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DE Nach ihren Verwandlungen in einen Schwan (Swan Song) und in die ZebraClownin Angela Solie (RAW Performance-Dinner-Reihe) bei den Festwochen 2022 kommt die südafrikanische Performerin Buhle Ngaba diesmal in der Rolle des größten jemals gefundenen Diamanten nach Wien zurück. Die Diamantin Phatsima (das Setswana Wort bedeutet „funkeln“) hat das letzte Jahrhundert in royaler Gefangenschaft im Buckingham Palace verbracht. 1905 in einer Mine nahe Pretoria geboren, ausgegraben, geteilt und poliert, wurde sie 1907 an die britische Monarchie verkauft und Teil der Kronjuwelen. Nun wird die Diamantin zum Instagram-Star und schillert in all ihren Facetten, wenn sie die komplexe Geschichte ihrer Rückkehr nach Südafrika erzählt. Zwischen Pressekonferenz und Nagelstudio bricht die ausgestellte Kostbarkeit aus ihrer Vitrine aus und fragt: Wo ist überhaupt Zuhause?
Im spielerischen Umgang mit Fragen nach Restitution und den scharfen Kanten der Vergangenheit untersucht Ngaba die Gegenwart und entwirft eine utopisch funkelnde Zukunft.
EN Having previously appeared as a swan (Swan Song) and the zebra clown Angela Solie (RAW Performance Dinner Series) during the 2022 Festwochen, South African performer Buhle Ngaba is now returning to Vienna in the role of the largest diamond ever found. The diamondess Phatsima (the Setswana word for ‘sparkling’) has spent the last century in royal captivity at Buckingham Palace. Born in a mine near Pretoria in 1905, dug out, divided and polished, she was sold to the British monarchy in 1907 and became one of the crown jewels. Now the diamondess is becoming an Instagram star and lets all her bevels shine as she tells the complex story of her return to South Africa. Between press conference and manicure salon, the exhibited treasure escapes her display cabinet and asks: where is home at all? By playfully addressing issues of restitution and the sharp edges of the past, Ngaba looks at the present and designs a future with utopian sparkle.
The English version of the evening programme can be found here! festwochen.at/en/bling
DER DIAMANT – DAS HÄRTESTE, GLITZERNDSTE, DAS BEGEHRTESTE ÜBERHAUPT;
KATALYSATOR DER KOLONIALISIERUNG IN
AM URSPRUNG DER APARTHEID, DER GRUND UNSERER
SÜDAFRIKA,
MULTIKULTURELLEN GESELLSCHAFT UND DAS MUTTER-MINERAL, DAS DIE BERGBAUINDUSTRIE INS ROLLEN BRACHTE, DIE BIS HEUTE QUELLE EINER MENGE SOZIALEN, WIRTSCHAFTLICHEN UND PHYSISCHEN LEIDS IST.
17. / 18. Juni, 19 Uhr, 19. Juni, 18 und 20.30 Uhr, 20. Juni, 20.30 Uhr
Theater Nestroyhof Hamakom
Englisch und Setswana deutsche Übertitel ca. 65 Min.
Publikumsgespräch
18. Juni, im Anschluss an die Vorstellung Hinweise Empfohlen ab 13 Jahren
Bei der deutschen Übertitelung wird aufgrund begrenzter Zeichenanzahl und hoher Lesegeschwindigkeit auf das Gendern verzichtet. Wir bitten um Verständnis.
Konzept, Text, Performance Buhle Ngaba Regie, Dramaturgie, Bühne, Sounddesign Ilana Cilliers Mit Buhle Ngaba sowie den Stimmen von Tyson Ngubeni, Sandi Dlangalala, Tshallo Chokwe, Zain Gomba, Mukundi Mudau, Inathi Zimase, Jackson Inspizienz Amber Fox-Martin Choreografie Shaun Oelf Clown Provokateure Klara Van Wyk, Kate Pinchuck Kostüme Catherine Baren Übersetzung Übertitel, Übertitel Teresa Linzner
Produktion Maru Factory In Zusammenarbeit mit Nicolette Moses Koproduktion Wiener Festwochen | Freie Republik Wien Mit Unterstützung von Market Theatre Laboratory, The Barney Simon Trust
durchgeführt vom Team Wiener Festwochen | Freie Republik Wiener Festwochen
Uraufführung Juni 2024, Wiener Festwochen | Freie Republik Wien
GLOSSAR
Black Diamond [Schwarzer Diamant]: ein Begriff, der vom UCT Unilever Institut für Strategisches Marketing eingeführt wurde, um auf die schnell wachsende Mittelschicht Südafrikas zu verweisen. In Südafrika entwickelte er sich zu einem vorurteilsbehafteten und paternalistischen Begriff mit bitteren und negativen Konnotationen.
