Online-Ausgabe 11, ET 27.06.2020

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Brennglas Corona

Jetzt geht es aber App

Laschets Politik

Die deutsche Corona-App

Den Feind zum Freund machen, ist die Devise von NRW- Ministerpräsident Armin Laschet. Er sieht sogar im größten Corona-Ausbruch des Landes eine „riesige Chance“. Weil endlich ans Licht kommt, was alle, inklusive Laschet, seit Jahren schon wussten, aber nix dagegen taten. Seite 2

Selbst kritische Geister wie aus dem „Chaos Computer Club“ haben wenig rumgemeckert an der Daten-Sicherheit der neuen deutschen Corona-App. Die Probleme könnten eher im gefühlten Bereich liegen, etwa beim mühsamen Weg, eine eigene Infektion zu melden. Seite 4

Corona-Kreise sind unrund! Es zeigt sich, dass es eine zweischneidige Sache ist, wenn Corona in den Landkreisen bekämpft werden soll. Denn aus Sicht der Betroffenen ist es eine grobe Benachteiligung. Aus Sicht anderer kommt dort der Lockdown zu spät. Von Michael Zäh

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it dem Kreis ist es eine unrunde Sache. Als der allgemeine Lockdown nach fast acht Wochen vom Bund und den Ländern runter gefahren wurde, schien es eine plausible Idee, künftige Corona-Ausbrüche gezielt dort zu bekämpfen, wo sie auftreten. Dafür wurde sogar eine Formel gefunden: Wenn in einem Landkreis mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen gemeldet werden, dann soll auf Kreisebene ein Lockdown verhängt werden – und nicht gleich für ein ganzes Bundesland oder gar erneut für ganz Deutschland. Das fühlte sich nach Aufatmen an. So ungefähr wie nach einem Großbrand, der unter Kontrolle gebracht wurde und wo in der Folge die Feuerwehr nur noch ein paar Glutnester rechtzeitig entdecken und löschen muss. Da es zuvor ja im ganzen Land eine verheerende wirtschaftliche, soziale, kulturelle Verwüstung gab, schien die neue Formel den Weg frei zu machen, dass fast überall mit den Aufräumarbeiten begonnen werden kann. Außer in den Kreisen, wo ein Corona-Glutnest aufflammt. Aber was ist schon so ein Kreis, im Verhältnis zu ganz Deutschland? Nun ja, das war alles nur Theorie. Bis nun in Nordrhein-Westfalen erstmals der Ernstfall eintrat. Dort verhängte Ministerpräsident Armin Laschet für den Kreis Gütersloh und sein Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann für den Nachbarskreis Warendorf den erneuten Lockdown, zunächst bis Ende Juni. Rund 650.000 Menschen, die in diesen beiden Kreisen leben, werden zurück geworfen auf die Zustände,

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die im März, April bis in den Mai in ganz Deutschland herrschten, quasi: nix geht mehr. Die restlichen 79,4 Millionen Deutschen aber nicht. Und wer das Pech hat, in diesen Kreisen ein Kino, ein Museum oder ein Fitness-Studio zu betreiben, kann schon wieder zumachen, wo er doch gerade mit der Aufholjagd beginnen wollte. Ab sofort ist Deutschland so zu einer Art Pokerspiel geworden. Dabei hat schlechte Karten, wer in einem Kreis lebt, in dem es eine Großschlachterei gibt. Können aber wahlweise auch andere Risiken sein. Klar ist aber, dass die Betroffenen sich vorkommen, als würden sie nur Kreisliga spielen und nicht mehr Teil der Bundesliga sein. Wo in den Schockwochen des allgemeinen Lockdows in Deutschland, Europa und der Welt immerhin die Solidarität herrschte, dass es ja

alle trifft, ist es nun so, dass nur die Pechvögel der Nation nix dürfen, während alle anderen wieder in die Hände spucken, also sprichwörtlich gemeint, weil hygienisch natürlich nicht angesagt. Nun kommt noch hinzu, dass die Bewohner der beiden Kreise wissen, dass der massive Ausbruch beim Fleischereibetrieb Tönnies auftrat, wo allein 1553 Mitarbeiter mit dem Corona-Virus infiziert sind. Das scheint zwar einerseits eine beruhigende Nachricht, weil sich das Geschehen eingrenzen lässt. Doch nur im Kopf und nicht in der Wirklichkeit. Denn gleichzeitig ist es das größte Infektionsgeschehen in ganz Deutschland. Und kein Mensch kann heute sagen, wieviele Leute sich ihrerseits von den Infizierten angesteckt haben. So ist es also ein Blick von zwei Seiten auf das Modell „Landkreise“.

Aus Sicht derer, die sich überall in Deutschland aufmachen, um sich die Wunden zu lecken, darf es nicht wahr sein, wie zögerlich Laschet und Co. den Lockdown für die betroffenen Kreise verhängten. Denn aus diesem Blickwinkel steht im Vordergrund, dass dann alle überall in Deutschland für ein solches Versäumnis haften müsen. Aus Sicht der Kreisbewohner ist es umgekehrt so, dass sie sich gleich mehrfach benachteiligt fühlen. Da wäre zum Beispiel der Urlaub, da die Sommerferien beginnen. Prompt haben mehrere Bundesländer den Urlaubern aus dem Kreis Gütersloh die Anreise verboten. Batsch! Laschet hat betont, dass es kein Ausreiseverbot für die Kreise gebe. Also: Wem der Lockdown zu blöd ist, der geht dorthin, wo Kreise noch rund sind, mit Kino und Kneipe.

Liebe Leserinnen und Leser, wir haben die Zeit während der „Corona-Pause“ genutzt, um Ihnen ein zusätzliches Angebot machen zu können. Wer Lust und Zeit hat, findet (und fand bereits in den letzten Wochen) auf unserer Homepage unter www.zas-freiburg.de JEDEN SAMSTAG unsere Online-Ausgabe der ZaS, also ein paar aktuelle Essays und News, was insgesamt ein ganz spezielles Corona-Tagebuch der ZaS ergibt. Diese Texte sind für Sie immer am Samstag nur einen Klick weit entfernt, und zwar ebenso frisch geschrieben und meinungsstark wie sonst auch immer, selbstverständlich ohne Bezahlschranke und so, also gratis. Sagen Sie das auch gerne weiter, denn wir freuen uns über jeden Besucher, der uns online liest. Natürlich gibt es weiterhin wie gewohnt auch die gedruckte ZaS, aber an all den Samstagen dazwischen jetzt eben unser neues Angebot, sozusagen immer am ZaS-Ball zu bleiben, wenn sie es mögen. Die große Frage ist ja, ob wir „Corona“ schon fast besiegt haben. Nach dem Ausbruch in Gütersloh werden wir es bald wissen. Michael Zäh


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Ausgabe 287 am 4. Samstag, 4. April 2020

Das Brennglas für Benachteiligte Corona-Ausbruch bei Tönnies. Armin Laschet, der Ministerpräsident von NRW will sich den Corona-Feind zum Freund machen, um ganz plötzlich jahrelang von ihm geduldete Zustände in der Fleischindustrie anzuprangern. Er nennt das „eine riesige Chance“. Von Michael Zäh

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rmin Laschet sprach jüngst im Düsseldorfer Landtag: „Jetzt haben wir die riesige Chance. Wenn die Pandemie einen positiven Effekt hat, dann doch den, dass sie ein Brennglas auf die Probleme unserer Gesellschaft gerichtet hat.“ Also, da muss man erstmal drauf kommen, im bislang größten CoronaAusbruch in ganz Deutschland die „riesige Chance“ zu sehen. Weil wenn du da nicht drauf kommst, kannst du natürlich nicht CDU-Chef und alsbald Bundeskanzler auch nicht werden. So hat der NRW-Ministerpräsident Armin Laschet also seine Logik vorgeführt, die ihn später zu noch höheren Aufgaben weihen soll. Da kommt nämlich kein Merz und kein Söder mehr mit, wie der Laschet um die Ecke denken kann. Denn seine Logik geht ja so: „Ich mache mir meinen Feind zum Freund.“ Im konkreten Fall ist der Corona-Ausbruch im Kreis Gütersloh, speziell rund um die Tönnies-­ Fleischfabriken

zuerst der Feind, der aber dann zum Freund wird. Weil Brennglas auf die lange Jahre bekannten Arbeitsverhältnisse in den Tönnies-Betrieben. Nun endlich hat man die „riesige Chance“, dank Corona, das zu ändern, was man über Jahrzehnte nicht ändern mochte. Ist doch klar! Ja, man konnte machen nix, bis jetzt Corona zu Hilfe eilte und mehr als 1500 Neuinfektionen binnen weniger Tage, wie soll man sagen: beisteuerte? Und zwar fast alle zunächst einmal bei Tönnies, brennglastechnisch natürlich voll brillant, danke mein Freund! Ach übrigens, als die ersten Fälle von Infektionen bei Tönnies bekannt wurden, hat Armin Laschet noch andere Töne angeschlagen. Reporter fragten quasi auflauernd im Gang vor dem Kanzleramt nach, was denn der bedrohliche Corona-Ausbruch bei Tönnies über die bisherigen Lockerungen in Nordrhein-Westfalen aussagt. Schnelle Antwort Laschet: „Das sagt darüber überhaupt nichts aus, weil Rumänen und Bulgaren da eingereist sind, und da der Virus herkommt.“ Weil das passte damals, vor ein paar Tagen erst, einfach nicht in den Plan, den Laschet in seiner Eigenschaft als oberster Lockerer der Nation hatte. Er war übrigens nicht vor dem Kanzleramt, weil er jetzt schon mal schauen wollte, wie es da so aussieht, sondern


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kam aus einem Gespräch mit seinen Ministerpräsidenten-Kollegen, und er hatte es eilig. Doch gerade deshalb lässt seine Reflex-Antwort, in aller Eile, quasi im Vorübergehen tief blicken. Da hatte der Mann noch keine Zeit gehabt, darüber nachzudenken, wie er seinen liebsten Feind Corona zum Freund machen könnte. Der war ihm als Virus einfach nur lästig. Deshalb Auslands-Import, der mit dem Geschehen in seinem Land gar nichts zu tun hat. Oder vielmehr: Mit seinen Lockerungs-Ideen sollte das alles nichts zu tun haben. Aber klar, das Video seiner Bulgaren/Rumänen-Aussage ging schnell selbst viral. Denn darin lag eine Extraportion Wurstigkeit. Ausgerechnet. Armin Laschet hat sich dafür dann schon auch entschuldigt. Und eine Woche später, als er den erneuten Lockdown für die Kreise Gütersloh und Warendorf verkündet hat, war dann aus den Auslands-Einschleppern das geworden, was sie ja in Wirklichkeit sind: Die Opfer in einer Wegschau-Politik. Und diese lag in den letzten Jahren hauptsächlich in der Verantwortung der Union, im Bund wie im Land NRW. Nun ja, wenn einer wie Laschet in seiner gütlichen Art bald Kanzler werden will, kann er natürlich nicht nur den Feind zum Freund machen (Corona hilf!), sondern muss auch Feinde benennen können, die er schlagen will. Also sagte er im Landtag, dass ja erst nach den Arbeitsmarktreformen der rot-grünen Schröder-Regierung das System der Ausbeutung osteuropäischer Arbeitsmigranten so richtig Fahrt aufnahm. Also ehrlich, wer heute in die Falten von Schröder oder Fischer schaut, der kann erahnen, wieviel Wasser seither auch in Düsseldorf den Rhein runter floss. Und in all der Zeit haben Leute wie Laschet (und alle anderen Politiker, etwa im Kreis Gütersloh) dem riesigen Konzern von Tönnies nur das Beste gewünscht. Schon wegen der Gewerbesteuer und so.

Aber okay, jetzt ist dank Corona ja die „riesige Chance“ da, endlich in Europas größter Fleischfabrik mal die Struktur der unendlich verschachtelten Sub-Sub-Sub-Unternehmer und die daraus resultierenden Zustände offensichtlicher Ausbeutung anzuprangern. Denn mehr ist es ja nicht. Wenn heute Tönnies zum „Feind“ gemacht wird, ist er ja morgen wieder der Freund. Alles andere sind nur maue Worte, um die aufgebrachten Bürger der Kreise aus Gütersloh und Warendorf ein bisschen zu beruhigen, die sich in Geiselhaft sehen und nun stundenlang vor den Testzentren anstehen, um dann mit einem negativen Corona-Test noch in Urlaub fahren zu können. Dazu gehört übrigens auch der fast schon lächerliche Versuch von Laschet, vor einer „Stigmatisierung“

der Bürger aus Gütersloh zu warnen. Was soll so ein Quatsch denn bringen? Wird sich ein Markus Söder in Bayern die warmen Worte seines Lieblingsgegners Laschet so dermaßen zu Herzen nehmen, dass die Gütersloher ungeprüft in Bayern ihren Urlaub verbringen dürfen? Wohl nicht. Dafür hat Söder knapp verkündet, dass man in Bayern nicht so sehr der Lockerungs-Strategie aus NRW huldigt. „Wir in Bayern bleiben vorsichtig“, lautete ein Söder-Tweet in diesen Tagen. Das ist ihm natürlich ein Hochgenuss, weil Corona auch Söder ein guter Freund wurde, indem es nach den Laschet-Lockerungen nun in NRW erneut wütet. Ätschbätsch! Mal von Profilierungsversuchen im Vorfeld der Kanzlerkandidatssuche der Union abgesehen, hat Laschet sogar recht damit, dass durch Corona viele Probleme unserer Gesellschaft(en) grell ausgeleuchtet werden. Das reicht weit über deutsche Politik hin-

aus und lässt sich schon gar nicht in einem innerparteilichen Wettkampf der Union zum Freund machen. Wenn es am Anfang der Pandemie noch das (damals schon idealisierte) Bild gab, dass alle Menschen vor dem Corona-Virus gleich seien, egal ob reich oder arm, ob Macher oder Looser, dann zeigen etliche neuere Studien und fast alle Zahlen, dass es eben nicht so ist. Das reicht von den katastrophalen Zuständen in den USA oder auch Brasilien, über Südafrika bis nach Europa. Immer sind es die sowieso soziel erheblich Benachteiligten, die besonders unter Corona leiden müssen. Unter ihnen finden sich auch die meisten Todesopfer. Corona als „riesige Chance“? Wer es glaubt, soll seelig sein mit Laschet und Co. Wahr ist wohl eher, dass das „Brennglas“ die Benach­ teiligten verbrennt.

IMPRESSUM Herausgeber: Michael Zäh und Christopher Kunz Verlag: Zeitung am Samstag Verlags GmbH, Benzstraße 22, 79232 March. Tel. 07665/93458-0, Fax -286, e-mail: info@zas-freiburg.de Geschäftsführer: Christopher Kunz, Rüdiger van der Vliet Chefredakteur: Michael Zäh (visdp), Tel.: 0170 / 739 17 87, m.zaeh@zas-freiburg.de Grafik, Layout & Herstellung: Viktor Lukanow, @vidocesc; Anzeigen und Verkauf: Michael Metzger (Verkaufsleitung), Tel. 07641 / 967 50 20, anzeigen@zas-freiburg.de

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Corona-Tagebuch | 20. Juni 2020

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Jetzt gehts aber mal App An der deutschen Corona-App wird selbst von kritischen Geistern wie dem „Chaos Computer Club“ wenig rumgemeckert. Die Probleme könnten mehr im gefühlten Bereich liegen, etwa beim mühsamen Weg, eine Infektion zu melden. Von Michael Zäh

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ie deutsche Corona-App ist nun also da. Sie gilt bereits jetzt als Vorzeige-Dings für deutsche Technik in Verbindung mit vorbildlichem Datenschutz. Na ja, dass der amerikansiche Konzern Apple zunächst einmal Druck auf Gesundheitsminister Spahn und Co. ausüben musste, damit die App nicht über einen zentralen Server, sondern dezentral und anonym nur auf den Handys selbst relevante Daten speichert, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Ausgerechnet der Gigant des Datenabgreifens hat so verhindert, dass Daten an deutsche Behörden gehen. Aber geschenkt! Die Corona-App wird auch von kritischen Geistern wie dem „Chaos Computer Club“ wenig bemeckert. Heißt also: Diese App kann man sich runterladen, ohne größere Sorgen haben zu müssen, dass man damit überwacht würde. Und das ist ja tatsächlich des Lobes wert. Denn diese Corona-App kann erheblich dazu beitragen, dass das Virus mehr und mehr eingedämmt werden könnte. Es ist ein kleiner Schritt für einen Nutzer, die App zu aktivieren, kann aber für die Gesellschaft insgesamt einen großen Nutzen bringen. Die eher kuriosen „Probleme“ der App könnten mehr im gefühlten als im technischen Bereich liegen. Da wäre gleich zum Zeitpunkt des Starts das Präventionsparadox, das im Falle der Corona-App darin liegt, dass es derzeit in Deutschland ja nur geringe Infektionszahlen gibt und somit die Wahrscheinlichkeit sehr gering ist, dass die herunter geladene App sich demnächst bei ihren Nutzern mit einem Klingeling Warnhinweis meldet. Dies könnte psychologisch dafür sorgen, dass die App-Nutzer sich gar keine Sorgen mehr machen. Womöglich finden die Leute die App dann sogar überflüssig, weil was nie piept, nun ja, danach kräht auch kein Hahn. Aber okay, da sollte man die Nutzer aller möglichen Apps jetzt auch nicht unterschätzen. Wer hat nicht viele stumme Apps auf seinem Handy, von Yoga bis Sonstwas, die man dann doch nie benutzt. Und für die Corona-App gilt ja immerhin: Wenn die sich nicht meldet ist das selbst schon die gute Nachricht!

