trend Dokumentation zum Wirtschaftstag 1998

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Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland

Reformen für Deutschland Zunächst möchte ich ein Wort des Dankes an den CDU-Wirtschaftsrat und an den Wirtschaftstag ’98 richten für das, was Sie heute diskutiert und erarbeitet haben. Ich möchte Ihnen aber vor allem auch für das danken, was Sie in den vergangenen Jahrzehnten geleistet haben. Viele von Ihnen tragen seit Jahrzehnten Verantwortung und haben mir viel Unterstützung geschenkt. Ich darf Sie herzlich grüßen und mich für das bedanken, was Sie in diesen Jahrzehnten und vor allem auch in der jüngsten Zeit für unsere gemeinsamen Ideen geleistet haben. Der Wirtschaftsrat ist ein engagierter Mitstreiter der Politik. Er ist kein Mitstreiter, der immer pflegeleicht ist – das ist auch gar nicht notwendig, es macht vielmehr den Charme unserer Diskussionen aus. Er ist vor allem ein engagierter Streiter für die Ideen der Sozialen Marktwirtschaft. Dies ist immer noch die beste Gesellschaftsordnung, die wir in der Geschichte unseres Landes je hatten. Es gilt, sie leidenschaftlich zu verteidigen. Sie ist eine der großartigen Erfahrungen in der Geschichte Deutschlands, Europas und der Welt. Für mich ist immer wieder faszinierend festzustellen, daß ich selbst in fernen Erdteilen bei meinen Besuchen etwa bei Amtskollegen immer wieder das Bild Ludwig Erhards sehe und nicht etwa das von

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Karl Marx oder eines anderen. Ich erfahre in meinen Gesprächen immer wieder auch den hohen Respekt für die Lebensleistung, aber auch für die politische und gesellschaftliche Orientierung, die von ihm und seinen Freunden und Mitstreitern ausgegangen ist.

Ihnen, Herr Dr. Murmann, möchte ich herzlich dafür danken, was Sie persönlich geleistet haben. Zehn Jahre sind Sie jetzt im Amt als Vorsitzender des Wirtschaftsrates. Ich wünsche Ihnen noch viele gute Jahre. Sie wissen ja, über Amtszeiten kann man unterschiedlicher Meinung sein. Hat man eine lange Amtszeit hinter sich, schaut man auf diejenigen mit einer kürzeren Amtszeit. Hat man eine kürzere Amtszeit, dann schaut man auf jene mit längerer Amtszeit. Die Gefühle sind dann notwendigerweise unterschiedlich. So ist nun einmal das Wesen des Menschen. Ich will auch Ihnen, Rüdiger von Voss, ganz herzlich für die unermüdliche Arbeit danken, die Sie für den Wirtschaftsrat geleistet haben. Sie sind jetzt 15 Jahre im Amt des Bundesgeschäftsführers. Eine solche Organisation im Alltag zu prägen, oft ohne daß man es merkt, etwas dafür zu tun, daß sich etwas bewegt, unterschiedliche Meinungen zusammenzuführen, das ist eine Leistung, die ich mit größtem Respekt betrachte.

Man

sagt gerne von denen, die im Hintergrund zu den Erfolgen anderer beitragen: Das sind die Funktionäre. Aber der Begriff Funktionär kommt ja von Funktionieren. Wenn die Funktionäre nicht funktionieren, dann funktioniert auch das Ganze nicht. Deswegen habe ich immer eine große Abneigung gegen diese abwertende Haltung gehabt. Vielen Dank, Rüdiger von Voss, für das, was Sie getan haben.

Wir können es schaffen! Wir stehen an einem ganz wichtigen Zeitpunkt der politischen Entwicklung unseres Lebens. Ich bekenne gleich vorweg, daß ich kein Pessimist, sondern ein realistischer Optimist bin. Denn wer solange Parteivorsitzender der CDU ist und solange mit der CSU in einer engen familiären Verbindung lebt, der muß realistischer Optimist sein. Ich habe auch gar keinen Grund, meine Haltung zu ändern.

Der heutige Tag gibt mir die Chance, mit Ihnen gemeinsam über die Gegenwart und die Zukunft zu sprechen, auch ein wenig über die Vergangenheit. Aber machen wir uns nichts vor: Für Leistungen der Vergangenheit wird nichts bezahlt – weder bei den Wahlen noch im privaten Leben. Weil nach meinen Erfahrungen die Prinzipien des privaten Lebens auch in der Politik gelten, rate ich, uns bei dieser Wahlentscheidung nach diesen Prinzipien zu richten.

Wenn Sie in diesen Tagen aufmerksam auf das Land schauen, dann bemerken Sie eine schwan-

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kende Stimmung. Wenn ich irgendwo auftrete oder hinkomme, schauen mich viele an. Die einen tun das, weil sie – zum Beispiel am letzten Wochenende – die neuen „Ruhrfestspiele“ im Fernsehen gesehen haben. Sie stellen sich innerlich die Frage: Können die das überhaupt noch schaffen? Kann der das schaffen? Andere fragen sich mit etwas Sorge, manche auch mit Ängstlichkeit: Kann man das schaffen? Brückenschlag zwischen den Generationen Natürlich kann man das schaffen! Aber es ist jetzt an der Zeit, daß jeder im Land, der guten Willens ist, begreift, daß es im kommenden September nicht um irgendeine Show-Veranstaltung geht, sondern um die zentrale Wahlentscheidung am Ende dieses Jahrhunderts.

Diese

Wahl, die in das neue Jahrhundert hinüberführt, schlägt auch zwischen den Generationen Brücken. Die Gruppe derer, die noch Krieg und Not persönlich erfahren haben, macht noch ein Drittel aus. Zwei Drittel der heutigen Wählerinnen und Wähler sind bereits

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nach Hitler, nach dem Krieg aufgewachsen. Die Bilder von Krieg und Not nehmen langsam ab. Gott sei Dank – das ist ja auch ein Erfolg unserer gemeinsamen Politik. An der Schwelle zum 21. Jahrhundert geht es vor allem darum, den Kurs in die Zukunft zu bestimmen. Gerade die junge Generation stellt mit berechtigtem Anspruch die Frage: Wie wollt Ihr unsere Zukunft gestalten – beim Thema Rente, beim Thema Arbeit und bei vielen anderen Themen? Einmaliger Skandal im Nachkriegsdeutschland Der heutige Tag ist auch deswegen besonders geeignet, über die Zukunft zu sprechen, weil die deutsche Politik an diesem Tag eine neue, eine negative Qualität erfahren hat. Wenn ich Ihnen vor acht Jahren auf dem Wirtschaftstag gesagt hätte: Am 26. Mai 1998 werden zum erstenmal seit vielen Jahrzehnten Kommunisten und Sozialdemokraten zusammen eine Regierung bilden, dann hätten wir das gemeinsam für unmöglich gehalten.

Deswegen

hat der heutige Tag eine neue Qualität in die deutsche Politik gebracht. Die Sozialdemokraten haben versucht, diese Tatsache in den vergangenen Stunden fieberhaft wegzure-

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tuschieren, indem sie sich über das Thema Kernkraft ausgelassen haben. Natürlich gibt es dort Dinge, die man offen ansprechen muß. Es wird nichts vertuscht, um das klar zu sagen. Aber mit diesem Manöver soll nur von der qualitativen Veränderung der deutschen Politik abgelenkt werden.

Heute

haben sich in Magdeburg 20 PDS-Leute aus der geistigen und tatsächlichen Nachfolge der kommunistischen SED mit Sozialdemokraten zusammengetan, um eine gemeinsame Regierung auf den Weg zu bringen. Dies ist ein einmaliger Skandal im Nachkriegsdeutschland.

Es hat keinen Sinn, drumherum zu reden, ganz nach dem Motto in manchen großen Anzeigen: Seid nett zueinander. Es geht hier nicht um Nettigkeit, sondern um eine klare Kursbestimmung. Es geht nicht um persönliche Angriffe, wobei ich es schon sonderbar finde, wenn ausgerechnet ich diese Belehrung erfahre. In der Nachkriegszeit ist kein deutscher Politiker auch nur annähernd so angegriffen und angefeindet worden. Und ich soll mir dann anhören: Man darf über all diese Dinge nicht reden, weil das nicht fair ist. Wir reden darüber – Punkt für

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Punkt und Satz für Satz. Denn es geht jetzt um zwei grundverschiedene politische Richtungen, um nicht mehr und um nicht weniger. Ob Sie das Richtungswahlkampf oder Lagerwahlkampf nennen, ist mir – ehrlich gesagt – völlig egal. Die Menschen in diesem Lande müssen wissen, um was es geht. Wollen wir in Deutschland eines der wichtigsten Prinzipien der jüngsten Geschichte beibehalten, daß die Zukunft unseres Landes aus der politischen Mitte heraus gestaltet wird? Oder glauben wir, daß von den Radikalen von rechts oder links Heil kommen könnte? Zukunft liegt nur in der politischen Mitte Am Ende dieses Jahrhunderts ist es für mich völlig unverständlich, wie sich intelligente Leute noch dieser Täuschung hingeben können. Die Zukunft liegt nur in der politischen Mitte. Ich sage es noch einmal: Wir sind weder auf dem rechten noch auf dem linken Auge blind. Aber das, was jetzt geschieht, daß man das Unappetitliche auf dem äußersten rechten Flügel angreift und gleichzeitig die Wahrheit über den linken Flügel dieser Republik verschweigt, reduziert und vertuscht, ist schlicht ein Skandal. Und diesen Skandal muß jeder Wähler in Deutschland begreifen.

In Wahrheit geht es dabei um den Abmarsch in eine andere Republik. Sagen Sie den Menschen überall, wo sie mit ihnen reden, daß sie genau hinsehen sollen, daß sie noch einige Wochen und Monate Zeit haben, um zu erkennen, was auf dem Spiel steht. Lassen Sie sich nicht von irgendwelchen Täuschungsmanövern vom Weg abbringen! Große Koalition keine Alternative Jeden Tag höre ich von diesem oder jenen – auch aus dem Munde der Sozialdemokraten: Eigentlich wollen sie ja die Große Koalition. Das ist überhaupt keine Alternative. Wir brauchen keine Große Koalition, meine Damen und Herren. Wer glaubt, damit etwas Gutes zu bewirken, der täuscht sich. Was wir brauchen, ist der Mut zur Veränderung, um die Zukunft zu gestalten.

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Denken

Sie an das wichtigste Thema der großen Steuerreform. Die hätten wir längst ohne Große Koalition haben können. Denn wir waren vor weit über einem Jahr mit den wirklich interessierten und fachlich qualifizierten Sozialdemokraten bis auf wenige Zentimeter beisammen. Natürlich wußten wir, als wir das großartige Petersberger Konzept in der Hand hielten – das ich übrigens nach einer Bundestagswahl als Bundeskanzler sofort wieder vorlegen werde, und zwar ohne Wenn und Aber –, daß wir angesichts unterschiedlicher Mehr-heiten in beiden Kammern Kompromisse schließen müssen.

Das letztliche Scheitern lag nicht an mangelnder Gesprächsfähigkeit, sondern es war die ganz klare Konzeption der Führung der Sozialdemokraten: Diese Reform darf nicht kommen. Und das, obwohl unser Land dadurch schweren Schaden genommen hat, gerade auch die Arbeitslosen. Die SPD wollte mit der Blockade der Steuerreform Stillstand erzwingen, um dann über den Stillstand zu klagen: Die bringen überhaupt nichts mehr fertig. Deswegen ist es ein Ablenkungsmanöver, wenn jetzt gesagt wird, eine Große Koalition sei die Lösung. Wir wollen und wir brauchen keine Große Koalition. Zwei klare Konzeptionen stehen gegeneinander Es stehen zwei ganz klare Konzeptionen von Politik zur Wahl. Wenn die Sozialdemokraten in ihrem Programm von Innovationen sprechen, aber gleichzeitig die von uns durchgeführten Reformen und Veränderungen wieder rückgängig machen wollen, dann zeigt das für jeden deutlich, daß das Ganze nur ein Scheinmanöver ist. Man spricht von einer neuen Mitte. Lassen Sie sich nicht blenden. Die sogenannte neue Mitte ist – wenn es darauf ankommt – die Zusammenarbeit Rot-Grün und PDS.

Manche sagen: Das ist vielleicht dort in Magdeburg und den neuen Ländern so. Ich sage nur: Nehmen Sie das so, wie es die handelnden Personen gesagt haben. Noch vor wenigen Wochen, unmittelbar vor seiner Nominierung als Kanz-

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lerkandidat, hat Herr Schröder gesagt, er würde eine rot-grüne Bundesregierung auch mit einer Stimme Mehrheit im Deutschen Bundestag bilden. Wer etwas anderes glaubt, lebt auf einem anderen Stern, meine Damen und Herren. Es wird Zeit, daß dies wirklich jeder begreift.

Biedenkopf hat recht, wenn er dieser Tage sagt: „Die PDS ist der organisierte Widerstand gegen den Erfolg der deutschen Einheit.“ Das ist wahr. Das muß jedermann begreifen. Es darf niemand am Wahltag die Ausrede haben: Das habe ich nicht gewußt.

Die

Wahrheit ist, daß das, was sich heute in Magdeburg ereignet hat, der Vorbote für weitere Formen der Zusammenarbeit zwischen SPD und PDS ist. Die muß jeder erkennen. Die sozialdemokratischen Repräsentanten in anderen östlichen Bundesländern haben es klar ausgesprochen. Der Landesvorsitzende der SPD in Mecklenburg-Vorpommern hat ganz unmiß-verständlich gesagt – er hat eine deutliche Mehrheit –, daß er den gleichen Weg wie in SachsenAnhalt für richtig hält.

Überlegen

Sie einen Augenblick: Wenn dieses Szenario in den neuen Ländern Wirklichkeit würde, dann würde das eine Gleichschaltung à la Magdeburg für Schwerin und MecklenburgVorpommern, für Erfurt und Thüringen bedeuten. Bliebe noch die Bastion in Sachsen, die wir Gott sei Dank haben und halten werden. Dann gibt es noch Brandenburg. Was fällt Ihnen eigentlich zu Brandenburg ein? Dort muß die PDS den Religionsunterricht nicht mehr abschaffen, er ist dort schon abgeschafft worden.

Eine neue Spaltung des Landes Der Spitzenkandidat der SPD in Thüringen – dort ist die Wahl im nächsten Jahr, in Mecklenburg-Vorpommern am gleichen Tag wie die Bundestagswahl – hat das gleiche gesagt. Kurt

Über diesen Skandal haben Sie nur gelegentlich etwas gehört. Ich wünsche mir, daß manche Kirchenmänner, die Sonntag für Sonntag ihre Erklärungen zu allem und jedem abgeben, einmal darüber reden, was das für ein Zustand ist,

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daß im Geltungsbereich des Grundgesetzes – das eine Werteordnung ist, nicht nur in den Einzelbestimmungen, sondern auch in der Grundphilosophie – in einem deutschen Bundesland nach der deutschen Einheit der Religionsunterricht abgeschafft wird.

Persönlich bereitet mir dabei am meisten Sorge, daß dies eine neue Spaltung unseres Landes bedeutet. Wenn wir jetzt in dem einen Teil Deutschlands, nämlich in den Ländern der früheren DDR, eine solche Entwicklung nehmen, dann ist klar, daß der ungewöhnlich schwierige Prozeß der inneren Einheit der Menschen zwischen West und Ost Schaden nehmen wird. Es gehört zu meinen wichtigsten Aufgaben, dafür zu kämpfen, daß der Aufbau Ost absolute Priorität behält. Ich sage dies deshalb, weil ich täglich erlebe, daß der Elan, das Notwendige für die neuen Länder zu tun, in den alten Ländern in den letzten Jahren nicht zugenommen, sondern spürbar abgenommen hat. Unsicherheit, Instabilität und Verlust an Vertrauen Bei der Jahreshauptversammlung des VdK stieß mein leidenschaftliches Plädoyer für die Rentenentscheidungen 1990, die ich zusammen mit anderen getroffen und zu verantworten habe, auf Widerspruch. Ich hatte gesagt: „Wir Deutschen haben eine Geschichte. Wir haben gemeinsam zwei Diktaturen in diesem Jahrhundert erlebt und sind nicht ganz unschuldig daran gewesen, vor allem bei der ersten. Wir haben auch gemeinsam den Krieg verloren. Deswegen bilden wir eine Schicksalsgemeinschaft.“ Ich sagte den Zuhörern bei dieser Veranstaltung weiter, daß der Rentner in Frankfurt an der Oder aufgrund seines Lebensweges und seines Schicksals Priorität gegen-über dem haben muß, auch bei der Solidarität, der wie ich am Rhein geboren und aufgewachsen ist. Diese Aussage löste Widerspruch im Saal aus. Auch das gehört zur Realität in diesem Land.

Gerade ich habe mich leidenschaftlich dafür eingesetzt, daß wir aufeinander zugehen, daß wir, die wir im Westen aufgewachsen sind und II. Quartal ’98

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gelebt haben, nicht onkelhaft auf unsere Landsleute im Osten herabschauen, und diese ihrerseits verstehen, daß auch wir unseren Lebensweg haben. Gerade wer das will, muß leidenschaftlich dagegen kämpfen, daß jetzt die Kräfte von gestern, die sich – wie Kurt Biedenkopf gesagt hat – in der PDS wiederfinden, in dem östlichen Teil Deutschlands das Sagen haben und sich die Schwierigkeiten damit dramatisch vergrößern. Wer es bisher noch nicht begriffen hat, muß sich spätestens jetzt über die Konsequenzen im Klaren sein. Eine Entwicklung, wie sie jetzt in den neuen Ländern angesteuert wird, hat natürlich Auswirkungen in dem eben angesprochenen Sinne.

Sie hat übrigens noch eine zweite Auswirkung: Es würde sich die Frage einer Zwei-DrittelMehrheit im Bundesrat stellen. Dies würde bedeuten, daß der Bundesrat in ganz entscheidender Weise – weit mehr als das jetzt der Fall ist – blockieren kann. Wer es dann immer noch nicht erkannt hat, was auf dem Spiel steht, dem möchte ich ganz deutlich sagen: Nach dem Grundgesetz wählen Bundestag und Bundesrat jeder für sich genau die Hälfte der Mitglieder des Bundesverfassungsgerichtes. Mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit in einer der beiden Kammern können somit ganz bestimmte Personalentscheidungen getroffen werden. Ich rate manchem Leitartikler – auch solchen, die in besonders klugen Blättern schreiben: Schaut Euch genau an, was es heißt, wenn sich die Kräfteverhältnisse in unserem Land in der beschriebenen Weise verschieben würden.

Damit

wir uns nicht falsch verstehen: Hier steht keiner, der pessimistisch ist. Ich werde mit meiner ganzen Kraft dafür kämpfen, daß das alles so nicht wird. Dazu brauche ich Ihre Unterstützung. Dann werden wir es schaffen. Natürlich erleben wir auch, daß Leute in allen möglichen Funktionen uns Ratschläge geben, was man vielleicht noch versuchen sollte. Dazu gehören auch solche, die als weise gelten, es aber gar nicht zu sein brauchen. „Weise“ ist nicht automatisch ein Hinweis auf Weisheit. Denken Sie an die Straßenverkehrsordnung.

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Wenn Sie schlechte Sicht haben, müssen Sie langsam fahren – auch im Porsche. Das rate ich auch in diesem Zusammenhang.

dies so pauschal zu behaupten. Vielmehr spiegelt sich darin eine gewisse Verdrossenheit über manche Fragen auf dem Gebiet der inneren Sicherheit wider. Der Bürger erwartet als Gegenleistung für seine Steuern vom Staat zu Recht, daß dieser die innere und äußere Sicherheit garantiert.

Ich sage Ihnen all dies deswegen, weil ich möchte, daß jeder versteht, daß eine rot-grüne Bundesregierung Unsicherheit, Instabilität und vor allem den Verlust an Vertrauen in der Welt bedeuten würde. Ich weiß, daß derzeit der Normalbürger in Deutschland – ich sage dies ohne Vorwurf – nicht besonders aufmerksam verfolgt, was in der Außen- und Sicherheitspolitik geschieht. Ein Ergebnis unserer Politik ist ja, daß hier alles so geordnet ist, daß die Leute sagen: Es läuft doch alles sehr gut. Der Kandidat der SPD sagt ja auch: Das hat der Kohl ganz gut gemacht. Ich habe großen Respekt vor seiner Lebensleistung. Da bin ich ganz gerührt, wie Sie merken.

Im Bereich der inneren Sicherheit haben wir in Deutschland in der Tat Probleme. Und wir wissen – darüber ist in Birmingham auf dem Weltwirtschaftsgipfel gesprochen worden –, daß sich diese Probleme angesichts internationaler Mafiabanden, Drogen-, Waffen- und Menschenhändlerringe noch weltweit potenzieren werden. Jährlich werden in diesen Bereichen Beträge von weit über 100 Milliarden US-Dollar bewegt. Wir müssen deshalb wachsam sein. Das wollen auch die Bürger, und sie haben ein Recht drauf.

Herr

Aber sehen Sie sich an, was die SPD in den Län-

Schröder will das Thema Außen- und Sicherheitspolitik am liebsten gleich ganz im Wahlkampf ausklammern. Vor ein paar Wochen fand eine Sitzung des Fernsehrates des ZDF statt. Was hier ablief, spricht Bände. Es wurde darüber gesprochen, wie man die Diskussion der Parteien im kommenden Herbst gestalten soll, diese Fernsehrunden über Verkehrspolitik, Wirtschaftspolitik und andere Themen. Das ist alles soweit ganz in Ordnung. Dann kam den Teilnehmern der Sitzung der richtige Gedanke, daß zwei oder drei Themen ausführlicher behandelt werden sollten. Stellen Sie sich vor, was Herr Müntefering dann vorgeschlagen hat. Er sagte: Dann streichen wir doch die außenpolitischen Themen. Darin sind wir uns sowieso einig. Da merkt doch wirklich jeder, was hier abläuft. Wir müssen wachsam sein Im übrigen ist Stabilität nicht nur eine Frage der Innenpolitik. Ihr Verlust bedeutet zugleich einen Verlust an Vertrauen in der Welt. Auch deshalb müssen wir schon näher hinsehen, wenn etwa ein Teil der Wählerschaft Parteien am rechten Rand wählt. Diese Wähler sind deswegen in ihrer weit überwiegenden Mehrzahl keine alten Nazis. Es wäre einfach lächerlich,

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dern, in denen sie regiert, für die innere Sicherheit tut. Wer hat denn die Polizei alleingelassen? Wer hat denn die Sicherheitsgesetze verwässert? Wer tut denn in Diskussionen so, als seien Drogen keine Gefahr? Im übrigen: Wo gibt es eigentlich noch ein Land, in dem sich jemand um das Amt des Regierungschefs bewirbt, dessen Hauptstadt zum Synonym für Chaostage geworden ist? Daran erkennt doch jeder, worum es bei dieser Wahl geht. Entscheidende Frage: Sicherung der Zukunft Ich habe schon die Steuerpolitik angesprochen. Ich brauche Ihnen keinen Vortrag darüber zu halten, was es für unser exportorientiertes Land bedeutet, wenn wir international an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Darüber hinaus will die SPD auch noch all die Reformen und Veränderungen zurücknehmen, die wir durchgesetzt haben. Tatsache ist, daß gerade auch wegen unserer Reformen der Aufschwung inzwischen da ist. Richtig ist auch, daß wir noch viele Probleme auf dem Arbeitsmarkt haben. Aber all das, was wir bereits mühsam gewonnen haben, ginge durch eine Rücknahme unserer Maßnahme wieder verloren.

