecken

liess sich die Marathonstrecke wie selbstverständlich einfügen und dass der neue Lauf weder Eiger-Marathon, noch Lütschinelauf, noch Interlaken-Run, auch nicht Wengener-Alpmarathon und schon gar nicht Mönchs-Marathon heissen konnte, stand in Anlehnung an die Jungfraubahnen und in Anbetracht der weltweiten Strahlkraft von Jungfraujoch – Top of Europe wirklich schon fast in Stein gemeisselt am Bergpanorama von Eiger, Mönch und Jungfrau. Die Realisierung «Die Lancierung einer Idee geschah zwar in einem ganz kleinen Kreis. Die Realisierung hingegen – und nur auf die kommt es an – geschah im Teamwork. Ich bin jetzt genau 30 Jahre in der Laufszene tätig, aber noch nie habe ich derart viele kompetente, hilfsbereite und engagierte OK-Mitglieder gesehen. Leute, welche selber anpacken

und nicht bloss delegieren, OK-Mitglieder, welche vorbereitet an Sitzungen und Besprechungen kommen, welche Hausaufgaben zudem nicht erst im allerletzten Augenblick lösen.» Dieser kurze Auszug aus dem Schlussbericht vom 18. Oktober 1993 zum ersten Jungfrau-Marathon bringt es auf den Punkt: «Am Anfang stand eine gute Idee und siehe da, es wurde Arbeit daraus.» Arbeit, die im Sekretariat in den ersten Jahren auf den schmalen Schultern von Vreni Schild lastete, viel Arbeit aber auch, die im breit angelegten Netzwerk der Jungfraubahnen hängen blieb. Die besondere Ausgangslage, dass der Hauptsponsor gleichzeitig Mitinitiant, CoVeranstalter sowie Gebieter über die organisatorisch unverzichtbare Transportinfrastruktur war, öffnete viele Türen bei Politik, Wirtschaft und Bevölkerung, die sonst wohl noch lange verschlossen geblieben wä012 | 013


ren. Auch auf viel, bei den Bahnbetreibern schon vorhandenes Veranstalter-Knowhow konnte zurückgegriffen werden. Auf die berechtigte Frage, ob genug Transportkapazitäten bestünden, um an einem späten Samstagnachmittag bis zu 10 000 Personen von der Kleinen Scheidegg hinunter nach Interlaken zu befördern, kam die trockene Antwort: «Heit Ihr ou scho mal eppis vom Louberhorerenne ghert?»

Der Dank Bereits die erste Austragung vom 25. September 1993 war ein voller Erfolg. Regen am Start und Schneefall im Ziel zum Trotz, hagelte es nach dem Lauf Briefe und Dankesschreiben, Telefonanrufe zu Dutzenden von bekannten und unbekannten Teilnehmern, welche vor allem eines sagen wollten: Merci! Dass das Wetter immer eine zentrale Rol-

le spielt, ist in Anbetracht des hochalpinen Berggebietes nicht wegzudiskutieren, aber man kann sich vorausschauend organisieren: Ersatzstrecken auf kritischen Abschnitten, Orientierung der Läufer betreffend persönlicher Ausrüstung, Ausstiegs- und Rettungsmöglichkeiten entlang der Strecke, gut geschulte, versierte Helfer an den Verpflegungs- und Streckenposten. Der Jungfrau-Marathon erlebte in den ver-


gangenen bald 20 Jahren jede Wetterlage: Föhn, Regen, Schneefall, Hitze und Kälte, Wetterkapriolen und Traumverhältnisse – und musste auch bei zum Teil heftigsten Sturmböen nie «abgeblasen» werden. Der Ritterschlag Aber nirgendwo kann schönes Wetter schöner sein als im Spätsommer in den Alpen. Mit diesem einzigartigen touristi-

schen Trumpf, seiner perfekten Organisation und der spektakulären Strecke stach der Jungfrau-Marathon in einer Leserumfrage des «Ultimate Guide of International Marathons» 1997 die ganze weltweite Konkurrenz aus und wurde mit dem Titel «Der schönste Marathon der Welt» geadelt. Dies ist nicht zuletzt auch ein Verdienst der 1996 mit der Gründung des Vereins «Jungfrau-Marathon» stark erweiterten

Organisationsstruktur. Das über 30 Mitglieder umfassende Organisationskomitee kann sich auf 40 Helfervereine abstützen, die jährlich 1500 Helfereinsätze leisten. In den folgenden Jahren wurde dieses medial hochwirksame Prädikat durch mehrere repräsentative Umfragen bestätigt und somit den Machern des Jungfrau-Marathon die Erreichung aller zu Beginn gesetzten Ziele wissenschaftlich bescheinigt. 014 | 015


