AP 2024: Tempest Project

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DE Peter Brook, einer der prägendsten Regisseure des 20. und 21. Jahrhunderts, gilt als „ Zauberdoktor des Theaters“, dessen Kunst es ist, sich auf das Wesentliche zu besinnen. Im Sommer 2022 verstarb er kurz nach der Premiere von Tempest Project, das in Zusammenarbeit mit seiner langjährigen Mitarbeiterin Marie-Hélène Estienne entstanden war. Die Inszenierung ist Ergebnis einer lebenslangen Recherche zu Shakespeares Der Sturm und ist Abbild von Brooks Theaterkunst: Im Spiel von Sprache und Schatten entfaltet sich im leeren Raum die Fantasie. Das letzte Wort des Stücks ist „frei“ – wahrscheinlich das letzte Wort, das Shakespeare schrieb. Tempest Project ist eine metaphysische Reflexion über unterschiedliche Vorstellungen von Freiheit, bei der bissiger Humor auf ausgefeilte Poesie trifft. Gemeinsam mit den sechs Schauspieler:innen ist das Publikum eingeladen, ein letztes Brook’sches Rendezvous mit der Theatergeschichte zu zelebrieren.

EN Peter Brook, one of the most influential directors of the twentieth and twenty-first centuries, is considered a ‘magic doctor of the theatre’ whose trick is to focus on the essential. He died in the summer of 2022 shortly after the premiere of Tempest Project, which had been created together with his long-time collaborator Marie-Hélène Estienne. The production is the result of a lifetime of research on Shakespeare’s The Tempest and it reflects Brook’s art: language and shadows interact to unfold imagination in the empty space. The play ends on the final word ‘free’ – probably the last word Shakespeare ever wrote. Tempest Project is a metaphysical reflection about different notions of freedom, where biting humour meets refined poetry. The audience is invited to join the seven actors in celebrating a final encounter with theatre traditions à la Brook.

The English version of the evening programme can be found here! festwochen.at/en/tempest-project

Peter W. Marx, taz

12. / 13. / 14. / 16. Juni, 20 Uhr, 15. Juni, 17 und 20 Uhr

Jugendstiltheater am Steinhof

Französisch

deutsche und englische Übertitel

85 Min.

Publikumsgespräch

13. Juni, im Anschluss an die Vorstellung

Hinweise

Ab 14 Jahren

Bei der deutschen Übertitelung wird aufgrund begrenzter Zeichenanzahl und hoher Lesegeschwindigkeit auf das Gendern verzichtet. Wir bitten um Verständnis.

Regie, Adaption Peter Brook, Marie-Hélène Estienne Text William Shakespeare Mit Sylvain Levitte, Paula Luna, Fabio Maniglio, Luca Maniglio, Marilù Marini, Ery Nzaramba Licht Philippe Vialatte Musik Harué

Momoyama Übersetzung Übertitel Yvonne Griesel (Deutsch), Théâtre des Bouffes du Nord (Englisch)

Übertitel Isolde Schmitt

Produktion Centre International de Création Théâtrales / Théâtre des Bouffes du Nord (Paris) Koproduktion Théâtre Gérard Philipe – Centre dramatique national de Saint-Denis, Scène nationale Carré-Colonnes Bordeaux Métropole, Le Théâtre de Saint-Quentin-en-Yvelines – Scène Nationale, Le Carreau – Scène nationale de Forbach et de l’Est mosellan, Teatro Stabile del Veneto (Padua) Mit Unterstützung von Cercle des partenaires des Bouffes du Nord

durchgeführt vom Team Wiener Festwochen | Freie Republik Wien

Uraufführung Juni 2022, Printemps des Comédiens (Montpellier)

von Peter Brook

Als ich mich vor langer Zeit in Stratford zum ersten Mal mit dem Werk Der Sturm befasste, war das Ergebnis alles andere als zufriedenstellend. Ich hatte das Gefühl, als ob mir das Stück zwischen den Fingern zerrinnen würde. Die Schwierigkeit bestand darin, die übernatürliche Welt des Stücks überzeugend darzustellen. Ich versuchte, alle Effekte zu nutzen, die das Theater bietet, aber ich spürte instinktiv, dass ich auf dem Holzweg war.