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Nehmen Sie das Beispiel des Sozialstaats. Polemisch wird behauptet, wir wollten den Sozialstaat abschaffen. Das ist reiner Unsinn. Ein Land, in dem fast jede dritte D-Mark des Bruttoinlandproduktes für den Sozialbereich ausgegeben wird, läuft doch nicht Gefahr, daß der Sozialstaat abgeschafft wird. Ein Land mit einer Ferienordnung wie Deutschland – bei vielen rund 30 Urlaubstage plus 12 Feiertage, dazu die geniale Erfindung des Brückentags –, lebt doch nicht in der Furcht, daß es zu wenig Freizeit gibt. Wir müssen endlich begreifen, daß es darum geht, die Zukunft zu sichern. Das ist doch die entscheidende Frage. Fortentwicklung der Rentenreform Niemand kann durch Parteitagsbeschlüsse letztlich verhindern, daß bei der Rente notwendige Entscheidungen getroffen werden müssen. Die Deutschen haben sich entschieden, weniger Kinder haben zu wollen. Ich habe das auch nicht zu kritisieren, ich stelle es nur fest. Aber dies hat natürlich Folgen. Wenn es weniger Kinder gibt und mehr Menschen, die älter werden –

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eine glückliche Entwicklung der modernen Medizin –, dann kann die bisherige Rechnung nicht mehr aufgehen. Früher haben wir in der Schule noch gelernt, daß wir eine Bevölkerungspyramide haben – oben wenige ganz Alte und unten stark besetzte Geburtenjahrgänge. Dies stimmt heute nicht mehr. Die Konsequenz ist, daß in den vor uns liegenden Jahren immer weniger Bürger in die Rentenkasse einzahlen und immer mehr daraus unterstützt werden müssen. Natürlich finde ich nicht gut, wenn die junge Generation bereits während der Schul- und Lehrzeit ihre späteren Rentenansprüche berechnet. Aber es ist nur legitim, daß der 20jährige einmal die Frage stellt, wie es um seine Altersversorgung steht, wenn er im Jahre 2050 70 Jahre alt sein wird. Das ist für ihn keine besonders hohe Lebenserwartung. Die durchschnittliche Lebenserwartung der Männer liegt zur Zeit bei 73 Jahren, die der Frauen bei 79 Jahren. Deswegen ist die Rentenreform notwendig gewesen und deswegen brauchen wir eine Fortentwicklung dieser Reform.

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All

dies bedeutet natürlich, daß wir Veränderungen auf uns nehmen müssen, die zunächst anstrengend sind. Ich höre von morgens bis abends Ratschläge nach dem Motto: Sag ja nicht zu viel, was sich alles verändert. Ich entgegne ihnen: Es geht nicht darum, den Leuten Honig um den Mund zu schmieren. Es geht aber auch darum, den Menschen zu sagen, was gelungen ist, daß sich diese Anstrengungen lohnen. Vieles ist gelungen. Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland – auch die Geschichte des wiedervereinten Deutschlands – ist auch in der Beurteilung der ganzen Welt eine einzige Erfolgsstory. Das sollten wir nicht herunterreden. Wir sollten dies voller Dankbarkeit auch gegenüber jener Generation sagen, die mit ihren Leistungen nach dem Krieg zu diesem Erfolg wesentlich beigetragen hat. Moralische Verantwortung unseres Volkes Die Welt verändert sich dramatisch. In wenigen Jahren werden statt sechs Milliarden acht Milliarden Menschen auf dieser Erde leben. Wir sehen jetzt schon in bestimmten Teilen dieser Erde, daß der Druck zur Emigration zunimmt und die sozialen Gegebenheiten sich mancherorts katastrophal verschlechtern. Dann wird sich zeigen, ob die großen Industrie-nationen und die reichen Länder – trotz aller Probleme gehört Deutschland zu den reichen Ländern dieser Erde – in den betroffenen Ländern zur Hilfe zur Selbsthilfe fähig sind. Wir sollten allerdings nicht dem Irrglauben verfallen, wir könnten die Probleme dieser Erde auf dem kleinen Territorium der Bundesrepublik Deutschland lösen. Das können wir nicht. Das hat überhaupt nichts mit Fremdenfeindlichkeit zu tun. Lassen Sie sich das nicht einreden.

Wir brauchen keine Nachhilfe in Sachen Ausländerfeindlichkeit. In den schwierigen Jahren nach dem entsetzlichen Geschehen in Jugoslawien waren es die Deutschen, die mehr getan haben als alle anderen in der Europäischen Union. Wir haben mehr Bosnien-Flüchtlinge aufgenommen als die gesamte Europäische Union zusammen. In einer dramatischen Diskussion in der Nacht der Verhandlungen des Amsterdamer II. Quartal ’98

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Vertrages habe ich meinen Kollegen mit Blick auf die Asylbewerber-Frage gesagt: „Ich brauche keine Nachhilfe von euch.“ Damals sind im Jahr zuvor 116.000 Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Die gesamte übrige Europäische Union hat 110.000 Flüchtlinge aufgenommen. Wir sind kein Land, daß fortdauernd das Haupt senken und sich sagen muß: Wir tun nicht das notwendige.

Die Hilfswerke in den deutschen Kirchen – Adveniat und alle anderen – leisten eine beispielhafte Arbeit. Wir Deutschen können und wir müssen anderen helfen. Das hat etwas mit der moralischen Verantwortung unseres Volkes zu tun. Wir haben in der Stunde Null nach dem Zweiten Weltkrieg die Hilfe der anderen erhalten. Der Marshall-Plan hat uns auf die Beine geholfen. Wir haben das nicht vergessen. Wir wären ein Volk ohne moralische Größe, wenn wir jetzt nicht anderen in Not helfen würden. Aber wir können die Probleme nicht hier lösen. Das muß man klar aussprechen. Das hat nichts mit Rechtsradikalismus zu tun. Diejenigen, die uns das einreden, wollen in Wirklichkeit etwas ganz anderes. Sie wollen eine andere Republik. Leistungsnachweis verlangen Lassen Sie mich einen Punkt aufgreifen, den unser Freund Murmann in seiner Rede angesprochen hat. Hier sind heute viele Leute aus der Wirtschaft anwesend. Wenn Sie Ihr Unternehmen erweitern, in neue Märkte eintreten wollen, suchen sie vielleicht einen Mann oder eine Frau, der oder die Ihnen dabei hilft. Sie werden den Bewerber dann genau prüfen. Sie werden sich hierzu natürlich Zeugnisse anschauen, aber sie werden ihn auch fragen, was er seit seiner Ausbildung bereits gelernt hat. Normalerweise bewirbt sich für eine solche Aufgabe ja nicht einer, der direkt von der Schule kommt. Sie wollen einen Leistungsnachweis haben.

Für die Politik gilt dies gleichermaßen. Ich finde es ganz fair, wenn auch der deutsche Wähler von dem Kandidaten für das Amt des Bundes-

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kanzlers einen Leistungsnachweis verlangt – nicht mehr und nicht weniger. Aufgrund dieses Leistungsnachweises kann man sich dann ein besseres Urteil bilden. Ich bin nicht dafür, daß wir dazu in die graue Vorzeit zurückgehen. Ich bin auch nicht dafür, daß man jedem Juso-Vorsitzenden vorhält, was er vor 30 Jahren für Unsinn geredet hat. Wenn ich mir vorstelle, was ich vor 30 Jahren alles gesagt habe, bin ich ganz vorsichtig. Aber man kann sich schon einen angemessenen Zeitraum vornehmen. Nato-Doppelbeschluß Dann gibt es drei Stationen unserer jüngsten Geschichte, über die man sprechen muß. Da ist einmal der Nato-Doppelbeschluß. Ich will dieses Thema jetzt nicht vertiefen. Nur soviel, damit es ganz klar ist: Wenn es den Nato-Doppelbeschluß in Deutschland nicht gegeben hätte, würde heute in diesem Land dieser Wirtschaftstag so nicht stattfinden.

Bei

einer großen Veranstaltung an einer angesehenen amerikanischen Universität – der Brandeis-Universität in Boston – habe ich den Bericht des früheren amerikanischen Außenministers von den Vorgängen des Jahres 1983 erlebt. Es waren damals Hunderttausende, die sich zusammengeschlossen hatten und bei denen die Kriegsangst umging. Man machte damals Geschäfte mit der Kriegsangst. Heute sehe ich noch viele vor mir, die nicht Agenten von drüben waren, sondern einfach nur Angst hatten, weil sie aus einer Generation kamen, für die die Erfahrung von Krieg und Luftschutzsirenen keine theoretische Erwägung war, sondern ein Stück ihres eigenen Lebens. Diese Kriegsangst erforderte dennoch, standhaft zu bleiben. Michail Gorbatschow hat nicht nur mir, sondern auch vielen anderen erzählt, daß die Russen damals fest damit gerechnet hatten, daß die Deutschen umfallen würden. Wenn die Deutschen damals diese Entscheidung nicht durchgesetzt hätten, dann wäre die Nato in eine Erosion geraten und mit der Nato die damalige Europäische Gemeinschaft – die Europäische Union gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

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Das ist die Wahrheit. Deshalb, so finde ich, ist es schon berechtigt zu fragen: Wo warst Du damals, Du warst doch schon ein erwachsener Mensch? Warum hast Du Deinen eigenen Mann, meinen Amtsvorgänger Helmut Schmidt, bei dieser Entscheidung im Stich gelassen? Weil Du offensichtlich die Zeichen der Zeit nicht erkannt hast. Wobei ich noch etwas Positives unterstelle, nämlich, daß er es nicht erkannt hat und daß es nicht einfach nur infam war. Wiedervereinigung Ich mache vielen unserer ausländischen Partner und Freunde keinen Vorwurf, daß sie die deutsche Einheit nicht mochten. Grundsätzlich waren alle dafür, aber es sollte der Generation der Urenkel vorbehalten bleiben. In dem Augenblick, als ein Frühlingssturm durch Europa und die Welt zog und das Eis aufriß, haben viele gesagt: Muß das gerade jetzt sein? Es war alles so bequem in Europa eingerichtet: Hier die eine Seite und jenseits der Mauer die andere Seite.

Natürlich gab es auch in Deutschland nicht wenige, die damals zurückschreckten. Es gab auch eine beachtliche Zahl an Leuten, die die Idee der Einheit verraten hatten. Jetzt können sie von einer Menge von Leuten in Teilen der Publizistik lesen, die ihren Haß gegen uns auch deswegen abreagieren, weil wir sie dabei erwischt haben, daß sie Verräter waren und Verräter geblieben sind. Auch das gehört zur Erfahrung. Es ist schon berechtigt, daß der Wähler die beiden Kandidaten fragt: Wo wart Ihr an diesem Tag? Für was seit Ihr eingetreten? Euro Jetzt stehen wir wieder vor so einer Wegscheide. Es geht um die Frage, ob wir das Haus Europa bauen wollen – der Euro ist dabei nur ein, aber ein ganz wichtiger Teil – oder ob wir uns zurückziehen wollen, weil es jetzt unbequem wird. Natürlich ist es unbequem. Es ist unbequem, vielen Deutschen zu sagen, daß wir in ein paar Wochen den 50. Geburtstag der DMark feiern. Jetzt schreiben mir die Menschen zu Tausenden: Du gibst diese gute D-Mark her.

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Ich habe viel Verständnis für diese Ängste. Die Geschichte der D-Mark ist auch Teil meines Lebens. Ich war 18 Jahre alt, als ich die ersten 40 D-Mark in die Hand bekam. Wie es in einem geordneten Beamtenhaushalt üblich war, habe ich 10 D-Mark behalten, den Rest habe ich abgeliefert. Das war auch richtig so. Auch jetzt geht es wieder darum, daß man einen Kompaß hat, der einem sagt, was richtig ist und was man auf sich nehmen muß. Für mich heißt das, alles zu tun, damit der Euro eine stabile Währung wird. Aber

die Frage ist doch schon berechtigt: Wo warst Du, Gerhard Schröder, als all das passierte, als beispielsweise 1989 tausende von DDRFlüchtlingen in der Prager Botschaft auf ihre Ausreiseerlaubnis warteten. Sie haben doch noch alle die Bilder in Erinnerung. Er hat damals gesagt, diese Politik sei reaktionär und hochgradig gefährlich.

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beiden Begriffen „Mut“ und „Eigenverantwortung“ haben Sie die beste Formulierung gewählt, die man finden kann.

Es geht nicht um einen blinden, törichten Mut. Es geht darum abzuwägen, welches der richtige Weg ist. Fest steht, daß eine moderne Industriegesellschaft keine glückliche Entwicklung nehmen kann, wenn wieder alte staatssozialistische Sehnsüchte geweckt werden, wonach der Staat alles und jedes regeln soll. Wir haben doch gerade erst den Bankrott des Kommunismus erlebt. Mit Ausnahme von Fidel Castro gibt es doch praktisch keinen mehr auf dieser Erde, der ihn ernsthaft vertritt. Und selbst Castro würde heute wohl für eine andere Politik stehen, wenn er noch einmal die Chance hätte, neu anzufangen.

Ich

muß sagen: Dies hat mich mehr getroffen als vieles andere, weil ich miterlebt habe, was das für die Menschen bedeutet hat. Daß Herr Schröder und Herr Lafontaine im Bundesrat als einzige gegen den Vertrag über die innerdeutsche Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion gestimmt haben, ist ein Punkt, den ich nicht bereit bin, zu vergessen.

Damit

es klar ist: Die Schlußfolgerung dieser Rückschau lautet nicht: Weil das so war, müßt ihr die Wahl verlieren. Nein, sie müssen die Wahl verlieren, und wir müssen sie gewinnen, weil sie durch nichts nachweisen können, daß sie damals den richtigen Kompaß hatten, und weil ich auch nicht erkennen kann, daß sie in der Programmatik und der Diskussion von heute – siehe Euro – den richtigen Kompaß haben. Darum geht es. Deshalb lassen Sie uns mit großer Entschiedenheit diese Auseinandersetzung angehen. Wir wollen die Soziale Marktwirtschaft Sie haben das Motto dieses Wirtschaftstages „Soziale Marktwirtschaft – mehr Mut zur Eigenverantwortung“ genannt. Ich finde, mit den

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Wir müssen jetzt das Richtige tun. Den Sozialstaat wollen wir erhalten, denn wir wollen eine Soziale Marktwirtschaft und keine Marktwirtschaft pur. Diese kann ein Graf von der FDP fordern, doch er vertritt damit nicht die Position der CDU/CSU. Wir sind die Erben Ludwig Erhards. Er hat in einer großartigen Rede in den 50er Jahren im Deutschen Bundestag sein Bild vom Unternehmer entwickelt und es in seiner schönen Fürther Sprache so formuliert: Das ist nicht der Mann, der eine dicke Zigarre raucht und in einem Sessel sitzt – ich sage es mit meinen Worten –, sondern der Verantwortung auch und nicht zuletzt für seine Mitarbeiter empfindet, weil das Soziale und die Marktwirtschaft zueinandergehören. Wir wollen keine kalte Gesellschaft und schon gar keine Ellenbogengesellschaft. Wir wollen aber auch keine Vormundschaftsgesellschaft. Beides sind Extreme, die wir ablehnen. Wir brauchen einen Interessenausgleich Soziale Marktwirtschaft heißt für mich und uns, daß wir den Sozialstaat erhalten müssen. Aber er muß schlicht bezahlbar sein. Wir sind bei den Lohnzusatzkosten in Größenordnungen geraten, die inakzeptabel sind, und zwar in zweierlei Hinsicht. Sie sind nicht nur bei den gesetzlichen, sondern auch bei den tariflichen Vereinbarungen inakzeptabel. Es gehört zu großen Unternehmertagungen, daß über die Tarife meist nicht geredet wird, sondern nur über den staatlichen Anteil. Wir haben bei den gesetzlichen Lohnzusatzkosten bereits eine Menge erreicht. Sicher nicht genug, das räume ich ein. Wichtige Entscheidungen stehen noch aus. Aber betrachten Sie die Änderungen, die bereits beschlossen sind, zum Beispiel bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.

Sie

haben sicherlich alle, wie auch ich, am 1. Mai vor zwei Jahren miterlebt, wie der Zusammenbruch des Sozialstaats ausgerufen wurde. In Wahrheit ist überhaupt nichts zusammengebrochen! Jeder weiß das! Erreicht haben wir, daß die Arbeitskosten um rund 20 Milliarden DMark zurückgegangen sind. Es ist übrigens, nebenbei bemerkt, auch der Krankenstand auf das

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niedrigste Niveau seit Jahrzehnten in Deutschland gesunken – natürlich nicht nur durch diese Änderungen bedingt, sondern auch, weil die Leute wieder ein Bewußtsein für den Schatz entwickelt haben, den man besitzt, wenn man einen Arbeitsplatz hat. Aber jetzt sagen die Sozialdemokraten: Das werden wir zurücknehmen.

Gleichzeitig

proklamieren die Sozialdemokraten eine Offensive für den Mittelstand. Ein normaler Mittelständler in Deutschland muß doch nicht recht bei Sinnen sein, wenn er sich auf dieses Glatteis begibt!

Zur Gesundheitspolitik. Daß in einem Land mit einer so dramatischen Veränderung der demographischen Daten mehr Eigenverantwortung notwendig ist, steht doch außer Frage. Wenn die Gesellschaft insgesamt älter wird, wenn der medizinische Fortschritt möglich macht, was vor 30 Jahren noch undenkbar war, daß 80oder 90jährige an ihrem Lebensabend mit einer Bypass- oder Hüftoperation geholfen werden kann, dann hat das zwangsläufig auch Konsequenzen für die Kostenentwicklung. Soziale

Marktwirtschaft, um es noch einmal klar zu sagen, kann für mich nicht bedeuten, wie es das in anderen Ländern Europas gibt, daß man entweder per Gesetz oder de facto in einem bestimmten Lebensabschnitt eben keinen Bypass mehr bekommt oder daß das die Krankenkasse nicht mehr bezahlt. Das ist nicht unsere Soziale Marktwirtschaft.

Aber

Soziale Marktwirtschaft heißt, daß der einzelne für seine Gesundheit mitverantwortlich ist und daß er auch spüren muß, daß er ein Stück Verantwortung trägt. Unsere Gesellschaft kann nicht funktionieren, wenn die Grundphilosophie lautet: Ich zahle ein, aber ich will unter allen Umständen mehr raushaben, als ich eingezahlt habe. Sie müssen nicht Mengenlehre und moderne Mathematik studiert haben, um zu erkennen, daß diese Rechnung nicht aufgehen kann. Wir brauchen einen Interessenausgleich, und es muß das Notwendige getan wer-

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den. Denn Beitragssenkungen wirken auch positiv auf den Arbeitsmarkt.

Auch

viele andere von uns eingeleitete Reformen und Veränderungen, die Sie alle kennen, zum Beispiel die Verbesserung bei Einstellungen für kleinere und mittlere Betriebe, wollen die Sozialdemokraten zurücknehmen. Wenn es um Ankündigungen geht, die Geld kosten, heißt es: Das hängt von der Kassenlage ab. All dies erinnert ein wenig an das Einsteigen in eine Straßenbahn. Auf dem Fahrschein steht Kleingedrucktes, und normalerweise liest dies kein Mensch. Doch dann sagt die Straßenbahn AG plötzlich: Du hast mit diesem Fahrschein bestimmte Bedingungen anerkannt. Machen Sie das nicht so bei der Wahl. Erkennen Sie keine Bedingungen an, die Sie nicht kennen. Wir müssen zur ökonomischen Vernunft kommen. Auch wenn es viele nicht gern hören, man muß es Ihnen trotzdem sagen.

Törichte Wahlkampfkampagnen Es ist eine erfreuliche Tatsache, daß wichtige Teile der Gewerkschaften in Tarifverhandlungen inzwischen vernünftig mit den Arbeitgebern sprechen. Man kann sagen: sehr spät, aber immerhin. Es läßt sich nicht leugnen, daß verantwortungsbewußte Verträge abgeschlossen worden sind.

Auf

der anderen Seite müssen wir aber auch feststellen, daß der DGB dann 8,5 Millionen DM für törichte Wahlkampfkampagnen ausgibt, wo er sein eigenes Haus nicht in Ordnung hat.

Im

alten Gesangbuch der katholischen Kirche gab es früher – gleichsam als Hilfestellung – eine Aufzählung der Rechte und Pflichten des Arbeitgebers, damit bei der Beichte dieser Aspekt nicht in Vergessenheit geriet. Das wurde später von der Bischofskommission gestrichen – vielleicht weil sie an die Ordinariate dachte und sich die Frage stellte, ob sie selbst alle ihre Pflichten als Arbeitgeber erfüllt. Das weiß ich nicht. Ich weiß nur eines: Der DGB sollte dies jeden Tag nachlesen, denn er ist weit davon entfernt, seine Pflichten als Arbeitgeber zu erfüllen. Solche Aufrufe wie vom Gesamtpersonalrat des Deutschen Gewerkschaftsbundes kenne ich aus keinem deutschen Betrieb, um das einmal deutlich zu sagen. Rücknahme der Reformen bedeutet Ruin Wir haben enorme Veränderungen im Bereich der Deregulierung und Privatisierung vorgenommen. Das spricht sich alles unglaublich einfach aus. Die Bahn und die Post wurden reformiert. Natürlich ist nicht alles über Nacht geschehen. Es galt, die lange Tradition von Bahn und Post zu berücksichtigen. Ich bin der letzte, der den Beamtenstatus verächtlich macht. Wer dieses letzte Jahrhundert einmal in diesen großen Betriebseinheiten nachvollzieht, der weiß, welch enorme Leistungen dort vollbracht wurden.

Die Lufthansa wurde privatisiert. Wer das miterlebt hat, weiß, wie schwierig das war. Auch auf die Privatisierung der Telekom ist hinzuweitrend

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sen. Im Telekommunikationsbereich hat wirklich nicht nur der Staat starken Einfluß gehabt. Die Interessen von vielen deutschen Unternehmen waren da auf das Engste miteinander verbunden. Das konnte nicht so weitergehen. Wir haben den Schritt zur Liberalisierung gewagt. Wir sind zuversichtlich, daß all diese Entscheidungen Enormes für die Zukunft – auch an neuen Arbeitsplätzen – mit sich bringen.

es eigentlich keine Leitartikler, die dar-über einen gescheiten Kommentar schreiben, beispielsweise in den besonders intelligenten Zeitungen? Warum gibt es niemanden, der klipp und klar schreibt: Seid Ihr eigentlich noch ganz bei Verstand? Haltet Ihr uns für verrückt? Ihr habt doch gar nichts für einen Aufschwung getan.

Oder nehmen Sie die gesetzlichen Änderungen im Energiewirtschaftsrecht. Gerade in diesem Bereich können Sie die volle Marktwirtschaft erleben. Betrachten Sie nur einmal jenes kleine Unternehmen in Essen in der Energiepolitik, das marktwirtschaftlich strukturiert und ohne Wenn und Aber mittelständisch im Denken ist. Ich könnte die Liste noch beliebig erweitern. Sie kennen das alles, zum Beispiel die Öffnung der Märkte für Strom und Gas, die wettbewerbsfähige Energiepreise ermöglicht.

Perspektiven für mehr Wachstum blockiert hat, wo es nur ging. Wenn wir jetzt in diesem Jahr ein Wachstum zwischen 2,5 und 3 Prozent erzielen und wenn ich dem japanischen Kollegen die deutschen Zahlen vorlege, dann mutet dies in diesem Zusammenhang geradezu komisch an. Übrigens fährt auch keiner mehr nach Japan. Die vielen Japan-Touristen sind plötzlich verschwunden.

Wer

den Alltag in Europa erlebt – ich denke nur daran, was so alles jeden Tag über meinen Schreibtisch geht –, der weiß, wovon er redet. Ich weiß, daß nicht alles hundertprozentig war. Aber wir haben viel auf den Weg gebracht und vieles erreicht. Da hieß es wirklich im Sinne von Max Weber „dicke Bretter bohren“. Da konnte man nicht einfach sagen: Wir machen es oder wir machen es nicht. Ich sage noch einmal: Wer diese notwendigen Reformen, die wir durchgesetzt haben, zurücknehmen will, der ruiniert die Zukunft unseres Landes. Eine Menge guter Nachrichten Gelegentlich frage ich mich bei der Betrachtung unseres eigenen politischen Lagers, ob manche dort neue Windeln brauchen, weil sie sich sonst in ihrer Ängstlichkeit nicht aus dem Saal trauen. Vergleichen Sie es damit, was die Sozialdemokraten veranstalten. Sie sagen jetzt auf ihren Plakaten: Der Aufschwung kommt. Und das angeblich aus Vorfreude, weil sie kämen. Bestimmte deutsche Druckerzeugnisse feiern das dann auch noch als intellektuelle Großtat. Irgendwann muß man sich fragen: Was ist eigentlich in unserem Lande los? Wieso gibt

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Tatsache ist doch, daß die SPD nun wirklich die

Thema Preisanstieg – auf dem Weg hierher habe ich gerade die neuesten Zahlen gelesen. Wir nehmen schon gar nicht mehr zur Kenntnis, daß wir praktisch keine Inflation mehr haben. Was ist eigentlich sozial – hohe Rentensteigerungen, die von hohen Inflationsraten aufgezehrt werden, oder ein schmaler Rentenanstieg aufgrund der Gesamtgegebenheiten und eine Inflationsrate, wie wir sie jetzt haben? Ich finde, Preisstabilität ist die beste Sozialpolitik.