Marikana Massaker: Beim Marikana Massaker wurden am 16. August 2012 bei einem sechswöchigen wilden Streik im Lonmin Platin-Bergwerk bei Marikana, nahe Rustenburg im Nordwesten Südafrikas, 34 Bergarbeiter von der südafrikanischen Polizei getötet.
The Big Hole: eine große, stillgelegte Diamanten-Tagebaumine im heutigen Kimberley, Südafrika. Sie gilt als das größte von Hand gegrabene Loch der Welt und als eines der tiefsten. Das Big Hole (das ursprünglich als Kimberley-Mine bekannt war) spielte im Diamantenboom Südafrikas in den späten 1860er und 1870er Jahren eine wichtige Rolle.
„Born Frees“: die erste Generation von Südafrikaner:innen, die ihr ganzes oder den Großteil ihres Lebens in einem demokratischen Land verbracht haben
Egoli: Die Stadt Johannesburg ist auch unter ihrem isiZulu-Namen „eGoli“ bekannt, was „der Ort des Goldes“ bedeutet.
Toyi-toyi: ein Tanz des südlichen Afrikas, der bei politischen Protesten in Südafrika getanzt wird
Cubana: ein Nachtclub
ANMERKUNGEN DER AUTORIN
Von Buhle Ngaba
Wie können wir dialektische, facettenreiche Diskussionen über unsere Vergangenheit beginnen? Wie kann man die Performance als Mittel nutzen, um die vielschichtige Komplexität der Gegenwart zu beleuchten, die von unserer gemeinsamen und schmerzhaften Geschichte geprägt ist, von Kolonialismus, Imperialismus und Apartheid? Kann Restitution eine Möglichkeit sein, diese Wunden der Geschichte zu heilen? Ein Schritt, um unsere Identität wieder intakt zu setzen und zukünftige Generationen zu ermächtigen? Das sind einige der zentralen Fragen, die dazu geführt haben, dass ich wissen wollte: Was würde es bedeuten, den CullinanDiamanten in seine ursprüngliche Heimat, Südafrika, zurückzubringen? Ihn zurückbringen als ein Element unseres greifbaren Erbes; als interaktives Mitglied einer Gesellschaft, das gegen die Trends des Westen rebelliert, der die Logik der Rückkehr von Artefakten in ihre Herkunftsländer diktiert. Wer wäre sie als Figur, als Geist, als Sichtweise? Ich war begeistert von den vielfältigen Perspektiven, die sie einnehmen könnte, nach Milliarden von Jahren, während derer sie Erde und Menschheit in ihrer Entwicklung zusehen konnte.
Der Cullinan-Diamant – der später zu Phatsima wurde – bot eine wilde Suchlinse. Durch sie konnte ich aktiv ins Archiv eindringen und Geschichten von Menschen aus naiver und – ab und zu – unerwartet weiser Perspektive erkunden. Das Stück und die kritische Distanz, zu denen Phatsima anregte, brachten mich dazu, im öffentlichen Raum die Prinzipien der Clownerie anzuwenden, um Video Content und die digitale Plattform @southafricasdiamond zu schaffen, die Diskussionen mit einem globalen Publikum über alles eröffnen, von Kolonialisierung bis hin zu aktuellen Ereignissen.
