DIE DRITTE KRAUS LECTURE IN KÜRZE:
„Karl Kraus liest Offenbach. Statt der Orchestermusik lässt er einen Klavierauszug spielen, statt eines Korps Akteure stellt er sich selber im Straßenanzug. Was er so grenzenlos entblößt von allen Mitteln darstellt, ist unvergesslich.“ (Walter Benjamin). Krausʼ Offenbachiaden waren beim Publikum besonders beliebt. Der Pianist Sir Henry und der Schauspieler und Sänger Boris Eder treten also mit Blaubart an: Einem Großaufmarsch korrupter Politiker, peinlicher Machos und (letztlich gutgelaunten) „Mordopfern“ …
9. Juni, 11 Uhr
Odeon
Konzept, Dramaturgie Claus Philipp Mit Boris Eder und Sir Henry durchgeführt vom Team Wiener Festwochen | Freie Republik Wien
In Kooperation mit Wienbibliothek im Rathaus
150. GEBURTSTAG VON KARL KRAUS IN FÜNF „VORLESUNGEN“
„Nichts trostloser als seine Adepten, nichts gottverlassener als seine Gegner“, schrieb Walter Benjamin über den 1874 geborenen, oft zitierten, gleichzeitig viel zu wenig gelesenen Sprach- und Kulturkritiker, Satiriker und begnadeten Performer Karl Kraus. In der Freien Republik Wien gestalten verschiedene Künstler:innen und Intellektuelle eine Reihe von „Vorlesungen“, wie sie Kraus selbst zwischen 1910 und 1936 mit großem Erfolg u. a. im Wiener Konzerthaus, in Arbeiter:innenheimen und Theatern gehalten hat. An fünf Wochenenden wird Kraus weniger nachgebetet, als vielmehr sein „Theater der Dichtung“ entstaubt: Sprachanalysen und Textsprengungen, die er als Herausgeber der Fackel in Die letzten Tage der Menschheit, der Dritten Walpurgisnacht und hunderten Prozessen gegen korrupte Politiker und Medienmacher vorexerzierte, werden neu interpretiert.
26. Mai / 2. / 9. / 16. / 23. Juni, 11 Uhr
Odeon
Lecture am 23. Juni im Haus der Republik
Deutsch
60 bis 90 Min.
Konzept, Dramaturgie Claus Philipp
Kraus-Lesung I Cornelius Obonya, Florian Scheuba
Kraus-Lesung II Petra Slottova, Samouil Stoyanov
Kraus-Lesung IV Clemens J.Setz, Robert Stadlober, Barbara Zeman und Onkel Gusta Kraus-Lesung V Thea Ehre, Nick Romeo Reimann, Olivia Axel Scheucher durchgeführt vom Team Wiener Festwochen | Freie Republik Wien
In Kooperation mit Wienbibliothek im Rathaus
„BLAUBART“, BISSIG
1866 uraufgeführt, gilt Barbe-Bleue, wie das Werk im französischen Original heißt, als eine der bissigsten Operetten schlechthin. Es wimmelt hier nur so von korrupten Politikern, zwielichtigen Wissenschaftlern, düpierten Machos und gutgelaunten Mordopfern. Offenbach stellt in seiner Bearbeitung den Stoff der Blaubart-Sage auf den Kopf: Ritter Blaubart belastet sich bei Offenbach nicht persönlich mit der Beseitigung seiner Frauen, sondern überlässt dies seinem Alchemisten Popolani, der sie vergiften soll. Dieser aber hat ein weiches Herz und lässt sämtliche Ex-Frauen Blaubarts am Leben. Als die bäuerliche Boulotte als Ehefrau Nummer sechs dazu stößt, kommt es zur Revolution: unter Boulottes Führung marschieren die Frauen aus ihrer Gruft und konfrontieren Blaubart mit seinen Missetaten. – aus einer Programmankündigung der Bregenzer Festspiele
KRAUS INTERPRETIERT OFFENBACH: „…
WIE EIN MÄRCHENERZÄHLER“
Kraus’ Fähigkeit, verschiedene Figuren mittels Sprechweise, Stimmlage, Gesichtsausdruck, Gebärden der Hände, Arme, der Haltung des Oberkörpers zu charakterisieren, war außerordentlich. Er konnte es sich leisten, die Figuren bloß bei ihrem ersten Auftreten zu nennen, er gab ihnen mit seinen Mitteln un verwechselbare Gestalt. Wie ein Märchenerzähler geleitete er seine Hörer durch das Geschehen mittels der Ankündigungen, wo die Szene spielt, ob die Sonne scheint oder der Donner kracht.