Im übrigen bedeutet ein Prozent weniger Inflation rund 18 Milliarden DM mehr Kaufkraft. Sie können bei aller Veränderung feststellen, daß Geld in Deutschland in weiten Kreisen reichlich vorhanden ist. Wir haben uns daran gewöhnt, daß es, wenn am Donnerstag Feiertag ist, in der Familie heißt: „Am Mittwoch brauchen wir nicht auf die Autobahn, die ist zu.“ Daß die Angelsachsen inzwischen zu meinem Ärger ein deutsches Wort in ihren Sprachgebrauch übernommen haben – Brückentag – und sie ihren Spott über uns im Wirtschaftsteil ihrer Zeitungen ausschütten, das zeigt doch nicht, daß Deutschland die Verelendung droht.

Natürlich ist auch wahr, daß wir noch viel Not im eigenen Land haben. In bestimmten Berei-

trend


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chen herrscht wirtschaftliche, soziale und noch mehr seelische Not. Wir haben keinen Grund zur Selbstherrlichkeit. Aber wir haben auch keinen Grund, das kaputt zu reden, was wir gemeinsam geleistet haben.

Es gibt eine Menge guter Nachrichten, die ich für ganz wichtig halte. Etwa, daß wir Deutschen wieder auf Platz Eins bei den Weltmarktpatenten stehen. Wir können auch feststellen, daß Produktionen, die ins Ausland verlagert worden sind, wieder zurückkehren und daß Ausländer wieder mehr bei uns investieren. Wir brauchen Investitionen – aus ökonomischen und politischen Gründen Ich muß Ihnen ganz offen sagen: Mich ärgert es schlicht und einfach – mich ärgert nicht mehr so viel in der Politik, aber dies ärgert mich –, daß durch die Absurdität unseres Steuerrechts ausländische Investoren unser Land meiden, obwohl wir sonst greifbare Qualitäten haben.

Fast jede Woche besuchen mich Fondsmanager zum Beispiel aus den Vereinigten Staaten, die über ungeheure Anlagesummen entscheiden. Meistens nehmen diese Gespräche einen ähnlichen Verlauf. Die Amerikaner sind grundsätzlich pro Deutschland eingestellt. Sie finden die Deutschen in Ordnung. Viele Amerikaner sagen – was andere in Europa nicht gerne hören: Ihr seid die Nummer Eins. Wenn sie dann noch in die neuen Länder gehen, etwa in das ChemieDreieck, dann stehen die Chancen für Investitionen eigentlich ganz gut. Doch dann kommt die Frage: Wie sieht es denn mit den Steuern aus? In diesem Punkt stehen wir eben so da, wie wir dastehen. Wir erleben, daß die Landesregierung im österreichischen Vorarlberg Firmen aus Württemberg abwirbt. Die niederländischen Freunde, die viel von Gulden verstehen, machen hier an der Rheinschiene das gleiche.

Wir brauchen uns nicht darüber aufzuregen. Die Verantwortung liegt hierzulande. Sie hat einen bestimmten Namen. Sie zeigt sich in der Bundesratsmehrheit. Ich denke nur daran, daß im letzten Jahrzehnt ungefähr achtmal so viel trend

Dollar in Großbritannien investiert worden sind wie in Deutschland. Wenn ich die ersten Jahre weglasse – das war die Zeit der deutschen Teilung und ihren Nachwehen –, dann gilt sicherlich für die letzten fünf Jahre, daß wir hervorragende Chancen für mehr Investitionen gehabt hätten. Und wir brauchen diese Investitionen. Wir brauchen sie aus ökonomischen Gründen, und – das sage ich genauso nachdringlich – wir brauchen sie aus politischen Gründen. Ich bin als deutscher Bundeskanzler daran interessiert, daß Amerikaner bei uns investieren. Denn wenn sie bei uns investieren, dann interessieren sie sich für unser Land. Hier besteht ein ganz einfacher Zusammenhang. Natürlich ist es umgekehrt auch wichtig, daß wir dort investieren. Um die wirklichen Arbeitslosen kümmern All dies, wovon ich eben gesprochen habe, sind Voraussetzungen, um die Arbeitslosigkeit weiter abzubauen. Natürlich weiß jeder von uns, daß die Arbeitslosenzahl die tatsächliche Situation nicht korrekt wiedergibt. Einer der führenden britischen Politiker sagte mir vor wenigen Monaten: Nach britischer Erfassung habt ihr in Deutschland genau eine Million Arbeitslose weniger. Aber das darf für uns nicht zentral sein. Wir haben unsere Zahlen und unser System. Deswegen kommt es darauf an, sich um die wirklichen Arbeitslosen zu kümmern und nicht nur auf die Zahlen zu blicken.

Wir müssen jeden Arbeitslosen als Menschen sehen. Für viele von ihnen bedeutet der Verlust des Arbeitsplatzes bei aller sozialen Sicherung in unserem Land mehr als der Verlust des Arbeitsplatzes. Dahinter steht ein Stück Verlust des Selbstwertgefühls und des sozialen Umfeldes. Betrachten Sie einmal die Altersgruppe der über 50jährigen. Wenn einer aus dieser Altersgruppe arbeitslos wird, hat er kaum Chancen, wieder einen Arbeitsplatz zu finden. Wenn er 54 Jahre alt ist, dann bekommt er – was eine bittere Erfahrung ist – zu hören, er sei zu alt. Auch das ist übrigens ein Zeichen der Torheit unseres Denkens. Die Lebenserwartung der Menschen steigt, und der 54jährige ist nun zu alt, weil die ganze Werbung auf das Jung-Sein ausgerichtet II. Quartal ’98


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ist. Die sozialen Verwerfungen, die hiermit verbunden sind, dürfen uns auf gar keinen Fall kaltlassen.

Es gibt erfreuliche Nachrichten zu verzeichnen im Hinblick auf die Situation am Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosigkeit geht zurück, vor allem in den alten Bundesländern. Wir haben allerdings noch enorme Probleme in den neuen Ländern. Natürlich gehört auch ein anderes Bild zur Wirklichkeit des deutschen Arbeitsmarktes. Mich erreichen – sicherlich genauso wie Sie – immer wieder wütende Briefe, in denen es heißt: Ihr redet dauernd von Arbeitslosigkeit, aber ich bekomme niemanden. Ich spreche nicht nur von denjenigen, die Spargel stechen, sondern auch von denjenigen, gerade im Mittelstand, die zum Beispiel in ihrem Handwerksbetrieb keine Chance haben, einen konkreten Auftrag auszuführen – obwohl die Einstellungshürden gesenkt wurden –, weil sie niemanden finden. Wahr ist eben auch, daß es inzwischen zu viele Trittbrettfahrer gibt. Deswegen müssen wir alles tun, um auch hier das Notwendige auf den Weg zu bringen – Wahl hin oder her. Der von uns eingeleitete Reformkurs für mehr Wachstum und Beschäftigung muß fortgesetzt werden. Die Unternehmen, vor allem im Mittelstand, müssen noch mehr Spielräume für Investitionen haben und diese auch nutzen können. Wenn Herr Lafontaine das „Ende der Bescheidenheit“ verkündet, dann muß er sich fragen lassen, was für eine Gesellschaft er vor Augen hat. Was heißt denn „Ende der Bescheidenheit“? Wie wollen wir die Arbeitslosigkeit abbauen, wenn wir die Betriebe erneut mit Kosten belasten, die sie am Ende nicht tragen können? Die Flucht ins Ausland, mit allem, was dazugehört, ginge dann nur noch weiter. Qualifikation und Flexibilität verbessern Lassen Sie mich noch einen weiteren Punkt ganz offen ansprechen, der für mich nach einer Wiederwahl zum Bundeskanzler ganz zentral sein wird. Es geht um die Frage der fehlenden Qualifikation, vor allem im Bereich der Langzeitarbeitslosen. Wir haben weit über eine Mil-

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lion sogenannte Langzeitarbeitslose. 80 Prozent davon haben keine abgeschlossene Berufsausbildung. Bis zum Jahr 2005 wird die Zahl der Lehrstellenbewerber von in diesem Jahr 645.000 auf 700.000 ansteigen. Rund zehn Prozent der Hauptschulabgänger sind nicht in der Lage, einen normalen Lehrvertrag abzuschließen, weil ihnen grundlegende Kenntnisse fehlen. Wir geben in der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit in diesem Jahr 840 Millionen DM dafür aus, um junge Leute nachzuschulen, damit sie überhaupt eine Lehre beginnen können. Das müßte uns doch eigentlich aufrütteln.

Deswegen

sind Maßnahmen zur Verbesserung der Qualifikation und Flexibilität von Langzeitarbeitslosen, auch durch die Entwicklung neuer Berufsbilder, eine zwingende Notwendigkeit. Jürgen Rüttgers macht auf diesem Gebiet eine ganz vorzügliche Arbeit. Aber es geht zu langsam vorwärts. Damit kommen wir zu einem zentralen Thema: Wir brauchen dringend eine Schulreform in Deutschland.

Es

gibt Propheten, die sagen, daß jeder Zweite eines Geburtsjahrgangs zum Abitur oder zu einer abiturähnlichen Ausbildung kommen müsse. Das ist wider die menschliche Natur. Diese arrogante Überbetonung des rein Intellektuellen in der Begabung ist völlig inakzeptabel. Der Wert eines Menschen und seiner Persönlichkeit hängt nicht davon ab, welchen IQ er hat und ob er das Abitur besitzt. Der Wert eines Menschen hängt von vielem ab: Von seiner Herzlichkeit, von seiner Menschlichkeit, von seiner Fähigkeit, Pflichten für andere zu übernehmen. Deswegen müssen wir dafür Sorge tragen – das ist ein ganz wichtiger Punkt und meine herzliche Bitte auch an Sie im Wirtschaftsrat, weil dies eine Stimme ist, die gerade auf diesem Feld gehört wird –, daß alles getan wird, damit wir uns beim Thema Arbeit gerade auch im Interesse der nachwachsenden Generation möglichst viel einfallen lassen.

trend


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Kultur der Selbständigkeit entscheidender Schlüssel Vieles von dem, was ich gesagt habe, haben wir in unserem Zukunftsprogramm zusammengefaßt. Wolfgang Schäuble hat exzellente Arbeit geleistet. Ich kann nur dringend bitten, dieses Dokument, das gut lesbar ist, zur Hand zu nehmen und für die praktische Diskussion zu verwenden. Wir haben dabei nicht das Rad neu erfunden, sondern wir haben ganz einfach eine Bestandsaufnahme vorgenommen: Wo stehen wir heute? Was müssen wir jetzt entsprechend verändern?

Zu

dem, was wir verändern müssen, gehört zum Beispiel, daß wir staatliche Leistungen im Sozialbereich stärker daran knüpfen müssen, daß einer selbst etwas tut, daß die Bereitschaft zur Arbeit wieder gefördert wird und daß sich Arbeit wieder mehr lohnt als Nichtarbeit. Die Bedeutung dieses Themas geht weit über den materiellen Bereich hinaus.

Ich möchte das einmal an einem Beispiel aus meiner Heimat verdeutlichen. Wenn ich am Montag morgen sehr früh von zu Hause fortfahre, kann ich sehen, wie manch einer morgens

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um sechs Uhr zur BASF zur Schicht fährt. Er arbeitet und zahlt seine Steuern und Abgaben, mit allem was dazugehört. Stellen Sie sich einen Kumpel vor, mit dem er am Samstag auf den Betzenberg in Kaiserslautern fährt und der sich vor der Arbeit gedrückt hat. Er könnte Arbeit annehmen, er arbeitet aber lieber zwei Tage schwarz – das gibt es ja, das brauche ich Ihnen nicht zu erläutern. Und am Wochenende hat er dann mehr in der Tasche als derjenige, der ehrlich, redlich und anständig gearbeitet hat. Dies ist eine Entwicklung, die normale Leute nicht mehr verstehen, weil nämlich Anständigkeit bestraft wird. Kein Staat und keine Gesellschaft können auf die Dauer existieren, wo das der Fall ist.

Die

Frage der Steuerreform ist nicht von der Rentenreform zu trennen. Das eine hängt unmittelbar mit dem anderen zusammen. Denn wenn ich den Jungen sage: Du mußt Vorsorge treffen, dann muß ich ihnen durch die Steuerreform auch die Chance geben, einen Teil dessen, was sie erwirtschaften, in ihre Lebensvorsorge einzubringen. Ganzheitliches Denken ist Gott sei Dank bei klugen Pädagogen derzeit wieder „in“, nachdem es jahrelang verpöhnt war. Ganzheitliches Denken gehört auch in die Politik.

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Auch

in einem anderen zentralen Bereich ändert sich langsam – wenn auch noch viel zu langsam – das Denken. Die Frage ist doch: Woher können die benötigten Arbeitsplätze kommen? Diese Frage ist ziemlich einfach zu beantworten. Vom öffentlichen Dienst kann eine große Zahl neuer Arbeitsplätze jedenfalls nicht erwartet werden. Wer den Leuten etwas anderes einredet, belügt sie. Wir brauchen einen schlanken Staat. Wir brauchen eine öffentliche Verwaltung mit modernsten Mitteln und bester Ausbildung. Das heißt aber nicht mehr Personal – mit zwei Ausnahmen. Die eine ist der Bereich der inneren Sicherheit, weil der Bürger ein Recht darauf hat, in seinem Staat geschützt zu sein. Wir brauchen zum anderen im pädagogischen Bereich mehr Personal. Beide Bereiche ergeben aber keine großen Zahlen neuer Stellen.

Auch in Großbetrieben sieht es nicht viel besser aus. Wenn sich die Konzerne nicht in der Volksrepublik China, Indien oder anderswo etablieren, dann sind sie dort nicht konkurrenzfähig. Wir müssen aber vor Ort konkurrenzfähig sein, sonst können wir auch hierzulande nicht mehr existieren. Im

Klartext heißt das: Für neue Arbeitsplätze können wir nur auf den Mittelstand setzen. Hierfür brauchen wir die Gründung zahlreicher neuer innovativer Betriebe. Deswegen ist die Kultur der Selbständigkeit der entscheidende Schlüssel für eine gute Zukunft unseres Landes. Das ist auch eine Geldfrage, aber es ist vor allem eine Frage des Umdenkens. In unseren Schulen, in unseren Elternhäusern, überall dort müssen wir wieder sagen: Du bist einer, der kann sich das zutrauen. Du hast eine erstklassige Meisterprüfung gemacht. Mach Dich doch selbständig. Wie gehen wir mit den Jungen um? Wir müssen dafür sorgen, daß ihm das Umfeld nicht sagt: Bist Du denn verrückt? Du könntest doch in die BASF gehen und bis zu Deinem Pensionstag dort bleiben. Wenn er dann nein sagt, bekommt er in schönem deutschen Ton zu hören: Willst Du Dir wirklich 60 Stunden Arbeit

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pro Woche aufbürden? Ständig mußt Du damit rechnen, daß eine Sonderprüfung vom Finanzamt kommt. Immer wieder neu mußt Du Dich um Aufträge bemühen. Die Innung macht Dir nichts als Kummer. Und dann nichts als Ärger mit den Lehrlingen. Vieles geht in diesem Land nicht, weil alle überlegen, warum es nicht geht. Wir brauchen junge Leute, die wieder den Glauben an die Zukunft und an das Abenteuer ihres Lebens haben und die nicht schon geistige Frührentner sind. Das ist doch der entscheidende Punkt!

Deswegen – um es ganz klar zu sagen – ist das Thema Lehrstellen nicht nur eine Frage der sozialen Verpflichtung. Das ist es in hohem Maße auch. Aber ganz entscheidend ist die Frage: Wie gehen wir mit den Jungen um? Wir müssen dem Jungen im Plattenbau in Rostock oder in Ost-Berlin sagen können: Du hast eine Zukunft. Wie kann ich von ihm verlangen, daß er mit 19 Jahren seinen Wehr- oder Zivildienst leistet, wenn er mit 16 Jahren bei der Suche nach einer Lehrstelle nur verschlossene Tore vorfand? Natürlich muß er wissen, daß Lehrjahre keine Herrenjahre sind. Natürlich muß er wissen, daß wer Rechte hat, auch Pflichten hat. Auch das ist einer der Sätze, die selbstverständlich gesagt werden müssen.

Ich habe an der Brandeis-Universität in Boston mit eigenen Augen erlebt, wie 1.000 Studenten bei einer Feierstunde von ihrem Universitätspräsidenten als erstes aufgefordert wurden aufzustehen, ihre Bachelor-Kappe abzunehmen, den Eltern zuzuwinken und sich auf diese Weise einfach öffentlich bei ihren Eltern zu bedanken. Stellen Sie sich diese Zumutung einmal vor! Wir müssen wieder zur Normalität zurückfinden. Wir müssen den jungen Menschen sagen: Wer Rechte hat, der hat auch Pflichten. Wir müssen den jungen Menschen sagen, was wir alles für sie tun, daß sie aber auch alles für sich selbst tun müssen. Nicht jeder kann von uns erwarten, daß er seinen Traumberuf bekommt, aber es ist doch besser, eine gute Ausbildung zu haben und später vielleicht zu wechseln, als überhaupt keine Perspektive zu haben. trend


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Dies hängt eng zusammen mit dem, was ich im Zusammenhang mit den notwendigen Veränderungen gesagt habe. Das ist eben nicht nur eine Frage des Geldes, sondern es geht um ein Umdenken in den Köpfen. Es geht um die Bereitschaft, ganz einfach zu fragen: Was können wir uns leisten und was nicht? Was muß jetzt geschehen und was kann zurückgestellt werden? Ich bleibe dabei: Ohne Erziehung im Elternhaus, in der Schule, in der Hochschule und ohne die Anerkennung der Notwendigkeit von Leistungseliten hat unser Land keine gute Zukunft. Es

ist doch sonderbar: Bald findet die Fußballweltmeisterschaft statt. Ohne Leistungseliten im Leistungssport gibt es keinen Breitensport. Das ist ganz einfach. Wenn hunderttausende von Buben vor dem Fernseher sitzen und sagen, sie wollen genauso kicken können wie die Stars und sich im Traum vorstellen, bei einem dieser Vereine zu spielen, dann gehört das zum Leben eines Kindes und eines Jugendlichen. Dieses Kind hat dann ein Idol. Das muß auch für alle anderen Bereiche in der Gesellschaft gelten: für wissenschaftliche Leistungen, für soziale Leistungen und für Leistungen, die im Verein und im Betrieb erbracht werden. Es muß wieder selbstverständlich sein, daß wir anerkennen, daß jemand etwas leistet. Ich meine damit nicht, daß er eine Urkunde bekommt, weil er ein Jahr lang pünktlich zur Arbeit gekommen ist, sondern meine Vorstellung ist, daß man klar und deutlich sagt: Der Mann oder die Frau haben etwas geleistet. Es trägt zur Verbesserung der mentalen Situation unseres Landes bei, wenn wir das auch deutlich aussprechen. Wir haben in Europa eine gute Zukunft Unser Land befindet sich mitten im Umbruch – auch in Europa. Es ist phantastisch, daß unsere Nachbarn mit Zuversicht auf uns schauen. François Mitterand – ich wiederhole es immer wieder – sagte: „Die Deutschen haben große Probleme,“ – er meinte damit die deutsche Einheit und die wirtschaftlichen Probleme – „aber sie wären nicht die richtigen Deutschen, wenn

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sie diese Probleme nicht lösen würden, und am Ende werden sie stärker sein denn je.“

Wir bauen das Haus Europa. Es ist doch unvorstellbar, was das bedeutet. Europa ist nicht im Untergang begriffen, Europa ist voll da. In Amerika wird in den Think Tanks erkannt, daß man wieder mit den Europäern rechnen muß. Die EU trägt fast 20 Prozent zum Welteinkommen bei – das ist der gleiche Anteil wie in den USA. Gemeinsam haben wir in Europa eine gute Zukunft. Bei aller Sorge, die sonst noch bestehen mag, ist dies – zumindest für mich – eine wirklich phantastische Sache. Dazu gehört auch die Vorstellung, daß mein Enkel, wenn er in ein paar Jahren zum ersten Mal einkaufen geht, überall in Europa in der gleichen Währung bezahlen kann. In einigen Wochen, wenn die Ferien beginnen, gehen hunderttausende von jungen Leuten zum Bahnhof, lösen in Interrail-Ticket und reisen dann vier Wochen lang sehr preiswert quer durch Europa – ohne Passport und ohne Grenzdokumente. Auch dieses Beispiel zeigt: Wir haben keinen Grund zu resignieren. Das ist eine phantastische Leistung, die auch die Generation vor uns – Adenauer, Erhard, de Gasperi, Schuman, de Gaulle – mit erbracht hat. Darauf können wir stolz sein. Realisten sind Visionäre mit Kompaß Deswegen haben wir allen Grund zu einem realistischen Optimismus. Am Ende dieses Jahrhunderts lohnt es sich, einen Moment innezuhalten und zurückzublicken. Jeder hier im Saal kann das für sich tun. Ich spreche einmal einen aus der älteren Generation an, nämlich unseren Freund Alphons Horten. Er ist einer der großartigen Männer der ersten Stunde nach dem Krieg. Wenn wir in seinem Buch – es ist ein lesenswertes Buch, ich mache einmal Reklame dafür – die Stationen nachlesen, die er erlebt hat – er steht für eine ganze Generation –, dann werden Sie feststellen, daß diese Generation, als sie nach dem Zweiten Weltkrieg wieder angefangen hat, doch im Traum nicht daran denken

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konnte, daß aus Deutschland noch einmal etwas wird. Doch das Land wurde wieder aufgebaut. Die Vision ist Realität geworden. Das muß uns im Kopf bleiben. Die eigentlichen Realisten sind jene Visionäre, die einen Kompaß haben, die eine feste Überzeugung haben, die an etwas glauben und die bereit sind, sich dafür einzusetzen.

Unsere Vision muß jetzt sein, das neue Jahrhundert menschlich zu gestalten. Wir haben bessere materielle Voraussetzungen als jemals zuvor, aber – das sage ich bewußt in den Wahlkampf hinein – ich glaube nicht daran, daß die Probleme der Deutschen lösbar sind, wenn wir sie „nur“ unter dem materiellen Gesichtspunkt sehen. Ich behaupte, daß die wichtigsten Entscheidungen in unserem Land inmaterieller Natur sind und daß die Frage, für was wir stehen, vor allen ökonomischen Fragen stehen muß. Wie wollen wir Freiheit und Verantwortung miteinander verbinden, wenn es nicht zuletzt auch ein persönlicher Anspruch, eine moralische Herausforderung ist? Bin ich verpflichtet, auch etwas für andere zu tun? Ist Pflichterfüllung altmodisch geworden? Wir dürfen kein Land der Beliebigkeit werden Damit sind Sie dann beim Begriff der Tugenden. In vielen deutschen Schulen – leider auch in Elternhäusern, manchmal auch in Kirchen – ist dieser Begriff denunziert worden. Es ist aber doch phantastisch, daß Sie jetzt eine Generation von Schülern vor sich sehen, die zwar nicht von „Tugenden“ reden, weil sie davon gar nichts halten oder nichts gehört haben, die aber von „Engagement“ sprechen. Wie sie das nennen, ist völlig egal, aber sie haben plötzlich eine Vorstellung davon. Sie haben eine Vorstellung von Toleranz. Das ist sehr deutlich spürbar. Sie haben auch eine Vorstellung davon, daß die klassischen Tugenden wie Wagemut und Ehrlichkeit, Mitmenschlichkeit, Leistungsbereitschaft und Fleiß ihren Sinn haben und daß es ohne diese Grundlagen unseres Denkens keine gute Zukunft gibt.

Wir dürfen nicht ein Land der Beliebigkeit werden, in dem die Parole ausgegeben wird, die

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Werteordnung auf die Seite zu schieben. Die Zukunft Deutschlands ist keine Medienin-szenierung. Es kommt nicht darauf an, daß einer besonders laut und gut singen kann oder sich mediengerecht bewegt. Das ist in Ordnung, dann soll er Entertainer werden und meinetwegen viel Geld bekommen. Aber das Steuerruder des Staates darf er nicht bekommen. Hierzu bedarf es einer anderen Qualität.