Phatsimas Geschichte zu erkunden, das eröffnete Welten des Machtkampfs, der Restitution und ihrer Auswirkungen auf eine schwache Demokratie und auf den Nachhall des Kolonialismus, mit seinen tragischen Auswirkungen, die sich anhand der Geschichte von Südafrikas Bodenschätzen zurückverfolgen lassen. Ähnlich den vielen Facetten eines Diamanten lädt das Aufeinanderprallen diverser Historien in der Gegenwart dazu ein, auf das Echo der Minenarbeiter zu hören, über die Leben jener Individuen nachzudenken, die auf der Suche nach Reichtum unter fürchterlichen Bedingungen in die Tiefen der Erde geschickt wurden, während sie selbst kaum überleben konnten. In der jüngsten Vergangenheit hat dies im Jahr 2012 zum tragischen Blutvergießen in Zusammenhang mit dem Massaker von Marikana geführt. Nach wochenlangen heftigen Protesten in Form von wilden Streiks, in denen die Bergleute in der PlatinMine des Unternehmens Lonmin mehr Lohn gefordert hatten, wurden 34 Minenarbeiter von der Polizei niedergeschossen.
In dieser Produktion wandelt die Clown-Figur Phatsima auf dem schmalen Grat zwischen Fiktivem und Realität, Vergangenheit und Gegenwart, Wirklichem und Fake News, in der Hoffnung, das Publikum in ein Spiegelkabinett mitzunehmen. Eine Einladung zum Hinsehen und zum Lachen, in der Hoffnung, dass auf das Lachen Nachdenken folgt, die Anerkennung gefühlten Schmerzes. Indem sie ihre Identität und Geschichte zurückfordert, können wir vielleicht zu einem Gefühl von Leichtigkeit und Hoffnung für die Zukunft gelangen.
ANMERKUNGEN DER REGISSEURIN
Von Ilana Cilliers
Als Queen Elizabeth II starb, hörte ich das Gerücht, sie wäre mit Diamanten begraben worden. „Nicht die aus den Kronjuwelen! Nicht unsre Diamanten!“ – Das war mein erster Gedanke. Mein zweiter: „Ich bin weiß. Das sind gar nicht meine.“ Wir machten Witze darüber, dass man „unsere“ Juwelen zurückgeben sollte, stellen Sie sich vor, „wie viele Schlaglöcher man ausbessern könnte, von dem Geld, das sich mit nur einem dieser Diamanten verdienen ließe.“ Wir lachten. So machen wir das in Südafrika mit Dingen, über die zu weinen, wir uns nicht leisten können. Ganz im Ernst: Die Rückgabe der südafrikanischen Bodenschätze könnte große soziale und wirtschaftliche Auswirkungen haben.
Als europäische Südafrikanerin, deren erste Vorfahren vor 300 bis 400 Jahren nach Afrika gekommen sind, ist Kolonialismus Teil meiner Identität. Ich habe ihn immer im Hinterkopf. Und es ist kein lustiger Gedanke. Eine weiße Südafrikanerin zu sein, bedeutet jeden Tag mit den Konsequenzen des Kolonialismus zu leben, nicht als Opfer, sondern als Nachfahrin des Täters, was schnell zur Lähmung durch „weiße Schuld“ führen kann – etwas, woran ich zu unterschiedlichen Zeitpunkten mit Sicherheit in unterschiedlichen Ausprägungen gelitten habe. Südafrika ist dennoch mein Zuhause und ich kann und will mich nicht von dort lösen, egal ob schuldig oder nicht, genauso wie Südafrika nie „unkolonialisiert“ sein kann, auch wenn so viele so hart an der „Dekolonialisierung“ arbeiten. Es hat sich herausgestellt, dass die Queen tatsächlich nur mit ihrem Ehering und einem Paar Perlenohrringen begraben worden ist, aber sechs Monate später gab es trotzdem eine Petition, die forderte, dass gerade die Cullinan-Diamanten, die aus den Kronjuwelen (der ursprüngliche Diamant war in mehrere aufgespalten worden), Südafrika zurückgegeben werden sollten.
Das Argument dafür, warum das nie passiert ist, lautet, dass „die Geschichte zu kompliziert“ sei – was geschehen ist, könne nicht rückgängig gemacht werden. Buhle Ngaba ist, wie viele Afrikaner:innen, anderer Meinung.
