PARASITEN, HACKER UND GUERILLA.

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Masterthesis | Yulia Yanenko

Parasiten, Hacker und Guerilla. Künstlerische INTERVENTIONEN IM ÖFFENTLICHEN RAUM und adaptive Taktiken der Parasiten, Hacker und Guerilla als Vorlage zur aktiven Umgestaltung des urbanen und medialen Raums.



Parasiten, Hacker und Guerilla. Künstlerische INTERVENTIONEN IM ÖFFENTLICHEN RAUM und adaptive Taktiken der Parasiten, Hacker und Guerilla als Vorlage zur aktiven Umgestaltung des urbanen und medialen Raums.

Diese Arbeit wurde ursprünglich zur Erlangung des Master of Arts an der HTWG Konstanz, Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung, der Fakultät Architektur und Gestaltung eingereicht und liegt hier in einer überarbeiteten Version vor. Verfasserin ist Yulia Yanenko, Masterstudiengang Kommunikationsdesign, Wintersemester 2011/2012, Matrikelnummer 284931. Betreuende Professoren: Prof. Eberhard Schlag und Prof. Andreas Bechthold.


Inhalt


PARASITEN, HACKER & GUERILLA. Künstlerische Interventionen im öffentlichen Raum. Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung 08 1.1. Motivation und Thesen 10 1.2. Erläuterung zum Aufbau der Thesis

14

2. Interventionen im öffentlichen Raum

16

2.1. Der öffentliche Raum 18 2.1.1. Öffentlicher Raum und Öffentlichkeit

20

2.1.2. Öffentlicher Raum im digitalen Wandel

23

2.1.3. Urbanität und die Straße als kultureller Aktionsraum

25

2.1.4. Kunst im öffentlichen Raum (vs. im Museumskontext)

29

2.2. Historie der Interventionen im öffentlichen Raum

34

2.2.1. Das Wesen der Avantgarden

36

2.2.2. Dadaismus 39 2.2.3. Happening und Performance

43

2.2.4. Fluxus 50 2.2.5. Situationistische Internationale 54 2.2.6. Beuys und die Soziale Plastik

58

2.2.7. Land Art 64 2.2.8. Kunstprojekte im Massenmedium Plakat

68

2.2.9. New Genre Public Art

76

2.3. Kontemporäre Interventionen im öffentlichen Raum

80

2.3.1. Urban Art / Street Art

81

2.3.1.1. Vorbote Graffiti 82   2.3.1.2. Pioniere 84   2.3.1.3. Aktuelle Beispiele und Trends

92

2.3.2. Gesellschaftskritik als kreativer Interventionismus

99

5


PARASITEN, HACKER & GUERILLA. Künstlerische Interventionen im öffentlichen Raum. Inhaltsverzeichnis

6

3. Parasiten, Hacker und Guerilla

104

3.1. Der Parasit 110 3.1.1. Taktiken   3.1.1.1. Schmarotzen, Ausnutzen 112   3.1.1.2. Erweitern 117   3.1.1.3. Imitieren 119 3.1.2. Zusammenfassung 122

3.2. Der Hacker 126 3.2.1. Taktiken   3.2.1.1. Erforschen 130   3.2.1.2. Spielen 133   3.2.1.3. Zweckentfremden, Umdeuten

137

3.2.1.4. Rückführen und Radikalisieren

141

3.2.1. Zusammenfassung 142

3.3. Der Guerillero 144 3.3.1. Taktiken   3.3.1.1. Manipulieren 147   3.3.1.2. Sabotieren 149   3.3.1.3. Faken 151 3.3.2. Zusammenfassung 156 3.4. Matrix 160 3.4.1. Methode 161 3.4.2. Analyse 161   3.4.2.1. Auflistung der Beispiele

162

3.4.2.2. Tabellarische Gegenüberstellung

164

3.4.2.3. Auswertung 165

4. Fazit 168 5. Literatur- und Quellenangaben

176



EinLEITUNG



mOTIVATION & tHESEN


1. EinlEITUNG 1.1. Motivation und Thesen

1. EinlEITUNG 1.1. Motivation und Thesen Subversive Botschaften auf Wänden, Gefälschte Straßenschilder und manipulierte Werbeplakate in der Innenstadt. Skulpturen aus Pflastersteinen, gigantische Wandmalereien, Grimassen schneidende Fahrscheinautomaten, musikalische Treppenstufen und Miniatur-Menschen, die in Bierdosen hausen. Ein Mann, der Skulpturen im öffentlichen Raum mimt, Horden hosenloser U-Bahnfahrer, eine Gruppe Jugendlicher, die aus einem Aussichtsturm einen Feuer-speienden Dinosaurier auferstehen lässt, kleine Roboter-Parasiten, die Müll aufsammeln, Zeitungen, die ein Ende aller Not und Krisen verkünden und ein einsamer Demonstrant, der verlauten lässt „DU BIST SCHÖN!“.

Diese Aufzählung an Aktionen und Interventionen ist keinem skurrilen Märchen entsprungen, sondern sie umreißt einen kleinen Teil einer Bewegung, die in den letzten Jahren verstärkt in der Öffentlichkeit auftritt. Es ist eine neue Generation von Künstlern1, die in den städtischen Raum eingreifen, um ihn als Leinwand, Labor, Spielplatz und Forum zu nutzen. Diese Interventionen im öffentlichen Raum sind vielseitig und allgegenwärtig. Wir nehmen viele nur unbewusst wahr, manche gar nicht und andere wiederum fallen auf, stechen ins Auge, irritieren oder stören uns sogar. Wie Interventionen wirken hängt nicht nur vom Eingriff selbst ab, sondern vielmehr von dem umgebenden Raum, der Interaktion mit diesem und der Reaktion der Rezipienten. Die Akteure der urbanen Kunst zeigen besonderes Geschick im Umgang mit dieser Dreiecksbeziehung. Längst dem Vorurteil des Graffiti-Vandalen entwachsen, ist die Bewegung in den letzten Jahren zu einer etablierten und beliebten Strömung gereift. Durch die Offenheit der Szene und die unbegrenzten Möglichkeiten in der Anwendung von Materialien, Medien und Methoden, sowie der Wahl von Schauplätzen entstand ein breites Spektrum an Werken und Aktionsformen, das noch Lange nicht ausgeschöpft ist. Die Künstler haben die verschiedensten Zugangsweisen zum öffentlichen Raum und dementsprechend auch eine Vielzahl an Methoden in diesen einzugreifen, ihre Botschaft zu senden und so durch ihre Interventionen einen Kommunikationsprozess mit dem Raum und den Rezipienten in Bewegung zu setzen.

1  Die in der Thesis gewählte geschlechtsspezifische Ausdrucksform dient der   Vereinfachung und Lesbarkeit und intendiert weder Ausschluss noch Wertung.

11


1. Einleitung 1.1. Motivation und Thesen

12

01

02

03

04

05

06

07

08

01  Mobstr, „The Dead of street art?“ 02 Trustocorp, Fake Verkehrsschild 03  Billboard Liberation Front, „Orbit“ 04   Fahrscheinautomat, Mentalgassi 05   We are Visual (WAV), „Touristosaurs“, 2010, Hamburg 06  Heiko Beck 07   Jonathan Ryall, Chris Bassford, „Orbit“, 2010, Loughbourough, UK 08  Slinkachu, „Little Peoples Project“, 2009


1. Einleitung 1.1. Motivation und Thesen

Doch was verbindet die verschiedenen Darsteller? Was kennzeichnet sie? Wo liegen ihre Motivationen und Inspirationen? Eine hinreichend theoretische Klärung des Phänomens um die „Culture Jammer und Adbuster, Hacktivisten und Net Aktivisten, Street Artists und Street Vandalen, Post Dadaisten und Retro-Neoisten, notorische Nervensägen und subversive Störenfriede“2 ist nicht vorhanden. Jedoch manifestierten sich in der Auseinandersetzung mit dem Thema zwei Feststellungen: Zum einen greifen die Interventionisten scheinbar die Kunst-Avantgarden des 20. Jahrhunderts auf und überdenken diese neu. Und zum anderen tauchen in der verwendeten Hauptliteratur und im Kunstdiskurs der letzten Jahre verstärkt drei Begriffsgruppen im Kontext kontemporärer Interventionen auf: „Parasiten“ und „Parasitäre Strategien“, „Cultural Hacking“ und „Hacktivismus“, sowie „Kommunikations-“ oder „Stadtguerilla“. Vor diesem Hintergrund entstanden zwei Hypothesen:   (1) Die Avantgarden in der Kunst, die schon immer Vorbilder zur Umwälzung von bestehenden und festgefahrenen Systemen waren und durch den Bruch mit Altem und Traditionellem künstlerische Revolutionen hervorriefen, liefern Grundlagen das zeitgenössische Phänomen untersuchen und anschließend besser verstehen zu können. Die Akteure der aktuellen Strömung um die öffentlichen Eingriffe nehmen Avantgarden auf, überdenken und erweitern diese.   (2) Mit der Analyse von Charakteristiken und Taktiken der Parasiten, Hacker und Guerilla, kann eine wissenschaftliche Einordnung der hier behandelten Problemstellungen abgeleitet werden. Ihre Taktiken liefern Grundlagen zur Klassifikation der diversen Interventionen. In meiner Masterthesis wird das Phänomen der urbanen Kunst und kreativintervenierender Projekte im öffentlichen Raum, sowie ihrer direkten Vorreiter, beleuchtet. Es soll ein Überblick über die Szene geschaffen werden. Mit dem exemplarischen Vergleich, sowie der Analyse der Rollenmodelle des Parasiten, Hackers und Guerilleros eine wissenschaftliche Grundlage für eine Einordnung einhergehen.

2  Siehe Bieber, auf http://www.rebelart.net/diary/about-2/, am 10.11.2011

13


1. EinLeitung 1.2. Erläuterung zum Aufbau der Thesis

14

1.2. Erläuterung zum Aufbau der Thesis In der Thesis wird vorerst eine verständnisstiftende Basis für die künstlerischen Interventionen geschaffen, indem die Bedingungen und Merkmale von öffentlichem Raum geklärt werden. Hierbei werden vor allem Positionen beachtet, die sich mit dem öffentlichen Raum im Kontext künstlerischintervenierender Prakitken befasst haben. Da die Flucht aus dem elitären Museum

auf

die

Außtragungsorte

öffentlicher

Plätze

und

Straßen

kennzeichnend für alle Interventionisten ist, wird daurauffolgend der Begriff der Urbanität und die Straße als kultureller Aktionsraum, sowie die Entwicklung von Kunst im öffentlichen Raum an sich beleuchtet. Im nächsten Teil werden künstlerische Avantgarden des 20. Jahrhunderts vorgestellt, da ihre Vorgehensweisen, sowie die revolutionären Forderungen nach Umbruch und Umdenken, denen der zeitgenössischen Interventionisten stark ähneln. Dazu muss geklärt werden welche Impulse zur Erweiterung des Kunstbegriffes beigetragen haben. Dies leitet das darauffolgende Kapitel ein, dass sich mit der Historie der Interventionen im öffentlichen Raum auseinandersetzt. Hierbei liegt der Fokus auf dem exemplarischen Vergleich zwischen avantgardistischen Wegbereitern und aktuellen künstlerischeingreifenden Projekten in öffentlichen Räumen, um die erste These zu prüfen. Weiter wird ein besonderes Augenmerk auf die Entstehung der Urban Art gerichtet. Werke und Aktionen werden vorgestellt, die einen Überblick über die Szene verschaffen und so aktuelle Trends, sowie Probleme der kontemporären Interventionen im öffentlichen Raum aufzeigen sollen. Um die zweite These zu prüfen, werden Rollenmodelle des Parasiten, Hackers und Guerilleros analysiert und mit konkreten Beispielen von öffentlichen Interventionen belegt und verglichen. Hierbei soll veranschaulicht werden welche Eigenschaften und Taktiken den Eingriffen inne und ferner welche Motivationen ihnen zugrunde liegen. In der abschließenden Gegenüberstellung wird eine Matrix erarbeitet, die eine wissenschaftliche Kategorisierung der Interventionen ermöglichen soll.



KĂźnstlerische Interventionen im Ăśffentlichen raum



Der Ă–ffentliche Raum


2. Interventionen im öffentlichen Raum 2.1. Der öffentliche Raum

2.1. Der öffentliche Raum Unter dem Titel „Macht im öffentlichen Raum“ lud der Studiengang Raumstrategien der Kunsthochschule Berlin-Weißensee im November 2011 zu einer Vortragsreihe. „Die Geschichte der Menschheit kann beschrieben werden als eine Geschichte von Einbezogenem, Ausgeschlossenem, als eine von Zentrierung und Streuung - vor allem aber ist sie durchzogen von Konflikten in unterschiedlichen Räumen. Kunst ist vielleicht die wahrhaftigste Augenzeugin der sich in Räumen abspielenden Geschichte. Wie aktuelle Situationen im öffentlichen Raum aus verschiedenen Blickwinkeln interpretiert werden können, thematisiert diese Vortragsreihe.“3

Es wurden Künstler wie Aram Bartholl, Brad Downey oder Julius von Bismarck eingeladen, die ihre persönlichen Erfahrungen künstlerischer Praxis im öffentlichen Raum schilderten. Sie alle weisen verschiedene Methoden auf zu intervenieren, jedoch ist ihnen die intensive Auseinandersetzung mit dem öffentlichen Raum gemein. In diesem Punkt stehen sie nicht alleine, ihnen reihen sich eine Vielzahl anderer Künstler und Aktivisten ein. Der öffentliche Raum hat zweifellos besondere Qualitäten für künstlerische Einschreibungen, deswegen werden dessen Bedingungen im Kontext künstlerischer Interventionen in den nächsten Kapiteln dargelegt, um ein Verständnis für die Werke und Aktionen, die in der Thesis behandelt werden, aufbauen zu können.

3  Siehe http://www.kh-berlin.de/index.php5?projectID=1290&Action=showProject, am 01.02.2012

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2. Interventionen im öffentlichen Raum 2.1. Der öffentliche Raum  |  2.1.1. Öffentlichkeit und öffentlicher Raum

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2.1.1. Öffentlichkeit und öffentlicher Raum Kriterien, die den öffentlichen Raum definieren, sind aktuell schwer festzulegen. Das liegt unter anderem daran, dass der Begriff der Öffentlichkeit, in einer sich rasant wandelnden Gesellschaft zwischen Globalisierung und Digitalisierung, fließenden Veränderungen und Abwandlungen unterliegt. Karl-Jürgen Krause, Experte für Stadtforschung, konstatiert in einem Artikel „Öffentlicher Raum ist der physisch-dreidimensionale Raum, der für die Allgemeinheit zugänglich ist“4, nach Brockhaus ist der Öffentliche Raum „der der Öffentlichkeit zugängliche Bereich einer Körperschaft des öffentlichen Rechts (Gemeinde, Land, Staat), beispielsweise Verkehrsflächen, Parkanlagen oder auch Gebäude, die von dieser Körperschaft unterhalten werden.“5. Der Soziologe Bernhard Schäfers schildert in einer Abhandlung über Stadtsoziologie6 den öffentlichen Raum „als Basis der Stadtkultur und der Demokratie“7, Öffentlichkeit signifiziert sich dabei unter anderem auf der Grundlage eines „allgemeinen Zugangs“8. Das bedeutet vorerst öffentlicher Raum ist durch die Summe aller Gebäude, Bereiche und Plätze gekennzeichnet, die jedem zugänglich sind und von jedem genutzt werden dürfen. Allerdings birgt der öffentliche Raum gegenwärtig wesentlich mehr Qualitäten und Problemstellungen. Er ist nicht nur eine Ansammlung an öffentlich zugänglichen Plätzen, sondern sehr stark mit dem sozialen Gefüge der ihn nutzenden Personen verbunden. Der öffentliche Raum wird von diesen geprägt und geformt und andersherum spielt die Ausgestaltung und der Umgang mit öffentlichen Orten eine wesentliche Rolle in der Entwicklung seiner Bewohner und Benutzer. Öffentlicher Raum ist im besten Fall der Austragungsort der Öffentlichkeit und „Öffentlichkeit als Prinzip ist in demokratisch-bürgerlichen Gesellschaften nicht auf Staat und Verwaltung, Rechtsordnung und Rechtsprechung, Herrschaft und allgemeine soziale Kontrolle beschränkt, sondern gilt als Strukturprinzip auch für die Wissenschaft, die Künste und andere Gesellschaftsbereiche.“9 Um die wichtigsten Merkmale des öffentlichen Raums darzulegen, werden im Folgenden weitere Autoren herangezogen. Da das Interesse dieser Arbeit auf künstlerisch-intervenierenden Praktiken beruht, werden hierbei vor allem Positionen berücksichtigt, die sich mit dem öffentlichen Raum im Bezug zu diesem befasst haben.

4  Siehe Krause: „Zwischen Res Publica und Allmende. Notizen zur Geschichte des öffentlichen Raumes.“ in Kunstforum Band 212, S.43 5  Siehe http://www.brockhaus-enzyklopaedie.de/be21_article.php 6  Bernhard Schäfers: „Stadtsoziologie. Stadtentwicklung und Theorien - Grundlagen und   Praxisfelder.“, VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006, 1. Auflage September 2006 7  Siehe Schäfers, S.150 8  Ebd. 9  Ebd.


2. Interventionen im öffentlichen Raum 2.1. Der öffentliche Raum  |  2.1.1. Öffentlichkeit und öffentlicher Raum

Die Kunstwissenschaftlerin Petra Hornig beschäftigt sich in ihrer Dissertation „Kunst im Museum und Kunst im öffentlichen Raum. Elitär versus demokratisch?“10 mit den Begriffen der Öffentlichkeit und des öffentlichen Raums. Sie referiert, dass sich Öffentlichkeit auf einen konkreten Ort beziehen kann, jedoch aber auch eine abstrakte Idee wiedergeben kann. Weiter zieht sie Walter Grasskamps Studien heran, für den „der Stadtraum […] von seiner Nutzungsvielfalt und -dichte, einer Personenheterogenität sowie der freien Zugänglichkeit [geprägt ist]. Grasskamp bezeichnete den öffentlichen Raum als die Benutzeroberfläche der Stadt, da diese von einem fortwährenden politischen, kommerziellen, sozialen, sowie künstlerischen Input der Gesellschaft lebt.“11 Hierbei wird die Wichtigkeit des sozialen Korpus für den öffentlichen Raum deutlich. Essentiell ist die Erkenntnis, dass öffentlicher Raum nicht durch rein physische Eigenschaften abzugrenzen ist und, dass der Begriff einem stetigen Wandel unterliegt. Öffentlicher Raum ist fest mit den Prinzipien von Öffentlichkeit an sich verwoben. Horning beschreibt das Ideal von Öffentlichkeit nach Habermas „als ein Netzwerk für die Kommunikation von Meinungen, das sich diskursiv und frei von ökonomischen Interessen bildet. […] Somit übernimmt Öffentlichkeit eine strategische Vermittlungsfunktion zwischen den Bürgerinnen und Bürgern sowie politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern.“12 Schäfers bekräftigt die Öffentlichkeit sei nicht nur das Prinzip eines allgemeinen Zugangs, sondern auch Maxime für Transparenz bei Sachverhalten allgemeiner, öffentlicher Interessen. Zudem stellt die Öffentlichkeit eine „Methode der Aufklärung und Transparenz zur Freiheitssicherung der Bürger und schließlich, als politische Öffentlichkeit, ein Strukturmerkmal moderner Demokratien und damit ein Medium der Kontrolle von Herrschaft“13 dar. Der Kulturwissenschaftler Uwe Lewitzky, der sich mit künstlerischen Fragestellungen und Ansätzen in Bezug zum Stadtleben und -erleben beschäftigt,14 konferiert den öffentlichen Raum in seiner Veröffentlichung „Kunst für alle? Kunst im öffentlichen Raum zwischen Partizipation, Intervention und neuer Urbanität.“15 Auch er zitiert Habermas, der den öffentlichen Raum „als Ort von Meinungsbildung und -äußerung und der Erörterung gesellschaftlicher Probleme [versteht]. Habermas selbst beschreibt diesen Ort als öffentliche Sphäre innerhalb einer bürgerlich-liberalen Gesellschaft, in der Meinungs- und

10  Erschienen 2011 im VS Verlag für Sozialwissenschaften, Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 11  Siehe Hornig, S.61, nach: Grasskamp, Walter (1997): „Kunst und Stadt“, in: Bußmann, Klaus / König, Kaspar / Matzner, Florian (Hrsg.): Zeitgenössische Skulptur. Projekte in Münster 1997, Ostfildern 1997 (7- 41). 12  Siehe Horning, S.64 13  Siehe Schäfers, S.150 14   Vgl. Lewitzky, Klappentext 15  Erschienen 2005 im transcript Verlag, Bielefeld

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2. Interventionen im öffentlichen Raum 2.1. Der öffentliche Raum  |  2.1.1. Öffentlichkeit und öffentlicher Raum

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Informationsfreiheit sowie das Fehlen ökonomischer Interessen vorausgesetzt werden und bei dem sich durch Erörterung gesellschaftlicher Probleme zwischen Privatpersonen die sogenannte öffentliche Meinung formte, die zwischen Staat und Gesellschaft vermittelte.“16 Dies umschreibt den Idealfall, was der öffentliche Raum leisten sollte. Jedoch ist die Gestaltung, sowohl des städtischen öffentlichen Raumes, als auch digitaler Plattformen – die eine Erweiterung des physisch-öffentlichen Raumes darstellen können (siehe Kap. 2.1.2.) – zunehmend von Profitgedanken geleitet. Lewitzky stellt die Entwicklung des städtischen Außenraums „von einem öffentlichen Ort des Konflikts und der Diskussion zu einem umkämpften und exklusiven Ort der Verdrängung [dar], der auf die Funktionen Transport, Konsum und Repräsentation reduziert wurde.“17 Daraus folgt für ihn „es wäre die Aufgabe für Kulturproduzenten bzw. Künstlern, die Forderungen der Teilöffentlichkeiten durch spezifische Visualisierungs- und Umsetzungspraktiken öffentlich zu repräsentieren, ihnen Zugang zum herrschenden öffentlichen Diskurs zu ermöglichen und partizipative Möglichkeiten zur Schaffung alternativer urbaner Räume einer heterogenen und gleichberechtigten Interaktion zu entwickeln.“18 Zusammenfassend lässt sich öffentlicher Raum nicht nur auf die Summe öffentlich zugänglicher Plätze reduzieren, sondern er muss primär den Merkmalen von Öffentlichkeit entsprechen. Im Ideal bedeutet das, die Kriterien Meinungs- und Informationsfreiheit und Absenz wirtschaftlicher Interessen müssen erfüllt sein, um ein Diskussionsforum gesellschaftlicher, politischer und sozialer Belange zu gewährleisten. Aktuell wird der öffentliche Raum jedoch u.a. durch Gentrifizierungsprozesse, Kommerzialisierung, Eventisierung und Ökonomisierung immer unöffentlicher. Machtstrukturen unterdrücken das Ideal des öffentlichen Raums und gefährden Öffentlichkeit als Basis demokratischbürgerlicher Gesellschaft.

16  Siehe Lewitzky, S.49, nach Nancy Fraser: „Rethinking the Public Sphere: A Contribution   to the Critique of Actually Existing Democracy“, in: Craig Calhoung (Hrsg.), Habermas   and the public sphere, Cambridge, MA/London: MIT Press 1992, S.110 17  Siehe Lewitzky, S.49 ff. 18  Ebd., S.52


2. Interventionen im öffentlichen Raum 2.1. Der öffentliche Raum  |  2.1.1. Öffentlicher Raum im digitalen Wandel

2.1.2. Öffentlicher Raum im digitalen Wandel „Wir verbreiten Informationen über neue Medien und unsere Erfahrungen und tauschen Informationen über die verschiedensten Sachen aus, Computer sind so etwas wie ein neues Medium für uns und diese Datenverbindungen sind für uns eine neue Form von Straßen und öffentlichen Plätzen, auf denen wir uns bewegen.“19

Die städtische Öffentlichkeit definiert Schäfers unter anderem durch die Funktionen von „Orten“ und ihrer Überlagerung. Die Struktur der städtischen Öffentlichkeit drückt sich dadurch aus: „(1) Orte zu haben für den Austausch von Waren und Gütern aller Art; (2) Orte zu haben für Repräsentation und Darstellung der verschiedenen sozialen Gruppen und Individuen, um die Komplexität der Lebenswelt und Lebensformen öffentlich sichtbar zu machen; (3) Orte zu haben, an denen kulturelle und soziale Widersprüche deutlich werden und zur Sprache kommen können. „Sprache“ kann jede Form des verbalen, des folkloristischen, des gruppenspezifischen oder künstlerischen Ausdrucks sein; (4) Orte zu haben für den interessierten Umgang der Bürgerinnen und Bürger mit Kunst und den avantgardistischen Tendenzen im öffentlichen Raum.“20 Übersetzt man den Begriff des „Ortes“ mit „Kommunikationsraum“, lassen sich Schäfers Kriterien vollständig auf das Internet übertragen. Durch die Erschließung und vermehrte Nutzung des virtuellen Raumes ist Austausch von Informationen, Knüpfen von Kontakten, sowie weitere Kommunikation nicht mehr nur auf die Straßen gebannt. Es entstehen neue öffentliche Orte.21 Die virtuellen Kommunikationsräume des World Wide Web stellen demnach eine Erweiterung der physischen Realität dar. Die urbane Öffentlichkeit erfährt eine Ausdehnung auf die mediale und die virtuelle. Vor allem auf diversen Plattformen und sozialen Netzwerken im Web 2.0 werden Bedingungen von Öffentlichkeit erfüllt. Besonders deutlich wird das an aktuellen Beispielen der Occupy-Bewegung, den Revolutionären des arabischen Frühlings und den umstrittenen Anonymous-Akteuren. Sie alle setzen sich für Demokratie, Meinungs- und Informationsfreiheit und ehrliche und nachhaltige Politik ein. Die Organisation der Proteste und die Rekrutierung der Bevölkerung läuft dabei über das Internet ab. Die weltweite Vernetzung wird zur revolutionsstiftenden Basis der Massen. Somit ist, wie auch Hornig bestätigt „der virtuelle Raum

19  Interview, erschienen in der „Hackerbibel“,  Onlinequelle: http://www.offiziere.ch/trust-us/habi1/013_kreativeschaos.html 20  Siehe Schäfers, S.153 21  Vgl. Frey, S.137

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2. Interventionen im öffentlichen Raum 2.1. Der öffentliche Raum  |  2.1.1. Öffentlicher Raum im digitalen Wandel

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[…] fester Bestandteil von Öffentlichkeit geworden“22 und deshalb für die Auseinandersetzung mit künstlerischen Eingriffen im öffentlichen Raum von wesentlicher Bedeutung. Die Autoren von „New Media Art“ beschreiben „für viele Vertreter […] ist das Internet nicht nur ein Medium, sondern auch eine Arena für künstlerische Interventionen – ein öffentlich zugänglicher Raum ähnlich einem Bürgersteig oder einem Platz in einer Stadt, wo sich Menschen unterhalten, Geschäfte machen oder einfach nur herumlaufen. Der Reiz dieses Raums liegt nicht zuletzt darin, dass er sich außerhalb des Museums- und Galeriezusammenhangs befindet und somit Künstlern die Aufmerksamkeit eines breiteren Publikums ermöglicht.“23 An dieser Stelle könnte die These aufgestellt werden, der öffentlich-physische Raum wird demnach um den virtuellen erweitert und in gewissen Bereichen sogar ersetzt. Schließlich erledigen wir bereits jetzt etliche Aufgaben und Geschäfte ohne einen Fuß vor die Haustüre zu setzen: Einkäufe, Banküberweisungen, Konferenzen und sogar Wahlen können online ausgeführt werden. Verhaltensmuster in virtuellen Räumen transformieren zugleich die Benutzung gebauter öffentlicher Orte,24 erörtert Oliver Frey in seinem Buch „Die amalgame Stadt“. Handlungen, die in den virtuellen Räumen des World Wide Webs vollzogen werden, verändern die Wahrnehmung der physischen Stadt. Der gebaute Stadtraum sei nicht mehr notwendig für spontane Begegnungen, neue Kontakten und Kommunikation mit Fremden.25 Auch Krause erkennt, dass die Fusion virtueller und materieller Welt

neue

Kommunikationsformen

generiert.26

Doch

beide

Autoren

kommen zum Schluss der virtuelle Raum erweitert den urbanen lediglich. „Die elektronischen Medien haben gewiss zur Folge, dass ein wichtiges Definitionsmerkmal von Stadt, nämlich der Ort kultureller Erfahrung zu sein, abhanden kommt. Kulturelle Ereignisse sind nicht mehr an bestimmte Räume und Orte gebunden. Andererseits ist nicht zu leugnen, dass eine an körperliche Präsenz gebundene Erfahrung besondere Qualitäten hat. Unter der Bedingung körperlicher Präsenz ist und bleibt der öffentliche Raum der ideale Ort, um dem Zufall auf die Sprünge zu helfen, was schlicht daran zu bemerken ist, dass Unerwartetes geschehen kann.“27 Urbane Lebensweise wird den physischen Raum nicht als Ort öffentlicher Auseinandersetzung verlieren, „denn die virtuellen Welten und ihre neuen Lebensräume in der Informationsgesellschaft ergänzen den öffentlichen Raum mit seinen Qualitäten als Kommunikationsort und Erfahrungsraum sozialer Interaktion.“28

22 Siehe Hornig, S.66 23  Siehe Tribe, Jana, Grosenick, S.18 24   Vgl. Frey, S.137 25  Ebd. 26   Vgl. Krause: „Zwischen Res Publica und Allmende“, in Kunstforum Band 212, S.53 27  Siehe Ebd. 28  Siehe Frey, S.137


2. INTERVENTIONEN IM ÖFFENTLICHEN RAUM 2.1. Öffentlicher Raum   |  2.1.3. Urbanität und die Straße als kultureller Aktionsraum

2.1.3. Urbanität und die Straße als kultureller Aktionsraum „Jede Zeit imaginert Urbanität in anderen Räumen.“29

Urbanität wird in der städtebaulichen Diskussion als unabkömmliche Größe im internationalen Städtewettbewerb gehandhabt, denn sie begründet Architekturen, rechtfertigt Planungen und beschreibt aktuelle Lebensweisen.30 Der Architekt Angelius Eisiger betont jedoch, dass „die mit Urbanität assoziierten Qualitäten wie Offenheit, Toleranz oder Wandelbarkeit nicht einfach durch Architekturen oder politische Absichtserklärungen und Programme hergestellt werden“31 können. Der Begriff der Urbanität ist aus dem lateinischen „urbs“ (dt. Stadt) abgeleitet, wobei „urban“ im sprachlichen Gebrauch „höflich, weltmännisch, gebildet, fein, städtisch, städtebaulich erschlossen“32 umfasst, während „Urbanität“ mit „Bildung“ und „Höflichkeit“ gleichgesetzt wird.33 Die Wortbedeutungen sind hier besonders interessant, da sie Nuancen beinhalten, die gerade in der intellektuellen Auseinandersetzung mit der Rolle der Stadt, als Ort an dem Bildung und Kreativität entsteht, an Bedeutung gewinnen. Die Bedingungen der kreativen Stadt werden von Oliver Frey in seiner Arbeit behandelt. Er benennt Städte als inspirationsstiftende, kreative Orte für Philosophen, Maler, Musiker und andere Kunst- und Kulturschaffende. Städte bieten einen „günstigen Nährboden“, da sie einen Ort formen an dem Austausch von Intellektuellen gefördert wurde.34 Die Bedingungen, die die Stadt schafft sind Größe und Unüberschaubarkeit, gewisse Dichte an Kommunikation zwischen Bewohnern, Heterogenität von Lebensentwürfen, Aufeinandertreffen von Fremden und Außenseitern und Existenz von Unsicherheiten.35 Auch für Lukas Feireiss, dem Herausgeber von „Urban Interventions“, spielt die Stadt eine wesentliche Rolle zur Kreativitätsbildung. Der Entwurf von der gebauten Umgebung mit all ihren Implikationen ist nicht nur an der Spitze politischer Diskussionen in Städten rund um den Globus aktuell, sondern insbesondere unter einer jungen Generation von urbanen Kreativen, für die die Stadt mit all ihrer chaotischen Schönheit und herausfordernden Vielfältigkeit und Ungleichheit nicht nur ihren natürlichen Lebensraum repräsentiert, sondern auch ihr grundlegendes Operationsgebiet darstellt. Die Stadt bietet plötzlich eine Vielfalt von kreativen

29  Siehe Vinken, Gerhard: „Urbanität“, in Brigitte Franzen , Kaspar König, Carina Plath   (Hrsg.): „Skulptur projekte münster 07. Katalog“, Verlag der Buchhandlung Walther  König; Auflage: 1. (14. Juni 2007), S.471 30   Vgl. Ebd. 31  Siehe Eisinger, S. 93 32  Siehe dtv Fremdwörterlexikon, 5. Aufl. 2002, S.975 33  Siehe dtv Fremdwörterlexikon, 5. Aufl. 2002, S.976 34   Vgl. Frey, S.122 35  Ebd., S.121

25


2. INTERVENTIONEN IM ÖFFENTLICHEN RAUM 2.1. Öffentlicher Raum   |  2.1.3. Urbanität und die Straße als kultureller Aktionsraum

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Möglichkeiten für alternatives Engagement beiseite den Konventionen von Architektur und territorialer Planung.36 In diesem Kontext sind Sandra Maria Geschkes Überlegungen zur Straße als kulturellen Aktionsraum37 interessant. Sie beschreibt die Straße als einen paradoxen Ort, der von Handlungsreichtum lebt und von jedem Bürger betreten, beeinflusst und mitgestaltet werden kann.38 „Die Straße als Ort von Bewegungen, als Ort der Positionierung und Kommunikation wahrzunehmen, heißt, sie als kulturellen Aktionsraum beschreibbar werden zu lassen. Auch die Symbolkraft, sprich das, wofür die Straße in stadträumlichen Betrachtungen stehen kann, entspricht hierbei einem Potpourri an semantischen Bezüglichkeiten, welche sich aktional entschlüsseln lassen.“39 Die Autorin vergleicht die Straße mit einem Organismus, der zum einen auf einen Ort permanenten Konsums hindeutet und zum anderen als Ort verschiedener Bewegungsweisen und im Raum zeitlich gekennzeichneter Begegnungen eine komplexe Rhythmik aufweist und damit eine gewisse Körperlichkeit beweist.40 „Erst in Augenblicken, in denen diese Kreisläufe unterbrochen sind, in denen Brüche im System komplexer Straßenrhythmiken auftreten, werden zugleich auch die Rhythmiken selbst sichtbar. […] Die Straße erhält ihre organische Kraft demzufolge letztlich zu großen Teilen aus den Formen ihrer medialen Repräsentation. Die Sichtbarmachung ihrer Rhythmen erfolgt hier zumeist interventiv respektive subversiv. Nicht selten hängt mit diesem Prozess auch das Sichtbarmachen verschiedener kultureller Konzepte in ihrem permanenten Zusammenspiel zusammen. Das nachhaltige In-Gang-Setzen und Zirkulieren dieser Ideen und Gehalte kann als kulturelle Arbeit definiert und beispielsweise in der Umcodierung von Straßenecken und damit ganzen Stadtlandschaften verstanden und vorgeführt werden.“41 Weiter bemerkt Geschke, dass die urbane Straße ein besonders wichtiger Kommunikationsraum sei, denn der städtische Außenraum ist bestimmend für das menschliche Verhalten und hat Auswirkungen auf das soziale Umfeld.42 „Auf der Straße ist Vielfalt und Veränderung im Modus kommunikativer, intervenierend repräsentativer und gestaltender Handlungen kontinuierlich Programm. […] Die Straße kann demnach gemäß ihrer Ereignisstruktur als Ort sozialer und kultureller Kopplung, als in permanenter Bewegung befindliches Handlungsgewebe bezeichnet werden. Auf diese Weise kann die Rolle der städtischen Straße in unserer spät-respektive teilweise bereits postmodern

36   Vgl. Feireiss: „Living in the City. The Urban Space as creative challenge.“,   in Hübner, Klanten: „Urban Intervetnions“, S. 5 37   Vgl. Geschke, S.11 38  Ebd. 39  Siehe Geschke, S.13 40   Vgl. Geschke, S.17 41  Siehe Geschke, S.17 42   Vgl. Geschke, S.19 ff


2. INTERVENTIONEN IM ÖFFENTLICHEN RAUM 2.1. Öffentlicher Raum   |  2.1.3. Urbanität und die Straße als kultureller Aktionsraum

strukturierten Gesellschaft als hochkomplex identifiziert werden. Sie ist als öffentliche Bühne Kommunikationsbereiter, fungiert in den Formen ihrer Bildhaftigkeit als mediales Ergebnis intervenierender Repräsentationsweisen und bietet gleichsam Raum zur verantwortungsvollen Gestaltung ihrer selbst.“43 Es sind soziale Aspekte die Urbanität in erster Linie definieren. Lewitzky führt, um dies zu bekräftigen, den Soziologen Walter Siebel an: „Die urbane Stadt ist ein Ort, wo verschiedene Lebensweisen, Anschauungen und Kulturen nebeneinander existieren können und zugleich in produktivem Austausch zueinander treten.“44 Siebel führte zudem, zusammen mit dem Stadtsoziologen Hartmut Häussermann, den Begriff der „Neuen Urbanität“ ein.45 Diese beschreibt den geteilten städtischen Raum „einer exklusiven Stadt der wohlhabenden Integrierten und einer Stadt der Unterprivilegierten und Marginalisierten.“46 Dies ist insofern von Bedeutung, da die Kriterien der Neuen Urbanität ein Mitgrund für die Interventionisten liefern den urbanen Raum neu gestalten zu wollen.

