WR-Intern Sonderausgabe Dezember 2013

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Intern Mitteilung für Mitglieder - Sonderausgabe

12. Dezember 2013

WR-Intern-Interview mit Generalsekretär Wolfgang Steiger:

„Noch nie wurde ein starker Wirtschaftsrat so sehr gebraucht“ Herr Steiger, welchen Einfluss haben Ludwig Erhards Erben heute auf die Politik? Der Wirtschaftsrat ist die anerkannte Denkfabrik, wenn es um wirtschaftspolitischen Sachverstand geht. Mehr als 3.500 aktive Unternehmer bringen ihre Erfahrung in den mehr als 100 Fachgremien ein. Entscheidend für den Erfolg ist, dass dies unternehmensgrößenübergreifend geschieht. Mit rund 90 hauptamtlichen Mitarbeitern schaffen wir es, flächendeckend und über alle Ebenen der Politik ein Beratungsangebot zu unterbereiten. Mit dem Wirtschaftsflügel der Union, zu dem die Wirtschafts- und Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU (MIT) sowie der Parlamentskreis Mittelstand der CDU/CSU-Bundestagsfraktion (PKM) gehören, besteht ein enger Austausch. Dieser wurde gerade in den letzten Monaten spürbar vertieft. Ein Ergebnis dieser einheitlichen Stimme der mittelständischen Wirtschaft ist die deutlich erhöhte Medienpräsenz. Hat der Wirtschaftsrat für den Koalitionsvertrag gestimmt? Unser Präsident, Prof. Kurt J. Lauk, war am letzten Montag Gast des CDU Bundesauschusses, der über die Annahme des Koalitionsvertrags entschieden hat. Präsident Lauk konnte seine Kritik direkt nach der Rede von

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel MdB prominent deutlich machen. Der Wirtschaftsrat hat jedoch nur eine beratende Funktion und kein Stimmrecht. Insofern konnte sich unser Präsident an der Abstimmung auch nicht beteiligen. Auf der Titelseite des Handelsblattes vom 26. November hatte ich hierzu die

Position des Wirtschaftsrates deutlich gemacht: „Die Abgeordneten, die sich der wertschöpfenden Industrie und der mittelständischen Wirtschaft verpflichtet fühlen, sollten einer solchen Vereinbarung nicht zustimmen.“ Dass sich der im CDU Bundesausschuss stimmberechtige Vorsitzende der MIT, Dr. Carsten Linnemann MdB, enthalten hat, zeigt stellvertretend die Sorge der Wirtschaft mit Blick auf den Koalitionsvertrag. Die MIT hat nicht nur eine Stimme, ihr Vorsitzender spricht auch für einige Tausend Unternehmer.

Was hätte eine Ablehnung des Koalitionsvertrages durch die CDU bedeutet? Diese Möglichkeit wäre nur auf den ersten Blick eine wirkliche Alternative gewesen. Bedenken Sie, ein „Nein“ der Union wäre das von vielen Seiten auf der Linken heimlich herbeigesehnte Alibi gewesen, vorzeitig Rot-Rot-Grün auf Bundesebene zu riskieren. Dies würde ein wirtschaftspolitisches Himmelfahrtskommando sein. Die andere Alternative bedeutete Neuwahlen. Das bürgerliche Lager hat die Bundestagswahl am 22. September 2013 gewonnen – mittlerweile vor mehr als drei Monaten. Dieser Verantwortung musste sich auch die Union stellen. Eine erneute Bundestagswahl hätte Deutschland und Europa für mindesten sechs weitere Monate politisch lahmgelegt. Wer kann das verantworten? Die Lokomotive Europas nimmt sich ein dreiviertel Jahr eine Auszeit? Welche zentralen Forderungen des Wirtschaftsrates finden sich im Koalitionsvertrag wieder? Die Handschrift des Wirtschaftsrates findet sich vor allem in drei zentralen Themen im Koalitionsvertrag wieder. Dies sind jedoch die Punkte, die die zukünftige Entwicklung Deutschlands ganz entscheidend prägen werden: Die Große Koalition wird an ihrem Stabilitätskurs in Europa festhalten. Ein


Intern ausgeglichener Bundeshaushalt ohne neue Schulden ist ab 2015 fest im Koalitionsvertrag verankert. Steuererhöhungen sind vom Tisch und einzelne Steuervereinfachungen durchgesetzt. Das ist keine schlechte Bilanz. Denn am Ende wissen wir alle, dass Große Koalitionen immer Gefahr laufen, für die Bürger wie auch für die Unternehmer eine teure Angelegenheit zu werden. Wo konkret findet sich der Wirtschaftsrat in der Europapolitik wieder? Der Wirtschaftsrat hat zu Beginn der EU-Staatsschuldenkrise gefordert, dass der Grundsatz ‚Hilfe nur gegen Reformen‘ das Leitmotiv zu ihrer Bewältigung sein muss und es keine Vergemeinschaftung der Haftung – nicht durch Eurobonds, nicht durch Schuldentilgungsfonds und auch nicht durch ein gemeinsames Einlagensicherungssystem in Europa geben darf. Im Zuge der Haftung hat der Wirtschaftsrat auch stets die Bestandsaufnahme der Bilanzen aller europäischen Banken eingefordert. Die Bundeskanzlerin ist früh auf diesen Kurs eingeschwenkt und konsequent geblieben. Der Wirtschaftsrat wird ihr hier stets den Rücken stärken. Gleichzeitig brauchen wir jedoch dringend neue Wachstumsperspektiven in Europa: Vordringlich wäre, den EU-

