DE Peter Brook, einer der prägendsten Regisseure des 20. und 21. Jahrhunderts, gilt als „ Zauberdoktor des Theaters“, dessen Kunst es ist, sich auf das Wesentliche zu besinnen. Im Sommer 2022 verstarb er kurz nach der Premiere von Tempest Project, das in Zusammenarbeit mit seiner langjährigen Mitarbeiterin Marie-Hélène Estienne entstanden war. Die Inszenierung ist Ergebnis einer lebenslangen Recherche zu Shakespeares Der Sturm und ist Abbild von Brooks Theaterkunst: Im Spiel von Sprache und Schatten entfaltet sich im leeren Raum die Fantasie. Das letzte Wort des Stücks ist „frei“ – wahrscheinlich das letzte Wort, das Shakespeare schrieb. Tempest Project ist eine metaphysische Reflexion über unterschiedliche Vorstellungen von Freiheit, bei der bissiger Humor auf ausgefeilte Poesie trifft. Gemeinsam mit den sechs Schauspieler:innen ist das Publikum eingeladen, ein letztes Brook’sches Rendezvous mit der Theatergeschichte zu zelebrieren.
EN Peter Brook, one of the most influential directors of the twentieth and twenty-first centuries, is considered a ‘magic doctor of the theatre’ whose trick is to focus on the essential. He died in the summer of 2022 shortly after the premiere of Tempest Project, which had been created together with his long-time collaborator Marie-Hélène Estienne. The production is the result of a lifetime of research on Shakespeare’s The Tempest and it reflects Brook’s art: language and shadows interact to unfold imagination in the empty space. The play ends on the final word ‘free’ – probably the last word Shakespeare ever wrote. Tempest Project is a metaphysical reflection about different notions of freedom, where biting humour meets refined poetry. The audience is invited to join the seven actors in celebrating a final encounter with theatre traditions à la Brook.
The English version of the evening programme can be found here! festwochen.at/en/tempest-project
Peter W. Marx, taz
12. / 13. / 14. / 16. Juni, 20 Uhr, 15. Juni, 17 und 20 Uhr
Jugendstiltheater am Steinhof
Französisch
deutsche und englische Übertitel
85 Min.
Publikumsgespräch
13. Juni, im Anschluss an die Vorstellung
Hinweise
Ab 14 Jahren
Bei der deutschen Übertitelung wird aufgrund begrenzter Zeichenanzahl und hoher Lesegeschwindigkeit auf das Gendern verzichtet. Wir bitten um Verständnis.
Regie, Adaption Peter Brook, Marie-Hélène Estienne Text William Shakespeare Mit Sylvain Levitte, Paula Luna, Fabio Maniglio, Luca Maniglio, Marilù Marini, Ery Nzaramba Licht Philippe Vialatte Musik Harué
Momoyama Übersetzung Übertitel Yvonne Griesel (Deutsch), Théâtre des Bouffes du Nord (Englisch)
Übertitel Isolde Schmitt
Produktion Centre International de Création Théâtrales / Théâtre des Bouffes du Nord (Paris) Koproduktion Théâtre Gérard Philipe – Centre dramatique national de Saint-Denis, Scène nationale Carré-Colonnes Bordeaux Métropole, Le Théâtre de Saint-Quentin-en-Yvelines – Scène Nationale, Le Carreau – Scène nationale de Forbach et de l’Est mosellan, Teatro Stabile del Veneto (Padua) Mit Unterstützung von Cercle des partenaires des Bouffes du Nord
durchgeführt vom Team Wiener Festwochen | Freie Republik Wien
Uraufführung Juni 2022, Printemps des Comédiens (Montpellier)
von Peter Brook
Als ich mich vor langer Zeit in Stratford zum ersten Mal mit dem Werk Der Sturm befasste, war das Ergebnis alles andere als zufriedenstellend. Ich hatte das Gefühl, als ob mir das Stück zwischen den Fingern zerrinnen würde. Die Schwierigkeit bestand darin, die übernatürliche Welt des Stücks überzeugend darzustellen. Ich versuchte, alle Effekte zu nutzen, die das Theater bietet, aber ich spürte instinktiv, dass ich auf dem Holzweg war.
Später, im Jahr 1968, beschloss ich in Paris, mich dem Thema erneut zu nähern, und zwar mit Schauspieler:innen, die aus vielen verschiedenen Teilen der Welt kamen. Ich fand es spannend, einige Szenen aus dem Stück als Grundlage zu nehmen und zu sehen, wie wir es gemeinsam wiederentdecken könnten. Das Ergebnis übertraf alle Erwartungen.