43  Siehe Geschke, S.26 ff 44  Siehe Walter Siebel: „Die Stadt und die Fremden“, in Stefan Bollman (Red.) Kursbuch  Stadt: Stadtleben und Stadtkultur an der Jahrtausendwende, Stuttgart: Deutsche   Verlags-Anstalt 1999, S.84, zitiert in Lewitzky, S.28 45  Ebd. (Lewitzky nach Siebel) 46  Siehe Lewitzky, S. 29, nach Häussermann, Hartmut; Siebel, Walter: „Neue Urbanität“,   Frankfurt a. M.: Suhrkamp-Verlag 1987, S.8ff.

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09 -10 Daniel Buren, „Affiage sauvage“, 200 Plakate, Paris 1968


2. INTERVENTIONEN IM ÖFFENTLICHEN RAUM 2.1. Öffentlicher Raum   |  2.1.4. Kunst im öffentliche Raum (vs. Kunst im Museumskontext)

2.1.4. Kunst im öffentlichen Raum (versus Kunst im Museumskontext) In Paris fand man im Jahr 1968 über die ganze Innenstadt gestreifte Plakate verteilt. Die senkrechten Streifen maßen alle die gleiche Breite und wiederholten sich regelmäßig in den Farben Weiß und Grün. Weder Absender noch Empfänger ließen sich aus den Plakaten ableiten – ungewöhnlich für ein der Werbung verschriebenes Medium. Der Plakateur war Daniel Buren, Künstler und Kunstkritiker zugleich. Sein Anliegen war es Kritik an der Institution der Galerie und des Museums zu üben. Diese gerieten in den sechzigern verstärkt in Verruf, da die Institution Kunst immer mit Setzungen zutun hat. So schienen Museen und Galerien „die Grenzen der Kunst festzulegen und wurden damals als illegitimer Rahmen der Kunst angegriffen.“47 Buren beabsichtigte, indem er seine Plakate im kommerziellen Terrain verbreitete und sie nicht als Kunstwerk markierte, „die Triade aus Künstler, Kunstwerk und Kunst“48 zu zertrümmern. „Die Frage nach den institutionellen Bedingungen der Kunst rückt in den Mittelpunkt seiner Arbeit.“49 Institutionelle Zwänge, die durch Galerie oder Museum determiniert wurden, sollten durch die Flucht in den öffentlichen Raum aufgehoben werden. Ende der sechziger Jahre befreiten sich Künstler verstärkt aus den Fesseln der Galerie und tragen die Kunst aus der Institution in die Öffentlichkeit, um auch sozialkritische Positionen zu intensivieren.50 Der öffentliche Raum rückt also verstärkt in den Fokus vieler Künstler. Kunsthistoriker Hubertus Butin bekräftigt in seinem Essay „Kunst im öffentlichen Raum“51 die Wichtigkeit des Begriffs der Öffentlichkeit in der politischen, ökonomischen und künstlerischen Debatte und betont die verschiedene Auslegung des Terminus, dieser kann aus diversen Perspektiven betrachtet werden. Er benennt eine Reihe von Künstlern, die ausschlaggebend für die Kunst im öffentlichen Raum waren: Daniel Buren, Christo, Dan Graham, Richard Long, Walter de Maria, Gordon Matta-Clark, Richard Serra und Robert Smithson. Künstler, die anfingen sich in ihrem Schaffen mehr auf den Ort zu beziehen „als Legitimation für ihre künstlerische Praxis im öffentlichen Raum [erschien ihnen] das Konzept der site specificity (Ortsbezogenheit oder Ortsgebundenheit), das den Kunstbegriff erweitern und gleichzeitig eine Wiederaneignung der öffentlichen Sphäre ermöglichen sollte. […] Der Anspruch, Kunst nicht nur in den bürgerlich-elitären Museen, sondern auch

47  Siehe Theo Ligthart: „Kunst und Plakate“, in Mittmannsgruber, Strauß (Hrsg.):   „Plakat. Kunst. Über die Verwendung eines Massenmediums durch die Kunst.“,  Springer-Verlag, Wien, 2000, S.31 48  Ebd. (Ligthart) 49  Ebd. (Ligthart), S.35 50   Vgl ebd. (Ligthart) 51  Erschienen in Butin (Hrsg.): „Dumonts Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst.“,   Dumont 2006

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11 Richard Serra, „Titled Arc“, 1981 (1989 entfernt), New York


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im öffentlichen, demokratischen Raum zu platzieren und somit ein größeres oder anderes Publikum zu erreichen, wurde in den siebziger Jahren nicht nur von einem künstlerischen, sondern auch von einem kulturpolitischen Impetus getragen.“52 Indem das autonome Kunstwerk auf das ortsspezifische Projekt, „von der beweglichen Plastik des Modernismus zur umraumbezogenen Installation oder Intervention“,53

verlagert wurde, kritisierten die Künstler

nicht nur die traditionellen Ausstellungsinstitutionen, sondern zeitgleich den kommerziellen Warencharakter von Kunst.54 Petra Hornig analysiert Kunst im öffentlichen Raum im Vergleich zu Kunst im Museum sehr ausführlich. Sie führt an, es existieren verschiedene Konzepte Kunst dem Rezipienten zugänglich zu machen. Die klassische ist die Sammlung oder Ausstellung im Museum. Doch „traditionell haben Museen den Ruf von Schwellenängsten produzierenden Museentempeln, die vor allem von einem bestimmten, kunstgebildeten Publikum besucht und von anderen Bevölkerungsteilen wiederum gemieden werden. Dagegen erscheint die im städtischen Außenraum präsentierte Kunst für viele unterschiedliche Sozialgruppen offen und vermittelt den Eindruck, spontane Kontakte zu ermöglichen sowie Interesse zu wecken.“55 Hornig ist sich bei ihren Betrachtungen der starken Polarisierung vom „elitären Museum gegenüber einer demokratischen Kunst im öffentlichen Stadtraum“56 bewusst. Da es doch mittlerweile eine Vielfalt an verschiedenen Museums- und Galeriekonzepten gibt und im Gegenzug der öffentliche Raum nicht immer eine optimale Lösung zur Präsentation von Kunstwerken darstellt. Die „drop sculptures“57 verkörpern beispielsweise ein präsentes Problem der Kunst im öffentlichen Raum. Sie sind beliebig austauschbar und sogar wenn diese mit symbolischer Aussagekraft gespickt sind und das kollektive Gedächtnis anzusprechen vermögen, werden diese oftmals kaum wahrgenommen und rezipiert.58

52  Siehe Butin: „Kunst im öffentlichen Raum“, in : Butin (Hrsg.): „Dumonts Begriffslexikon   zur zeitgenössischen Kunst.“, 2006, S.150 53  Ebd. 54  Ebd. 55  Siehe Hornig, S.11 56  Ebd. S.12 57  Barbara Starka erläutert die drop sculptures folgendermaßen: „‚drop sculptures‘   kennzeichnete einmal der Kunsthistoriker Jean Christophe Ammann in seinem   viel zitierten ‚Plädoyer für eine neue Kunst im öffentlichen Raum‘ (Parkett, 1984) solche   Werke, die ‚wie vom Himmel gefallen‘ wirken und keine Beziehung zu ihrem Publikum,   ihrer Zeit und ihrem stadträumlichen und sozialen Kontext suchen. Sie sind prinzipiell   austauschbar, könnten hier oder dort stehen, werden meist Opfer von Vandalismus   oder Indikatoren einer fortschreitenden Verwahrlosung der so genannten ‚res   publica‘, unserer öffentlichen Räume.“,   in: Starka: „Von der ‚drop sculpture‘ zur ‚Sozialen Plastik‘ Entwicklung und Typologie   der Kunst im öffentlichen Raum“ Vortrag, Gifhorn, den 10.02.2007,  Onlinequelle: http://www.hbk-bs.de/imperia/md/content/hbk/hbk/hochschule/  personen/straka_barbara/20070210_von_der_drop_sculpture_zur_sozialen_plastik_  entwicklung_und_typologie_der_kunst_im_oeffentlichen_raum_gifhorn_vortrag.pdf 58   Vgl. Butin, S.154

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2. INTERVENTIONEN IM ÖFFENTLICHEN RAUM 2.1. Öffentlicher Raum   |  2.1.4. Kunst im öffentliche Raum (vs. Kunst im Museumskontext)

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Butin zieht Richard Serras „Titled Arc“, als ein Negativ-Beispiel künstlerischer Arbeit auf öffentlichen Plätzen, heran. Für Serra war zwar Ortsbezogenheit ein wesentlicher Faktor, jedoch nur der materiell-räumliche. Er berücksichtigte die ortsansässige Bevölkerung – sprich den sozialen urbanen Körper – nicht bei seinen Konzeptionen. So riefen Serras Skulpturen oftmals heftige Gegenreaktionen auf.59 Der Kunsthistoriker Benjamin H.D. Buchloch artikulierte dazu folgendes: „Es sind andere Werke der gegenwärtigen Generation, welche die idealistische Starrheit von Serras Position überwinden können, indem sie es sich zur Aufgabe machen, Öffentlichkeit und öffentlichen Raum wortwörtlich und konkret zu analysieren.“60 Butin benennt den Fokus vieler Künstler und Kritiker ab den 80er Jahren auf eine Ortsbezogenheit gerichtet, „in deren Mittelpunkt spezifisch gesellschaftliche Aspekte einer Situation stehen. Dabei können sozialpolitische, historische, institutionsinterne, ökonomische oder ökologische Strukturen auf analytische oder poetische Weise untersucht und dargestellt werden.“61 Die von Butin betonte Ortsbezogenheit, das heißt das autonome Werk wieder in einen Kontext zu setzen und es konkret zu verorten, wird im hiesigen Kontext zu einem wesentlichen Punkt. Denn genau das macht die genannten Künstler zu Verwandten in ihrer Vorgehensweise zu den zeitgenössischen Interventionisten. Sie sind Erkunder des Raumes und haben ein Gespür für aktuelle kulturelle Entwicklungen, auf die sie mit ihren präzisen, zielgerichteten Interventionen hindeuten und zur Reflexion anregen wollen.

59   Vgl. Butin, S.154 60  Ebd., S.151 61  Ebd.



Historie Der Interventionen im Ă–ffentlichen Raum


2. INTERVENTIONEN IM ÖFFENTLICHEN RAUM 2.2. Historie der Interventionen

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2.5. Historie der Interventionen im öffentlichen Raum

In der Vielschichtigkeit und dem Variantenreichtum in Medien und Methoden zeitgenössischer, künstlerischer Interventionen lassen sich immer wieder Analogien zur Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts ausmachen, wobei Einflüsse der Avantgarden anzunehmen sind. Sowohl Methoden, als auch Motivationen vieler Künstler - wie Allan Kaprow, Wolf Vostell, Valie Export, Barbara Kruger oder Les Levine - die mit Eingriffen in den öffentlichen Raum experimentiert haben, spiegeln sich in aktuellen Interventionen wieder. Alain Bieber, Projektleiter bei Arte Creative und Gründer der Internetplattform rebelart.net, erwähnt die Ähnlichkeit im Einleitungsessay zu „Urban Interventions“, nach ihm ist das Interessante an den aktuellen Künstlern der urbanen Interventionen, dass sie - unwissend oder nichteuropäische Avantgarden wieder aufnehmen und überdenken. Sie spielen nicht nur mit dem öffentlichen Raum und den Stadtbewohnern, sondern mit der ganzen Geschichte der Avantgarde Kunst: Situationisten, Fluxus, Land Art, Dadaisten und Ready-Made, zusätzlich gespickt mit der Gesamtheit der künstlerischen Produktionen der Street Art.62 In den folgenden Kapiteln werden für die hiesige Betrachtung signifikante künstlerische

Avantgarden

figuriert

und

kontemporäre,

künstlerische

Interventionen im öffentlichen Raum aufgeführt, die Parallelen zu den kunsthistorischen Vorreitern vorweisen, um Einflüsse und eine Vorreiterschaft der Avantgarden zu bekräftigen.

62   Vgl. Bieber : „Desires will break out of homes and put an end to the dominion   of boredom and the administration of misery“, in Klanten, Hübner (Hrsg.): „Urban  Interventions“, S.5


2. INTERVENTIONEN IM ÖFFENTLICHEN RAUM 2.2. Historie der Interventionen  |  2.2.1. Das Wesen der Avantgarden

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12 - 14  Ji Lee, „Duchamp reloaded“, New York, 2009


2. INTERVENTIONEN IM ÖFFENTLICHEN RAUM 2.2. Historie der Interventionen  |  2.2.1. Das Wesen der Avantgarden

2.2.1. Das Wesen der Avantgarden „Innovation als positiver Akt der Befreiung, des Aufbruchs in Neuland. [...] Künstlerische Spontaneität, die genial alle Grenzen missachtet, und schöpferische Ekstase, die auch in die Welt des Barbarischen, Archaischen und Exotischen eindringt, wurden nun als neue Mittel ästhetischer Experimentierlust geschätzt.”63

Als der französische Künstler Marcel Duchamp ein Fahrrad-Rad auf einen Küchenhocker montierte und es als Kunst deklarierte, waren die immensen Auswirkungen auf die Entwicklung des Kunstbegriffes nicht vorherzusehen. Eigentlich suchte er in gewisser Weise den Ausstieg aus der Kunst. Seine Readymades - die jedoch erst später als solche definiert wurden - „sind Absagen an Ästhetik, Stil, Geschmack: subversive Neingesten, die erst von den Nachfolgern in ein vielstimmiges, faszinierendes Ja verfälscht wurden.“64 In dem kurzen Zeitraum zwischen 1906 und 1913 wandelte sich der Kunstbegriff wie nie zuvor. Die Frage was Kunst überhaupt sei und was sie leisten soll und kann wurde allgegenwärtig. „Duchamp beantwortet diese Frage nicht als Theoretiker, sondern mit einer spielerischen Demonstration. Er formuliert seinen Widerspruch gegen die Malerei und ihren ‚retinalen’ Augenschmaus in einem aphoristischen Objekt. Das Fahrradteil auf einem Hocker, mit dem die Reihe der Readymades 1913 einsetzt, behauptet: Kunst ist eine Setzung, eine Vereinbarung. Der Künstler selber, seine Autobiografie, seine Empfindungen haben nichts damit zu tun. Kunst ist, was auf einem Sockel, statt auf einem Warenhausbord, steht. Letztlich wird die Kunst vom Betrachter gemacht.“65 Duchamp tritt damit einen Impuls hervor, der sich in vielen zeitgenössischen Interventionen findet. Die Readymade-Objekte stellen kulturkritische und subversive Fragen nach den Kriterien von Kunst,66 sie hinterfragen die damals bestehenden Verhältnisse im Kunstsektor. Die Interventionisten gehen oftmals einen ähnlichen Weg. Sie umgehen die hochnäsige Kunstszene, die KunstElite und die Dominanz des Kunstmarktes, indem sie ihre Eingriffe auf den Straßen und öffentlichen Plätzen vornehmen. Die Interventionen sind stets charakterisiert von der Basis des demokratischen Denkens, die es jedem erlaubt Kunst zu produzieren und auszustellen – simpel und kostengünstig.67 So auch bei einer Intervention des Designers und Werbefachmannes Ji Lee, der mit „Duchamp reloaded“ (New York, 2009) Duchamps Skulptur direkt zitiert.

63  Siehe Brockhaus Kunst, 2006, S.60 64  Siehe Schneckenburger: „Skulpturen und Objekte“, in Walther (Hrsg.):   „Kunst des 20. Jahrhunderst“, S.457 65  Ebd. 66  Ebd. 67   Vgl. Bieber: „Desires will break out of homes and put an end to the dominion   of boredom and the administration of misery“, in Klanten, Hübner (Hrsg.): „Urban  Interventions“, S.4

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2. INTERVENTIONEN IM ÖFFENTLICHEN RAUM 2.2. Historie der Interventionen  |  2.2.1. Das Wesen der Avantgarden

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Ji Lee ist der Ansicht, dass Duchamp es in diesen Jahren vielleicht auch so gemacht hätte – damals hat er wahllos aufgefundene Gegenstände in den Museumskontext gesetzt, heute würde er sie diesem wieder entnehmen und im öffentlichen Raum stationieren.68 Duchamp leistete einen wesentlichen Beitrag zur Erweiterung des Kunstbegriffes und eines modernen Kunstverständnisses, jedoch waren auch zahlreiche andere Künstler und Bewegungen der Avantgarden des 20. Jahrhunderts beteiligt „die Grenzen von Kunst auszuloten und ästhetische Erfahrung in Lebensbereiche einzuführen, die bislang nicht der Kunstsphäre zugehörig galten.“69 Radikal mit der klassischen Malerei brachen als erste die Kubisten, die russischen Konstruktivisten etablierten Geometrie und Technik in der bildenden Kunst, der Suprematismus trieb die Abstraktion auf die Spitze, Dada zertrümmerte alle gemeingültigen Regeln und fundierte die Aktion als künstlerisches Ausdrucksmittel und die Surrealisten schufen fantastische Bilderwelten durch die Kraft des Unterbewusstseins. Im Minimalismus wird, nach den farben- und formenfrohen Expressionisten, die Reduktion zelebriert und Pop Art führte die Konsum- und Werbewelt in die Kunst ein. Die Avantgarden in der Kunst waren schon immer Vorbilder zur Umwälzung von bestehenden und festgefahrenen Systemen. Sie verkörpern nicht nur den Bruch mit dem Alten und Traditionellen, sondern sind immer ein Moment bewusst entschiedener Neuerung. Nicht ein unbewusst und langsam verlaufender Prozess, der einen kollektiven Stilwandel mit sich bringt, sondern ein veranlasster Traditionsbruch, der ganz und gar bewusst von einzelnen Künstlern oder Bewegungen herbeigeführt wird. Eine künstlerische Revolution, die radikal mit den gewohnten und herkömmlichen Wertevorstellungen bricht, diese vielleicht sogar auf ihre Art hinterfragt oder verspottet.70 Als Störenfriede in der Vergangenheit abgestempelt, sind die rebellischen Avantgardisten von damals heutige Visionäre. „Avantgarde-Bewegungen verstanden sich seit jeher als subversive Bewegungen, die auf unorthodoxe Weise ihre eigenen kulturellen Wertesysteme leben und gegenüber der herrschenden Kultur als Gegenmodell propagieren wollten. Avantgarde ist damit immer Subkultur [...]“.71 Ihnen haftet immer ein Hauch von Rebellion und querdenkerischem Protest an. Es waren die Künstler der Avantgarde Bewegungen, die immer wieder aufs Neue bestehende gesellschaftliche und künstlerische Praktiken, Normen und Werte hinterfragten, anprangerten und modifizierten. Auf diese Weise brachten sie neue Gedanken in unsere Kultur und ebneten den Weg für das heutige Kunstverständnis.

68   Vgl. http://pleaseenjoy.com/project.php?cat=1&subcat=&pid=133&navpoint=7#,   am 30.11.2011 69  Siehe Hornig, S.35 ff. 70   Vgl. Brockhaus Kunst 2006, S. 60 71  Siehe Liebl, Kiel, Düllo: „Before and After Situationism - Before and after Cultural  Studies: The Secret History of Cultural Hacking“, in: Düllo, Liebl (Hrsg.): „Cultural  Hacking.“, S.15


2. INTERVENTIONEN IM ÖFFENTLICHEN RAUM 2.2. Historie der Interventionen  |  2.2.2. Dadaismus

2.2.2. Dadaismus „Dada zog das Fiasko des Fortschrittwahns und zelebrierte den Triumph des Absurden. Dada war mehr als das Rüpelspiel, als das es gelegentlich inszeniert wurde. Dada war Revolte des Lebendigen gegen das Erstarrte, der Freiheit gegen die Doktrin, des Irrationalen gegen den ‚Verstand‘ der Realpolitiker und Spekulanten, ein verzweifelter Versuch, durch Zerstörung des Zerstörerischen zu überleben.“72

In der hiesigen Betrachtung sind die Dadaisten vor allem wegen ihrer rebellischen Einstellung zum politischen System zu nennen. Die Werke der verschiedenen Interpreten innerhalb der Dada-Bewegung wiesen unterschiedlichste künstlerische Handschriften und Strategien auf. Doch ein Charakteristikum kennzeichnete sie alle: die Protest- und Verweigerungshaltung gegenüber der im 19. Jahrhundert entstandenen nationalistisch, materialistisch und rationalistisch geprägten Kultur des europäischen Bürgertums, die spätestens im Zuge des Ersten Weltkrieges fragwürdig geworden war. Gegen diese erhoben sich Dadaisten, indem sie sie mittels Provokation, Satire und Schockeffekten lächerlich zu machen suchten.73 Die Einstellung der Dadaisten ließ sich im Allgemeinen nicht mit dem kapitalistischen Grundgedanken der Konsumgesellschaft vereinbaren. Ihre unkonventionellen Ideen, beeinflussten das Entstehen anderer Kunstströmungen grundlegend – und das nicht nur wegen der Einführung der Collage. „Vom Kunstwerk im herkömmlichen Sinn war überhaupt keine Rede mehr, Verfertiger solcher Werke wie die deutschen Expressionisten wurden in Grund und Boden verdammt, weil sie dem Bürgertum – das heißt automatisch: den Spießern - zu Diensten seien und sich den Lebensproblemen durch Verinnerlichung entzögen. Die Dadaisten veranstalteten Soireen, verfassten Manifeste, brachten Zeitschriften und Pamphlete heraus, lauter Kurzlebiges, auf den Tag bezogenes. […] Der Absurdität des Lebens und dem Irrsinn des Kriegs setzten sie Satire, Bluff und Groteske entgegen, am liebsten in aktionistischer Form auf der Bühne, vor einem Publikum, das sich provozieren ließ. Dabei inszenierten sich die Künstler selbst, die damit nicht nur Autoren und bildende Künstler, sondern auch Darsteller, Arrangeure und Organisatoren in einer Person waren. […] Das Werk war nicht mehr gesondert vom Leben, die Lebensform war das Werk.“74 Viele Beobachter der kontemporären Eingriffe in den medialen und den städtischen Raum erkennen Ähnlichkeiten zu den Vorgehensweisen der Dadaisten. Und auch die Akteure der Szene selbst nennen diese oftmals als wesentliche Inspirationsquelle. Aktuell wird das rebellisch-weltverbesserische

72  Siehe Ruhrberg: „Malerei“ in: Walther (Hrsg.): „Kunst des 20. Jahrhunderst“, S. 119 73   Vgl. Brockhaus Kunst, 2006, S.174 74  Siehe Schneede, S.74

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2. INTERVENTIONEN IM ÖFFENTLICHEN RAUM 2.3. Die Erweiterung des Kunstbegriffes und das Wesen der Avantgarde

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15-17 The Yes Men, „New York Times Special Edition“, New York, 2009


2. INTERVENTIONEN IM ÖFFENTLICHEN RAUM 2.2. Historie der Interventionen  |  2.2.2. Dadaismus

Gedankengut der Dadaisten in einem work-in-progress Projekt des Züricher Cabaret Voltaire – dem Geburtsort der Dada-Bewegung – thematisiert. Vom 1. Dezember 2011 bis 19. Februar 2012 wird unter dem Titel „Dada New York II: The Revolution to Smash Global Capitalism“ der Revolution gefrönt. Im Pressetext zur Ausstellung heißt es diese sei „ein kreativer, nicht gewalttätiger und künstlerischer Protest gegen den Kapitalismus und für eine Reform oder Überwindung des Kapitalismus“75, die das Ziel verfolgt „die Strategien von Dada in die Revolution von heute zu überführen und daraus eine Art von Protest zu lancieren, die mit Witz, Eleganz und Intelligenz geschieht.“76 Während dem Projektzeitraum finden Konferenzen, Aktionen, Präsentationen und Workshops statt, unter anderem mit den Größen „The Yes Men“ oder der russischen Künstlergruppe „Voina“. Jedoch betonen die Organisatoren, die als Leitspruch ihres revolutionären Impulses „Yesterday: Greenpeace – Today: The Yes Men – Tomorrow: You!“ auserkoren haben, dass sie ihren Akzent auf eine starke Partizipation vonseiten der Bevölkerung setzen. Durch das Aufdecken und anschließende Erkennen sozialer und politischer Missstände soll der rebellische Geist entfacht und dem Revoluzzer im Leibe Leben eingehaucht werden. In der frisch angezettelten Revolution trägt jedes Individuum zur besseren Gesellschaft bei. Doch vorher muss der Weckruf gehört und angenommen werden. Die in der Ausstellung partizipierenden Kunstaktivisten „The Yes Men“, die sich aus Jacques Servin (alias Andy Bichlbaum) und Igor Vamos (alias Mike Bonanno) zusammensetzen, sind für solche Weckrufe bekannt. In einer ihrer bekanntesten Aktionen verteilten sie, mithilfe zahlreicher Unterstützer, im Juni 2008 circa 1,2 Millionen Zeitungen in New York. In das Projekt waren Hunderte von unabhängigen Autoren, Künstlern und Aktivisten eingebunden. In einem sechsmonatigen Prozess wurde eine „special edition“ der New York Times editiert. Die Fake-Zeitungen, datiert auf den 4. Juli des nächsten Jahres, wurden mit lang ersehnten Schlagzeilen gespickt – wie etwa

„Iraq war ends”. Die Ausgabe enthielt Beiträge, die beschrieben,

was die Zukunft mit sich bringen könnte: nationale Gesundheitsversorgung, die Abschaffung des Lobbyismus, Barack Obamas Wahl zum Präsidenten, usw. Beim Aushändigen der Sonderausgabe auf den Straßen von New York reagierten die Passanten verblüfft oder erfreut. „Ist das wahr? Ich wünschte, es wäre wahr!“, sagte ein Leser, und weiter „Es kann wahr sein, wenn wir es verlangen.“. Steve Lambert, einer der Projekt-Organisatoren und Herausgeber der Zeitung berichtet, Ziel der Aktion sei in Erfahrung zu bringen, wie es aussehen würde und noch wichtiger, wie es sich anfühlen würde Schlagzeilen zu lesen, die jeder wirklich lesen will. Es gehe darum das Potential aufzuzeigen,

75  Siehe Pressetext zu „Dada New York II: The Revolution to Smash Global Capitalism“,  Cabaret Voltaire, Zürich 20.10.2011, u.a. zu finden auf http://dada.guaud.ch/ 76  Ebd.

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2. INTERVENTIONEN IM ÖFFENTLICHEN RAUM 2.2. Historie der Interventionen  |  2.2.2. Dadaismus

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was alles möglich sei, wenn wir gemeinsam groß denken und handeln.77 „Neue politische Probleme brauchen neue Propagandamittel.“78 behauptete einst der Pionier der Fotomontage und Dada-Mitglied John Heartfield. Seine Progressivität spiegelte sich bei allen Dadaisten, die erkannt hatten, dass künstlerische Werke, „die auf Eingriffe in politische Prozesse angelegt sind, nach Abkehr von konventionellen künstlerischen Verfahren verlangen. Damit war eine ‘Disqualifizierung der Ölmalerei’ verbunden, denn eine Aussage ‘ist als gedruckte Vervielfältigung weit wertvoller als bei einem künstlerischen Unikat, weil sie mehr Menschen erreicht’.“79 Als erste politisch-aktivistische Künstler, die sich in Massenmedien einschrieben, sind die Dadaisten substanzielle Idole für die zeitgenössischen Interventionisten. Nach Dada war die Collage und die Fotomontage als künstlerisches Ausdrucksmittel möglich, die traditionellen Massenmedien (wie etwa das Plakat) stellten neue Plattformen für die künstlerische Auseinandersetzung dar und bereiteten das Feld der aufkommenden elektronischen Massenmedien für diese auf. Zudem drückt sich Dada‘s Spontaneität und die Liebe zum Absurden und Schrillen in vielen zeitgenössischen, situativen Interventionen aus.