Aber klar, man muss hier die Voraussicht der Leute annehmen, dass diese App erst dann wertvolle Dienste erbringen kann, wenn es mit Corona wieder ernst wird, zweite Welle und so, und man dann bei aller Angst und Sorge durch die App dazu beitragen kann, dass es nicht wieder zum absoluten Lockdown kommen muss. Das müsste machbar sein, da die Corona-App keine ist, die man wieder löscht, weil sie derzeit nicht ständig Alarm schlägt. Ein anderes „gefühltes“ Problem könnte da schon eher gewünschte Effekte der App torpedieren. Man kann das Ding nämlich von zwei Seiten betrachten, fast schon ein bisschen Janus und so. Denn der zweigesichtige Gott Janus (aus der römischen Mythologie) gilt als Herrscher von Tür und Tor. Und bei der Corona-App ist es ja so, dass man aus Sicht des Jedermanns und Jederfrau (der/die nicht infiziert ist) nur den Vorteil, sieht, dass man informiert würde, wenn man in der Nähe eines Infizierten war. Aus Sicht dessen allerdings, der schon positiv auf das Corona-Virus getestet wurde, sieht die Sache etwas anders aus. Er kann zwar zum Nutzen seiner Mitmenschen als Infizierter selbst in der App eintragen, dass es eben so ist und damit verschlüsselt alle Handys und deren Besitzer warnen, die zuletzt in seiner Nähe waren. Um einen Missbrauch zu verhindern (also Leute, die hypochondrisch gepolt sind), muss dieser Status aber offiziell bestätigt werden. Das geschieht zum einen über einen QR-Code, den man vom Testlabor erhält. Da jedoch nicht alle Labors in der Lage sind, QRCodes zu generieren, muss der Betroffene eine TAN - also eine Transaktionsnummer - eingeben, die man von einer Telefon-Hotline bekommt. Dort wird man aber erstmal „psychologisch geschult“ ausgefragt, quasi Lügendetektor. Macht das jemand? Eine Hotline anrufen, sich ausfragen lassen, nur um dann per App Mitmenschen zu warnen? Da könnte es menscheln, weil mühsam. Die App ist nur so gut wie sie genutzt wird.


Corona-Tagebuch | 20. Juni 2020

Den Schlüssel behalten Die Bundesrepublik Deutschland steigt mit 23 Prozent für 300 Millionen Euro beim Impfstoff-Entwickler Curevac ein. Das ist ein Signal von Stärke und Entschlossenheit. Von Michael Zäh

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ensch, es gibt Zufälle, das glaubst du gar nicht. Da steigt also an einem Tag die Bundesrepublik Deutschland beim Tübinger Impfstoffentwickler Curevac ein, lässig mit 300 Millionen Euro für 23 Prozent der Firmenanteile, und dann am nächsten Tag wird bekannt, dass deren Antrag auf eine klinische Studie ihres Covid-19-Impfstoffs vom Paul-Ehrlich-Institut genehmigt wurde. Klaus Cichutek, Chef des Paul-Ehrlich-Instituts, des deutschen Bundesinstituts für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel: „Es wurde sehr schnell entschieden.“ Quasi: Nach dem Einstieg des Bundes hat der Bund gleich mal grünes Licht für sein eigenes Investment gegeben. Und ab geht die tolle Fahrt. Böse Zungen behaupten, dass es einen Wettlauf gäbe, nicht nur gegen die Zeit wegen des bösen Corona und dessen zweiter Welle, sondern auch weltweit zwischen hunderten von Firmen, die an einem Impfstoff gegen Corona forschen. Und jeder weiß: Wer dieses Rennen gewinnt, wird so richtig reich. Der Bundesregierung nun aber zu unterstellen, dass sie mit ihrer Beteiligung an Curevac auf Reichtum aus ist, wäre zu kurz gegriffen. Es ist mehr als das. Es ist eine strategische Beteiligung mit Botschaft: „Germany is not for sale“, hatte Wirtschaftsminister Peter Altmaier ja gleich gesagt, nachdem im März bekannt wurde, dass Donald Trump sich und seinem Amerika die Firma Curevac sichern wollte, praktisch per Übernahme. Das hatten die Tübinger aber abgelehnt, wohl nach ein paar Gesprächen des Mehrheitseigners Dietmar Hopp mit Merkel, Altmaier und Co. Der Einstieg des Bundes beim Impfstoffentwickler ist schon außergewöhnlich. Denn es handelt sich bei Curevac ja um ein finanziell flottes Unternehmen, das keineswegs in Nöten steckt. Es ist ja die eine Sache, wenn der Bund vorrübergehend bei in Schieflage geratenen Firmen wie etwa zuletzt bei der Lufthansa einspringt, um diese zu stützen und vor Übernahmen zu schützen. Eine ganz andere Sache aber ist es, den weiteren Ausbau eines florierenden Unternehmens wie jetzt Curevac mit zu finanzieren. Die Kernbotschaft lautet denn auch: Man arbeite „an der industriellen

Souveränität Deutschlands“, wie Wirtschaftsminister Altmaier sagt. Es gehe darum, „Erfolg versprechende Schlüsseltechnologien am Standort Deutschland zu erhalten und zu stärken“, so Altmaier weiter. Diese Beteiligung ist also ein Signal. Und dieses Signal hat mit den Lehren in Corona-Zeiten zu tun. Es soll nicht mehr alles dem freien Spiel der weltweiten Märkte überlassen werden. Es sollen Technologien und die Produktion wichtiger Güter in Deutschland gehalten werden. Da die Bundesregierung dafür ja das Geld der Steuerzahler einsetzt, kann ein solches Vorgehen bei den Bürgern hierzulande das Gefühl von Stolz, Zustimmung und Patriotismus auslösen. Frei nach dem Motto: Trump mal die Grenzen aufgezeigt, die er selbst ja immer zieht. Und China den Weg versperrt, sich durch die Hintertür ein deutsches Topunternehmen zu schnappen. Bei der Entscheidung, sich an Curevac zu beteiligen dürfte auch die Person des Mehrheitseigners Dietmar Hopp eine Rolle gespielt haben. Schließlich zähle der von Hopp mit gegründete Softwarekonzern SAP zu den wertvollsten Unternehmen Deutschlands, führte Peter Altmaier aus. Sprich: Dem Unternehmer Hopp kann man durchaus vertrauen. Der hat schon etwas vorzuweisen. So sieht das der Wirtschaftsminister. So sehen das wohl alle, die nicht Verschwörungstheorien nachhängen, die Hopp in Verbindung zu Bill Gates bringen, der mit seiner Stiftung ebenfalls an Curevac beteiligt ist. Curevac darf seinen Impfstoffkandidaten jetzt also an Menschen testen, nachdem sich seine hohe Wirksamkeit in Tierversuchen zeigen ließ. Erste Ergebnisse werden im Herbst erwartet. Doch bereits jetzt läuft bei Curevac die Produktion einiger Millionen Impfdosen an, heißt es aus dem Unternehmen. Es seien Anlagen im Bau, nun mitfinanziert vom Bund, die sogar Milliarden Impfdosen liefern könnten. Heißt auch: Curevac hat offensichtlich gar keinen Zweifel an der Zulassung seines Impfstoffes. Und Gesundheitsminister Jens Spahn führte aus, dass die deutsche Beteiligung an Curevac auch bedeute, sich heute schon auf künftige Pandemien vorzubereiten. Und ja, sieh an: Corona, auf das man ja überhaupt nicht vorbereitet war, hat hier zu einem Umdenken geführt. Das wenigstens ist gut.

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Samstag, 13 Corona-Tagebuch

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Ausgabe 287 am 4. Samstag, 4. April 2020

Der reale Moment tödlicher Gewalt Polizeigewalt. Das Video der 17 Jahre alten Darnella Frazier zeigt den Tod von George Floyd durch einen brutalen weißen Polizisten. Diese Bilder sind keine Inszenierung, sondern bilden die grausame Wirklichkeit ab. Danach allerdings beginnen Inszenierungen. Von Michael Zäh

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en Namen George Floyd kennen inzwischen weltweit Millionen Menschen. Seine Name wird in den Mund genommen, auf unzähligen Demonstrationen in den USA, aber auch überall in Europa, wie etwa zuletzt in Freiburg. Es gibt eine Frage zu stellen, die schmerzhaft ist: Warum kommt es bei der Ermordung von George Floyd zu diesem Aufschrei, während viele vergleichbare, nicht minder bestialische Verbrechen in den USA, aber auch in Europa, etwa der Schweiz, Frankreich und Deutschland kaum zu Protesten führten? Erst in der Folge des Todes von George Floyd werden auch die Namen anderer Menschen genannt, die unter ähnlichen Umständen zu Tode kamen. Durch Polizeigewalt. Es sind sehr viele Namen und es sind oft ebenso grausame Umstände ihres Todes. Was den Unterschied ausmacht, ist ein Video, das die 17 Jahre alte Darnella Frazier in Minneapolis aufnahm. Die junge Frau sieht den Vorfall, zückt ihr Handy und hält alles fest. Diese Aufnahme wackelt kaum und ganz nah traut sich Frazier an das Geschehen. Ein paar Stunden später lädt sie das Video auf Facebook hoch. Seitdem sieht die ganze Welt, was geschah, besser: was getan wurde. Ein weißer Polizist drückt fast neun Minuten lang sein Knie in den Hals des bereits gefesselten George Floyd, der immer wieder sagt, dass er

nicht atmen kann und schließlich nach seiner Mutter ruft. Das Video zeigt also einen Mord (über den im juritischen Sinne erst noch geurteilt werden wird), aber vor allem zeigt es einen Menschen, der grausam stirbt. Es ist klar, dass dieses Video als Beweisstück für eine schreckliche Tat verwendet werden muss. Doch die Frage lautet, ob es für die Öffentlichkeit immer und immer wieder zur Verfügung stehen muss. Ja, diese Frage ist keine leichte. Denn einerseits wird hier eine Tat dokumentiert, die sonst womöglich geleugnet worden wäre. Wie es in vielen anderen Fällen war. Doch das Video zeigt auch einen Menschen, der stirbt, in seinen letzten Lebensmomenten, und George Floyd hat nicht mehr die Möglichkeit, selbst zu bestimmen, was über seinen Tod in der Welt zu sehen ist. Das Video ist keine Inszenierung, sondern im Gegenteil liefert es Bilder, die grausamer nicht sein könnten, weil es einen realen Moment zeigt. Dieser reale Moment der tödlichen Gewalt, der Tod von George Floyd, hat dennoch eine hohe Symbolkraft, weil ein weißer Polizist scheinbar völlig unbeeindruckt, mit den Händen in seiner Hosentasche, sein Knie in das Genick des Schwarzen George Floyd drückt, bis dieser erstickt. Diese Mischung aus realem Grauen und symbolhafter


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Gespräch überwiegend selbst geredet.“ Im Kampf um die Präsidentschaft hat sich der Demokrat Biden also am anderen Ende der Skala der Emotionen eingefunden. So wird aus dem Tod von George Floyd auch Wahlkampf. Wenn sich US-Präsident Donald Trump früh in die Pose von „Law and Order“ warf, dann natürlich wie immer weil er glaubt, dass ihm das bei seiner Wiederwahl im November hilft. Wenn er den Demonstranten in einem entflammten Amerika droht, dass er das Militär gegen sie einsetzen werde, um das Problem „sehr schnell zu lösen“, dann ist es ja so, dass Trump sich in die Pose dessen wirft, der als weißer Polizist auf offener Straße einen Schwarzen ermordet hat. Denn das ist ja das Problem, dass der Mörder ein Polizist ist, der ebenfalls im Namen von „Law and Order“ zu handeln vorgab. Und dass dies alles vor laufenden Handy-Kameras geschah, zeigt wiederum, dass der Mörder sich als ein Mann von „Law and Order“ sicher glaubte. Selbst ein Mord auf offener

Straße, in aller Öffentlichkeit schien ihm kein Problem zu sein. Unter Recht und Ordnung dürfen weiße Amerikaner durchaus Schutz und Sicherheit verstehen, während aber schwarze Amerikaner es so verstehen müssen, dass sie die Bedrohung sind, vor der man die Weißen schützen will. Das spiegelt sich auch im Verhalten von Donald Trump wieder. „Während ich hier spreche, habe ich Tausende und Abertausende von schwerbewaffneten Soldaten und Polizisten in Gang gesetzt“, so Trump in seiner Law-andOrder-Rede am 2. Juni. Und was das heißen sollte, wurde kurz darauf klar, als die Polizei und die Nationalgarde hunderte friedliche Demonstranten mit Schlagstöcken, Gummigeschossen und Tränengas gegenüber dem Weißen Haus vertrieben – und zwar nur, weil Trump sich zu Fuß in Szene setzen wollte, um zur historischen St.Johns Church rüber zu gehen und dort eine Bibel neben sich hochzuhalten, für die Kameras. Trump kniet nicht, sondern spielt Gott.

Es ist sogar wohl so, dass Trump ja überhaupt zum US-Präsidenten gewählt wurde, weil es solche Strömungen schon damals gab. Insofern ist auch kein Wunder, dass alles, was jetzt auf die Spitze getrieben wird, schon lange in Amerika schlummert und Trump nur ein Ausdruck dessen ist. Er ist eben nur ein rechter Spalter, der gewählt wurde, um ein gespaltenes Land zu veranschaulichen. In der Folge der Unruhen, die nach dem gefilmten Tod von George Floyd in mindestens 140 Städten der USA um sich griffen, hat sich inzwischen die Art des Protestes gewandelt. Die Randale findet kaum mehr statt. Es geht jetzt um einen breiten Wunsch nach Wandel innerhalb der Gesellschaft. Nicht nur die Demonstranten, sondern auch viele Polizisten gehen auf die Knie, um zu zeigen, dass es gemeinsame Werte gibt. Das ist immerhin nicht nichts. Und es ist mehr als es Trump geheuer sein dürfte, der ja, wie Floyds Familie sagte, „überwiegend selbst geredet habe.“ Von sich!

Illustrationen: Viktor Lukanow

Gewalt hat Amerika in Flammen gesetzt. Und die Welle der Proteste schwappte auf Europa über. Und irgendwann hier beginnen auch die Inszenierungen. Und diese sind schlimm. Etwa wenn Gianna, die sechs Jahre alte Tochter von George Floyd auf seiner Beerdigung erklärt,dass ihr Vater die Welt verändert habe. Das Mitgefühl für das Verzweifelte in der Äußerung des kleinen Mädchen könnte nicht größer sein. Und gleichzeitig darf man sich fragen, ob das sein musste. „Ich denke, was hier passiert ist, ist einer dieser großen Wendepunkte in der amerikanischen Geschichte, was bürgerliche Freiheiten, Bürgerrechte und die gerechte Behandlung von Menschen mit Würde betrifft“, sagte Joe Biden nach der Begegnung mit der Familie Floyds. „Er hörte zu, hörte ihren Schmerz und teilte ihr Leid“, sagte der Anwalt der Familie. Präsident Donald Trump dagegen, der vor einer Woche mit der Familie telefonierte, habe in dem „knappen“


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Ausgabe 290 am 20 Samstag, 20. Juni 2020

Mit dem Wumms aus der Krise Konjunkturpaket. Mit 130 Milliarden Euro, die in Deutschland quasi wie ein warmer Geldregen vom Regierungshimmel fallen sollen, wollen Merkel, Scholz, Söder und Co. „ein Stück weit Optimismus“ vermitteln. Kretschmann übte Kritik. Von Michael Zäh

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s regnet Geld. Die Regenmacher der GroKo haben jedenfalls nicht das kleine Gießkännchen, sondern mindestens den Sprenkler heraus geholt. Manch einer hat verbal sogar den Gartenschlauch dabei: „Mit Wumms aus der Krise“, sagte Finanzminister Olaf Scholz (SPD) zu dem verabschiedeten Paket. Ja, man kann sich den Mann als einen vorstellen, der volle Pulle das Wasser aus dem Gartenschlauch (war zuvor ja schon die Bazooka) auf die allzu trockene Vegetation richtet. Wenn das so weiter geht, werden uns Scholz, Merkel und gar die GroKo ja noch richtig sympathisch. Weitere 130 Milliarden Euro will also die Große Koalition als „Konjunkturpaket“ über Land und Leute regnen lassen. Es ist zweifellos ein geradezu historischer Geldregen. Kein Mensch weiß, ob das reicht, um die tiefen Risse in der Wirtschaft zu schließen, die durch Corona, den Lockdown, sowie durch den Zusammenbruch international eng verwebter Produktionsund Lieferstrukturen erzeugt wurden. Aber es ist ein Signal wie es eindeutiger nicht sein könnte. Deutschland zeigt seine Muskeln. Nach einem 21-stündigen Verhandlungsmarathon hat sich dabei nicht die eine oder andere Partei mehr durchgesetzt, sondern eher eine neue strategische Vernunft. Es ist kaum

ein fauler Kompromiss dabei. Viele vereinbarte Maßnahmen überraschen durch Ausgewogenheit. Man könnte sagen: GroKo überzeugt und handelt. Und dann auch noch in diesem Tempo! Wer hätte das vor der Corona-Krise gedacht? Im Vorfeld gab es ja besonders symbolträchtige Punkte. Da war die SPD-Idee, eine Vermögensabgabe für Reiche zu fordern. Bei der Union wurde die Autokaufprämie hoch gehandelt. Von beiden Vorschlägen war am Ende keine Rede mehr. Vielmehr besteht die Schnittmenge des Kompromisses aus 57 Einzelpunkten, die womöglich die drohende Rezession tatsächlich ein bisschen abfedern könnte. Aber klar, der Wumms muss von der Wirtschaft und von den Konsumenten kommen. Der 130-Milliarden-Euro Reigen soll nur ein Anreiz dafür sein. Es gehe um Psycholgie in den Zeiten der größten Krise der deutschen Nachkriegsgeschichte. Das sagen zumindest Merkel, Scholz, Söder und Co. Es gehe halt um eine positive Stimmung – quasi Pfeifen im tiefsten Tal, aber mit Vehemenz.

