Zwei Frauen begegnen sich im Gefängnis: Fatma, eine Frauenrechtlerin und Aktivistin, die wegen Mordes verurteilt wurde, und Sama, eine junge, ehrgeizige Dokumentarfilmerin, die Fatmas Geschichte erzählen will. Sie teilen ihre Erinnerungen, Erfahrungen und tiefsten Geheimnisse. Was bedeutet es, frei zu sein? Ist es möglich, im Gefängnis freier zu sein als außerhalb? Woman at Point Zero ist eine packende Multimedia-Oper über Ausbeutung, Emanzipation und die unendliche Suche nach Freiheit, inspiriert von dem gleichnamigen Roman der ägyptischen Schriftstellerin und Feministin Nawal El Saadawi. In der Kombination aus Poesie, dokumentarischen Zeugnissen und genreübergreifender Musik, in der westliche und östliche Musiktraditionen miteinander verschmelzen, wird die Oper zu einer kraftvollen Stimme des Feminismus – komponiert von Bushra El-Turk, Mitglied der Akademie Zweite Moderne.
22. / 23. Mai, 20 Uhr
Jugendstiltheater am Steinhof
Englisch und Ägyptisches Arabisch deutsche und englische Übertitel
55 Min.
Regie Laila Soliman Musik Bushra El-Turk Libretto Stacy Hardy Musikalische Leitung Kanako Abe Bühne Bissane Al Charif Video Bissane Al Charif, Julia König Korrepetition, Live-Samples Samir Bendimered Kostüm Eli Verkeyn Licht Loes Schakenbos Audiofragmente Dokumentarfilm Aida Elkashef Mit Dima Orsho, Carla Nahadi Babelegoto Ensemble Zar mit Hyelim Kim (Daegum), Miloš Milivojević (Akkordeon), Raphaela Danksagmüller (Blockflöten, Fujara, Duduk, Kaval), Chatori Shimizu (Shō), Faraz Eshghi Sahraei (Kamantsche), Ta maki Sugimoto (Cello) Inspizienz Patrick Vanderhaegen Videotechnik Johannes Ringoot, Brecht Debackere Lichttechnik Jamy Hollebeke Ton Carlo Thompson, Guillaume Desmet Produktionsleitung Liesbet Termont Mitarbeit Regie Nadia Amin Regieassistenz (Tour) Barbara T’Jonck
Kompositionsassistenz Furkan Keçeli Tonschnitt Nancy Mounir Assistenz musikalische Leitung Ivan Cheng
Übersetzung Übertitel Maitane von der Becke Übertitel Lisbet Termont
Produktion LOD muziektheater (Gent) Koproduktion All Arias (Brügge, Gent, Antwerpen), Royal Opera House (London), Shubbak Festival (London), Festival d’Aix-en-Provence, Britten Pears Arts (Snape Maltings), Grand Théâtre de la Ville de Luxembourg Mit Unterstützung von enoa (European Network of Opera Academies), PRS Foundation, FEDORA, AFAC (The Arab Fund for Art and Culture), British Council, Tax Shelter Programm der Belgischen Regierung
durchgeführt vom Team Wiener Festwochen | Freie Republik Wien
Uraufführung Juli 2022, Festival d’Aix-en-Provence
The English version of the evening programme can be found here! festwochen.at/en/woman-at-point-zero
„ICH SPUCKE AUF DICH“
Komponistin Bushra El-Turk und Librettistin Stacy Hardy im Gespräch mit Jana Beckmann
JANA BECKMANN Woman at Point Zero basiert auf dem gleichnamigen Roman (Frauen am Nullpunkt. Ich spucke auf dich) der ägyptischen Schriftstellerin und Feministin Nawal El Saadawi. Wie frei ist der Umgang mit dem Original? Inwiefern ist es eine Oper über viele Frauen, die ein ähnliches Schicksal teilen?