77   Vgl. http://theyesmen.org/hijinks/newyorktimes 78  Siehe Lewandowsky, S.72 79  Siehe Hieber, Moebius, S.16, nach Helen Adkins: „Die Zeit der Kohlrübe in  Deutschland“, 1994. In Peter-Klaus Schuster (Hrsg.): „George Grosz Berlin New York“,  Ars Nicolai, S.133-139


2. INTERVENTIONEN IM ÖFFENTLICHEN RAUM 2.2. Historie der Interventionen  |  2.2.3. Happening und Performance

2.2.3. Happening und Performance „Im Happening gerieten die alltäglichen Dinge, die Dinge von der Straße in Bewegung.“80

Im Dadaismus kamen erste künstlerische Aktionen auf und wurden durch Wolf Vostell und Allan Kaprow zum Happening umgebildet.81 Ein Happening ist eigentlich „etwas das stattfindet.“82 In der Aktionskunst wird das Kunstobjekt durch eine künstlerische Aktion ersetzt, die Aktionen passieren vor einem Publikum und können dieses mit einbinden. „Die Trennlinie zwischen Kunst und Leben sollte so fließend und vielleicht auch so undeutlich wie möglich gehalten werden.“83 zitiert der Kunsthistoriker Uwe M. Schneede den Schöpfer des Happenings Allan Kaprow. Dieser Gedanke gibt etwas wieder, was eindeutige Parallelen zu den Akteuren der zeitgenössischen Interventionen aufzeigt: Die elitäre Museumskunst wird innerhalb der Bewegung zugunsten einer alltäglichen inspirierten (Straßen-)kunst ersetzt. Kaprow führte, als Schüler der Schlüsselfigur der Happeningkunst John Cage, sein erstes öffentliches Happening „18 Happenings in 6 parts“ 1959 durch. In dieses band der Künstler eine breite Palette verschiedenster visueller, skulpturaler und medialer Mittel ein. Es beinhaltete Film- und Diaprojektionen, Musik-, Geräusch- und Tanzelemente, Skulpturen, die Produktion eines Gemäldes, sowie andere performative Handlungen. Das Publikum bekam dabei Anweisungen, denen Folge zu leisten war. „Doch war niemand imstande, den Gesamtablauf zu überschauen. Der Künstler konfrontierte und überforderte sein Publikum mit simultanen Ereignissen“84 beschreibt die Kunsthistorikerin Christiane Fricke den Verlauf des Happenings. Somit „erschuf er ein interaktives Umfeld, das das Publikum in einem Maße manipulierte, das so gut wie beispiellos war in der Kunst des 20.Jahrhunderts“.85 Bei Wolf Vostell – für den das Happening nicht sterben kann, da es mit dem Leben zusammenhängt86 – rückt das Publikum in eine passivere Rolle. Im Gegenzug weitet er seine Happenings auf die Straßen aus. Für „Neun-Nein-dé-collagen“ (Wuppertal, 1963) bespielte er neun verschiedene Stellen in der Stadt. Eines der Happenings umfasste den Zusammenprall eines fahrenden Zuges mit

80  Siehe Schneede, S.201 81   Vgl. Brockhaus Kunst 2006, S.26 82  Ebd., S.261 83  Ebd. 84  Siehe Friecke: „Neue Medien“, in Walther (Hrsg.): „Kunst des 20. Jahrhunderts“, S.585 85  Siehe Paul Schimmel, »Leap into the Void: Performance and the Object«, in: „Out of  Actions: between performance and the object“, 1949–1979, MoCA Los Angeles,  New York/London 1998, S. 61f, auf http://www.medienkunstnetz.de/werke/   18-happenings-in-6-parts/bilder/1/, am 17.01.2012 86  Siehe Hoock: „What happened to the Happening?“, kunstaspekte-special, Düsseldorf,   01.09.2010, auf: http://www.kunstaspekte.de/maja-hoock-happening/, am 17.01.2012

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18 - 19  Wolf Vostell, „Neun-Nein-dé-collagen“, Happening an neun Plätzen,    Wuppertal, 1963 20 - 21 Ondrey Brody, Kristofer Paetau, „Parasites # 3“, Hamburg, 2010 22 - 23 Bronco, „Street Art Musical“, im Rahmen der „Parasites # 4“, Hamburg, 2010


2. INTERVENTIONEN IM ÖFFENTLICHEN RAUM 2.2. Historie der Interventionen  |  2.2.3. Happening und Performance

einem Auto, das auf den Gleisen stand, sowie die Erschießung eines laufenden Fernsehgerätes. Vostell zielte überwiegend auf demonstrative Konfrontation ab.87 Sein Werk kennzeichnet sich durch Destruktion. Fricke charakterisiert seine Kunst, als eine die durch Brachialgewalt lebt und atmet.88 Der Künstler selbst führte den Begriff der „Décollage“89 für seine Schaffensprozesse ein. Er verarbeitet Verstörendes „indem er es […] verwischt, stört und manipuliert.“90 Wolf Vostell schilderte sein Vorgehen folgendermaßen: „Vielmehr interessiert mich die Aufklärung des Publikums durch das Prinzip der Décollage, die Zumutbarkeiten und Absurditäten zur Diskussion stellt, indem tägliche Vorgänge aus ihrem Zusammenhang genommen und dadurch neue Verhaltensweisen hergestellt werden, die das Publikum zum Nachdenken (und zu Schocks, die später wirken), zum Reagieren bringen.“91 Maja Hook, eine Autorin von der Online-Zeitschrift „kunstaspekte“, stellt in einem ihrer Artikel die Frage nach der heutigen Existenz des Happenings: „Ist das Happening mit seinen großen Protagonisten und dem Zeitgeist der 1960er Jahre erledigt?“92 Während ihrem Beitrag kommt sie zur Erkenntnis, dass es nicht tot sei – es befinde sich in einer Renaissance. Das begründet sie anhand einiger aktueller Beispiele, deren Kern „das Erlebnis des intensiven Moments“ sei,93 es haben sich lediglich die thematischen Schwerpunkte verschoben. Während sich die ersten Happening-Künstler mit „Atomkraft, Vietnamkrieg und Nazizeit befass[t]en, kritisieren Situationskünstler heute Überwachungsstaat, Gentechnik, Gentrifizierung und Globalisierung. Auch ihnen geht es darum, in einer zunehmend geglätteten und gesäuberten Welt Kontrapunkte zu setzten.“94 Ein Beispiel, dass Hoock den Happenings gleichsetzt sind die „Parasites“-Ausstellungen. „Parasites – illegal exhibitions” präsentiert vier Mal im Jahr subversive Ausstellungsprojekte mit internationalen Künstlern in Hamburg. Der Fokus liegt dabei auf jungen, radikalen, provozierenden und politischen Positionen. Die Ausstellungen finden immer an neuen Orten im Hamburger Innen- und Außenraum statt, ohne Genehmigung.“95 Für einen der Organisatoren und Gründer der Parasites-Ausstellungen Tom Segler (der Name wurde von der kunstaspekte-Redaktion geändert) „steht bei den heutigen Aktionen das gemeinsame intensive Erleben sogar noch mehr im

87   Vgl. Fricke, S.584 88  Ebd. 89   franz.: Abflug, Start 90  Siehe Fricke, S.584 91  Ebd. 92  Siehe Hoock 93   Vgl. ebd. 94  Siehe ebd. 95  Siehe http://www.para-sites.de/?page_id=11

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24 - 27  Yolanda Domínguez, „Poses“, Madrid, 2010 28    Valie Export, „Tapp- und Tastkino“, München, 1968


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Vordergrund, als in den politisch provokanten Happenings vor vierzig Jahren“96. Das gemeinsame Eindringen in die Konsumwelt und das darauffolgende Einbringen von Störungen befinden sich im Mittelpunkt. Für Segler umfassen die heutigen Interventionen einen wesentlich größeren Variantenreichtum in ihren Ansätzen, als die im Happening aufgelisteten Aktionen, jedoch das Wesen bleibt das selbe: „Kunst zum alltäglichen Lebensinhalt machen, Partizipation und Provokation.“97 Zusammenfassend kommt Hoock zu der Erkenntnis, das Happening habe einen anderen Impetus als damals. Doch nach wie vor „bieten sich interessante Angriffsflächen, die geradezu nach Brüchen verlangen. Es gibt eine große Sehnsucht nach dem gemeinsamen Erlebnis, nach Intensität und nach Nischen im Alltag.“98 Das Happening zielt im Allgemeinen auf „weiterwirkende Erfahrungen, bzw. Bewusstseinsvorgänge seiner Teilnehmer“99 und Beobachter, die Performance verfährt in ihrer Wirkungsweise gleich. „Von der Idee her ist die Performance ein amediales, seine Information direkt, also ohne Vermittler weitergebendes Medium. Sie geschieht an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit, aber auch in den Köpfen und Herzen der Anwesenden. Sie ist ein einmaliger poetischer Akt mit der Potenz zur Langzeitwirkung, wenn er im Kopf des Zuschauers sein unvorhersehbares Eigenleben zu entfalten vermag.“100 Diese Merkmale machen Happening und Performance101 zu direkten Verwandten der zeitgenössischen Interventionen. Die spanische Künstlerin Yolanda Domínguez inszenierte in ihrer Aktion „Poses“ (2011) in grotesken Posen verharrende Damen an öffentlichen Orten – wie etwa in der Warteschlange vor dem Museum oder neben dem Verkaufsregal im Supermarkt. Die jungen Frauen mimten in ihrer Körperhaltung weibliche Referenzen aus den Massenmedien. Stark verzerrte Bilder von Frauen, speziell aus Modezeitschriften, wurden im öffentlichen Raum in Szene gesetzt und wirkten realitätsfern, lächerlich und irritierend auf den Passanten. Domínguez übte damit Kritik an der absurden und künstlichen Welt des Glamours, der Mode102 und erinnert mit dieser Aktion stark an Valie Exports feministische Performances aus den sechzigern.

96   Segler zitiert in Hoock 97   Siehe Segler zitiert in in Hoock 98   Siehe Hoock 99   Siehe Fricke, S.853 100   Ebd., S.601 101  Die Begriffe werden ab hier synonym verwendet, da die dünnen Unterschiede   der beiden Aktionsformen im weiteren Kontext keine Rolle spielen 102   Vgl. http://www.yolandadominguez.com/Poses/index.html, am 05.01.2012

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29 Heiko Beck, „Ich habe Spaß!“, Düsseldorf, 2006 30 Heiko Beck, „Ich bin müde!“, Düsseldorf, 2006 31 Heiko Beck, „Du hast ein schönes Gesicht!“, Düsseldorf, 2006


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Mit Fragen von Öffentlichkeit und Privatsphäre beschäftigt sich der Performer Heiko Beck. Er erschafft durch seine Aktionen neue Paradigmen und Erfahrungen. Durch seine Kampagnen im öffentlichen Raum will er mit voller Absicht die tägliche Routine der Betrachter brechen und sie zum Denken anregen. Beck sucht nach authentischen Menschen, guten Momenten und Spaß bei der Arbeit. Seine Idee von Subversion ist es die Grenzen zwischen öffentlichen und privaten Sphären zu verwischen.103

103   Vgl. Klanten, Hübner (Hrsg.) in „Urban Interventions“, S. 69

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32  George Maciunas, „Flux-Kit“, Koffer mit repräsentativer Auswahl von Multiples,   Stuttgart, Staatsgalerie Stuttgart, Archiv Sohm, 1964 33 Philip Corner, „Piano Activity“, Aktion, Internationale Festspiele Neuester Musik,    Wiesbaden, Städtisches Museum, 1962 34  George Brecht, „Drip Music (Drip Event)“, 1959 – 1962, Aufführung durch George    Maciunas beim „Festum Fluxuorum“ in der Kunstakademie Düsseldorf, 1963,    Fotografie von Manfred Leve


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2.2.4. Fluxus „Nach Dada war Fluxus im 20. Jahrhundert der zweite elementare Angriff auf das Kunstwerk. Das Werk im herkömmlichen Sinn erschien als fixe Idee und bürgerlicher Fetisch, folglich galt es nichts mehr. Was einzig zählte, war die schöpferische Idee. In der Kunst wie im Leben.“104

Die Kunstströmung Fluxus (abgeleitet vom lat. „fluere“, dt. „fließen“) nahm in Westdeutschland und Japan um 1960 Form an. Der Begriff Fluxus etablierte sich nach und nach für die Bewegung, die eine breite Palette an Aktivitäten aufwies. Die zahlreichen Künstler des internationalen Netzwerks kamen immer wieder zusammen, um „an neuen, die traditionellen Gattungsgrenzen überschreitenden Formen der Kunst zu arbeiten.“105 Im Mittelpunkt standen Aktionen, denn die Aktion sei – so zitiert Scheede nach Tomas Schmit, 1964 - „das direkteste künstlerische Medium, das eben nicht gehandelt, nicht verkauft, nicht goldgerahmt, nicht verbrannt, nicht als Schlafzimmerdekoration mißverstanden werden könne“.106 Das Temporäre und Vergängliche waren ein Merkmale des Fluxus. Der Künstler Dick Higgins führte für den Fluxus den Sammelbegriff „Intermedia“ ein, denn „im Grunde können wir solche Arbeiten als Fluxus bezeichnen, die von ihrer Anlage her intermedial sind: visuelle Poesie und poetische Bilder, Aktionsmusik und musikalische Aktion und auch Happenings und Events, sofern sie Musik, Literatur und bildender Kunst konzeptuell verpflichtet sind.“107 In dieser Charakterisierung von Fluxus werden Analogien zu den kontemporären Interventionen deutlich: Es existiert kein kennzeichnender Stil oder die Vorliebe zu bestimmten Sujets oder Methoden, sondern vielseitige Herangehensweisen und damit keine klare Definierbarkeit. Auch die Kunsthistorikerin und Kuratorin Gabriele Knapstein beschreibt den Fluxus als eine schwer einzuordnende Kunstbewegung. Sie bezieht sich auf George Maciunas, der den Begriff Fluxus einführte. Er versuchte Fluxus zu veranschaulichen, indem er die Bedeutungen des englischen Wortes „flux“ analysierte: „‚Flux’ [wird] umrissen […] mit ‚Akt des Fließens’: eine kontinuierliche Folge von Veränderungen“108 Das schwer Einzuordnende äußert sich vor allem in den „fließenden Übergängen zwischen Gattungen und Disziplinen, sowie durch die stetigen Veränderungen und Bewegungen im weit verzweigten Fluxus-Netzwerk.“.109 Die Fluxusbewegung verband ein weites Geflecht verschiedenster Künstler, doch das Bindeglied zwischen ihnen war Maciunas. Er organisierte nicht nur Fluxus-Konzerte und

104  Siehe Scheede, S.209 105  Siehe Knapstein: „Fluxus“, in Butin (Hrsg.): „Dumonts Begriffslexikon zur   zeitgenössischen Kunst“, S.86 106  Siehe Scheede, S.209 107  Knapstein, S.86 108  Ebd. 109  Ebd.

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35 - 38  Murray Gaylard, „There is no place like home (or at least a place that replaces it)“,     Zwischen Frankfurt und Paris, 2009 39 - 40 Ahmet Ögüt, „Somebody else‘s car“, Istanbul, 2005


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Festivals, sondern kümmerte sich auch, um Publikationen und Vertrieb von Fluxus-Anthologien, Partiturensammlungen und Multiples. Er wollte zudem die Fluxus-Aktivitäten mit einem politischen Aktivismus gegen die bürgerliche Hochkultur verbunden sehen. Mit dem Versuch einer Gründung der „FluxusEinheitsfront“ stieß er vonseiten der Künstler jedoch auf Widerstand.110 Knapstein zitiert Maciunas zum Kontext von Fluxus und Avantgarde: „Wir haben die Ideen der Unbestimmtheit und Simultaneität, des Konkretismus und der Geräuschmusik aus dem Futurismus, aus dem futuristischen Theater und der futuristischen Musik von Russolo. Dann haben wir die Idee des ReadyMade und die Konzeptkunst, die auf Marcel Duchamp zurückgehen. Dann gibt es die Idee der Collage und des Konkretismus bei den Dadaisten – und, wie sie sehen, das alles mündet in die Stücke für präpariertes Klavier von John Cage, die tatsächlich Klang-Collagen sind.“111 Für die Autorin birgt der Fluxus eine Menge an Herausforderungen. Denn es ist „auf das flüchtige Ereignis, die humorvolle Untersuchung von Denk- und Wahrnehmungsmustern und die latente Poesie alltäglicher Ereignisse und Gegenstände gerichtet [...]“112 Diese Beschreibung, die Knapstein für den Fluxus liefert, könnte man genauso auf eine Fülle von gegenwärtigen Interventionen anwenden. Der Deutsche Andy Strauß, der sich für die Verbreitung von Straßenkunst einsetzt,113 macht auf Denkmäler im öffentlichen Raum aufmerksam, indem er diese lautstark beleidigt. Murray Gaylard reist im Mickey-Maus-Kostüm für seine Performance „There’s no place like home (or at least a place that resembles it)“ (2009), die den Stellenwert der Heimat und der Geborgenheit eines Zuhauses thematisiert, mit öffentlichen Verkehrsmitteln und per Anhalter von Frankfurt zum Disneyland, Paris.114 Ein weiteres Beispiel das Humor und die Flüchtigkeit des Moments performativ illustriert, ist die Aktion „Somebody Elses Car“ des türkischen Künstlers Ahmet Ögüt. Bei dieser nimmt er Transformationen an geparkten Autos vor – ohne Erlaubnis der Fahrzeugeigentümer. Er führt die Aktionen mit einer vandalistischen Grundhaltung durch, jedoch ohne wirklich jemandem zu schaden. Mit vorgefertigten Papierausschnitten verwandelt er ein geparktes Auto in ein türkisches Taxi und ein anderes in ein Polizeiwagen. Bei der Rückkehr der Fahrzeuginhaber zu dem Auto ist Irritation gefolgt von Erstaunen oder Amüsement zu erkennen. Durch die flüchtige Aktion werden die Fahrzeugbesitzer aus ihrer Alltagssituation gerissen und in die Rolle des Rezipienten, als auch Mitwirkenden der Intervention versetzt.Viele kontemporäre Eingriffe manifestieren sich im Moment, die Aktionen sind vergänglich und in vielen Beispielen durch Witz und Ironie gekennzeichnet.

110   Vgl. Knapstein, S.87 111  Ebd. S.89 112  Ebd. S.90 113   Vgl. http://www.establishmensch.de/info.html 114   Vgl. Art & Agenda, S.33

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2.2.5. Situationistische Internationale „Or central idea is that of the construction of situations, that is to say, the concrete construction of momentary ambiances of life and their transformation into a superior passional quality. We must develop a methodical intervention based on the complex factors of two components in perpetual interaction: the material environment of life and the comportments which it gives rise to and which radically transform it.“115 (Guy Debord)

Die Situationistische Internationale (SI) und die ihnen vorhergegangenen Lettristen spielen eine besondere Rolle im Bezug auf Interventionen im öffentlichen Raum. Ihre Prinzipien und Manifeste finden in Bezug zu Kunst im öffentlichen Raum, der Urban Art oder der Kommunikationsguerilla immer wieder Erwähnung. Die Situationistische Interantionale war ein „Zusammenschluss von Künstlern, Architekten und anderen Kulturproduzenten, die sich mit den Möglichkeiten gesellschaftlicher Veränderung befassten.“116 Sie hatten es sich zum Ziel gesetzt zu einer „Subversion des Alltags“ zu gelangen, um Kapitalismus und Profit zu überwinden. SI-Mitglieder entwickelten Taktiken für eine neue Stadtwahrnehmung, mit der echte Erlebnisse und Situationen im urbanen Raum hervorgerufen werden, um die Kreativität der Bewohner zu beflügeln. Für sie stellte das eine neue Form von Kunst und Kultur dar, die auf Gesellschafts- und Ökonomiekritik basierte.117 1957 fusionierten verschiedene organisatorische Initiativen der künstlerischen und politischen Avantgarde aus Paris, London und Italien zur Situationistischen Internationale. Eine dieser Initiativen war die Internationale Lettriste (IL), unter der Guy Debord erstmals aktiv geworden war. Die SI übernahmen große Teile der Theorien der Lettristen in ihr Programm. Debord fasst diese in dem „Rapport zur Konstruktion von Situationen“ zusammen.118 „Im Zentrum dieser Broschüre stand die Forderung, sich nicht mehr auf die Produktion von Kunstwerken zu beschränken, sondern die künstlerische Praxis auf den Stand der technologischen Möglichkeiten in den modernen Industriegesellschaften zu heben.“119 Die L.I. und die S.I greifen Praktiken der Dadaisten und Surrealisten auf, verschärfen deren Ansätze jedoch zu subversiven Aktionen für eine Revolution innerhalb der Gesellschaft. Sie stellten nicht nur den existierenden Kunstbegriff in Frage, sondern riefen durch ihre Schriften auch zu revolutionären Fronten in der Kultur auf.120 Im Handbuch

115   Guy Debord zitiert in: Düllo, Liebl, Kiel:„Before and after Cultural Studies: The Secret   History of Cultural Hacking“, in Düllo, Liebl (Hrsg.): „Cultural Hacking“, S.17 116  Siehe Lewitzky, S.20 117  Ebd. 118   Vgl. Ohrt: „Situationistische Internationale“ in: Butin (Hrsg.):   „Dumonts Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst“, S.273 119  Siehe Ebd. 120   Vgl. Ebd.


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der Kommunikationsguerilla wird exponiert, dass es wichtig sei „dass die SI im Unterschied zu anderen Avantgardegruppen die Problematik künstlerischpolitischer Avantgardepositionen klar erkannte und solche Positionen scharf kritisierte. In der aktuellen Rezeption wird der ‘Situationismus’ vor allem als künstlerische Bewegung dargestellt. Demgegenüber ist daran zu erinnern, dass die SI nicht nur den bürgerlichen Kunstbegriff ablehnte […], sondern dass sie sich auch explizit jeder Verwendung der von ihr entwickelten ‘künstlerischen’ Formen außerhalb des Kontextes eines (politisch-) revolutionären Projekts verweigerte.“121 Für die Kommunikationsguerilla ist zudem der Aspekt der grundsätzlichen Ablehnung festgefahrener Politikkonzepte vonseiten der SI wichtig. Denn sie „beschränkte[n] sich nicht auf eine Kritik der hierarchischen und bürokratischen Struktur altlinker Gruppen und Parteien. Die SI versuchte zugleich, neue Formen der Subversion und Propaganda zu entwickeln. Die Situationisten gehörten zu den ersten, die die ‘Einführung der Guerilla in den Massenmedien...’ forderten.“122 Durch eine revolutionäre Praxis auf Basis des alltäglichen Lebens riefen sie zur „Abschaffung der Politik“ und zur Entwicklung neuer politischer Formen.123 Im Kontext kontemporärer Interventionen sind vor allem zwei Eingebungen der Situationisten zu akzentuieren: Zum einen die Praxis der Zweckentfremdung – dem situationistischen Détournement – und zum anderen das Prinzip des Umherschweifens – dem Dérive. Das

Détournement

der

Situatonisten,

was

„umdeuten,

zweckentfremden, dekontextualisieren und rekontextualisieren“

umcodieren, 124

beinhaltet,

ist eine Haupttaktik künstlerisch-intervenierender Werke und Aktionen (diese wird im Kapitel 3.2.1.3. ausführlich behandelt). „Die Praxis der Zweckentfremdung war 1956 in einem Text von Debord und den Lettristen Gil Wolman mit einer großen Menge an Beispielen vorgestellt worden, wobei ihre Orientierung vor allem auf den kritischen und propagandistischen Einsatz zielte und ebenso wie bei der Konstruktion einer Situation den Kontext als die wesentliche Kategorie ins Spiel brachte.“125 Eines der Ziele war es Kreativität und neue Verhaltensweisen durch Experimentieren und Spielen zu entwickeln.

121  Siehe autonome a.f.r.i.k.a. Gruppe, Luther Blisset, Sonja Brünzels, S. 34 122  Ebd. S.35 ff. 123  Ebd. S.37 124  Siehe Liebl/Kiel/Düllo, S.15 125  Siehe Ohrt, S.273, in: Butin (Hrsg.): „Dumonts Begriffslexikon zur zeitgenössischen    Kunst“, DuMont Literatur und Kunstverlag, Köln, 2006

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41 - 44  Eduardo Cachucho, „Dérive – Urban Exploration App“


2. INTERVENTIONEN IM ÖFFENTLICHEN RAUM 2.2. Historie der Interventionen  |  2.2.5. Situationistische Internationale

Durch die Methode des Umherschweifens analysierten sie Orte und die assoziierten Wahrnehmungen und Emotionen auf diese. „So wurde ein ziellosen Umherschweifen in den Städten praktiziert, um einerseits die eigenen Wünsche und die Möglichkeiten des Vergnügens zu erkunden. Andererseits diente dieses Driften zur Untersuchung des städtischen Raumes, um Grundlagen für die Kritik der Stadtplanung und Vorschläge für ihre unmittelbare oder zukünftige Verbesserung zu formulieren.“126 Der Architekt Architekt Eduardo Cachucho greift mit „Dérive – Urban Exploration App“ das Prinzip des Umherschweifens der Situationisten mit neuen technologischen Mitteln direkt auf: Er entwickelte eine Applikation für ein Smartphone, die für den Benutzer ein Hilfsmittel bei der Erforschung der städtischen Umgebung darstellt. Alle drei Minuten erscheinen Aufgaben auf dem Smartphone, die zur bewussteren Exploration von Objekten, Dingen, Farben, Menschen und Geschehnissen anregen sollen. Der Nutzer muss Befehlen, wie etwa „find a sound“, „follow a couple“, „use public transport“ etc., folgen. Auf diese Art und Weise gelangt er zu anderen Orten, benutzt alternative Routen und erhält die Möglichkeit die Stadt auf unkonventionelle Art zu erfahren.127

126  Siehe Ohrt: „Situationistische Internationale“, in: Butin (Hrsg.):   „DuMonts Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst“, S.273 127   Vgl. http://efrcdesign.com/?p=612

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45  Joseph Beuys, „7000 Eichen“, Kassel, 1982 - 1987


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2.2.6. Beuys und die Soziale Plastik Joseph Beuys hatte die Vorstellung einer gesellschaftsverändernden Kunst, für die er den Begriff der Sozialen Plastik einführte. Für ihn stellt die Kunst – unter einer radikalen Begriffserweiterung - „die einzige bewirkende, evolutionär-revolutionäre Kraft“ dar, die dazu in der Lage ist ein veraltetes Gesellschaftssystem zu erneuern. Er spricht in diesem Zusammenhang von einem „sozialen Organismus als Kunstwerk“.128 Beuys erörtert in seinem Manifest: „Diese modernste Kunstdisziplin Soziale Plastik, Soziale Architektur wird erst dann in vollkommener Weise in Erscheinung treten wenn der letzte lebende Mensch auf dieser Erde zu einem Mitgestalter, einem Plastiker oder Architekten am sozialen Organismus geworden ist.“129 Nach Beuys kann der erweiterte, revolutionäre Kunstbegriff zu einer politischen Produktivkraft werden.130 „Jeder Mensch ist ein Künstler der aus seiner Freiheit, denn das ist die Position der Freiheit die er unmittelbar erlebt, die anderen Positionen im Gesamtkunstwerk zukünftiger Gesellschaftsordnung bestimmen lernt. Selbstbestimmung und Mitbestimmung im kulturellen Bereich (Freiheit), in der Rechtsstruktur (Demokratie) und im Wirtschaftsbereich (Sozialismus), Selbstverwaltung und Entflechtung (Dreigliederung) findet statt: Der freie Demokratische Sozialismus.“131 Das Kunstkonzept von Beuys „schließt [ganz] allgemein dasjenige menschliche Handeln mit ein, das auf eine Strukturierung und Formung der Gesellschaft […] ausgerichtet ist.“132 Die Kunst wird, in Beuys Sinn, vom physischen Objekt zu sozialen Denk- und Verhaltensmustern emanzipiert. Ein weiterer wichtiger Punkt in seinem Konzept ist die Schaffung der Verbindung von politischem Aktivismus zum Akt des plastischen Gestaltens. Mit dieser Idee knüpft er an avantgardistischen Darstellung sozialer Utopien an.133 Beuys steht in engem Kontext mit der politischen Protestbewegung der sechziger und siebziger Jahre. Während seiner Professur an der staatlichen Kunstakademie Düsseldorf gründete er die „Deutsche Studentenpartei“ aus der später die „Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung (freie Volksinitiative e.V.)“ hervorging. Damit legte er auch den Grundstein für die Partei „Die Grünen“, für die er auch mehrmals kandidierte. Beuys machte „den Schritt aus dem

128  Beuys: „Ich durchsuche Feldcharakter“, 1973 in: Susanne Anna (Hrsg.) „Global Fun.   Kunst und Design von Mondrian, Gehry, Versace and Friends.“, Cantz Verlag, 1999 129  Ebd. 130  Ebd. 131  Ebd. 132  Siehe Lange: „Soziale Plastik“, S.276, in: Butin (Hrsg.): „„Dumonts Begriffslexikon zur   zeitgenössischen Kunst“, 2006 133   Vgl. Ebd.

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46 Hermann Josef Hack, „World Climate Refugee Camp“, Berlin, 2009 47 Hermann Josef Hack, „Brote Armee Fraktion“, Siegburg, 2011


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engen Rahmen des Kunstbetriebs mit seinen Institutionen hinaus in das Feld der politischen Organisationsformen, die für ihn als Ausdruck der Freiheit von staatlicher Autorität unabhängig sein sollten.“134 Es muss jedoch betont werden, dass Beuys den Menschen nicht durch Mittel des Klassenkampfes verändern wollte, sondern durch die Kunst.135 Eine seiner bekanntesten Werke ist das Projekt „7000 Eichen - Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“. „7000 Bäume, 7000 Basaltsäulen: Die Pflanzung der Bäume zusammen mit jeweils einem begleitenden Stein an 7000 Punkten in Kassel wurde 1982 von Joseph Beuys als Beitrag zur documenta 7 begonnen und konnte 1987 zur documenta 8 abgeschlossen werden. Mit der Sozialen Plastik wurde die meistdiskutierte und folgenreichste Intervention realisiert, die im Rahmen von documenta-Außeninstallationen im Kasseler Stadtgebiet vorgenommen wurde. Kein anderes Kunstwerk greift so intensiv und nachhaltig in das topographische und gesellschaftliche Gefüge der Stadt ein, keines verpflichtet aber auch so permanent zu aktiver Pflege und zum Bewusstsein über den Wert dieses Geschenks an die Kasseler Bürgerinnen und Bürger.“136 Der Künstler Hermann Josef Hack, der ein Schüler von Beuys war, hat zahlreiche Projekte, die gesellschaftskritischen Charakter aufweisen. Besonders interessant ist, dass Heck einer der ersten deutschen Künstler, der das Internet als einen neuen Austragungsort für künstlerische Projekte und Interventionen erkannt hat.137 „Hack interessiert sich für neue Formen der Vernetzung, möchte Kunst gleichzeitig an verschiedenen Orten mit verschiedenen Menschen machen. […] Hack sieht sich als Anreger, Kommunikator, Vermittler und Ideengeber, der mittels seines neuartigen Kunstprojektes neue Wege der Grenzüberschreitung geht, damit Menschen, die sonst nie einander begegnet wären, sich aber viel zu sagen haben, zu einander finden und ihre Potentiale bündeln, um die globalen Herausforderungen anzugehen.“138 Der Düsseldorfer glaubt, dass in einem Zeitalter, indem Politiker Politik für ihresgleichen machen, die etablierte Kunstszene Kunst für Kunsthistoriker und Sammler produziert. Das ist der Grund, warum er seine „World Climate Refugee Camps“ direkt auf den Straßen platziert139 – „Die Straße ist schneller als das Museum“.140 Seine Miniatur-Zelte

134  Siehe Lange: „Soziale Plastik“, in: Butin (Hrsg.): „„Dumonts Begriffslexikon zur   zeitgenössischen Kunst“, 2006, S.277 135   Vgl. Scheede, S.243 136  Siehe Dr. Kimpel, http://www.7000eichen.de/ 137   Wie etwa bei dem Projekt: Ponton/Van Gogh TV, „Piazza virtuale“ Ein interaktives   Fernsehprojekt, das 1992 während der documenta IX an 100 Tagen europaweit über   4 Satelliten zu empfangen war 138   http://www.hermann-josef-hack.de/enid/d0fe108bad4e2c10cd044da150ef1fb5,0/42.   html, am 26.11.2011 139

Vgl. Klanten, Hübner (Hrsg.): „Art & Agenda“, S.82

140  Siehe http://www.hermann-josef-hack.de/enid/24a1514e1df80498ff849809067600c4,   0/3z.html

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48  Wochenklausur, „Interkulturelle Schnittmengen“, Venedig, 2009


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wurden schon im Schatten des Brandenburger Tors, auf dem Frankfurter Flughafen und auf dem Leipziger Marktplatz aufgebaut. Hack glaubt fest daran, dass nur die Kunst den Klimawechsel zu stoppen vermag. Er beruft sein Werk darauf Menschen in politische Fragestellungen zu interessieren. Für ihn hat die Kunst die Kraft die schöpferischen Potentiale unserer Gesellschaft zu rekultivieren, die durch politische und wirtschaftliche Mächte gehemmt wurden.141 Bei einer anderen Aktion – der „Brote Armee Fraktion“ – kritisiert er mit der Platzierung kleiner Hefemännchen vor Bankfilialen die Übermacht der Banken und den revolutionsfaulen Charakter der deutschen Bevölkerung. Auch die Künstlergruppe „Wochenklausur“ arbeitet in den Spuren von Beuys: „Die Künstlergruppe WochenKlausur führt seit 1993 soziale Interventionen durch. Auf Einladung von Kunstinstitutionen entwickelt die Gruppe kleine, aber sehr konkrete Vorschläge zur Veränderung gesellschaftspolitischer Defizite und setzt diese um. Der Begriff der Intervention wird in der Kunst heute vielleicht ein wenig inflationär - für jede Art der Veränderung - eingesetzt. In Anlehnung an KünstlerInnen des 20. Jahrhunderts, die es verstanden, die Gesellschaft aktiv mitzugestalten, sieht die WochenKlausur Kunst dem gegenüber als eine Möglichkeit, Verbesserungen im Zusammenleben herbeizuführen. Gestaltung und Kreativität, in der traditionellen Kunst meist für formale Belange eingesetzt, können auch für anstehende Probleme in Bildung, Ökologie, Wirtschaft, Städteplanung oder für soziale Aufgaben eingesetzt werden. Überall gibt es Probleme, die sich auf konventionellem Weg nicht lösen lassen und als Thema für ein Kunstprojekt herangezogen werden können. Theoretisch bestehen keine Unterschiede zwischen traditionellen KünstlerInnen, die ihr Bestes tun, um beispielsweise ein Bild zu malen, und KünstlerInnen, die mit ihren Möglichkeiten ein konkretes Problem in unserer Gesellschaft aufgreifen. Die selbst gewählte Aufgabe muss jedoch, wie in der Malerei, präzise definiert sein. Interventionskunst ist nur effektiv, wenn genau feststeht, welche Problemlösung erzielt werden soll.“142

Beim Projekt „Interkulturelle Schnittmengen“ (Venedig, 2009) brachte die Gruppe verschiedene Interessensgruppen - ungeachtet des Geschlechts, der Herkunft, Religion oder dem Alter - in den bürgerlichen Arealen Venedigs zusammen, um öffentliche Plätze zu bepflanzen.143 Die Gruppe entwickelt seit 1993 konkrete Vorschläge zur Minimierung gesellschaftspolitischer Defizite und setzt diese anschließend in die Tat um. Die Projekte sind dabei stets auf die aktive Partizipation der Bevölkerung ausgerichtet. Der künstlerische Akt wird dabei - ganz nach dem Vorbild von Beuys - als gesellschaftsverbessernde Handlung und als plastizierender Eingriff in unsere Gesellschaft begriffen.144

141   Vgl. Klanten, Hübner: „Art & Agenda“, S.82 142   http://www.wochenklausur.at/methode.php?lang=de, am 26.11.2011 143   Vgl. Klanten, Hübner: „Art &Agenda“, S.61 144   Vgl. http://www.wochenklausur.at/index1.php?lang=de, am 26.11.2011

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49 Andy Goldsworthy, „Balanced river stones“, Brough, Cumbria, 1982 50 Andy Goldsworthy, „Cracked earth removed“, St. Louis, Missouri, 1986 51 Andy Goldsworthy, „Cairn to follow colours in stones“, St. Abbs, Scotland, 1985 52 Andy Goldsworthy, „Continuous grass stalk...“, Swindale Beck Wood, Cumbria, 1984 53 Andy Goldsworthy, „Stick spires“, Helbeck, Cumbria, 1983 54 Andy Goldsworthy, „Dandelion flowers...“, Andy Goldsworthy, Brough, Cumbria, 1985 55 Brad Downey, „Barrier Shift Lift Stack (Letters)“, London, UK, 2005 56 Brad Downey, „Tube Tie II (Penetrating II)“, Amsterdam, Niederlande, 2008 57 Brad Downey, „Cart Wedge“, Bourges, Frankreich, 2009 58 Brad Downey, „Bollard Bend III (Cannons)“, Berlin, 2008 59 Brad Downey, „Tape Peel (Broken Bike Lane)“, Berlin, 2008 60 Brad Downey, „Bench Pile“, Malmö, Schweden, 2009


2. INTERVENTIONEN IM ÖFFENTLICHEN RAUM 2.2. Historie der Interventionen  |  2.2.7. Land Art

2.2.7. Land Art „Gegen Ende der sechziger Jahre zieht es eine Reihe von Künstlern aus den weißen Galerieräumen Sohos in die Wüsten und Gebrige von Nevada, Utah, Arizona, New Mexico. Mit Bagger und Planierraupen wühlen sie Schluchten in die Erde und werfen gewaltige Rampen auf. Sie bewirken eine ungeheure Expansion der Kunst, mit Landschaft, Erdformationen, Horizont, Witterung, Erosion als realem Material.“145

In den 60er Jahren wurde die Land Art als eine der radikalsten Kunstströmungen angesehen. Vor allem in der kompromisslosen Flucht aus dem musealen Raum werden Parallelen zu den zeitgenössischen Interventionen deutlich. Die Landartkünstler brachen aus ihren Ateliers aus, um „ein neues Terrain für ihre Kunst zu finden. Fernab von der Kunstmetropole New York suchten sie nach Möglichkeiten einer ungewöhnlichen Verbindung von Kunst und Landschaftserfahrung.“146 Die Landschaft mit all ihren Möglichkeiten und Rohstoffen wurde zum künstlerischen Ausdrucksmittel und -medium. In den oftmals groß angelegten Projekten wurde in das ländliche Areal eingegriffen und der Versuch unternommen die konventionellen Dimensionen des Kunstwerks zu sprengen.147 Autorin Anne Hoormann datiert die ersten Land Art Eingriffe auf den Sommer 1968. In diesem Sommer realisierten Michael Heizer und Walter de Maria in der Mojave-Wüste Arbeiten auf dem Erdboden, die sich in Form von Grabungen und Zeichnungen manifestierten - „Sie waren ephemer, lediglich künstlerische Spuren im Sand, die durch den Wettereinfluss bald wieder verschwanden.“148 Betrachtet man den aktuell stark diskutierten Künstler Brad Downey bei seiner Arbeit werden Parallelen deutlich. Downeys temporäre Skulpturen entstehen aus Parkbänken, Pflastersteinen, Verkehrsschildern und jeglichen anderen Materialien, die im Stadtbild zu finden sind. Er gräbt Pflastersteine um, stapelt Parkbänke oder Mülleimer, deformiert Baustellenabzäunungen oder klebt Fahrspurmarkierungen um. Seine Landschaft ist die Stadt, mit all ihren Möglichkeiten. Seine Skulpturen vergänglich, wie die der Land Art Künstler, doch nicht der Witterungseinfluss bringt die Ursprungsverfassung der vorgefundenen Situation zurück, sondern städtische Behörden. Die Vergänglichkeit in Downeys Werk erinnert stark an die Vorgehensweise des britischen Land Art Künstlers Richard Long oder auch an Andy Goldsworthys

145  Siehe Schneckenburger: „Skulpturen und Objekte“, in Walther (Hrsg.): „Kunst des   20. Jahrhunderts“, S.543 146  Siehe Hoormann: „Land Art“, in Butin (Hrsg.): „Dumonts Begriffslexikon zur   zeitgenössischen Kunst“, S.202 147   Vgl. Ebd. 148  Siehe Ebd.