Das heißt für uns ganz knapp gesagt, daß wir uns auf das besinnen, was das Land durch die Geschichte hindurch – im auf und ab, bei allen Rückschlägen, die wir hatten – im besten Sinne des Wortes groß gemacht hat. Nicht „groß“ im Sinne von Großdeutschland, sondern hinsichtlich des moralischen Anspruchs. Es geht darum, daß wir in diesem Moment der Geschichte nüchtern sagen: Laßt uns überlegen: Was haben wir im Rahmen unserer Verfassung – der besten Verfassung in der Geschichte der Deutschen – aufgebaut? Was ist gut gelungen? Es ist unendlich viel gut gelungen, was wir heute fast gar nicht mehr zur Kenntnis nehmen, weil es scheinbar selbstverständlich geworden ist. Es gibt anderes, bei dem wir wissen, daß sich die Welt verändert hat und daß wir uns auf die veränderte Welt einrichten müssen. Das ist übrigens konservativ im besten Sinne. Lassen Sie sich nicht einreden, daß es altmodisch ist. Wir sind nicht konservativ im Sinne von reaktionär, sondern wir sind wertkonservativ. Wir wollen das erhalten, was sich bewährt hat. Und das, was sich nicht bewährt hat, ändern wir. Das kann man dann auch frohen Mutes tun. Es bedeutet aber ein Festhalten an den Grundwerten. Es bedeutet, den notwendigen Wandel mit Vertrauen zu verbinden. Wir müssen Kurs halten – den Kurs der Mitte Ich weiß sehr wohl, daß die nächsten Monate hart werden. Wir stehen vor einem der härtesten Wahlkämpfe in der Geschichte der Bundesrepublik. Mir können Sie das abnehmen. Ich weiß es. Keiner spürt es in seinem Alltag mehr als ich. Deswegen sage ich Ihnen ganz klar: Ich werde mich nicht schonen – nicht weil ich ir-

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gendeinen besonderen persönlichen Ehrgeiz habe.

Mich

treibt zum Beispiel der Weiterbau des Hauses Europa um. Im nächsten Jahr steht die deutsche Ratspräsidentschaft an, während der viele wichtige Entscheidungen getroffen werden. Hierzu gehört die Entscheidung, ob wir ein zentralistisches Europa oder ein Europa der föderalen Ordnung, ein Europa der Subsidiarität wollen. Ich möchte ebenso einen Beitrag zu einem weiteren Stück innerer Einheit in Deutschland leisten. Ich werde mich nicht schonen und um jede Stimme kämpfen. Ich erwarte von jedem in der Union, daß er das gleiche tut.

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Es gilt, dafür zu kämpfen, daß wir mit unseren Partnern und Freunden in der Welt den Weg in die Zukunft gemeinsam gehen, daß wir frei, wirklich frei, und friedlich zusammenleben können und daß wir unsere schöpferischen Kräfte für Werke des Friedens und der Menschlichkeit einsetzen. Dies ist ein großartiges Ziel. Es geht um unser eigenes Land, es geht um unser Vaterland. Ich bitte Sie ganz einfach, dabei mitzumachen.

Rede Wirtschaftstag 1998

Im

Übergang ins neue Jahrhundert und Jahrtausend haben wir die besten Chancen, aber wir müssen Kurs halten. Ich finde kein besseres Wort dafür: Es ist der Kurs der Mitte. Ich möchte mit Ihnen gemeinsam dazu beitragen, daß wir die innere Einheit Deutschlands vollenden – im Geiste und im Sinne der Werte unseres Grundgesetzes. Es ist sehr wichtig, sich in diesem Augenblick der Herausforderung durch die neue Linke, die in Wahrheit die alte Linke ist, im klaren zu sein.

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Jacques Santer:

GLOBALISIERUNG

dieser tiefgreifende Wandel viele Menschen verunsichert, daß er sogar Ängste, Ablehnung und Widerstand hervorruft. Angst war aber noch nie ein guter Ratgeber. Widerstand bringt uns nicht weiter. Wir müssen daher auf diese Verunsicherung und Orientierungslosigkeit eingehen und sie schrittweise abbauen. Denn nur dann können wir den Wandel aktiv gestalten. Und nur dann wird es uns gelingen, uns auf die Herausforderungen des kommenden Jahrhunderts vorzubereiten. Was können wir also tun? Ich glaube etwas mehr Selbstvertrauen würde uns helfen. Denn Menschen, die verunsichert und verängstigt sind, tendieren dazu, passiv zu sein. Sie warten auf alles, das da kommen möge. Aber genau das Gegenteil brauchen wir jetzt. Nämlich Menschen mit Initiativgeist, mit Mut zur Eigenverantwortung und mit Selbstvertrauen. Menschen also, die Veränderungen aktiv gestalten und nicht passiv über sich ergehen lassen. Aber woher soll dieses Selbstver-trauen kommen? Ich glaube aus zwei Quellen: 1. Erstens aus dem Bewußtsein, daß wir in den letzten Jahren bereits vieles erreicht haben oder zumindest bereits in die Wege geleitet haben. 2. Und zweitens aus der Erkenntnis, daß wir durchaus über alle Voraussetzungen verfügen, um den neuen Herausforderungen gewachsen zu sein.

Eine neue Legitimation für die Soziale Marktwirtschaft Wir erleben gegenwärtig einen weitreichenden und sich beschleunigenden gesellschaftlichen Wandel. Wir wissen nicht immer, wie wir mit diesem Wandel zurecht kommen sollen.

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Wir alle wissen, daß wir diesen Wandel brauchen, um unseren relativen Wohlstand in Europa nicht nur zu sichern, sondern sogar noch mehren zu können. Aber wir sehen auch, daß

Ich glaube, daß wir in den vergangenen Jahren schon ein gutes Stück bei der Reform der europäischen Volkswirtschaft vorangekommen sind. Das heißt natürlich nicht, daß nichts mehr zu tun bleibt. Ganz im Gegenteil. Aber manchmal ist es ganz nützlich, zurückzublicken und Bilanz zu ziehen, bevor man das Arbeitsprogramm für die Zukunft aufstellt. Und diese Bilanz kann sich sehen lassen. Ordnungspolitik: Binnenmarkt, Liberalisierung, Wettbewerbspolitik Lassen Sie mich mit der Ordnungspolitik beginnen. Dies ist ja ein typisch deutsches Konzept. Aber auch wenn

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Europa

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der Begriff selbst in anderen Ländern vielleicht nicht gebräuchlich ist, so wird doch niemand leugnen, daß wir in der Europäischen Union in den vergangenen zehn Jahren bereits enorme Fortschritte bei der Marktöffnung weiter Bereiche unserer Volkswirtschaft gemacht haben. Ich lade ein, einmal zehn, fünfzehn Jahre zurückzublicken. Erinnern Sie sich wie es war vor dem Weißbuch der Kommission zur Schaffung des Binnenmarktes im Jahre 1985. Ich erinnere mich noch gut an die Zeit der „Eurosklerose“, an das weitverbreitete Gefühl, Europas säkularer Niedergang sei nicht mehr aufzuhalten. Und dann vergleichen Sie einmal, wo wir heute stehen: Trotz aller hier und dort vielleicht noch bestehender Unvollkommenheiten, steht der grenzenlose Binnenmarkt doch kurz vor seiner Vollendung, Bis zur Einführung des Euro am 1. Januar 1999 sind zwar noch einige Maßnahmen umzusetzen, aber wir sind auf Kurs. In einigen Jahren werden wir einen einheitlichen Binnenmarkt für 400 bis 500 Millionen Verbraucher in Europa haben. Doppelt soviel wie die Vereinigten Staaten von Amerika. Auch wenn man sich die verschiedenen Sektoren anschaut, sind die Erfolge durchaus beeindruckend: Telekommunikation, Post, Verkehr, Elektrizität und nun auch Erdgas. Wohin Sie schauen, überall wurden die Märkte schrittweise dem Wettbewerb geöffnet. Manchem geht es dabei vielleicht manchmal zu langsam. Anderen, zum Beispiel den etablierten Monopolisten in diesen Sektoren und ihren Beschäftigten, geht es häufig zu schnell. Ich glaube wir haben insgesamt gesehen ein gutes Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Interessen gefunden. Ich sage das auch, weil es kein statisches, sondern ein dynamisches Gleichgewicht ist: Dies ist ein Ansatz, zu dem ich mich bekenne. Das wichtigste ist meiner Erfahrung nach meistens, einfach einmal den Anfang zu machen. Dem Markt einen Spalt die Türe zu öffnen. Der Rest kommt dann fast von selbst. Sehen Sie sich nur das Beispiel der Liberalisierung des Elektrizitätsmarktes an. Jahrelang wurde erbittert gestritten und um Prozentpunkte der Marktöffnung gefeilscht.

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Jacques Santer, Präsident der Europäischen Kommission Und jetzt plötzlich stellen viele erstaunt fest, daß die tatsächliche Marktöffnung bereits doppelt so groß ist, wie von der Richtlinie gefordert. Man sollte die Dynamik des Marktes nicht unterschätzen. Natürlich bleibt noch einiges zu tun. In den von mir genannten Sektoren und in anderen Bereichen, wie zum Beispiel in der Umweltpolitik. Ich gehöre nicht zu denjenigen, die glauben, wir könnten unser Ziel des nachhaltigen Wachstums allein mit Hilfe technischer Verordnungen erreichen. Auch hier sollten wir also häufiger als in der Vergangenheit den Marktmechanismus dazu nutzen, um den Einfallsreichtum der Verbraucher wie der Unternehmen bei der Verringerung der Umweltbelastung besser zur Geltung kommen zu lassen. Ich hoffe daher, gerade aus Ihren Kreisen Unterstützung für mehr marktwirtschaftliche Instrumente in der europäischen Umweltpolitik zu erhalten. Insgesamt gesehen, sind die Grundlagen für ein stärkeres Spiel der Marktkräfte jetzt also weitgehend gelegt. Jetzt müssen wir den Schwerpunkt darauf setzen, diese neuen Möglichkeiten auch voll zu nutzen. Und hier hapert es noch. Denn der Staat kann nur die Rahmenbedingungen für

Wettbewerb schaffen. Es braucht Menschen mit Energie, mit Ideen und mit Initiativgeist, damit es tatsächlich zu einem Wettbewerb kommt. Und seien wir ehrlich, in diesem Bereich gibt es noch Verbesserungsmöglichkeiten. Nicht daß wir in Europa keine Leute mit Ideen hätten. Aber im Bereich Unternehmerkultur und Risikobereitschaft, da müssen wir in Europa noch an uns arbeiten. Das fängt meiner Ansicht nach bereits in der Schule an. Was tun wir denn eigentlich in unseren Lehrplänen, um die Philosophie der Sozialen Marktwirtschaft unseren Kindern nahezubringen? Und dann später, was tun wir denn, um jungen Unternehmensgründern das Leben zu erleichtern? Beamte in den Parlamenten und festverzinsliche Wertpapiere in den Anlageportfolios – ich überspitze vielleicht etwas, aber charakterisiert dies nicht unsere gegenwärtige Gesellschaft? Können wir uns das auf Dauer leisten? Ich glaube nicht. Irgendetwas muß sich da auch in unseren Köpfen ändern. Wir alle wissen, daß die europäische Wirtschafts- und Währungsunion eine größere Flexibilität erfordert. Aber ich bin mir nicht sicher, ob jeder so genau weiß, was darunter zu verstehen ist. Mancher denkt sofort an fle-

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xiblere Arbeitsmärkte. Ja, das auch, aber das allein greift zu kurz. Wir brauchen ganz allgemein eine größere Mobilität. Eine größere regionale Mobilität innerhalb der Europäischen Union, aber auch eine größere geistige Mobilität. Flexibilität in den Köpfen, sozusagen. Und da sind wir alle gefordert: Politiker, Unternehmer und Arbeitnehmer. Denn eines muß doch jedem klar sein: Wir werden im immer schärfer werdenden internationalen Wettbewerb nur bestehen können, wenn wir Innovationen schneller umsetzten werden, wenn wir uns rascher an Marktveränderungen anpassen werden und wenn wir das ungeheure Humankapital in Europa besser ausschöpfen werden. Lassen Sie mich beim Stichwort „Ordnungspolitik“ auch noch ein paar Worte zur europäischen Wettbewerbspolitik sagen: Da hat es in der letzten Zeit einige Spannungen zwischen Brüssel und Bonn gegeben. Wir sollten nicht versuchen, das unter den Teppich zu kehren. Dazu ist ein funktionierender Wettbewerb zu wichtig. Um hier keinen falschen Eindruck aufkommen zu lassen: Ich bin bestimmt keiner der sagt „Die Europäische Kommission hat immer Recht“. Auch wir können uns irren. Auch mancher in Brüssel läßt sich ab und zu zu unbedachten Äußerungen hinreißen. Ich bin selbstverständlich auch immer offen, mögliche Verbesserungen unserer Verfahren zu diskutieren. Aber eines muß doch klar sein: Die Marktwirtschaft braucht den Wettbewerb, wie wir Menschen den Sauerstoff zum Leben brauchen. Und irgendjemand muß die Einhaltung der Regeln überwachen. Unparteiisch und überparteilich. Ohne das kann der Binnenmarkt nicht funktionieren. Das gleiche gilt auch für Beihilfepolitik. In den Sonntagsreden ist immer jeder für den Abbau von Subventionen. Aber wenn wir dann an den Wochentagen nichts anderes versuchen, als unsere Pflicht zu tun und ungerechtfertigte staatliche Beihilfen zu untersagen, dann geht das große Geschrei los. Unter dem Vorwand des Subsidiaritätsprinzips heißt es dann, Brüssel solle sich da gefälligst heraushalten. Dabei ist Subsidiarität bei der Beihilfekontrolle ungefähr so ange-

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bracht, als würde man vorschlagen, den Schiedsrichter beim Fußball abzuschaffen, mit dem Argument, jeder Spieler könne ja für sich selbst pfeifen. So etwas kann doch nicht gut gehen. Ich bitte also diejenigen, die in ihren Reden den Strukturwandel so energisch fordern, ihn nicht durch die Beibehaltung strukturerhaltender Subventionen selbst zu behindern. Etwas weniger vom Subventionsabbau reden und dafür etwas mehr handeln. Das ist es, was ich fordere. Und ich weiß, wovon ich rede, denn ich habe als luxemburgischer Premierminister auch danach gehandelt und ein von der Schwerindustrie geprägtes Land zu einer Dienstleistungsvolkswirtschaft umstrukturiert. Dieses Spiel, auf Tagungen mehr Marktwirtschaft zu fordern, den Schwarzen Peter der unpopulären politischen Entscheidungen aber nach Brüssel zu schieben, das ist kein faires Spiel. Und es richtet auf Dauer Schaden an. Jeder fordert uns auf, bei den anderen Mitgliedstaaten härter durchzugreifen. Aber im eigenen Land, da sollen wir uns natürlich heraushalten. Da heißt es dann, die nationalen Interessen müßten in Brüssel entschiedener vertreten werden. Als ob ein funktionierender Wettbewerb nicht im nationalen Interesse wäre! Ich bleibe davon überzeugt, daß die Einhaltung von Spielregeln nicht nur dem Gemeinwohl dient, sondern auch im Interesse jedes einzelnen Mitgliedstaates liegt. Und deswegen werden wir uns in unserer unpopulären Aufgabe auch nicht beirren lassen. Haushaltspolitik, Euro, Steuerpolitik Der zweite Bereich, in dem wir in den letzten Jahren schon erstaunliche Fortschritte gemacht haben, betrifft die Finanzpolitik. Auch hier lade ich Sie ein, einfach einmal die Tatsachen zu betrachten. Im Jahre 1993 lag das durchschnittliche Haushaltsdefizit der Öffentlichen Hand in der EU bei über sechs Prozent des Bruttosozialproduktes. Im laufenden Jahr wird es voraussichtlich unter zwei Prozent liegen. Und es wird weiter sinken. Lassen Sie mich im übrigen an dieser Stelle als Präsident der Europäischen Kommission auch einmal eine Lanze

für die anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union brechen: Griechenland hat sein Haushaltsdefizit innerhalb von nur vier Jahren von 14 Prozent auf vier Prozent des Bruttosozialprodukts gesenkt. Italien von knapp zehn Prozent auf weniger als drei Prozent. Finnland von acht Prozent auf ein Prozent. Schweden von über zwölf Prozent auf weniger als ein Prozent. All diese Länder haben auf beeindruckende Weise ihr Haus in Ordnung gebracht. Ich finde, das muß man auch einmal anerkennen. Die Klassenbesten sind nicht immer diejenigen, die sich dafür halten! Daß wir diese beeindruckenden Erfolge bei der Haushaltskonsolidierung erleben, haben wir natürlich in großem Maße der Wirtschafts- und Währungsunion zu verdanken. Denn die im Maastrichtvertrag niedergelegten Beitrittskriterien für die dritte Stufe haben in allen Mitgliedstaaten ungeahnte Kräfte freigesetzt. Jeder wollte diese Kriterien erfüllen. Und das Ergebnis kann sich sehen lassen. Als am ersten Maiwochenende die Staats- und Regierungschefs in Brüssel zusammengekommen sind, konnten sie feststellen, daß elf Mitgliedstaaten die Voraussetzungen für eine Teilnahme an der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion erfüllen. Wir werden also in gut sieben Monaten eine einheitliche Währung für fast 300 Millionen Bürger in Europa haben. Ein Wirtschafts- und Währungsraum, der demjenigen der Vereinigten Staaten von Amerika praktisch ebenbürtig ist. Die Entscheidung von Brüssel, die Währungsunion am 1. Januar 1999 mit elf Teilnehmern zu beginnen, ist eine wahrlich historische Entscheidung. Sie wird unser aller Leben dramatisch verändern. Wie viele haben nicht vor wenigen Jahren noch daran gezweifelt, daß es jemals dazu kommen werde? Wieviele haben nicht versucht, uns die ganze Idee auszureden, sie mieszumachen? Aber wir haben uns nicht beirren lassen. Und lassen Sie mich hier eines ganz deutlich sagen: Ohne die unbeirrbare Unterstützung durch Bundeskanzler Helmut Kohl und Finanzminister Theo Waigel hätten wir es nicht geschafft! Wie radikal sich die wirtschaftspolitische Kultur in Europa in den letzten

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Im Steuerbereich läßt sich dieses Umdenken bereits erkennen. Denn die Finanzminister der Europäischen Union sind sich schon einig, daß sie ihre Zusammenarbeit im Steuerbereich intensivieren müssen. Die Versuchung, auf Kosten der anderen Mitgliedstaaten Kapital ins Land zu locken, ist einfach zu groß. Es ist daher notwendig, sich auf gemeinsame Spielregeln des fairen Steuerwettbewerbes zu einigen. Und hier stellt die Einigung vom 1. Dezember des vergangenen Jahres auf einen Verhaltenskodex für die Unternehmensbesteuerung und auf Elemente der Besteuerung von Zinseinkommen einen wichtigen Schritt dar. Auf diesem Weg gilt es nun weiterzugehen, damit – so paradox es klingen mag – die nationalen Finanzminister wieder etwas mehr Spielraum bei der Gestaltung ihrer Steuersysteme erhalten.

Jahren gewandelt hat, wurde durch den völlig unnötigen Streit um die Person des ersten Präsidenten der Europäischen Zentralbank leider etwas in den Hintergrund gerückt. Denn das wirklich Bemerkenswerte an dieser Diskussion war ja, daß beide Kandidaten für genau die gleiche Geldpolitik stehen. Für eine Geldpolitik nämlich, die der Preisstabilität eindeutig Vorrang einräumt. Und niemand in ganz Europa hat während dieser ganzen monatelangen Diskussion um den Präsidenten der Europäischen Zentralbank diese Politik in Frage gestellt. Ich möchte diese Tatsache hier ausdrücklich herausstreichen, denn sie sollte uns Vertrauen in die Stabilität des Euros geben. Aber mit der Einführung des Euro ist es natürlich nicht getan. Wir alle werden uns noch umstellen müssen. Denn die einheitliche Währung wird die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Europa radikal verändern. Für die Unternehmen, für die Verbraucher und für die Regierungen. Denn die Preistransparenz, und damit die Intensität des Wettbewerbes, wird dramatisch zunehmen. Das heißt natürlich in aller erster Linie: bessere Marktchancen für innovative und dynamische Unternehmen. Bes-

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sere Entwicklungsmöglichkeiten ganz allgemein für Leute mit Initiativgeist und neuen Ideen. Gleichzeitig sind sich viele der weitreichenden Auswirkungen dieser erhöhten Transparenz und der neuen Rahmenbedingungen vielleicht noch nicht vollkommen bewußt. Denn wenn der Schleier des Wechselkurses erst einmal gefallen ist, dann kann sich niemand mehr hinter ihm verstecken. Es wird schwieriger werden, Privilegien zu sichern. Es wird auch schwieriger werden, Märkte zu segmentieren. Denn der Euro steht für Transparenz, für Effizienz und für Wettbewerb. Hier kommt also noch einiges auf uns zu. Auf uns alle. Denn der schärfere Wettbewerb wird sich nicht auf die Unternehmen beschränken. Auch der Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten oder sogar den Regionen um die besseren Investitionsbedingungen oder um die besseren Rahmenbedingungen für unternehmerisches Handeln ganz allgemein wird deutlich zunehmen. Die Notwendigkeit einer koordinierten Reform unserer Steuerund Sozialversicherungssysteme, um nur zwei Beispiele zu nennen, wird sich daher immer weniger leugnen lassen.

Dieser Spielraum wird auch notwendig sein, denn auf die Finanzpolitik kommen noch einige Herausforderungen zu. Die Steuerbemessungsgrundlage wird mobiler. Die demographische Entwicklung wird ungünstiger. Und der vermeintlich einfache Weg in die höhere Staatsverschuldung ist glücklicherweise durch den von Theo Waigel entwickelten Stabilitäts- und Wachs-tumspakt endgültig verbaut. Sozial- und Beschäftigungspolitik Ich möchte als drittes gerne auch ein paar Worte zu unserem gegenwärtig wohl größten gesellschaftlichen Problem, der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit in Europa, sagen. Da hat es in Deutschland vor der Einigung über den Vertrag von Amsterdam einige Diskussion gegeben. Lassen Sie mich zwei Dinge dazu sagen: Erstens, ich bin keiner der glaubt, Arbeitsplätze könnten in Brüssel geschaffen werden. Arbeitsplätze werden in und von Unternehmen geschaffen. Und zweitens, Beschäftigungspolitik ist und bleibt in erster Linie eine nationale oder sogar regionale Aufgabe. Ich kann Sie hier also beruhigen: Wir stehen nicht im Wege, wenn es darum geht, die Steuerbelastung zu senken! Wir stehen nicht im Wege, wenn es gilt, die Lohnnebenkosten zu senken! Wir stehen auch nicht in Wege,

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wenn der Arbeitsmarkt flexibler gestaltet werden soll. Es ist und bleibt in erster Linie die Aufgabe der nationalen Tarifpartner und der nationalen Politiker, die Grundlagen für eine nachhaltige Ausweitung der Beschäftigung zu legen. Aber ich biete die Unterstützung der Europäischen Union bei der Bewältigung dieser schwierigen Aufgabe an. Nichts mehr und nichts weniger. Und ich bitte Sie, fallen Sie nicht auf die Schauermärchen rein. Wir wollen wahrhaftig keine milliardenschwere europäischen Beschäftigungsprogramme. Erstens, weil wir nicht glauben, daß dies der richtige Weg wäre, um sichere Arbeitsplätze zu schaffen. Und zweitens, weil wir, selbst wenn wir daran glauben würden, das Geld dafür gar nicht hätten. Das heißt aber natürlich nicht, daß die Europäische Union bei der Bewältigung des gegenwärtig wohl größten gesellschaftlichen Problems in Europa einfach abseits stehen und sozusagen in die andere Richtung schauen kann. Es ist doch wohl nur selbstverständlich, daß die Europäische Union im Rahmen ihrer Kompetenzen und im Rahmen ihrer begrenzten Mittel versucht, ihren Beitrag zur Schaffung von dauerhaften Arbeitsplätzen zu leisten. Und genau darum handelt es sich bei dem Prozeß, den die Staats- und Regierungschefs im vergangenen November auf dem Beschäftigungsgipfel in Luxemburg in die Wege geleitet haben. Dieser Prozeß ruht auf drei Pfeilern: Als erstes sind da die 19 beschäftigungspolitischen Leitlinien, die sich die Staats- und Regierungschefs selbst gesetzt haben. Um hier gar keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Es handelt sich dabei in keinster Weise um „Vorschriften aus Brüssel“. Es geht hier zum einen lediglich um einen Prozeß des voneinander Lernens. Und ich lade denjenigen Mitgliedstaat ein, den ersten Stein zu werfen, der glaubt, er könne nichts mehr lernen, weil alles schon so perfekt sei. Ich sage bewußt lernen, und nicht kopieren. Und zweitens geht es um das Prinzip der „peer pressure“, mit dem wir in der Haushaltspolitik bereits so gute Erfahrungen gemacht haben.