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Ziel

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Trotz deren Relevanz für touristische Regionen und Städte waren die wirtschaftlichen und verhaltensorientierten Aspekte von Marathon-Veranstaltungen bis zu diesen empirischen Analysen des JungfrauMarathon weitgehend unerforscht. Die aus den Untersuchungen gewonnen Erkenntnisse ermöglichen es den Organisatoren, die Bedürfnisse und Ansprüche der Läufer nachhaltig besser zu erfüllen und spezifi-

sche sportliche Wünsche nach Reise- und Aufenthaltsangeboten bereitzustellen. Die Selbstständigkeit Grösse besitzen Eltern, die ihr Kind in die Freiheit entlassen, wenn sie spüren, dass ihre Zeit reif ist. Nach 10 Jahren als allzeit für die Läufer bereit stehendes Ehepaar traten Heinz Schild als OK-Präsident und seine Frau Vreni als Sekretärin zurück. Auf

seinen Promotionsreisen an die internationalen Marathonläufe und Tourismusmessen stand ihm sein zweiter Vater, Peter Wenger, noch ein paar Jahre zur Seite, bis auch er feststellen durfte: Ziel erreicht. Neben den 50 Prozent Teilnehmern aus der Schweiz finden heute Läuferinnen und Läufer aus 60 anderen Nationen den Weg nach Interlaken und auf die Kleine Scheidegg. Zum Abschluss dieser ersten Dekade 016 | 017


machten sich Vreni und Heinz Schild das Abschiedsgeschenk gleich selber. Sie und die 1500 Helfer überraschten die Teilnehmer mit einem einmaligen Geschenk: Doppelt so viele Startplätze am JungfrauMarathon 2002. Aber sinnigerweise nicht an einem einzigen Tag, sondern an einem einzigartigen Wochenende. Am Samstag 4000 Läuferinnen und Läufer und am Sonntag zusätzlich nochmals 4000 Start-

plätze. Der Erfolg war an beiden Tagen durchschlagend: Es herrschte wunderschönes Jubiläumswetter und am Ziel auf der Kleinen Scheidegg wurden Topleistungen am Laufmeter abgeliefert. Die Nachhaltigkeit Die Organisation und Durchführung grosser Laufveranstaltungen ist heute immer mehr auch von der Erfüllung betriebs-

wirtschaftlicher Vorgaben geprägt. Ein gut positionierter Sportanlass, wie beispielsweise der Jungfrau-Marathon oder der Gigathlon, kann zu einer eigentlichen Marke avancieren und zur Bekanntheit und Reputation eines Standortes oder einer Organisation beitragen. Durch den ausgelösten Konsum der Teilnehmenden und deren Begleitpersonen vor, während und nach der Veranstaltung erhoffen sich


die Organisatoren zu Recht positive Effekte. Sportveranstaltungen in touristischen Gebieten oder bekannte Anlässe mit einer grossen Ausstrahlung sind zudem geeignet, Touristen als Teilnehmende und Zuschauende anzulocken und zusätzliche Logiernächte zu generieren. Damit bieten sie einen interessanten Ansatz, um die Nebensaison besser auszulasten.

Die Weiterentwicklung Organisatorisch hat sich der JungfrauMarathon nicht nur von seinen Gründervätern emanzipiert. Auch der Sponsorenfranken rollt heute nicht mehr nur auf den Gleisen der Jungfraubahnen. Das Budget wird durch das Engagement der SwissLife abgesichert, dank Mizuno können das Organisationskomitee und die Helfer auf höchstem Niveau laufen und arbeiten und

die Migros ist seit vielen Jahren nicht nur ein «M» besser, sondern schlicht und einfach der beste «Weggefährte» des Jungfrau-Marathon. Aber die wichtigste und treuste Unterstützung erfährt der Jungfrau-Marathon aus der breiten Bevölkerung. Am Wettkampftag stehen jeweils Hunderte als Helfer auf der Strecke und Tausende als begeisterte Zuschauer an der Strecke. 018 | 019



Die Zahlen und Fakten 1993  Erste Austragung 42,195 km  Streckenlänge 566 m ü. M.  Start in Interlaken 2100 m ü. M.  Ziel auf der Kleinen Scheidegg 1839 m  Steigung des Jungfrau-Marathon 305 m  Gefälle des Jungfrau-Marathon 20  Musikformationen entlang der Strecke 1500  Helferinnen und Helfer 33  Mitglieder im Organisationskomitee 161  Medizinische Fachkräfte 15  Defibrillatoren 140  Funkgeräte 4000  Startplätze 60  Nationen aus allen fünf Erdteilen am Start 20  Tonnen Gepäck werden von Interlaken ins Ziel transportiert 1609.–  Franken Siegprämie JungfrauMeile und Pararace-Meile