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61   Richard Long, „A Line made by walking“, 1967 62 - 63 Brad Downey, „Pipe Bend“ (Before and After), Dauer: 2 Monate, New York, 2011


2. INTERVENTIONEN IM ÖFFENTLICHEN RAUM 2.5. Historie der Interventionen  |  2.5.6. Land Art

natürliche Interventionen. Der „romantische Einzelgänger Long“149 unternahm auf seinen Wanderungen leichte Eingriffe in die natürliche Umgebung, die er stets fotografisch dokumentierte. Für „A Line made by walking“, 1967, ging er auf einer Linie im Gras hin und her, bis sich diese abzeichnete. Goldsworthy begibt sich in seinem Schaffen ebenso auf Reisen, um Chancen in der Natur aufzufinden und diese skulptural zu nutzen – sein Werk bezieht sich stark auf den Prozess der Herstellung selbst und auf das Zeitliche seiner natürlichen Skulpturen. Die Prozesshaftigkeit spielt bei Downeys Arbeiten ebenso eine entscheidende Rolle. In seiner kürzlich erschienenen Publikation,150 werden bei allen Werken die Dauer der Produktion angegeben. Diese fangen bei 2 Sekunden an und führen in ungleichen Abschnitten zu 6 Jahren, sowie immer noch im Prozess. Die Kulturwissenschaftlerin Julia Reinecke beschreibt in ihrer wissenschaftlichen Analyse von Street-Art, die Ähnlichkeit von Street-Art Künstlern zu Land Art Künstlern in der engen Verbindung zwischen Raum und Werk. Die StreetArt Akteure „können ohne die urbane Landschaft nicht entstehen und nicht verstanden werden“151, das enge Verhältnis vom Street-Art Werk zu dem umgebenden Raum drückt für sie die Nähe zur Land Art aus. Dies bestätigt überdies Robert Smithons Begriff der „site sculptures“, die eine Plastik nicht als isoliertes, beliebig platzierbares Objekt, sondern als Teil eines festgesetzten Ortes – oder sogar als Ort selbst – definieren.152 Die starke Gebundenheit zum Ort, die Abhängigkeit zum Kontext, als auch das vergängliche Moment sind der Land Art Bewegung als auch den urbanen Interventionisten analog. „Die Art der Ortsgestaltung oder Ortsmarkierung impliziert […] eine Transformation des kulturellen Feldes, das bedeutet die Auflösung traditioneller Gattungsgrenzen und – in einem übertragenen Sinn – die Ausdehnung der Kunst in andere kulturelle Bereiche und ihre Einbindung in soziale und politische Kontexte.“153

149  Siehe Schneckenburger: „Skulpturen und Objekte“, in Walther (Hrsg.): „Kunst des   20. Jahrhunderts“, S.547 150  Brad Downey: „Spntaneous Sculptures“, erschienen im gestalten-Verlag, Berlin 2011 151  Siehe Reinecke, S. 150 152   Vgl. Walther (Hrsg.), S.545 153  Siehe Hoormann, S.205

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64 Klaus Staeck, „Würden Sie dieser Frau ein Zimmer vermieten?“, Nürnberg, 1971 65 Klaus Staeck, „Vorsicht Kunst“, Documenta Kassel, 1982


2. INTERVENTIONEN IM ÖFFENTLICHEN RAUM 2.2. Historie der Interventionen  |  2.2.8. Kunstprojekte im Massenmedium Plakat

2.2.8. Kunstprojekte im Massenmedium Plakat Dieses Kapitel konzentriert sich auf erste künstlerische Interventionen, die anhand des Plakats, einen „Kleinkrieg [gegen die] übermächtige Konsumideologie im öffentlichen Raum“154 führten. Künstler wie Klaus Staeck, Les Levine und Barbara Kruger platzieren sich frühzeitig im Massenmedium Plakat, um ein Statement gegen die Überhand gewinnende Werbeästhetik in den Straßen zu setzen. In ihren Plakatkampagnen stecken wesentliche Impulse und Inspirationen für kontemporäre Interventionen, die sich derzeit verstärkt in Formen der Street-Art zeigen. Die Medien des sogenannten öffentlichen Raums der Städte – Plakat, Großplakat, Citylight, Videowall, Megaboard, Infoscreen, usw. – bilden im Vergleich zu anderen sozialen Bereichen für die Kunst einen ganz besonderen Kontext. In ihrer Ursprungsbestimmung dienen sie dem Zweck reiner Reklame und sind ausschließlich dem Verkauf verfallen. Ihre Reduktion auf die ausschließlich werblichen Inhalte sind der Extremfall unter den Massenmedien. Falls die Kunst in dieses Feld eindringt, setzt sie sich einem ganz einseitig berufenem Areal aus.155 Künstlerische Einschaltungen in Massenmedien sind insofern interessant, als dass sie einen Raum einnehmen, der normal nur von Werbeästhetik bestimmt wird. Im Optimalfall kann der künstlerische Appell formuliert und weitergegeben werden ohne in eine direkte Abhängigkeit zur Realität der Reklame zu geraten. Künstlerische Botschaften in Massenmedien verhalten sich also parasitär. „Der Werbestereotyp wird als gegebenes Muster, als effizientes Instrument aufgefasst und zum Vehikel für ganz andere Botschaften umfunktioniert – zur Steigerung der eigenen kommunikativen Schlagkraft.”156 Künstler, die sich in das Werbeterrain einschalten, versuchen die Einseitigkeit der Werbebotschaften – die trotz verschiedenster Motive und Slogans doch alle den Appell „Kauf!” verbergen – mit ihren eigenen Mitteln zu unterlaufen. Sie nutzen die Erfahrung und eindeutige Formsprache der Werbung, um ihre Botschaften, weg vom Museum und dem „white cube”, zu platzieren. Im deutschsprachigen Raum ist der Grafiker Klaus Staeck ein Pionier der Plakatkunst. Im Jahr 1971 ließ er 300 Plakate im Nürnberger Stadtraum aufhängen. Das Motiv zeigte Albrecht Dürers bekanntes Portrait seiner Mutter auf dem zu lesen war „Würden Sie dieser Frau ein Zimmer vermieten?“. Staeck

154  Siehe Grasskamp: „Blickfänger. Ein Massenmedium im öffentlichen Raum“, in:   Otto Mittmannsgruber, Martin Strauß (Hrsg.): „Plakat. Kunst. Über die Verwendung   eines Massenmediums durch die Kunst.“, Springer-Verlag, Wien, 2000, S.26 155   Vgl. Mittmannsgruber, Strauß: „Uniformierung und Differenz: Kunstprojekte in   Massenmedien“ in Düllo, Liebl... „Cultural Hacking“, 2005, S. 232 156   Vgl. Strauß: „Einleitung“ zu Mittmannsgruber, Strauß (Hrsg.): „Plakat.Kunst“, S.17

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66 Barbara Kruger, „We don‘t need another hero“, London, 1985 67 Les Levine, „Imitate Touch“, Knoxville, 1990 68 Les Levine, „Send, Receive“, Wien, 1993 69 Les Levine, „Kill God“, Dublin, 1994


2. INTERVENTIONEN IM ÖFFENTLICHEN RAUM 2.2. Historie der Interventionen  |  2.2.8. Kunstprojekte im Massenmedium Plakat

widersetzte sich seit jeher dem Ökonomiewahn im Kunstbetrieb.157 Er „hat, in Fortsetzung der Weimarer Bildkultur John Heartfields, dem künstlerischen Plakat seit den sechziger Jahren eine herausragende politische Präsenz erarbeitet.“158 Doch die namhaftesten Wegbereiter der kritischen Plakatkunst stammen aus dem Amerikanischen. Les Levine und Barbara Kruger waren wichtige Meilensteine auf diesem Gebiet, die das Werbeplakat im öffentlichen Raum für den Kunstdiskurs etablierten. „Levine gilt […] als ein Begründer der – so verstandenen – Medienkunst, und im besonderen kann er, zumindest für den amerikanischen Raum, wo Vorbilder wie Heartfield oder Staeck fehlen, als ein wichtiger Wegbereiter der aktuellen sozialkritischen Plakatkunst betrachtet werden.“159 Barbara Krugers erste Intervention erregte im Jahre 1983 Aufsehen. Am New Yorker Times Square war auf einer großflächigen Billboard Tafel ihre Botschaft zu lesen: „I am not trying to sell you anything.“ Die Herausgeber der Publikation „Plakat. Kunst. Über die Verwendung eines Massenmediums durch die Kunst“160 Otto Mittmannsgruber und Martin Strauß kennzeichnen Krugers Werk mit der besonderen Qualität „ästhetisch bestimmte Charakteristika und

Wirkungsweisen

heutiger

Massenmedien“161

zu

reflektieren.

Das

Appellative an ihren Arbeiten sei dabei die kritische Auseinandersetzung mit Funktionsmechanismen medialer Stereotype und Skepsis an kommerzieller Alltagskultur.162

Kruger

konzipiert

ihre

Plakatinterventionen

auf

den

umgebenden Raum. „In ihnen kommt […] der ungeschminkte Aspekt der Macht, die Anmutung des Vereinnehmenden und Zudringlichen der Medien zum Ausdruck.“163 Die ersten Plakatkünstler leisteten einen großen Beitrag für darauffolgende Modelle subversiver Manipulation von Werbeflächen und -botschaften im städtischen Terrain. In diesem Zusammenhang müssen die „Cultural Jammer“ und „Adbuster“ sowie die „Billboard Liberation Front“ aufgeführt werden, die nicht nur gegen die Vereinnahmung des öffentlichen Raums vonseiten der Werbeindustrie kämpfen, sondern denen vor allem der zunehmende Markenfetischismus internationale Konzerne ein Dorn im Auge ist. Das Cultural Jamming kann als Protestbewegung zum westlichen Kulturimperialismus

157

Vgl. Mittmannsgruber, Strauß (Hrsg.): „Plakat.Kunst“, S.224

158  Siehe Siehe Grasskamp: „Blickfänger. Ein Massenmedium im öffentlichen Raum“, in:    Otto Mittmannsgruber, Martin Strauß (Hrsg.): „Plakat. Kunst. Über die Verwendung   eines Massenmediums durch die Kunst.“, Springer-Verlag, Wien, 2000, S.26 159   vgl. Mittmannsgruber/Strauß, 2000, S.184 160 Erschienen im Springer-Verlag, Wien, 2000 161 Siehe Mittmannsgruber, Strauß, S.176 162   Vgl. Mittmannsgruber, Strauß, S.177 163  Ebd.

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70 Billborad Liberation Front, „I‘m real sick“, 1977 71 Billborad Liberation Front, „Shit happens“, 1989 72 Billborad Liberation Front, „Think doomed“, 1998 73 Billborad Liberation Front, „I‘m sick of it“, 2010


2. INTERVENTIONEN IM ÖFFENTLICHEN RAUM 2.2. Historie der Interventionen  |  2.2.8. Kunstprojekte im Massenmedium Plakat

internationaler Konzerne beschrieben werden, deren Aktionen in denen der Situationisten wurzeln.

164

„Culture-Jamming lehnt die Auffassung rundweg ab,

dass der einseitige Informationsfluss des Marketings passiv akzeptiert werden muss, nur weil es sich in unseren öffentlichen Raum einkauft.“165 charakterisiert Naomi Klein, Journalistin und Autorin des weltweiten Buch-Erfolges „No Logo!“, die Bewegung. Die Praxis der Cultural-Jamming-Ideologie sei dabei das Adbusting. Bei diesem „handelt es sich um eine kreative Untergrabung der Werbeindustrie mit ihren eigenen Mitteln. Werbespots und Plakate, die die Sprache der Werbeindustrie beherrschen, ihre Semantik jedoch komplett umkehren, sind ein virtueller Sprengstoff der Culture-Jamming-Bewegung.“166 Die Adbuster Media Foundation wurde 1988/1989 von Kalle Lasn und Bill Schmalz gegründet, diese publizieren das Magazin „Adbusters“. Das AdbusterMagazin ist ein globales Netzwerk von Culture Jammern und Kreativen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben die Art und Weise des Informationsflusses, auf den Großkonzerne eine erhebliche Macht ausüben, zu verändern und so deren Mechanismen zur Erzeugung von öffentlicher Meinung zu zerbrechen.167 Klein beschreibt die raffinierteste Taktik der Jammer in der Erzeugung von Gegenbotschaften durch die kreative Umgestaltung von Anzeigen, die durch den Eingriff in das kommunikative Ziel der Ursprungsnachricht einen Widerspruch generiert und so die eigentliche Aussage mit den eigenen Mitteln umkehrt.168 „Mit anderen Worten, ein guter Jam ist eine Röntgenaufnahme des unbewussten Gehalts einer Werbekampagne.“169 Besonderes Geschick im Umgang mit dieser Art von Manipulation zeigt die „Billboard Liberation Front“. Diese indoktrinieren seit 1977 Billboards im öffentlichen Raum. In ihrem Manifest beschreiben sie ihr oberstes Ziel: „Our ultimate goal is nothing short of a personal and singular Billboard for each citizen. Until that glorious day for global communications when every man, woman and child can scream at or sing to the world in 100Pt. type from their very own rooftop; until that day we will continue to do all in our power to encourage the masses to use any means possible to commandeer the existing media and to alter it to their own design.“170 Durch Dada, Staeck, Kruger und Co wurde das Massenmedium Plakat als künstlerisches Ausdrucksmittel erkannt und genutzt, eine Intensivierung erfuhr die Verwendung mit zunehmender Besetzung von öffentlichen Plätzen durch

164   Vgl. Holtz, S.1 165  Siehe Klein, S.291 166  Siehe Holtz, S.2 167   Vgl. http://www.adbusters.org/ 168   Vgl. Klein, S.291 169  Siehe Klein, S.292 170  Siehe http://www.billboardliberation.com/manifesto.html

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74 - 75 Aude Tincelin, „Sans Titre“, 2002 76 - 77 ZEVS, „Visual Kidnapping“, Berlin


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die Reklame. Als Kommerz- und Konsumkritiker infiltrieren Bewegungen wie Adbuster oder die Billboard Liberation Front bis heute Werbebotschaften mit ihrer Forderung nach mehr Reflexion im Umgang mit massenmedialen Informationen vonseiten der Bürger. An dieser Stelle seien noch zwei Positionen genannt, die das Plakat in der Verwendung künstlerischen Ausdrucks und Protest gegen Werbe- und Markenideologien einen Schritt weiter denken. Aude Tincelin beeinsprucht in ihrer Aktion „Sans Titre“ den öffentlichen Raum mit großflächigen Billboards, auf diesen waren Personen in typischen Werbeposen abgebildet, jedoch ein Element ließ erkennen, das dies keine Werbeeinschreibungen sein konnten: Es fehlten zugehörige Marken oder Produkte. Tincelins Strategie „ist die der Streichung, bzw. des De-Branding.“,171 was stark an Burens Plakataktionen in den sechzigern erinnert, nur das Ziel der Kritik hat sich verschoben. Das Verharmlosen, Streichen oder Manipulieren von Markennamen ist eine künstlerische Strategie, die bei vielen Künstlern eingesetzt wird. Der Pariser Künstler und rebellischer Marken- und Konsumkritiker ZEVS, setzt mit „Visual Kidnapping“ dieser Strategie noch einen drauf, indem er das aus einem gigantischen Werbetransparent entfernte Werbemodell als entführt publik macht und Lösegeld von dem werbenden Unternehmen fordert.

171  Siehe Liebl: „The Art and Buisness of Cultural Hacking: Eine Bestandsaufnahme“,   in Liebl, Düllo (Hrsg.): „Cultural Hacking“, S.198

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78 - 80 Suzanne Lacy, „Crystal Quilt“, Performance, Minneapolis, Minnesota, 1987


2. INTERVENTIONEN IM ÖFFENTLICHEN RAUM 2.2. Historie der Interventionen  |  2.2.9. New Genre Public Art

2.2.9. New Genre Public Art Bei der New Genre Public Art (NGPA), die Anfang der 90er Jahre allem voran von der Künstlerin Suzanne Lacy geprägt wurde, rücken kunstspezifische Ansätze in den Hintergrund und der Fokus wird auf eine verstärkt politische Ebene gerichtet. Speziell auf den politisch-demokratischen Aspekt der Öffentlichkeit, als Ort der Debatte und Meinungsbildung.172 Lacy veröffentlichte 1995 „Mapping the Terrain. New Genre Public Art.“ und führte mit dieser Publikation den Begriff in den Kunst- und Kulturdiskurs ein. Das Bestreben des Buches „war es, eine künstlerische Praxis zu umreißen, die konzeptuelle, performative und flüchtige Installationen unter dem Schirm gemeinsamer Strategien und Intentionen zusammenbrachte; zugleich sollten kritische Fragen zu einer solchen Praxis gestellt werden.“173 Die NGPA basierte auf „Konzeption von Öffentlichkeit, Beziehung, Kommunikation und politischer Intention.“174 Hauptaugenmerk lag auf Partizipation und Engagement vonseiten einer Vielzahl von Bevölkerungsgruppen, mit dem Ziel „für eine breitere Debatte über Wert und Bedeutung von Praktiken öffentlicher Kunst zu plädieren.“175 Dabei wurden Themen behandelt die die Öffentlichkeiten unmittelbar betrafen.176 Lacy beschäftigt sich in der eigenen künstlerischen Auseinandersetzung vor allem mit sozialen und urbanen Themen. Am bekanntesten ist, die von ihr inszenierte Performance „Crystal Quilt“, die am Muttertag (1987) von 430 Frauen im Alter von 60 Jahren durchgeführt wurde und live im öffentlichrechtlichen Fernsehen ausgestrahlt wurde. Die Performance thematisiert ungenutzte Potentiale älterer Menschen.177 Der Aspekt der Partizipation einer bestimmten Nutzergruppe spielt in der NGPA eine wesentliche Rolle. Die Community sollte in die Entwicklung und auch Durchführung eines Projektes eingebunden werden.178 Lewitzky beschreibt in seiner Publikation „Kunst für alle?“, dass sich NGPA aus einer wiederentdeckten Leidenschaft einiger Künstler entwickelte, die gesellschaftliche Probleme und Fragen wieder in den Kunstdiskurs einführen wollten.179 Weiter zitiert er die Kunstkritikerin Astrid Wege, die „diesbezüglich von einer Rückbesinnung des Künstlers auf seine soziale und politische Verantwortung im Rahmen gesellschaftlicher Veränderungen, und dem Interesse interventionistisch auf diese Prozesse zu

172   Vgl. Lewitzky 173  Siehe Lacy: „New Genre Public Art / Suzanne Lacy“, in Brigitte Franzen , Kaspar König, Carina Plath (Hrsg.): „Skulptur projekte münster 07. Katalog“, Verlag der Buchhandlung Walther König; Auflage: 1. (14. Juni 2007), S.406 174 Ebd. 175 Ebd. 176  Ebd. 177   Vgl. http://suzannelacy.com/1980swhisper_minnesota_crystal.htm, am 18.12.2011 178   Vgl. Lewitzky, S.97 179  Ebd., S.96

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2. INTERVENTIONEN IM ÖFFENTLICHEN RAUM 2.2. Historie der Interventionen  |  2.2.9. New Genre Public Art

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reagieren [spricht]. Wege beschreibt den Begriff der Intervention dabei als Schritt aus dem Bereich einer autonomen, funktionslosen Kunst heraus“180 mit dem Wunsch durch den künstlerischen Eingriff auf existierende Problematiken aufmerksam zu machen und diese im nächsten Schritt durch Umgestaltung zu verbessern. Die NGPA-Aktivisten, die sowohl Qualitäten von Künstlern, als auch von Kulturarbeitern mitbringen, stimmen ihr Vorgehen dabei auf zwei Ebenen ab. Zum einen unternehmen sie den Versuch ein Verständnis für gesellschaftliche und soziale Prozesse zu vermitteln und zum anderen regen sie kreative Potentiale vonseiten der partizipierenden Gemeinschaften an, um Lebenssituationen möglicherweise zu optimieren.181

180  Siehe Lewitzky, S.96 ff. 181   Vgl. Ebd., S.98



Kontemporäre Interventionen im Ă–ffentlichen Raum


2. INTERVENTIONEN IM ÖFFENTLICHEN RAUM 2.3. Kontemparäre Interventionen  |  2.3.1. Urban Art / Street Art

2.3.1. Urban Art / Street Art Ein Großteil der Interventionen, die in dieser Thesis behandelt werden, werden in der Regel dem Feld der Street Art oder Urban Art zugeordnet. Jedoch ist das keine determinierte Definition, eine solche lässt sich bei der Masse und Vielfalt der Interventionen auch kaum festlegen. Alain Bieber beschreibt in seinem Blog rebelart.net die Akteure der Szene als „Culture Jammer & Adbuster, Hacktivisten & Net Aktivisten, Street Artists & Street Vandalen, Post-Dadaisten & Retro-Neoisten, notorische Nervensägen & subversive Störenfriede“.182 Die Liste möglicher Bezeichnungen ließe sich weiterführen, doch sind die Namensvariationen nicht entscheidend, um das inneliegende Wesen und die Motivationen der Interventionisten zu analysieren. Fest steht jedoch, dass die meisten der Bewegung der Street Art entsprungen sind, oder von dieser zumindest stark inspiriert wurden. Eine neue Generation hat sich selbst befreit von der Wand als Medium, zugunsten des Experimentes mit temporären Skulpturen und illegalen Interventionen.183 Deshalb werden die Entstehung und einige Hauptakteuere der Street Art, sowie bestimmte Trends innerhalb der Szene in den folgenden Kapiteln näher erläutert.

182  Siehe http://www.rebelart.net/diary/about-2/ 183   Vgl.Bieber:„Desires will break out of homes and put an end to the dominion   of boredom and the administration of misery“, in Klanten, Hübner (Hrsg.): „Urban   Interventions“, S.5

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2. INTERVENTIONEN IM ÖFFENTLICHEN RAUM 2.3. Kontemparäre Interventionen  |  2.3.1. Urban Art / Street Art  |  2.3.1.1. Graffiti

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2.3.1.1. Entstehung: Vorbote Graffiti Graffiti als Vorbote der Urban Art Bewegung hat ihren Ursprung in der USamerikanischen Jugendbewegung der sechziger Jahre.184 Die Entwicklung fand primär in Philadelphia und New York statt, „beeinflusst durch die territorialen Markierungen von Banden, Kalligrafie, Comics, Pop Art, politische und psychedelische Grafik sowie durch Werbung im Kontext von Wirtschaftskrise und städtischem Verfall.“185 Doch im hiesigen Kontext spielt weder die Entstehungsgeschichte, noch die szeneinternen Differenzierungen zwischen Malstilen und Methoden eine Rolle. Es werden die Motivationen der GraffitiAkteure fokussiert, um Analogien und Diskrepanzen zwischen Graffiti und Urban Art zu ermitteln. Graffiti-Experte Johannes Stahl benennt in einem Essay über Graffiti im Kontext zeitgenössischer Kunst einige Schwerpunkte: „(1) Die Authentizität des Illegalen ist ein von fast allen Seiten betontes Element. SprayerInnen heben ihr legitimes Recht auf individuellen Ausdruck hervor und empfinden den Druck der Gesetzesübertretung als beflügelnden formalen Umstand. SoziologInnen und PhilosophInnen sehen die Graffiti diesbezüglich als gezielten ‘Aufstand der Zeichen’ (Jean Baudrillard). (2) Gegenüber einer übermächtigen Gesellschaft und ihrer optischen Benutzeroberfläche stellen SprayerInnen und TheoretikerInnen die Herstellung von Graffiti als Selbstbehauptung heraus. Die Reibungen zwischen der Bekanntheit der aufgesprühten (Namens-) Zeichen und der weitgehenden Anonymität der SprayerInnen wird dabei zur sozial relevanten Aussage. (3) Die Einbindung der stadträumlichen Situation sehen SprayerInnen und

TheoretikerInnen

unterschiedlich.

Während

Erstere

das

Herausstellen des eigenen Namens weitgehend als praktische Aufgabe mit Relevanz vor allem für die interne Szene ansehen, entsteht für Letztere vor allem vor dem Hintergrund politischer Protestbewegungen, die ebenfalls Graffiti verwenden, ein deutlich wahrehmbares Bild der Gegenöffentlichkeit.[...]“186 Punkt (1) und (2) spielen für einige Akteure zeitgenössischer Interventionen zwar eine Rolle, jedoch sind sie kaum als essentielle Beweggründe zusammenzufassen. Der in Punkt (3) aufgelistete Ausdruck städteräumlicher

184   Vgl. Reinecke 185  Siehe Vykoukal: „Graffiti/Street Art“, in Brigitte Franzen , Kaspar König,   Carina Plath (Hrsg.): „Skulptur projekte münster 07. Katalog“, Verlag der   Buchhandlung Walther König; Auflage: 1. (14. Juni 2007), S. 369 186  Siehe Stahl: „Graffiti“, in Butin: Butin (Hrsg.): „DuMonts Begriffslexikon zur   zeitgenössischen Kunst“, 2006, S.108


2. INTERVENTIONEN IM ÖFFENTLICHEN RAUM 2.3. Kontemparäre Interventionen  |  2.3.1. Urban Art / Street Art  |  2.3.1.1. Graffiti

Einbindung spielt hingegen bei kontemporären Interventionisten eine wesentliche Rolle. Wie dort erwähnt ist diese Position in der Auseinandersetzung umstritten, denn bei vielen Graffiti-Sprayern steht in der Tat die Verbreitung des eigenen Namens in der Stadt und somit Ruhm innerhalb der Szene, an erster Stelle. Zudem fällt es Akteuren der Graffiti-Szene schwer sich aus ihrem Ruf des destruktiven Vandalen zu emanzipieren. Das liegt wohlmöglich daran, dass es viele Nachahmer gibt, die sich keinen ausgeprägten Bild- und Buchstabenstil angeeignet haben, sondern das „taggen“, „writen“ und „bomben“ als pubertären Rebellionsakt betreiben.

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2. INTERVENTIONEN IM ÖFFENTLICHEN RAUM 2.3. Kontemparäre Interventionen  |  2.3.1. Urban Art / Street Art  |  2.3.1.2. Pioniere

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2.3.1.2. Pioniere Street Art wurzelt in der Graffiti Bewegung, jedoch entwickelte sich die Strömung in eine andere Richtung: Während den Graffiti-Writern und Taggern immer noch der Ruf des kriminellen Gangmitgliedes anhaftet, der sich durch Vandalismus und das Beschriften von Häuserfassaden und Zügen beweist, wird der Street Art Protagonist als Künstler betitelt. Seinem Schaffen wird mehr Akzeptanz entgegengebracht und seine Werke in Galerien ausgestellt.187 Der Begriff „Street Art“ setzte sich erst 2005 im allgemeinen Sprachgebrauch durch188 – und er ist nach wie vor unter den Akteuren umstritten. Julia Reinecke beschreibt in ihrer Abhandlung zur Street Art, wie die Begriffsfindung vonstatten ging: Durch ihren Impuls, rief der Leiter der Internetseite Wooster Collective189, die Internetgemeinde dazu auf einen Namen für die neue Bewegung zu finden. Die Vorschläge waren vielseitig: Neben Begriffen wie Post-Graffiti oder Urban Art, tauchten „Urban Aesthetics“, Urban Take Overs“, „Post Structural Urban Symbolism“, „Public Expressionism“, „Urban Painting“, „Alternative Art“, „Poetic Terrorism“, „Asphalt Sketchbooking“, „Urban Expressionism“, „Public/Urban Exhibitionists“, „Socially Communicative Artform“, „Graphic Delinquents“, „Post Art“, „Free Art“, „Neo Graffiti“ oder „Peinture“ auf.190 An der Vielzahl der Vorschläge mit jeweils anderen Konnotationen wird deutlich, dass die Szene eine enorme Bandbreite aufweist und die Akteure abweichende Auffassungen über den inhaltlich-geistigen Kern der Street Art haben. Ein oft bevorzugter Ausdruck ist der der „Urban Art“, denn eine Stadt bietet mehr Flächen und Orte, als die allgemein zugänglichen Straßen. Zudem sind die Akteure meistens selbst Bewohner der Stadt, zu der mehr gehört als die Straßen. Urbanität geht nicht nur von dem aus was auf den Straßen passiert, sondern ist dem sozialen Körper verbunden, das heißt das Geschehen auf den Straßen einer Stadt wird auch von Verhaltensmustern der in ihr lebenden Individuen beeinflusst. Und diese bilden sich auch im Privaten: Zuhause, auf der Arbeit und in Freizeittreffpunkten. Kai Jakob, Autor, Fotograf und Kenner der Szene, gibt im Aufsatz „Kreativer Aufstand einer Zeichenkultur im urbanen Zwischenraum“191 eine Kurzdefinition der Street Art als „allgemein eine für jeden zugängliche künstlerische

187

Gerade die letzte Entwicklung wird von vielen Akteuren der Szene kritisiert, da der institutionelle Ausstellungsraum sowie der Verkauf der Werke an Sammler – oder schlimmer noch an die Werbeindustrie - dem Verkauf der Ideologie Street Art gleichgesetzt wird

188  Vgl. Reinecke, S.13 189  Eine der ersten und führenden Internetseiten, die sich mit Graffiti und Street Art   Themen befasst (hat) 190  Ebd. (Reinecke), S.13 ff. 191  In Geschke: „Die Straße als kultureller Aktionsraum“, ab S.73


2. INTERVENTIONEN IM ÖFFENTLICHEN RAUM 2.3. Kontemparäre Interventionen  |  2.3.1. Urban Art / Street Art  |  2.3.1.2. Pioniere

Ausdrucksform im öffentlichen Raum“.192 Die Hauptmerkmale der Subkultur sieht er darin, dass die Künstler für die breite Öffentlichkeit fast immer anonym seien. Zudem geht es – im Gegensatz zum klassischen GraffitiBombing – vor allem darum eine Botschaft und meistens sogar kritische Statements zu verbreiten.193 „Betrachtet man den urbanen Lebensraum, so fällt auf, dass der angeblich öffentliche Raum bei näherem Betrachten gar keinen öffentlichen Raum mehr darstellen kann, zu sehr dominieren Werbung, Plakate, Hinweise und Verbotsschilder als Einschränkung der eigentlich angenommenen Freiheit des Bürgers in dem für ihn vorgesehenen Raum. In der Realität ist also der öffentliche Raum nur scheinbar frei, tatsächlich ist er durchorganisiert, funktionalistisch und somit oft monoton, gesichtslos, unpersönlich und beliebig austauschbar. Nimmt man also in Bezug zum Begriff ‚Subkultur’ unsere westliche Werte- und Mainstreamkultur, in welcher Kommerzialisierung, Kontrollwahn, Konsum, Kapitalismus und die gewollte Unterwürfigkeit des Bürgers als Konsument gegeben sei, so kann Street Art als Gegenentwurf dazu, als Subkultur funktionieren. Deren erklärte Ziele sind die Infragestellung des öffentlichen Raumes, Konsumkritik und die Neu- bzw. Umgestaltung des eigenen Lebensraumes sowie deren Zurückeroberung. […] Meist sind es junge Gruppen ideologische oder politisch Andersdenkender, die mit großer Unzufriedenheit das System und dessen Merkmale mit Hilfe künstlerischer Mittel kritisieren. […] Es geht um das Aufzeigen von Alternativen und eigenen Lebenskonstrukten, die Schaffung von etwas Neuem, meist mit dem Hintergrund des Bedürfnisses nach einer größeren Freiheit. Und das ohne psychische Gewalt.“194 Zusätzlich kommt Spaß-Aspekt hinzu. Street Art ist nicht nur kritische Bewegung, sondern dient auch Erzeugung positiver Emotionen. Jakob weist darauf hin, dass es sicherlich eine Menge Künstler gibt, die Werke produzieren, die ihnen selbst gefallen, den Betrachter vielleicht auch nur belustigen und erfreuen wollen, ganz ohne medien- und konsumkritischen Hintergrund.195 Im Folgendem werden einige Pioniere der Street Art vorgestellt, die für die aktuelle Szene wesentliche Errungenschaften geleistet haben.