Und tatsächlich werden teure Maßnahmen des Pakets nur greifen, wenn die „Stimmung“ dazu führt, dass konsumiert wird. Dafür kann man zwei Beispiele nennen: Wenn etwa erstens 300 Euro pro Kind in Deutschland ausgezahlt werden sollen, dann soll das dazu führen, dass die Eltern für ihre Kinder auch etwas davon einkaufen. Tun sie das aber nicht, sondern legen das Geld in kriselnden Zeiten einfach auf die hohe Kante, dann verfehlt dieser Anreiz sein Ziel. Wenn zweitens der Mehrwertsteuersatz von Juli bis zum Jahresende von 19 auf 16 Prozent reduziert wird, dann bringt das konjunkturell nur dann etwas, wenn die Waren in dieser Zeit für die Konsumenten auch entsprechend günstiger werden. Denn nur dann führt der Verzicht des Staates zu einem Kaufanreiz und damit zur Belebung des Binnenmarktes. Wenn aber die Händler durch Anhebung der Preise diesen Vorteil wieder zunichte machen, dann verpufft die Aktion, die den Staat aber dennoch Milliarden kostet. Es ist also alles eine Frage der Stimmung. Die Optimisten nutzen die Gelegenheit, kurbeln mit ihrem Konsum wie gewünscht die Wirtschaft im Binnenmarkt an und machen das eine oder

andere Schnäppchen. Aber die Pessimisten (die nämlich mit der zweiten Corona-Welle rechnen) lassen den Geldregen in den Tiefen ihrer Taschen versacken. Union und SPD setzen darauf, dass die Bürger mehr Geld ausgeben und dass die Unternehmen investieren. Dazu soll extrem viel staatliches Geld fließen, das so die Binnenkonjunktur ankurbeln soll. Und von den größten Posten im neuen Konjunkturpaket, – die Mehrwertsteuersenkung, der Kinderbonus und die Strompreisdeckelung – profitieren auch sozial Schwache. Das ist tatsächlich ein echter Gegenentwurf zu früheren Konjunkturprogrammen. Als die schwarz-gelbe Bundesregierung 2010 auf die Folgen der Finanzkrise reagierte, sollten 80 Milliarden Euro eingespart werden - vor allem im sozialpolitischen Bereich. Demgegenüber stand eine staatliche Prämie in Höhe von 2500 Euro für all jene, die sich einen Neuwagen leisten konnten. Nun ist es andersherum: Die Autoprämie ist vom Tisch und Finanzminister Scholz hat schon früh gesagt, dass man nicht gegen diese Krise ansparen wolle. Statt 80 Milliarden Einsparungen wie 2010 gibt der Staat 2020 nun glatt


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130 Milliarden Euro als Hilfe zur Ankurbelung aus. Lange hieß es in Deutschland, dass Schulden vermieden werden müssten, um den nachfolgenden Generationen keine „Altlasten“ zu hinterlassen. Dieses Paradigma hat sich verändert: In Zeiten historisch niedriger Zinsen müsse stattdessen investiert werden, um nachfolgenden Generationen ein Land zu hinterlassen, das gut ausgestattet und intakt ist. Das Konjunkturpaket beweist den neuen Ansatz. Quasi: Chance nutzen statt zögern und zaudern. Kredite von 218 Milliarden Euro will nun die Regierung aufnehmen, um insgesamt 509 Milliarden Euro im Jahr 2020 ausgeben zu können. Und dies ist ganz besonders bemerkenswert, weil das Regierungshandeln eines ist, das von Merkel über Söder bis zu Scholz reicht. Da hat zwar jeder seinen speziellen Spaß an den einzelnen Aspekten. Söder etwa findet die Mehrwertsteuersenkung sei das „Herzstück“ des Konjunkturpakets. „Wir waren nicht ängstlich, sondern mutig, aber

auch nicht übermütig“, sagte er. Scholz ist sowieso der mit dem Wumms, aber auch stolz darauf, dass die SPD die 300 Euro pro Kind durchgesetzt hat. Jenseits allen Selbstlobes gab es auch andere Ansichten, wie etwa die des Grünen Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Er hatte sich für eine Autokaufprämie stark gemacht, im Ländle von Mercedes und so. Und Kretschmann blieb auch später dabei: Eine solche Prämie hätte nur die modernsten Verbrenner bezuschusst, während die stattdessen beschlossene Mehrwertsteuersenkung nun alle Autokäufe unterstützt. Und außerdem müsse man ja die Autoindustrie erstmal erhalten, um sie dann zu mehr Klimafreundlichkeit transformieren zu können. Tja, der Mann ist der Pragmatiker in grün.

GESELLSCHAFT

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Corona-Tagebuch | 30. Mai 2020

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Warten auf Corona Während die Zahlen der Covid 19-Infektionen regelrecht dahin schmelzen und Bund und Länder prompt auch etliche Verbote aufgehoben haben, lauert die eine Frage: Kann das gut gehen? Das Virus scheint versteckt zu lauern. Von Michael Zäh

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s kommt und geht. Es hat selbst keine Seele und keinen Sinn. Man hat es „Covid 19“ und „Corona“ getauft, egal warum, aber es erinnert an Godot. „Komm, wir gehen.“ „Wir können nicht.“ „Warum nicht?“ „Wir warten auf Godot.“ „Ach ja.“ So ist das in dem berühmten Stück von Samuel Beckett von1949 und so ist es derzeit mit Corona. Denn während die Zahlen wie von Zauberhand dahin schmelzen und nun auch überall das Leben wieder erlaubt sein soll, lässt Corona die Botschaft überbringen, dass es bald wieder da sein werde. Ein Junge taucht in „Warten auf Godot“ mit einer Nachricht auf: Herr Godot werde heute nicht mehr kommen, ganz bestimmt aber am nächsten Tag. Und an diesem heißt die Botschaft dann genau gleich. Man ahnt: es geht immer so weiter, also bei Beckett in seinem Stück, der als Autor des absurden Theaters berühmt wurde. Und wie verhält es sich bei Covid 19? Anfangs wurden Zahlen vorgelegt, die besagten, dass sich 70 Prozent der Deutschen früher oder später damit infizieren würden. Weil dies rund 58 Millionen Menschen sind, wovon dann ein Sechstel, also neun Millionen Menschen einen schweren Verlauf hätten bekommen können, wurde der Lockdown ausgerufen. So weit, so klar. Nach knapp zwei Monaten im runtergefahrenen Modus sind die Zahlen erfreulicherweise andere. Es erweckt derzeit den Eindruck, dass sich die Gefahr verflüchtige. Plötzlich liegen die Zahlen in einem Bereich, der fast schon an einem abwesenden Herrn Godot erinnert. Da werden dann etwa für Freiburg gerade noch 4,3 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen (Stand 24. Mai), oder für den Landkreis Emmendingen 1,2 pro 100.000 oder Landkreis Lörrach 0,4 pro 100.000 Einwohner gemeldet. Rund 161.000 Menschen in Deutschland galten am 26. Mai als geheilt und es galten nur noch

9.275 Personen an diesem Tag als aktuell infiziert – bei über 80 Millionen Einwohnern im Land. Und hier könnte es heißen: „Komm, wir gehen.“ Zurück ins wahre Leben, vor allem auch im Kampf um die wirtschaftlichen Existenzen in allen Bereichen. Es wurden ja prompt auch von Bund und Ländern etliche Verbote wieder aufgehoben, logisch, da Verbote ja kein Selbstzweck sind. Aber jetzt, was kommt? Die meisten Betriebe aus verschiedenen Bereichen haben unter Auflagen wieder geöffnet. Und Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) will es bald jedem Bürger selbst überlassen, ob er Mundschutz trägt oder Abstand hält. Er nennt das eine „verantwortungsbewusste Solidarität“. Das hat viel Kritik ausgelöst, weil: „Wir können nicht.“ „Warum nicht?“ „Wir warten auf Godot.“ Und ja, es ist schon so, dass die Dinge des Lebens, die vor Corona selbstverständlich waren, nun eher suspekt wirken. Bei Sonnenschein sind nach den „Lockerungen“ an all den zuvor verwaisten Stellen plötzlich wieder viele Menschen, in den Cafés, auf Kinderspielplätzen, im Park, und überall schwingt die bange Frage mit: Kann das gut gehen? Der Bote sagt: Herr Godot werde heute nicht mehr kommen, ganz bestimmt aber am nächsten Tag. Dies glauben bei Corona auch Kanzlerin Merkel, Bayerns Ministerpräsident Söder und viele Virologen. Dennoch hat Ramelow auch Recht, wenn er anhand der aktuell bestehenden Zahlen davon weg will, seinen Bürgern weiterhin ihr Verhalten vorzuschreiben. Zurück zu den Grundrechten zu kommen ist nämlich nichts, was man extra begründen müsste. Man braucht umgekehrt gute Gründe, um die Grundrechte zu beschneiden. Und das geben die Zahlen nicht mehr her. Es ist sinnlos, auf Herrn Godot zu warten. Und bei Herrn Corona ist es so, dass es noch viel zu tun gibt, während er abwesend ist. Zum Beispiel die Pause zu nutzen, um endlich Schutzausrüstung besorgen, Herr Spahn! „Ach ja.“


Corona-Tagebuch | 30. Mai 2020

Wenn ein Sack Reis umfällt Zwischen den USA und China tobt ein Propaganda-Krieg um die Deutungshoheit wegen dem Corona-Virus. US-Präsident Donald Trump will China zum Sündenbock machen, China warnt aggressiv vor einem neuen „Kalten Krieg.“ Von Michael Zäh

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orbehalte und Vorurteile gibt es im Westen schon seit jeher, was China angeht. Gerne wurde früher der Spruch bemüht, dass etwas den Sprecher ungefähr so sehr interessiere „wie wenn in China ein Sack Reis umfällt.“ Sprich: Gar nicht! Man darf sich hier den Sprecher als Firmenchef in Deutschland vorstellen, der mit dem Spruch zum Ausdruck bringen will, dass alle Chinesen immer Reis essen, es deswegen unendlich viele Säcke Reis in China gibt, weshalb es egal ist, wenn mal einer davon umfällt. Ganz im Gegensatz eben zu der Bedeutung, die der Sprecher sich selbst, seiner Firma, Deutschland und dem Westen einräumt. Quasi: Die Chinesen sind zwar viele, haben aber nicht die Klasse des Individuums im Westen. Oder auch: wir sind groß und die sind klein. Die bauen uns doch nur alles nach, klauen die besten Ideen und stellen dann ein billiges Plagiat her. Undsoweiter, undsofort. Deshalb taugt China perfekt zum Sündenbock, schon lange vor Corona. Das ist sozusagen bereits im Hinterkopf des Westens verankert. Seit aber das gefährliche Virus von der chinesischen Stadt Wuhan aus in die Welt kam, tobt ein Propaganda-Krieg zwischen den USA und China. Und zu diesem tragen beide Seiten erklecklich bei. US-Präsident Trump sprach gleich vom „chinesischen Virus“, worauf China die steile Version in Umlauf brachte, dass es wohl US-Soldaten gewesen seien, die das Virus nach Wuhan brachten. Diese haben tatsächlich im Oktober 2019 an Militärweltspielen in Wuhan teilgenommen, denn das waren Sportwettkämpfe von Soldaten aus aller Welt. Aber selbst chinesische Virologen stellen diese Behauptung in Frage. Nachdem das Corona-Virus nun schon 100.000 Amerikaner getötet hat, geht Trump gegen China in die Offensive und werden in den USA republikanische Stimmen laut, die eine „Bestrafung“ Chinas fordern. Die These dahinter ist, dass Peking zur Jahreswende 2019/2020 bereits von der großen Gefahr wusste, die von Corona ausgeht, dies aber der Welt vorenthalten habe. Man habe den Ausbruch vertuscht. Bisher gibt es

Anzeichen dafür, dass das so gewesen sein könnte, aber keine stichhaltigen Beweise. China konterte mit einer Art Comic-Offensive, in der es so dargestellt wurde, dass man alle Welt klar und laut vor der Corona-Gefahr gewarnt habe, aber es keiner habe hören wollen. Daraufhin hat die USA behauptet, dass das Virus aus einem staatlichen Forschungslabor in Wuhan ausgebrochen sei. Alles ohne Nutzen. „Es ist nur eine Person, die aus China kommt, und wir haben es unter Kontrolle. Es wird alles gut werden“, sagte Donald Trump am 22. Januar in einem CNBC-Interview, nachdem am Vortag der erste Fall einer Corona-Infektion in den USA bekannt geworden war. Noch am 26. Februar sagte der US-Präsident: „Es ist wie eine normale Grippe gegen die wir Impfungen haben.“ Solche belegten Verharmlosungen geben China recht, dass die damals längst abgegebene Warnung von Trump ignoriert wurde. Aufgrund solcher Aussagen ist klar, dass Trump lange gar nicht kapiert hat, welchen Schaden die Pandemie anrichten kann. Und sein Versagen ist so offensichtlich, dass er im Kampf um seine Wiederwahl dringend einen Sündenbock braucht, auf den er die über 1,6 Millionen infizierten US-Bürger (täglich mehr) und die weltweit meisten Corona-Toten abwälzen kann. Chinas Außenminister Wang Yi warnte vor einem neuen Kalten Krieg - und damit vor einer Gefahr für den Weltfrieden. Er warf den USA „Lügen und Verschwörungstheorien“ vor. „Es ist an der Zeit, dass die USA ihr Wunschdenken aufgeben, China zu verändern oder die 1,4 Milliarden Chinesen an ihrem historischen Marsch zur Modernisierung zu hindern“, sagte der chinesische Außenminister weiter. Klingt beherzt und aggressiv. Es steckt also mehr hinter der Auseinandersetzung wegen Covid 19. Es geht wohl um nichts weniger als die Frage, wer morgen eher die Weltmacht Nummer eins ist. Und Europa täte gut daran, schnell die eigenen Probleme zu lösen (Streit über Corona-Fonds), um nicht zwischen einem umgefallenen Sack Reis und einem US-Burger zerquetscht zu werden.