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Dieses Verfahren mag für den einen oder anderen Politiker vielleicht unangenehm sein. Aber ich bin zutiefst davon überzeugt, daß es nicht nur nützlich, sondern sogar notwendig ist. Denn nach der Einführung des Euro wird es nicht mehr möglich sein, daß ein einzelner Mitgliedstaat in der Wirtschafts- und Strukturpolitik einfach so weiter wurstelt wie bisher und damit unter Umständen die Stabilität der ganzen Euro-Zone gefährdet. Das Prinzip der gegenseitigen Überwachung, der offenen Diskussion über die jeweiligen Stärken und Schwächen der nationalen Stabilitätsprogramme gehört zu den Neuerungen, welche die Wirtschafts- und Währungsunion mit sich bringt. Der zweite Pfeiler der umfangreichen Beschäftigungsstrategie beruht auf dem Beitrag, den die Gemeinschaftspolitiken zur Beschäftigung leisten. Sei dies durch die Vollendung des Binnenmarktes, durch die Strukturfonds, durch die Transeuropäischen Netze oder durch die Zusammenarbeit in der Steuerpolitik, um nur einige Beispiele zu nennen. Nichts anderes hatten die Staats- und Regierungschefs im Sinn, als sie im Amsterdamer Vertrag festlegten, daß das Ziel eines hohen Beschäftigungsniveaus bei der Festlegung und Durchführung der Gemeinschaftspolitiken und -maßnahmen zu berücksichtigen sei. Und drittens müssen auch die Sozialpartner stärker in die Pflicht genommen werden. Ohne ihren Beitrag wird es uns nicht gelingen, die unannehmbar hohe Arbeitslosigkeit in Europa abzubauen. Da bleibt noch viel zu tun. Aber es sind im Rahmen des sozialen Dialogs auf europäischer Ebene auch erste Erfolge zu verzeichnen. Die Kommission hält sich bewußt mit Gesetzgebungsvorschlägen zurück und unterbreitet viele Themen erst einmal den Sozialpartnern mit der Einladung, sich auf dieser Ebene zu einigen. Der von mir dargestellte Ansatz der europäischen Beschäftigungspolitik ist im übrigen charakteristisch für die neue Phase im europäischen Einigungsprozeß, in die wir jetzt eingetreten sind. Der Binnenmarkt ist geschaffen. Die Wirtschafts- und Währungsunion ist entschieden. Die Zeit der großen gesetzgeberischen Initiativen ist vorbei. Jetzt geht es dar-

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um, dieses Potential auszuschöpfen. Und dazu muß sich jeder auf das konzentrieren, was er am besten kann. Wenn ich sage jeder, dann meine ich die Öffentliche Hand, die Unternehmen und die Gewerkschaften. Und ich meine auch, die Europäische Union, die Mitgliedstaaten, die Bundesländer und die lokalen Gebietskörperschaften. Jeder in seinem Bereich. Auch wenn manche es anscheinend noch nicht gemerkt haben: Die Europäische Kommission hat mit dieser Umstellung schon längst begonnen. Wenn jetzt also der eine oder andere versucht, uns als machthungrige Bösewichte darzustellen, als den bösen Wolf, der Rotkäppchens Großmutter verschlingen möchte, dann muß ich deutlich sagen: Das hat mit der Realität wirklich überhaupt nichts zu tun. Diese Realität läßt sich vielmehr mit drei Tatsachen beschreiben: 쮿 Erste Tatsache: Während die Kommission im Jahre 1990 noch über 60 neue Gesetzgebungsvorschläge vorgelegt hat, ging diese Zahl in den vergangenen Jahren kontinuierlich zurück und betrug im letzten Jahr nicht einmal mehr zehn. 쮿 Zweite Tatsache: Seit meinem Amtsantritt im Jahre 1995 hat die Kommission, nicht zuletzt aus Gründen der Subsidiarität, über 140 Vorschläge, die auf dem Tisch des Rates lagen, von sich aus zurückgezogen. 쮿 Und die dritte Tatsache: Die Anzahl nationaler technischer Verordnungen, welche die im Binnenmarkt gehandelten Produkte betreffen und uns daher von den Mitgliedstaaten gemeldet werden müssen, ist von 390 im Jahre 1994 auf 670 im vergangenen Jahr gestiegen. Das ist eine jährliche Zuwachsrate von satten 15 Prozent! Ich halte es also für gut und sogar notwendig, daß wir auf dem Europäischen Rat in Cardiff über das Subsidiaritätsprinzip sprechen. Als Christdemokrat war und bleibe ich dem Subsidiaritätsgedanken zeitlebens verpflichtet. Ich glaube, in aller Bescheidenheit sagen zu können, daß kein Kommissionspräsident seit Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft so von diesem Prinzip überzeugt war wie ich.

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Sozialromantik. Vorausgesetzt natürlich, diese Solidarität ist Hilfe zur Selbsthilfe und nicht Element einer Entmündigung. Ein gewisser sozialer Zusammenhalt, das ist genau eine unserer Stärken in Europa. Denn ein soziales Auffangnetz steht nicht im Widerspruch zu einer Kultur der Selbständigkeit. Ich sage Auffangnetz, nicht Hängematte! Die Globalisierung bedeutet also nicht etwa das Ende der Sozialen Marktwirtschaft, sondern stellt im Gegenteil gerade eine neue Legitimation für die Soziale Marktwirtschaft dar. Aber eines ist ganz klar: Ohne konsequente Reformen wird es nicht abgehen können. Die wilden Triebe müssen abgeschnitten werden. Nur dann kann der Baum wieder gesund weiterwachsen.

Wenn ich so ausführlich auf das bereits Erreichte eingehe, dann nicht aus Selbstzufriedenheit. Ich weiß sehr wohl, wie viel uns noch zu tun bleibt. Aber ich glaube, wir sollten nicht so tun, als müßten wir bei Null anfangen. Denn wenn wir die Herausforderungen überzeichnen, dann erzeugen wir nur wieder Ängste. Wir sollten daher die vor uns liegenden Entwicklungen sachlich analysieren. Ja, die modernen Informations- und Kommunikationstechnologien werden unser Leben nachhaltig verändern. Ja, die grenzenlose Informationsflut und die dramatische Geschwindigkeit des Informationsaustausches hinterlassen Spuren in allen Lebensbereichen. Das bedeutet aber nicht, daß sich jetzt alle Beschränkungen von Zeit und Raum in Luft auflösen. Mit Vertrauen in die Zukunft blicken Lassen Sie mich nun zum zweiten Grund kommen, warum wir meiner Ansicht nach durchaus mit Vertrauen in die Zukunft blicken können: Unsere Fähigkeit nämlich, den Herausforderungen des kommenden Jahrhunderts gerecht zu werden. Wir haben die technologische Kapazität. Wir haben eine hochqualifizierte Arbeitnehmerschaft. Und wir haben intakte soziale Strukturen, soziale Sicherheit und sozialen Frieden. All dies verdanken wir dem System der Sozialen Marktwirtschaft.

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Ich teile daher auch nicht die Ansicht derjenigen, die sagen, wir könnten uns unser europäisches Gesellschaftsmodell angesichts der zunehmenden Globalisierung und des immer schärferen internationalen Wettbewerbs nicht mehr leisten. Manche fordern sogar die Abschaffung unseres Sozialstaates. Dem kann ich mich nicht anschließen. Reform des Sozialstaats, ja. Anpassung an die veränderten Bedingungen, ja unbedingt. Aber einfach abschaffen, nein. Der Manchester-Kapitalismus ist nicht die Lösung. Denn dies hieße das Kind mit dem Bade ausschütten. Die Soziale Marktwirtschaft, das heißt sozial verpflichtete Marktwirtschaft, ist kein Luxus für Schönwetterperioden. Ganz im Gegenteil, sie ist meiner Ansicht nach ein langfristiger Wettbewerbsvorteil. „Jeder für sich, Gott gegen alle“, wie es der Regisseur Werner Herzog einmal ausgedrückt hat, das kann nicht die Lösung unserer gegenwärtigen Probleme sein. Ich sehe im übrigen auch nicht, wie dies mit unseren christlichen Wertvorstellungen zu vereinbaren wäre. Eine gewisse Solidarität mit den Schwächeren in unserer Gesellschaft, innerhalb und zwischen den Generationen, das ist keine überkommene

Ich bin davon überzeugt, daß eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union zu den notwendigen Reformen durchaus bereit ist. Die Menschen haben sehr wohl gemerkt, daß sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen geändert haben. Sie haben sehr wohl gemerkt, daß der größere Freiraum, den der einzelne in unserer modernen Gesellschaft genießt, natürlich auch Veränderungen in unseren Systemen der Sozial-, Kranken- und Rentenversicherung nach sich ziehen muß. Aber unsere Schwierigkeit besteht darin, den Umbau zu gestalten. Ludwig Erhard hatte es da einfacher. Er konnte bei Null anfangen. Wir müssen hingegen der Eigenverantwortung mehr Spielraum verschaffen, ohne gleichzeitig das Vertrauen in die bestehenden Sozial- und Rentenversicherungssysteme zu erschüttern. Vielleicht ist es uns häufig nicht genügend gelungen, verständlich zu machen, daß die Reformen nicht die Umverteilung des gegenwärtigen Kuchens, sondern dem Zuwachs des Kuchens dienen. Vielleicht ist es uns bisher nicht gelungen, deutlich zu machen, daß eine größere Rolle für den einzelnen nicht zwangsläufig das Ende gesellschaftlicher Solidarität bedeutet. Vielleicht haben wir nicht genug darauf hingewiesen, daß jemand, der nicht bereit ist, ein gewisses kalkuliertes Risiko einzugehen, auch nicht investieren wird. Und wer nicht investiert, der hat keine Zukunft.

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Hier bleibt also noch Überzeugungsarbeit zu leisten. Aber unser Ziel ist das richtige. Da sollten wir uns nicht beirren lassen. Ich bin gar nicht pessimistisch, was die wirtschaftliche Zukunft der Europäischen Union anbelangt. Wir haben in den letzten Jahrzehnten in der Europäischen Union Ungeheures erreicht: Die längste Periode des Friedens in unserer Geschichte. Noch nie da gewesenen wirtschaftlichen Wohlstand. Fast grenzenlose Entfaltungsmöglichkeiten für den Einzelnen. Sozialen Frieden. Das sollte uns Selbstvertrauen geben. Jetzt müssen wir uns für die Herausforderungen des nächsten Jahrhunderts fit machen. Und diese Herausforderungen heißen: Globalisierung, intensiverer Standortwettbewerb, moderne Technologien, Osterweiterung der Europäischen Union. Wir haben auf dem Weg der notwendigen Moder-

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nisierung bereits ein gutes Stück Strecke zurückgelegt. Wir wissen auch sehr gut, in welche Richtung es jetzt weiter gehen muß. In Richtung auf mehr Unternehmergeist, mehr Eigenverantwortung, mehr Mobilität.

Wenn wir auf all diese Stärken setzen, dann sollte es uns auch gelingen, die notwendigen Reformen durchzuführen. Und dann können wir es gemeinsam schaffen, den neuen Herausforderungen gewachsen zu sein!

Ich bin davon überzeugt, daß wir in Europa alle Voraussetzungen dafür haben, um diesen Wandel erfolgreich zu gestalten. Wir sollten uns daher auf unsere Stärken besinnen. Auf unser europäisches Gesellschaftmodell, das die Freiheit des Einzelnen mit sozialer Verantwortung für die Schwächeren verbindet. Auf das ungeheure Potential an Ideen, Fähigkeiten und Energie, das in unseren Bürgerinnen und Bürgern steckt. Auf die Soziale Marktwirtschaft, die dieses Potential so erfolgreich freisetzen kann. Und nicht zuletzt auf diesen einzigartigen Prozeß der europäischen Einigung, dem Garanten für Frieden, Freiheit und Wohlstand in Europa.

Rede Wirtschaftstag 1998

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Steuer- und Haushaltspolitik

Wettbewerb der Standorte

perschaftsteuer abzusenken. Für 90 Prozent der deutschen Unternehmen sei die Einkommensteuer die zutreffende Unternehmensbesteuerung. „Ein Unternehmen wie Wacker mit rund 70 Prozent Auslandsanteil am Gesamtumsatz muß auch in seinen Standortentscheidungen global denken und handeln.“ Das stellte Dr. Klaus von Lindeiner, Geschäftsführer der Wacker-Chemie GmbH fest. Sein Unternehmen baue in Ergänzung zu den drei deutschen Standorten und seinem Werk an der amerikanischen Westküste derzeit die fünfte Produktionsstätte in Singapur. Neben politischer Stabilität und Logistik habe den Ausschlag für den Standort Singapur gegeben, daß die dortige Regierung dem Unternehmen für eine ganze Reihe von Jahren Steuerfreiheit eingeräumt habe.

Dr. Theo Waigel MdB, Bundesminister der Finanzen, hielt im Podium zum Thema „Steuer- und Haushaltspolitik im Wettbewerb der Standorte“ das Eingangsreferat. Unter der Moderation von Ralf-Dieter Brunowsky, Chefredakteur Capital, diskutierten: Prof. Dr. Gerhard Fels, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft; Prof. Dr.-Ing. Eh. Dipl-Ing. Berthold Leibinger, Vorsitzender der Geschäftsführung Trumpf GmbH & Co. Maschinenfabrik; Dr. Klaus von Lindeiner, Geschäftsführer Wacker-Chemie GmbH; Hans-Peter Repnik MdB, Stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages; Dr. Ludolf-Georg von Wartenberg, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Berichterstatter war RA Friedrich Merz MdB. „In keinem Land der Welt werden Unternehmensgewinne höher besteuert als in Deutschland“, betonte Prof. Berthold Leibinger, Vorsitzender der Geschäftsführung Trumpf GmbH & Co. Maschinenfabrik. Aber wo Märkte zusammenwüchsen, wo Investoren abwandern könnten und wo Arbeitskräfte Freizügigkeit besäßen, würden sich auf Dauer HochSteuer-Inseln nicht halten lassen.

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Standortnachteil Unternehmensteuern Prof. Leibinger wies darauf hin, daß zwei Drittel der Wertschöpfung seines Unternehmens im Inland erzielt würden, aber 80 Prozent der Steuern seines Unternehmens im Inland zu zahlen seien. Pro 100 Millionen DM Umsatz verblieben nach fünf Jahren bei einer angenommenen Rendite von 5,5 Prozent vor Steuern: 쮿 in Deutschland 11 Millionen DM versteuerte Erträge, 쮿 in der Schweiz 21 Millionen DM und 쮿 in den USA 23 Millionen DM. Gerade mittelständische Unternehmen in Deutschland seien in hohem Maße auf die Finanzierung ihres Wachstums aus Gewinnen angewiesen. Deutschland brauche daher dringend eine Steuerreform, die den Betrieben das erfolgreiche Wirtschaften erleichtert. Große Steuerreform durchsetzen Die Steuersenkung, so Prof. Leibinger weiter, müsse sich aber auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer gleichermaßen beziehen. Es genüge nicht, nur den Spitzensatz der Kör-

Wettbewerbsfähigen Steuertarif und Nettoentlastung verwirklichen Die steuerliche Belastung sei im Wettbewerb der Standorte nicht das einzige, aber ein wichtiges Bewertungsmerkmal. Der Standort Deutschland kranke an zu hohen Steuersätzen, die auch durch die deutschen Abschreibungsmöglichkeiten nicht aufgewogen würden. Dringend notwendig bleibe deshalb eine Steuerreform mit einer Senkung der Steuertarife auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau. Aus Sicht der Wirtschaft müsse akzeptiert werden, daß durch Streichung oder Änderung vieler Ausnahmetatbestände ein Teil des tarifbedingten Einnahmenausfalls kompensiert wird. Wenn allerdings die Tarifsenkungen allen Steuerpflichtigen zugute kämen, dann dürfe die Streichung oder Änderung von Steuervergünstigungen nicht einseitig den Unternehmensbereich treffen. Entscheidend bleibe, die steuerlichen Nachteile des Investitions- und Beschäftigungsstandortes Deutschland möglichst rasch abzumildern. Trotz Blockade kein Reformstillstand in Deutschland Es herrsche kein Reformstillstand in Deutschland stellte Hans-Peter Repnik MdB, Stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages, fest. Trotz der SPD-Blockade der Steuerreform und

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Steuer- und Haushaltspolitik

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Nach den roten und grünen Wahlprogrammen würden zusammengenommen mindestens acht neue Steuern eingeführt. Deutschland brauche jedoch nicht zusätzliche rote oder grüne Steuern, sondern weniger und vor allen Dingen niedrigere Steuern! So könne auch die Situation am Arbeitsmarkt grundlegend verbessert werden. Mehr Mut zum Wettbewerb – Chancen der Globalisierung nutzen Es gebe eine erste Besserung der Lage am deutschen Arbeitsmarkt. Dies stellte Prof. Dr. Gerhard Fels, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, fest. Ein wirklicher Durchbruch erfordere jedoch weitere Anstrengungen von Staat, Gesellschaft und Tarifvertragsparteien. wichtiger Konsolidierungsmaßnahmen seien von der Bundesregierung in dieser Legislaturperiode wichtigste Standortreformen durchgesetzt worden. Zu nennen seien insbesondere: 쮿 die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer, 쮿 die Aussetzung der Vermögensteuer, 쮿 die Absenkung des Solidaritätszuschlages, 쮿 die Renten- und die Gesundheitsreform, 쮿 die Neuregelungen bei Lohnfortzahlung und Kündigungsschutz sowie 쮿 eine grundlegende Verbesserung der Bedingungen für die Aufnahme von Wagniskapital. Wer dagegen wie die SPD wichtige Zukunftsreformen rückgängig machen wolle, schade dem Standort und gefährde die Trendwende am Arbeitsmarkt. Zur Fortsetzung des Reformkurses der Bundesregierung gebe es keine Alternative. Rot-grüne Steuerpläne standortund beschäftigungsfeindlich Klare Zustimmung zu einer Steuerreform mit niedrigen Sätzen bei weniger Ausnahmen und entschiedene Ablehnung der SPD-Vorstellungen zur großen Steuerreform signalisierte Dr. Ludolf von Wartenberg, Hauptgeschäftsführer des BDI. Statt der aus

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ideologischen Gründen verweigerten deutlichen Senkung des Einkommensteuerspitzensatzes sollten sich Personenunternehmen – so die SPD – künftig wie Körperschaften besteuern lassen können. Dieser Vorschlag begegne nicht nur erheblichen praktischen sowie rechts- und steuersystematischen Bedenken, sondern liefe letztlich auf eine Aushöhlung des mittelständischen Unternehmertums hinaus. 쮿 Eine Option erfordere ein außerordentlich kompliziertes und kaum praktikables Verfahren, insbesondere zur Abgrenzung von Entnahmen und Einlagen. Dies stände im Widerspruch zur notwendigen Steuervereinfachung. Zudem könnte keine Verlustverrechnung mit anderen geschäftlichen Aktivitäten vorgenommen werden.

Der Wettbewerb der Systeme richte sich nicht nur auf den Steuerwettbewerb. Wie überall komme es auch im Staatssektor auf das Preis-LeistungsVerhältnis an. Hier gebe es offensichtlich in Deutschland gegenüber anderen Reformländern Defizite. Es drohe aber keineswegs ein Steuersenkungswettlauf ins Bodenlose. Außer Zweifel stehe jedoch: Die Staaten gerieten durch die Globalisierung unter einen heilsamen Wettbewerbsdruck. Dieser Wettbewerb liege nicht nur im Interesse der heimischen Wirtschaft, sondern diene letztlich auch dem Verbraucher und der Beschäftigung am Standort Deutschland. Werner Kratz

쮿 Da alle Gesellschafter gemeinsam optieren müßten, um den niedrigeren Körperschaftsteuersatz in Anspruch zu nehmen, wären Auseinandersetzungen zwischen den Familienmitgliedern vorprogrammiert. Die Verwischung der Grenzen zwischen Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften wäre zugleich ein Einfallstor für neue Mitbestimmungsforderungen. 쮿 Schließlich bedeute die steuerliche Begünstigung des einbehaltenen Unternehmensgewinns einen Nachteil im Fall der Ausschüttung und behindere so die notwendige Flexibilität von Kapitalanlagen.

Berichterstatter im Plenum: Friedrich Merz MdB

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Steuer- und Haushaltspolitik

Theo Waigel: Ausweichstrategien

der SPD schaden Deutschland Knapp zwei Jahre vor dem Beginn eines neuen Jahrtausends stehen der Standort Deutschland und unsere Wirtschafts- und Finanzpolitik mit ten in einer Zeitenwende. Der Euro kommt. Gleichzeitig wachsen im Zeichen der Globalisierung die internationalen Märkte immer enger zusammen. Daher ist es eine sehr ernste Entwicklung, wenn Investitionsentscheidungen nationaler und internationaler Investoren gegen Deutschland ausfallen. Bei den direkten Steuern besteht innerhalb der EU grundsätzlich Wettbewerb. Steuern müssen jedoch immer im Zusammenhang mit den daraus finanzierten Staatsleistungen gesehen werden. Ebenso wie wir autonom bei der Gestaltung unserer Staatsaufgaben sein wollen, brauchen wir Autonomie über die Staatseinnahmen. Die Finanz- und insbesondere die Budgetund Steuerpolitik müssen deshalb auch nach dem Euro in der Verantwortung der Mitgliedstaaten bleiben. Wer glaubt, man könnte den weltweiten Wettbewerb mit internationalen Absprachen stoppen, wie Oskar Lafontaine es immer wieder vorträgt, wird sehr schnell die negative Antwort der Märkte erhalten. Den Wettbewerb zu verhindern, kommt immer teuer – den Steuerzahlern, den Verbrauchern, den Unternehmern und vor allem den Arbeitnehmern, deren Arbeitsplätze trotzdem verschwinden. Das lehrt die Geschichte von 200 Jahren Marktwirtschaft und Freihandel.

Die Strategie von Oskar Lafontaine, durch Blockade Stillstand zu erzeugen, darf nicht aufgehen. Wir werden für unser Konzept kämpfen. Wir bleiben auch dabei: Eine kräftige Nettoentlastung ist notwendig. Ich sichere Ihnen zu: Am Tag nach der gewonnenen Bundestagswahl werden wir dieses Konzept wieder einbringen. Und ich bin davon überzeugt, wir werden es durchsetzen. EU-Steuerpolitik auf Standortwettbewerb ausrichten Eine wachsende Zahl von EU-Mitgliedstaaten hat steuerliche Sonderregelungen im Unternehmensbereich eingeführt, die sektoral oder regional begrenzte Vergünstigungen vorsehen. Die EU-Mitgliedstaaten haben sich deshalb auf einen Verhaltenskodex verpflichtet, keine neuen „unfairen“ Steuervergünstigungen einzuführen und bestehende Vergünstigungen dieser Art innerhalb bestimmter Regelfristen abzuschaffen. Ein weiteres nur international zu lösendes Steuerproblem ist die Besteuerung von Kapitalerträgen. Die Einführung von Mindeststandards ist un-

verzichtbar. Die EU-Kommission hat inzwischen einen Richtlinienvorschlag vorgelegt. Er sieht die Einführung einer einheitlichen Quellensteuer von 20 Prozent auf Sparerträge von ausländischen Anlegern vor. Alternativ können auch Kontrollmitteilungen vorgesehen werden. Für effiziente Politikentscheidungen – Föderalismus stärken Im Zeichen der Globalisierung erfordert eine dynamische Wirtschaftsund Finanzpolitik eine umfassende Wettbewerbsorientierung. In einem föderalistisch aufgebauten Staat müssen alle Ebenen die für die neue Zeit notwendigen Entscheidungen sachgerecht und schnell treffen können. Dazu bedarf es mehr Autonomie für Bund, Länder und Gemeinden, effiziente Entscheidungsstrukturen und geeignete institutionelle Rahmenbedingungen. Die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen wird eines der wichtigsten Projekte der nächsten Legislaturperiode. Bei aller Komplexität der Probleme im einzelnen gibt es in der Finanzund Wirtschaftspolitik einen klaren Wegweiser: Wir bleiben beim ordnungspolitischen Konzept einer Sozialen Marktwirtschaft – national und auch im internationalen Zusammenhang.

Kurs halten in der Steuerpolitik – Petersberger Konzept verwirklichen Für die deutsche Steuerpolitik ist es das Allerwichtigste, auf dem eingeschlagenen Weg der Förderung von Investitionen und Wachstum weiterzugehen. Mit den Petersberger Steuer-Vorschlägen wurde ein weit in die Zukunft reichendes Reformprojekt entwickelt. Es ist ein Konzept, das von Wissenschaft und Wirtschaft begrüßt und vom Deutschen Bundestag verabschiedet wurde. Seine Umsetzung ist allein durch die Blockade der SPDLänder im Bundesrat verhindert worden.