192  Siehe Jakob, S.73 193   Vgl. Ebd. 194  Siehe Ebd, S.86 ff. 195   Vgl. Ebd., S.89

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81 - 84 Arbeiten von Blek Le Rat 85   Shepard Fairy, Obey-Kampagne, Foto von Elizabeth Daniel


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Der Künstler Blek Le Rat, der mit bürgerlichem Namen Xavier Prou heißt, hat das Stencil (dt. „Schablone“) in die Street Art eingeführt und somit eine der wichtigsten und weitverbreiteten Methoden kreiert und vielen darauffolgenden Künstlern den Weg geebnet. Sein Markenzeichen ist die Ratte. „1981 to 1983 the beginning of the stencil graffiti art .I had the idea to use stencils to make graffiti for one reason. I did not want to imitate the American graffiti that I had seen in NYC in 1971 during a journey I had done over there.I wanted to have my own style in the street... I began to spray some small rats in the streets of Paris because rats are the only wild living animals in cities and only rats will survive when the human race will have disappeared and died out.“196 (Blek Le Rat)

Kennzeichnend für den Street Art Künstler ist, dass die Botschaften, die er mit seinen Schablonenbildern sendet didaktischer Natur sind: „I am more interested in showing the world that urban art is more than just art of rebellion, but an artform that speaks about poetry and everyday life and is a reflection of our society.“197 Shepard Fairey ist mit seiner „Obey Giant“-Kampagne berühmt geworden. Das mittlerweile berühmte Motiv, wählte Fairey eher zufällig: Es zeigt den Profiwrestler André René Roussimoff („Andre the Giant“). Das Motiv fand er in einer Zeitung und stellte daraus – eher zu Übungszwecken – seine ersten Schablonenaufkleber her. Er verteilte die Aufkleber vorerst im Freundeskreis, die diese in Skateboardläden, Nachtclubs oder auch auf Verkehrsschilder im öffentlichen Raum klebten.198 Reinecke referiert, der Künstler habe sich zu Beginn seiner Kampagne nie vorstellen können, dass seine Aufkleber außerhalb der Skaterszene von Interesse sein werden. Er begann sein Projekt als Spaß unter Freunden, belauschte eines Tages im Jahre 1989 ein Gespräch fremder Personen, die darüber diskutierten welchen Ursprung und Absender seine Sticker haben. Zu diesem Zeitpunkt wurde Fairey bewusst, dass er einen gewissen Machtanspruch hatte mit wenig Aufwand Themen in die Öffentlichkeit einführen zu können. Darauffolgend wurde er in gewissem Maße abhängig von der Idee sein Motiv noch weiter zu verbreiten, um mehr Aufmerksamkeit zu erzeugen.199 „Faireys Antrieb ist ein gutes Stück Besessenheit und die Neugierde zu sehen, wie stark ein bedeutungsloses Motiv weltweit bekannt gemacht werden kann.“200

196   http://bleklerat.free.fr/stencil%20graffiti.html, am 11.12.2012 197  Siehe Blek in C100 2006, S.54, in: Reinecke: „Street Art. Eine Subkultur zwischen   Kunstund Kommerz.“, S.44 198   Vgl. Reinecke, S.50 nach Fairey in einem Art Prostitude Magazine-Interview auf   www.obeygiant.com, am 22.04.2004 199  Ebd. 200  Siehe Reinecke, S.47

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86 Space Invader Invasion, Berlin 87 Space Invader Invasion, Manchester 88 Banksy, Schablonen- und Tapetengraffiti, Palästina (Gaza Streifen), 2006 89 Banksy, „Sorry the lifestyle you ordered is currently out of stock“ 90 Banksy, „Dream cancelled“ 91 Banksy, „Infected Oil Painting“


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Ein weiterer Meilenstein ist Space Invader, ein Pariser Künstler. Er infiltriert weltweit Städte mit dem Logo aus dem gleichnamigen, bekannten Computerspiel. Als Mosaik legt er diese an verschiedensten Stellen aus, verbreitet sie auf der ganzen Welt, und hat es so geschafft eine Marke zu etablieren. Auf der Homepage spaceinvaders.com kann man alle seine „erfolgreichen Invasionen” - die parasitäre Besetzung von bestimmten Spots - anschauen und seinen Beitrag zur Invasion leisten. Space Invader ist für die Street Art Szene von großer Bedeutung, da er einer der ersten war, der sich vom zweidimensionalen Medium distanzierte und körperliche Gebilde in die Szene einführte. Der wohl bekannteste und meist diskutierte Street Art Künstler Banksy ist durch seine politischen Schablonengraffities berühmt geworden. Der Brite agiert sei 1988 im öffentlichen Raum und sein Werk umfasst nicht nur eine Vielzahl verschiedener Stencils und Writings, sondern ebenso Skulpturen, temporäre Interventionen und Ausstellungen. Für die Kult-Serie „The Simpsons“ entwarf er einen Vorspann und mit „Exit from the giftshop“ veröffentlichte er 2010 einen Film, der etliche Preise gewann und für den Oskar in der Kategorie „Bester Dokumentarfilm“ nominiert wurde. Banksy, der die deutsche Käthe Kollwitz als seine Lieblingskünstlerin nennt,201 ist ein Phänomen innerhalb der Szene. Seine Werke sind weltbekannt und seine Identität immer noch ein Mysterium. Anfang des Jahres 2011 versuchte ein ebay-Anbieter einen Zettel, auf dem Banksys wahrer Name notiert war, zu verkaufen. Die Angebote näherten sich einer Million Dollar, jedoch wurde die Aktion vorzeitig beendet und bis heute wird diskutiert ob nicht der Künstler selbst sich hinter dem Verkäufer verbarg. Banksys Eingriffe in den öffentlichen Raum rufen immer viel Reaktionen, Gesprächsstoff und internationale Schlagzeilen hervor. Er tauschte den Kopf der englischen Queen gegen einen Affenkopf aus, versah die Mauer zwischen Palästina und Israel mit metaphorischen Rissen in eine schönere Welt, platzierte eine symbolisch hingerichtete Telefonzelle in London und transformierte in einer Aktion Rodins Denker zu Banksys „Trinker“. „Banksy spielt das Spiel mit der Selbstinszenierung exzessiv. 2004 stellte er in Londoner Straßen seine Bronzefigur „The Drinker“ ab, die entfernt an Rodins „Denker“ erinnerte, allerdings einen Kunststoffkegel auf dem Kopf hatte. Unbekannte entwendeten die Skulptur, schickten dem „Guardian“ Entführungsfotos. Banksy bot zwei Pfund Lösegeld.“202

201   Vgl. http://www.banksy.co.uk/QA/qaa.html, am 31.01.2012 202  Siehe Klug

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92 Banksy, CD-Manipulationen


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Bei einer Interventionsreihe hängt er heimlich zuvor angefertigte Ölgemälde („Vandalised Oil Paintings“ ) in renommierte Kunstmuseen. In einer anderen 203

Aktion manipulierte er das Debut-Album der Sängerin Paris Hilton, indem er ihren Kopf mit dem eines Hundes überklebte, die CD mit Phrasen wie „Why am I famous?“, „What have I done?“ oder „Where am I from?“ spickte und sie anschließend wieder in die Verkaufsläden schmuggelte. Die Arbeiten des Künstlers sind stets politisch und höchst kritisch. Er bemängelt den Kunstbetrieb, weißt auf politische und soziale Missstände hin, thematisiert verzerrte Schönheitsideale der Medien, rebelliert gegen Überwachungsmechanismen, Konsum- und Markenkultur. Bis heute weiß er wie kein anderer bestehende Mechanismen durcheinanderzubringen und in den öffentlichen Diskurs einzuschließen.

203  Siehe Reinecke, S.60

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93 - 94  Mr Talion, „Berlin Tourism“, Berlin, 2011 95 - 96  Mr Talion, „Warning your life is a failure“, Berlin, 2011 97 - 98 Epoxy, Mr Talion, „Tribute to id Software 1993 (Doom)“, Berlin, 2009 99 - 100 Epoxy, Mr Talion, „Don‘t forget“, Berlin 2009


2. INTERVENTIONEN IM ÖFFENTLICHEN RAUM 2.3. Kontemparäre Interventionen   2.3.1. Urban Art / Street Art  |  2.3.1.3. Aktuelle Beispiele und Trends

2.3.1.3. Aktuelle Beispiele und Trends der Szene Wie bereits am Anfang des Kapitels erwähnt ist die Kultur um die Urban Art von vielen Akteuren und noch mehr Bewunderern besetzt. Tendenz steigend. Es werden an dieser Stelle einige aktuelle Größen der Szene vorgestellt, um die Bandbreite nochmals zu demonstrieren. Der größte Anteil an Straßenkünstlern der Szene tobt sich zwar immer noch mit Murals,204 Stencils und Stickern auf Häuserfassaden und Straßen-Interieur aus, jedoch besteht der Trend zu skulptural-intervenierenden Werken und temporären Performances. Das Augenmerk liegt im folgenden exakt auf diesen Arten von Urban Art Eingriffen. Die in Berlin ansässigen Künstler Epoxy und Mr. Talion zeigen eine breite Palette verschiedener Eingriffe in den öffentlichen Raum. Oft verwenden sie dabei Methoden der Adbuster. Wie zum Beispiel bei den Billboard-Manipulationen „Don’t forget“ oder „Tribute to id Software 1993 (Doom)“, Berlin 2009. In Zusammenarbeit mit den Street Art Akteueren Baveux und Kone beklebten sie diverse Werbebillboards mit zusätzlichen Elementen, um Werbebotschaften zu hinterfragen. Beim „Doom“-Adbusting fügten sie die Status-Leiste aus dem neunziger Jahre Ego-Shooter „The Doom“ den Plakatwänden hinzu, um die Werbecharaktere auf ihrem Wege metaphorisch zu erschießen. Bei „Don’t forget“ erweitern sie die Billboard-Reklamedamen mit Bildern von Werkzeugfenstern aus dem Bildbearbeitungsprogramm Photoshop und karikierten mit der Addition mediale Festschreibungen des Schönheitsideals von Frauen. Erweitert wurde diese Aktion durch Stickeranbringungen in Magazinen. In einer anderen Sticker-Aktion beklebte Mr Talion I-Pads im Elektronikfachmarkt mit der Mittelung „Warning your life is a failure“. Bei „Berlin Tourism“ kritisierte er den Berliner Party-Tourismus, indem er mit gelbem Klebeband, die mit dem Logo des Berliner Tourismus Verbandes gespickt sind, Stellen markiert. Die Markierungen verweisen auf „Vomit Areas“, „Piss Areas“ oder laden auch sarkastisch dazu ein ein angetrunkenes Nickerchen zu halten. Eine weitere Berliner Größe und ein Meister des Wortwitzes und der Ironie ist Bronco. Seine Plakate, die immer den gleichen schlichten Stil aufweisen, sind in der ganzen Innenstadt verteilt und zwingen durch ihre schrägen Aussagen fast jedermann zum lächeln. Ähnlich wie Bronco geht der britische Street Art Nihilist205 Mobstr vor. Er interveniert jedoch nicht mit Plakaten, sondern sein Stil sind gesprühte, knappe, prägnante Aussagen in Blockschrift.

204  Als „Mural“ werden großflächige Wandmalereien bezeichnet 205   Vgl. http://www.rebelart.net/diary/update-mobstr-3/0012241/, am 31.01.2012

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101    Magda Sayek, Umstrickung eines öffentlichen Busses, Mexiko City, 2008 102    Magda Sayek, „Soldier“ 103 - 104  „Seedbombs“ von greenaid 105 - 107  Vanessa Harden, „The Subversive Gardener“, 2009 100 - 109 Eric Cheung, Sean Martindale, „Poster Pocket Plants“, Toronto, 2009


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Erweiterte Formen des Graffiti, die im Straßenraum zunehmen, sind „Guerilla Gardening“ oder „Seed-Bombing“, sowie „Guerilla Knitting“ oder „Yarn Bombing“. Als die Mutter der Strick-Guerilla206 wird Magda Sayek betitelt. In Mexiko City kleidete sie 2008 einen ganzen Bus in ein Stick-Kleidchen, ansonsten bestrickt sie Skulpturen, Parkbänke, Bäume und alles andere auffindbare im öffentlichen Raum. Die Bewegung um die Strick Guerilla wächst, ihre Methode ist das klassische Graffiti-Bombing durch bunte und meist kitschige gestrickte Accessoires auszutauschen. Simpel und doch höchst wirkungsvoll, da diese Interventionen sich von vandalistischen Graffitischmierereien distanzieren und mit einer niedlichen Großmutterromantik konnotiert werden. Die Taktiken der Guerilla-Gärtner funktionieren auf der selben Ebene: das gesprühte Graffiti wird zugunsten Bepflanzungen im öffentlichen Raum ersetzt. Die Akteure der Szene haben dabei eine Vielzahl an Möglichkeiten entwickelt ihre Blumen-, Gras- und Moosbotschaften zu verbreiten. Eine davon sind sogenannte „Seed-Bombs“, diese sind aus einer Mischung von Lehm, Kompost und Samen hergestellt und stellen einen wirksamen Weg dar vergessene, graue und unansehnliche Orte, denen man tagtäglich begegnet, zu „bekämpfen“. Das Designunternehmen „commonstudio“, das ihren Schwerpunkt auf Fragen der Stadtökologie, soziale Unternehmen und adaptive Wiederverwendung gesetzt hat, installiert sogar Automaten in Städten, an denen man die Seed-Bombs erwerben kann.207 Eine speziell für die Guerilla-Gardening-Subkultur angefertigte Apparatur wurde von der Engländerin Vanessa Harden entwickelt. Der „Subversive Gardener“ ermöglicht es Szene-Akteuren unauffällig ihren intervenierenden Praktiken nachzugehen. Inspiriert bei der Konstruktion des Gerätes wurde Harden unter anderem durch Militär- und Spionagegadgets,208 denn obwohl die selbsternannten Straßengärtner einen Beitrag zur Verbesserung des Stadtbildes leisten wollen, sind ihre Verfahrensweisen illegal und können deswegen strafrechtlich verfolgt werden. Unerwartete Grünflächen in urbanen Gegenden zu kreieren ist auch das Anliegen der beiden Künstler Eric Cheung und Sean Martindale.209 Sie bringen Pflanzenkübel an Plakat-und Litfaßsäulen an, indem sie Teile der Plakate wegreißen, sie zu einem Behälter kleben und anschließend bepflanzen – eine interessante Weiterführung von Vostells Décollage. Anhand der idyllischen Gärtner und Stricker, lässt sich der gute Wille für die urbane Umgestaltung, die in der Street Art Szene angestrebt wird, besonders verdeutlichen. Die dekorativen und weichen Interventionen werden in der Öffentlichkeit mit Wohlwollen akzeptiert und nachgeahmt. Zeitgleich wirft

206   Vgl. http://www.magdasayeg.com/about.html, am 31.01.2012 207   Vgl. http://greenaid.co/pages/What‘s-a-Seedbomb%3F.html, am 31.01.2012 208   Vgl. Klanten, Hübner (Hrsg.): „Urban Interventions“, S.255 209   Vgl Ebd., S.257

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Florian Rivière, „Guerilla Urbaine“, Straßburg, 2011 Florian Rivière, „Don‘t pay. Play!“, Straßburg, 2011 WAV, „20357“, Karolienenplatz, Hamburg WAV, „Touristosaurus“, Hafencity, Hamburg


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deren mädchenhafte Bildhaftigkeit die Frage auf, ob Rebellion leise vonstatten gehen kann, wenn sie als solche nicht wahrgenommen wird, da sie in einem Sumpf zierlicher Metaphorik zu versinken droht. Als derbe Gegenposition dieses Arbeitsansatzes lassen sich Florian Rivières Arbeiten im öffentlichen Raum anführen, die schon fast als terroristische Geste gedeutet werden können. In seiner Serie „Guerilla urbaine“ regelrechte Fallen im städtischen Terrain auf: er spannte ein dünnes Seil vor einen Haufen Glasscherben, durchbohrte eine Sitzbank mit rostigen Nägeln, tauschte einen Gullideckel durch einen schwarzen, runden Teppich aus und stellte „Gläubigerfallen“ vor Kirchen auf. Scharen von Tauben lockte er mit Brotkrümeln in Öfen und brachte auf schwarzen Brettern von Supermarktketten Anleitungen zum Ladendiebstahl an. „For crimes against urbanism and the city“ verkündet der Straßburger auf seinem Facebook-Profil, doch die Radikalität seiner Aktionen (von denen nicht immer klar wird, ob sie nach dem Fotografieren der erzeugten Situation wieder abgebaut werden) ist umstritten. Eines ist jedoch klar: sie erzeugen Diskussionen um die Stadt und ihre Funktionen, sowie der Blindheit für unseren Lebensraum. In einer weiteren Intervention „Don‘t pay. Play!“ funktioniert Rivière Parkplätze zu Sportplätzen um. Das Hamburger Künstlerkollektiv WAV („We are visual“), das sich aus den Hamburgern Brent Dahl, Felix Jung und Marc Einsiedel zusammensetzt., agiert ähnlich. Sie suchen Orte im öffentlichen Raum und bauen diese kurzerhand um. In der Aktion „20357“ (Karolienenplatz Hamburg) wird ein öffentliches Kunstwerk temporär zu einem Skatepark umfunktioniert, bei „Touristosaurus“ (Hafencity, Hamburg) verwandeln sie einen Aussichtsturm in einen Feuer-speienden Dinosaurier. Der öffentliche Raum stellt für ihre Interventionen nicht nur die Plattform ihres Handelns dar, sondern gibt ihnen die erforderlichen Ressourcen zur Umsetzung ihrer Aktionen. WAV erhofft sich unerwartete Reaktionen der Nutzer des Raumes in dem sie intervenieren, um Denkprozesse anzuregen und Infrage zu stellen, warum bestehende Modelle der Raumnutzung ohne Reflexion arglos akzeptiert werden.210 Ob politische Schablonen, subversive Plakatmanipulationen, dekorative Blumen- und Strickarrangements, Stolperfallen oder Feuer-spuckende Türme, die Methoden, mit denen in den öffentlichen Raum eingegriffen wird, unterscheiden sich enorm, jedoch haben sie alle einen Effekt: sie erzeugen Aufmerksamkeit. Egal ob ihre Interventionen leise und lieblich, laut und aggressiv oder schrill und spaßig vonstatten gehen, durch ihre Einschreibung in der öffentlichen Sphäre sind sie präsent. Dies schaffen sie vor allem durch Irritationen, die die Aktivierung unserer Reize bezweckt,

210   Vgl. http://wearevisual.org/

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indem sie gewohnte Wahrnehmungsmuster durchbrechen. Der öffentliche Raum dient dabei als Träger einer Botschaft. Die Botschaften, die sie senden befassen sich mit Fragen politischer, sozialer und gesellschaftlicher Relevanz, nicht bloße Selbstverwirklichung in künstlerischer Arroganz gegründet oder das Austoben vandalistischer Triebe und pubertärer Rebellion ist das Ziel, sondern die Offenlegung von Kritik und die Umgestaltung des gemeinsamen Lebensraumes. Die kritische Auseinandersetzung mit dem öffentlichen Lebensraum – sowohl dem virtuellen, als auch dem städtischen – ist den Akteuren der urbanen Kunst gemein, sowie der daraus resultierende Wunsch neue (urbane und mediale) Territorien zu erkunden und neu zu definieren. Der Autor Lukas Feireiss beschreibt in seiner Einleitung zu „Urban Interventions“ das Streben der Aktivisten oder Künstler als eine Umgestaltung der gebauten Umgebung zum allgemeinen Wohle. Die vorgegebenen Strukturen werden von den InternetNutzern oder Bewohnern infrage gestellt – nicht komplette Ablehnung oder Akzeptanz findet statt, sondern die bereits vorhanden Umgebungselemente werden neu definiert. Gewöhnliche Nutzer einer Community oder Einwohner einer Stadt adaptieren zivile, räumliche und virtuelle Regeln und Strukturen zu ihrem Nutzen und fordern diese heraus.211 Oft politisch angehaucht, meist mit Witz und Charme umgesetzt, schaffen diese Eingriffe Irritationen für den Betrachter im öffentlichen Raum, die dazu appelieren über das Gesehene nachzudenken die Botschaft der Intervention zu reflektieren. Der meist anonyme Aktivist verfolgt mit der Intervention keine eigennützigen Absichten, die kommunikative Botschaft ist das Ziel. Meist sind es Eingriffe in den öffentlichen Raum, die sich auf Medienkritik, Konsumkritik oder politische Interessen beziehen. Der öffentliche Raum, mit all seinen Möglichkeiten, wird dabei als Medium, als Träger einer Nachricht benutzt.

211   vgl. Feireiss in „Urban Interventions“, S.4


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2.3.2. Gesellschaftskritik als kreativer Interventionismus Viele künstlerische Interventionen können nicht explizit und ausschließlich der Urban Art zugeordnet werden, nur weil diese im städtischen Raum stattfinden. Einige der vorgestellten Künstler würden sich vermutlich sogar gegen diese Klassifizierung wehren, andere wiederum würden sich nicht einmal dem Feld der Kunst zugehörig fühlen. Um es mit den Worten Robert Klantens, einem Mitbegründer und Kreativkopf des Verlages „die gestalten“, zu sagen: „There is no such thing as urban art or street art – only art itself. And Art is generally defined by what is shown in museums.“212 Viele Interventionisten versuchen aus dem Schemata des üblich gewordenen „Kunst-Zirkus“213 zu flüchten und die globale Community ermöglicht den Ausbruch durch technische Möglichkeiten und Kommunikationstechnologien.214 Die öffentlichen Interventionen beziehen sich alle sinnbildlich auf eine thematische Verschiebung in der zeitgenössischen Kunstwelt: auf der einen Seite auf den Raum im Allgemeinen bezogen, auf der anderen Seite auf performative Herangehensweisen, die ein poetisches (wenn auch exzentrischen) Verstehen und Auffassen von Theatralischem im urbanen und öffentlichen Raum mit sich bringen. Die Aufmerksamkeit geht von dem konventionellen Showroom oder dem „white cube“ weg zu einem komplexen, kontextuellen Netzwerk von Effekten und Aktionen, die die gebaute Umgebung einnehmen. Oftmals sind nicht die Kunstwerke oder die Performances im Vordergrund, sondern die Antwort oder das Aufnehmen vonseiten des Publikums, der Öffentlichkeit.215 Als erwünschter Empfänger, der durch die Intervention gesendeten Botschaft, spielt die Öffentlichkeit eine wesentliche Rolle und diese ist im öffentlichen Terrain offensichtlich am leichtesten zu erreichen. Das Versenden von gesellschaftskritischen Botschaften impliziert den Wunsch auf Reaktion und Antwort. In „Art and Agenda. Political Art and Activism.“216 werden diverse aktuelle Beispiele künstlerischer Praxis vorgestellt, die sich zwischen Kunst, Aktivismus und Politik bewegen. Alain Bieber referiert in einem Artikel des Buches über diese Form des kreativen, politischen Aktivismus. Politische Kunst sei kultureller Widerstand, ein Kampf gegen kulturelle Hegemonie und ein leidenschaftlicher Aufschrei. Sie habe nichts mit Konsens und Akzeptanz zu tun.217 Es gäbe viele verschiedene Strategien und verschiedene Motivationen innerhalb dieser und die Kunstwerke wiesen verschiedene Beeinflussungen

212  Siehe Klanten in Einleitung zu „Beyond the Street“, Robert Klanten „In Limbo“, S.5 213  Ebd. 214   Vgl. Einleitung zu „Beyond the Street“, Robert Klanten „In Limbo“, S.5 215   Vgl. Feireiss: „Living in the City. The Urban Space as creative challenge.“,    in „Urban Interventions“, S.? 216   erschienen im gestalten-Verlag, 2010, Hrsg.: Klanten, Hübner, Bieber, Alonzo, Jansen 217   Vgl. Bieber, in: „I revolt, therefore I am“, in „Art & Agenda“, S.51

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Voina-Group, „Cock in the Ass“, Punkperformance während einer Anhörung, 2009 Voina-Group, Festmahl in Moskauer Metro, 2007 Voina-Group, „No one gives a fuck about Pestell“, Moskau, 2008 Voina-Group, „Dick captured by KGB“, St. Petersburg, 2010


2. INTERVENTIONEN IM ÖFFENTLICHEN RAUM 2.3. Kontemparäre Interventionen   2.3.2. Gesellschaftskritik als kreativer Interventionismus

auf:

liberale,

anarchistische,

kommunistische und humanitäre.

autonome, 218

ökologische,

feministische,

Die neuen Kunstwerke bedienen sich

zudem: Menschenrechtsbewegungen, Subkultur und Popkultur, Hippies, Rocker, Punk, Graffiti und Skate-Szene und dem gesamten „gegenkulturellen“ Repertoire wie Culute Jamming oder Guerillakommunikation. In diesem Kontext seien die Grenzen zwischen politischer und künstlerischer Revolte flüssig.219 Als Beispiele solcher Praxis benennt er unter anderem die Gruppe Wochenklausur (siehe Kap. 2.2.6.), die Kunst in offenen Wunden des sozialen Körpers schafft.220 Nach Bieber führte die Entpolitisierung und Fragmentierung der Gesellschaft zu einer Politisierung der künstlerischen Praxis. Kritische Interventionen und investigative Kunst wurde zu einem Qualitäts-Maßstab für junge Künstler. Die Linie zwischen radikalem linken Terrorismus und unkomfortabler intervenierender Kunst sei hauchdünn.221 Am Beispiel der russischen Künstlergruppe Voina lässt sich das adäquat veranschaulichen. Allein schon ihr Name birgt Extreme: „Voina“, aus dem Russischen übersetzt, bedeutet Krieg. „The Voina activists are romantic heroes of a new epoch, they are new Robin Hoods, who defeat the evil powers. We want a world revolution, carried out by artistic means and without any victim.“222 (Alexei Plutser-Sarno von Voina)

Voina, deren Kern sich aus Oleg Vorotnikov, Natalia Sokol, Alexsei Putser-Sarno und Leonid Nikolayev zusammensetzt, operiert aggressiv und entschieden, jedoch mit einem Sinn für das Absurde. Ihre Attacken sind vor allem gegen die russische Politik und Gesellschaft gerichtet.223 Im August 2007 veranstalteten sie in der Moskauer Metro ein Festmahl zu Ehren des Künstlers und Aktivisten Dmitri Prigov, 2008 inszenierten sie die Hängung von Migranten und Homosexuellen in einem Supermarkt und im Mai des nächsten Jahres arrangierten sie ein überraschendes Punkkonzert während einer Gerichtsanhörung des russischen Kurators Andrei Yerofeyev. Als Antwort auf eine Wahlkampagne des russischen Präsidenten Medwedew, die für mehr Nachwuchs warb, versammelten sich die Mitglieder zu einer Gruppenorgie im staatlichen Biologie-Museum Timiryazev, Moskau. Einer ihrer bekanntesten Aktionen fand direkt vor dem FSB-Geheimdienstgebäude in Sankt Petersburg statt: Sie malten in einer spektakulären Aktion einen riesigen Phallus auf eine Zugbrücke, der beim Öffnen direkt auf das Gebäude zeigt. Stets vor den Gesetzeshütern in Acht,

218   Vgl. Bieber, in: „I revolt, therefore I am“, in „Art & Agenda“, S.51 219  Ebd. 220  Ebd. 221  Ebd. 222  Siehe Klanten, Hübner (Hrsg.): „Art and Agenda“, S.146 223   Vgl. Ebd.

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wurden schließlich zwei Mitglieder des Kollektivs festgenommen, nachdem sie etliche Polizeiwägen vor dem russischen Museum in Sankt Petersburg auf den Kopf gestellt hatten.224 „Art should be honest, noble an unselfish. And I think that an honest artist can‘t paint pussy cats, fishes, and pots with flowers when it‘s Holocaust at its height. He can‘t be silent about the horrible crimes that are committed around him.“225

So begründet Alexei Plutser-Sarno die offensive Vorgehensweise der Kunstaktivitäten der Voina-Group. Wegen ihrer Radikalität ist die Gruppe zwar stark umstritten, jedoch haben sie ebenso eine Vielzahl an Sympathisanten. Nicht ohne Grund sind sie Ko-Kuratoren der Berlin Biennale, 2012. Denn zeitgenössische politische Künstler reflektieren nicht nur bloß das gegenwärtige Zeitalter, sie konzipieren die Zukunft.226 Weil diejenigen, die die Machtverhältnisse bemängeln reelle Chancen kreieren und immer noch soziale Utopien ersinnen – und Utopien waren immer ein Markenzeichen von Avantgarde Kunst.227 Die Grenzen zwischen Kunst, Politik, Protest, Rebellion und Kriminalität festlegen zu wollen, wäre an dieser Stelle anmaßend. Im Kontext der Interaktion von künstlerischer zur politischen Praxis, ließe sich jedoch abschließend DadaIkone Tristian Tzara zitieren: „Der neue Künstler protestiert: Er malt nichts mehr.“ (1918)

224   Vgl. „Art and Agenda“, S.146 ff. 225  Siehe „Art and Agenda“, S.146 226   Vgl. Bieber: „I revolt, therefore I am“, in „Art & Agenda“, S.54 227  Ebd.



Parasiten, Hacker und Guerilla.



Die Rollenmodelle


3. Parasiten, Hacker und Guerilla

3. Parasiten, Hacker und Guerilla: Die Rollenmodelle Das breite Spektrum an Methoden, Austragungsorten, Herangehensweisen und Motivationen um die kontemporären Interventionen im öffentlichen Raum, macht es nicht einfach einen Überblick und weiter ein Verständnis für das Phänomen aufzubauen. Jedoch tauchen, wie anfänglich in der Einleitung der Thesis erwähnt, in der Debatte um diese verstärkt drei Begriffsgruppen auf: 1. Parasitäre Strategien, 2. Hacktivismus und Cultural Hacking, 3. (Kommunikations-, oder Stadt-) Guerilla. In vielen theoretischen Auseinandersetzungen, sowie Ausstellungskonzepten, finden diese Begrifflichkeiten Erwähnung: Das Kunstforum widmet den Parasitären Strategien einen ganzen Band. Sabine Fabo erläutert in diesem das Prinzip der parasitären Strategien,228 und spricht den Erfolg der „Piraten, Hacker und Guerilla“229 an. Ein Autor des art magazins, Alain Bieber, betitelt einen Essay über Subversion als „Vorsicht: Parasiten!“.230 Thomas Düllo und Franz Liebl geben einen kompletten Band zum „Cultural Hacking“ heraus, in dem sie das kulturelle Hacken als die Möglichkeit kulturelle und künstlerische Innovationen zu schaffen beschreiben. Wolfgang Ullrich referiert in diesem „Wie aus Künstlern ‚Cultural Hacker’ werden“.231 Guerillastrategien werden im Guerillamarketing populär, Alain Bieber spricht im Zusammenhang mit Street Art Skulpturen von der „Neue[n] Stadtguerilla“232 und die autonome a.f.r.i.k.a. Gruppe, Luther Blisett und Sonja Brüzels publizieren das „Handbuch der Kommunikationsguerilla.“ Das

wiederholte

Auftauchen

dieser

drei

Rollenmodelle

im

Kontext

intervenierender Kunstpraxis im öffentlichen Raum, wirft die Frage auf, was sie kennzeichnet und was ihnen inne liegt, dass sie sich für eine Charakterisierung von Interventionen eignen. Aus der Feststellung der begrifflichen Anhäufung, sowie diesen Fragestellungen entstand folgende These: Anhand der drei Rollenmodelle lässt sich das Phänomen um die zeitgenössischen Interventionen im öffentlichen Raum erläutern. Deren Charakteristika und Taktiken spiegeln sich in vielen Werken und Projekten wieder. Die Rollenmodelle stellen sozusagen ein mögliches Werkzeug der Annäherung an das Thema dar. Aufgrunddessen werden in diesem Kapitel klassische, als auch aktuelle Definitionen von Parasiten, Hackern und Guerilla herangezogen und ferner in Anbetracht diverser Werke um das weite Feld der kontemporären Interventionen im

228   Fabo: „Parasitäre Strategien“ in Kunstforum Band 185, S.51 229  Ebd., S.52 ff. 230   Vgl. Bieber: „Vorsicht: Parasiten!“, in art 24/07/2009 231   Vgl.Ullrich, „Ohne Hände und auf kurzem Weg: Wie aus Künstlern ‚Cultural Hacker‘   wurden“, in: Liebl, Düllo „Cultural Hacking“, S.333 ff. 232  Biber: „Die neue Stadtguerilla“, in art 12/12/2008

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öffentlichen Raum aktualisiert und verfeinert. Es sollen bestimmte Taktiken herausgearbeitet werden, die den Projekten inne liegen, um ein Verständnis aufzubauen und die Beweggründe der Interventionisten zu veranschaulichen. Vorangehend ist zu erwähnen, dass die Rollenmodelle nicht trennscharf abzugrenzen sind. Sie ergänzen sich gegenseitig und weisen etliche Gemeinsamkeiten auf. Auch ließen sie sich durch andere Rollenmodelle erweitern. Die Wahl auf speziell diese drei ist gefallen, da diese Begriffe am häufigsten im Kunstdiskurs um die Interventionen auftauchen. Für die Taktiken, die aus den Modellen herausgearbeitet wurden, gilt das gleiche wie für die Rollenmodelle selbst: Sie überschneiden sich in ihren Nuancen projektabhängig. Die einzelnen Interventionen zeichnen sich sozusagen als Hybride der einzelnen Taktiken aus. In den folgenden drei Kapiteln werden die Modelle der Parasiten, Hacker und Guerilla im Bezug zu künstlerischintervenierender Praxis vorgestellt. Anhand von Fachliteratur und Fallbeispielen werden Taktiken herauskristallisiert, wiederholt verglichen und anschließend zusammenfassend betrachtet. Das Herausfiltern der Taktiken soll zu einem vertieften Verständnis über die Interventionen im öffentlichen Raum führen. Die Analyse von Produktionsmethoden liefert die Basis übergeordnete Funktionsmechanismen zu begreifen und so zu vertiefter Erkenntnis des Gesamtphänomens zu gelangen.