30  Sekunden Zeithandicap der Herren bei Jungfrau-Meile und Pararace-Meile 4.02,4  Streckenrekord Jungfrau-Meile von Tola Zenebech (ETH, 2004) 10 000.–  Franken Siegprämie JungfrauMarathon für Frauen und Männer 50 000.–  Franken Siegprämie total für die ersten 10 Frauen und Männer 3:21.03  Streckenrekord Frauen von Marie-Luce Romanens (SUI, 2001) 2:49.01  Streckenrekord Männer von Jonathan Wyatt (NZL, 2003) 3  Sprintwertungen bei Kilometer 4, 20 und 30 1,2 Mio.  Franken Budget JungfrauMarathon 4 Mio.  Franken Wertschöpfung durch den Event Jungfrau-Marathon 6 Mio.  Franken Umsatz, ausgelöst durch den Event Jungfrau-Marathon

25 000  Logiernächte durch die Teilnehmer und Supporter 12  Verpflegungsposten 150 000  Becher 10 000  Liter Sponser und Coca-Cola 6000  Bananen 1000 m  Bandenwerbung 4  Hauptsponsoren: Jungfraubahnen, Migros, Mizuno, SwissLife 2  Co-Sponsoren: Rugenbräu, Die Post 3  Medienpartner: Berner Oberländer, Berner Zeitung, Kabelfernsehen Bödeli 10  Service-Sponsoren: Air-Glaciers, Sponser Sportfood, Eiger-Sport, KPMG, Grand Hotel Victoria-Jungfrau, DUL-X, Chalet Hotel Oberland, Schläfli & Maurer, Tele Comm Sportservice, Nufer Grafik 4  Mitgliedschaften: Swiss Runners, Swiss Marathons, AIMS, Swiss Athletics, Swiss Paralympics 020 | 021



1995, als ich an der dritten Austragung des noch jungfräulichen Jungfrau-Marathon an den Start ging und noch weit davon entfernt war, darüber ein Buch zu konzipieren, war wohl das Einzige, was ich richtig machte, die rechtzeitige Anmeldung, die mir gerade noch zu einem der schon damals begehrten Startplätze verhalf. Da ich im selben Jahr zwei Monate vorher als Veranstalter die 5. Austragung des inzwischen legendären Trans Swiss Triathlon erfolgreich über die Bühne bringen konnte, wollte ich mir endlich auch wieder einmal frei und unbelastet einen Start an einem neuen, abenteuerlichen Lauferlebnis gönnen. Dass ich mit nur zwei Monaten am unteren Limit der notwendigen Vorbereitungszeit lag, war mir zwar bewusst, dass ich aber erst am Wettkampftag um 5 Uhr früh aus dem Unterland angereist bin und mir maximal 5 Laufstunden zugestand, da ich bereits um 5 Uhr abends wieder zurück

in Zürich sein sollte, war ebenso ambitioniert wie borniert. Was ich dabei alles verpasst hatte, wurde mir erst wieder so richtig bewusst, als ich mich bei der Vorbereitung auf dieses Buch auch an meine Erlebnisse am New York City Marathon erinnerte. Wohl weil das für mich damals nicht so nahe lag wie die Jungfrau-Region, war es dort umso naheliegender, möglichst alles, was es in New York zu erleben gab, förmlich in mich aufzusaugen. Mit Schmunzeln stellte ich jetzt, Jahre danach, fest, dass es für alles, was mich damals in New York so faszinierte, auch rund um Interlaken ein Äquivalent gibt: Für das Museum of Modern Art den Ballenberg, für die Metro die Beatus-Höhlen, für das Empire State Building das Jungfraujoch, für die Verazano-Hängebrücke den Hängegleiter, für den Broadway die Tellspiele, für den Central Park den Harder, für den

Heliflug über Manhattan den Flug durch die Bergwelt. Und ich beschloss, all das nachzuholen und so dem Jungfrau-Marathon wenigstens im Nachhinein den richtigen Stellenwert in meinem LauftourismusPalmarès zu verleihen. Was ich zusammen mit meinen Fotografen vor dem Jungfrau-Marathon in und um Interlaken in fünf Tagen erlebte, kann ich nur wärmstens zur Nachahmung empfehlen – vielleicht mit der kleinen, aber nicht unwichtigen Einschränkung, dass Paragliding und Canyoning wohl doch besser auf den Sonntag nach dem Marathon zu verlegen wären – einfach um den Magen und die Gelenke zu schonen.