Als Ngaba mit der verrückten Idee auf mich zukam, ich solle ihr helfen, ein Stück rund um die clownifizierte Rolle des Cullinan-Diamanten, der nach Südafrika zurückkommt, auf die Bühne zu bringen, hatte ich keine Ahnung, wie das funktionieren sollte. Das ist nun immer ein guter Grund, etwas zu machen. Ich fand die Vorstellung spannend, wie viele Themen in der bloßen Existenz dieser Figur enthalten sind: Kolonialismus, Geschichte der Bodenschätze und „Vergewaltigung Afrikas“. Exotismus, Negrophilie und „Menschenzoos“; der südafrikanische Bergbausektor und das Leben der Minenarbeiter; Apartheid, Exil, Südafrikas Demokratie und die gegenwärtige Politik; die schwarze, herrschende Klasse und der „schwarze Diamant“; Social Media, das Gericht der öffentlichen Meinung, der Aufstieg und Fall von Berühmtheiten. Stellt man eine Unschuldige, eine Clownin, ins Zentrum all dessen, kann man sich diesen schweren Themen durch Lachen nähern. So wie wir das in Südafrika machen, mit Themen, über die zu weinen, wir uns nicht leisten können.
Während Ngaba schrieb, wurde aber klar, dass es nicht beim Gelächter bleiben konnte. Nicht wenn unser Thema Diamanten sind. Der Diamant – das Härteste, Glitzerndste, das Begehrteste überhaupt; Katalysator der Kolonialisierung in Südafrika (neben Gold natürlich), am Ursprung der Apartheid, der Grund unserer multikulturellen Gesellschaft (und meiner eigenen Existenz), und das Mutter-Mineral, das die südafrikanische Bergbauindustrie ins Rollen
brachte, die bis heute hochproblematisch und Quelle einer Menge sozialen, wirtschaftlichen und physischen Leids ist.
Der Prozess, Phatsima Thee Diamond und Ngabas außergewöhnliches Talent zur Schau zu stellen, war eine Achterbahnfahrt, zwischen respektlosen Lachern und mitfühlendem, sowie persönlichem Schmerz. Phatsima ist sowohl Mineral als auch Mensch. Insofern hoffen wir,
dass das Publikum über ihre Verblendung lachen kann, ebenso wie über ihre Witzelei; sich aber auch mit ihr identifizieren und empathisch sein kann, unvollkommen (nicht wie der Diamant, für den sie steht), alleine in ihrer Vitrine, im Umgang mit der Gewalt, die ihr angetan worden ist, in Trauer über die Gewalt, die sie hervorruft, und um die Menschen, die ihr Leben verloren haben und weiterhin leiden im Namen dessen, wofür sie steht.
Buhle Ngaba ist eine mehrfach ausgezeichnete Schauspielerin, Autorin und Theateraktivistin aus Südafrika. Sie studierte Schauspiel und Performance an der Rhodes University und der University of Leeds in Großbritannien. Sie war Mitglied der Uboom! Eastern Cape Drama Company und wirkte an Produktionen beim Makhanda International Arts Festival und in ganz Südafrika mit. 2016 war Buhle Ngaba Preisträgerin des Brett Goldin Bursary und erhielt die Möglichkeit, ihre schauspielerischen Fähig- keiten in der Royal Shakespeare Company zu erweitern. Als Leiterin der Non-Profit-Organisation KaMatla und Autorin von The Girl Without A Sound setzt sich Buhle Ngaba für mehr Diversität in Kinderliteratur und die Förderung von Kunst in unterprivilegierten Communities ein. Eine weitere Initiative, die sie unterstützt, ist The New Girl Code, das sich mit realen Vorbildern für die Arbeit in Technik und Technologie an Frauen und Mädchen wendet. 2016 erhielt Buhle Ngaba einen Gauteng Youth Premiers award for excellence. Sie wurde mit zwei South African Kanna Theatre Awards geehrt, darunter „Best Upcoming Artist“ für ihr Stück Swan Song, das 2022 bei den Wiener Festwochen zu Gast war.
IMPRESSUM Eigentümer, Herausgeber und Verleger Wiener Festwochen GesmbH, Lehárgasse 11/1/6, 1060 Wien T + 43 1 589 22 0 festwochen@festwochen.at | www.festwochen.at Geschäftsführung Milo Rau, Artemis Vakianis Künstlerische Leitung (für den Inhalt verantwortlich) Milo Rau (Intendant) Textnachweis Originalbeiträge von Buhle Ngaba und Ilana Cilliers, 2024. Übersetzung Teresa Linzner Bildnachweis Cover © Tsele Nthane Herstellung Print Alliance HAV Produktions GmbH (Bad Vöslau)
Hauptsponsoren Fördergeber
Hotelpartner