Im elisabethanischen England war die Verbindung zur Natur noch nicht abgerissen. Heidnische Glaubenssysteme waren noch nicht vollkommen verschwunden, und Wunder waren noch durchaus Teil der damaligen Erfahrungswelt.
Heutzutage verfügen westliche Schauspieler:innen über alle notwendigen Fähigkeiten, um in Shakespeares Stücken alles, was mit Wut, politischer Gewalt, Sexualität und Innenschau zu tun
hat, auszuloten. Aber es ist fast unmöglich für sie, eine Verbindung zur unsichtbaren Welt herzustellen. In den Kulturen, die wir gerne als „traditionell“ bezeichnen, sind Bilder von Gottheiten, Zauberern und Hexen eine ganz natürliche Gegebenheit. Eine Figur zu spielen, die nicht real ist, ist für westliche Schauspieler:innen ein echter akrobatischer Akt. Für Schauspieler:innen, die in einer Welt voller Zeremonien und Rituale aufgewachsen sind, ist der Weg zur Welt des Unsichtbaren oft ein ganz direkter und natürlicher.
Der Sturm ist ein Rätsel. Es ist eine Fabel, in der wir nichts wörtlich nehmen dürfen, denn wenn wir an der Oberfläche des Stücks bleiben, entgeht uns seine innere Qualität.
Sowohl für die Schauspieler:innen als auch für das Publikum ist es ein Stück, das sich selbst im Akt des Spielens offenbart. Es ist wie Musik.
Es gibt ein Wort, das sich wie ein roter Faden durch das Stück zieht – das Wort frei. Wie immer bei Shakespeare ist die Bedeutung nie genau festgelegt, sondern wird immer nur angedeutet, wie in einer Echokammer. Jedes Echo verstärkt und nährt den Klang dieses Wortes.
Caliban will seine Freiheit. Ariel will seine Freiheit, aber es ist nicht dieselbe Freiheit. Für Prospero ist Freiheit undefinierbar. Sie ist
Wie immer bei Shakespeare ist die Bedeutung nie genau festgelegt, sondern wird immer nur angedeutet, wie in einer Echokammer. Jedes Echo verstärkt und nährt den Klang dieses Wortes.
das, wonach er das ganze Stück hindurch sucht. Der junge Prospero war, als er sich in seine Bücher vertiefte und nach dem Okkulten suchte, ein Gefangener seiner Träume. Man könnte meinen, dass er auf der Insel seine Freiheit erlangt hätte, weil er alle magischen Kräfte erwarb, die ein Mensch nur erlangen kann. Aber ein Zauberer spielt mit Kräften, die nicht der Menschheit gehören. Es steht einem Menschen nicht zu, die Sonne zu Mittag zu verdunkeln oder die Toten aus ihren Gräbern zu holen.
Zu Beginn des Stücks setzt er all seine Kräfte ein, um einen Sturm zu erzeugen, der so stark ist, dass er es schafft, das Schiff mit seinem Bruder, der ihm sein Reich gestohlen hatte, in seine Gewalt zu bringen. Der Rachedurst zerfrisst ihn von innen her, was uns zeigt, dass er seine eigene Natur, seinen eigenen Sturm, noch nicht meistern kann.
In der Mitte des Stücks sieht er sich unerwarteter Weise mit dem Ende seines Exils konfrontiert. Er hätte sich im Traum nicht gedacht, dass zwei Trunkenbolde und ein Sklave sein eigenes Leben in Gefahr bringen könnten. Mit List und Humor schafft er es, zu entkommen, aber gleichzeitig begreift er, dass er seine Magie, das, was er seine „Kunst“ nennt, aufgeben und vor allem für immer auf Rache verzichten muss.
Er öffnet sich, er begreift, dass er seine Freiheit nicht allein finden kann, er kann nicht mehr auf seiner Insel bleiben, er muss sie seinem Sklaven Caliban zurückgeben, dem sie gehört. Er muss seinen treuen Geist Ariel in die Freiheit entlassen, seinem Bruder verzeihen, seine geliebte Tochter Miranda ziehen und sie seinen Neffen Ferdinand heiraten lassen, und nun wünscht auch er sich seine eigene Freiheit – aber von wem?
Von uns allen.