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ballenberg Auf dem Ballenberg ist die Schweiz so, wie sie einmal war. Mehr als 100 originale, Jahrhunderte alte Gebäude aus allen Landesteilen der Schweiz, 250 einheimische Bauernhoftiere, ursprüngliche Gärten und Felder sowie Vorführungen von traditionellem Handwerk und Spezialveranstaltungen machen die Vergangenheit zum Erlebnis. Und den Ballenberg gerade auch für Läuferinnen und Läufer einzigartig. Ein lockeres Footing kann in dieser weitläufigen Anlage nämlich auf wunderbare Weise mit einem interessanten Museumsbesuch kombiniert werden. Bis vor nicht allzu langer Zeit orientierte

sich die Geschichtsschreibung vor allem an den Biografien von Königen, Patriziern und reichen Bürgern. Sie beschäftigte sich mit Kriegszügen und ausserordentlichen Ereignissen. Das Leben der einfachen Leute war kein Thema. Auch die Forschung in der ländlichen Vergangenheit war fast ausschliesslich auf die Lebensweise reicher Bauersleute ausgerichtet Erst in den letzten Jahrzehnten ist das Interesse am Alltäglichen langsam gewachsen und heute zu einem der wichtigsten Themen der schweizerischen Sozialgeschichte vorgerückt. Im Freilichtmuseum Ballenberg bilden, neben den zahlreichen architekto-

nischen Zeitzeugen, der ländliche Alltag im Allgemeinen und die Frauengeschichte im Speziellen die Schwerpunkte, die unter verschiedenen Aspekten thematisiert und ausgestellt werden. Täglich wird hier kein Käse erzählt, sondern welcher hergestellt und der kulturell interessierte Läufer mit mindestens weiteren neun Handwerken bekannt gemacht.


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tellspiele Wer denkt, wenn er hier mit dem Klassiker von Schiller konfrontiert wird, muss das wohl auch etwas mit dem Laufklassiker Jungfrau-Marathon zu tun haben, liegt mit seinen Kenntnissen über die Schweizerische-Deutsche Klassik goldrichtig. Schiller schaffte es mit seinem Wilhelm Tell in dieses Buch, weil Peter Wenger, der Mitbegründer des Jungfrau-Marathon und aktueller Präsident der Tellspiele in Interlaken, als Werner Stauffacher auf der Bühne stand und wir natürlich auch diesen Auftritt, hier in einer ganz anderen Hauptrolle, nicht verpassen wollten. Wir erwarteten am Waldrand in Interlaken-

Matten eine provisorische Arena. Was wir jedoch am Donnerstag vorfanden, braucht sich vor keiner Broadway-Bühne zu verstecken. Ein perfektes Theatergebäude und eine bis auf den letzten Platz ausverkaufte Tribüne. Pferde, Kühe, Schafe, Ziegen, Hunde und Hunderte von Volksschauspielern bevölkern neben den Schillers Verse überzeugend zitierenden Hauptdarstellern die Freilichtbühne. Keine Spur von Provinz-, sondern Welttheater vom Feinsten wird hier geboten. Und uns, von vielen Bühnen und von inund ausländischen Akteuren kulturell verwöhnten Stadtzürchern, wurde wieder

einmal bewusst gemacht, dass auf einer grossen Bühne selber mitzumachen, nicht nur beim Sport, sondern auch im Theater erstrebenswerter ist, als nur zuzuschauen.


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harder Wer schon einmal einen Vorgeschmack auf «Die Wand» hinauf nach Wengen bekommen möchte, braucht dafür nicht nach Lauterbrunnen zu pilgern. Mit dem Harder, dem Interlakner Hausberg, liegt hierfür die Teststrecke praktisch vor der Haustüre. Direkt bei der Höhenmatte auf 570 m ü. M gehts los, durch den Park des Kursaals hindurch, über den Aarekanal hinweg zur Talstation der Harderbahn. Hier schenkt der Wegweiser dem ambitionierten Wanderer sogleich unmissverständlich reinen Wein ein: Harder Kulm 2 Std. 20 Min.! Die Bahn braucht dafür auf 1435 Meter Länge und 737 Höhenmetern

gerade mal 10 Minuten. Nicht beirren lassen und trotzdem den Wanderweg nehmen. Es wird, obwohl man sich auch als Läufer etwas in Geduld üben muss, schon nicht zwei Stunden dauern, bis man sich auf der Sonnenterrasse des romantischen Restaurants königlich über die wunderschöne Aussicht freuen kann. Zu Füssen liegen einem hier nämlich der weltbekannte Kur- und Kongressort zwischen dem Brienzer- und dem Thunersee sowie die gesamte Jungfrau-Region. Es ist wahrscheinlich der faszinierendste Halbtagesausflug für Läufer, denn nur von hier aus kann man die gesamte Jungfrau-Ma-

rathon-Strecke «von oben herab» studieren und beim gemütlichen Mittagessen unbelastet geniessen. Denn nach dem Fotoshooting und der mittäglichen Rast folgt für uns im heraufziehenden Gewitter hinunter nach Interlaken nur noch die spektakuläre Abfahrt mit der Drahtseilbahn – vom einzigen Bahnhof der Gemeinde Unterseen, der witzigerweise nicht unten am See, sondern oben auf dem Harder steht.


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