Der Parasit


3. Parasiten, Hacker und Guerilla 3.1. Der Parasit

3.1. Der Parasit Der biologische Parasit ist ein Schmarotzer, er lebt auf die Kosten anderer. Abhängig von seinem Wirt233, entnimmt er Nahrung oder Energie aus dessen Organismus, um selbst zu überleben. Richard Lucius und Brigitte Loos-Frank schreiben im Vorwort zu „Biologie von Parasiten“: „Während alle anderen Tiere ihre Nahrung selbst beschaffen, lassen Parasiten sich von ihren Wirten versorgen. Die Vorteile, die sie dadurch erlangen sind so bedeutend, dass sie sich in extremer Weise an diese Lebensform angepasst und bizarre Eigenschaften entwickelt haben, um ihre Wirte zu erreichen, in ihnen zu überleben und Nachwuchs zu produzieren.“234

In der griechischen Antike war der Parasit ein fest verankertes Rollenmodell im Lustspiel. Friedrich Schiller widmete dem Parasiten ein ganzes Theaterstück und schon der französische Philosoph Michel Serres untersuchte ihn als Vorbild eines Kommunikationsmodells, eine Ausgabe des Kunstforums widmet sich ausschließlich den „parasitären Strategien“ und aktuelle Ausstellungen wie etwa „Parasites. Illegal Exhibitions“ verankern den Begriff im Bezug auf eine bestimmte Art des künstlerischen Schaffens. In diesem Kapitel soll untersucht werden, warum sich Taktiken des (biologischen) Parasiten auf den Bereich künstlerischer Intervention anwenden lassen. Das Rollenmodell des Parasiten beruht in der hiesigen Analyse hauptsächlich auf dem Kunstforum Band der „Parasitären Strategien.“ In diesem werden parasitäre Strategien der Aneignung anhand verschiedener künstlerischer, sowie architektonischer und werbe-basierter Projekte beschrieben. Sabine Fabo, die Herausgeberin der Ausgabe, lehnt ihre Begründungen an Michel Serres Kommunikationsmodell des Parasiten an, zitiert jedoch auch die Virustheorie von Baudrilliard, und erweitert diese. Wie Fabo in „Parasitäre Strategien“ erläutert, werden Modelle künstlerischer Neuschöpfung rar und es findet eine Neuverdichtung künstlerischer und kultureller Produktion statt, deswegen setzen „Parasitäre Strategien [...] als ein möglicher Beschreibungsversuch kultureller Produktion an diesem Ausgangspunkt an und bezeichnen kommunikative Arbeitsansätze, die innerhalb des bestehenden Systems agieren und es zur Basis weiterer Interventionen machen.“235 Aus den Untersuchungen und der Auseinandersetzung mit Beispielen interventionistischer Projekte sind folgende Taktiken des Parasiten hervorgegangen: 1. Schmarotzen und Ausnutzen, 2. Erweitern, 3. Imitieren.

233  Als Wirt bezeichnet man den Organismus von dem der Parasit profitiert 234  Siehe Lucius, Loos-Frank, Vorwort 235  Siehe Fabo, in Kunstforum Bd. 185, S.46

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120 - 121  Michael Rakowitz, „paraSite“, Boston, Cambridge und New York 122 - 125  Joshua Allen Harris, „Airbear (Mother and Cub)“, New York, 2008


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3.1.1.1. Schmarotzen, Ausnutzen Der Parasit heftet sich an eine Wirtstruktur an, oder nistet sich in dieser sogar ein. Er überlebt, indem er diese ausnutzt und ist somit simultan abhängig von ihr. Die Abhängigkeit ist ein wichtiger Punkt, da diese die parasitäre Intervention immer an den Wirten bindet. Sie kann nicht für sich selbst stehen. Nicht die Eigenschaften des Parasiten, sondern die Beziehung zwischen Wirt und Parasit ist das Wesentliche. Folglich ist in der Analyse künstlerischparasitärer Strategien der Wirt gleichberechtigter Anschauungspunkt und es Bedarf einer Klärung, was im Terrain intervenierender Praktiken als Wirt verstanden werden kann. Um dies zu veranschaulichen werden im Folgenden verschiedene Beispiele herangezogen. Der Künstler Michael Rakowitz entwarf für sein Projekt „paraSite“ aufblasbare Zelte für Obdachlose. Diese wurden speziell angefertigt und an über dreisig Obdachlose in Boston, Cambridge und New York verteilt. Die ParasitenZelte sind so konzipiert, dass sie an Heiz-, Lüftungs-, oder Klimaanlagen von Wohnhäusern installiert werden können und die warme Luft, die das Gebäude verlässt, das Zelt aufbläßt sowie die doppelte Membranstruktur der Zeltwände heizt. Rakowitz erläutert: „Mein Projekt bezieht sich nicht auf statische Handbücher. Und ebenso wenig sollte dieser Eingriff mit den verschiedenen städtischen Versuchen in Verbindung gebracht werden, das Thema der Obdachlosigkeit zu lösen. Dieses Projekt wurde von meiner Interaktion als Bürger und Künstler mit denjenigen geprägt, die auf der Straße leben.“236 Der Künstler beschreibt weiter wie diese eine Spekulation über die Zukunft der Stadt auslösten.237 Die parasitäre Beziehung ist unübersehbar: Die ParasitenZelte nutzen die Luftzufuhr der Häuser aus, um ihre Aufgabe als Wohnzelte zu erfüllen. Etwas spielerischer ging der junge Künstler Joshua Allen Harris vor. Auch er nutzte Luftschächte, um seine Installationen zum Leben zu erwecken. Für seine Arbeiten befestigte er verschiedene Tiere oder Monster, die aus Plastiktüten gefertigt waren, an Lüftungsgittern der New Yorker Subway. Die Luft ließ die Tiere aufleben und lenkte die Aufmerksamkeit der Passanten auf die ungewöhnlich anmutenden Geschöpfe. In einem Interview mit dem New York Magazine erklärte Harris, das Interessante an den Installationen sei, dass sie erst wie Müll auf den Straßen wirken und dann durch die Windstöße plötzlich belebt werden. Für ihn hat das etwas magisches und zudem entscheidet – wie er sagt – die Stadt wann und auf welche Weise die aufblasbaren Skulpturen auferstehen und wie sie bewegt werden.238

236 Siehe Rakowitz: „Umgehungen“, in: Kunstforum, Band 185, Juni 2007, S.135 237  Vgl. Ebd. 238   Vgl. Interview des New York Magazine mit Joshua Allen Harris:   http://www.youtube.com/watch?v=PH6xCT2aTSo

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128- 129 Etienne Boulanger, „Plug-in Berlin“, Shelter # 10, Alexanderplatz, Berlin, 2001 - 03 130 - 131 Encastrable (Antoine Lejolivet und Paul Sauviron), „Parasites # 1“, Hamburg, 2009 132 - 133 Paul Souviron, „Modern Times“, Paris


3. Parasiten, Hacker und Guerilla 3.1. Der Parasit   |  3.1.1. Taktiken   |  3.1.1.1. Schmarotzen, Ausnutzen

Sowohl bei Rakowitz, als auch bei Harris agieren die Luftschächte als Wirt. Sie versorgen die Installationen mit „Lebensluft“. Während bei Harris Installationen jedoch eher ein verspielt-kreativer Zugang zum Thema Stadt entsteht, ist es bei Rakowitz ein kritischer. Rakowitz selbst erläutert: „Es ist kein Vorschlag für günstige Wohnmöglichkeiten. Sein Ausgangspunkt ist die Präsentation einer symbolischen Überlebensstrategie für Obdachlose in der Stadt, eine Strategie, die die problematische Beziehung zwischen denjenigen, die ein Zuhause haben, und denjenigen, die kein Zuhause haben, unterstreicht.“239 Mit einer ähnlichen Thematik wie Rakowitz beschäftigt sich der Künstler Etienne Boulanger. Er sucht versteckte Nischen in der Stadt und nutzt diese anschließend als Wohn- und Aufenthaltsorte aus. Bei seinem Projekt „Plug-in Berlin“ designte er Mikrokonstruktionen aus verschiedenen Materialien, die sich den architektonischen Eigenschaften der Verstecke anpassten. So bewohnte er die recycelten Plätze – wie etwa ein ungenutzten Werbeschaukasten in der U-Bahn-Station Alexanderplatz, Berlin – für zwei Jahre. Und er rief andere dazu auf dies ihm gleich zu tun und so von diesen „ökologischen ÜberlebensArchitekturen“240 zu profitieren. Der Wirt ist hier die Stadt selbst, die Boulanger die Möglichkeit gibt sich in ihren Schlupfwinkeln einzunisten. Eine andere Art des Einnistens und Ausnutzens stellt das Projekt „Parasites # 1“ dar. (siehe Kap. 2.2.3.) Die erste dieser Ausstellungen fand nach dem Konzept der beiden Künstler Antoine Lejolivet und Paul Souviron – dem Künstlerduo Encastrable – statt. Die Künstler infiltrierten einen Baumarkt und bedienten sich der dort vorhandenen Materialien, um temporäre Skulpturen zu bauen. Das Schmarotzertum ist hier eindeutig: ohne Erlaubnis wurden die geordneten Baumarktmaterialien für den Eigenzweck umfunktioniert, Chaos in den regulären Tagesablauf gebracht, um Skulpturen außerhalb des üblichen Kontextes zu kreieren. Ein weiteres Beispiel des Ausnutzens ist Paul Souvirons Installation „Modern Times - die Litfaßsäule als Drehspieß“: Mit dem selbstgebauten Mechanismus „Modern Times“ heftete sich der Künstler an eine rotierende Werbesäule im öffentlichen Raum und benutzte diese als Antriebsquelle für seinen Hähnchen-Drehspieß. Er schaffte einen Treffpunkt und lud Passanten zu einem ungewöhnlichen Grillerlebnis ein. Das Werk beabsichtigte - durch die mehr absurde als angemessene Vorrichtung - unansehnliche Objekte im öffentlichen Raum zu instrumentalisieren, und so einen praktischen Nutzen aus diesen zu ziehen.

239  Siehe Rakowitz: „Umgehungen“, in: Kunstforum, Band 185, Juni 2007, S.135 240   Vgl. Klanten, Hübner, in „Urban Interventions“, S.163

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134 Kamila Szejnoch, „Swing“, Warschau, 2008 135  Vladimir Turner, Vojtech Fröhlich, Ondrej Mladý und Jan Šimánek, „Kolotoc   (Merry Go Round)“, Prag 2011


3. Parasiten, Hacker und Guerilla 3.1. Der Parasit   |  3.1.1. Taktiken   |  3.1.1.2. Erweitern

Umrissen beruft sich die Taktik des Ausnutzens auf das Anheften an schon vorhandene Strukturen. Strukturen können dabei Objekte, Orte und Räume, Medien oder auch Ideen sein. Durch das Einnisten in oder an diesen wird das Vorhandene um neue Kognitionen ergänzt und es werden alternative Inhalte auferlegt. Ursprüngliche Botschaften oder Funktionen des Wirtes erfahren eine Verschiebung. Dies führt zur nächsten parasitären Taktik des Erweiterns.

3.1.1.2. Erweitern Der Parasit erweitert bestimmte Funktionen des Wirtes, indem er sich an ihn anheftet oder sich eben in diesem einnistet. Das ist unweigerlich mit dem Schmarotzen und Ausnutzen verbunden und wird automatisch zur Konsequenz der Taktik. Indem sich die Künstler der „Parasites # 1“ im Baumarkt skulptural betätigten, erweiterten sie den Baumarkt temporär zu einem Ausstellungsraum. Boulanger erweiterte mit seiner Intervention einen Werbeschaukasten zu einen Wohnraum und Souviron die Funktion einer Litfaßsäule zu einem HähnchenDrehspieß. Bei der „Swing“-Intervention (Memorial to the Berlin Army Soldiers, Warschau, 2008) der Künstlerin Kamila Szejnoch wird durch das simple Hinzufügen einer Schaukel an ein altes Kriegsdenkmal, der Sinngehalt dieses hinterfragt und erweitert. Das Schaukel Projekt zielt auf einen spielerischen Dialog mit den kommunistischen Propaganda Denkmälern, indem es durch das Hinzufügen eines zeitgenössischen Elementes sie ihrer eigentlichen Funktion enthebt. Obwohl solche Arten von Gedenkstätten in der kunst- und kulturhistorischen Auseinandersetzung zerrissen wurden, sind sie immer noch sichtbar im öffentlichen Stadtbild. Die Künstlerin versucht die Beziehungen zwischen individuellen und geschichtlichen Mechanismen durch die Addition sichtbar zu machen.241 Ein sehr ähnliches Projekt – jedoch ein eher ulkiges als kritisierendes - ist „Kolotoc“ („Merry-Go-Round“) der Künstler Vladimir Turner, Vojtech Fröhlich, Ondrej Mladý und Jan Šimánek. Durch das Anketten der Protagonisten an die rotierende Werbebillboardinstallation wird diese kurzerhand zum Kettenkarussell umfunktioniert und so nicht nur um die angeketteten Künstler, sondern auch um eine Funktion ergänzt. Der amerikanische Street-Art-Künstler Posterchild servierte in seiner Arbeit „Coke n‘ fries“ (Toronto 2008) zwei Löwenskulpturen, die königlich vor der Eingangstür einer Bank thronen, ein McDonalds Menü. Die Anhängsel sind im selben bronzenen Stil der monumentalen Statuen gehalten und man entdeckte

241   Vgl. Klanten, Hübner (Hrsg.), S.180

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136 - 137 Posterchild, „Coke‘n fries“, Toronto, 2008 138    Posterchild, „Andross“, New York, 2009


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sie erst bei genauerem Hinsehen. Durch die Erweiterung der Statue mit diesem Fortsatz gibt er den Statuen und damit der Bank – und dem was diese repräsentiert – neue Konnotationen. Bei der Installation „Andross“ (New York 2009) platzierte Posterchild auf einen Monitor, auf dem Werbefilme liefen, ein mit feinen Schnitten versehenes Papiergesicht. Die Werbung wurde verdeckt, das Gesicht jedoch erleuchtet – es entstand ein simpler und eindrucksvoller Effekt und eine interessante künstlerische Intervention. In einem Videoclip sagt er dazu: „I‘d rather see not ads, I‘d rather see this artwork here. One of the effects of advertising everywhere in the city is that you walk through the streets not looking at all these adverts. But if you looked everywhere you would be overwhelmed. I‘d like to reward people who still have their eye open for something out of the ordinary.“242

Durch das simple Erweitern von Elementen an schon Vorhandenem schafft diese parasitäre Taktik neue Wahrnehmungsmuster. Die Erweiterung findet nicht nur auf physischer Ebene statt, sondern der ursprüngliche Sinngehalt eines Objektes wird verschoben, ergänzt oder sogar umgekehrt. Die Erweiterung vollzieht sich folglich auf zwei Ebenen: Zum einen durch das Hinzufügen von Elementen auf einer materiell-physischen, zum anderen tritt eine ideelle Erweiterung ein.

3.1.1.3. Imitieren Als parasitäre Strategie kann auch die der Imitation aufgelistet werden. Biologische Parasiten mimen manchmal bestimmte Körperteile oder Funktionen ihrer Wirte. Sie inszenieren sich sozusagen als Teil des Wirtsorganismus. Die Imitation – oder auch Nachahmung – ist auf dem Feld der künstlerischen Interventionen meistens mit der Untertaktik der Tarnung oder Camouflage verbunden. Tarnung hat immer mit Verkleidung und das Schlüpfen in andere Rollen zu tun. Durch die Verkleidung wird der Versuch unternommen Kommunikationsbarrieren zu durchbrechen „und dann Menschen mit einem Klartext oder Handeln zu konfrontieren, dem sie sich sonst von vorneherein entziehen würden.“243 Das Imitieren überlagert sich oft mit den vorhergegangenen Strategien des Ausnutzens und des Erweiterns. Bei Posterchilds „coke’n’fries“ täuschen die angebrachten Fortsätze die gleiche Materialität ihres Wirtes – der Löwenstatuen – vor. Das Künstlerkollektiv Trustocorp arbeitet intensiv mit der

242  Siehe http://www.bladediary.com/kskill-presents/ 243  Siehe autonome a.f.r.i.k.a. Gruppe, Luther Blisset, Sonja Brünzels, S.63

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139 - 141 Trustocorp, Auswahl an Fake-Verkehrsschildern, New York, San Diego, Miami 142 - 143 Trustocorp, Fake-Zeitschriften, „God help us“, „We‘re not ok“ und     „Shallow People“, New York, Los Angeles 144 - 147 Urban Camouflage, 2008 - 2009


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Imitation. Für eine ihrer Interventionen entwarfen sie die kritisch-ironischen Zeitschriften „God help us“, „We’re not ok“ und „Shallow People“ und schleusten sie in Zeitschriftenregale diverser Läden in New York und Los Angeles ein. Bei einer anderen Aktion verteilten sie über 300 Verkehrsschilder in New York, San Diego und Miami. Auf den ersten Blick sahen die Schilder wie offizielle Verkehrszeichen aus, doch auf den zweiten erkannte man die absurden, belustigenden oder kritischen Botschaften auf diesen. Oft waren sie auf die Umgebung abgestimmt und erzielten so doppelte Wirkung. Die Schild-Imitate eigneten sich den Stil der offiziellen Verkehrsschilder an, wirkten auf diese Weise nicht aggressiv und konnten eine ganze Weile im städtischen Alltag intervenieren. In einem E-Mail Statement der unbekannten Aktivisten von Trustocorp zur Intention der Intervention erklärten sie, sie hofften ein paar Lächeln auf diesem Wege mitzugeben und hoffentlich auch den ein oder anderen zum nachdenken außerhalb der gewohnten Schemata anregen zu können. („We hope to crack a few smiles and hopefully make a few people think along the way.“244) Ein anderes amüsantes Beispiel im Umgang mit der Tarnung stellt die Gruppe Urban Camouflage dar. Sie starteten ihre Serie an Interventionen im Jahr 2007, die sich damit befasst, wie man sich selbst und seine Identität im kommerziellen Raum tarnen kann. Die Kostüme sind von „Ghillie Suits“ inspiriert, den Tarnanzügen von Scharfschützen und Jägern. Die Wahl auf große Supermärkte fiel wegen der extremen Bandbreite an Waren, den blinkenden Monitoren und den großen Verkaufsräumen. Die getarnte Person fusioniert mit der Umgebung. Er oder sie kann für einen Augenblick verschwinden und bekommt die Möglichkeit, mit dem Supermarkt sozusagen zu verschmelzen und so den Lärm des Handels abzuwehren. Zudem stellt die Gewerbefläche zumeist eine Gegend dar, die frei von künstlerischen Tätigkeiten ist. Der Kunde erwartet nichts außer der „gewöhnlichen“ Welt der Marken und Preisschilder. Für die Interventionen wurden keine Genehmigungen eingeholt und so fielen die Reaktionen der Rezipienten und Angestellten verschieden aus – Ignoranz, Ärgernis und Amüsement.245 Die Taktik der Imitation und Nachahmung findet sich bei vielen Interventionen im öffentlichen Raum, da sie nicht offensiv attackiert, sondern auf einer subversiven Ebene ihre Botschaft kommuniziert. Auch wenn der Rezipient ein aufmerksamer sein muss, um diese Art von Intervention zu entdecken, ist die Wirkung – eben wegen ihrer Unscheinbarkeit – oftmals größer als die eines Frontalangriffes.

244  Siehe http://www.trustocorp.com/ 245   Vgl. http://www.urbancamouflage.de/index.php?/urban/about/, am 26.11.2011

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148 - 150  Mr. Talion und Epoxy, „Battle of...Stars look like everyone“, Berlin 2009


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3.1.2. Zusammenfassung Als parasitäre Taktiken kann man diese zusammenfassen, die auf vorhandene Ordnungsschemata zurückgreifen, und sich ihre Funktionen und Inhalte aneignen, ersetzen und erweitern. Mit Aneignung ist nicht völlig neue künstlerische Kreation gemeint, sondern ein Anknüpfen an schon vorhandene Systeme und Methoden. Existierendes wird verwendet und in einen neuen Kontext gesetzt. Die Aneignung ist – wie auch Fabo beschreibt – zu einer der wichtigsten künstlerischen Strategien geworden, denn „in Zeiten sich immer dichter verknüpfenden Kommunikationsnetzwerke, deren Elemente semiotisch vielschichtig besetzt sind, trifft man zusehend auf kulturelle und künstlerische Strategien, die sich nicht an dem Modell einer völligen künstlerischen Neuschöpfung orientieren, sondern zunächst weniger markante Formen der Gestaltung aufsuchen. Der Anspruch einer dezidierten Autorschaft wird durch Verfahren der Kollaboration und Anknüpfung an schon vorhandene Strukturen abgelöst.“246 Die Taktik der Aneignung gelingt nur wenn sie lautlos statt findet, das Eindringen und Einnisten in oder an den fremden Strukturen muss natürlich und harmlos wirken.247 Wie etwa bei „Battle of...Stars look like everyone“ (Berlin 2009) der Berliner Street-Art-Künstler Mr. Talion und Epoxy. Der Basisgedanke der Aktion ist es auf eine einfache, unauffällige und ironische Art und Weise zu zeigen, dass Stars genauso aussehen wie jeder andere. Die Aktion entstand als kleiner Wettkampf zwischen den zwei Künstlern, die unter den gleichen Anfangsbedingungen ausgeführt und anschließend von dem Street Art Künstler Kone bewertet wurde. Die Zeit für die Umsetzung betrug zwei Stunden und die Methode war die Platzierung von Fotos in öffentlichen, kommerziellen Orten.248 Bei der Intervention wurden schließlich Bilder von Hollywood-Stars auf die Mitarbeiteraufnahmen von Elektrofachmärkten montiert. Die erst unauffällige Erweiterung, die den Stil der Mitarbeiterfotos mimt, entfaltet ihre Wirkung bei der Entdeckung. Amüsant inszeniert hinterlässt diese simple Intervention ihre Kritik bescheiden und subversiv. Fabo beschreibt die Wirkungsweisen solcher Eingriffe folgendermaßen: „Die parasitären Strategien der aktuellen Kunst haben den Anspruch der großen, gesellschaftskritischen Intervention aufgegeben zugunsten weniger auffälliger Nutzungen und Umcodierungen der vorhandenen Systeme. In kommunikativer Hinsicht sind die parasitären Interventionisten nach wie vor

246  Siehe Fabo: „Die Kunst der (un)freundlichen Übernahme“,   in Kunstforum Band 185, S.139 247

Vgl. Fabo nach Isabell Graw: „Wo Aneignung war, soll Zuneigung werden. Ansteckung, Subversion und Enteignung in der Appropriation Art.“ in Ruth Mayer, Brigitte Weingart (Hrsg.): „Virus! Mutationen einer Metapher“, Bielefeld 2004, S. 293 -312

248   Vgl. Klanten, Hübner (Hrsg.): „Urban Interventions“, S.222

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erfolgreich: Sie verunsichern unsere Routinen und irritieren die Wahrnehmung, sie dekonstruieren mediale Festschreibungen und institutionelle Bildpolitik, sie bewegen sich in der Vermarktung aller Ideen und versuchen gleichzeitig, diesen Umarmungstendenzen noch eine Spur der Differenz, des Anders-Seins abzugewinnen. Einige parasitäre Arbeiten haben den Charakter kurzfristiger Symbiosen, was sich in einer Welt der dichter werdenden parasitärer Verkettungen nicht vermeiden lässt.“249 Die parasitäre Taktik versteht sich also als ein kommunikativer Ansatz, der sich an ein bestehendes, funktionierendes System ankoppelt und es zur Basis weiterer Eingriffe macht. „Die parasitäre Intervention fokussiert auf einer Verschiebung der ursprünglichen Botschaft des parasitären Objekts und nimmt somit Einfluss auf unsere Wahrnehmung der Dinge und Systeme.“250 Interessant in diesem Zusammenhang sind auch Rötzers Untersuchungen, der Parasiten an den Anfang der Evolution stellt. Für ihn stellen sie Katalysatoren dar, „die die Entwicklung des Lebens durch Innovation voranschoben, wenn sie den Wirt nicht vernichtet haben.“251 Damit bekräftigt er auch Serres, für den der Parasit etwas Neues erfindet. Dies kann im Sinne der Interventionen im öffentlichen Raum nur durch ein harmloses Einwirken – kontrolliertes Ausnutzen, Erweitern, Imitieren – statt finden, denn wie bereits zu Beginn erwähnt ist die künstlerisch-intervenierende Handlung abhängig von der Wirtstuktur an die sie sich anheftet.

249  Siehe Fabo: „Die Kunst der (un)freundlichen Übernahme“,   in Kunstforum Band 185, S.151 250  Siehe Fabo: „Parasitäre Strategien“, in Kunstforum Bd. 185, S.58 251  Siehe Rötzer, S.73



Der Hacker


3. Parasiten, Hacker und Guerilla 3.2. Der Hacker

3.2. Der Hacker „Man kann mit einem Computer Kunst und Schönheit schaffen.“ (CCC, Auszug aus den „hacker ethics“)

Das klassische, veraltete Bild des Hackers ist das des klein-kriminellen Nerds, der einsam Nachts vor seinem Rechner verweilt, in Computersysteme eindringt und diese stört, um sich gegenüber der Hacker Community zu beweisen. Er findet Lücken in Sicherheitssystemen und nutzt diese zu seinen Zwecken aus. Er schreibt Programme und bringt Viren in Umlauf. Er ist ein Spezialist auf dem Gebiet der Computerkommunikation, er agiert unter einem Pseudonym und tritt mit der Außenwelt nur innerhalb seines Terrains – die des World Wide Web – in Kontakt. Das sind die allgmein verbreiteten Vorstellungen über den Hacker, doch diese Vorstellungen sind überholt und werden ihm keinesfalls gerecht. Der Hacker ist in seinem Wesen ein Erforscher und ein Spieler. Ein Entdecker und Bastler. Mit dem Aufkommen und der Verbreitung von Informations- und Kommunikationstechniken und den immer damit verbundenen Problemen in Bezug auf begrenzte Ressourcen, wie etwa Speicherplatz, waren es „Hacker, die beinahe wie Künstler eine Kultur der Zweckentfremdung, des konzeptionellen Bastelns und der Umcodierung entwickelt haben.[...] Ein ‚Hack‘ fügt Entferntes zusammen und macht es mit einem Mal logisch. Neue Ähnlichkeitssysteme entstehen. Ein Hacker ist […] jener, der sich sehr gut in der neuen Materie auskennt, sie gleichsam schafft – und spielerisch mit ihren möglichen Erscheinungsformen operiert.“252 In dem Einleitungstext zu „Cultural Hacking“ wird der Hacker aufgrund dessen sogar als aktuelles Rollenmodell für Gesellschaft und Kultur dargestellt. Dies äußert sich in Konzeptkunst Strategien diverser Künstler und Künstlergruppen. Vor allem auch dadurch, dass in der zeitgenössischen Kunst das Thema der Subversion eine Erneuerung erfährt, die sich besonders in diversen Formen der Street Art zeigt. Underground Traditionen werden zu Fundgruben kultureller Innovationen.253 Die Autoren des Einleitungstextes zu „New Media Art“ bekräftigen die These hacken sei eine Form kultureller Umgestaltung, indem sie McKenzie Wark zitieren. Dieser beschreibt in seinem Buch „Hacker Manifest“ die Ausweitung des Hacker-Begriffes auf Bereiche der Kunst und macht den Vergleich zwischen Hacken und Innovation: „Welchen Code wir auch hacken, sei es Programmiersprache, poetische Sprache, Mathematik oder Musik, Kurven oder Farbtöne, wir [Hacker] machen es möglich, dass neue Dinge in die Welt eintreten...In Kunst, Wissenschaft, Philosophie und Kultur, bei jeder Form der Wissensproduktion, bei der Daten gesammelt und daraus

252  Siehe Liebl, Kiel, Düllo: „Before and After Situationism - Before and after Cultural   Studies: The Secret History of Cultural Hacking“,   in: Düllo, Liebl (Hrsg.): „Cultural Hacking.“S.13 253   vgl. Ebd., S.14

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02 Konzeptionelles Statement (Ausschnitt aus Symposiumsbeschreibung) der   Veranstaltung „Herstellung von Situationen“, die Theorie und Praxis des Cultural  Hackings zusammenschloss


3. Parasiten, Hacker und Guerilla 3.2. Der Hacker

Informationen gewonnen werden können, und wo durch diese Informationen neue Möglichkeiten für die Welt geschaffen werden, gibt es Hacker, die das Neue aus dem Alten hacken.“254 Aus diesen Gründen eignet sich das Rollenmodell des Hackers dazu bestimmte Werke und Projekte innerhalb der Interventionen genauer zu beleuchten. Seine Vorgehensweisen lassen sich auf die künstlerischen Eingriffe im öffentlichen Raum übertragen. Dies wird derzeit sowohl im Ausstellungskontext, als auch in der theoretischen Auseinandersetzung mit der Rolle des Künstlers deutlich. Wolfgang Ullrich stellt die These auf, dass aus Künstlern „Cultural Hacker“ werden.255 In der Ausstellung „Hacking the City. Interventionen in urbanen und kommunikativen Räumen.“ des Museums Folkwang (16. Juli – 26. September 2010) standen hacktivistische Methoden künstlerischen und politischen Handelns im Mittelpunkt.256 Das „Netherlands Media Art Institute“ widmete dem Thema eine ganze Ausstellung: Vom 10.September bis zum 26. November 2011 wurden im Amsterdam diverse Werke über die „Art of Hacking“ präsentiert.257 In dem Buch „Cultural Hacking“, werden Hacker-Taktiken auf Projekte aus dem Kunst- und Kultursektor übertragen. Diese Publikation dient im Folgenden als Hauptliteratur zur Untersuchung der Hacker-Taktiken im Kontext künstlerischer Interventionen im öffentlichen Raum. Die Taktiken, die aus der Analyse des Hacker-Rollenmodells hervorgegangen sind, sind die der Exploration, des Spiels, der Zweckentfremdung und Umdeutung, sowie der Rückführung und Radikalisierung.

254  Siehe Tribe, Jana, Grosenick (Hrsg.): „New Media Art“, S. 17, nach McKenzie Wark in:   „Hacker Manifest“, 2004 255   Vgl. Ullrich, S.334 ff 256   Vgl. http://www.hacking-the-city.org/start, am 12.12.2011 257   Vgl. http://nimk.nl/eng/the-art-of-hacking-exhibition, am 12.12.2011

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3. Parasiten, Hacker und Guerilla 3.2. Der Hacker   |  3.2.1. Taktiken   |  3.2.1.1. Erforschen

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152 - 155  Florian Rivière, „Meubles“ 156 - 157  Felice Varini, „Three ellipses for three locks“, Cardiff, 2007 158    Felice Varini, „Cercle et suite d‘éclats“, Vercorin, 2009


3. Parasiten, Hacker und Guerilla 3.2. Der Hacker   |  3.2.1. Taktiken   |  3.2.1.1. Erforschen

3.2.1.1. Erforschen Ein Merkmal das dem Hacking zugrunde liegt ist der Drang zur Exploration. Im klassischen Hacker-Kontext bedeutet das das Auseinandernehmen von Geräten oder Programmiercodes, die Untersuchung der Einzelkomponenten, sowie der Versuch ein Verständnis dafür aufzubauen wie die singulären Teile miteinander interagieren. Das Begreifen von Funktionsweisen bestimmter Apparaturen oder Systeme bildet die Basis zusätzliche Elemente einführen zu können und so neues zu kreieren. Dies kann nicht nur auf das technische und digitale Feld, sondern auch auf den urbanen und virtuellen Raum übertragen werden. Auf den städtischen Raum angewandt ist die urbane Exploration als Erforschung des Stadtraums zu verstehen, mit dem Ziel interessante Plätze und Momente zu finden, die als Austragungsort für künstlerische Interventionen besondere Qualitäten mit sich bringen. Der bereits genannte Künstler Brad Downey ist in diesem Sinne ein Erforscher des Stadtraums. Er begibt sich auf die Suche nach bestimmten Situationen im urbanen Raum und bedient sich ihrer zur Anfertigung seiner Installationen. Ein vergleichbares Beispiel ist Florian Rivière: Der französische Künstler weist analoge Charakteristika auf. Er ist stets auf der Suche nach interessanten Konstellationen im städtischen Raum, findet er diese, schafft er es durch das Anbringen von Details spannende Interventionen zu kreieren und die Aufmerksamkeit auf bestimmte Spots zu lenken. Ein weiterer geschickter Künstler im Umgang mit der genauen Erforschung des Raums ist Felice Varini, „dessen Arbeiten häufig bei den funktionalen Gegebenheiten des jeweiligen Ortes ansetzen“.258 Seine Perspektiv-Installationen platziert er zwar schon länger in der Öffentlichkeit, jedoch ist er in der Diskussion um die Street Art in letzter Zeit wieder verstärkt in den Fokus gerückt. Varinis Werke zeichnen sich durch eine außerordentliche Präzision im Umgang von Raum im Zusammenspiel mit zweidimensionalen geometrischen Formen aus. Er projiziert die flächigen Formen in reale Umgebungen, um die Reaktionen des Raums zu erfassen – zu erkunden wie sich die Flächen im Raum auffächern und welche Fragmente dabei frei gesetzt werden. Die Einzelelemente seiner Malereien sind über die verschiedensten Entfernungen verteilt und ergeben nur an einem Punkt ein geschlossenes Bild. Den Ort für seine großflächigen perspektivischen Malereien wählt er dabei genau aus.259

258  Siehe Probst, Thalmair: „Die unsichtbare Stadt als Aktionsraum“   in Kunstforum Band 212, S.76 259   Vgl. Renninger, S.4

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3. Parasiten, Hacker und Guerilla 3.2. Der Hacker   |  3.2.1. Taktiken   |  3.2.1.1. Erforschen

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158 - 159  0100101110101101.org, „No Fun“, Videoperformance im „Chat Roulette“, 2010,      Aufnahmen der Reaktionen 160    0100101110101101.org, „No Fun“, Videoperformance, im „Chat Roulette“, 2010,      Inszenierter Selbstmord


3. Parasiten, Hacker und Guerilla 3.2. Der Hacker   |  3.2.1. Taktiken   |  3.2.1.1. Erforschen

Die Exploration findet somit vor jeder Intervention statt, denn es geht darum den Raum zu erkunden, Situationen zu entdecken, Nischen zu finden, um diese anschließend geschickt zu betonen und zu nutzen. „Raum“ kann hierbei sowohl der urbane als auch der virtuelle sein. Vor allem Akteure der „Net Art“ oder „New Media Art“ sind Spezialisten darin digitale Kommunikationsräume zu erkunden und künstlerisch zu nutzen. Das Künstlerduo 0100101110101101. org entdeckte den virtuellen Raum als Austragungsort für ihre Performances. Sie agieren in diesem und führen Störungen ein, um Reaktionen der unwissenden Teilnehmer ihrer Performances zu erzwingen. In der OnlinePerformance „Freedom“ (2010) begaben sie sich als Spielcharakter in dem Onlinespiel „Counterstrike“ auf die Suche nach Helfern – als Antwort auf ihre Frage wurde ihre Spielfigur immer wieder aufs Neue getötet. Bei „No Fun“ (2010) benutzten sie die Internet-Kommunikationsplattform „Chat Roulette“ als öffentlichen Plaz ihrer Intervention. Bei dieser inszenierte Franco Mattes seinen an einem Strick erhängten Körper vor dem Computermonitor und ließ die wechselnden Chatpartner daran teilhaben, um deren Reaktionen aufzuzeichnen. Das Künstlerpaar benutzt in vielen Performances ihre digitale Identität als Medium, um genau diese zu hinterfragen. Die Hacker-Taktik der Exploration kann also als universelle, künstlerische Strategie der Sichtung und Erforschung eines unbekannten Terrains oder Systems aufgeführt werden. Auf die Orientierung folgt weiter eine experimentellspielerische Einführung von neuen und anderen Orientierungen.260 Dies leitet die nächste Taktik des Spielens ein.