Dienstleistungsmarkt endlich wirklich zu öffnen. Das bringt nach unserer Einschätzung über mehrere Jahre ein Wachstum von 2,3 Prozentpunkten für die EU als Ganzes. Die EU darf auch nicht wegen der NSA-Affäre die

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historisch einmalige Chance auf ein internationales Freihandelsabkommen mit den USA vertun und damit wertvolle Wachstumspotentiale verschenken. Über den Schutz der Persönlichkeitsrechte könnte im Rahmen des Pakets mitverhandelt werden. Herr Steiger, welche Forderungen sieht der Wirtschaftsrat in Sachen Steuer- und Finanzpolitik in den Koalitionsverhandlungen positiv? Es war der Wirtschaftsrat, der die Schuldenbremse als ein Impulsgeber in die deutsche Politik gebracht hat. Sie ist aufgegriffen worden und mittlerweile in den Köpfen der Menschen fest verankert. Das hat zuletzt wieder die Abstimmung der Bevölkerung in Bayern gezeigt, die sich mit einer Zustimmungsquote von 88,6 Prozent für die Aufnahme der Schuldenbremse in die Landesverfassung ausgesprochen hat. Unsere Kernforderung ab 2015 keine neuen Schulden mehr für den Bundeshaushalt aufzunehmen und gleichzeitig einen ausgeglichen Haushalt vorzulegen, ist klar im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Ganz zentral war es für den Wirtschaftsrat als Vertreter von rund 12.000 Unternehmen und Unternehmern der Politik mit auf den Weg zu geben, dass der Wachstums- und Arbeitsplatzmotor Mittelstand nicht durch Steuererhöhungen auf allen Ebenen abgewürgt werden darf. Der Wirtschaftsrat hat mit seiner Kampagne „Steueranschlag auf den Mittelstand“ landauf landab

dafür geworben, die in den Wahlprogrammen festgeschriebenen Ideen von SPD und Grünen für höhere Einkommensteuern, der Anhebung des Spitzensteuersatzes, der Abschaffung des Ehegattensplittings sowie die von den Grünen geforderte Neuerhebung einer Vermögensabgabe oder die Verdoppelung der Erbschaftsteuer abzuwehren. Mit Erfolg! – Hier hatten die Sozialdemokraten bekanntlich ganz andere Pläne. Wie beurteilt der Wirtschaftsrat die Beschlüsse zur Energiewende im Koalitionsvertrag? Zunächst einmal sind erste entscheidende Schritte getan: die Große Koalition hat den Abbau von Überförderungen beschlossen und ab 2017 eine verpflichtende Direktvermarktung bei erneuerbaren Energien beschlossen. Der Wirtschaftsrat begrüßt, dass die Planungs- und Genehmigungsverfahren beim Netzausbau endlich gestrafft und so eine effizientere Umsetzung der Energiewende angestoßen wird. Gerade unsere Bundesfachkommission Energiepolitik hat sich den Ruf erarbeitet, eines der führenden Beratungsgremien in der energiepolitischen Debatte zu sein. Bundesumweltminister Peter Altmaier hat erst kürzlich an einer unserer Sitzungen teilgenommen. Ein weiterer Erfolg ist das Bekenntnis zu einer viel stärkeren europäischen Ausrichtung der Energiepolitik, für die sich der Wirtschaftsrat gerade auf seiner herausragenden Klausurtagung der Bundesfachkommissionen Ener-


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gie- und Umweltpolitik im Kreis der Top-Entscheider in Deutschland und Europa eingesetzt hat. Die Rentenvereinbarungen im Koalitionsvertrag sind Geschenke an die Wähler. Wie steht der Wirtschaftsrat zu diesen Vorhaben der Großen Koalition? Der Generationengerechtigkeit wird ein Bärendienst erwiesen. Unsere rentenpolitischen Erfolge der letzten 15 Jahre stehen auf dem Spiel und die Rentenkassen werden mit Milliardenforderungen zusätzlich belastet, die am Ende Arbeitnehmer und Arbeitgeber zusätzlich aufbringen müssen. Mittelfristig sind höhere Lohnzusatzkosten für die Wirtschaft vorprogrammiert. Die Lebenserwartung steigt. Jedes zweite heute geborene Mädchen kann 100 Jahre alt werden. Folglich müsste die Lebensarbeitszeit aufgrund der demographischen Entwicklung in Deutschland eigentlich auf 69 Jahre verlängert werden, um das staatliche Rentensystem auch für die nachfolgenden Generationen aufrechterhalten zu können. Der jetzt beschrittene Weg ist ein fatales Signal, das gerade den europäischen IMPRESSUM Herausgeber: Wirtschaftsrat der CDU e.V. Luisenstraße 44, 10117 Berlin Telefon: (0 30) 2 40 87-0 Telefax: (0 30) 2 40 87-205 www.wirtschaftsrat.de intern@wirtschaftsrat.de Verantwortlich: Wolfgang Steiger Dr. Rainer Gerding Redaktion: Mirja Meyerhuber Katja Sandscheper Michael Schweizer Christopher Uibeleisen Fotos: europa© eloquentmedia -Fotolia.com Jens Schicke