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GESELLSCHAFT

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Ausgabe 289 am 30

Mehr wagen, aber mit Umsicht des Einzelnen

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Präventionsparadox. Es ist ein altbekanntes Phänomen, dass die Vorsorge keinen Preis dafür gewinnt, wenn sie die Gefahr ausgebremst hat. Doch man sollte den gemeinsam erreichten Erfolg in sechs entbehrungsreichen Wochen wie Gold behandeln, das man in Händen hält. Von Michael Zäh

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ie Sehnsucht der Menschen, dass der böse Corona-Spuk vorbei sein möge, nimmt in selbem Maße zu, wie die Angst vor einer Ansteckung abnimmt. Als Ende März das gesamte gesellschaftliche, soziale und wirtschaftliche Leben in Deutschland rapide runtergefahren wurde, stand auf der anderen Seite ein fieser Feind, vor dem die Angst groß war. Man sah damals Horrobilder von schwerkranken Menschen, die auf den Fluren der Krankenhäuser ihrem Schicksal überlassen wurden, weil die Ärzte nicht mehr mit ihrer Hilfe nachkamen. Das war in Bergamo, in Italien. So nah, so gefährlich. Die Gesellschaft trug daher die Maßnahmen von Bund und Ländern mit, natürlich mit ungleich großen Opfern je nach Gesellschaftsschicht, wirtschaftlicher Lage, Beruf, Anzahl der Kinder und vielem mehr. Aber alle waren verbunden, zumindest in überwältigender Mehrheit, duch eben diese Angst vor dem neuartigen Corona-Virus. Nach sechs Wochen der Disziplin, der enormen Einschränkung und der Vernunft sind die großen Schrecken in Deutschland ausgeblieben. Und die Infektionszahlen haben sich in dieser Zeit auf ein niedriges erfreuliches Niveau gesenkt. Ebenfalls hat sich die Präsentation der Zahlen geändert. Während anfangs nur Infektionen und Verstorbene geschildert wurden, boten spätere Darstellungen einen Dreiklang aus: Infizierte/ Genesene/ Verstorbene. Aktuelle Grafiken (wie die hier abgebildete vom Landratsamt für Freiburg und den Kreis Breisgau-Hochschwarzwald) stellen nun ehemals Infizierte den aktuell

Infizierten gegenüber. Daran ist Eichstetten eine Entwicklung zu erkennen, Vogtsburg im Kaiserstuhl 27/0 die entspannt. In sehr vielen 42/0 Gemeinden steht die Null. So ist es kein Wunder, dass Bötzingen jetzt das zu erwartende Paradox 19/0 in den Köpfen und den Reden March Einzug hält: Der gemeinsam 32/0 unter großen Mühen erzielte Ihringen Erfolg wird nun zur Basis der Gottenheim 26/0 Behauptungen, dass ja wohl 5*/0* Umkirch die gesamte Virus-Bedrohung 12/0 so groß ja gar nicht gewesen Merdingen Breisach am Rhein sein kann. Anstelle der Angst, 7/0 die zuvor zu viel Solidarität in 136/0 der Gesellschaft führte, kommt nun Freiburg im, Breisgau oftmals Wut, Trotz und Frust zum Vorschein. 976/14 Es ist ein altbekanntes Phänomen, dass Vorsorge im Nachhinein keinen Preis gewinnt, weil eben ihr Wirken in dem Moment nicht mehr zu sehen Schallstadt ist, in dem sie die Gefahr ausgebremst Merzhausen hat. Niemand kann dann mehr be24/0 15/0 weisen, dass es ohne die getroffene Ebringen Au Vorsorge viel schlimmer gekommen 14/0 9/0 Wittnau wäre. Sprich: Wenn die Vorsorge Pfaffenweiler 5*/0* Horben erfolgreich war, hat sie sich selbst Hartheim am Rhein 14/1 5*/0* Sölden diskreditiert. 13/0 11/10 Doch das ist nur ein ZwischenBad Krozingen stand. Wenn nämlich das Wirken Bollschweil 121/2 der Vorsorge plötzlich nicht mehr Ehrenkirchen 8/0 anerkannt wird, dann führt das 29/0 dazu, dass sie nicht mehr praktiEschbach ziert wird. Und dies wiederum führt dann dazu, dass eben 8/0 jene Gefahr real wird, von Neuenburg am Rhein Staufen im Breisgau Heitersheim der man sich zuvor schon 55/2 25/0 befreit geglaubt hatte und 14/0 die man deshalb als doch Ballrechten-Dottingen Münstertal/ Schwarzwald Buggingen nicht allzu groß einstufte. 5*/0* 14/0 Im Falle des Corona-Vi14/0 rus lässt sich dieser Prozess bereits erahnen. NachSulzburg

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C O V I D - 1 9 – Infektionen am 28. Mai 2020

Müllheim

116/1

Das Landratsamt Breisgau-Hochschwarzwald meldete am 28. Mai 2020 um 6:55 Uhr folgende Fallzahlen: Insgesamt: 2123 (unverändert) Stadt Freiburg: 976 Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald: 1147 Todesfälle insgesamt: 148 (unverändert) Stadt Freiburg: 79 Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald: 69

Badenweiler

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Auggen

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wäre sozusagen der Lohn aller Mühen und Verzichte, jetzt den gemeinsam erzielten Erfolg auch in der Phase der Neueröffnung des Landes in eben jener Solidarität zu stemmen wie in den Wochen der Angst zuvor. Was dabei aber gar nicht hilft, sind nun übereilte Vorwürfe, die aus einem in sechs Wochen aufgestauten Frust heraus erhoben werden. Es wird noch Zeit genug sein, in aller Ruhe über mögliche Fehler in der Politik zu diskutieren. Wer aber meint, dass er dies ausgerechnet jetzt auf den sogenannten „Hygiene-Demos“ tun muss, noch dazu möglichst in Missachtung aller Hygiene-Regeln, die dem Land in den

dem die Vorsorge und Vernunft zu weniger Infektionszahlen führten, geht es jetzt einigen Leuten gar nicht schnell genug, alles auf den Kopf zu stellen. Dabei sind ja bereits etliche Lockerungen verkündet worden und werden weitere folgen, wenn eben die ganz großen Ausbrüche neuer Infektionen ausbleiben. Gemesssen an den letzten sechs Wochen völligen Stillstandes wäre es jetzt ja vernünftig, Schritt für Schritt und mit Umsicht dem gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichebn Leben wieder zu seinem Recht zu verhelfen. Ja, es

Heuweiler

5*/0*

Gundelfingen

Glottertal

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Sankt Peter

38/1

5*/0*

Stegen

8/0

letzten Wochen gut getan haben, der wird wohl eher das Gegenteil dessen bewirken, was er forderte. Wenn aufgrund solcher doofen Übergriffe in den kommenden Tagen und Wochen nun unkontrollierbare Hotspots von Corona-Infektionen um sich greifen, quasi Ischgl hoch zehn, nach Demos in Stuttgart, Berlin, München und anderswo, dann würde das alle Mühen und Kosten der letzten sechs Wochen konterkarieren. Es würde sich dann zwar zeigen, dass all jene Besserwisser Unrecht haben, die die Corona-Gefahr für klein halten. Doch ausbaden müssten es dann alle anderen. Das ist nicht akzeptabel. Es ist doch wahrhaft ein schönes Gefühl, auf einer Grafik die durch gemeinsame Anstrengungen derzeit erreichten Erfolge zu sehen. Anstatt dem ollen Präventionsparadox zu unterliegen und sich geschwurbelte Gedanken darüber zu machen, dass

es aller gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Opfer doch gar nicht bedurft hätte, könnte man diesen Erfolg auch wie Gold behandeln, das man in Händen hält. Gerade weil zahlenmäßig eine gewisse Entwarnung nun stattfindet, sollte man umso behutsamer auf die nächsten Schritte achten. Denn die schwierigste Übung beginnt jetzt erst: Statt den Verboten und den Beschränkungen (die ja jetzt schrittweise aufgehoben werden) muss jeder Einzelne der eigenen Vernunft folgen. Um den Erfolg zu retten, der in den letzten entbehrungsreichen Wochen erkämpft wurde, muss eine mündige Solidarität her. Und die besteht darin, natürlich wieder etwas zu wagen, mit weniger Angst als zuvor, aber mit umso mehr Vorsicht. Dann könnte der derzeitige Zwischenerfolg in den nachhaltigen Triumph verwandelt werden.

Sankt Märgen

6/0

Eisenbach (Hochschwarzwald)

5*/0*

Kirchzarten

23/0

Buchenbach

5*/0*

Titisee-Neustadt

Breitnau

54/0

5*/0*

Friedenweiler

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Oberried

13/0

Hinterzarten

Löffingen

5*/0*

10/0

Lenzkirch

60/0

Feldberg (Schwarzwald)

5*/0 *

Schluchsee

7/0

0*/5*: Diese Zahl kann 0 bis 5 Fälle umfassen. Fallzahlen unter 5 werden nicht detailliert ausgewiesen, damit eine Nachverfolgung auf Einzelpersonen ausgeschlossen werden kann. Als geheilt gelten Personen, deren Meldung bis zum 14.05.2020 aufgenommen und nicht hospitalisiert wurden. Stand: 28.05.2020, 09:00 Uhr

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FORSCHUNG

Samstag, 30 Corona-Tagebuch

INTERVIEW

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Manche unterschätzen die Krankheit Die Viren, die die Corona-Pandemie ausgelöst haben und jährlich Influenza-Epideminen verursachen, wurden vom Tier auf den Menschen übertragen. Ein Gespräch mit Prof. Dr. Martin Schwemmle, Forschungsgruppenleiter am Institut für Virologie des Universitätsklinikums Freiburg über Fledermäuse , Pandemiepläne und fehlende FFP-Masken.

D

ie Corona-Pandemie zeigt auf dramatische Weise, was passieren kann, wenn tierische Viren auf den Menschen übertragen werden. Wie eine solche Infektion erfolgen kann, erforscht das Team um den Virologen Prof. Dr. Martin Schwemmle vom Institut für Virologie des Universitätsklinikums Freiburg. Die Arbeit seines Teams wird von der Europäischen Union mit 2,5 Millionen Euro gefördert. Barbara Breitsprecher sprach mit ihm über Viren, die für die Krebsforschung manipuliert werden, über Fledermäuse und den Masken­skandal. ZaS: Sie forschen seit einigen Jahren über Fledermäuse als Virusträger. Ging es dabei auch schon darum, das SARS-Virus zu bekämpfen? Martin Schwemmle: Wir sind an Zoonosen interessiert (Krankheitsübertragungen von Tieren auf Menschen; Anm. d. Red.) und forschen dabei hauptsächlich über Influenzaviren und Bornaviren. Letztere werden über Spitzmäuse übertragen und kommen nur im deutschsprachigen Raum vor. Der Mensch ist ein Endwirt und stirbt an solch einer Infektion. Was die Influenzaviren angeht, so gab es 2011/12 erste Forschungsergebnisse, die belegten, dass diese Viren auch bei Fledermäusen vorkommen. ZaS: Werden Viren übertragen, wenn man das Fleisch dieses Tieres isst oder wenn es einen beißt? Schwemmle: Das hängt vom Virus ab. Bestimmte Viren können über ungekochtes Fleisch übertragen werden, andere über Aerosol (Schwebeteile in der Luft; Anm. d. Red.) oder über einen Stich. ZaS: Was haben nun die Fledermäuse mit damit zu tun? Schwemmle: Wenn in Afrika das Busch-

fleisch verarbeitet wird, wozu auch Fledermäuse gehören, können Menschen mit Blut oder Sekreten in Berührung kommen und sich dadurch infizieren. Wenn das Fleisch erst einmal abgekocht ist, kann man sich nicht mehr infizieren, weil das Virus dann unschädlich gemacht wurde. ZaS: Fledermäuse werden ja gerne mit unheimlichen Dingen in Verbindung gebracht. Hat diese Urangst ihren Ursprung bei Krankheitsübertragungen?

Schwemmle: In Amerika kann Tollwut durch die Fledermaus übertragen werden, aber nicht in Europa. Aber Fledermäuse beißen uns Menschen nicht (lacht). Vor Fledermäusen braucht man hier keine Angst zu haben. Es gibt nur ganz wenige Berichte, wonach Höhlenforscher in Deutschland mit Fledermauskolonien in Kontakt kamen und infiziert wurden. Das sind absolute Ausnahmen. ZaS: Was macht dann die Fledermaus-

viren so besonders, dass Sie an ihnen forschen? Schwemmle: Die Influenzaviren, die wir erforschen, kommen bei Fledermäusen in Südamerika vor, nicht in Europa. Alle Influenzaviren stammen ursprünglich aus Wasservögeln. Sie haben dann die Speziesbarriere überwunden und sich auch im Menschen etabliert, so dass es bei uns zwei zirkulierende Influenzavirus Subtypen gibt, H1N1 und H3N2, die beim Menschen jährlich Epidemien auslösen. Nun hat man festgestellt, dass diese Influenzaviren aus der Fledermaus neue Subtypen sind, die man bisher nicht kannte. Sie sehen aus wie Influenzaviren, sind auch welche, aber die Hüllproteine auf der Virusoberfläche , insbesondere die sogenannten HA-Proteine, erkennen komplett etwas anderes auf der Zelloberfläche als es Influenzaviren normalerweise tun. Nun wusste man zunächst nicht, welchen der mysteriösen Rezeptor das Virus nutzt, um in die Zelle einzudringen. ZaS: Haben Sie den Rezeptor gefunden? Schwemmle: Zusammen mit einer Arbeitsgruppe aus Zürich haben wir ihn entschlüsseln können: Er ist Teil unseres Immunsystems, der Haupthistokompatibilitätskomplex MHCII, der durch die HA-Proteine erkannt wird. Diese Fledermaus-Influenzaviren haben es im Gegensatz zu klassischen Influenzaviren geschafft, von einer Zuckerbindung auf eine Proteinbindung als Rezeptor zu wechseln. ZaS: Gibt es diese MHCII-Rezeptoren nur bei Fledermäusen? Schwemmle: Es gibt sie auch bei Schweinen und Mäusen – und im Prinzip kann auch der Mensch damit infiziert werden. Um dies zu untersuchen wurden Frettchen mit diesen Viren infiziert. Frettchen besitzen auch diese


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MHCII-Rezeptoren und sind, ähnlich dem Menschen, sehr empfänglich für Influenzaviren. Deshalb werden sie jetzt auch im Zusammenhang mit Corona als Tiermodell eingesetzt. Aber die Fledermaus-Influenzaviren vermehren sich kaum in diesen Tieren und werden auch nicht übertragen. Deshalb gehen wir davon aus, dass der Mensch nicht gefährdet ist. Aber jetzt wird es kompliziert… ZaS: Und ich dachte, es wäre bereits kompliziert… Schwemmle: Wir haben festgestellt,

dass dieses Fledermaus– viren in Zellkulturansätzen sehr schnell mutieren und besonders das HA-Protein verändern. Nun untersuchen wir, ob diese ungewöhnliche Fähigkeit ausgenutzt werden kann, um diese Viren an Zelloberflächen-Rezeptoren anzupassen, die nur in Krebszellen vorkommen. So könnte man später vielleicht Therapeutika entwickeln, die diese Krebszellen ausschalten. ZaS: Das heißt, dieses Virus wären dann eine Art „Schnüffelhund“? Schwemmle: Genau. Wir benutzen dafür diese Influenzaviren. Wenn man dies später therapeutisch einsetzen möchte, bräuchte man unter Umständen kein vermehrungsfähiges Virus mehr, sondern nur noch dieses Hüllprotein, das die Krebszelle erkennt. ZaS: Mit dem Coronavirus ist nun aber ein gefährliches Virus im Umlauf. Waren Sie vom Ausbruch der Pandemie überrascht? Schwemmle: Davon, dass ein Coronavirus irgendwann mal auf die Spezies Mensch überspringen würde, war ich nicht überrascht. Deshalb gab es in Deutschland ja Pandemiepläne, die auf diese Situation vorbereiten sollten und es gibt seit Jahren Corona-Forschungsschwerpunkte. In China gab es ein Überwachungsprogramm, weil man befürchtete, dass SARS-ähnliche Viren nach der Epidemie 2003 wieder auftreten könnten. Aber es wurde wahrscheinlich auch dort nicht früh genug erkannt, als dass man es hätte verhindern können. Aber, dass es sich dann als

solche Pandemie ausbreiten würde, das war schon überraschend. ZaS: Warum wirkten dann die öffentlichen Stellen so überrascht und recht hilflos, wenn doch längst Pandemiepläne vorlagen? Schwemmle: So hilflos waren die gar nicht und es wurde in Deutschland sehr viel richtig gemacht. 1918 gab es aber ähnliche kontroverse Diskussion wie jetzt auch. (1918 wütete die sogenannte Spanische Grippe. Das Influenzavirus tötete damals weltweit schätzungsweise zwischen 27 bis 50 Millionen Menschen; Anm. d. Red.) Jetzt sind wir schon viel besser aufgestellt und kennen den Erreger. In diesem Pandemieplan war übrigens ganz klar

Vor dem FSME-Virus, Auslöser der Frühsommer-Meningoenzephalitis, das durch Zecken übertragen wird, kann man sich ja durch Impfung schützen. ZaS: Wieso ist diese Koexistenz der Ursprung von Epidemien? Schwemmle: Weil wir die wilden Tiere verdrängen. Wir dringen immer mehr in die Tierwelt hinein und es kommt zu Kontakten bei denen eine Übertragung auf den Menschen stattfinden kann. ZaS: Sind auch Sie nun in der Pflicht, all Ihr Forschen auf das Coronavirus auszurichten? Schwemmle: Alle Virologen sind jetzt aufgefordert, ein Stück weit durch ihre Expertise zu helfen. ZaS: Haben Sie Sorge, dass die fieberhafte Suche nach einem Corona-Impfstoff zu Nachlässigkeiten

sicher. Schwemmle: Eben. Ich würde natürlich mitmachen, meine Hemmschwelle ist da ziemlich gering. Tatsächlich gibt es für bestimmte Studien genug Probanden. Das hatte ich auf der Dach­terrasse nur gesagt, um den Nachbarn die Problematik deutlich zu machen (lacht). ZaS: Wenn es kommenden Herbst/ Winter noch einmal zu einem Peak, einem Höhepunkt der Coronainfektionen kommen würde, dann würde Sie das auch nicht überraschen? Schwemmle: Nein. Dass es die zweite Welle in irgend einer Form geben wird, darüber sind sich alle Experten einig. Wie hoch sie sein wird, kann ich nicht abschätzen. ZaS: Warum im Winter? Hat das was mit den sinkenden Temperaturen zu tun?