– Georg Knepler, einer der Klavierbegleiter von Karl Kraus
KRAUS, DER „SPRACHBEHERRSCHER“
„Nicht, daß hier einer der beseeltesten Sprecher die Stimme, einer der unermüdlichsten Geber die Hand, einer der mutigsten Menschenbändiger den Blick an Offenbache Werk gewandt hat, bringt das Wunder dieses Abends zustande, sondern der Mann, der sein Lebenswerk, die ganze Folge der „Fackel“, Pandämonium und Paradies, deren Völker sich paaren, in den Reigen der Offenbachschen Gestalten entbietet, der beglückt sich auftut und um sie schließt. Was auf dem Podium vorgeht, steht also völlig jenseits der verbohrten Alternative von produktiver und reproduktiver Leistung, die nur die mehr oder weniger eitlen oder servilen Manöver der Virtuosen betrifft. Kraus ist als Vortragender so wenig „Virtuose“ wie als Autor ein „Sprachbeherrscher“. Er bleibt in beiden Fällen identisch: der Interpret, der den Schurken ertappt, indem er zwischen zwei roten Umschlagseiten – wie oft nicht wortlos – ihn nachdruckt, der ein Werk wie Offenbachs feenhaft ausstattet, indem er es spricht. Aber er spricht ja in Wahrheit nicht Offenbach; er spricht aus ihm heraus. Und dann und wann nur fällt ein atemraubender, halb stumpfer, halb glänzender Kupplerblick in die Masse vor ihm, lädt sie zu der ver wünschten Hochzeit mit den Larven, in denen sie sich selber nicht erkennt, und nimmt auch hier sich das schreckliche Vorrecht des Dämons: Zweideutigkeit. Offenbachs Werk erlebt eine Todeskrisis. Es zieht sich zusammen, entledigt sich alles Überflüssigen, geht durch den gefährlichen Raum dieses Daseins hindurch, und kommt, gerettet, wirklicher als vordem, wieder zum Vorschein. Denn wo diese wetterwendische Stimme laut wird, fahren die Blitze der Lichtreklamen und der Donner der Métro durch das Paris der Omnibusse und Gasflammen. Und das Werk gibt ihm dies alles zurück.“ – Walter Benjamin
zu Vorlesungen
Aushang von Karl Kraus –Theater der Dichtung. WBR, HS, H.I.N. 240475 bis H.I.N. 240481DREI FRAGEN AN BORIS EDER UND SIR HENRY
WARUM OFFENBACHIADEN?
Weil Offenbach mit seinem Schmackes ein urkomischer Spaß ist, vor allem dann, wenn man sich bei der Übersetzungswahl immer auf das französische Original bezieht und Wiederholungszeichen nicht anhimmelt. Und: Weil die sprachliche Anarchie in Kraus’ Fassungen unglaublich erheitert.
WARUM KRAUS?
Darum! Viele in der Germanosphäre nehmen Offenbach viel zu ernst. Kraus sagte: Seht euch diese frivolen Operetten an und wie sie die Grenzen des politischen Kommentars ausreizen. Und das funktioniert auch heute noch.
WARUM „BLAUBART“?
Weil diese Operette als Verwandte von Monty Python wieder ins Repertoire zurückgehört. Der bis ins Absurde kindliche Herzog Blaubart, Vorläufer von Alfred Jarrys „König Ubu“, sei Offenbachs Satire auf Napoleon III. gewesen, so Siegfried Kracauer. Die Figur diente Kraus also auch dazu, das Aufstreben einer anderen Despotie darzustellen – ca. 1929, und vielleicht dient sie dazu heute auch uns.