STACY HARDY Diese Arbeit steht im direkten Dialog mit dem Text von Nawal El Saadawi, ergänzt durch weitere Frauenstimmen. Das Stück ist in der Welt des Originalromans angesiedelt, den Handlungsstrang haben wir in einen zeitgenössischen Kontext verlegt. Darüber hinaus erweitern wir einen Charakter des Romans: Die Autorin, Nawal El Saadawi, erscheint nahezu selbst als Figur. Diese Rolle wurde radikal ergänzt, um Stimmen aus verschiedenen Generationen zusammenzubringen. Der Grundgedanke war, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, was Feminismus für Frauen aus verschiedenen Generationen bedeutet, die in einer patriarchalen Gesellschaft leben. Somit lag es für uns nahe, auch zusätzliche dokumentarische Stimmen von Frauen zu integrieren, die dasselbe Schicksal erfahren. So arbeiteten wir mit Tonaufnahmen und Interviews, die wir mit Frauen aus dem heutigen Ägypten geführt hatten, die aus ähnlichen Gründen angeklagt wurden. Es war uns wichtig, diese Stimmen direkt erfahrbar zu machen, als eine Art Hörstück. Sie machen einen großen Teil des Librettos aus. Auch die Stimmen der Hauptfiguren tragen Spuren dieser Geschichten und der Gefühle, die sie vermitteln.
J.B. Du bist eine Vermittlerin zwischen Kulturen. Wie spiegelt sich das in der Klangwelt von Woman at Point Zero wider?
BUSHRA EL-TURK Eine schöne Frage. Die Musik für kreative Musiker:innen aus verschiedenen Musiktraditionen – u. a. der japanischen, koreanischen, persischen, armenischen – zu komponieren, erzeugt nicht nur ein einzigartiges klangliches Spektrum, sondern erlaubt mir auch, die Notation mit der Improvisation zu vermischen. Man hört keinen Unterschied zwischen dem, was komponiert und dem, was improvisiert ist –die Sängerinnen und Musiker:innen bestimmen mit, was zwischen den Noten geschieht. Letzten Endes gebe ich den Sängerinnen und Musiker:innen durch die Musik, aber auch durch die Geschichte „eine Stimme“. Ich gebe die Strukturen und Harmonien vor, die kulturell mit den idiomatischen Strukturen und der Improvisationstradition, aus der die Musik stammt, aufeinanderprallen können. Interessant ist, dass sie als Rebell:innen ihrer eigenen Musiktraditionen auch mir begegnen wollen, was wichtig ist, wenn man zwischen Kulturen vermittelt. Auch von den Musiker:innen sollte der Wunsch ausgehen, Grenzen zu überschreiten.
J.B. In Woman at Point Zero geht es um verschiedene Arten des Verlusts. Wie übersetzt du die Sprachlosigkeit in Musik?
B.E.T. Indem auf den Verlust Stille einkehrt, damit wir gemeinsam in den Zwischenräumen der Musik nachdenken können. Musikalisch gesehen habe ich den verschiedenen Aspekten des Verlusts Motive zugewiesen, die in der Oper in Zyklen auftreten – Verlust der Unschuld, der Freude und Jugend, Verlust der Lust, Verlust der Träume und des Glaubens, Verlust von Vertrauen und Freundschaft.
J.B. Warum ist es dir wichtig, Stoffe auszuwählen, die sich mit gesellschaftlicher Verantwortung auseinandersetzen?
B.E.T. Zum Teil bin ich, oder wichtiger noch, sind wir, das Kreativteam, immer auf der Suche nach dem Raum, in dem wir unsere Lebensrealitäten in den Machtstrukturen unserer eigenen Gesellschaften abbilden können – manchmal in der westlichen Welt, aber meistens in unserer Herkunftsgesellschaft. Außerdem liegt etwas Kraftvolles und Bewegendes darin, die Wirklichkeit auf der Bühne widerzuspiegeln, wenn die Darsteller:innen über die Themen singen / sprechen, für die unser Publikum keine Worte hat. Die Erfahrung, ein Stück live zu erleben, bleibt in unserem Bewusstsein eingebettet, weil wir eine Beziehung zu den Menschen auf der Bühne beobachten oder aufbauen, möglicherweise mit ihrer Geschichte mitfühlen, mehr noch, uns in sie hineinversetzen. Obwohl die Geschichte in den 70er Jahren geschrieben wurde, sind die Themen auch heute noch relevant.