beschrieben, dass es eine große Schwachstelle in unserem System gibt, nämlich dass nicht genügend Masken vorhanden sind. Die Nicht-Virologen waren vielleicht überrascht über den Pandemie-Ausbruch, die Virologen nur über die Vehemenz des Ausbruchs. Auch eine Influenza-Pandemie ist jederzeit möglich. ZaS: Hören Sie sich eigentlich die Podcasts des Virologen Christian Drosten an? Schwemmle: Herr Drosten ist richtig gut, teilweise höre ich mir die Podcasts an. Aber ich bin so beschäftigt mit meinen Forschungen, dass ich eigentlich gar keine Zeit mehr dafür habe. ZaS: Werden sich Pandemien häufen? Schwemmle: Pandemien werden immer wieder vorkommen, denn wir koexistieren mit den Tieren. Wir wissen auch nicht, ob Impfungen immer etwas nutzen werden. Welche Erreger kennen Sie, die von der Tierwelt immer mal wieder auf den Menschen überspringt? ZaS: Tollwut? Schwemmle: Tollwut ist nicht mehr sehr relevant in Europa. Hantaviren vielleicht, die durch Mäusekot übertragen werden können. Und das Hepatitis E-Virus gäbe es da auch noch, welches zum Beispiel durch ungekochtes Schweinefleich oder kontaminierte Blutprodukte übertragen werden kann.

führen könnte? Schwemmle: Zunächst einmal finde ich es natürlich klasse, dass jetzt so viele Firmen und Labors weltweit an einem Impfstoff forschen. Letzthin war ich mit Nachbarn auf einer Dachterrasse – in großem Abstand – und habe sie gefragt, wie sie sich verhielten, wenn sie aufgefordert würden, die Zuverlässigkeit eines Impfstoffs zu testen. Die erste Reaktion war: Klar, da würden wir mitmachen, wenn es denn sicher ist. Ich antwortete: Ich glaube schon, dass der Impfstoff an sich sicher wäre, aber eine Gewissheit gibt es nicht. Da wurden sie schon zurückhaltender. Aber als ich ihnen dann noch sagte, dass man bei diesen experimentellen Impfstudien zeigen muss, dass der Impfstoff auch unter Infektionsbedingungen zum Beispiel während der befürchteten zweiten Infektionswelle sicher sein muss, da wollte keiner mehr mitmachen. Das ist die Crux bei der Impfstoffentwicklung. Man muss gewissenhaft forschen, man braucht sinnvolle Studien, man braucht Freiwillige und man muss sofort die Notbremse ziehen, wenn was schief geht. Und ich glaube da wird jetzt schon richtig gut drauf geschaut. Aber das braucht seine Zeit. Würden Sie denn mit­machen? ZaS: Ich gebe offen zu, ich wäre nicht

Schwemmle: Ja, es gibt aber Saisonalitäten von Influenza auch in Ländern, in denen es gar keine Jahreszeiten gibt. Und natürlich ist man im Winter wieder in Räumen zusammen, was die Virusübertragung begünstigt. ZaS: Aber jetzt ist es warm, das Leben spielt draußen, viele fürchten keine akute Gefahr mehr… Schwemmle: Das stimmt. Manch einer, der die Krankheit nicht im persönlichen Umfeld miterlebt hat, unterschätzt sie vielleicht. Das kann zum Problem werden. Dabei waren wir mit rund 70 Todesfällen in Freiburg durchaus stark betroffen. Aber viele machen es auch richtig. Das sehe ich auch in meinem Bekanntenkreis: Die Großeltern leben bereits sehr abgeschirmt. Für alle älteren Menschen sollten kostenlos FFP2-Masken zur Verfügung gestellt werden, damit die sich wenigstens schützen können. ZaS: Die waren ja zwischenzeitlich gar nicht mehr zu bekommen und wenn, dann sind sie jetzt sehr teuer. Schwemmle: Ja leider. Es müsste jetzt viel Kraft und Geld investiert werden, um gefährdete Menschen mit sicheren Masken auszustatten. Dass das nicht passiert ist für mich der eigentliche große Skandal. Interview: Barbara Breitsprecher

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Ich verschwör dir, Alter! Damit keiner merken soll, dass der Verschwörungstheoretiker im Grunde selbst an die Macht will, behauptet er, dass ihm ein Maulkorb verpasst würde. Das ver­breitet er über alle Kanäle, eben weil es keinen Maulkorb gibt. Aber er scheitert. Von Michael Zäh

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an muss schon ein bisschen dumm sein, um zu glauben, dass alle anderen Menschen dümmer seien als man selbst. Die Krux an Verschwörungstheorien besteht genau darin, dass sich dabei immer der Verbreiter als gescheiter hinstellt als der ganze Rest der Menschheit. Und weil der Verschwörungstheoretiker ja soviel weiß, was anderen völlig verborgen blieb, deckt er eine weltweite Verschwörung auf. Nein, kleiner geht es nicht, es muss sich schon um die Welt (am besten noch das gesamte Universum) handeln, die vom Oberschlaui Verschwörungstheoretiker lässig leicht durchschaut wird. Hinter der großen Verschwörung vermutet, wer immer etwas auf sich hält derzeit gerne Bill Gates, den Gründer von Microsoft und daher auch Multimilliardär. Denn die Größe des Gegners ist natürlich entscheidend für den Ruhm derer, die ihn auffliegen lassen. Sprich: Der Bill Gates ist so schlau, dass alle Menschen auf der Welt gar nicht merken, wie er sie manipuliert. Denn die Leute sind ja alle „Schlafschafe.“ Nur derjenige, der das blickt, ist noch schlauer als Bill Gates, dessen Verschwörung er ja aufdeckt. Also treten Leute wie der ehe­malige Radiomoderator Ken Jebsen oder der Autor erfolgreicher veganer Kochbücher, Attila Hildmann mit ihren Erzählungen an, die im Falle Gates im Prinzip lauten, dass alle nationalen Regierungen, sowieso alle Virologen und die WHO den Plan umsetzen müssten, den Gates diktiert, um eine Weltherrschaft zu er­ringen. Nun ja, ab hier wird es ein bisschen kompliziert. Bisher haben wir also Schlaui Gates (wahlweise kann das auch Putin sein) und den Oberschlaui Verschwörungstheoretiker (VT). Der Rest der Menschheit blökt blöde vor sich hin. Aber nun wendet sich der Oberschlaui an die schlafenden Schafe, um ihnen die Augen zu öffnen – oder ist es, um ihnen die Wolle zu scheren? Warum das? Na ja, das können sogar Schlafschafe kapieren: Weil halt der Aufklärer über geheime Mächte und deren Verschwörung auch ein bisschen Lob braucht, quasi den Status des Erlösers, der die ganze Mensch-

heit gerettet hat, sobald diese das einsieht. Außerdem bringen die Klicks vieler Neugieriger in den sozialen Medien auch noch Geld ein. Dann natürlich wird der Mensch, der die Menschheit gerettet hat, zum gefeierten Anführer. Praktisch: die aufgeweckten Schlafschafe machen ihn zum Wolf im Schafspelz. Und das ist ja interessant. Erst fühlt sich der VT einzigartig, weil er eine Meinung hat, die nicht alle haben, praktisch: voll der Durchblicker, früher auch gerne der Oberchecker genannt (halt meistens während der Pubertät). Er fühlt sich dadurch besonders. Er weiß, was eigentlich passiert. Er weiß ja mehr als alle anderen. Aber dann plötzlich will er die Anerkennung all dieser Blinden? Er will sie führen. Er will an die Macht. Er will quasi Bill Gates ersetzen. Merkt ja keiner. Weil so raffiniert! Zwar kennt die Fantasie bei den Verschwörungserzählungen kaum Grenzen (Merkel wurde längst durch eine Doppelgängerin ersetzt, Trump ist der Heiland, der dagegen kämpft, dass Kinder unterirdisch zu Tode gequält werden, Satan ist der Gegner), aber sie hat ein Ziel: Den Ruhm derer mehren, die das alles erzählen. Das Problem besteht nun darin, dass sich dieser Ruhm partout nicht einstellen will. Denn die „Schlafschafe“ kapieren es einfach nicht, die Medien kungeln natürlich mit den Mächtigen (weshalb, logo, auch dieser Text natürlich nur dazu dient, die Wahrheit zu verschleiern). Ergo: Der geniale Aufdecker der Verschwörung kommt einfach nicht ans Ziel. Er muss daher weiterhin seinen Status als Außenseiter pflegen, obwohl er eigentlich das Gegenteil will. Also sagt er, dass ihm ein Maulkorb verpasst würde. Wir können das alle zur Kenntnis nehmen, eben weil er jeden Quatsch über alle Kanäle ungehindert erzählen darf. Die Meinungsfreiheit gilt auch hier, und das ist gut so. Wir glauben nicht, dass dies die Demokratie gefährden kann. Weil wir auch nicht glauben, dass alle Menschen dümmer sind als der eine „Aufklärer“. Da halten wir es eher mit ein bisschen Jugendsprech-Humor: „Ich verschwör dir, Alter!“ Wir glauben an den gesunden Menschenverstand.


Corona-Tagebuch | 23. Mai 2020

Sehnsüchte, welche seid ihr? Nach den Lockerungen der staatlich verfügten Einschränkungen liegt es nun wieder an jedem einzelnen deutschen Bürger, seine Entscheidungen abzuwägen und dafür eine persönliche Verantwortung zu übernehmen. Schwer! Von Michael Zäh

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ach den Lockerungen der Länder im Kampf gegen die Corona-Pandemie taucht nun etwas am Horizont auf. Und das, was da von Ferne grüßt, sind die Sehnsüchte. Denn nun sind wir alle mehr auf das zurück geworfen, was jeder individuell für sich, sein Leben, seine Liebsten für richtig hält. Wenn in den letzten sechs bis acht Wochen der Staat den Ton der Verbote angegeben hat, war das in gewisser Weise eine Entlastung der Verantwortung des Einzelnen. Wir konnten uns über die restriktiven Maßnahmen von „denen da oben“ aufregen, oder wir konnten diese Beschränkungen als noch zu wenig kritisieren. Sowieso hatten alle erst einmal damit zu tun, die bis dahin unvorstellbaren Veränderungen des öffentlichen und privaten Lebens zu begreifen. Und es war in dieser Zeit fast egal, was man für richtig oder falsch hielt. Denn Bund und Länder haben es ja schlicht befohlen. Nun aber, nach diversen und sehr sichtbaren Lockerungen – um dies zu sehen, musste man nur mal durch die Innenstädte mit den fast überall geöffneten Cafés flanieren – nun also muss jeder für sich selbst entscheiden, wie weit er gehen will. Wo sind die Sehnsuchtsorte und wenn, welche sind es mir wert, ein Risiko einzugehen? Man darf ja jetzt wieder verreisen, so nach und nach. Da könnte die Sehnsucht groß sein, gerade wegen des Schreckens der letzten Wochen, sich zurück in die paradiesische Welt eines Urlaubs zu beamen. Man könnte doch da hin, wo man in den letzten Jahren schon ein paar Mal war, quasi ein sanftes Abtauchen in die Entspannung. Und jetzt kommt das Neue: Die Sehnsucht muss sich einer nach Sigmund Freud, dem Erfinder der Psychoanalyse, trefflich genannten „Realitätsprüfung“ stellen, und zwar nicht von „da oben“ vorgegeben, sondern vom jedem Einzelnen selbst zu treffen. Denn die Bedrohung durch das Corona-Virus ist nicht weg, nur weil die Beschränkungen gelockert wurden. Die meisten von uns haben begriffen, dass dieses Problem auch weiter besteht und wir uns mit den eigenen Entscheidungen nicht mehr hinter einer staatlichen Verordnung verstecken können. Nun ja, nach Umfragen haben sich jetzt bereits 55 Prozent aller Deutschen dafür entschieden, in diesem Jahr gar nicht zu verreisen.

Dies ist auch ein Beispiel dafür, dass der Mensch Sehnsuchtsorte in eine neue Wirklichkeit einordnen kann. Wäre es wirklich so toll, an die Costa del Sol (Spanien öffnet ja auch frühestens ab Juli für Touristen), an den Gardasee oder nach Nizza zu reisen? Nicht nur, dass überall mit Masken zu rechnen wäre und das Shoppen eher einer Hygiene-Tortur gleichen könnte, sondern schon gleich am Anfang jeder Reise die Behörden der anderen Länder mit jedweder Art von Kontrolle nun nicht gerade einen Willkommensgruß senden würden. Motto: Was wollt ihr hier, und wenn, wieviele seid ihr? Ohnehin ist bereits eine ganz andere Realität in das Leben von uns eingebrochen. Wer will eine Reise planen, wenn er nicht weiß, wo die Reise in seinem Job hingeht? Es sind Millionen Jobs in Gefahr, vieles bleibt ungewiss. Deswegen kauft auch fast keiner derzeit ein neues Auto. Der Konsum muss warten, vielleicht weil er derzeit auch nicht die Sehnsüchte der Leute bedienen kann. Konsum ist ein Luxus, den sich derzeit viele Menschen ersparen. Dazu hat man in früheren Krisen wohl „hamstern“ gesagt. Es gilt umgekehrt ganz andere Entscheidungen zu treffen: Wenn dir nach dem Lockdown wieder die Möglichkeit angeboten wird, deinen Job erneut zu machen, aber eben in Kontakt zu vielen Mitmenschen, zum Beispiel Kindern – was machst du dann? Was ist, wenn du außerdem eine hochbetagte Mutter hast, die dich braucht? Dieses und millionenfach mehr sind nun die Entscheidungen, die der jeweils Einzelne zu treffen hat. Die Angst und die Sorge vor dem Virus sind nicht weg. Aber nun gar nix mehr tun, das geht auch nicht. Man muss darauf hoffen, dass die Vernunft und die Furcht bei möglichst vielen Menschen dafür sorgen, dass es vorwärts geht, ohne dem Corona-Virus erneut Tür und Tor zu öffnen. Zu begrüßen ist auf jeden Fall, dass dies nun nicht mehr zuallererst vom Staat bestimmt wird, sondern in den Händen (und Köpfen) der Bürger liegt. Sehnsucht kann man auch nach dem Training im Fitnessstudio, nach Kino oder Theater haben. Quasi nach einer Welt ohne Gefahr. Doch diese gab es nie.

