DE Das Klappern von Wäscheklammern unterbricht die Heiligkeit des Balletts. Mit kräftiger Farbsymbolik und kompromissloser Entmystifizierung wird aus einer Gegenüberstellung voneuropäischem und afrikanischem Musik- und Bewegungsvokabular gegenseitige Ermächtigung. Schon2007reflektierteMamelaNyamzaihrLebenalsMutter,LesbeundKünstlerininihremvielgelobten,autobiografischenSoloHatched. Gemeinsam mit zehn Balletttänzer:innen, einer Sängerin und einem Musiker treibt sie nun mit Hatched Ensemble ihre Auseinandersetzung mit Identität und Zugehörigkeit, geschlechtlicher Binarität, Tradition und künstlerischem Ausdruck weiter voran.Frei nach Allan Kaprow („Die Grenze zwischen Kunst und Leben sollte so fließend und vielleichtundeutlich wie möglich gehalten werden.“) lädt die südafrikanische Choreografin und AktivistindasPublikumein,ZuschreibungenaufzubrechenundübereigeneZugehörigkeitennachzudenken.
EN The clatter of clothes pegs disrupts the sanctity of the ballet. Powerful colour symbolism and uncompromising demystification turns the juxtaposition of European and African vocabulary ofmusicandmovementintomutualempowerment.Alreadyin2007,MamelaNyamzareflectedonherlife as a mother, lesbian and artist in her highly praised autobiographical solo Hatched. Together with ten ballet dancers, one singer and a musician, she is now pushing her confrontation of identity and belonging, gender binarism, tradition and artistic expression further in Hatched Ensemble. LooselyinspiredbyAllanKaprow(‘Thelinebetweenartandlifeshouldbekeptasfluidandperhapsas indistinct as possible’), the South African choreographer and activist is calling on the audience to fracture ascriptions and consider their own states of belonging.
9. Juni, 19 Uhr, 10. Juni, 20 Uhr
Volkstheater
60 Min.
Publikumsgespräch
10. Juni, im Anschluss an die Vorstellung
Hinweis
Empfohlen ab 13 Jahren
Konzept, Choreografie, Regie Mamela Nyamza Licht Elena Ruiz Lencioni Kostüm Mamela Nyamza, Bhungane Mehlomakulu Technische Leitung Thabo Pule, Wilhelm Disbergen Gesang Litho Nqai Afrikanische multiinstrumentale Live-Musik Given „Azah” Mphago Tanz Kearabetswe Mogotsi, Khaya Ndlovu, Thamsanqa Tshabalala, Thimna Sitokisi, Itumeleng Chiloane, Amohelang Rooiland, Noluyanda Mqulwana, Zandile Constable, Tania Mteto, Kemelo Sehlapelo (SWING) Probenleitung Kirsty Ndawo
Produktion Mamela’s Artistic Movement Koproduktion National Arts Council of South Africa, National Arts Festival (Makhanda) Mit Unterstützung von Moving-In-To-Dance (MID)
durchgeführt vom Team der Wiener Festwochen | Freie Republik Wien
Uraufführung Juni 2023, National Arts Festival (Makhanda)
JEMAND, DER UNMÖGLICHE GESCHICHTEN IN SICH TRÄGT
Von Rucera Seethal
Wenn du jemand bist, der unmögliche Geschichten mit sich herumträgt, aber dennoch konsequent eine Haltung des Protests und der Wachsamkeit einnimmt;
Wenn du jemand bist, der sein:ihr künstlerisches Schaffen für jenseitige Kräfte öffnet, die deine Eleganz verunsichern und aus dem Gleichgewicht bringen sollen;
Was schaffst du dann auf deine anspruchsvolle und bewusste Art, die alles von dir in sich trägt und gleichzeitig alles bloßlegt?
„DasursprünglicheStückbegannseineReisemit einem Traum von Rot: dieses leuchtende Rot […] ist für mich ein Symbol für Liebe,Gefahr, aber auch für meine eigene ,blutige‘Beziehung zu den Dingen.“1
Mamela Nyamza schuf Hatched erstmals 2007 als Solowerk. Ihr damals kleiner Sohn Amkele Mandla gesellte sich mit Buntstiften und Papier zuihraufdieBühneundmaltefleißig,währendseine Mutter mit Wäscheleine und Wäscheklammern einen Spitzentanz auf der Bühnevollführte. Es handelte sich um eine lyrische,aber auch sehr direkte Aussage, die sowohl auf denanschaulichenInhaltdesStückshinweistalsauch die fordernde Verquickung von Privatem und Beruflichem für eine junge Schwarze FrauinSüdafrikaunterstreicht.