IMPRESSUM Eigentümer, Herausgeber und Verleger Wiener Festwochen GesmbH, Lehárgasse 11/1/6, 1060 Wien T + 43 1 589 22 0 festwochen@festwochen.at | www.festwochen.at Geschäftsführung Milo Rau, Artemis Vakianis Künstlerische Leitung (für den Inhalt verantwortlich) Milo Rau (Intendant) Textnachweis Das Interview wurde am 5.Mai 2024 von Jana Beckmann (Dramaturgie Wiener Festwochen | Freie Republik Wien) geführt. Übersetzung Maitane von der Becke Bildnachweis Cover © Kurt Van der Elst Herstellung Print Alliance HAV Produktions GmbH (Bad Vöslau)
Kanako Abe wurde in Osaka geboren und lebt in Den Haag (Niederlande). Sie ist Dirigentin, Pianistin und Komponistin, die als Spezialistin für zeitgenössisches Repertoire hochgeschätzt wird. Seit ihrem Debüt als Dirigentin im Jahr 2003 wird sie regelmäßig eingeladen, zeitgenössische Werke zu dirigieren, die u. a. vom Ensemble L’Itinéraire, dem Ensemble Zellig, dem Smash Ensemble (Spanien), dem Festival Octobre en Normandie sowie dem Festival Biennale di Venezia aufgeführt werden. In den letzten Jahren präsentierte sie ihre Werke in Frankreich, Ägypten, Italien, Spanien, Korea, Rumänien, Indonesien und Japan. Seit 2013 ist Kanako Abe Präsidentin der französisch-japanischen Vereinigung für zeitgenössische Musik.
Laila Soliman, 1981 geboren, ist eine freischaffende ägyptische Theaterregisseurin und Dramatikerin, die in Kairo lebt und arbeitet. Sie studierte an der American University in Kairo und erhielt ihren Master of Arts in Theater an Dasarts (AHK) in Amsterdam. Ihre Arbeiten entspringen dem Interesse am Wandel des gegenwärtigen soziopolitischen Klimas und dessen Einfluss auf Individuen, Beziehungen und Machtstrukturen. Sie stützt sich auf kollektive Erinnerungen und persönliche Geschichten als Mittel zur Überbrückung der Kluft zwischen den offiziellen Versionen der Ereignisse und den intimen, individuellen Erfahrungen. Ihre Arbeiten wurden unter anderem in Ägypten, Tunesien, Libanon, Syrien und in Europa gezeigt. Zu ihren wichtigsten Projekten gehören The Retreating World (2004), Ghorba, images of Alienation (2006), Egyptian Products (2009), Spring Awakening in the Tuktuk (2010), Lessons in Revolting (2011), Here, There & Everywhere (2013), Hawa ELhorreya und The National
Museum of the State Security System (2015). Zu ihren neueren Arbeiten zählen Museum of Lungs (2018) und My Body Belongs To Me (2019).
Bushra El-Turk ist eine britisch-libanesische Komponistin, die über 60 Werke für Konzertbühnen, Theater, Film, TV und Live Art Performances komponiert hat. In ihren transkulturellen Projekten verschmelzen westliche und östliche Musiktraditionen nahtlos und die Grenzen zwischen traditioneller Aufführungspraxis, Improvisation und zeitgenössischen Klängen verschwinden. Bushra El-Turks Arbeiten wurden vom London Symphony Orchestra, dem BBC Proms und BBC Symphony Orchestra und renommierten Ensembles aus ganz Europa aufgeführt, unter anderen auf Bühnen wie dem Royal Opera House, dem Lincoln Center, Théâtre du Châtelet Paris und dem Festival d‘Aix-enProvence. Ihre Oper Woman at Point Zero wurde 2020 mit dem Fedora Prize for Opera Innovation ausgezeichnet und gewann 2023 die Music Theatre Now Competition.
Ensemble Zar besteht aus bis zu 14 der besten Musiker:innen Großbritanniens und ist ein dynamisches, genreübergreifendes Ensemble, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, das künstlerische Temperament des Nahen Ostens in seiner ursprünglichen Form auszudrücken und dabei mit neuen Klängen zu experimentieren. Die Musiker:innen des Ensembles sind sowohl in östlichen als auch in westlichen Klangsprachen bewandert. Sie sind in der Aufführung komplexer zeitgenössischer Musik ebenso zu Hause wie als Meister:innen der Improvisation, die sich an der spontanen Natur der orientalischen Musik erfreuen.
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