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Ordnungspolitik

Innovationen sichern Wohlstand

Globalisierung gibt das notwendige Innovationstempo vor Dr. Heinrich von Pierer machte deutlich, daß Deutschland sich den Herausforderungen der Globalisierung stärker als bisher stellen müsse: Aus der Vielzahl regulierter nationaler Märkte werde ein großer deregulierter Weltmarkt mit überall faktisch gleichen Wettbewerbsbedingungen. Diese Entwicklung sei nicht mehr umzukehren. Die Globalisierung sei keine Drohung, sondern eine Chance vor allem auch für Deutschland. Wegen der technologischen Leistungskraft, der glänzenden Infrastruktur, dem richtigen gesellschaftlichen und wirtschaftspolitischen System, nämlich der Sozialen Marktwirtschaft, habe Deutschland alle Voraussetzungen, um zu den Gewinnern der Globalisierung zu gehören.

Dr. Günter Rexrodt MdB, Bundesminister für Wirtschaft, hielt im Podium zum Thema „Ordnungspolitik für Innovationen und neue Märkte“ das Eingangsreferat. Unter der Moderation von Dr. Peter Gillies, Journalist Berlin/Bonn, diskutierten: Roland Berger, Geschäftsführer Roland Berger & Partner GmbH; Dr. Heinrich von Pierer, Vorsitzender des Vorstandes Siemens AG, Vorsitzender des Asien-Pazifik-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft; Dipl.-Ing. Gerd Tenzer, Mitglied des Vorstandes Deutsche Telekom AG; Gunnar Uldall MdB, Wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages. Berichterstatter war Dr. Jan B. Berentzen, Vorstands-sprecher Berentzen-Gruppe AG. „Innovationen sind für Deutschland eine Überlebens- und Schicksalsfrage“, betonte Roland Berger. Dies lasse sich an folgenden drei Punkten festmachen: 쮿 Innovationen schaffen mehr Wachstum und dadurch zusätzliche Beschäftigung. Von 1993 bis 1997 haben High-tech-Produkte 6,6 Prozent jährlich an realem Wachstum erzielt gegenüber 2,5 Prozent bei höherwer-

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tigen Technologien und 0,7 Prozent bei Low-tech-Produkten. 쮿 Innovationen sind die Grundlage für Wohlstand. Der Hochlohnstatus Deutschlands und anderer führender Industrieländer ist nur darauf zurückzuführen, daß sie Güter und Dienste herstellen und vermarkten können, die der Rest der Welt braucht aber nicht selbst herstellen kann, weshalb der geforderte Hochpreis bezahlt wird. Diese „Innovationsrente“ kann nur durch ständig neue Innovationsleistungen gehalten und ausgebaut werden. 쮿 Deutschland befindet sich in einem säkularen Wandel von der klassischen Industriegesellschaft zur Wissens-, Informations- und Dienstleistungsgesellschaft. Letztere ist beschäftigungsintensiver als die traditionelle Industriegesellschaft. Die USA ist in diesem Prozeß weiter fortgeschritten: Die „Beschäftigungsschwelle“, ab der zusätzliche Arbeitsplätze entstehen, liegt in der postindustriellen Gesellschaft der USA bei 0,6 Prozent reales Wirtschaftswachstum pro Jahr, in der traditionellen Industriegesellschaft Deutschlands dagegen noch bei 2,4 Prozent.

Information und Telekommunikation: Schlüssel im Innovationsprozeß Beim Thema Innovation seien Fortschritte in der Informationstechnologie und auch der Telekommunikation von entscheidender Bedeutung. Gerd Tenzer unterstrich, daß die Informationsgesellschaft von der Telekommunikation und von den Innovationen in der Informationstechnologie bestimmt werde. Derzeit trete in Deutschland noch das Problem auf, daß die Bereitschaft, sich den Innovationen zu stellen, in vielen Betrieben unterentwickelt sei. In der heutigen globalisierten Wirtschaft, in der die Telekommunikation zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil werden könne, müsse sich auch das oberste Management mit diesem Thema befassen. Fortführung der Deregulierung dringend erforderlich Entscheidend für Innovationen sei die konsequente Rückführung der staatlichen Regulierung. Erforderlich sei eine marktwirtschaftliche Ordnung mit maximalen unternehmerischen Freiräumen. Der Siegeszug des Internet sei ein Beweis dafür, welche dynamischen Entwicklungen möglich seien, wenn überzogene Regulierungen vermieden würden. Die von der Bundesregierung durchgesetzten zahlreichen Reformen seien hierzu der richtige Weg. Die Genehmigungsverfahren seien in vielen Bereichen drastisch verkürzt worden.

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Ordnungspolitik

Eine Medizintechnikfabrik von Siemens mit einem Investitionsvolumen von über 200 Millionen DM sei innerhalb von sechs Wochen genehmigt worden. Diese positiven Entwicklungen sollten stärker in der öffentlichen Diskussion wahrgenommen werden. Die Rahmenbedingungen des Standorts Deutschland hätten sich deutlich verbessert: Bei der Produktivitätsentwicklung und den Lohnstückkosten habe Deutschland wieder Fuß gefaßt, bei den Patentzahlen pro eine Million Beschäftigte liege Deutschland wieder vor Japan und den USA. Große Steuerreform umsetzen Alle Teilnehmer der Diskussion waren sich einig: Von ganz zentraler Bedeutung für den Innovationsstandort Deutschland ist die Umsetzung der großen Steuerreform. Gunnar Uldall MdB betonte, daß es hier nicht nur um die dringend notwendige Nettoentlastung gehe, sondern um eine deutliche Vereinfachung des Steuerrechts. Die Beseitigung von Ausnahmetatbeständen und damit die Entschlackung der unübersichtlich gewordenen Steuergesetze sei jedoch nur dann möglich, wenn auch die Steuersätze drastisch reduziert würden. Die Widerstände gegen eine Abschaffung der Ausnahmetatbestände könnten nur dann aufgelöst werden, wenn die Ausnahmetatbestände durch eine deutlich Senkung der Steuersätze an Wert verlören.

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Ausgaben für Forschung und Entwicklung erhöhen Nachdem die Unternehmen in den zurückliegenden Jahren in erster Linie die Erhöhung der Produktivität im Visier gehabt hätten, sei heute die Wirtschaft dabei, wieder massiv in Forschung und Entwicklung zu investieren. Der Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt liege jedoch mit derzeit 2,25 Prozent noch unter den 1989 erreichten 2,9 Prozent. Um technologische Spitzenleistungen auch für die Zukunft zu sichern, sollten die Ausgaben für Forschung und Entwicklung weiter erhöht werden. Innovationen seien jedoch nicht das Privileg von Großunternehmen. Kreativität blühe gerade in Kleinunternehmen und im Mittelstand. Kooperationen zwischen diesen Unternehmen und den Großunternehmen gewönnen im Innovationsprozeß zunehmend an Bedeutung. Bildungssystem reformieren Erforderlich sei eine Reform des deutschen Ausbildungs- und Weiterbildungssystem. Neben der Modernisierung und Effizienzsteigerung des Bildungssystems müsse der Förderung von Spitzenleistungen durch Elitenbildung eine stärkere Bedeutung zukommen. Wichtig für Innovationen sei die Schaffung eines positiven Klimas für Vorbilder. Lebenslanges Lernen müsse zu einer Selbstverständlichkeit werden. In allen Studienrichtungen sollte in einem stärke-

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rem Umfang praxisrelevantes Management-Know-how vermittelt werden. Zur Förderung des Wissenstransfers zwischen Hochschule, Wirtschaft und Ministerien sollte der Wechsel von Mitarbeitern zwischen diesen Institutionen erleichtert werden. „Die Gesellschaft muß sich zur Technik und zu technologischen Leistungen bekennen und denen, die dort tätig sind auch Anerkennung zollen“, betonte Bundesminister Dr. Günter Rexrodt MdB. Technik und Technologie müssten in Deutschland wieder den Wert und das Prestige haben, das sie verdienen. Die Technikfolgewirkungen müssten zwar genau beachtet werden, die einseitige Betonung der Gefahren führe jedoch in die Sackgasse. Lorenz Weimann

Berichterstatter im Plenum: Dr. Jan B. Berentzen

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Ordnungspolitik

Günter Rexrodt: Mehr

Wettbewerb

Vor dem Hintergrund des weltweiten Wettbewerbs brauchen wir eine ordnungspolitische Neubesinnung. Und das heißt, es ist die Trennungslinie neu zu ziehen: Zwischen den Aufgaben, die der Staat im Interesse der Allgemeinheit notwendig übernehmen muß, und den Aufgaben, die ohne weiteres die Privaten wahrnehmen können.

Energie- und Telekommunikationsmärkte geöffnet Das neue Energiewirtschaftsrecht ist vergangenen Monat in Kraft getreten. Das neue Kartellrecht hat die letzten parlamentarischen Hürden genommen.

Wir werden die Globalisierung für uns zum Gewinn machen, wenn wir gerade jetzt wieder auf Marktwirtschaft und Wettbewerb setzen. Die Antwort Deutschlands auf die Globalisierung muß die Bereitschaft zu Reformen, Wandel und Anpassung sein. Der Staat kann das Wissen nicht haben, was im einzelnen gewinnbringende und volkswirtschaftlich nützliche Innovationen sein werden und wo die neuen Märkte liegen. Deshalb sollte der Staat auch nicht aktiv und lenkend in die Innovationstätigkeit und das Erschließen neuer Märkte eingreifen. Das ist die Aufgabe der Unternehmen, und das liegt in ihrem ureigenen Interesse. Sie haben das bessere Wissen, sie können die Risiken besser abschätzen. Aber der Staat muß Hemmnisse aus dem Weg räumen, die die Initiative und den Spielraum der Unternehmen begrenzen, die den Wettbewerb beschränken und den Suchprozeß des Marktes einengen.

Die Telekommunikationsmärkte sind seit Beginn des Jahres so offen wie sonst nirgendwo auf der Welt, auch nicht in den USA. Die neue Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post sorgt dafür, daß der Wettbewerb Schritt für Schritt Einzug hält. Dabei ist klar: Sie hat nur einen Auftrag auf Zeit. Der freie Zugang zum Markt für Telekommunikation ist eine hervorragende Ausgangsposition für Deutschlands Weg in die globale Informationsgesellschaft. Forschungsstandort Deutschland stärken Wenn es darum geht, dafür zu sorgen, daß uns die Ideen jetzt und in Zukunft nicht ausgehen, sind neben der Wirtschaft auch Staat und Gesellschaft in der Pflicht. Deshalb stecken wir erhebliche öffentliche

Mittel in unsere Großforschungseinrichtungen, unsere Forschungsinstitute und Universitäten. Und das wirkt: Grundlagenforschung in Deutschland hat in vielen Bereichen Weltklasse. Aber neue wissenschaftliche Erkenntnisse müssen auch die Unternehmen erreichen, vor allem im Mittelstand. Damit das künftig besser klappt, haben wir ein Netz von Technologietransfereinrichtungen aufgebaut. Die bringen Forscher, Entwickler und Unternehmer zusammen. Weitere Schritte müssen folgen. Mehr Soziale Marktwirtschaft für Innovationen In Wirtschaft und Gesellschaft, unter immer neuen Bedingungen, gilt es, stets aufs neue die richtige Balance zu finden: zwischen persönlicher Freiheit und Verantwortung der Gemeinschaft. Vor 50 Jahren hat Ludwig Erhard dafür die Maßstäbe gesetzt. Ein halbes Jahrhundert später, an der Schwelle zur globalen Informationsgesellschaft, stehen wir wieder vor großen Herausforderungen. Wie damals können wir sie auch heute meistern: nicht durch Verzicht auf Soziale Marktwirtschaft, sondern durch mehr Soziale Marktwirtschaft.

Reformen für den Standort Deutschland fortsetzen Auf vielen Feldern ist die Bundesregierung den Weg der Reformen entschlossen gegangen. Sie hat die Handlungsspielräume für Unternehmen ausgeweitet, ihre Belastungen durch Kosten, Abgaben und Regulierungen gesenkt und ihre Eigeninitiative und Selbstverantwortung gestärkt. Mit großem Erfolg haben wir die Regulierungen durchforstet. Die Planungs- und Genehmigungsverfahren haben wir vereinfacht und verkürzt. Neue Regelungen im Arbeitsrecht machen den Arbeitsmarkt flexibler. Das alte Gentechnikrecht wurde nachhaltig entrümpelt.

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Sozialpolitik

Generationenverantwortung

Dr. Norbert Blüm MdB, Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, hielt im Podium zum Thema „Sozialpolitik in der Generationenverantwortung“ das Eingangsreferat. Unter der Moderation von Rainer Nahrendorf, Chefredakteur Handelsblatt, diskutierten: Jürgen Husmann, Mitglied der Hauptgeschäftsführung Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände; Julius Louven MdB, Vorsitzender der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales der CDU/CSU-Frakton des Deutschen Bundestages; Dr. Gerhard Rupprecht, Vorsitzender des Vorstandes Allianz Lebensversicherungs-AG; Dr. Erich Standfest, Alternierender Vorsitzender des Vorstandes Verband Deutscher Rentenversicherungsträger. Berichterstatter war RA Klaus Schweickart, Vorsitzender des Vorstandes Altana AG. Die Reformen des Arbeitsrechts sowie der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung haben in der 13. Legislaturperiode dazu beigetragen, den Anstieg des Sozialversicherungsbeitrages abzumildern. Kollektive Sicherung zurückführen – private Vorsorge stärken Gleichwohl hat der gesamte Sozialversicherungsbeitrag zu Beginn des

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Jahres 1998 eine neue Rekordhöhe von 42,1 Prozent erreicht. Nur wenn es gelingt, diesen Beitragssatz in den kommenden Jahren konsequent auf etwa 38 Prozent zu reduzieren, sind nach Auffassung von Jürgen Husmann, Mitglied der Hauptgeschäftsführung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, die notwendigen Impulse für neues Wachstum und neue Arbeitsplätze zu erreichen. Dies verlange in der Tat, wie der Bundesarbeitsminister bereits erläutert habe, eine neue Balance von Subsidiarität und Solidarität. Allein die konsequente Rückführung der kollektiven sozialen Sicherungssysteme sowie die damit verbundene Reduzierung der Zwangsbeiträge, erweitere den Spielraum für eine eigenverantwortliche private Vorsorge. Arbeitgeberbeitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung fixieren Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände sei der Auffassung, daß die medizinisch notwendigen Leistungen innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung durchaus mit einem Beitrag von zwölf Prozent abgedeckt werden könnten. Die Erschließung weiterer Wirtschaftlichkeitsreserven, die Förderung des Wettbewerbs zwischen den Krankenkassen und die sachgerechte Kostenzuweisung versiche-

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rungsfremder Leistungen müßten noch in der kommenden Legislaturperiode dazu genutzt werden, den Arbeitgeberanteil an der gesetzlichen Krankenversicherung auf sechs Prozent zu stabilisieren. Gesetzliche Rente auf Basissicherung konzentrieren Bei der gesetzlichen Rentenversicherung habe die Bundesvereinigung dagegen eine Reihe von Vorschlägen präsentiert, die insgesamt zu einer dauerhaften Senkung des gesetzlichen Rentenbeitrages auf etwa 19 Prozent führten. Husmann unterstützte die Forderung des Bundesarbeitsministers, an lohnbezogenen Beiträgen der Rentenversicherung sowie am Äquivalenzprinzip von Beitrag und Leistung festzuhalten. Die neue Ausrichtung der Rentenversicherung auf eine Basissicherung mache jedoch eine zweite Stufe der Rentenreform notwendig. Diese müsse ein Einfrieren der Beitragsbemessungsgrenze beinhalten, bis das Niveau des durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgeltes erreicht sei. Die Verlängerung der Lebenserwartung müsse außerdem durch eine volle Demographiekomponente bei den Rentenanpassungen Berücksichtigung finden. Prognos-Gutachten wertet Rentenreformgesetz 1999 positiv Julius Louven MdB vertrat die Auffassung, daß das jüngste Prognos-Gutachten die positive Einschätzung des Rentenreformgesetzes 1999 unterstütze. Es sei jedoch auch deutlich geworden, daß weiterer Handlungsbedarf über die Reform der Hinterbliebenenrente hinaus bestehe, wenn die Stabilität der Rentenfinanzen ohne andauernden Generationenkonflikt herbeigeführt werden solle. Er bedauerte, daß die BDA mit ihren jüngsten Vorschlägen nicht zwei oder drei Jahre früher an die Öffentlichkeit gegangen sei und damit gleichzeitig die Reformansätze im sogenannten Kauder/Louven-Papier unterstützt habe. In jedem Fall könne es nicht so weitergehen, daß der Preis für die längere Lebenserwartung vor allem von der jungen, noch aktiven Generation gezahlt werde. Senkung des Sozialversicherungsbeitrages – ein ehrgeiziges Ziel Die Senkung des gesamten Sozialversicherungsbeitrages auf deutlich un-

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Sozialpolitik

Dr. Gerhard Rupprecht von der Allianz Lebensversicherung-AG räumte zwar ein, daß das Rentenreformgesetz 1999 zu einer wichtigen Entlastung der Rentenkassen führen werde. Gleichwohl werde die Latte nach wie vor zu hoch gelegt, wenn in der Begründung des Gesetzestextes daran festgehalten werde, allein durch die gesetzliche Rente den Lebensstandard im Alter zu sichern.

ter 40 Prozent sei überdies ein sehr ehrgeiziges Ziel, das jährliche Einsparungen der Sozialversicherungen von über 45 Milliarden DM notwendig mache. Wer derartige Einschnitte im Interesse einer neuen Dynamik auf den Arbeitsmärkten verwirklichen wolle, müsse konsequent Roß und Reiter nennen. Zwar hätten selbst die Gewerkschaften in der Kanzlerrunde zum „Bündnis für Arbeit“ erstmals eingeräumt, daß es einen engen Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Arbeitskosten und der Schaffung neuer wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze gebe. Doch habe es letztlich an der Bereitschaft gefehlt, notwendige Einschnitte mitzutragen und für ihre politische Umsetzung einzutreten. Gewerkschaften für Ergänzung einer bedarfsorientierten Grundsicherung Auch Dr. Erich Standfest gab ein klares Bekenntnis zur beitragsfinanzierten und lohnbezogenen Rentenversicherung ab. Innerhalb der Gewerkschaften gebe es allerdings eine Diskussion darüber, wie eine Art be-darfsorientierte Grundsicherung für diejenigen Menschen ergänzt werden könnte, deren monatliche Rentenzahlungen unterhalb des Sozialhilfeniveaus lägen. Betroffen seien hierbei nur ein bis zwei Prozent aller Rentner. Diese geringe Quote zeige allerdings, daß die gesetzliche Rentenversicherung schon in der Vergangenheit bei der Verhinderung von Altersarmut erfolgreicher gewesen sei als alle bekannten staatlichen Grundsicherungssysteme. Selbst im Grundsicherungsmodell der Schweiz sei die Sozialhilfeabhängigkeit höher als in Deutschland. Gleichwohl führe der diskriminierende Charakter von Sozialhilfe gerade

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bei älteren Menschen häufig dazu, daß sie ihre Ansprüche nicht wahrnähmen. Diese Überlegungen hätten schließlich auf Gewerkschaftsseite dazu geführt, nicht nur für die älteren Bürger, sondern auch für die Arbeitslosen eine Art bedürftigkeitsorientierter Grundsicherung einzufordern. Jürgen Husmann hielt solchen Überlegungen entgegen, daß es dem einzelnen Bürger doch gleichgültig sein könne, ob er seine wirtschaftlichen Verhältnisse gegenüber einer Kommune oder einem Rentenversicherungsträger offenbaren müsse. Die von den Gewerkschaften und auch von Teilen der SPD erörterte bedarfsorientierte Grundsicherung dürfe auf keinen Fall mit dem BDA-Vorschlag einer Basissicherung verwechselt werden. Jüngere Generationen entlasten Die jüngere Generation werde im Vergleich zu den heutigen Rentnern durch die derzeitige Ausgestaltung der gesetzlichen Rentenversicherung in doppelter Hinsicht benachteiligt. Während die heutigen Rentner mit relativ niedrigen Beiträgen vergleichsweise hohe Renten erreicht hätten, würden der jüngeren Generation relativ hohe Rentenbeiträge zugemutet, die nur zu niedrigeren Renten führten. Darüber hinaus sei die junge Generation heute angesichts der ohnehin bereits hohen Abgabenbelastung kaum in der Lage, eigene Vorsorge zu treffen. Diese Defizite könnten durch eine Reduzierung der Zwangsbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zumindest teilweise kompensiert werden. Abschied von der Sicherung des Lebensstandards durch die gesetzliche Rente

Sinkende Geburtenrate beeinflußt Generationenbilanz Die Generationenbilanz der Deutschen Bundesbank habe ergeben, daß künftige Generationen etwa 2,4 mal so hohe Nettoleistungen an den Staat erbringen müßten (Steuern und Abgaben minus empfangene staatliche Leistungen), als dies von der heutigen Generation gefordert werde. Nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch in den meisten anderen westlichen Industrieländern sei ein drastischer Rückgang der Geburtenraten zu verzeichnen. Während in Deutschland jedoch immer noch 75 Prozent aller Alterseinkommen über eine umlagefinanzierte gesetzliche Rentenversicherung gezahlt würden, hätten die anderen Länder längst Konsequenzen gezogen. Für die Bundesrepublik Deutschland sei es auf Dauer notwendig, daß sich der Anteil der kapitalgedeckten Alterseinkommen auf mindestens 40 Prozent erhöhe. Für diese Umstellung müsse genutzt werden, daß heute große Teile der Bevölkerung ein höheres Einkommen, mehr Vermögen und Wohneigentum zur Verfügung hätten, als dies früher der Fall gewesen sei. Rainer Gerding

Berichterstatter im Plenum: Klaus Schweickart

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Sozialpolitik Norbert Blüm: Neue Eigenverantwortung und Solidarität Die Alterssicherungssysteme stehen nicht allein in Deutschland vor drei Herausforderungen: Der Veränderung der Arbeitswelt, der demographischen Entwicklung sowie dem Wertewandel. Gerade in Zeiten des beschleunigten Wandels dürfen orientierunggebende Prinzipienfragen nicht außer acht bleiben. Eine neue Balance zwischen Eigenverantwortung und Solidarität entscheidet darüber, ob wir auch in Zukunft der Generationenverantwortung gerecht werden. Die Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung wird nicht nur durch die absehbare demographische Entwicklung, sondern auch durch die Arbeitslosenzahlen belastet. Wer tatsächlich glaubt, uns ginge die Arbeit aus, der wird sich vor allem darum bemühen, die Arbeitszeiten anders zu verteilen. Dies fällt unter das Thema Mangelverwaltung. Ich bin dagegen überzeugt davon, das Arbeit Zukunft hat. In einer Welt, in der 80 Prozent der Weltbevölkerung von 20 Prozent der Erdengüter leben, ließe sich alles andere nur als Zynismus der Wohlstandsgesellschaften verstehen. Wir müssen dagegen erkennen, daß unsere Arbeit möglicherweise falsch organisiert, falsch verteilt und zu teuer ist. Hätten wir den Dienstleistungssektor der Amerikaner, so gäbe es in Deutschland fünf Millionen Beschäftigte mehr. Die Entwicklung von Frauenerwerbsquote und Zuwanderungen müssen ebenfalls bei einer sachgerechten Beurteilung der Arbeitsmarktlage berücksichtigt werden.

Balance bedürftig ist. Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben und auch meinen Kindern keine solche zurücklassen, in der der Staat pausenlos Bedürfnisse prüft. Grundrente begünstigt Aussteiger und Schwarzarbeit Ein Durchschnittsverdiener muß in Westdeutschland heute etwa 25 Jahre arbeiten, um eine Rente oberhalb des Sozialhilfeniveaus zu erhalten. Warum sollte er aber noch arbeiten, wenn er auch ohne Arbeit eine Grundrente bekommt? Das wäre eine Prämie für Aussteiger. Die Grundrentenalternative wäre zugleich wehrlos gegen Schwarzarbeit. Ein beitragsbezogenes Rentensystem ist außerdem steuerungsfähiger als eine steuerfinanzierte Grundrente. Die Schweden sind als Vorreiter eines Grundrentensystems hinlänglich bekannt. Sie stellen jedoch jetzt auf die Beitragsfinanzierung um, weil sie nicht zuletzt auch das Anspruchsdenken reduzieren wollen. Bei einem steuerfinanzierten Rentensystem wird in jährlichen Haushaltsentscheidungen über die Rentenhöhe bestimmt. Davon wird derjenige profitieren, der den größten politischen Druck erzeugen kann. Ein beitragsfinanziertes Rentensystem folgt dagegen dem Prinzip: Wer mehr Lei-

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stung will, muß mehr Beitrag zahlen. Das Äquivalenzprinzip steht unter einem eigentumsähnlichen Schutz. Die Immunität gegen Staatseingriffe ist deshalb größer als in einem steuerfinanzierten Grundrentensystem. Widersprüche der Sozialdemokraten Derzeit ist nicht erkennbar, für welche Rentenreform die Sozialdemokraten eigentlich stehen. Partei und Fraktionsspitze der SPD haben in den letzten Monaten wenigstens fünf verschiedene Konzepte an die Öffentlichkeit gebracht. Demgegen- über heißt es im Wahlprogramm der Sozialdemokraten, es bleibe alles beim alten. Es wäre jedoch unverantwortlich, die demographische Entwicklung erst in einer Rentenreform z. B. zum 1. Januar 2016 zu berücksichtigen. Widersprüchlich bleibt außerdem, daß die Sozialdemokraten einerseits das Rentenreformgesetz 1999 zurücknehmen wollen und andererseits für eine Senkung der Lohnzusatzkosten eintreten. Private und betriebliche Altersvorsorge verbessern Dringender denn je ist die Ergänzung unseres gesetzlichen Rentensystems durch eine private und betriebliche Vorsorge. Zur Stärkung der zweiten und dritten Säule der Alterssicherung ist es erforderlich, in der nächsten Legislaturperiode zusätzliche steuerliche Anreize zu schaffen. Darüber hinaus müssen neue und flexiblere Formen der betrieblichen Altersversicherung entwickelt werden.