IMPRESSUM Eigentümer, Herausgeber und Verleger Wiener Festwochen GesmbH, Lehárgasse 11/1/6, 1060 Wien T + 43 1 589 22 0 festwochen@festwochen.at | www.festwochen.at Geschäftsführung Milo Rau, Artemis Vakianis Künstlerische Leitung (für den Inhalt verantwortlich) Milo Rau (Intendant) Bildnachweis Cover @ Videostandbild Die Raben. Die letzten Tage der Menschheit via Wienbibliothek im Rathaus; S. 5. Aushang zu Vorlesungen von Karl Kraus – Theater der Dichtung. Auszug aus: Katharina Prager (2018). Geist versus Zeitgeist: Karl Kraus in der Ersten Republik Wien, S.157. Eine Publikation der Wienbibliothek im im Rathaus, Metroverlag Wien. Herstellung Print Alliance HAV Produktions GmbH (Bad Vöslau)
Boris Eder, gebürtig in Wien, debütierte 1991 als Stani in Hugo von Hofmannsthals Schwierigem bei den Salzburger Festspielen und am Wiener Burgtheater. Bis 2006 war er Ensemblemitglied am Theater in der Josefstadt und nebenbei in Film und Fernsehproduktionen zu sehen. Zu seinen wichtigsten Theaterrollen gehören u. a. W. A. Mozart in P. Shaffers Amadeus, Puck in W. Shakespeares Sommernachtstraum, Cecily in O. Wildes Bunbury oder Christian Maske in C. Sternheims Der Snob. Er arbeitete mit namhaften Regisseuren wie Jürgen Flimm, Otto Schenk, Harry Kupfer, Günter Krämer, Hans Gratzer, Jèrome Savary, Franz Winter und Hans Hollmann. Daneben absolvierte er eine klassische Gesangsausbildung. Boris Eder ist Mitbegründer des klassischen Wiener Schrammelquartetts Neue Wiener Concert–Schrammeln und begann 1996 erstmals mit einem musikalischen Soloprogramm, das Hermann Leopoldi gewidmet war, auf sich aufmerksam zu machen. Diesem Programm folgten noch zwei weitere Hermann Leopoldi gewidmete Abende: Schnucki, ach Schnucki! (gemeinsam mit Alexandra Haring) und Schöne Isabelle, darf ich’s wagen … (mit Caroline Vasicek). Im Musiktheater war er u. a. im Musical Mozart! zu sehen, verkörperte den Conférencier in Cabaret (Oper Graz) und den Dr. Siedler im Weißen Rössl (Kammerspiele Wien, Theater am Kurfürstendamm Berlin). Von 2012/13 bis 2020/21 war Boris Eder fixes Ensemblemitglied an der Wiener Volksoper und dort in so unterschiedlichen Rollen wie dem Pepi in Wiener Blut, dem Zirkusdirektor Springer in Smetanas Verkaufter Braut, dem Leopold im Weißen Rössl oder dem Frosch in der Fledermaus zu erleben.
Sir Henry (aka John Henry Nijenhuis) erhielt ab dem Alter von sieben Jahren eine klassische Klavierausbildung. Sein späteres Studium am King’s College in Halifax in Kanada umfasste abendländische Philosophie, Geschichte, Theologie, elektroakustische Musik, Kunst und Informatik. Nachdem er 1996 auf Einladung der Akademie der Künste nach Berlin kam, um auf dem SonambienteFestival aufzutreten, blieb er und wurde als musikalischer Leiter und Komponist an die Volksbühne am Rosa-LuxemburgPlatz berufen. Hier entwickelt er mit Frank Castorf, Dimiter Gotscheff und weiteren Regisseur:innen die musikalische Stränge ihrer Inszenierungen, ist am Aufstieg der Volksbühne zu einem der meist beachtesten Theater weltweit beteiligt. Seit 2017 entwickelte Sir Henry mit Alexander Kluge mehrere Arbeiten, so am Museum Folkwang Essen, im Belvedere 21 Wien, auf der 57. Biennale Venedig und im Haus der Kulturen der Welt. Unter der Direktion von Chis Dercon kreierte Nijenhuis die interaktive Musik- und CGI-Installation Begone Dull Care mit Bewegungssensoren im Grünen Salon der Volksbühne, 2019 ein Bewegungssensor-Zelt für Bauhaus: ein rettendes Requiem von Schorsch Kamerun. Er lebt in Berlin.
Hauptsponsoren Fördergeber
Gastronomiepartner