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Corona-Tagebuch | 9. Mai 2020

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Der Mann, der die Maus war Bund und Länder haben einige Lockerungen beschlossen. Die Hauptbotschaft aber ist, dass jetzt die Ministerpräsidenten der Länder bestimmen, was wo geschieht. Und Winfried Kretschmann hat da eine spezielle Ampel-Idee. Von Michael Zäh

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in Mann denkt, er sei eine Maus. Er kann nicht mehr aus dem Haus, weil er immer in Panik verfällt, wenn er eine Katze sieht. Nach langer Behandlung entlässt ihn sein Psychiater als geheilt: „Sie wissen jetzt, dass sie keine Maus sind!“ „Ja Herr, Doktor, das weiß ich jetzt. Aber sagen Sie – weiß es die Katze auch?“ Dieser uralte Witz bekommt derzeit eine Neuerung. Wenn es nach dem Landesvater Winfried Kretschmann geht, soll es ja bald eine Art Corona-Ampel geben. Das hat er dann auch ausführlich erklärt: Rot ist das Ampelzeichen etwa bei Großveranstaltungen, gelb bei den Gastrobetrieben und grün beim Golfen im Freien. Aber sagen Sie mal, Herr Kretschmann – weiß es das Corona-Virus auch? Die Ampel ist ja rührend und vorsorglich gemeint. Aber jetzt mal ehrlich: Wenn es staatlich quasi mit offiziellem Grün gekennzeichnet ist, wo es angeblich keine Gefahr gibt, wer haftet dann dafür, wenn es genau dort doch zu einer Ansteckung kommt? Der Corona-Teufel kann im Detail stecken, sagen wir im Partner beim Golfen. Und umgekehrt wird es noch schlimmer. Wenn nämlich die Kretschmann-Ampel, die da vor dem Biergarten steht, plötzlich von Gelb auf Rot springt, weil so hat es der Landesvater ja erklärt, dass dies quasi der Sinn von Gelb ist, sowohl auf Grün wie auch auf Rot springen zu können – heißt das dann, dass Kretschmann eine Ampel-Koalition anstrebt? Nun gut, uns entgeht nicht das Fürsorgliche, das der Landesvater in Baden-Württemberg uns allen zukommen lassen will. Es soll eine Orietierung sein, für alle, die noch nicht kapiert haben, dass es bei Großveranstaltungen riskanter ist als zu Hause hinterm Herd. Die Kretschmann-Ampel lässt sich auch gut mit der Idee von Jens Spahn kombinieren, der einen Immunitätsausweis für die Bevölkerung einführen wollte. Und das geht so: Wer von Corona geheilt ist, hat auf seinem Handy den Ausweis seiner Immunität gespeichert, quasi Freibrief! Der darf dann halt mehr machen

als jene bedauernswerten Mitbürger, die Corona noch nicht hatten. Die Kretschmann-Ampel ist natürlich digital top ausgestattet und erkennt den Immunen sogleich. Die Ampel springt auf Grün, wo andere nur rot sehen. Wir stellen uns die Weiterungen dieser Idee geradezu lässig vor: Die Profi-Fußballer aller Bundesligisten legen sich gemeinsam mit nachweislich infizierten Fans gemeinsam ins Entmüdungsbecken. Bald darauf sind alle Kicker der Liga immun (oder tot) und man kann auf den ganzen Quatsch mit den Tests und der Hygiene verzichten und die Spiele durchführen. Das spart Zeit und Geld. Und na ja, weil die Fans ja auch nicht blöd sind, bestellen jetzt alle garantiert infizierte Schals im Internet (die Nachfrage macht das Angebot möglich), um alsbald mit dem Immunitätsausweis an den Stadiontoren zu stehen. Okay, Spahn hat seine Idee erstmal auf Eis gelegt und in der Schalte zwischen den Ministerpräsidenten und Kanzlerin Merkel wurde eine ganze Reihe von „Lockerungen“ beschlossen. Die Bundesliga kickt wieder (siehe Seite 16), alle Geschäfte dürfen öffnen, und auch das Gastro-Gewerbe im Laufe des Mai. Die Hauptbotschaft war aber, dass es nun erstmal Schluss ist mit den wöchentlichen, mühsamen Schalt-Konferenzen zwischen Bund und Ländern. Sprich: Kretschmann und Co. machen es in ihrem Land jeweils so, wie sie meinen und müssen dafür auch die Verantwortung tragen. Also: Grüne Ampel für die regionalen Fürsten. Rot hingegen für Merkels bremsende Strategie. Natürlich wäre Merkel nicht sie selbst, wenn sie das nicht auch gut verkaufen könnte: „Wir haben die allererste Phase der Pandemie hinter uns“, sagte sie. Die Zahlen seien erfreulich, dank der Bürger, die sich an die Einschränkungen gehalten haben. Und ein bisschen sind wir wie der Mann, der mal eine Maus war. Gerne wollen wir wieder raus, wenn da nur nicht die Corona-Katze wäre.


Corona-Tagebuch | 9. Mai 2020

Krise, Krieg, Katastrophe Die Begriffe, die in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie gerne verwendet werden, offenbaren schon die Unsicherheit. Da ist eine Unschärfe, die davon abhalten soll, das wahre Ausmaß der Katastrophe ins Auge zu fassen. Von Michael Zäh

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as Wort „Krise“ impliziert, dass es vorbei gehen könnte. Man spürt dem Wort an, dass eine Dringlichkeit darin liegt, und dass es Unsicherheit darüber gibt, wie der richtige Weg aus der Krise denn aussehen soll. Denn im Grunde ist die „Krise“ erst im Rückblick als eine solche zu bezeichnen, wenn es nämlich einen Ausweg gab. Wenn es keinen gab, wurde die Krise nicht überwunden sondern endete in einer „Katastrophe“. Insofern ist es vielsagend, dass von der Corona-Pandemie als der „Corona-Krise“ gesprochen wird. Denn das Wort ist einerseits geeignet, Hoffnung zu machen, eben darauf, dass es vorbei gehen wird. Doch es offenbart sich darin auch jedwede Unsicherheit, weil „Corona-Krise“ sehr unbestimmt bleibt. Was meint der Begriff eigentlich? Meint er die gesundheitliche Krise der einzelnen Menschen, die von dem Virus krank wurden? Meint er die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen Folgen, die nicht direkt durch das Corona-Virus entstehen, sondern durch die Maßnahmen, die dagegen ergriffen werden (müssen)? Meint er die Angst der Leute ? Oder meint er alles gleichermaßen? In seiner Unschärfe scheint der Begriff der „Corona-Krise“ alle zu vereinen. Quasi: Zusammenhalt zur Überwindung der Krise. Doch ein unscharfer Begriff bringt nunmal keine scharfen Einblicke. Da ist das Los desjenigen, der sich jahrzehntelang etwas aufgebaut hat (sei es eine Kneipe oder sonst was) und nun vielleicht alles verliert, weil der Staat ihm die Bude zuschließt. Und da ist derjenige, dessen Leben noch gerettet werden konnte, weil es noch ein Bett mit Beatmungsgerät für ihn gab, und zwar eben weil der Staat durch herbe Einschnitte in das Recht des Einzelnen dafür gesorgt hat, dass die Ausbreitung des Virus so verlangsamt wurde, dass das Gesundheitssystem in Deutschland (bisher) nicht zusammen brach. Dies alles und millionenfach noch weitere persönliche Umstände sind derzeit unter dem Begriff der „Corona-Krise“ miteinander verbunden. Wenn man denn „Krise“ als einen entscheidenden Wendepunkt versteht, der dann zum Besseren

führt, dann geht es eine Weile gut, weil na klar: die Hoffnung stirbt zuletzt. Wenn aber später unzählige wirtschaftliche, existenzielle oder psychische Krisen nicht mehr überwunden werden konnten, sondern zu lauter persönlichen Katastrophen führten, wird der Sammelbegriff „Corona-Krise“ millionenfach auseinander fallen. Zwischenzeitlich wurde ja auch gerne mal der Begriff „Krieg“ gebraucht, von Macron in Frankreich und Trump in den USA, in dem man sich gegen das Virus befinde. Was soll uns das sagen? Da man ein Virus nicht erschießen, nicht wegsprengen und auch nicht einschüchtern kann (von wegen psychologische Kriegsführung), bleibt eigentlich nur der dem Begriff „Krieg“ implizite Gedanke der „Mobilisierung“ übrig. Dies wiederum ist aber nur eine Steigerung der Unschärfe, die schon im Begriff „Krise“ steckt. Wenn im „Krieg“ gegen das Corona-Virus alle Kräfte (also Leute) mobilisiert werden sollen, dann soll das ebenfalls auf den Zusammenhalt abzielen. Da werden aber natürlich persönliche Unterschiede der jeweils Betroffenen weggewischt, in diesem Falle ist sogar der Begriff des „Opfers“ mit integriert, welche im Krieg ja Einzelne zu erbringen haben. Wenn Begriffe wie „Krise“ und „Krieg“ einen Zusammenhalt in der Gesellschaft herstellen sollen, dann sind es andere, negierende Begriffe, die noch deutlicher werden. So sagte etwa Markus Söder kürzlich, dass es sich beim Corona-Virus „NICHT um ein Gewitter“ handele. Damit nahm er folglich der „Krise“ das Optimistische, dass es bald vorbei sein könnte. Noch krasser war hier die Wortschöpfung von Österreichs Kurz, sowie Scholz und Spahn, die sagten, dass man sich an eine „neue Normalität“ gewöhnen müsse. Fast so, als sei dieser Begriff ansteckend. Sprich: Tschüss Freiheit. Das hört sich schwer nach Katastrophe an. Doch wie soll man auch zu einer Sache sagen, von der nur eines klar ist: Sie ist da! „Krise“ heißt, das es kritisch wird. Und das ist es auch, was wir alle sein sollten. Denn die Kritik schaut auch nach vorne. Nach der Krise ist vor der Krise.

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Ausgabe 289 am 30 Samstag, 30. Mai 2020

Wenn die Zeit reif ist für „ein Stück Mut“ Öffnungsdiskussionsorgien. Nach den ersten zaghaften Lockerungen von Bund und Ländern knirschte es immer lauter. Denn plötzlich waren die Vergleiche da: Warum dürfen wir nicht, was andere dürfen? Angela Merkel wollte „Kritik und Widerspruch“. Nun überlässt die Kanzlerin weitgehend den Ländern die neuen Lockerungen. Von Michael Zäh

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er Faktor Zeit ist in vielerlei Hinsicht ungleich. Es kann um die Zeit gehen, die Geld sei, oder um die Zeit, die verschwendet wird. Es kann um Lebenszeit gehen. Und „mit der Zeit“ zeigt sich manches, das anfangs noch verborgen blieb. Manche meinen ja, dass die Zeit alle Wunden heile. Das könnte man auch zynisch verstehen. Andere sagen, dass sich der Mensch an alles gewöhnt, also wenn es nur lang genug so ist, wie es ist. Und es kann ja stimmen, dass es eine Zeit vor Corona sowie eine Zeit nach Corona gegeben haben wird. Im Hier und heute geht es aber um die Zeit mit Corona. Hier heilen die Wunden nicht, sondern werden Tag für Tag größer: In der Gesellschaft, in der Wirtschaft, in der Kultur, im Sport, ja überhaupt in allem, was Menschen in dieser Corona-Zeit durchmachen. Der Schaden, der momentan für viele Menschen angerichtet wird, häuft sich ins Unermessliche. Und das wird mit der Zeit nicht besser werden, sondern immer schwerer zu ertragen.

Die Zeit drängt. Das tut sie ja immer, aber derzeit umso mehr. Denn die Menschen in Deutschland (auch in Europa und der Welt) werden sich nicht daran gewöhnen können, dass sie eingesperrt werden. Nicht auf unbestimmte Zeit. Und wenn alles von der Verbreitung des Corona-Virus abhängt, ist die Zeit eben unbestimmt. Die Menschen werden es mit jedem Tag, den es länger andauert, umso weniger akzeptieren können, dass sie sich nicht mit Verwandten, Freunden, auch in größeren Gruppen treffen dürfen. Denn zum Menschsein gehört es dazu, unter Menschen zu sein. Ja sogar, auch wenn dies heute wie ein aussätziger Satz klingt, gehört zum Menschsein dazu, dass sich Menschen umarmen, zusammen tanzen und schunkeln. Körperliche Kontakte, um es krass zu sagen, fördern ja nunmal den Fortbestand der Menschheit. Es mag sein, dass es derzeit nicht die Zeit ist, dies zu erwähnen. So hat Angela Merkel am 23. April in ihrer Regierungserklärung zwar erneut um größtmögliche Geduld gebeten, aber


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zurückkehren dürfen? Die neuen Lockerungen sehen nun vor, dass die Notbetreuung in den Kitas ausgebaut wird. Und stimmte es wirklich, dass die Gastronomie potenziell ansteckender ist als der Blumenladen, der (zum Glück!) wieder öffnen durfte? Da gab es doch kreative Bemühungen in Kneipen und Restaurants, um dann alle Leute hinter Plexiglas-Scheiben quasi in durchsichtige Separees zu schicken. (Man wäre ja neugierig, welche Orgien sich dahinter abhalten ließen, also ungefähr das, was man früher Unterhaltung nannte.) Die Zeit

hat Druck gemacht und deshalb haben nun einige Bundesländer erlaubt, dass auch die Gastronomie wieder öffnen kann. Es gibt noch viele Bereiche, die man sozusagen „umgedeutet“ hatte: Kontaktsperren für Jugendliche sind eigentlich eine Zumutung, aber wegen Corona sind es nun die Jugendlichen, die angeblich die Zumutung für die Gesellschaft darstellen, weil sie sich gerne treffen wollen. Vereinsamte Menschen sind derzeit völlig isoliert, viele sehr alte Menschen sterben in Pflegeheimen ohne den Beistand und

die Anwesenheit ihrer Nächsten. Ja und Millionen Menschen fürchten um ihren Job und ihre Existenzgrundlage. Das alles hat mit der Zeit viel Druck aufgebaut. Viele Fragen wurden drängender, weil sie nicht dadurch schon beantwortet sind, dass die Corona-Pandemie es bestimme. Kanzlerin Merkel fand noch am 23. April die Lockerungen in manchen Bundesländern „zu forsch“. Sie befürchtete, dass dadurch die bis dahin erzielten Erfolge im Kampf gegen die Ausbreitung des Virus in Deutschland schnell zunichte gemacht werden könnten. Das kaufte man ihr auch ab. Doch ihr Credo, dass „Kritik und Widerspruch nicht nur erlaubt“ seien, „sondern eingefordert und angehört werden“ sollen, umfasst eben auch andere Fragen als jene der Verbreitung des Virus. Merkel weiß auch das. Nun gibt sie nach und übertrug am 6. Mai die Verantwortung weitgehend an die Länder und deren Minister. Merkel sagte: „Wir können uns ein Stück Mut leisten.“ Es war höchste Zeit, dass eine grundsätzliche Entscheidung kommt. Und diese Entscheidung betrifft die Zeit und was man daraus machen will. Denn es zeichneten sich zwei Varianten ab, im Kampf gegen Corona. Entweder jetzt, noch am Anfang der Pandemie länger strikte Regeln einhalten, um danach wieder voll öffnen zu können, oder in ständigen Wellen zwischen Lockerungen und Lockdowns zu leben, die sich nach der Corona-Verbreitung richten werden. Die Beschlüsse für „ein Stück Mut“ sind die zweite Variante, mit einem „Notfallmechanismus“, also der Zahl an Neuinfektionen, die dann wieder alle Beschränkungen aktiviert. Die Zeit war wohl reif für „ein Stück Mut“, weil aktuell der Verlauf der Pandemie es hergab. Nun tastet sich Deutschland voran, mit unterschiedlichen Lockerungs-Szenarien in den Ländern. Angela Merkel zieht sich aus der Debatte zurück, ohne Orgie.

Illustrationen: Viktor Lukanow

auch gesagt: „Diese Pandemie ist eine demokratische Zumutung.“ Und eine solche Situation sei „nur akzeptabel und erträglich, wenn die Gründe für die Einschränkungen transparent und nachvollziehbar sind, wenn Kritik und Widerspruch nicht nur erlaubt, sondern eingefordert und angehört werden, wechselseitig“. Okay, das war keine Botschaft an die Ministerpräsidenten des Landes, denen Kanzlerin Merkel tags zuvor ja noch „Öffnungsdiskussionsorgien“ vorgeworfen hat (wobei man gerne wüsste, ob für Merkel die Orgien schon dort beginnen, wo andere sich nur mal gerne die Speisekarte bringen lassen würden). Nein, Merkel meinte wohl das Volk, und zwar „im Großen und Ganzen.“ Tja, und tatsächlich knirschte es immer lauter, nachdem erste eher zaghafte Lockerungen von Bund und Ländern eingeführt wurden. Denn plötzlich waren Vergleiche da. Und die Frage: Warum dürfen wir nicht, was andere dürfen? Warum durften zunächst Gläubige wegen der Corona-Krise nicht in die Kirche, aber nebenan standen die Leute am Baumarkt an? Das war nunmal keine unberechtigte Frage, da man bei einem durchschnittlichen Gottesdienst in einer gottgewollt groß gebauten Kirche das Abstandsgebot leichter umsetzen kann als dies beim Friseur um die Ecke möglich ist. Heißt dies dann, dass Frisur systemrelevant ist, der Gottesglaube aber nicht? Nun ja, weil das mit der Zeit drängender wurde, gab es nun auch Lockerungen für Gläubige. Und wieso durfte der Laden mit bis zu 800 Quadratmeter wieder öffnen, aber der mit 801 Quadratmetern sollte dicht bleiben? Mit Beschluss vom 6. Mai haben Bund und Länder dies nun geändert: Alle Geschäfte dürfen wieder öffnen. War es wirklich gerechtfertigt, dass Kitas noch Monate geschlossen bleiben sollten, während ältere Kinder in die Schule


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Ausgabe 287 am 4. Samstag, 4. April 2020

Es geht auch um die Hygiene des Geistes Live-Kultur. Plötzlich heißt es wie selbstverständlich, dass Jazzklubs, Theater, Kleinkunst, Klassik-Konzerte und Pop-Events „verzichtbar“ seien. Es ist evident, dass im Kampf gegen die Verbreitung des Virus alle Live-Acts suspekt sind. Sie stehen aber auch fürs Menschsein. Von Michael Zäh