Später, im Jahr 1968, beschloss ich in Paris, mich dem Thema erneut zu nähern, und zwar mit Schauspieler:innen, die aus vielen verschiedenen Teilen der Welt kamen. Ich fand es spannend, einige Szenen aus dem Stück als Grundlage zu nehmen und zu sehen, wie wir es gemeinsam wiederentdecken könnten. Das Ergebnis übertraf alle Erwartungen.

Im elisabethanischen England war die Verbindung zur Natur noch nicht abgerissen. Heidnische Glaubenssysteme waren noch nicht vollkommen verschwunden, und Wunder waren noch durchaus Teil der damaligen Erfahrungswelt.

Heutzutage verfügen westliche Schauspieler:innen über alle notwendigen Fähigkeiten, um in Shakespeares Stücken alles, was mit Wut, politischer Gewalt, Sexualität und Innenschau zu tun

hat, auszuloten. Aber es ist fast unmöglich für sie, eine Verbindung zur unsichtbaren Welt herzustellen. In den Kulturen, die wir gerne als „traditionell“ bezeichnen, sind Bilder von Gottheiten, Zauberern und Hexen eine ganz natürliche Gegebenheit. Eine Figur zu spielen, die nicht real ist, ist für westliche Schauspieler:innen ein echter akrobatischer Akt. Für Schauspieler:innen, die in einer Welt voller Zeremonien und Rituale aufgewachsen sind, ist der Weg zur Welt des Unsichtbaren oft ein ganz direkter und natürlicher.

Der Sturm ist ein Rätsel. Es ist eine Fabel, in der wir nichts wörtlich nehmen dürfen, denn wenn wir an der Oberfläche des Stücks bleiben, entgeht uns seine innere Qualität.

Sowohl für die Schauspieler:innen als auch für das Publikum ist es ein Stück, das sich selbst im Akt des Spielens offenbart. Es ist wie Musik.

Es gibt ein Wort, das sich wie ein roter Faden durch das Stück zieht – das Wort frei. Wie immer bei Shakespeare ist die Bedeutung nie genau festgelegt, sondern wird immer nur angedeutet, wie in einer Echokammer. Jedes Echo verstärkt und nährt den Klang dieses Wortes.

Caliban will seine Freiheit. Ariel will seine Freiheit, aber es ist nicht dieselbe Freiheit. Für Prospero ist Freiheit undefinierbar. Sie ist

VORBEMERKUNG

Wie immer bei Shakespeare ist die Bedeutung nie genau festgelegt, sondern wird immer nur angedeutet, wie in einer Echokammer. Jedes Echo verstärkt und nährt den Klang dieses Wortes.

das, wonach er das ganze Stück hindurch sucht. Der junge Prospero war, als er sich in seine Bücher vertiefte und nach dem Okkulten suchte, ein Gefangener seiner Träume. Man könnte meinen, dass er auf der Insel seine Freiheit erlangt hätte, weil er alle magischen Kräfte erwarb, die ein Mensch nur erlangen kann. Aber ein Zauberer spielt mit Kräften, die nicht der Menschheit gehören. Es steht einem Menschen nicht zu, die Sonne zu Mittag zu verdunkeln oder die Toten aus ihren Gräbern zu holen.

Zu Beginn des Stücks setzt er all seine Kräfte ein, um einen Sturm zu erzeugen, der so stark ist, dass er es schafft, das Schiff mit seinem Bruder, der ihm sein Reich gestohlen hatte, in seine Gewalt zu bringen. Der Rachedurst zerfrisst ihn von innen her, was uns zeigt, dass er seine eigene Natur, seinen eigenen Sturm, noch nicht meistern kann.

In der Mitte des Stücks sieht er sich unerwarteter Weise mit dem Ende seines Exils konfrontiert. Er hätte sich im Traum nicht gedacht, dass zwei Trunkenbolde und ein Sklave sein eigenes Leben in Gefahr bringen könnten. Mit List und Humor schafft er es, zu entkommen, aber gleichzeitig begreift er, dass er seine Magie, das, was er seine „Kunst“ nennt, aufgeben und vor allem für immer auf Rache verzichten muss.