„Ich komme aus dem Ballett, das mich als Schwarze Tänzerin nicht akzeptiert. In der Disziplin des Tanzes werden Tänzerinnen und Tänzer an sich immer heruntergemacht, und dagegen kämpfte ich während meiner gesamten Karriere.“2
Mamelas lebenslange Auseinandersetzung mit ihremKörperalsTänzerinundihremberuflichenSelbstbild war vom Kampf um Mittel, AnerkennungundWürdegeprägt.ImSüdafrikader Apartheid, wo Schwarze zu Bürger:innendritter Klasse degradiert wurden, machten struktureller Rassismus und alltägliche rassistische Ungerechtigkeiten ihr Streben nach Spitzenleistungen in der Disziplin des Tanzes zu einer mühsamen Aufgabe. Diese Hindernisseexistierten nicht nur auf der Ebene der Mittel,der Zugänglichkeit und der Netzwerke, sondern auch in den kulturell-psychologischen Assoziationen im Zusammenhang mit Ballett und dem Tanz im Allgemeinen als einer institutionalisierten Kulturform. Die Vorgabe beim BalletttrainingjungerMenschenistinBezugaufFormund Linie auf kanonische weiße Körperausgerichtet: die Perfektion eines fest gebundenen Haarknotens, der nur so aussehen kann, wenn das Haar glatt ist und auf der Kopfhaut anliegt, wo man es dann zu einer kleinen Kugel auf dem Kopf dreht. Die Körperstruktur vermittelt den flüchtigen Eindruck von schlanken,straffen Muskeln.
In Südafrika ist Mamela eine viel beachtete,zeitgenössische Größe, die den Tanz so umgestaltet, dass er zu den Formen, Muskeln und Narben des Schwarzen südafrikanischenKörpers und seinen Erfahrungen passt. Sie war mit Hass gegen Frauen und queere Körper konfrontiert, sowohl in ihrem öffentlichen Leben als auch innerhalb ihrer Familie. Sie erhob ihre Stimme gegen Ungerechtigkeit, erteilte neuen Generationen Ballettunterricht, entwickelt lokale Tanzprogramme und machte internationale Tourneen.
1, 2 Interview mit Mamela Nyamza durch Alx Phillips, geposted am 7. Juni 2016 https://lookingfordrama.com/2016/06/3608/
Im Jahr 2018 kehrte sie zu Hatched zurück undbrachte dasselbe Rot, dieselbe Körperlichkeit und fesselnde Präsenz ein. Amkele, der zu diesem Zeitpunkt 18 Jahre alt war, kommt zu einem späteren Zeitpunkt des Stücks zu ihr aufdieBühne.ErwarmittlerweileeinjungerManngeworden, der sich dem Publikum zuwendet und rappt, während seine Mutter in den Hintergrund tritt, aber nicht verschwindet. Durch die UmgestaltungdesSolostückszueinemEnsemblewerkweitet Mamela das Thema der Nachkommenschaft, die sie bereits in der ersten Version des Stücks untersuchte, vom persönlichen auf denberuflichenBereichaus.
„Ich habe sie handverlesen, weil ich beobachtete, dass diese Schwarzen Balletttänzer:innen oft nicht weitermachen.
[…] Eine von ihnen kam aus der gleichen Schule, aus der ich in Kapstadt in Gugulethu stamme. Ich hatte sie unterrichtet, als sie sechs Jahre alt war und ich damals als stellvertretenden Tanzdirektorin in dieser Schule arbeitete.
[…] Es störte mich als Künstlerin und ichfragtemich,warumdieseBallettkünstler:innenimmer aufgeben?
[…] Also dachte ich: Oh Gott, ich muss das Stück machen. Ich muss es machen. Diesehier, die ich 2006 unterrichtete, […] ist jetzt
Teil von Hatched [Ensemble], und für michist das wie ein Kreislauf im Leben, der sich schließt.
Es war wirklich eine große Freude zu sehen,wie sie wieder lebendig wurde, auf andere Art und Weise.
[…] Ich hatte 4 Wochen mit ihnen.