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ast unmerklich, so scheint es, sorgt weltweit die Bekämpfung des Virus für eine Verschiebung der Maßstäbe. Und das wird in jenen Bereichen des Menschseins besonders deutlich, über die derzeit in Corona- Zeiten, wie diese genannt werden, am wenigsten geredet wird. Und das ist die Kultur, insbeondere die Live-Kultur. Diese sei nämlich „verzichtbar“, sagte Jehns Spahn. Natürlich wissen wir nicht, ob er die Kultur sowieso nicht so mag, oder ob er einfach pflichtgemäß als Gesundheitsminister des Landes spricht. Das Wort „verzichtbar“ ist aber in jedem Fall Ausdruck von Ignoranz. Denn es ist ja so, dass der Widerspruch auf der Hand liegt. Einerseits ist es völlig evident, dass in Zeiten dieser Seuche jedes Live-Event sehr

großen Schaden anrichten kann, also bezüglich einer „vogelwilden“ Verbreitung des Virus. Andererseits sollten wir uns trotzdem noch daran erinnern können, dass die Live-Kultur eben deshalb eine Gefahr darstellt, weil sie so beliebt ist. Nur weil Tausende oder mitunter Hunderttausende gerne zu den Live-Acts gehen – und was könnte besser belegen, dass es hier nicht um „verzichtbare“ Kultur geht? – also nur weil hier die „Live“-Kultur buchstäblich das „Leben unter Menschen“ ausmacht, ist sie nun zur Gefahrenquelle geworden. Ist es so, dass die Live-Kultur in Jazzklubs, auf Theaterbühnen, in der Kleinkunst, bei Klassik-Konzerten und bei spektakulären Pop-Events halt nunmal der Luxus des Menschen ist, solange er keine anderen Probleme

hat? Sobald es aber „ernst“ wird, ist das süße Kulturleben nebensächlich? Fast verschwunden, aus den Augen aus dem Sinn, könnte man da als Sprichwort bemühen. Wie soll denn dann die Prioritäten-Hitliste lauten? Erst die Gesundheit (sprich: Die ist nicht alles, aber ohne sie ist alles nix), dann die Wirtschaft, dann der Fußball (Brot und Spiele, in schwerer Zeit), und irgendwann später, ganz hinten auf der Liste: Kultur live, also wie „Life“, soll heißen: das Leben in gemeinsamen Momenten. Dieses unwiderruflich einmalige Gefühl, live und lebend dabei gewesen zu sein, statt sich nur aus der Konserve des Internets zu speisen. Im Überschwang des Live-Erlebnisses entsteht ja auch die Frage: Dürfen wir erstmal noch ein bisschen

leben, bevor wir sterben? Es nutzt gar nichts, die Gedanken damit abzutun, dass es ja eh nicht zu ändern ist. Das stimmt zwar, so klar und eindeutig wie nirgendwo sonst, wenn man es aus Sicht der Bekämpfung des Corona-Virus sieht. Aber man darf trotzdem darüber nachdenken, was das denn heißt. Sind wir jetzt alle dazu verdammt, in der Isolation zu verharren und der Kultur jenes „Live“ zu nehmen, das sie so lebendig gemacht hat? Es ist zwar völlig okay, wenn viele Kulturschaffende jetzt von zu Hause ihre Kunst ins Netz bringen. Die Frage sei aber erlaubt: Ist das die Zukunft der Menschheit, jeder für sich mit einem Medium vor der Birne, ohne Kontakt zum wahren Leben?


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Samstag, 4. April 2020

I‘m a ghost Living in a ghost town You can look for me But I can‘t be found You can search for me I had to go under–ground So lauten ein paar Zeilen eines neuen Songs der Rolling Stones. Dieser soll angeblich schon vor einem Jahr aufgenommen worden sein, was dann aber wahrhaft Magie wäre in seiner Weitsicht. Könnte natürlich Marketing sein, quasi: Hellseher Jagger. Aber es passt. Das Feeling stimmt. Jeder weiß ja, dass es Hunderttausende wären, die bei einer erneuten Tournee des Stones dabei sein wollen. Und ebenso weiß jeder, dass Mick Jagger und Keith Richards mit ihren 76 (!) Jahren zur Risikogruppe gehören (na ja, wobei Richards wohl nie in seinem Leben

I‘m a ghost Living in a ghost town You can look for me But I can‘t be found You can search for me I had to go underground eine Drogen-Risiko gescheut hat). Aber dieses : „You can look for me. But I can‘t be found“ (Du kannst nach mir Ausschau halte. Aber ich kann nicht gefunden werden) erinnert an die großen Hits wie „Street Fighting Man“ und „Sympathy for the Devil“.

I‘m a ghost Living in a ghost town I‘m going nowhere Shut up all alone So much time to lose Just staring at my phone (Ich bin ein Geist

Der in einer Geisterstadt lebt Ich gehe nirgendwo hin Eingesperrt, ganz alleine So viel Zeit zu verlieren Nur auf mein Handy starrend) Tja, das ist der Song, der passt! Das ist heute und im dazu gehörigen

Video mit Bildern der verlassenen Städte dieser Welt veranschaulicht. Es sind aber natürlich nicht die Rolling Stones, mittlerweile alt und reich (und trotzdem weiterhin klasse), um die wir uns jetzt sorgen müssen. Es sind die unzähligen eher kleinen

I‘m a ghost Living in a ghost town I‘m going nowhere Shut up all alone So much time to lose Just staring at my phone (Ich bin ein Geist Der in einer Geisterstadt lebt Ich gehe nirgendwo hin Eingesperrt, ganz alleine So viel Zeit zu verlieren Nur auf mein Handy starrend) Live-Veranstalter, oft auch Familienbetriebe, die nicht nur wirtschaftlich vor dem Nichts stehen, sondern wohl auch von der Umdeutung konsterniert sind, die wie selbstverständlich um sich greift: Live-Kultur ist jetzt gleich: Seuche! Daran knüpft sich schon auch die Frage, ob ein seelenloses Virus nun das bestimmen darf, was Menschen denken. Denn was der Mensch denkt, und wie er es denkt, gibt dem Teufel Gestalt und Sinn, oder eben trägt zu dessen Überwindung bei. Da geht es jetzt mal nicht um Medizin, sondern um die Hygiene des Geistes. Pleased to meet you Hope you guess my name!

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Samstag, 25. Corona-Tagebuch

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Ausgabe 287 am 4. Samstag, 25. April 2020

Donald Trump findet sich always great Amerika und die Corona-Katastrophe. Obwohl der US-Präsident nachweislich die Gefahr durch das Corona-Virus lange leugnete, wollte er sich mit „allumfassender Macht“ zum alleinigen Entscheider darüber machen, wann Lockerungen für die Wirtschaft kommen. Von Michael Zäh

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onald Trump zeigt ja eigentlich immer sein wahres Gesicht. Man kann ihm daher nicht anlasten, dass er ein echt raffinierter Lügner sei. Jede noch so bescheidene Dumpfbacke erkennt, dass es Trump stets um ihn selbst und seine von ihm postulierte Großartigkeit geht. Er ist also insofern ehrlich. Man weiß, was man an ihm hat. „Wir haben es völlig unter Kontrolle. Es ist nur eine Person, die aus China kommt, und wir haben es unter Kontrolle. Es wird alles gut werden“, sagte Trump am 22. Januar in einem CNBC-Interview, nachdem am Vortag der erste Fall einer Corona-Infektion in den USA bekannt geworden war. Am 30. Januar dann, als die WHO die Ausbreitung des Virus zur „gesundheitlichen Notlage von internationaler Tragweite“ erklärte, sagte Trump: „Wir haben in diesem Land im Moment ein

sehr kleines Problem - fünf. Und alle diese Menschen erholen sich erfolgreich.“ Am 10. Februar sagte Trump: „Sie wissen, dass es im April angeblich mit dem heißeren Wetter stirbt. Und das ist ein wunderbares Datum, auf das man sich freuen kann.“ Am 26. Februar hieß es von Trump: „Bei uns geht es ganz erheblich nach unten, nicht nach oben. Es ist in etwa wie die normale Grippe, gegen die wir Impfungen haben. Und im Prinzip werden wir dafür ziemlich schnell eine Grippeimpfung bekommen.“ Am 9. März twitterte Trump: „Die Fake-News-Medien und ihre Partner, die Demokratische Partei, tun alles in ihrer halbwegs beachtlichen Macht (früher war sie größer!), um die Corona-Lage stärker anzuheizen, als die Fakten es hergeben.“

Stand 17. April gibt es in den USA knapp 672.000 Infizierte und 33.288 Tote, stündlich wachsend. Heutzutage sind ja all die früheren Sprüche des US-Präsidenten in Ton, Bild und Twitter gespeichert. Doch jetzt kommt das Erstaunliche: Trump schert es nicht, dass mit all diesen digital gespeicherten Aussagen von ihm selbst ja auch schon bewiesen ist, dass er das Corona-Virus lange Zeit verharmlost hat. Er setzt offenbar darauf, dass in der schnellebigen Welt der sozialen Netzwerke kein Mensch mehr die Aufnahmen von gestern (gefühlt: vor einer Ewigkeit) anschaut. Kürzlich hat nun die „New York Times“ detailliert nachgezeichnet, wie Trump es in den wohl entscheidenden Wochen zwischen Ende Januar und Mitte März versäumt hatte, die USA auf die Corona-Krise vorzubereiten.

Während einige seiner Berater und die Gesundheitsexperten in der Regierung schon früh vor einer Pandemie gewarnt hatten, hatte Trump es versäumt, Ausgangssperren, Schulschließungen und andere Maßnahmen abzusegnen, um die Ausbreitung des Virus möglichst zu verlangsamen. Trump sprach - wie immer - von „Fake News“ und sagte gleich dazu, dass auch die „New York Times“ selbst, quasi als ganze Zeitung eine einzige Fake-News sei. Dummerweise hat dann aber ein Mann dem Präsidenten indirekt widersprochen, den das Magazin „The New Yorker“ erst kürzlich zum „vertrauenswürdigsten Mann Amerikas“ gekürt hat: Der Immunologe Anthony Fauci, 79 Jahre alt, der bereits sechs US-Präsidenten als oberster Berater zur Seite stand. Bei Trump ist dies in letzter Zeit ziemlich buchstäblich zu verstehen


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nicht durch Studien belegt, die nämlich allenfalls eine „anekdotische Evidenz“ hätten (ein kleiner Seitenhieb nach Marseille, wo Frankreichs führender Seuchenbekämpfer eine Mini-Studie mit 26 (!) Teilnehmern machte). Die Belege, sagte Fauci nun dem Millionen-Publikum, reichten nicht für eine Empfehlung. So ging das schon seit einer Weile zwischen Trump und Fauci, der dabei stets betonte, dass er sich nicht gegen den Präsidenten aufspielen will. Nun aber hat Fauci in einem Interview mit CNN (auf den New-York-Times-Artikel angesprochen), bestätigt, dass wohl weniger Amerikaner gestorben wären, wenn man das Land früher dicht gemacht hätte. Prompt ließ Trump in einem Tweet durchblicken, dass er Fauci feuern will. Es ist so: Jeden Morgen steht Trump auf, schaut in den

Spiegel und sagt sich: „Make Trump great again!“ Und als er es gemerkt hat, dass seine Verharmlosung des Corona-Virus ihm noch schaden könnte, hat er schamlos die verbale Kehrtwende gemacht: „Ich habe immer gewusst, dass das eine Pandemie ist. Ich hatte das Gefühl, dass es eine Pandemie ist, lange bevor es als Pandemie bezeichnet wurde.“ Oder, na klar, einen Schuldigen benannt: „Die WHO hat es wirklich vermasselt.“ Der Organisation mit Sitz in Genf fror er die US-Zahlungen ein. Besonder dreist ist der Gegensatz späterer Äußerungen zu den früheren: „Wenn wir es so eindämmen können, dass wir zwischen 100.000 und 200.000 Tote haben, dann haben wir alle zusammen einen guten Job gemacht“, so Trump im April.

Es könnte sein, dass sich in den USA ein Drama abspielt, wie es bisher kaum vorstellbar war. Nämlich dass Trump trotz täglich steigender Todeszahlen (die ja längst die höchsten in der Welt sind) den Lockdown öffnen will, weil er um seine Wiederwahl fürchtet, wenn es der Wirtschaft schlecht geht. Trump meint, dass er allein über die Lockerung der Corona-Auflagen entscheiden kann. „Wenn jemand Präsident der Vereinigten Staaten ist, ist die Macht allumfassend“, so Trump in geradezu verräterischer Offenheit. Gouverneure aus den einzelnen US-Staaten wiesen das umgehend mit der Argumentation zurück, die Verantwortung für die öffentliche Sicherheit liege gemäß dem föderalen System der USA bei ihnen. Das wiederum ist prima für Trump: Geht es schief, dann sind die Gouverneure schuld.

Layout: Viktor Lukanow

gewesen: In den täglichen Presseauftritten von Trump steht Fauci seitlich hinter Trump, während dieser von Dingen prahlt, die er nicht versteht. Wie etwa am 5. April, als er vor Millionen Zuschauern die Einnahme eines Malaria-Mittels anpries. „Take it“ und „Try it“ rief Trump der Nation zu. Er hatte davon schon am 6. März in einer Rede in Atlanta geschwärmt: „Ich mag dieses Zeug. Ich verstehe es wirklich. Die Leute sind überrascht, dass ich es verstehe. Jeder dieser Ärzte sagte: ‚Woher wissen Sie so viel darüber?‘ Vielleicht bin ich ein Naturtalent.“ Noch Fragen? Doch dann kommt Anthony Fauci als Fachmann zu Wort, der somit von seitlich hinter Trump ganz nach vorne gebeten wird. Und der sagte in diesem Fall: Die Wirksamkeit des soeben vom Präsidenten angepriesenen Mittels sei


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Ausgabe 287 am 4. Samstag, 18. April 2020

Da ist der Mensch wie der Hund Verbote. Wenn es verboten ist, in München auf einer Parkbank ein Buch zu lesen, dann fragt sich der Mensch schon, was hier der Hintergedanke ist. Der Weiße Schäferhund oder der Tibet Terrier befolgen Befehle auch nur, wenn sie deren Sinn einsehen. Von Michael Zäh

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enn Sie einen Hund suchen, der ohne zu zucken auf Ihre Befehle hört, dann ist der Weiße Schäferhund nicht der richtige für sie. Denn er befolgt einen Befehl nur, wenn er auch den Sinn des Befehls einsieht. So steht es geschrieben in einem einschlägigen Ratgeber. Nun ist der Mensch natürlich nicht in jeder Hinsicht wie der Hund. Es könnte aber sein, dass auch der Mensch sich eher jenen Befehlen beugt, deren Sinn er einsehen kann. Und umgekehrt: Je strikter der Mensch die Befehle befolgen soll, die derzeit überall in der Welt sind, desto eher neigt er zum Ausbrechen. Und wenn der Weiße Schäferhund nicht will, dann will er nicht. Da kann Herrchen zehnmal „du sturer Hund“ rufen. Nutzt dann gar nix. Doch heute ist ja auch ein Mensch nicht nur „der Mensch“, sondern er ist womöglich ein Franzose anstatt ein Deutscher, ein Amerikaner gar, oder als Deutscher vielleicht ein Bayer. Die Unterschiede sind derzeit riesig, jetzt mal rein vom erzieherischen Ansatz her gesehen. Es ist insgesamt zu loben (siehe Titel), dass in Deutschland mit den deutlich sinnvolleren Kontakverboten anstatt den schwer nachvollziehbaren Ausgangssperren wie etwa in Frankreich und anderswo operiert wird. Wer dort nur eine Stunde am Tag aus der Wohnung darf und dies

dann auch nur im Umkreis von einem Kilometer um den Wohnsitz, selbst wenn er völlig allein spaziert und den Mindestabstand von zwei Metern zu anderen Personen einhält, dem kann als Mensch und Franzose schon die Sinnkrise kommen, weil hinter dem strikten Ausgehverbot einfach nur Drohung (und die Vollstreckung der Strafe) steckt und keine nachvollziehbare Erklärung. Hinzu kann dann noch kommen, je nach Lebenssituation, dass die so auferlegten Verbote aller Wahrscheinlichkeit nach mehr Schaden anrichten als Gutes zu bewirken. Etwa wenn der Mensch in einem Hochhaus in einem Vorort von Paris lebt, und dort auf 45 Quadratmetern mit weiteren acht Leuten in einem Haushalt. Jetzt, selbst wenn er da nicht wahnsinnig wird, weil er nur eine Stunde am Tag raus darf, ist es doch so, dass es für alle besser wäre, wenn er fünf Stunden an der frischen Luft spaziert wäre. Auch in Deutschland gibt es einige Beispiele, bei denen sich die Sinnfrage stellt. „Nein, ein Buch auf einer Bank lesen ist nicht erlaubt“, lautet etwa ein Tweet der Müncher Polizei. Es gab entsprechend auch Fernsehbilder von Park- bzw. Uferbänken am Bodensee, die allesamt mit rotweißem Plastikband umwickelt sind, damit sich da bloß keiner drauf setzt. Jetzt warum? Angenommen man würde sagen, dass halt derzeit immer