Plädoyer für eine leistungsbezogene Rentenversicherung Eine Vielzahl von Vorschlägen zur Reform der Alterssicherung wird bereits diskutiert. Auffällig ist allerdings, daß die meisten Alternativmodelle zur umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung nicht durchgerechnet sind. Ich verteidige die beitragsbezogene Rentenversicherung, weil sie das Leistungsprinzip stützt. Wer gearbeitet und Beiträge gezahlt hat, erhält im Alter eine gesetzliche Rente. Er wird dann nicht gefragt, ob er auch

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BundesdelegiertenVersammlung ‘98

Dieter Murmann: Zur Fortsetzung des Reformkurses gibt es keine Alternative „Wahlkampf ist Kampf!“ Dieser Aufruf Konrad Adenauers erhält im Wahlmarathon 1998 neues Gewicht. Spätestens seit dem Ausgang der Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt ist klar: Die Bundestagswahl am 27. September wird zu einer Richtungsentscheidung. Die Regierungsbildung in Sachsen-Anhalt zeigt, daß die SPD zur reinen Machterhaltung erneut eine Tolerierung durch die PDS billigend in Kauf nimmt. Die Zusammenarbeit mit einer kommunistischen Partei, die sich wie die PDS bis zum

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heutigen Tage dem demokratischen Grundkonsens verweigert, gibt Anlaß zu ernster Sorge. Sie zeigt die SPD auch nicht als neue Mitte, sondern als die alte Linke. Ein ähnliches Bündnis auf Bundesebene, möglicherweise unter Beteiligung der Grünen, muß unter allen Umständen verhindert werden. Gerade in Zeiten internationaler Umbrüche kommt es darauf an, daß Deutschland ein verläßlicher und gestaltender Partner in der Europapoli-

tik sowie in der Außen- und Sicherheitspolitik bleibt. Im Rahmen der Westeuropäischen Union und vor allem der NATO stehen wir auch in Zukunft in der Pflicht, unseren Beitrag für Frieden und Sicherheit in Europa und der Welt zu leisten. Wer dagegen wie die Grünen für die Auflösung der NATO und gegen Friedenseinsätze der Bundeswehr plädiert, hat sich längst aus der Solidarität der internationalen Staatengemeinschaft verabschiedet. Europäische Einigung vorantreiben Nach den wegweisenden Beschlüssen über den Vertrag von Amsterdam und den Eintritt in die europäische Währungsunion gilt es jetzt, die europäische Einigung durch die Schaffung handlungsfähiger Institutionen und eine zügige Ost-Erweiterung voranzutreiben. International anerkannter Garant für eine erfolgreiche Weiterentwicklung der Europäischen

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Union bleibt Bundeskanzler Helmut Kohl. Die Vorteile des europäischen Binnenmarktes werden wir auch deshalb voll nutzen können, weil der Euro als stabile Währung kommt. Deshalb muß der von der Bundesregierung durchgesetzte Stabilitätspakt strikt eingehalten werden. Ein Angriff auf die Stabilität des Euro ist hingegen der von der SPD geforderte Einsatz der Währungspolitik für beschäftigungspolitische Ziele. Es bleibt dabei: Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist vor allem eine nationale Aufgabe, die mit Mitteln der Geldpolitik nicht gelöst werden kann. Mit Blick auf den Euro hat der Bundeskanzler zum Problem der Stabilitätsaussicht für die D-Mark nach der Währungsreform 1949 jetzt auf dem Bundesparteitag der CDU in Bremen einen berühmten Zeitzeugen genannt. Der damalige Leiter des internationalen Währungsfonds erklärte dem damaligen Chef der Bank deutscher Länder: „Nun Herr Vocker, kein Gold, keine Devisenreserven, ich will Ihnen ehrlich sagen, Sie haben überhaupt keine Chance, es kann nichts daraus werden.“ Im Vergleich zu dieser Entstehungsgeschichte der D-Mark zeugt die Bezeichnung des Euro als eine kränkelnde Frühgeburt durch Gerhard Schröder von kränkelnder ökonomischer Kompetenz. Nationale Hausaufgaben erledigen Die unumkehrbare Globalisierung der Märkte zwingt uns dringender denn je, unsere nationalen Hausaufgaben zu erledigen, um neue Perspektiven für Wachstum, Investitionen und wettbewerbsfähige Arbeitsplätze in Deutschland zu schaffen. Zurück ins letzte Jahrhundert weist demgegenüber die Vorstellung Oskar Lafontaines, wir könnten den Zwängen der Globalisierung durch ein System des international abgestimmten Staatsinterventionismus ausweichen. Der Wirtschaftsrat ist sich mit allen Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft einig, daß es zur Fortsetzung des Reformkurses der

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CDU/CSU-geführten Bundesregierung keine Alternative gibt. Die Sozialdemokraten müssen für ihre machtpolitisch motivierte Blockadehaltung im Bundesrat am Wahltag eine deutliche Quittung erhalten. Trotz aller Widerstände der parlamentarischen Opposition wurden in der zu Ende gehenden Legislaturperiode wichtige Zukunftsreformen zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes durchgesetzt. Hierzu gehören: Die Aussetzung der Vermögensteuer, die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer, die Senkung des Solidaritätszuschlages, die Rentenreform, die Gesundheitsreform, aber auch die Verbesserung der gesetzlichen Vorgaben bei der Lohnfortzahlung sowie im Bereich des Kündigungsschutzes. Wer wie die SPD diese Reformen zurückdrehen will, 쮿 löst wirtschaftlichen Rückschritt aus, 쮿 gefährdet die Stabilität unserer sozialen Sicherungssysteme und 쮿 vernichtet wettbewerbsfähige Arbeitsplätze in Deutschland. Alle Staaten, die wie zum Beispiel Großbritannien, die Niederlande und

die USA in den zurückliegenden Jahren die Reformen mit mehr Tempo durchgesetzt haben, weisen inzwischen deutlich niedrigere Arbeitslosenzahlen auf. Erneuerung der föderalen Ordnung Der Anschluß an das internationale Reformtempo erfordert um so dringlicher eine Erneuerung unserer föderalen Ordnung, die Selbstblockaden der Gebietskörperschaften in Zukunft verhindert. Der Wirtschaftsrat hat sich deshalb eingehend mit dem Thema „Staatsfinanzen und Föderalismus“ befaßt. Mehr Wettbewerb auf allen staatlichen Ebenen ist eine Schlüsselvoraussetzung für den schlanken Staat. Wir brauchen eine neue Kultur der Eigenverantwortung aller Gebietskörperschaften! Nur wenn es gelingt, das Eigeninteresse der Gebietskörperschaften zu mobilisieren, können auch die Chancen für eine standortpflegende Steuerpolitik und eine sparsame Haushaltsführung auf allen staatlichen Ebenen nachhaltig gestärkt werden. 쮿 Dringend notwendig ist deshalb eine grundlegende Reform der Finanzverfassung, die klare Aufgabenzuweisungen an die Gebietskörperschaften vornimmt und die Mischfinanzierung sowie das steuerliche Verbundsystem

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me zur Reduzierung der Abgabenlast von derzeit 42 Prozent auf deutlich unter 40 Prozent im Jahr 2000 erwirtschaftet werden. Alle Gebietskörperschaften müssen die Ausgabenund Defizitlinie der mittelfristigen Finanzplanung strikt einhalten. Bereits seit Jahren tritt der Wirtschaftsrat für eine grundlegende Neubestimmung der Staatsaufgaben ein. Zentraler Ansatzpunkt zur Verwirklichung des schlanken Staates bleibt eine umfassende Privatisierungsoffensive auf allen staatlichen Ebenen. Mit der Studie „Privatisierungen bei Bund, Ländern und Kommunen“ hat der Wirtschaftsrat im November 1997 konkrete Handlungsempfehlungen und Kernforderungen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Privatisierungen vorgelegt.

zugunsten eigener Steuerquellen von Bund, Ländern und Gemeinden zurückführt.

te-Kommission beider Häuser für die Reform der Finanzverfassung einzusetzen.

쮿 Wir brauchen darüber hinaus einen Länderfinanzausgleich, der Fehlanreize durch Übernivellierungen der Länderfinanzkraft vermeidet. Wir können uns nicht länger leisten, „Föderalismus“ mit „Förderalismus“ zu verwechseln.

Rückführung des Staates auf seine Kernaufgaben Über diese institutionellen Anpassungen hinaus müssen die Konsolidierungsanstrengungen in allen öffentlichen Haushalten und den Sozialversicherungssystemen energisch fortgesetzt werden.

Der sparsame Umgang mit öffentlichen Mitteln muß ebenso belohnt werden wie das Bemühen, durch eine vorteilhafte Standortpolitik zusätzliche Steuereinnahmen zu erzielen. 쮿 Sollte sich bei wachsender Unabhängigkeit und Gestaltungskraft der Gebietskörperschaften herausstellen, daß einige Länder aus eigener Kraft nicht überleben können, muß die konsequente Lösung in einer Länderneuordnung bestehen. Wir stehen bei all diesen Fragen erst am Anfang einer schwierigen Diskussion. Der notwendige Übergang von einem selbstblockierenden zu einem kreativen und wettbewerblichen Föderalismus erfordert überdies eine Verfassungsänderung mit Zwei-Drittel-Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat. Der Wirtschaftsrat setzt sich deshalb dafür ein, möglichst bald eine Enquê-

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Auch die Sozialdemokraten sollten endlich begreifen, daß der leistungsfähige, schlanke Staat in einer globalisierten Wirtschaft mehr denn je zu einem entscheidenden Wettbewerbsfaktor wird. Demgegenüber führen die Versprechen des Wahlprogramms der SPD zu jährlichen Zusatzkosten für den Staatshaushalt von über 100 Milliarden DM, ohne daß hierfür eine verläßliche Deckung erkennbar ist. Nicht immer neue staatliche Ausgabenprogramme, sondern die konsequente Rückführung des Staates auf Kernaufgaben stärkt die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und eröffnet Perspektiven für neue Arbeitsplätze. Das vordringliche Ziel der Haushaltspolitik muß bleiben, die Staatsquote bis zur Jahrtausendwende auf unter 46 Prozent zu senken. Nur so können die notwendigen Handlungsspielräu-

Der Bund muß seine erfolgreiche Privatisierungspolitik wie beispielsweise bei Bahn und Telekommunikation für die noch verbliebenen rund 440 direkten und indirekten Unternehmensbeteiligungen fortsetzen. Darüber hinaus sind die Länder, vor allem aber die Gemeinden gefordert, ihre umfangreichen Privatisierungspotentiale zu erschließen. Derzeit sind die Bundesländer allein an rund 660 Unternehmen direkt beteiligt. Die Gemeinden betreiben nach wie vor etwa 100.000 Einzelbetriebe, die privatisiert werden müssen. Der Wirtschaftsrat setzt sich dafür ein, ein Privatisierungsgebot mit einer Umkehr der Beweislast für alle staatlichen Ebenen gesetzlich festzuschreiben. Entscheidend ist eine materielle Privatisierung und nicht nur eine Änderung der Rechtsform. Weniger Steuern bedeuten mehr Wachstum Weniger Steuern und Abgaben bedeuten mehr Wirtschaftswachstum und wettbewerbsfähige Arbeitsplätze. Vordringlich bleibt deshalb die Durchsetzung der großen Einkommen- und Körperschaftsteuerreform. Sie muß trotz des Widerstandes der SPD-Opposition sofort nach der Bundestagswahl erneut in das parlamentarische Abstimmungsverfahren eingebracht werden. An der Leitlinie des Petersberger Steuerkonzepts ist festzuhalten. Das

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heißt: Vorrang für die Senkung der Steuersätze auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau und Nettoentlastung der Bürger und Unternehmen von 30 Milliarden DM jährlich. Die Steuerreformpläne der SPD würden sich dagegen standort- und beschäftigungspolitisch verheerend auswirken: 쮿 Die von den Sozialdemokraten vorgeschlagene Senkung des Einkommensteuer-Spitzensatzes von 53 auf 49 Prozent ist bestenfalls Kosmetik, die uns im internationalen Wettbewerb keinen Schritt voranbringt. Nach wie vor läuft das SPD-Steuerreformmodell auf inakzeptable Mehrbelastungen der Unternehmen von jährlich rd. 14 Milliarden DM zur Stärkung der sog. „Massenkaufkraft“ hinaus! 쮿 Der SPD-Vorschlag zur Einführung einer Mindestbesteuerung steht nicht nur im Widerspruch zu einem auch von den Sozialdemokraten geforderten einfacheren Steuersystem, sondern ist leistungsfeindlich und wegen der Verletzung des Nettoprinzips

auch verfassungswidrig. Abschreiben kann nur, wer investiert. Rentable Investitionen aber bleiben der Schlüssel für mehr wettbewerbsfähige Arbeitsplätze.

des Benzinpreises auf 5 DM pro Liter und einer um jährlich sieben Prozent steigenden Energiesteuer würde in zehn Jahren ein Aufkommen von über 1,6 Billionen DM erbringen.

쮿 Völlig indiskutabel ist auch die von der SPD geforderte Wiedererhebung der Vermögensteuer. Sie würde erneut der Kapitalflucht Vorschub leisten und die dringend notwendige Risikokapitalbildung am Standort Deutschland gefährden. Aufgrund der verfassungsgerichtlichen Vorgaben wäre zudem nur eine Vermögensbesteuerung des Mittelstandes zulässig.

Derartige Mehrbelastungen in Höhe des Fünf- bis Sechsfachen der aktuellen Einnahmen aus der Einkommensteuer führen zwangsläufig zur Abwanderung energieintensiver Industriezweige ins Ausland.

Ein nationaler Ökosteuer-Alleingang, der sowohl von Sozialdemokraten als auch von Bündnis 90/Die Grünen vorgeschlagen wird, wird von der Bundesregierung und im Zukunftsprogramm der CDU zu Recht abgelehnt. Die einseitige Belastung der deutschen Wirtschaft wäre umweltpolitisch schädlich, würde die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen und damit zusätzliche Arbeitsplätze in Deutschland kosten. Die von Bündnis 90/Die Grünen angestrebte Reform mit einer Anhebung

Unternehmer zu sein bedeutet, aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen Heinrich Weiss Ehrenmitglied des Wirtschaftsrates Die Bundesdelegiertenversammlung ist der traditionelle Ort des Wirtschaftsrates, um Persönlichkeiten und deren Leistungen für unser Gemeinwesen und insbesondere unsere Wirtschafts- und Sozialordnung der Sozialen Marktwirtschaft zu würdigen und Dank abzustatten. Einmütig beschlossen Präsidium und Bundesvorstand, Heinrich Weiss, Vorsitzender des Wirtschaftsrates von 1983 bis 1988, mit der Ehrenmitgliedschaft und der Ludwig-Erhard-Gedenkmünze des Wirtschaftsrates auszuzeichnen. Dieter Murmann in seiner Laudatio:

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„1983 war für die Bundesrepublik Deutschland und auch für den Wirtschaftsrat ein besonderes Jahr, das eine Zeitenwende markierte. Die sozial-liberale Koalition war am Ende. Die bürgerliche Koalition von CDU/ CSU und F.D.P. übernahm die Regierung. Dies machte zugleich eine Versammlung der Kräfte notwendig, die in besonderer Weise gefordert waren, der Politik der Sozialen Marktwirtschaft erneut zum Durchbruch zu verhelfen. Vor 1983 hatte Dr. Philipp von Bismarck den Wirtschaftsrat mehr als ein Jahrzehnt als Vorsitzen-

Stärkung der Eigenverantwortung als Basis für Reformen Die Stärkung der Eigenverantwortung muß nicht nur zur Richtschnur der Neuordnung des Föderalismus in Deutschland werden, sondern zugleich die Basis für weitere Reformen der sozialen Sicherungssysteme sein. Zur Senkung der Lohnzusatzkosten und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze bleibt die konsequente Fortsetzung der Strukturreformen bei der Renten, Kranken- und Arbeitslosenversicherung vordringlich. Die Zahlen des Sozialbudgets 1997 belegen, daß die Sozialleistungsquote mit 34,4 Prozent immer noch den zweithöchsten Stand in der Geschichder in verdienstvollster Weise geführt. Mit der Wahl des jugendlichen Heinrich Weiss vollzog der Wirtschaftsrat den Generationswechsel und gab auch ein Signal zur Begleitung der Bundesregierung unter der Führung von Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl. Wir übertreiben nicht, wenn wir mit Blick auf den damaligen Wechsel sagen: Es trat nicht nur ein jugendlicher, sondern auch ein hoch angesehener Unternehmer an, der sich klar zu seinem Auftrag bekannte. In der Pressemitteilung vom 24. Juni 1983 ist das persönliche Bekenntnis von Heinrich Weiss in einer Weise formuliert, die auch heute nichts eingebüßt hat. Er sagte damals: ’Die Unternehmer sind untrennbarer Bestandteil und Motor der Sozialen Marktwirtschaft. Die Soziale Marktwirtschaft ist die sozialste Wirtschaftsordnung für alle Bürger, ganz besonders auch für die Schwachen. Im Wirtschaftsrat engagieren sich Unternehmer für die Soziale Marktwirtschaft, für ein besseres Verständnis ihrer Funktion und ihres Funktionierens, für mehr Mut,

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te der Bundesrepublik Deutschland erreicht hat. Mit den durchgesetzten Reformen in der Sozialversicherung konnte zwar der weitere Anstieg des gesamten Sozialbeitrages abgeschwächt werden. Dennoch wurden zum 1. Januar 1998 die bisherigen Höchstwerte von 42,1 Prozent in West- und 42,5 Prozent in Ostdeutschland erreicht. Um so wichtiger ist es, daß der Sozialversicherungsbeitrag in der nächsten Legislaturperiode wieder auf deutlich unter 40 Prozent gesenkt wird. Hierzu führt auch an einer zweiten Stufe der Rentenreform kein Weg vorbei. Eine dauerhafte Stabilisierung des Rentenversicherungsbeitrages auf unter 20 Prozent bleibt das Ziel, das wir möglichst bald verwirklichen müssen, um die Belastungen der jüngeren Generation in vertretbaren Grenzen zu halten.

75 Prozent der Alterseinkommen aus der gesetzlichen Rentenversicherung nach dem Umlageverfahren und über Zwangsabgaben der Versicherten und der Arbeitgeber finanziert. Die meisten anderen europäischen Länder haben hingegen den Anteil der betrieblichen und der privaten Alterssicherung auf der Basis von Kapitaldeckungssystemen längst stärker ausgeweitet. Diese Neuorientierung muß auch in Deutschland durchgesetzt werden. Die Begrenzung der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung muß neue Handlungsspielräume für die private Altersversorgung der Bürger schaffen. Der Wirtschaftsrat bleibt ein Gegner der leistungsfeindlichen steuerfinanzierten Grundrente. Ebenso falsch wäre es, auf das bestehende Rentensystem noch draufzusatteln.

Die Veränderung der Alterspyramide sowie die Verlängerung der Lebenserwartung stellen nicht nur das deutsche Rentensystem vor schwierige Zukunftsaufgaben. In Deutschland werden jedoch noch immer mehr als

Der Riester-Vorschlag für eine zusätzliche steuerfinanzierte Mindestrente gehört in die Kategorie unbezahlbarer leistungsfeindlicher Wahlversprechen der SPD und nicht in eine seriöse Rentendebatte.

sie zu verteidigen, für eine umfassende Stärkung ihrer Wirksamkeit und dafür, sie zum Maßstab der wirtschafts- und sozialpolitischen Ordnungsentscheidungen werden zu lassen.’

ben ausschließlich darin sehen, ihre Unternehmen erfolgreich über Krisen hinweg zu managen. Eine solche Haltung verfehlt die gesellschaftspolitische Verantwortung der Unternehmer. Unternehmer zu sein bedeutet auch, aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, im gesellschaftspolitischen Bildungsprozeß mitzuwirken und damit ihrer aus dem Ord-

Sein persönliches Bekenntnis schloß mit den Worten: ’Es ist wenig hilfreich, wenn Unternehmer ihre Aufga-

Die von den Sozialdemokraten angekündigte Rücknahme des Rentenreformgesetzes 1999 würde bereits in fünf Jahren Mehrkosten von insgesamt rund 40 Milliarden DM verursachen. Hinzu kämen jährliche Kosten von mindestens zwei Milliarden DM, wenn der Vorschlag einer Mindestrente umgesetzt werden sollte. Was an einer solchen SPD-Politik innovativ und mittelstandsfreundlich sein soll, bleibt unbegreiflich: In Wirklichkeit gilt für die sogenannte neue SPD die alte Parole: Vorwärts Genossen, wir gehen zurück! Ebensowenig akzeptabel sind die SPD-Vorschläge zur Gesundheitsreform. Sie würden nicht zu einer weiteren Stärkung der Eigenverantwortung führen. Im Gegenteil: Die geplante Anhebung der Pflichtversicherungsgrenze und der Beitragsbemessungsgrenze auf das Niveau der gesetzlichen Rentenversicherung hätte eine weitere Ausdehnung des kollektiven Sicherungssystems zur Folge. Gerade hier brauchen wir eine Richtungsänderung: Die Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung läßt sich nicht durch die Ernungsprinzip der Sozialen Marktwirtschaft erwachsenden Verpflichtung gerecht zu werden.’ Die fünf Jahre seines Vorsitzes im Wirtschaftsrat waren bestimmt von einer loyalen Zusammenarbeit zwischen Haupt- und Ehrenamt und von einem fröhlich-freundschaftlichen Zusammenhalt im Präsidium. Der aktive Unternehmer Weiss hat durch sein verbandspolitisches Wirken im Wirtschaftsrat und in anderen Verbänden den Nachweis erbracht, daß ein solches persönliches Bekenntnis auch in der breiten Öffentlichkeit anerkannt wird und Zustimmung erfährt… …Es ist mir deshalb eine wirkliche Freude, Heiner Weiss mit der Verleihung der Ehrenmitgliedschaft noch einmal sichtbar zu danken und seine Verdienste mit der Verleihung der Ludwig-Erhard-Gedenkmünze zu würdigen. Die Inschrift lautet: Soziale Marktwirtschaft – Ordnung der Zukunft – Die Freiheit ist unteilbar.

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Kündigungsschutzes, die Erleichterung befristeter Arbeitsverhältnisse sowie die gesetzlichen Vorgaben bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall erfreulich deutliche Schritte auf dem Weg der Deregulierung und Kostenentlastung der Arbeitsmärkte durchgesetzt. Jetzt stehen vor allem die Gewerkschaften in der Pflicht, arbeitsplatzfördernde Tarifabschlüsse mitzutragen. Berechnungen des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel zeigen: Eine reale Nullrunde beim Lohn läßt etwa 300.000 Arbeitsplätze entstehen. Beschäftigungsfeindlich ist dagegen die Forderung nach einem „Ende der lohnpolitischen Bescheidenheit“. Eine solche Strategie würde vor allem neue Arbeitsplätze im Ausland schaffen. schließung neuer Einnahmequellen, sondern nur durch mehr Wettbewerb zwischen den Anbietern, ein neues Kostenbewußtsein bei den Nachfragern im Gesundheitswesen und die Erschließung von Wirtschaftlichkeitsreserven dauerhaft sicherstellen. Mit der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände ist der Wirtschaftsrat der Auffassung, daß für die Finanzierung der medizinisch notwendigen Leistungen ein Krankenversicherungsbeitrag von höchstens zwölf Prozent ausreicht. Gelingt es nicht, die entsprechenden Einsparungen zu realisieren, so sollte – als Ultima ratio – der Arbeitgeberbeitrag zur Krankenversicherung auf höchstens sechs Prozent begrenzt werden.