3.2.1.2. Spielen Eine wesentliche Eigenschaft des Hackers ist der Drang zum Basteln, die Liebe zum Experimentieren. Der Hacker ist Bastler, Tüftler, Experimentierfreudiger und Spieler. Auffällig im Kontext der Interventionen ist hier erneut die Parallele zu den Situationisten: der öffentliche Raum dient als Labor für die verspielte Revolution der täglichen Welt. „Die Stadt als Spielplatz“ ist die Parole. Und in der Tat weisen die meisten der kontemporären Interventionen einen außerordentlichen Witz auf, eine Verspieltheit mit Situationen umzugehen. Dies drückt sich unter anderem im Zugang zu den bearbeiteten Themen aus. Der Rezipient wird mit Humor und Ironie abgeholt.

260   Vgl. Düllo, Schileit, Suhr: „‚Beyond John Malkovich‘ oder: Warum ins Hirn der Masse   kriechen?“, in Düllo, Liebl (Hrsg.): „Cultural Hacking“, S.343

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3. Parasiten, Hacker und Guerilla 3.2. Der Hacker   |  3.2.1. Taktiken   |  3.2.1.2. Spielen

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161    Elfo, „Cow Crossing“ 162    Elfo, „Free Anarchist Tool Kit“ 163    Elfo, „Danger! Tropical snake inside“ 164    Elfo, „Your super lucky day“ 165 - 168 Improve Everywhere, „No Pants Subway Ride“, 2012


3. Parasiten, Hacker und Guerilla 3.2. Der Hacker   |  3.2.1. Taktiken   |  3.2.1.2. Spielen

Adäquate Beispiele bieten etwa die Künstler Elfo, Mobstr oder Mr. Talion. Ihre Interventionen benötigen oft keinen vertieften Erklärungsbedarf, sie sind immer mit einer Portion Jux ausgestattet. Sie irritieren den Rezipienten oder zaubern ihnen ein Lächeln auf das Gesicht. Ein weiterer Trend neigt zu Flash-Mobs oder „Pranks“ (=Streiche). Die Gruppe „Improve Everywhere“, die sich den Slogan „we cause scenes“ auf ihre Fahnen schreibt, hat sich auf diese spezialisiert. In diversen Aktionen rufen sie zu abstrusen und belustigenden Aktionen auf: „No pants subway ride“, „Black tie beach“ oder „The Mp3 Experiment“ sind nur einige Beispiele, in denen sie überraschende Situationen schaffen und für Verwirrung und Belustigung sorgen. In einem Interview mit dem Gründer Charlie Todd erklärte er, dass es ihm darum gehe mit „Improve Everywhere“ Szenen zu verursachen, die die Menschen zum Lächeln bringen und ihnen eine Geschichte zum weitererzählen servieren. Es gehe darum ungewöhnliche Situationen zu schaffen und etwas Positives zu tun.261 Spielen im Sinne einer ernsthaften Strategie schließt jedoch mehr ein als einen leichten und witzigen Umgang mit Themen und Räumen ein. Es ist vielmehr das „Ineinanderaufgehen von Ernst und Spiel. Hacking bedeutet keine neue Form von distanzierter Ironie oder ähnlichen Haltungen […]. Hacking [weist] als typische Kennzeichen des eigenen Arbeitsprozesses zugleich ernstes Spiel und spielerischen Ernst auf […] Gleichzeitig wirkt das Spielerische als ein wesentlicher Motor der Innovation.“262 „Im Experiment seines kombinatorischen Spiels sucht (und findet) der Hacker nicht nur das, was Konstrukteure vorgesehen hatten und Handbücher schon wussten, sondern vor allem das, wovon diese nie zu träumen gewagt hätten.“263 Spielen als künstlerische Strategie impliziert demnach auch ausprobieren und experimentieren. Dem Spiel als Taktik geht zudem die Taktik der Exploration voraus. Somit lassen sich die Taktiken des Explorierens und die des Spielens als aufeinanderfolgende Prozesse beschreiben. Den hier untersuchten Interventionen geht eine Erforschung der Gegebenheiten – seien es Objekte oder Situationen im öffentlichen Raum oder andere Arten von Kommunikationsräumen – immer voraus. Weiter folgt eine experimentell-spielerische Einführung von neuen Elementen, um so „das Neue aus dem Alten zu hacken.“264

261   Vgl. Interview in „The Today Show“, 2009: http://improveverywhere.com/press/ 262  Siehe Liebl/Kiel/Düllo, S.29 263  Siehe Pias, S.257 264  Siehe Tribe, Jana, Grosenick (Hrsg.) S. 17, nach McKenzie Wark in:   „Hacker Manifest“, 2004

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3. Parasiten, Hacker und Guerilla 3.2. Der Hacker   |  3.2.1. Taktiken   |  3.2.1.3. Zweckentfremden, Umdeuten

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169    Julius von Bismark, „Image Fulgurator“, Konstuktionsplan 170    Julius von Bismark, „Image Fulgurator“ 171 - 174  Julius von Bismarck, manipulierte Aufnahmen


3. Parasiten, Hacker und Guerilla 3.2. Der Hacker   |  3.2.1. Taktiken   |  3.2.1.3. Zweckentfremden, Umdeuten

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3.2.1.3. Zweckentfremden, Umdeuten „Ist die beste Subversion nicht die Codes zu entstellen statt sie zu zerstören?“ (Roland Barthes)

Neben

der

analytischer

Kombination Exploration,

aus sticht

spielerischer eine

weitere

Auseinandersetzung Methode

des

und

Hackers

besonders hervor: die der Zweckentfremdung und Umdeutung, oder auch das situationistische Détournement. Sowohl Liebl, Kiel und Düllo, als auch Pias bestätigen dies. Im Einleitungstext zu „Cultural Hacking“ wird das Détournement der Situationisten als zentrales Moment beschrieben, da die Autoren in diesem das kulturelle Ebenbild zu dem sehen was Hacker tun: „umdeuten, umcodieren, zweckentfremden, dekontextualisieren und rekontextualisieren“265. Der Medienwissenschaftler Claus Pias affimiert dies: „Dass Rechner, Schreibmaschinen und Spiele als Hacks galten, als geradezu situationistische détournements, zeigt, wie wenig von den Potentialen einer universalen Maschine als sinnvolle Anwendung damals evaluiert und diskursiv begründbar war.“266 An diesem Punkt beschreibt Pias etwas wesentliches: Hacker denken weiter, sie sind Spezialisten der Umformung und Zweckentfremdung. Ohne Hacker hätten wir heute keine Musiksoftware, Textverarbeitung, Computerspiele und nicht einmal Betriebssysteme.267 Die Taktik der Zweckentfremdung lässt sich in vielen Interventionen finden. Ein treffendes Beispiel ist der „Image Fulgrator“ von Julius von Bismarck. Der „Image Fulgurator“ ist eine Apparatur, die es ermöglicht Fotografien beim Aufnehmen zu manipulieren. Sie interveniert in dem Augenblick in dem ein Foto geschossen wird, ohne, dass dies der Fotograf bemerkt. Die Fotografie wird mit Bismarcks Botschaft gespickt und erst beim Entwickeln sichtbar. Der Fulgurator ist an jedem Platz anwendbar, an dem andere Fotografen agieren.268 Für die Entwicklung des Gerätes kehrte der Künstler eine handelsübliche Kamera zu einer Art Projektor um. Er entfremdete sie seines ursprünglichen Zweckes und bestimmte ihren Sinn neu. Ein weiterer Künstler, der sich an dieser Stelle als Beispiel anbietet ist der Berliner Aram Bartholl. Er ist Spezialist darin bekannte Zeichen aus der digitalen Welt aus ihrem Kontext zu reißen und sie in der realen, physischen Welt in einen Neuen zu setzen. Der Berliner Künstler transferiert Symbole des Internetzeitalters

265  Siehe Liebl, Kiel, Düllo: „Before and After Situationism - Before and after Cultural   Studies: The Secret History of Cultural Hacking“,   in: Düllo, Liebl (Hrsg.): „Cultural Hacking.“, S.15 266  Siehe Pias, S.256 267   Vgl. Pias, S.263 und Liebl, Kiel, Düllo, S.29 268   Vgl. Klanten, Hübner (Hrsg.): „Urban Interventions“, S.206


3. Parasiten, Hacker und Guerilla 3.2. Der Hacker   |  3.2.1. Taktiken   |  3.2.1.3. Zweckentfremden, Umdeuten

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175 - 176 Aram Bartholl, „Map“ (links: digitale Referenz aus Google Maps) 177 - 178 Aram Bartholl, „WoW“ (links: digitale Referenz aus „World of Warcraft“) 179 - 180 Aram Bartholl, „Are you human“ (links: digitale Referenz Onlineplattform) 181 - 182 Aram Bartholl, „de_dust“ (links: digitale Referenz aus „Counterstrike“)


3. Parasiten, Hacker und Guerilla 3.2. Der Hacker   |  3.2.1. Taktiken   |  3.2.1.3. Zweckentfremden, Umdeuten

in den städtischen Raum und schafft so eine Verbindung zur virtuellen Welt. An Werkbeispielen von Bartholl lassen sich hacktivistische Methoden besonders gut veranschaulichen. Denn er beschäftigt sich hauptsächlich mit Phänomenen der digitalen Kommunikation und den daraus resultierenden gesellschaftlichen Folgen. Er hebt neue Gefahren im Bezug auf die sich verändernden Machtverhältnisse hervor, sowie den Wandel von Öffentlichkeit und Privatsphäre im digitalen Zeitalter.269 Bartholls Installationsrheie„Map“, die mit den roten Google-Maps Markierungen spielt, ist an dieser Stelle als Beispiel dienlich. Dem Künstler fiel auf, dass die digitale Pin einen Schatten auf die virtuelle Stadtkarte wirft, als sei sie ein reales Objekt. Beim Übergang in den Satellitenmodus habe es sogar den Anschein, dass diese zu einem Teil der Stadt geworden sei und mit dieser verwächst. Andererseits bleibe sie jedoch immer ein digitales Symbol, das immer die gleiche Größe auf dem Monitor behält und keine physische Wirklichkeit hat. Die Größe von Bartholls Markern, die er in den urbanen Raum transferierte, entsprechen der die, die Marker im Web Interface mit einem maximalen Zoom-Faktor in Google Maps haben. Zudem stellt er die Frage wo die Mitte einer Stadt sei. In der Serie „Maps“ ist die Marker-Installation dort aufgestellt, wo Google die Stadtmitte festlegt. Auf den physischen Raum übertragen, hinterfragt Bartholl das Verhältnis zwischen digitaler Information und dem alltäglichen städtischen Lebensraum.270 In Interventionen wie „Are you human?“, „WoW“ („World of Warcraft“) oder „de_dust“ verfährt er ganz ähnlich. Symbole aus der digitalen Welt werden aus ihrem Originalzusammenhang gerissen und in unseren physischen Alltag übertragen. Die Taktik der Zweckentfremdung und Umdeutung beinhaltet folglich Inhalte aus ihrem üblichen Kontext zu nehmen und sie in einen neuen zu setzten: dekontextualisieren und rekontextualisieren. Diese Taktik ist eng mit der parasitären der Erweiterung verwoben. Die ideelle Erweiterung kann zeitgleich als Umdeutung betrachtet werden, denn Austragungsorte oder Objekte werden bei dieser ihrem ursprünglichen Zweck entfremdet und somit in ihrem Sinngehalt umgedeutet.

269   Vgl. Klanten, Hübner: „Art & Agenda. Political Art and Activism“, S.80 270   Vgl. http://datenform.de/map.html, am 15.12.2011

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3. Parasiten, Hacker und Guerilla 3.2. Der Hacker   |  3.2.1. Taktiken   |  3.2.1.4. Rückführen und Radikalisieren

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182 - 185 The funtheory, „Piano Staircase“, Stockholm, 2009 186 - 187  Mathieu Tremblin, „Tag Clouds“, 2010


3. Parasiten, Hacker und Guerilla 3.2. Der Hacker   |  3.2.1. Taktiken   |  3.2.1.4. Rückführen und Radikalisieren

Eine hybride Intervention aus Exploration, Spiel und Umdeutung stellt das Projekt „Piano Staircase“ dar. Dieses fand im Rahmen von „The funtheory“ statt, eine Initiative von Volkswagen, die die Ideologie vertritt, dass durch Spaß das Verhalten der Menschen zum Besseren gewandelt werden kann. „Piano Stairs“ wurde in einer Station der Stockholmer U-Bahn realisiert. Hierbei wurden Treppenstufen, die sich neben einer Rolltreppe befanden, zu Klaviertasten umgebaut. Bei Betreten gaben diese Töne von sich und den Passanten war es möglich durch ihr Zutun – indem sie die Treppe anstelle der Rolltreppe benutzten – Melodien zu laufen. Das Ergebnis war, dass 66% mehr Menschen die Treppe frequentierten als sonst. Durch die Vertonung des Ortes wurde und ein spielerischer Zugang zu ein wenig mehr Bewegung und Spiel im Alltag geschaffen.271

3.2.1.4. Rückführen und Radikalisieren Nicht nur das Experimentelle und die Kreation alternativer Lösungen sind dem Hacking immanent, sondern auch die „Rückführung auf eine ursprüngliche Zweckbestimmung“

und

dessen

Radikalisierung.

Bestimmte

Prozesse

scheinen uns selbstverständlich, jedoch ist uns der Sinn der Ursprungsidee meist nicht mehr bewusst. Eine Methode des Hackens ist es diese wieder ins Gedächtnis zu rufen und versuchen sie „reiner“ zu machen.272 Das impliziert eine Reduzierung von unnötigen Zusatzfunktionen oder auferlegtem Inhalt hin zu einer Vereinfachung und so besseren Bedienbarkeit oder Lesbarkeit. Ein anschauliches Beispiel ist die Aktion „Tag-Clouds“ (2010) des Franzosen Mathieu Tremblin. In der Intervention übermalt Tremblin unlesbar gesprühte Graffiti-Tags mit Standard-Schriftarten wie der Times New Roman oder Arial. Für Tremblin stellen die zwei Arten von „tags“ vergleichbare Formen dar, um Bewegungen innerhalb eines Systems zu erkennen und zu verorten. Während die virtuellen „tags“ Ordnung und Orientierung im Internet darstellen, sind die Graffiti-Tags Marker des städtischen Treibens. Sie zeigen Analogien zwischen physischem Treiben in der Stadt und dem virtuellen Surfen im Netz.273 Mit dem simplen Eingriff führt Tremblin die einzelnen Buchstaben des Graffiti-Tags zu einer ursprünglichen Bestimmung von Lettern zurück – der Lesbarkeit.

271   Vgl. http://www.thefuntheory.com/, am 10.01.2012 272   Vgl. Liebl, Kiel, Düllo: „Before and After Situationism - Before and after Cultural   Studies: The Secret History of Cultural Hacking“,   in: Düllo, Liebl (Hrsg.): „Cultural Hacking.“, S.29 273   Vgl. http://www.rebelart.net/diary/page/2/?s=Mathieu+Tremblin&submit,   am 05.12.2011

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3. Parasiten, Hacker und Guerilla 3.2. Der Hacker   |  3.2.2. Zusammenfassung

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3.2.2. Zusammenfassung Das kulturelle und damit künstlerische Hacking kann in erster Linie als ernst genommene Strategie der Exploration verstanden werden. Diese zielt auf Orientierung und wiederum Desorientierung ab, nicht nur das Erkunden und Zurechtfinden innerhalb eines Systems, sondern weiter das bewusste Einführen von neuen Orientierungen spielen dabei eine wesentliche Rolle.274 Der Erfolg hacktivistischer Taktik geht folglich aus der Kombination zweier Vorgehensweisen hervor: der analytisch-systematischen Praxis des Ingenieurs oder Wissenschaftlers und zum anderen der kreativ-spielerischen des Künstlers275 – einer Mischung aus Erforscher und Spieler. Die Zweckentfremdung, das Umdeuten und Rekontextualisieren, sowie die Rückführung und Radikalisierung können als Taktiken zusammengefasst werden. Essentiell ist vor allem die Erkenntnis, dass Methoden der traditionellen Hacker auf die Kunst- und Kulturproduktion anwendbar sind. Wobei Medium und Austragungsort nicht festgelegt sind. Die Herausgeber Thomas Düllo und Franz Liebl beschreiben die Logik des Hackens – „in fremde Systeme eindringen, sich darin orientieren und dann neue überraschende Orientierungen einführen“276 – als eine Möglichkeit kultureller Innovation. Auch Claus Pias spricht davon, dass Hacken auch als Kunst inszeniert werden kann und der Hacker, so betont Pias, wird zur Leitfigur des Intellektuellen apostrophiert.277 Er zieht zudem den Vergleich vom Hacker zum unbefangenen Kind: „Das Kind ist – wie der Hacker – ein unbekümmerter Autodidakt, der Dinge spielerisch erforscht und in dessen Spiel die Elemente ihrer Kontexte entbunden werden, um überraschende Vereinigungen einzugehen.“278

274   Vgl. Liebl, Kiel, Düllo: „Before and After Situationism - Before and after Cultural   Studies: The Secret History of Cultural Hacking“,   in: Düllo, Liebl (Hrsg.): „Cultural Hacking.“, S. 28 275   Vgl. Liebl, Kiel, Düllo, S.29, nach Garsten 276  Siehe Düllo, Liebl: „Cultural Hacking“, Klappentext 277   Vgl. Pias, S.270 278  Siehe Pias S.265, nach Alan Kay, Adele Goldberg: „Personal Dynamic Media“ in:   Computer, March 1977



Der guerillero


3. Parasiten, Hacker und Guerilla 3.3. Der Guerillero

3.3. Der Guerillero Als Guerillakämpfer wird jemand bezeichnet, der gegen ein ihm überlegenes System einen Kleinkrieg in irregulären Einheiten führt. „Die Guerilla kämpft verstreut in beweglichen Einheiten und bevorzugt den Überraschungsangriff, den Hinterhalt und die Sabotage.“279 Der Guerillero kennt das Territorium, in dem er agiert, ist also Einheimischer oder Bewohner. Er ist leichter bewaffnet als seine Gegner und von der Anzahl unterlegen. Deswegen verschafft er sich auf andere Weisen Vorteile: Überraschungsattacken, hervorragende Ortskenntnis, enorme Beweglichkeit und Manipulationen. Der Guerillero ist ein politisch motivierter Revoluzzer, der den Aufstand gegen unterdrückende Machtverhältnisse wagt. „Guerilla agiert nicht aus der sichtbaren Position eines offiziellen Heeres heraus, sondern aus den zerklüfteten Abwegen abseits befahrener Routen. Guerilla besteht nicht aus vielen, auch wenn sie auf das Einverständnis der Bevölkerung angewiesen ist oder zumindest von ihr geduldet wird. Ihre Taktik beruht auf Kenntnis des Terrains, sie agiert lokal und punktuell. Guerilleros handeln aus dem Verborgenen, und bevor sie erwischt werden, wechseln sie den Standort. Sie stellen sich nicht dem offenen Kampf, denn sie hätten gegen die Übermacht der ‚ordentlichen Verbände’ wenig Chancen. Übertragen auf den Kommunikationsprozess heißt das: Sie entwischen dem vorgegebenen Rahmen von Argumentationsstrukturen und haben ihre eigenen Vorstellungen darüber, was sich gehört und was nicht.“280 Die Akteure der urbanen und digitalen Interventionen weisen viele Parallelen zu den Prinzipien der kriegsführenden Guerilleros auf. Doch sie kämpfen nicht gegen ein Militärregime, sondern stellen sich gegen Marken und Konzerne, die den öffentlichen Raum besetzen oder setzen sich für Informationsfreiheit in den neuen Medien ein. 1967 plädierte schon Umberto Eco für eine semiologische Guerilla, denn „heute gehört ein Land dem, der die Kommunikation beherrscht.[…] Information ist […] selber zum wichtigsten Gut geworden. Die Kommunikation hat sich in eine Schwerindustrie verwandelt. […] Vor dem Schatten eines Kommunikationsnetzes, das sich ausbreitet, um die ganze Welt zu umspannen, wird jeder Bürger der Welt zum Mitglied eines neuen Proletariats.“281 Dem schließen sich die Autoren des „Handbuches für Kommunikationsguerilla“ an. Das Konzept der Kommunikationsguerilla möchte zu alternativen Formen politischer, kritischer Auseinandersetzung anregen, das Handbuch diskutiert Formen subversiver politischer Praxis. „Kommunikationsguerilla will die Selbstverständlichkeit und die vermeintliche Natürlichkeit der herrschenden Ordnung untergraben. […] Ihr Projekt ist die

279  Siehe Brockhaus Bd.4. Leipzig 2005, S. 2349 280  Siehe Autonome a.f.r.i.k.a. Gruppe, Luther Blissett, Sonja Brüzels, S.9 281  Siehe Eco, S.146

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3. Parasiten, Hacker und Guerilla 3.3. Der Guerillero

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Kritik an der Unhinterfragbarkeit des Bestehenden; sie will geschlossene Diskurse in offene Situationen verwandeln, in denen durch ein Moment der Verwirrung das Selbstverständliche plötzlich in Frage steht. Jede Aktion ist dabei für sich genommen nur ein momentaner oder lokaler Modus der Grenzüberschreitung.“282 Kommunikationsguerilla – im Sinne von Autonome a.f.r.i.k.a. Gruppe, Luther Blissett und Sonja Brüzels –

umschließt Konzepte und Aktionsformen,

die auf gesellschaftliche Kommunikationsprozesse Bezug nehmen: Auf die

Kommunikation

zwischen

Medien

und

Medienkonsumenten,

die

Kommunikation im öffentlichen oder sozialen Raum, sowie die Kommunikation zwischen gesellschaftlichen Institutionen und Individuen.283 Die Kommunikationsguerilleros weisen bei genauerer Betrachtung ganz ähnliche Vorgehensweisen auf wie die Parasiten. Jedoch sind sie nicht abhängig von einem Wirt, und es liegt nicht in ihrem Sinne diesen am Leben zu erhalten, um sich aus diesem zu nähren. Sondern es ist in ihrem Sinne einen Feind zu zerstören. Deswegen sind die Interventionen, die im nächsten Kapitel den Guerilla-Taktiken zugeordnet sind aggressiver in ihrem Vorgehen und meistens politisch verortet. Manipulation, Sabotage und Fake lassen sich als Taktiken der Kunst-Guerilleros ableiten.

282  Siehe Autonome a.f.r.i.k.a. Gruppe, Luther Blissett, Sonja Brüzels, S.7 283  Ebd. S.8


3. Parasiten, Hacker und Guerilla 3.3. Der Guerillero   |  3.3.1. Taktiken  |  3.3.1.1. Manipulieren

3.3.1.1. Manipulieren Als grundlegende Strategie im Kontext künstlerischer Interventionen ergibt sich bei der Guerilla die Manipulation. „Manipulation [...] bezeichnet [...] die Beeinflussung oder Lenkung eines Menschen, einer Gruppe oder eines sozialen Phänomens (z.B. der öffentlichen Meinung), auch die verzerrende Darstellung eines Sachverhalts durch gezielte, aber für den Adressaten undurchschaubare Steuerungsimpulse beziehungsweise Informationseingaben. Für den Vorgang der Manipulation ist der Wahrheitsgehalt der Information zweitrangig, und zwar sowohl aus der Perspektive der Objekte der Manipulation als auch von den Intentionen der manipulativ Handelnden aus.“284 Die Taktik nimmt Einfluss auf einen zu manipulierenden Gegenstand mit dem Ziel den Empfänger mit der eigenen Botschaft zu infizieren. Dies geschieht durch Verfälschung der eigentlichen Botschaft. Die Verfälschung kann dabei auf verschiedenen Wegen inszeniert werden: Durch das Einschleusen von Fehlinformation in Systeme, dem Entfremden von Sachverhalten oder dem Vorführen von Unwahrheiten – allgemein gesagt durch das Einführen von Störungen in den Kommunikationskanal. Im Kontext der Interventionen ist ein manipulativer Eingriff, einer der in bestimmte Medien eindringt und deren ursprüngliche Aussage mit ihrer Botschaft verfälscht. Der Künstler Julius von Bismarck macht das auf vorbildliche Art und Weise mit seinen „Image Fulgurator“-Aktionen. (Siehe Kap.3.2.1.3.) In diesen spickte er schon zahlreiche Fotografien mit seinen Botschaften: Er projizierte ein Kreuz auf den Rednerpult Barack Obamas, ein dickes „NO“ über Papst Benedikt XVI. oder ein o2 Logo auf die Schulter des Berliner Bürgermeisters Klaus Wowereit. Julius von Bismarck erklärt der Beweggrund seinen „Image Fulgurator“ zu bauen, liege darin, dass viele Menschen ein blindes Vertrauen in ihre fotografischen Reproduktionen der Wirklichkeit legen. Die Kamera wird zu einem persönlichen Erinnerungs-Werkzeug ohne an der Richtigkeit der Aufnahmen zu zweifeln. Fotos können deswegen dazu benutzt werden Realität zu erzeugen. Als besonders wirksame Orte für die Anwendung seines Fulgurators nennt der Künstler deswegen bekannte oder religiöse Orte oder solche mit politischem Beigeschmack. Vor allem Objekte mit einer besonderen Aura oder großer symbolischer Macht sind gute Ziele für diese Art von Manipulation. Mit dem Fulgurator ist es möglich solche Arten von individuellen Momenten und Ereignissen zu infiltrieren, die den Massen nur in der fotografischen Dokumentation zugänglich sind. In diesem Kontext repräsentiert der Fulgurator eine Manipulation visueller Realität und kritisiert

284   http://www.brockhaus-enzyklopaedie.de/be21_article.php, am 07.01.2012

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3. Parasiten, Hacker und Guerilla 3.3. Der Guerillero   |  3.3.1. Taktiken  |  3.3.1.2. Sabotieren

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188 - 191 Packard Jennings, „Action Figures“, 2008 192    Zthoven, „Media Reality“, 2007


3. Parasiten, Hacker und GuerilLa 3.3. Der Guerillero   |  3.3.1. Taktiken  |  3.3.1.2. Sabotieren

die Struktur medialer Speicherung.285 Der amerikanische Künstler Packard Jennings - der das „cultural jamming“ als eine seiner bevorzugten Technik sieht - liefert mit „Action Figures“ (2008) ein weiteres Beispielprojekt für eine manipulative Intervention. Er platzierte selbst entworfene und originalverpackte Actionfiguren im Supermarkt. Auf den Ladenregalen im Wal-Mart fand man eine „Mussolini Action Figure“ oder die „Anarchist Action Figure“, ausgestattet mit Gasmaske, Gaskanister, Sprühdose und Molotov-Cocktail. Mit dieser Aktion kritisierte der Künstler die Kommerzialisierung von radikalen Ideologien.286 Da intervenierende Praxis als vermittelnder Eingriff definert wird, kann sogar die Vermutung formuliert werden, Manipulation inhäriert künstlerische Interventionen grundsätzlich. Intervention als Einmischung oder Einmengung setzt immer einen gewissen Grad von Bewusstseins- und Meinungslenkung voraus, auch wenn dieser nur in Denkanstößen wurzelt.

3.3.1.2. Sabotieren Wie im Einleitungstext zu der Guerilla beschrieben zeichnen sich Guerillataktiken unter anderem durch Überraschungsangriff, Hinterhalt und Sabotage aus. Die Sabotage ist eine „Störung [oder] Behinderung des ordnungsgemäßen Ablaufs einer Tätigkeit, geplanter Maßnahmen oder Beschädigung von Produktionsmitteln und Arbeitsmitteln, die getarnt und vorsätzlich erfolgt, um politische, wirtschaftliche, militärische Ziele aus bewusster Gegnerschaft zu vereiteln.“287 Die Taktik der Sabotage impliziert immer die der Manipulation. Die zwei Taktiken sind eng miteinander verwoben, wobei die Sabotage aggressiver vorgeht, sie ist lauter und deswegen leichter zu erkennen. Während die Manipulation auch auf schleichendem, subversiven Wege ihre Botschaft senden kann. Die tschechische Künstlergruppe Zthoven liefert für die künstlerischinterventionistische Sabotage erneut ein passendes Beispiel. Die Mitglieder schleusten am 17. Juni 2007 einen Videoclip in das morgendliche Fernsehen: Während der Wettershow wurden Webcam-Aufnahmen von bekannten tschechischen Landschaften mit der aktuellen Temperatur gezeigt, als plötzlich die Aufnahme einer atomaren Pilzwolke erschien. Den Gruppenmitgliedern

285   Vgl. http://www.juliusvonbismarck.com/bank/index.php?/projects/fulgurator-action/,   am 12.12.2011 286   Vgl. Klanten, Hübner: „Art & Agenda.“, S.30 287  Siehe http://www.dwds.de/?qu=sabotage

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193  Cildo Meireles, „Insertions into Ideological Circuits: Coca Cola Project“, 1970


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drohte dafür eine Haftstrafe bis zu drei Jahren, jedoch gewannen sie den „Newcomers Prize“ (NG33) der Nationalgalerie Prag, wurden dadurch bekannt und der Haftstrafe entlastet. Die Intention hinter dieser Aktion war es die Aufmerksamkeit auf den verklärten Realitätssinn in den Medien zu lenken.288 Auch „The Yes Men“ praktizieren die Taktik der Sabotage vorbildlich. Für eines ihrer frühen Projekte „Barbie Liberation Front“ wurden Barbie und G.I. Joe Puppen aufgekauft und deren Sprachchips vertauscht. Anschließend wurden die sabotierten Spielzeuge wieder zurück in die Läden geschmuggelt. Die Aktion kritisierte die oberflächlichen Rollenvorstellungen über Männer und Frauen. Künstlerische Sabotage, als Akt der Grenzverletzung, ist auch immer ein Akt politischer Subversion.289 Anhand von Projekten des politisch angagierten Künstlers Cildo Meireles, lässt sich die Sabotage besonders gut veranschaulichen. Zwischen 1970 und 1976 stempelte auf die eine Seite jeder Banknote, die ihm in die Hände geriet, eine politsches Statement und auf die andere Seite eine kurze Beschreibung seines Projektes „Insertions into Ideological Circuits“290, 1970. Einmal im Umlauf wurden die Banknoten ins System zurückgeführt und mit jedem Besitzerwechsel sein Anliegen weiterverbreitet. Auf die gleiche Weise verfuhr er mit Coka-Cola-Flaschen. Der Brasilianer druckte

Aussagen wie „Yankees go home!“ mit weißer

Tinte auf die Flaschen. Seine Ergänzung würden bei Rückgabe in die Fabrik unentdeckt bleiben, bis die Flaschen wieder befüllt wurden und auf dem Weg zum Verbraucher waren. Seine Wut und zugleich Motivation war gegen die amerikanischen Interventionen in Brasilien im Namen der Militärdiktatur gerichtet und gegen die Interessen amerikanischer Großkonzerne, die vom Regime profitierten. Durch Veränderung der Coka-Cola-Flaschen und der Banknoten und das anschließende Einschleusen in den Güterkreislauf, wandte Meireles kraftvolle Symbole der wirtschaftlichen und politischen Macht gegen diese selbst.291

3.3.1.3. Faken Das Fake ist eine der zentralen Taktiken der Kommunikationsguerilla und findet bei vielen Interventionen Anwendung. „Der englische Begriff ‚fake‘ bedeutet im Deutschen ‚Fälschung‘, umfasst aber auch ‚Verschleierung‘, ‚Heucheln‘ oder ‚Vortäuschen‘ und ‚Erfinden‘. […] Der Begriff des Fake beinhaltet im

288   Vgl. „Art and Agenda“, S.112 289   Vgl. Kaufmann, Bröckling, Horn: „Grenzverletzer“, S.7 290   „Einfügungen in ideologische Schaltkreise“ 291   Vgl. Farquharson, Waters, S.45

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194 - 196  0100101110101101.org, Public Netbase, „rethinking space“, Wien, 2003 197    Die Partei, Fake-Wahlkampfplakate, Berlin, 2011


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Gegensatz zur Fälschung nicht nur das kopierte Werk, sondern den gesamten institutionellen Prozess des Fälschens.“ Die Besonderheit des Fakes ist, dass 292

dieser nur dann wirksam wird, wenn er auch aufgedeckt wird. Eine perfekte Fälschung würde unentdeckt bleiben und so keine Wirkung erzielen. „Ziel ist […] einen Kommunikationsprozess auszulösen, bei dem – oft gerade durch die (beabsichitgte) Aufdeckung der Fälschung – die Struktur der gefakten Kommunikationssituation selbst zum Thema wird. Das Fake entfaltet seine Wirksamkeit im Verlauf des Prozesses, der der Aufdeckung folgt, in der Kette von echten und vielleicht auch falschen Dementis, womöglich ergänzt durch weitere Fakes oder Fälschungen.“293 Ein adäquates Beispiel bietet Eva und Franco Mattes, aka 0100101110101101. org in Zusammenarbeit mit Public Netbase. Bei ihrem Projekt „rethinking space“ wurde auf einer vermeintlichen Nike Website im Oktober 2003 die Inszenierung vorgestellt. Hierbei ging es um die Umgestaltung von Stadträumen. Als erste Maßnahme war eine 36 Meter lange und 18 Meter hohe Swoosh-Skulptur aus Stahl mit rotem Gummiüberzug vorgesehen, die auf dem Wiener Karlsplatz aufgestellt werden sollte. Erst nachdem die Wiener Bürger öffentlich protestiert hatten, dementierte Nike Österreich diese Meldung als einen Schwindel. „Der Künstlergruppe gelang es, die aggressive Politik großer Konzerne hinsichtlich einer verstärkten Platzierung im öffentlichen Raum im Fake zu überbieten. „Rethinking Space“ dreht das alte Widerstandsmotto „Reclaim the Streets“ parasitär um und unterstellt Nike eine Strategie der Raumeroberung. Die Kritik an Nike erfolgte hinter der Maskerade einer totalen Bejahung des Konzerns, wobei die Nike-Symbole vorübergehend geborgt und durch künstliche Aufblähung ausgehöhlt wurden.”294 Im Zusammenhang mit der Taktik des Fälschens, sind auch Fake-Plakate und Bekanntmachungen zu nennen. Diese greifen den Stil – sowohl vom Aussehen, als auch vom Schreibstil her – von offiziellen Verkündigungen bestimmter Unternehmen oder Behörden auf. Doch beim Durchlesen wird Kritik an den jeweiligen Institutionen laut und der Leser wird zum nachdenken und hinterfragen angeregt. Die tschechische Gruppe Zthoven, die für ihre spektakulären Intervention bekannt ist, fälscht bei ihrem Projekt „Citizen K“ (2009 – 2010) nicht nur ein Medium, sondern Identitäten menschlicher Individuen. Mitglieder der Gruppe lebten für das Projekt ein halbes Jahr unter falschen Personalien. Für jede partizipierende Person benutzte Ztohoven eine Bildbearbeitungs-Software,

292  Siehe Römer: „Fake“, in „Dumonts Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst“, S.78 293  Siehe Brüzels, S.65 294 Siehe Fabo, S.138

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198 - 199 Zthoven, „Citizen K“, 2009 - 2010


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die zwei Passfotos übereinanderlegt und so ein neues Gesicht erschuf. Jeweils beide Künstler – aus deren Fotos die neue Identität kombiniert wurde – stellten im Anschluss bei Behörden Anträge für offizielle Ausweispapiere unter dem Namen des jeweils anderen. Sie konnten diese anschließend nutzen, um zu reisen, zu wählen und sogar um zu heiraten. Diese Performance stellt eine Kritik am Missbrauch von persönlichen Daten und der ständigen Überwachung dar. Es deutet auf einen Verlust der Identität in unserem mechanisierten Zeitalter hin, indem Menschen zu Nummern werden.295 Zthoven in ihrem Manifest zu „Citizen K“: „Der Bürger K. / Ich kehrte zurück von einem Ort, von dem aus ich auf mich selbst blicken konnte und begriff, dass es vor allem um uns geht! Wir alle sind Mitglieder dieser Gesellschaft, sind ein Bestandteil dieses Systems und wir bewachen uns gegenseitig. Wir alle tragen zur Entstehung der Angst bei, die uns lähmt. Uns allen zuliebe betrat ich ein Terrain, das alle anderen aus Angst meiden, und sah die Aussichtslosigkeit, die Absurdität des Gehorsams. Wie zerbrechlich und leicht zu missbrauchen ist das, was uns angeblich dienen soll. Wir sind keine Nummern, keine biometrischen Daten, werden wir also nicht zu Figuren der Global Player auf dem Spielfeld dieser Zeit. Wenn wir uns ohne Scham im Spiegel ansehen wollen, müssen wir unser Gesicht wahren!“296

Subsumierend lässt sich das Fake als die übersteigerte Form der parasitären Imitation definieren. Der Unterschied zwischen den beiden Taktiken liegt darin begründet, dass die Imitation auf den zweiten Blick zu erkennen ist und eine harmlosere Form des Intervenierens darstellt, während die Guerilla-Taktik des Fakes mehr Aggression in ihrem Vorgehen aufweist. Durch das Fake werden Menschen vorsätzlich getäuscht, um die Strukturen, in denen sie sich bewegen, in der anschließenden Aufdeckung vorzuführen.