Er öffnet sich, er begreift, dass er seine Freiheit nicht allein finden kann, er kann nicht mehr auf seiner Insel bleiben, er muss sie seinem Sklaven Caliban zurückgeben, dem sie gehört. Er muss seinen treuen Geist Ariel in die Freiheit entlassen, seinem Bruder verzeihen, seine geliebte Tochter Miranda ziehen und sie seinen Neffen Ferdinand heiraten lassen, und nun wünscht auch er sich seine eigene Freiheit – aber von wem?

Von uns allen.

DER STURM VON WILLIAM SHAKESPEARE

Der Sturm spielt auf einer kleinen Insel. Alles beginnt mit eben diesem großen Sturm, der von Prospero, dem Herrscher der Insel heraufbeschworen wird, um das Schiff, das in der Nähe segelt, auf der Insel stranden zu lassen. Denn auf dem Schiff befindet sich Alonso, König von Neapel, sein Sohn Ferdinand und Antonio, Prosperos Bruder. Einst war Prospero Herzog von Mailand, doch abgelenkt von seiner Leidenschaft für die Zauberei, bemerkt er die Intrige seines Bruders nicht, der ihn stürzte, um die alleinige Macht über Mailand zu erlangen. Prospero und seine Tochter Miranda werden vom königlichen Hof vertrieben und landen auf jener kleinen Insel. Seit zwölf Jahren lebt Prospero nun auf dieser Insel, die er sich zu eigen gemacht hat, mit seiner Tochter und seinen Untergebenen Caliban, Sohn einer Hexe der Insel und dem Luftgeist Ariel. Das sich nähernde Schiff mit seinem Bruder an Bord, bietet Prospero die Gelegenheit zur Rache. Auf der Insel gestrandet, werden die Schiffbrüchigen voneinander getrennt. Auf der fremden Insel irren sie nun umher, werden von Geistern und seltsamen Wesen verfolgt und glauben einander tot. Ferdinand, Sohn des Königs von Neapel, trifft dabei auf Prosperos Tochter Miranda und beide verlieben sich ineinander.

In der feierlichen Verlobung wittern beide Brüder, Prospero und auch Antonio, die Gelegenheit für einen Komplott. Antonio soll Prospero töten, um die Herrschaft über die Insel zu sichern und Prospero wiederum wittert den Moment der Rache an seinem Bruder.

Schlussendlich aber versöhnen sich die beiden Brüder. Prospero entlässt den Luftgeist Ariel als auch Caliban aus ihrer Dienerschaft und schwört der Zauberei ab, um als Herzog nach Mailand zurückkehren. Ob sein Bruder, wie abgemacht, ihn auf dem Schiff mit zurücknimmt, lässt

Shakespeare offen. In seinem Schlussmonolog fleht Prospero das Publikum an, ihn wenigstens durch Klatschen zu erlösen.

Der Text von Der Sturm (engl.: The Tempest) ist vermutlich im Laufe des Jahres 1611 fertiggestellt worden. Im Gegensatz zu anderen Stücken von Shakespeare kann hier keine eindeutige historische oder literarische Vorlage genannt werden. Shakespeare nimmt jedoch Bezug auf typische Komödienelemente oder Romanzenmotive, wie den Schiffbruch, Zauberei, Liebesvereinigung und Versöhnung. Der Sturm ist Shakespeares letztes und poetischstes Werk und bietet Raum für unzählige Interpretationen und Deutungen. Mit seinem Alter Ego Prospero nimmt Shakespeare gleichsam Abschied von der Bühne. Letztlich ist und bleibt dieses Shakespeare-Drama ein offener, widersprüchlicher Text, der keine eindeutige Zuschreibung zulässt, mehr noch, sich dieser vielleicht sogar bewusst entzieht und eben darin die Magie für das Publikum liegt. Der Sturm erzählt vom Spannungsverhältnis zwischen Natur und Zivilisation, von den Grundlagen gerechter Herrschaft, von Selbstdisziplin und Sublimation, Verzicht und Konkurrenz. Und von Freiheit, wie Brook und Estienne in Tempest Project herausarbeiten.