„Sozial ist, was mehr Arbeitsplätze schafft“ Bundespräsident Roman Herzog hat kürzlich zu Recht betont: „Ob eine Gesellschaft sozial ist, entscheidet sich im Zeitalter der Globalisierung nicht allein am Kriterium der Verteilungsgerechtigkeit, sondern vor allem am Beschäftigungseffekt. Sozial ist im Zeitalter der Globalisierung vor allem, was mehr Arbeitsplätze schafft.“ Der Staat ist für die Verwirklichung beschäftigungsfreundlicher Rahmenbedingungen zuständig. Die Hauptverantwortung für neue Arbeitsplätze fällt hingegen den Tarifparteien und der Wirtschaft zu. Die CDU/CSU-geführte Bundesregierung hat durch die Lockerung des

Der politischen Verantwortung gerecht werden Es besteht kein Zweifel daran, daß Deutschland an der Schwelle zum nächsten Jahrtausend noch immer vor großen Reformaufgaben steht. Dies gilt insbesondere für die neuen Bundesländer. Die Erarbeitung konkreter und speziell auf Ostdeutschland bezogener Handlungsempfehlungen führt nach der Veröffentlichung der Studie „Standort neue Bundesländer“ die Arbeitsgruppe „Neue Bundesländer“ des Wirtschaftsrates weiter. Welche Vorschläge wir auch immer in die politische Diskussion einbringen: Entscheidend ist, die politischen Mehrheiten für ihre Umsetzung zu gewinnen. Alle Wirtschaftsräte sind gefordert, hierfür im September das geeignete Fundament zu schaffen. Nur wenn die Stärkung des bürgerlichen Lagers gelingt, wird Deutschland auch die Chancen der Globalisierung nutzen und seiner politischen Verantwortung gerecht werden können. Es gilt das Wort von Clausewitz: „Die Strategie ist nichts ohne das Gefecht.“

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Rüdiger von Voss: Untaugliches hinter uns lassen und Neues gestaltend wagen

Der Bericht der Bundesgeschäftsführung, den wir der Bundesdelegiertenversammlung im letzten Jahr erstattet haben, konzentrierte sich auf eine ausführliche Darstellung der Organisation, ihrer Leistungsfähigkeit und der Instrumente, die wir zur Beratung und Formulierung unserer Verbandspolitik im Bund und in den Ländern und in den Sektionen eingerichtet haben. Insoweit möchte ich hier nur die Entwicklungen hervorheben, die die Aufmerksamkeit der diesjährigen Bundesdelegiertenversammlung in besonderer Weise verdienen. Am 20. Mai 7.544 Mitglieder Die Festigkeit und Lebendigkeit des Wirtschaftsrates spiegelt sich augenfällig in dem Bestand seiner Mitglieder, der als erstes die Resonanz auf unsere Arbeit wiedergibt. Verzeichneten wir zum 1. Januar 1998 6.977 Mitglieder, so zählen wir zum Berichtsdatum 20. Mai 1998 7.544 Mitglieder. Wir befinden uns weiterhin auf einem Wachstumspfad und verfolgen das Ziel, diese positive Entwicklung in diesem Jahr fortzusetzen. Besonders erfreulich ist bei der auch selbstkritischen Analyse der Entwicklung in den einzelnen Landesverbänden, daß wir gerade in den westdeutschen

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Landesverbänden einen echten Mitgliederzuwachs verzeichnen können. Er verläuft überall dort besonders positiv, wo wir die regionalen und insbesondere die landespolitischen Anliegen treffen und durch eine landesverbandliche Arbeitsstruktur abdecken können. Nachweisbarer Einfluß Es ist erfreulich festzustellen, daß eine wachsende Zahl der Landesverbände nachweisbaren Einfluß auf die Landespolitik gewinnen konnte. Damit ist ein Dialog in Gang gekommen, der unsere bundespolitische Artikulation in landesspezifischer Weise ergänzt. Zu Teilen erreichen Landestagungen heute ein Niveau an Teilnehmerzahlen, das sich ohne Einschränkung mit unseren bundespolitischen Aktivitäten vergleichen läßt. Die Vorstände und unsere Landesgeschäftsführungen werden qualitativ in einer besonderen Weise gefordert, für die wir uns gerade bei dem Ehrenamt und unseren Kollegen in den Ländern herzlich bedanken möchten. Mit nunmehr 161 Sektionen in ganz Deutschland stellt der Wirtschaftsrat seinen Mitgliedern und den uns begleitenden Gästen ein dichtes Netzwerk unternehmerischer Interessen-

vertretung zur Verfügung, das in den Landesinformationsdiensten des WRintern ein lebhaftes Echo findet und die konkrete Nachfrage nach unserer verbandspolitischen Arbeit in den Regionen beantwortet. Reformpolitik hautnah begleitet Die Auswertung unserer gesamten Arbeit kann leider nur zu einem vergleichsweise geringen Umfang von der Presseberichterstattung im Jahresbericht wiedergegeben werden. Fügt man hierzu die Öffentlichkeitsarbeit unserer Zeitschrift „trend“ hinzu, so zeigt sich jedenfalls, daß wir unsere Mitglieder nicht nur fortlaufend aktuell über neuere Entwicklungen in der Wirtschaftspolitik unterrichten, sondern auch – und dies ist in bewegter Zeit besonders wichtig – zeitnah positionieren. Ergänzend zu den Medien unterrichten wir den Deutschen Bundestag, die Abgeordneten und die Arbeitskreise der Fraktionen über alle maßgeblichen Arbeitsergebnisse zu wichtigen Entscheidungsprozessen und Gesetzgebungsvorhaben. Die Reformpolitik der letzten Jahre jedenfalls ist geradezu „hautnah“ begleitet worden. In vielen Themenbereichen werden wir heute als Avantgarde der Themenformulierung anerkannt, was sich gerade bei den Bundestagungen deutlich in der Präsenz von Abgeordneten des Deutschen Bundestages und Spitzenvertretern der Administration nachweisen läßt. Mit derzeit rund 60 Landesfachkommissionen nehmen die Landesverbände an wichtigen landespolitischen Entwicklungen teil. Unsere Bundesfachkommissionen haben im zurückliegenden Berichtszeitraum ihre vorzügliche Arbeit der letzten Jahre weiter vertiefen können. Wir danken allen Vorsitzenden der Kommissionen und den uns begleitenden Ratgebern aus Wissenschaft, Wirtschaft, Verbänden und den Parlamenten besonders herzlich für die geleistete Arbeit. 1.020 Veranstaltungen in 1997 Führten wir 1995 noch 740 Veranstaltungen in ganz Deutschland durch, so waren es 1996 bereits 850 Tagungen. Mit 1.020 Veranstaltungen im Berichtsjahr 1997 konnte der Veranstaltungskalender wieder maßgeblich erweitert werden, so daß wir auch hier

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bemüht sind, dem erweiterten Mitgliederbestand des Wirtschaftsrates durch gesteigerte Aktivitäten zu entsprechen.

den besonders gefordert sein, die dann eintretende Kommunikationsnachfrage auch gewährleisten zu können.

Junioren nehmen einen unverzichtbaren Platz ein Besonders erfreulich ist, daß auch die Mitgliederentwicklung der Junio-renkreise des Wirtschaftsrates weiterhin positiv verläuft. Mit derzeit 735 Mitgliedern nehmen die Junioren inzwischen einen unverzichtbaren Platz im Wirtschaftsrat ein.

… und Innen Das verbandsinterne Netzwerk der Kommunikation auf unserer Arbeitsebene zwischen der Bundesgeschäftsstelle und den Landesverbänden ist nach modernsten Gesichtspunkten ausgebaut. Wir zielen den nächsten Schritt an, auf diesem Weg dann auch weitere Kostenersparnis-Effekte zu erreichen, um noch zeitnaher an unsere Mitglieder und unsere Gäste herantreten zu können. Die Mitgliederwerbung wird damit auch ein Stück vorangetrieben, so daß wir sehr optimistisch bleiben, den Weg nach Berlin mit einem noch stärkeren Wirtschaftsrat antreten zu können.

Die Junioren werden am 22. Juni 1998 in Stuttgart ihr erstes Wirtschaftsforum als Bundestagung durchführen. Dieses „Zukunftsforum“ soll uns den Einstieg dazu bieten, unsere Wirtschaftstage in Abständen durch ein Wirtschaftsforum der Junioren zu ergänzen. Unsere jungen Mitglieder sind damit auf einem Wege der Artikulation aus eigener Kraft, für die ich hier nur um aktive Unterstützung und wohlwollende Begleitung bitten darf. Trotz angespannter beruflicher Herausforderung wird hier eine sehr engagierte Arbeit geleistet, für die ich mich besonders herzlich bedanke. Arbeitsgruppe Neue Selbstständigkeit Mit Engagement haben wir die Arbeiten der „Arbeitsgruppe Neue Selbständigkeit und Existenzgründungen“ begleitet, die unter der Leitung von Prof. Riesenhuber stand. Alle Landesverbände haben Veranstaltungen geplant und stehen weiterhin für die Unterstützung dieser Initiative zur Verfügung. Die Qualität unserer Veranstaltungen hat offenbar auch Modellcharakter. So schön Wettbewerb auch immer ist, immer mehr Nachahmer treten auf den Markt. Wir müssen uns in Zukunft besonders anstrengen, um unser Niveau zu sichern und dann auch noch steigern zu können. Kommunikation nach Außen... Wir bereiten zur Zeit den Eintritt in das Internet vor. Noch in diesem Herbst werden wir in der Lage sein, unsere Arbeitsergebnisse in dieses wichtige System der Kommunikation einzuspeisen. Wir erweitern damit unsere Präsenz in der sachpolitisch orientierten Öffentlichkeit. Wir wer-

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Gestärkt nach Berlin In diesen Sommerwochen werden wir die ersten vorbereitenden Schritte für den Umzug nach Berlin einleiten. Am 18. Juni 1998 werden wir, verbunden mit einer Sitzung von Präsidium und Bundesvorstand, die Grundsteinlegung unserer Bundesgeschäftsstelle am Spreebogen erleben. Herr Professor Piepenbrock wird weitere Details in seinem Bericht zu dieser Zukunftsaufgabe des Wirtschaftsrates mitteilen. Arbeitsgruppe Neue Bundesländer Die von der Bundesdelegiertenversammlung im letzten Jahr beschlossene Einrichtung unserer „Arbeitsgruppe Neue Bundesländer“ wird im Juni erneut in Erfurt tagen. Die Beratung der Probleme der neuen Bundesländer fordert uns in besonderer Weise. Wir hoffen jedenfalls sehr, daß wir der auch deutlich gewordenen Kritik entsprechen können. Wir benötigen die Aktivität der neuen Landesverbände, da wir eine Arbeit bei unverändertem Referentenbestand zu leisten haben, die in anderen Häusern ganze Stäbe beschäftigt. Unsere Standortstudie vom März 1997 jedenfalls hat Eingang in die Beratungen des Deutschen Bundestages und der Ministerien gefunden. So werden wir auch weiterhin bestrebt sein, unseren gemeinsamen Sachverstand durch die Kooperation mit Bundestag und den Bundeseinrichtungen zu aktivieren.

Landesverband Brüssel Die in der letzten BundesdelegiertenVersammlung angekündigten Bundessymposien sind alle programmgerecht durchgeführt worden. Eine besondere Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang unser Landesverband Brüssel, der auch im Berichtszeitraum des letzten und diesen Jahres seine Arbeit in unserem gemeinsamen Interesse leistet. Sie wird inzwischen mit besonderer Anerkennung im Europäischen Parlament und auf seiten der Europäischen Kommission aufgenommen. Auch hier möchte ich dem Vorstand und den Mitgliedern in Brüssel unseren gemeinsamen herzlichen Dank sagen. „Zukunftskommission“ Auf der Grundlage der ordnungspolitischen Positionierungen des Wirtschaftsrates und unserer ProgrammStudien hat das Präsidium nach entsprechender Beratung mit dem Bundesvorstand eine „Zukunftskommission“ des Wirtschaftsrates unter dem Vorsitz des stellvertretenden Vorsitzenden, Herrn Schweickart, eingerichtet. Diese Arbeiten sollen in diesem Herbst ihren Abschluß finden, um die konzeptionellen Überlegungen Eingang in den „Kompaß Soziale Marktwirtschaft“ finden lassen zu können, der unmittelbar nach der Bundestagswahl unsere wirtschaftspolitischen Vorstellungen für die kommende Legislaturperiode enthalten soll. Teil dieser Arbeitsstruktur war bereits das Bundessymposion vom 22. April 1998 unter dem Thema „Staatsfinanzen und Föderalismus – Strategien zur Haushaltskonsolidierung und Senkung der Abgabenlast“. Ebenso soll der heutige Wirtschaftstag mit seinen drei Podien dazu beitragen, daß die Reformen in Deutschland zu einem permanenten Prozeß werden, der von uns gerade durch öffentliche Veranstaltungen vorangetrieben und sachpolitisch abgedeckt werden muß. Privatisierungsstudie Dem gleichen Ziel diente auch die Fortschreibung unserer Studie „Privatisierung bei Bund, Ländern und Kommunen“, die wir im November 1997 vorgelegt haben. Diese Studie ist auch Gegenstand der Beratungen der sogen. Scholz-Kommission „Schlanker Staat“ zur Deregulierung und Ent-

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eigene Position klarzustellen, wissend, daß dies sofort auch zur Gegenantwort führt. Eine solche Eindeutigkeit versperrt den Weg zu opportunistischer Anpassung. Zwang zu eindeutiger Positionierung Von Samuel Huntington stammt der fordernde Satz: „lnteressenpolitik setzt Identität voraus!“ Bezogen auf den Bereich der Interessenvertretungen zwingt dies zu einer eindeutigen Position gegenüber dem demokratischen und sozialen Staat, zu einer eindeutigen Position gegenüber dem Partner des sozialen Vertrages, zu einer eindeutigen Position, wenn es um vorausgreifende Vorschläge für die Gestaltung der Reformen geht, die dieser Staat und unsere Volkswirtschaft benötigen. bürokratisierung gewesen. Mit dieser Arbeit sind wir auch im Stande, bedeutsame Aufgaben zur Reform unseres Staatsgefüges kontinuierlich zu begleiten und neue Aufgabenfelder mit zu erschließen. Aktiv in Polen Da der Blick auf die innenpolitische Lage Deutschlands nicht ausreicht, haben wir auch in diesem Jahr unsere europapolitischen Arbeiten verstärkt und einer Bitte von unserem Ehrenvorsitzenden, Dr. Philipp von Bismarck, folgend, die Planung und Durchführung eines Symposions der Stiftung Külz in Polen übernommen, die unter dem Thema stand „Soziale Marktwirtschaft – Wirtschaftssystem der Republik Polen“. Hier kündigt sich eine verdienstvolle Arbeit an, die von dieser Stiftung energisch vorangetrieben wird und die wir nach besten Kräften und in freundschaftlicher Gesinnung auch in Zukunft begleiten wollen. Gerade dieses Jahr zeigt, daß wir die vielbeschriebene Zeitenwende nur dann bestehen, wenn wir uns selbst dem Druck aussetzen, der die nationale wie internationale Politik besonders kennzeichnet. Es ist eine Art „Prozeß-Philosophie“, die uns tragen muß. Der Philosoph Peter Sloterdiyk hat ein solches Denken in seiner bedeutsamen Schrift zur zukünftigen Gestalt Europas aus dem Jahre 1994 zum Kennzeichen unserer Zeit erklärt. Es ist die Bereitschaft zum Wandel, die nur demjenigen zuteil

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wird, der neugierig ist und damit jung bleibt. Und wenn uns viele Menschen bei einem Zusagenstand von 2.600 Gästen des Wirtschaftstages Gefolgschaft erweisen, dann müssen wir zeigen, daß wir jung genug sind, Untaugliches hinter uns zu lassen und Neues gestaltend zu wagen. Bekenntnis zur Eigenverantwortung Erlauben Sie mir, in einem zweiten Teil meiner Berichterstattung einige Gedanken vorzutragen, die mich mit Blick gerade auf die Auseinandersetzungen der nächsten Monate persönlich bewegen. Wir haben den Wirtschaftstag nach eingehender Diskussion im Präsidium und Bundesvorstand ganz bewußt unter das Leitthema „Mehr Mut zur Eigenverantwortung“ gestellt. Wer sich zur Eigenverantwortung bekennt, begrenzt damit zugleich die Möglichkeiten, bei Fehlentwicklungen in Staat und Gesellschaft auf den anderen zu zeigen, andere allein für Fehlentwicklungen verantwortlich zu machen, sich selbst von der Mitverantwortung freizustellen. Mitverantwortung meint unter diesem Gesichtspunkt zuallererst eine Selbst-in-Pflichtnahme und damit die Bereitschaft, kritischen Entwicklungen mit eigenen Vorschlägen zur Verbesserung der staatlichen Ordnung und wirtschaftlichen wie sozialen Lage entgegenzutreten. Dies geht selbstverständlich nicht ohne die Bereitschaft, gerade in strittigen Fragen die

Interessenpolitik setzt Identität voraus und Identität bedeutet nicht nur Selbstfindung und Selbstprüfung. Man muß darüber hinaus authentisch sein. Dies erreicht man mit Wirkung auf andere nur, wenn der Vertretungsauftrag von den zu Vertretenden abgedeckt ist und wenn man fest von dem überzeugt ist, was man denkt und dann auch die Ziele eindeutig benennt, für die man auch zu streiten bereit ist. Man kann eine Gesellschaft nicht zur Selbstbescheidung, zur neuen Bescheidenheit, zu Verzicht und Veränderung bringen, wenn man sich selbst der Veränderung einmal erworbener Rechte und Besitzstände, die offensichtlich nicht gehalten werden können, in den Weg stellt. Man kann nicht mehr Gemeinschaftssinn verlangen, wenn man sich selbst der Gemeinschaft verweigert. Man kann nicht dauernd die politischen Parteien kritisieren, wenn aus den eigenen Reihen keine Kandidaten für die Übernahme eines politischen Mandats präsentiert werden können. Man kann die Gesichtslosigkeit und weitgehende Uniformierung der Eliten in Wirtschaft und Gesellschaft nicht ständig beklagen, wenn man sich selbst kaum von anderen unterscheidet. Man kann die zunehmende Auflösung interpersonaler Beziehungen und die Vereinsamung nicht bekla-

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gen, wenn man selbst keine Vorstellung davon hat, wie eine soziale Welt human gestaltet werden sollte, in der die soziale Isolation zu einem immer bedrängender werdenden Problem wird, in der die Menschen immer älter werden und selbstverständlich dann auch immer mehr Fürsorge und Begleitung benötigen. PDS und DVU bleiben unakzeptabel Wenn uns von außen in schwergewichtigen Betrachtungen über die Geschichte der Deutschen ein immer schwerer verständlicher Drang zu Individualismus, zu Hedonismus, in manchen Bereichen sogar zu Autismus vorgeworfen wird, dann können wir dies zwar als Übertreibung zurückweisen, müssen uns aber selbst fragen, was wir zu tun gedenken, um eine derart kritische Beurteilung und Einschätzung der gesellschaftlichen Zustände in Deutschland aufzuhalten. Mit Blick auf die Bundestagswahlen will ich mit persönlicher Überzeugung sagen: Wir können auf keinen Fall hinnehmen, daß im Zuge der Spannungen, die aus der deutschen Vereinigung erwachsen, nun plötzlich extreme Parteien Zulauf bekommen und den Anspruch auf politische Mitwirkung erheben – Parteien, die sich offen gegen unsere Demokratie und ihre Legitimität stellen. Es ist und bleibt für mich völlig unverständlich, warum es in Deutschland keine alle demokratischen Parteien gemeinsam verpflichtende und verbindende Überzeugung gibt, auf keinen Fall und wie auch immer mit extremen Parteien zu paktieren oder sich von ihnen dulden zu lassen. Die PDS ist und bleibt unakzeptabel. Gleiches gilt für die DVU oder andere ähnlich schattierte Parteien. Wer dennoch versucht, mit solchen Gruppen politisch zu paktieren, verringert den Spielraum für die Koalition der Demokraten. Dies ist eine staatspolitische Frage. Deshalb sind auch wir gefordert, klare Position zu beziehen. Je länger sich der Umbau von Staat und Wirtschaft in die Länge zieht und sich deshalb Probleme verschärfen, wie sie gerade bei der strukturell bedingten Arbeitslosigkeit deutlich werden, um so weniger kann verhindert werden, daß Menschen, die Op-

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fer ausbleibender Reformen werden, nach Sündenböcken Ausschau halten oder in extreme Positionen flüchten. Es gibt also eine staatspolitische Begründung für notwendige Reformen. Mut im Streit um eine werteorientierte Politik Wir müssen uns auch weiterhin einer „Tendenz der Überdehnung der Freiheit im Namen der Freiheit“ entgegenstellen, so wie es Joachim Fest in seinem Buch von 1993 beschrieben hat. Hier liegt auch das Grundproblem aller Reformen und deshalb kommt der den Wirtschaftstag leitenden Überschrift eine grundlegende Bedeutung zu. Wir müssen uns eben von dem „Zeitalter der guten Gefühle“ verabschieden, weil wir wissen, daß wir nur mit einer Korrektur der Ansprüche und Besitzstände neuen Handlungsspielraum für die Gestaltung eines kraftvollen und leistungsfähigen Staates, einer kraftvollen und leistungsfähigen Volkswirtschaft erreichen. Das Schlimmste, was uns für zukünftige Überlegungen zur Fortsetzung der Reformen passieren kann, ist eine weiter fortschreitende normative Gleichgültigkeit. Ich bin fest davon überzeugt, daß die Überlebensfähigkeit der bürgerlichen Parteien davon abhängt, daß sie den Mut besitzen, sich in den Streit um eine werteorientierte Politik zu begeben. Politik ist eben nicht nur die Suche nach Mehrheiten. Sie muß die Herausforderung bestehen, die eigenen politischen Ideen normativ zu begründen, um damit die Identität zu erlangen, die man braucht, um dann authentisch sein zu können. Der Jugend helfen Es ist die Frage nach der Glaubwürdigkeit einer werteorientierten Politik. Gerade die junge Generation reagiert auf normative Eindeutigkeiten. Nur so können wir ihr bei der notwendigen Unterscheidung helfen, unterschiedliche politische Versprechungen, die über ihren Handlungsspielraum entscheiden, für ihre eigene Zukunft selbstverantwortlich zu prüfen. Der Imperativ der Selbstbeschränkung ist ein anderer Ausdruck für

das, was wir mit Eigenverantwortung meinen. Und gehen wir von der Eigenverantwortung aus, so sichern wir dem demokratischen Staat Handlungsspielraum für Zukunft. Und das ist und bleibt ungemütlich. „Neue materielle Lebensgrundlage“ Ein extrem belastendes Sozialsystem ist das eigentliche Problem Deutschlands und vieler europäischer Staaten. Und je klarer wir dies aussprechen, um so streitiger ist die Auseinandersetzung, die wir erneut mit den Arbeiten unserer Zukunftskommission angehen wollen. Wir haben im Geleitwort zum Jahresbericht 1997 auf ein Zitat aus der ersten Denkschrift Ludwig Erhards vom März 1944 hingewiesen, das in einem eigentümlichen Sinne auf die heutigen Auseinandersetzungen um den Weg der Sozialen Marktwirtschaft paßt. Es zeigt, daß die Sozialdemokraten eben doch den fundamentalen Kern einer solchen Ordnungspolitik nicht verstehen und – wie sich bei Lafontaine und Schröder zeigt – auch nicht akzeptieren. Ludwig Erhard sagte dort: „...Nicht der Streit um die Beteiligungsquoten am Sozialprodukt wendet das Schicksal, sondern allein die produktive güterwirtschaftliche Leistung schafft dem deutschen Volk eine neue materielle Lebensgrundlage. Diese zwingende Erkenntnis sollte auch jede Diskussion um die wirtschaftliche Ordnung überflüssig erscheinen lassen, denn die Organisation einer leistungsfähigen Erzeugungswirtschaft ist nicht an die Konstruktion ideologisch ausgerichteter gesellschaftswirtschaftlicher Zustände geknüpft... Das erstrebenswerte Ziel bleibt in jedem Falle die freie, auf echtem Leistungswettbewerb beruhende Marktwirtschaft mit den jener Wirtschaft immanenten Regulativen.“ Wir arbeiten also an weitergehenden Reformvorschlägen, um unsere ordnungspolitischen Aufgaben für die nächste Legislaturperiode vorzubereiten. Und wenn wir es richtig machen, können wir mit dazu beitragen, daß im Herbst erneut eine Koalition für die Soziale Marktwirtschaft als Ordnung der Zukunft hergestellt wird.

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