der Union. Diese sind jetzt unsere ersten Ansprechpartner im Deutschen Bundestag. Unsere Aufgabe und unsere Chance ist es, dass diese Abgeordneten ihre Verantwortung für die deutsche Volkswirtschaft erkennen.

Krisenstaaten vermittelt: wir in Deutschland messen mit zweierlei Maß und gönnen uns selber, was wir bei anderen kritisieren. Kann der Wirtschaftsrat mit den jetzigen Beschlüssen zur Arbeitsmarktpolitik leben? Ja und nein. Ja, weil der Wirtschaftsflügel erreichen konnte, dass die SPD-Überlegungen zur Zeitarbeit und zu Werkverträgen auf ein gerade noch erträgliches Maß zurechtgestutzt wurden. So konnten wir zum Beispiel die Beibehaltung der sachgrundlosen Befristung durchsetzen, was eine zentrale Flexibilisierungsmaßnahme des Arbeitsmarktes darstellt. Der flächendeckende Mindestlohn bedeutet jedoch eine entschiedene Verriegelung des Arbeitsmarktes, die auf Kosten von Jugendlichen, Langzeitarbeitslosen und Geringqualifizierten vollzogen wird. Eine möglichst umfassende Teilhabe aller Erwerbspersonen am Arbeitsmarkt erreicht man nur dadurch, dass die Unternehmen zeitnah Beschäftigungsanpassungen umsetzen können. Sonst wird sich zukünftig jeder Arbeitgeber dreimal überlegen, ob er sich Neueinstellungen überhaupt erlauben kann. Wie wirkt sich das Wahlergebnis in der praktischen Arbeit des Wirtschaftsrates aus? Wir merken, dass Abgeordnete vermehrt nach Papieren und Positionen des Wirtschaftsrates fragen. Dies ist bemerkenswert. Der Wirtschaftsrat muss jetzt eine doppelte Lücke füllen: Wir müssen das Bindeglied zwischen Politik und Wirtschaft sein, und es fehlt uns die FDP als Korrektiv. Der Parlamentskreis Mittelstand stellt 170 von 311 Abgeordneten

Wie bewerten Sie die Chancen, dass angemahnte Punkte doch noch realisiert werden? Ein Koalitionsvertrag ist eine Bindung auf Zeit. Er legt gerade zu Beginn einer neuen politischen Konstellation die Leitplanken und Eckpunkte einer gemeinsamen Politik fest. Manche haben sich eine andere politische Marschrichtung gewünscht. Aber ein Koalitionsvertrag schnürt nun einmal für alle Beteiligten ein Kompromisspaket. Fest steht jedoch, dass er nicht in Stein gemeißelt ist und viele Entscheidungen in der Politik anhand von Fakten getroffen werden müssen. Noch deutlicher: Wir dürfen diesen Koalitionsvertrag nicht überhöhen. Es sind nicht die zehn Gebote. Die Wirtschaftspolitiker der Union werden und müssen während der laufenden Legislaturperiode im Deutschen Bundestag Schaden vom Industriestandort Deutschland abwenden. Der Wirtschaftsrat wird ihnen mit Rat und Tat kraftvoll und unabhängig zur Seite stehen. Sie sagen, bei dem Koalitionsvertrag handelt es sich nicht um die zehn Gebote. Was meinen Sie hiermit konkret? Das heißt, wir werden sehr schnell erleben, dass Realpolitik anderen Gesetzmäßigkeiten folgt. Denken wir doch nur einmal zurück an die zwei vorangegangenen Koalitionsverträge: Rot-Grün hatte ursprünglich einen stramm linken Koalitionsvertrag beschlosen und dann mit der Agenda 2010 tiefgreifende Reformen auf dem Arbeitsmarkt sowie im Sozialsystem durchgesetzt. In dieser Form hätte keiner damit gerechnet. Unter SchwarzGelb wurden eine Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken und eine große Steuerreform im Koalitionsvertrag festgehalten. Beides wurde in der Legislaturperiode nicht umgesetzt. Sie sehen, noch nie wurde der Wirtschaftsrat so sehr gebraucht wie jetzt.


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