Mehr Zeit hatte ich nicht, ich legte gleich los. Einige von ihnen hatten ihre Spitzenschuhe weggeworfen.
‚Oh nein, sisMamela, ich habe keine Spitzenschuhe mehr‘.
Da dachte ich mir: ,Oh mein Gott, muss ich jetzt Spitzenschuhe für diese Kids kaufen,oder was?!‘
Spitzenschuhe sind sehr teuer.
[…] Ich hatte das Gefühl, dass sie ganzversessen darauf waren, mit mir zu arbeiten, wissen Sie.
Manchmal hört man: ,Ich will nicht mit Mamela arbeiten, weil man bei ihr nicht viel tanzt‘.
Aber sie waren versessen darauf, die Arbeit zu machen, die ich mache.
Und das war spannend.“ 3
Bei der Premiere von Hatched Ensemble in Makhanda, Südafrika, knisterte die Luft vorlauter Spannung. Viele Wäscheklammern gleiten, klappern und klicken auf Tüllschichtenals Gegenstimme zum klassischen Klavier. Körper queren die Bühne und durchbrechenGeschlechterzuordnungen. Festigkeit und Gelassenheit. Als die Tänzer:innen sich aufrichteten, pfiffen die Zuschauer:innen hier und da,aberamEndeerhobensiesichvonihrenStühlenund tanzten. Bei der Aufführung im MarketTheatre in Johannesburg sangen die Leute sogar zur Musik. Körper reagieren aufeinander, drücken das Gefühl der Befreiung und des Vergnügens in Klang aus. Sie halten die Tänzer:innen, und diese halten den Raum.
„Ich sagte zu ihnen: Ihr seid nicht verantwortlich dafür, dass sie mögen oderlieben, was ihr tut.
Übertreibt nicht bei dem, was ihr tut.
Beruhigt euch, übertreibt die Performance nicht, tanzt nichtfürmich.
Ihr wisst es schon.
Seid ihr selbst.
Wenn du in dich hineingehst, ist alles möglich.“ 4
3, 4 Interview mit Mamela Nyamza durch Sarah Israel und Rucera Seethal im Rahmen des Listening Bodies Podcast Projekts, Refuge Worldwide, durchgeführt am 23. November 2023. Derzeit noch nicht veröffentlicht.
Mamela Nyamza ist eine südafrikanische Choreografin und Kunstaktivistin. Sie studierte Ballett ander Pretoria Dance Technikon und wurde zur Gastdozentin an der Alvin Ailey New York School of Dance ernannt. Hier begann sie, sich mit dem klassischen Genre des Tanzes auseinanderzusetzen, indem sie die traditionellen Methoden und die Logik des Balletts und des zeitgenössischen Tanzes dekonstruierte. Zu ihren Werken gehören das innovative Tanzprojekt The Dying Swan (1998), Hatched (2007), das den Kampf gegen das Patriarchat adressiert, und The Meal(2012),einProjektgegen elitäres Ballett. Diese Arbeiten sind autobiografische Werke, die klassische Normen niedertrampeln. Ihre späteren Arbeiten Black Privilege, Pest Control und Grounded thematisieren die nichtanerkanntenHeldinnendesafrikanischenUnabhängigkeitskampfes,Justizirrtümerinnerhalbvon Kunstinstitutionen oder zeitgenössische Narrative hinter politischen Diskursen des Dialogs und der Performance zwischen Künstler:innen und Publikum. Ihr neuestes Werk Hatched Ensemble (2023)wirdvonzehnTänzer:innenmitklassischerBallettausbildungaufgeführt,zusätzlichaufderBühneistaußerdemeineOpernsängerinundeinInstrumentalisttraditionellerafrikanischerMusik.Mamela Nyamza hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten, darunter den IMBOKODO Award fürTANZ (2016). Außerdem wurde sie als Legacy Artist für das JOMBA! Tanzfestival für das Jahr2023 ausgewählt und wurde eingeladen, an der Tanzzukunft II: Fokus Pina Bausch 2017 in Deutschland teilzunehmen, wo die Tänzerin Pina Bausch gefeiert wurde. Für die Spielzeiten 2020und 2022 arbeitete Nyamza am Theatre du Châtelet (Paris) als Choreografin für die afrikanischeProduktion Le Vol du Boli unter der Regie des malischen Filmregisseurs Abderrahmane Sissako.
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The English version of the evening programme can be found here! festwochen.at/en/hatched-ensemble