Peter Brook (geb. 1925 in London, verst. 2022 in Paris) und seine Arbeiten zeichnen sich durch herausragende Leistungen auf mehreren Gebieten – Theater, Oper, Kino und Literatur –aus. Er inszenierte sein erstes Theaterstück im Jahr 1943 und führte bis 2022 bei mehr als 70 Produktionen in London, Paris und New York Regie. Seine Inszenierung des Sommernachtstraums (1970), eine seiner zahlreichen Produktionen in Kooperation mit der Royal Shakespeare Company, gilt bis heute als epochal. Ebenso seine Oper Salome (1949) an der Covent Garden Opera oder seine Verfilmung seines gleichnamigen neunstündigen Stücks Le Mahabharata (1985, Film 1989). Im Jahr 1971 begründete er zusammen mit Micheline Rozan das Centre International de Créations Théâtrales (CICT) in Paris, das seit 1974 fix am Théâtre des Bouffes du Nord beheimatet ist. An dieser Bühne inszenierte er über 20 Stücke, unter anderem Tempest Project (2022).

Peter Brooks Autobiografie Threads of Time erschien 1998; seine Schriften, z. B. das Standardwerk The Empty Space (1968) wurden in mehr als 15 Sprachen übersetzt. Peter Brooks Kunst zeichnet sich durch die Vereinfachung und das Experiment aus. Er reduzierte Szenenbilder und Requisiten, um auf das für ihn Wesentliche zu konzentrieren: die Schauspieler:innen und Texte. „Ein Mann geht durch den Raum, während ihm ein anderer zusieht; das ist alles, was zur Theaterhandlung notwendig ist“ (Peter Brook, The Empty Space, 1986).

Marie-Hélène Estienne ist eine französische Dramatikerin, Drehbuchautorin und u. a. bekannt für ihre intensive und langjährige Zusammenarbeit mit Peter Brook. Diese begann am Centre International de Créations Théâtrales (CICT), an dem Estienne zunächst als PR-Mitarbeiterin tätig war. In den folgenden Jahren entwickelten, schrieben und inszenierten sie gemeinsam diverse Stücke, Texte und Filmdrehbücher. Sie wirkte u. a. als Brooks Assistentin bei Le Mahabharata mit, an dessen Filmdrehbuch sie außerdem mitarbeitete und führte gemeinsam mit ihm Regie bei Fragments, fünf kurzen Stücken von Samuel Beckett. Außerdem war sie an den Inszenierung The Tempest, Impressions de Pelléas, Woza Albert! und La tragédie d’Hamlet beteiligt. Zusammen mit Brook verfasste sie L’homme qui und Je suis un phénomène für das Théâtre des Bouffes du Nord. Darüber hinaus war sie an der Entwicklung von The Suit (2012), The Valley of Astonishment (2013) und The Prisoner (2018) beteiligt. Zuletzt arbeitete sie mit Brook an Text und Dramaturgie für Why (2019) und Tempest Project (2022). Estienne erarbeitete außerdem die französische Fassung von Can Thembas Drama Le costume und von Sizwe Bansi est mort der Autoren Athol Fugard, John Kani und Winston Ntshona. 2003 erstellte sie die französische und englische Fassung von Le grand inquisiteur / The Grand Inquisitor nach Dostojewskis Die Brüder Karamasow. 2005 verfasste sie das Stück Tierno Bokar; 2009 folgte die englische Fassung von Amadou Hampaté Bâs 11 et 12.

IMPRESSUM Eigentümer, Herausgeber und Verleger Wiener Festwochen GesmbH, Lehárgasse 11/1/6, 1060 Wien T + 43 1 589 22 0 festwochen@festwochen.at | www.festwochen.at Geschäftsführung Milo Rau, Artemis Vakianis Künstlerische Leitung (für den Inhalt verantwortlich) Milo Rau (Intendant) Textnachweis Vorbemerkung zum Stück von Peter Brook, 2020; Der Sturm von William Shakespeare: Beitrag von Carmen Hornbostel (Dramaturgie Wiener Festwochen | Freie Republik Wien) Übersetzung Isolde Schmitt Bildnachweis Cover © Marie Clauzade Herstellung Print Alliance HAV Produktions GmbH (Bad Vöslau)

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