295   Vgl. „Art and Agenda“, S.112 296  Siehe http://www.ztohoven.com/manifest/ok_de.html, am 01.12.2011

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200 The Yes Men, „Dow does the Right Thing“, 2004 201 The Yes Men, „Halliburton Solves Global Warming!“ („SurvivaBall“), 2006 202 The Yes Men, „Beyond the Golden Parachute“, Tampere Schweden, 2001 203 The Yes Men


3. Parasiten, Hacker und Guerilla 3.3. Der Guerillero   |  3.3.2. Zusammenfassung

3.3.2. Zusammenfassung Interventionen im öffentlichen Raum, die der Guerilla zugeordnet werden, zeichnen sich durch ein manipulativ-sabotierendes Vorgehen aus. Eine Hauptstrategie ist das Fake. Dem Fake wiederum unterliegen andere Taktiken, die oft eine Mischung aus den parasitären und hacktivistischen darstellen. Vor allem die parasitäre Taktik der Imitation, die immer mit Verkleidung und Tarnung verbunden ist, liegt dem Fake inne. „The Yes Men“ sind bei vielen ihrer Projekte Paradebeispiele für GuerillaKommunikation, weil sie in ihrem Vorgehen Guerilla-Taktiken vereinigen. In „Art and Agenda. Political Art and Activism“ werden ihre Interventionen als Guerilla Kommunikation in Nadelstreifen297 betitelt. Ihre politischen Aktionen sind mittlerweile weltbekannt. Sie sind als vermeintliche Repräsentanten für etliche globale Großkonzerne aufgetreten und haben während ihren Präsentationen sogenannte „identity corrections“ vorgenommen. Diese führen sie an Tagungen einflussreicher Unternehmen oder sogar im Fernsehen durch, in Form von absolut übertriebenen Bekanntmachungen oder absurden Kampagnen. Am 3. Dezember 2004, dem 20. Jahrestag der Katastrophe von Bhopal, erschien Bichlbaum als Vertreter von Dow Chemical im BBC World Channel und entschuldigte sich offiziell für den von Dow Chemical verursachten Unfall und sicherte den Opfern den vollen Schadensersatz zu. Die Dow-Aktie sank nach der Ankündigung sofort dramatisch. Zwar flog der Fake schnell auf, doch hatten sie eines ihrer Ziele erreicht, und zwar den Vorfall - an dem 25 000 Menschen gestorben sind und 500 000 schwer verletzt wurden wieder ins Gedächtnis zu rufen und so die öffentliche Meinung wieder dafür zu interessieren.298 In anderen Aktionen präsentierten sie auf diversen Tagungen die absurdesten Vorschläge, um die Unternehmen vorzuführen. Zu den Tagungen wurden sie immer offiziell eingeladen, da sie Fake-Webseiten ins Netz stellten, die denen der Originale zum verwechseln ähnlich waren. 2001 präsentierten sie einen goldenen Anzug, der der Arbeitseffizienz in Sweatshops dienen sollte. 2006 posierten sie als Vertreter des Militärlieferanten Halliburton. Sie stellten dem Publikum den „SurvivaBall“– einen ulkigen, runden Anzug für reiche Geschäftsmänner – vor, der sie vor der Klimaerwärmung schütze und auf einem anderen Vortrag bewarben sie mit Maskottchen „Gilda, the Golden Skeleton“ einen neuen Industriestandard, der festlegte wieviele Todesfälle in einem Betrieb akzeptabel sind, um einen größtmöglichen Gewinn zu erzielen.

297  Orig.: „guerilla communication in pinstripes“, Siehe Art & Agenda, S.72 298   Vgl. Art & Agenda, S.72

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Matrix


3. Parasiten, Hacker und Guerilla 3.4. Matrix   |  3.4.1. Methode  |  3.4.2. Analyse

161 3.4. Matrix 3.4.1. Methode In der folgenden Gegenüberstellung werden die Beispiele aus dem Kapitel der Parasiten, Hacker und Guerilla in eine tabellarische Ordnung gebracht. Die Einordnung folgt im ersten Schritt dem Aufbau der Kapitel über die Parasiten, Hacker und Guerilla. Die Beispiele werden, in der gleichen Reihenfolge, in der sie in der Thesis auftauchen, aufgelistet und den Taktiken zugeordnet in denen sie belegt wurden. Im zweiten Schritt wird jedes Fallbeispiel losgelöst von den Rollenmodellen betrachet, um zu analysieren welche Taktiken am häufigsten Verwendung finden.

3.4.2. Analyse (1) Auflistung der Beispiele (2) Tabellarische Gegenüberstellung (3) Auswertung


3. Parasiten, Hacker und Guerilla 3.4. Matrix   |  3.4.2. Analyse  |  3.4.2.1. Auflistung der Beispiele

162 Schmarotzen / Ausnutzen Sich an Bestehendes heften oder sich darin einnisten. T/01

Der Parasit

Erweitern Materielles Hinzufügen von Farben/ Objekten. T/02

Imitieren Nachahmen. Durch Tarnung/ Camouflage. T/03

Erforschen Erforschen von Gegebenem und Umgebendem. T/04

Spielen Geschicktes Einführen von neuen Elementen nach Exploration. Witz/Ironie.

Der Hacker

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Zweckentfremden / Umdeuten Aus gewohntem Kontext nehmen und in neuen setzen. T/06

Rückführen & Radikalisieren Auf ursprüngliche Zweckbestimmung zurückführen & diese hervorheben/bereinigen. T/07

Manipulieren Meinungslenkung durch Eingriff.

T/08

Der Guerillero

Sabotieren Bewusste Störung oder Behinderung durch Verfälschung oder verzerrte Darstellung. T/09

Faken Inszenierung von Fälschungen mit bewusstem Ziel der Aufdeckung. T/10


3. Parasiten, Hacker und Guerilla 3.4. Matrix   |  3.4.2. Analyse  |  3.4.2.1. Auflistung der Beispiele

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3. Parasiten, Hacker und Guerilla 3.4. Matrix   |  3.4.2. Analyse  |  3.4.2.2. Tabellarische Gegenüberstellung

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3.4.2.2. Tabellarische Gegenüberstellung

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O: Kennzeichnet die Beispiele, die für die Taktik eingeführt wurden X: Kennzeichnet die Takitken, die in der abschließenden Betrachtung ebenfalls auf die Intervention zutreffen


3. Parasiten, Hacker und Guerilla 3.4. Matrix   |  3.4.2. Analyse  |  3.4.2.3. Auswertung

3.4.2.3. Auswertung In der Gegenüberstellung soll deutlich werden, was die kontemporären Interventionen gemeinsam haben. Wie bereits am Anfang des Kapitels erwähnt sind die Interventionen Hybride aus den einzelnen Taktiken und die Rollenmodelle und deren Taktiken erweiterbar. (1) Die Taktik (T/07) der Rückführung und Radikalisierung, die zwar als eine der Hauptmethoden der Hacker, bei Düllo und Kiel herausgebildet wurde, trifft bei den wenigsten Interventionen zu. Diese ist eher ein Usability-Prinzip und wird selten im Bereich künstlerischer Intervention angewandt. (2) Das Schmarotzen und Ausnutzen (T/01), hervorgegangen aus dem Rollenmodell des Parasiten, und die aus den Guerilla-Taktiken herausgearbeitete Manipulation (T/08) wohnt jeder Intervention inne. In allen Fällen existiert eine Art „Wirt“, der ausgenutzt wird. Situationen, Objekte, Medien und Ideen können dabei Wirte sein und zur Basis der Intervention konvertiert werden. Das Ausnutzen und der Eingriff der überlegenen Strukturen schließt ein manipulatives Verhalten ein. (3) Das als Eigenschaft des Hackers aufgeführte Spiel (T/05) im Zusammenhang mit der Exploration (T/04) stellt ebenfalls eine Grundvoraussetzung der künstlerischen Eingriffe in den öffentlichen Raum dar. Erforschen und Spielen ist sozusagen die Grundvoraussetzung für künstlerisches Schaffen schlechthin, das jeder kreativ-innovativen Handlung vorausgeht. Vor jeder künstlerischen Intervention werden Territorien erforscht und erkundet und weiter spielerisch mit den aus der Exploration resultierenden Ergebnissen gehandhabt, um so neue Kommunikationssituationen zu schaffen. (4) Die Taktiken, die charakteristisch für die meisten Interventionen sind, sind die der Erweiterung (T/01), die Imitation (T/03), die Zweckentfremdung und Umdeutung (T/6), die Sabotage (T/09) und das Fake (T/10). Diese vier gehen als direkt anwendbare Haupttaktiken aus der Analyse hervor. Wobei das Fake Taktiken wie Imitation oder Zweckentfremdung einschließen kann. Das bedeutet jedoch nicht das diese im Fake münden müssen, sondern sie sind als für sich stehende Strategien ernst zu nehmen. Subsumierend bedeutet das, dass jede künstlerische Intervention im öffentlichen Raum, die im Kontext parasitärer, hacktivistischer und Guerilla Strategien untersucht wurde, eine spielerische Erforschung von Gegebenem oder Umgebenden umfasst und parasitär-manipulativ wirkt.

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Fazit


4. Fazit

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4. Fazit In der schlussfolgernden Betrachtung beider Hauptkapitel manifestieren sich weitere Erkenntnisse, die die Interventionisten und ihre Werke und Vorgehensweisen kennzeichnen: Infiltration, Inferiorität, Illegalität, Appropriation und Adaption, Kontextualität, Temporalität, sowie Rebellion. Die Infiltration ist zum einen aus den Rollenmodellen abzuleiten. Allen drei Modelle sind vorerst negativ konnotiert. Mit Parasiten, Hackern und Guerillakämpfern wird eine gemeine und hinterhältige Herangehensweise assoziiert, die immer mit Unterwanderung eines Systems oder eines Organismus verbunden wird. Wobei die Unterwanderung auf schleichende und unauffällige Weise von Statten geht. Die Infiltration stellt allgemein „eine Methode des getarnten politischen Kampfes [dar], [sie] umfasst das geheime Eindringen von Agenten oder das verdeckte Einschleusen von Ideen, Meinungen und (oft absichtlich falschen) Informationen zur personellen Unterwanderung, zur Ausforschung oder zur politisch-ideologischen Beeinflussung eines gegnerischen Staates oder einer rivalisierenden Organisation.“299

Die

zeitgenössischen Interventionen im öffentlichen Raum finden auf der Basis der Infiltration statt, das bestätigt auch die aus der Matrix gewonnene Erkenntnis, dass den untersuchten Interventionen ein parasitär-manipulatives Wesen einverleibt. Zudem liegen die Motivationen der Akteure im politischen, sozialen und gesellschaftskritischen Feld: Sie fordern bestehende, festgesetzte Normen heraus, kämpfen mit kreativen Mitteln gegen ein System. Führen Störungen in dieses ein und reanimieren damit avantgardistisches Gedankengut, das unter anderem in der Untergrabung bestehender Systeme wurzelt. Doch die Strukturen, die sie provozieren, stellen einflussreiche Gegner dar. Diese übermächtigen Systeme, Festschreibungen und Räume, in die die Künstler und Aktivisten eingreifen, zwingen den Interventionisten einen Status der Inferiorität auf. Sie werden scheinbar zu unterlegenen Kriegern degradiert, was sie dazu nötigt manipulative und subversive Modelle zu nutzen. Viele Formen weisen Unfolgsamkeit oder Ungehorsam gegenüber bereits bestehenden, dominierenden räumlichen und sozialen Praktiken auf. Oftmals agieren sie dabei auf illegaler Ebene. Illegale Interventionen und urban-space-sculptures stellen sich gegen den Funktionalismus und sprechen sich dafür aus, diejenigen, die ausgeschlossen wurden, wieder zu integrieren. Ihre Kunst will das System wie einen Virus infizieren, es demolieren und verändern. Innerhalb der kritisierten Systeme verhalten sich die Künstler wie Parasiten, sie wissen dass sie den Wirt nicht töten können, aber sie attackieren den Organismus, um ein wenig Chaos in ihm zu verbreiten. Die Künstler haben akzeptiert, dass sie dem Kapitalismus

299  Siehe http://www.brockhaus-enzyklopaedie.de/be21_article.php#5, am 19.01.2011


4. Fazit

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nicht entfliehen können, deswegen operieren sie aus dem Inneren gegen das System mit Ironie und Subversion.300 Die Taktiken, die in den intervenierenden Prozessen Verwendung finden, basieren auf Appropriation und Adaption. Aneignung und Anpassung stellen wirkungsvolle Werkzeuge kritischer Praxis dar, da sie schon vorhandene Mechanismen als Grundlage weiterer Aktionen und Attacken nutzen können. Durch Zweckentfremdung, Erweiterung, Nachahmung, Sabotage und Fake werden die Ursprungsbotschaften des in Besitz ergriffenen Gefüges für den eigenen Zweck instrumentalisiert. Dabei sind die Interventionen in ihrer Konzeption vom Kontext der räumlichen und strukturellen Gegebenheiten abhängig. Die Interventionen sind an konkrete Umstände gebunden. Dies kann die Fixierung an einen bestimmten Ort oder ein Medium sein oder aber auch an vorgegebene soziale Strukturen. Die künstlerischen Eingriffe machen nur in ihrem vorgesehenen Kontext Sinn, werden sie diesem entrissen geht das kommunikative Ziel der Intervention verloren. Das ist ferner ein Grund warum die klassische Vermittlung in Museen in Bezug auf diese Art von künstlerischer Handlung nicht einwandfrei funktionieren kann. Vor allem auch weil sie durchgehend einen temporären Charakter aufweisen. Sie sind keine musealen Gebilde, die für die Nachwelt konserviert werden, sondern vergänglich. Sie manifestieren sich im Moment und der Situation. Der Rezipient wird in den meisten Fällen von der intervenierenden Aktion überrascht oder irritiert. Er hat keine Entscheidungskraft darüber wann, wo und ob er ihr begegnet. In manchen Fällen wird er sogar in die Rolle eines aktiven Teilnehmers gezwungen, dem Rezipienten ist es nicht möglich bewusst über den Konsum einer Intervention zu verfügen. „Die Kunst ihrerseits setzt ihr Potential als Störung, Unterbrechung, als Durchkreuzung und Verschiebung oder als Gestus des Widerspruchs ein.“301 Im abschließenden Teil der Thesis ist deren Anfang wieder ins Gedächtnis zu rufen. Durch die intensive Auseinandersetzung mit dem Phänomen kontemporärer künstlerisch intervenierender Praxis in öffentlichen Räumen entstand der Eindruck, diese sind nur sehr bedingt theoretisch untermauert und schon gar nicht klar definiert. Es existieren etliche Plattformen, die sich mit Künstlern und Akteuren der Szene beschäftigen, diese stellen aber lediglich Ansammlungen an Beispielen dar, die weder spezifisch charakterisiert sind, noch den Versuch wagen eine allgemeingültige Klassifizierung oder gar analytische Einordnung aufzustellen. In letzter Zeit nehmen Publikationen und auch Ausstellungen zu, die die Bewegung zu fassen und zu vermitteln versuchen. Die Kriterien, die dabei aufgestellt werden, sind aber nur oberflächlich definiert

300   Vgl. Bieber: „I revolt, therefore I am“, in Klanten, Hübner (Hrsg.): „Political Art and   Activism.“, S.53 301 Siehe Bianchi: „Res Publica 2.0. Stadkunst als Text, Bild, Klang.“,    in Kunstforum Bd. 212, S.30


4. Fazit

und inspirieren dazu sie weiterzudenken. Zahlreiche Autoren und Beobachter, sowie Akteure der Szene benennen zum einen wiederholt die Vermutung einer Vorreiterschaft künstlerischer Avantgarden, und zum anderen berufen sie sich in der Benennung der Strömung auf die drei Rollenmodelle der Parasiten, Hacker und Guerilla, was mir einen Grundstein für diese Auseinandersetzung legte. Vor diesem Hintergrund entstanden die zwei Hypothesen: (1) Die Avantgarden in der Kunst, die schon immer Vorbilder zur Umwälzung von bestehenden und festgefahrenen Systemen waren und durch den Bruch mit Altem und Traditionellem künstlerische Revolutionen hervorriefen, liefern Grundlagen das zeitgenössische Phänomen untersuchen und anschließend besser verstehen zu können. Die Akteure der aktuellen Strömung um die öffentlichen Eingriffe nehmen Avantgarden auf, überdenken und erweitern diese auf mannigfaltige Arten. (2) Mit der Analyse von Charakteristiken und Taktiken der Parasiten, Hacker und Guerilla, kann eine wissenschaftliche Einordnung der behandelten Problemstellungen abgeleitet werden. Ihre Taktiken liefern Grundlagen zur Klassifikation der verschiedenen Interventionen. Die in der Einleitung vordefinierten Ziele beriefen sich erstens auf die Schaffung eines Überblicks über die urbane Kunst und kreativ-intervenierender Projekte im öffentlichen Raum und zweitens auf die Erarbeitung einer wissenschaftlichen Grundlage für eine kunstgeschichtliche Einordnung durch exemplarischen Vergleich in Kombination mit der Analyse der Rollenmodelle. Im ersten Hauptteil der Thesis wurde das Wesen der Avantgarde beleuchtet, sowie eine signifikante Auswahl an kunsthistorischen Vorläufern erläutert und mit Beispielen belegt, wobei eine Analyse und exemplarische Aufbereitung der Rollenmodelle des Parasiten, Hackers und Guerilleros unternommen wurde. Die Vielzahl der untersuchten Beispiele künstlerisch intervenierender Praktiken, erfüllt das anfänglich definierten Ziel, einen Überblick über Akteure und Aktionen der Szene zu verschaffen. Meine Untersuchung der verschiedenen Positionen ist in diesem Zusammenhang jedoch erweiterbar. Die neue Generation von Künstlern, die es sich zur Aufgabe gemacht hat den öffentlichen Raum auf der Basis des demokratischen Denkens als Leinwand, Labor, Diskussionsforum und Spielplatz zu nutzen, ist weniger progressiv, wie es vorerst den Anschein hat. Die Protagonisten der Bewegung weisen, wie die Gegenüberstellung zeigt, viele Analogien zu kunsthistorischen Avantgarden und Konzepten kultureller Vermittlung auf. Die Avantgarden des 20. Jahrhunderts waren definitiv ideelle und inspirationsstiftende Vorläufer zeitgenössischer Interventionisten. Sie haben wegweisende und sogar

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4. Fazit

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sinngebende und vordenkerische Leistungen erbracht und eine breite Palette an Ausdrucksformen und Strategien entwickelt, ihre Ideen und Ideologien umzusetzen und alle erdenklichen Medien für die künstlerische Nutzung erschlossen. Weder das Agieren in öffentlichen Räumen, noch politische oder urbane Kritik, rebellischer Interventionismus, situativer und performativer Aktionismus, soziale Projekte oder partizipative Happenings, sind in der künstlerischen Produktion eine Neuheit. Dies bestätigt die erste These. Insofern stellt sich die Frage warum das Phänomen um die kulturellen Hacker, Kommunikationsguerilleros und Kunstparasiten aktuell zunehmend intensiv diskutiert und reflektiert wird und weiter welche Ursachen die immense Popularität der Bewegung hat. Ein Auslöser sind unbestritten die von der Urban Art malerischen Personifizierungen des urbanen Raumes: Graue Häuserfassaden verwandeln sich in schillernde Fabelwesen und schäbige Mülleimer in lachende Vielfraße. Das gesamte funktionalistische Stadtinterieur wird vermenschlicht. Der Wunsch nach Umgestaltung des Lebensraumes entspringt allerdings nicht nur dem Drang kindliche Maltriebe zu befriedigen, sondern gipfelt im Streben einer allgemeinen Zurückgewinnung öffentlicher Räume, die durch Kommerzialisierung, Gentrifizierung und Ökonomisierung dem Kleinbürgertum entrissen wurden. Die Künstler und Aktivisten unternehmen den Versuch diesen Entwicklungen entgegenzuwirken. Ihre Motivationen basieren auf dem utopischen Wunsch einer besseren Gesellschaft – und hier bewegen sie sich ganz eindeutig in Beuys Fußstapfen nach dem Modell der Sozialen Plastik. Durch ihr Agieren in öffentlichen Sphären erreichen sie größtmögliche Aufmerksamkeit. Die Ausweitung des öffentlich-physischen Raumes auf den virtuellen ist ihnen dabei höchst dienlich. Nicht nur aus Gründen der Repräsentation und Selbstpublikation, sondern vor allem wegen den organisatorischen Möglichkeiten und dem Prinzip viraler Verbreitung. Die kontemporären Interventionisten haben die Möglichkeit ihre temporären Aktionen und ortsspezifischen Werke auf Bildträgern festzuhalten und diese unabhängig von Zeit und Ort mit der ganzen Welt zu teilen und sich zeitgleich vom Rest der Welt inspirieren zu lassen. Spontane Aktionsformen werden in anderen Ausmaßen möglich. Doch so umfangreich die Formen ihrer künstlerischen Methoden sind, so zerstreut ist auch die Bewegung. An diesem Punkt setzt die Überprüfung der zweiten These an. Die aus den Rollenmodellen gewonnenen Erkenntnisse ermöglichen eine Charakterisierung der Interventionen, die sich durch spielerische Exploration und parasitär-manipulative Wirkungsweisen kennzeichnet. Zudem wurden fünf Haupttaktiken der Interventionisten erarbeitet, die es ermöglichen die Funktionsmechanismen der künstlerischen Interventionen besser begreifen zu können.


4. Fazit

Meine anfängliche Faszination für die in der Öffentlichkeit intervenierenden Künstler und kreativen Aktivisten intensivierte sich im Arbeitsverlauf, da das weite Feld um die weltverbesserischen Interventionisten eine enorme Breite an Bereichen des gesellschaftlichen und sozialen Lebens abdeckt. In der Auseinandersetzung eröffneten sich eine Vielzahl an Möglichkeiten den Diskurs weiterzuführen und zu verfeinern. Die Betrachtung auf die kunstgeschichtlichen Vorreiter könnten, nicht nur mit der Ergänzung weiterer Bewegungen, sondern auch im Sinn und der Frage nach heutiger Existenz von Avantgarde untersucht werden. Der öffentliche Raum vor allem in seiner Ausweitung auf den virtuellen birgt andere spannende Felder, die mir den Anreiz zur Vertiefung geben. Die Auseinandersetzung mit den Künstlern, die sich im öffentlichen Terrain einschreiben, führt auch zu einer alternativen Anschauung von urbanen Räumen – die Stadt und jeder Eingriff in ihr wird anders wahrgenommen, gelesen und gedeutet. Am Beispiel der Interventionisten wird deutlich wie eine verspielte Revolution der Welt angezettelt werden kann. Dabei spielt es eine untergeordnete Rolle, ob sie sich die Avantgarden – bewusst oder unbewusst – zu Nutzen machen. Ihr Anliegen ist es durch ihre Eingriffe unsere gemeinsamen Lebensbereiche zu verschönern und umzugestalten, bestehende Strukturen zu kritisieren und öffentliche Räume für den demokratischen Diskurs neu zu öffnen.

173




Literatur & Quellen


5. Literatur- und Quellenverzeichnis

Hauptliteratur

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181


5.窶キiteratur- und Quellenverzeichnis

182

http://bleklerat.free.fr/ Abb. 81, 82, 83, 84 http://www.juliusvonbismarck.com/ Abb. 169, 170, 171, 172, 173, 144 http://datenform.de/ Abb. 175, 176, 177, 178, 179, 180, 181, 182 http://www.banksy.co.uk/ Abb. 88, 89, 90, 91, 92 https://www.facebook.com/florianriviere Abb. 110, 111, 112, 113, 152,, 153, 154, 155 http://www.0100101110101101.org 158, 159, 160 http://improveverywhere.com/ 165, 166, 167, 168



Anhang



Fallbeispiele



Aram Bartholl „Speedshop“ http://datenform.de

Aram Bartholl „1h“ http://datenform.de

Aram Bartholl „Dead Drops“ http://datenform.de

Aram Bartholl „Chat“ http://datenform.de

Liesbet Bussche „Urban Jewelry“ http://www.liesbetbussche.com

Aram Bartholl „Highscreen“ http://datenform.de

Liesbet Bussche „Urban Jewelry“ http://www.liesbetbussche.com

Liesbet Bussche „Urban Jewelry“ http://www.liesbetbussche.com



Julius von Bismarck „Self Revolving Torus“ http://www.juliusvonbismarck.com

Julius von Bismarck „Public Face II“ http://www.juliusvonbismarck.com

Bronco http://www.flickr.com/photos/aguycalledbronco

Bronco http://www.flickr.com/photos/aguycalledbronco

Brad Downey „Tarp Cut“ http://www.braddowney.com/

Brad Downey „Advertising column cover“ http://www.braddowney.com/

Brad Downey „Paving Slab Pry Stack“ http://www.braddowney.com/

Brad Downey „Pavement pry sand stack“ http://www.braddowney.com/



Elfo „Homeless Carton“ http://elfostreetart.blogspot.com/

Elfo „Anarchist free kit“ http://elfostreetart.blogspot.com/

Elfo „Resistanace II“ http://elfostreetart.blogspot.com

Elfo „Last Interview“ http://elfostreetart.blogspot.com

Elfo „Birds“ http://elfostreetart.blogspot.com

Elfo „Street Barber“ http://elfostreetart.blogspot.com

Elfo „Guerilla Cleaning“ http://elfostreetart.blogspot.com

Elfo „Selfportrait“ http://elfostreetart.blogspot.com



Gilberto Esparza „Urban Parasite: dblt“ http://www.parasitosurbanos.com

Ron English „Cloud“ http://www.popaganda.com

Gilberto Esparza „Urban Parasite: Clgd“ http://www.parasitosurbanos.com

Gilberto Esparza „Urban Parasite: Mosca“ http://www.parasitosurbanos.com

EVOL „laborer lockers“ www.evoltaste.com

Gilberto Esparza „Plantas Nomadas“ http://www.plantasnomadas.com

Cayetano Ferrer „Western Imports“ www.cayetanoferrer.com

Pawel Ferus „Raucherabteil“ www.tony-wuethrich.com



Improve Everywhere „Say Something nice“ http://improveverywhere.com

Improve Everywhere „Carousel Horse Race“ http://improveverywhere.com

Improve Everywhere „Frozen Grand Central“ http://improveverywhere.com

Improve Everywhere „No Pants Subway Ride“ http://improveverywhere.com

Improve Everywhere „Black Tie Beach“ http://improveverywhere.com

Improve Everywhere „High Five Escalator“ http://improveverywhere.com

Improve Everywhere „Human Mirror“ http://improveverywhere.com

Improve Everywhere „Mall Santa Musical“ http://improveverywhere.com



Mark Jenkins „Conehead“ http://xmarkjenkinsx.com

Mark Jenkins o.T., Washington http://xmarkjenkinsx.com

Mark Jenkins „Trashgirl“ http://xmarkjenkinsx.com

Mark Jenkins „Under the rainbow“ http://xmarkjenkinsx.com

Mark Jenkins „Lawn“ http://xmarkjenkinsx.com

Mark Jenkins o.T., London http://xmarkjenkinsx.com

Zlatko Kopljar „K9 Kompassion“ www.kopljar.net

David Kerr „Facebook after Google Plus“ http://www.davidpeterkerr.com



Luzinterruptus „Deadly wounded advertisments“ www.luzinteruptus.com

Luzinterruptus „Winged tree“ www.luzinteruptus.com

Luzinterruptus „An urban sea“ www.luzinteruptus.com

Luzinterruptus „Drinking water running through the streets“ www.luzinteruptus.com

Luzinterruptus „Urban Nests“ www.luzinteruptus.com

Luzinterruptus „Under nuclear threat“ www.luzinteruptus.com

Luzinterruptus „Urban Hemorrhage“ www.luzinteruptus.com

Luzinterruptus „Trap for Mosquitos“ www.luzinteruptus.com



Mobstr „Just a brick“ www.mobstr.org

Mobstr „Money Subversion“ www.mobstr.org

Mobstr „Rabbit Crossing“ www.mobstr.org

Mobstr „Good Idea?“ www.mobstr.org

Mobstr „This is not supposed to be here“ www.mobstr.org

Mobstr „CCTV Tree“ www.mobstr.org

Mobstr „Rebel Shadow“ www.mobstr.org

Mobstr „Temporarily out of order“ www.mobstr.org



Mr Talion „Dangerous Burger Area“ http://www.flickr.com/photos/31192713@N03

Mr Talion „Catch the bug“-Shopdropping http://www.flickr.com/photos/31192713@N03

Mr Talion „Hopscotch“ http://www.flickr.com/photos/31192713@N03

Mr Talion „Musca Domestica“ http://www.flickr.com/photos/31192713@N03

Ne Spoon „Scrabble Project I“ www.nespoon.blogspot.com

Mr Talion & Epoxy „Event Cancelled“ http://www.flickr.com/photos/31192713@N03

Ne Spoon „Scrabble Project II“ www.nespoon.blogspot.com

Ne Spoon o.T. www.nespoon.blogspot.com



Parasites #2: The WA http://www.para-sites.de

Parasites #1: Encastrable http://www.para-sites.de

Parasites #4: Bronco http://www.para-sites.de

Parasites #3: Ondrej Brody & Kristofer Paetau http://www.para-sites.de

Posterchild „Flirting on the Subway Guide“ http://www.bladediary.com

Pochoir „Riot (London)“

Posterchild „Snow Ball Darts“ http://www.bladediary.com

Posterchild „Planterbox“ http://www.bladediary.com



Florian Rivière „Guerilla urbaine #1: sélection naturelle“ https://www.facebook.com/florianriviere

Florian Rivière „Chasse Urban“ https://www.facebook.com/florianriviere

Florian Rivière „Meubles“ https://www.facebook.com/florianriviere

Florian Rivière „l‘horodateur décapsuleur“ https://www.facebook.com/florianriviere

Vladimir Turner „House of Cards“ http://www.sgnlr.com

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Vladimir Turner „Windows“ http://www.sgnlr.com

Vladimir Turner „Tree“ http://www.sgnlr.com



Upper Space „The Home Project II“ http://www.upper-space.org

Julie Tremblay „Everything that happens“ www.julietremblay.net

Upper Space „The big issue“ http://www.upper-space.org

Upper Space „The Home Project II“ http://www.upper-space.org

Tony Weingartner „Instinct to survive“ http://isneyland.fr

Tony Weingartner „Heilex“ http://isneyland.fr

Tony Weingartner „Peinture - Sculpture populaire“ http://isneyland.fr

Tony Weingartner „Naufrage“ http://isneyland.fr




Danke! Ein herzliches Dankeschön gilt vor allem meinem betreuenden Professor Eberhard Schlag, sowie Professor Andreas Bechthold. Weiter möchte ich mich bei den lieben Erzeugern bedanken, sowie meiner Korrekturleserin und geistigem, sowie emotionalem Beistand Maria Dannecker. Ohne euch hätte ich das halbe Jahr Arbeit an der Thesis nicht so gut durchgestanden. Merci.

Ehrenwörtliche Erklärung Ich versichere ehrenwörtlich durch meine Unterschrift, dass ich die hier vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe angefertigt habe. Alle Stellen, die ich wörtlich entnommen habe, sind als solche kenntlich gemacht. Die Arbeit hat in dieser oder ähnlicher Form noch keiner anderen Prüfungsbehörde vorgelegen.

Yulia Yanenko, Berlin, den 05.02.2012





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