nur eine Person auf eine Bank sitzen darf, möglicherweise mit dem Appell verbunden, dass der lesend Sitzende auch an jene denken soll, denen er nicht zu lange den Platz wegnehmen soll, sprich: Kurzgedicht und dann im Gehen weiter denken. Dann wäre doch im Sinne der Gesundheit aller logisch, dass dies kaum gefährlich wäre, aber förderlich für Geist und Seele. Wenn ein Buch auf einer Bank zu lesen in München nicht erlaubt ist, dann kommt der Mensch ins Grübeln. Denn er fragt sich prompt nach dem Grund dafür. Da ist der Mensch ganz ähnlich wie der Tibet Terrier, der laut Ratgeber „über ein großes Maß an Unabhängigkeit und Sebstsicherheit verfügt.“ Ergo: „Unterwürfigkeit oder gar bedingungslose Unterwerfung können wir beim Tibet Terrier also niemals erwarten.“ Doch weil der Mensch sich etwas denken kann, kann er sich schon auch denken, dass hinter solchen Verboten wie dem von der Müncher Parkbank ein weiterer Gedanke der Behörden steckt. Nämlich derselbe, weshalb das Sonnenbaden (trotz allem Abstand zu anderen Leuten) in Parks und auf Wiesen nicht erlaubt sein soll. Achtung, die Beörden denken sich: Wenn einer auf die Parkbank darf, dann wollen das alle anderen auch. Und dann ist jeder Abstand schnell dahin und womöglich finden dann sogar Gespräche zwischen Leuten statt, die

sich erzählen, was sie jeweils lesen. Auch das Sonnenbaden hat ja quasi einen Sogeffekt, weil die Sonne ist ja für alle da. Warum aber Leute nicht aus Berlin raus in ihre Zweitwohnung aufs Land dürfen, kann dann doch wieder keiner erklären. Solche Hintergedanken, die nicht wirklich mitgeteilt oder gar diskutiert werden, haben einen groben Fehler. Und der besteht darin, dass sowieso alle Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus nur funktionieren können, wenn halt möglichst viele Menschen aus eigener Überzeugung auch mitmachen. Und dies scheint ja in Deutschland auch recht gut zu klappen. Deshalb sollte es nicht von dem Gedanken der Unmündigkeit der Bürger (schwer erziehbare Kinder) untergraben werden, wo es doch gerade die Mündigkeit ist, die derzeit alles trägt. Deshalb nochmal zurück: Weshalb soll es den Bürgern nicht zuzutrauen sein, sich an sonnigen Tagen an der frischen Luft, auf Parkbänken oder Wiesen so verantwortungsvoll zu verhalten wie sie es schon die ganze Zeit über tun? Ohne die Einsicht und Disziplin der Gesellschaft geht eh gar nix. Da ist der Mensch wie der Hund: „Naturgemäß verfügt der Tibet Terrier über eine gewisse Zielstrebigkeit, wenn es ihm darum geht, seinen Willen durchzusetzen. Anweisungen, die er nicht für geeignet hält, kann er auch einmal schlicht ignorieren.“


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Ausgabe 287 am 4.

„Jeder einzelne Mensch erlebt dies seelisch anders“

Samstag, 18. April 2020

Interview. Die Psychologin Dr. Andrea Zäh trägt einen anderen Blick zur aktuellen Pandemie bei. Was vorher schon war, wird durch die CoronaKrise nicht verschwinden, sondern nur anders sein. Interview von Michael Zäh

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r. Andrea Zäh erklärt im Interview mit ihrem Bruder, weshalb es auch noch einen anderen Blick auf das Geschehen rund um die Ausbreitung des Corona-Virus geben kann. Nämlich den der Einzigartigkeit jedes einzelnen Menschen und den Umstand, dass deshalb auch jeder einzelene Mensch die momentane Corona-Krise seelisch anders erlebt. ZaS: Was versteht man unter Gesundheit ? Andrea Zäh: In der Verfassung der Weltgesundheitsorganisation heißt es: „Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen. » ZaS: Was heißt dies bezüglich der psychischen Gesundheit? Andrea Zäh: Psychische Gesundheit ist

die Möglichkeit zum seelischem individuellem Wohlbefinden. Ein Mensch, der sich seiner selbst bewusst ist, der einerseits genug widersprüchliche Fixierungen in sich trägt, um so krank zu sein wie viele Patienten, der andererseits aber auf seinem Weg nicht auf zu viele oder zu große interne und externe Schwierigkeiten gestoßen ist, hinsichtlich seiner erblichen und seiner erworbenen affektiven Ausrüstung, hinsichtlich seiner defensiven und anpassungsfähigen persönlichen Fähigkeiten. Denn dieselben ermöglichen ihm seine Bedürfnisse und Triebe, seine irrationalen und rationalen seelischen Vorgänge weiterhin so zu steuern, in Schach zu halten, damit er auf persönlicher und sozialer Ebene, unter gebührender Berücksichtigung der Realität, flexibel bleibt. ZaS: Was bedeutet dies in Bezug auf die

derzeitige Krisen-Situation wegen des Corona-Virus, die ja nun tatsächlich eine Realität ist, die es gebührend zu berücksichtigen gilt? Es wurden inzwischen mehr als 3,5 Milliarden Menschen aufgefordert zu Hause zu bleiben, um die Ausbreitung der Pandemie einzugrenzen bzw. zu verzögern. Andrea Zäh: Ja genau, diese Schutzmaßnahmen betreffen unglaublich viele Menschen auf der Welt, in ganz verschiedenen Ländern, wo die medizinische Versorgung mehr oder weniger gelingt. Auch in Europa sind die sozialen, materiellen und finanziellen Unterschiede sehr groß, und damit auch konkret die persönlichen Bedingungen der Menschen, diese Kontaktsperre positiv oder negativ zu erleben. Solange man nicht ins Krankenhaus muss und da man nicht mehr an seinen Arbeitsplatz gehen kann, soll ja Jeder zu Hause

bleiben. Entscheidend ist hier aus meiner Sicht: Jeder einzelne Mensch erlebt dies seelisch anders! ZaS: Worauf wollen Sie hinaus? Haben Sie vielleicht ein paar Beispiele? Andrea Zäh: Ich will betonen dass jeder Mensch nicht nur unter ganz verschiedenen sozialen, beruflichen, materiellen, auch körperlichen Bedingungen diese noch nie dagewesene Situation mehr oder weniger bewältigt. Sondern dass auch jeder Mensch psychisch mehr oder weniger unter der Situation leidet. Ein paar Fallbeispiele sollen das verständlich machen. Also, es gibt Menschen welche die derzeitige Ausgangssperre eher nutzen, um weiterhin zu schaffen: Worte finden, Gestalt geben, kreativ sein in verschiedener Weise. Ich denke an eine 60 jährige Künstlerin, Madeleine (alle Namen wurden von der Redaktion geändert, sind also fiktiv),

ZUR SACHE

Die Methode der Psychoanalyse Die Methode der klinischen Psychologie ist die eingehende Untersuchung von normalen oder pathologischen Einzelfällen auf der Grundlage von Beobachtungen und Gesprächen, in denen persönliche lebensgeschichtliche, innere seelische psychodynamische, sowie familiäre und soziale Elemente gesammelt werden. Anders ausgedrückt: es geht um individuelles menschliches Verhalten und seine Bedingungen, also um die Untersuchung einer einzigartigen Persönlichkeit in der Gesamtheit ihrer momentanen Situation und ihrer Entwicklung. Klinische Tiefenpsychologie wurde von Sigmund Freud als Psychoanalyse bezeichnet in der man drei Ebenen unterscheidet: „Psychoanalyse ist der Name 1) eines Verfahrens zur Untersuchung seelischer Vorgänge, welche sonst kaum zugänglich sind; 2) einer Behandlungsmethode neurotischer Störungen, die sich auf diese Untersuchung gründet; 3) einer Reihe von psychologischen, auf solchem Wege gewonnen Einsichten, die allmählich zu einer neuen wissenschaftlichen Disziplin zusammenwachsen.“ (S.Freud, Gesammelte Werke XIII, Seite 211) Die psychoanalytische Methode besteht also in der Hervorhebung der unbewussten Bedeutung von Gesagtem, Handlungen, Träumen, Fantasien oder

Wahnvorstellungen von jedem einzelnen Menschen. Die Methode beruht auf den freien Assoziationen des sogenannten Patienten einerseits, und auf der Deutung derselben vom Psychoanalytiker anderseits, welcher seine ganze gleichschwebende Aufmerksamkeit diesem einen Patienten widmet. Es handelt sich um eine individuelle Psychotherapie. Diese psychoanalytische Kur besteht aus regelmäßigen Treffen, wobei der Patient folgende Grundregel einhalten sollte: „Sagen Sie, was Ihnen spontan einfällt, auch wenn es ihnen unwichtig, albern, peinlich, nicht dazugehörig oder unlogisch erscheint“. Es handelt sich also nicht um ein rationales vernünftiges Gespräch! Währenddessen kommt es zur einer sogenannten Übertragung , das heißt der Patient überträgt seine unbewussten Wünsche bzw. Ängste auf den Analytiker, und wiederholt dabei seine üblichen inneren seelischen Konflikte. Sie werden somit aktualisiert, dann werden ihre unbewussten Bedeutungen freigelegt. Diese Ursachenforschung ist gleichzeitig die Lösung der seelischen Konflikte wodurch neurotische Symptome verschwinden, sich geradezu auflösen. Andrea Zäh


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EXPERTISE

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. April 2020 die weiterhin kreativ zuhause eine Schmuckkollektion entwirft. Sie Samstag,neue 18. April 2020 sagte mir sogar, dass sie sich während dieser Zeit intensiver auf ihr Schaffen konzentriert. Auch eine 67 jährige Schriftstellerin, Ariane, schreibt weiter an ihrem früher begonnenem Kriminalroman. Sie steht jeden Morgen auf und setzt sich gleich an ihren Schreibtisch, das gefällt ihr, ja das gelingt ihr eher gut. Auch kenne ich einige liebe Omas die weiterhin still stricken, zum Beispiel die 81jährige Clara, die momentan viele wunderbare tolle Pullis für sich und ihre Lieben strickt. Und auch die 88jährige Monique bestickt weiterhin wunderschöne Tischdecken. Samantha, 45 Jahre alt, hat inzwischen die tollsten Dekorationen in Macrame erfunden, in Vorbereitung auf ihre im Sommer bevorstehende Hochzeit. Das beruhige sie, selbst wenn die geplante Heirat wahrscheinlich auf später verschoben wird. Und es gibt Menschen, die neue Musik oder Lieder komponieren und diese Kreationen sogar veröffentlichen in den digitalen Medien. Darunter übrigens eine Menge Komiker, die mehr oder weniger Lustiges, manchmal Ironisches veröffentlichen. ZaS: Sie fangen mit denen an, die nicht so sehr unter der Situation leiden. Haben Sie auch Beispiele von Menschen, die jetzt größere Probleme haben? Andrea Zäh: Vielleicht riskiert derzeit so mancher Drogenabhängige, dass er derzeit zu noch mehr individuellem Konsum von Alkohol, Cannabis oder anderem neigt. Der 70jährige Christophe kümmert sich vor allem darum wo, er problemlos seine übliche tägliche Dosis Whisky kaufen wird. Der 50jährige Pierre, der sich schon jahrelang an Cannabis gewöhnt hat, weiß inzwischen, dass bald aus Marokko fast nichts mehr nach Europa rüberkommen wird, weil die Grenzen geschlossen sind. Simon und seine Freunde, Jugendliche jünger als 20 Jahre alt, zeigen weiterhin Risikoverhalten, wollen den erlassenen Verboten entgehen, treffen sich abends in Gruppen obwohl die Regierung das inzwischen verbietet! Alzheimerkranke verstehen durch ihre neurologische Krankheit vielleicht gar nicht, warum jeder Mensch sich unbedingt an die vernünftige Hygiene halten sollte. Und so stellen sich viele Fragen: Wie geht es den Zwangsneurotikern, zum Beispiel jenen, die sowieso andauernd ihre Wohnung putzten? Immer wieder putzen, heute mehr als jemals zuvor? Wie sieht es aus, wenn jemand schon etwas länger an einer Angstneurose leidet, sich lieber in großen Räumen, gar draußen aufhält als in einer vielleicht zu engen Wohnung? Hypochondrische Menschen oder sogenannte Hysteriker fühlen sich eventuell in ihren schon da gewesenen inneren

irrationalen Ängsten vor körperlichen Krankheiten bestätigt. Werden gewalttätige Männer gegenüber Frauen sanfter oder noch schlimmer? Wie begreifen besonders liebenswerte Autisten überhaupt, worum es eigentlich momentan geht in der allgemeinen Realität? Oder Schizophrene, Paranoiker, Melancholiker: sind sie gewappnet, unsere Psychotiker? Etwa eine 32jährige Schizophrene, die ihre Therapeutin wiederholt täglich anruft, um dieselbe zu bitten, ihr nochmal genau den Prozentsatz zu nennen zwischen Corona-Risikopatienten, den Kranken und den Toten. Mancher empfindet Trennungsangst, und solche wird je mehr aktiviert als er jetzt von seinem Partner oder Partnerin getrennt leben muss, da Reisen derzeit weitgehend verboten sind. Ein Anderer kann möglicherweise seine häufige sexuelle Lust momentan nicht mehr befriedigen und leidet besonders unter dieser aktuellen Frustration, seine Kastrationsangst überkommt ihn. Schon früher konkret traumatisierte Menschen durch Attentate – gerade hier in Nizza – werden an das schrecklich Erlebte erinnert: ihre Todesangst wird reaktiviert. ZaS: Sie wollen also verdeutlichen, dass die extreme Situation in der sogenannten Corona-Krise für jeden Menschen anders ist, je nachdem wie er disponiert ist? Andrea Zäh: Es gibt viele Beispiele dafür. Alberto, ein 40jähriger Mann, ein eher kontaktscheuer Mensch, fühlt sich erleichtert durch die offizielle Ausgangssperre: endlich braucht er nicht mehr dem sozialen Druck der üblich flüssigen zwischenmenschlichen Kommunikation zu entsprechen. Viele Sportler trainieren weiterhin bei guter Laune daheim: sie halten sich durchaus fit, in Form und bei weiterer körperlicher Gesundheit. Nur wie machen denn das die Surfer, Schwimmer, Segler: eine besonders große Anpassung ist also gefragt! ZaS: Klar, jeder Mensch empfindet sein Leben, seine eigene Seele, seine bisherigen oder momentanen Probleme und führt seine individuelle Lebensgeschichte weiter. Könnten Sie vielleicht etwas klarer ausführen inwieweit oder inwiefern Ihr psychoanalytischer individualpsychologischer Gesichtspunkt in dieser kollektiven Situation hilfreich sein könnte? Andrea Zäh: Individualpsychologisch ausgedrückt geht es um die Besonderheit jedes Menschen, um seine Einzigartigkeit. Um sein seelisches Gleichgewicht und um seine Anpassungsfähigkeit in jeglicher und momentan um die von außen angsterregen-

de Situation. Laut psychoanalytischem Ansatz hat sowieso jeder Mensch immerzu mit seinen inneren widersprüchlichen bewussten und unbewussten Konflikten zu kämpfen. Kommt eine tatsächliche äußere Gefahr hinzu, wird es noch komplizierter! Je nach Lebensalter – Kleinkinder, Kinder, Jugendliche, Erwachsene, alte Menschen – wirkt sich die äußere Gefahrensituation anders auf ihr seelisches Innenleben aus. ZaS: Wie lässt sich das näher erklären ? Andrea Zäh: Jeder Mensch, je nach Alter, Erfahrung und Lebensgeschichte empfindet zwar immer wieder seine eigenen inneren üblichen Ängste, jedoch wendet jeder Mensch dagegen individuelle psychische Abwehr­ mechanismen an. ZaS: Was sind Abwehrmechanismen ? Andrea Zäh: Abwehrmechanismen sind psychische Prozesse, die im Allgemeinen dem organisierten Selbst zugeschrieben werden. Ihre Aufgabe ist es, optimale psychische Bedingungen zu organisieren und aufrechtzuerhalten, die dem Selbst des Individuums helfen können, sich zu wappnen, zu stellen und Angstzustände und geistige Beschwerden zu vermeiden. Sie beteiligen sich somit an Versuchen, die psychischen Konflikte zu bewältigen, können aber durch ihre übermäßige oder unangemessene Verwendung das psychische Wachstum beeinträchtigen, und dann zu durchaus störenden und beeinträchtigenden Symptomen führen. Anders gesagt: Gegen innere sowie äußere Ängste – wie hier die Angst vor der Ansteckung mit dem Corona-Virus – wird einer versuchen sie zu vergessen, indem er sie möglicherweise verdrängt. Der nächste wird sie verneinen, sie vielleicht gar nicht wahrnehmen, indem er seine Angst von seinem Bewusstsein, seiner Wahrnehmung abspaltet. Wieder ein anderer

verschiebt oder verdichtet hingegen seine Ansteckungsangst auf eine bisher belanglose körperliche Schwäche, der er plötzlich viel mehr Aufmerksamkeit widmet. Kreative Menschen sublimieren. ZaS: Was können Sie den Menschen raten in diesen Zeiten der Bedrohung durch das Corona-Virus? Andrea Zäh: Es ist besonders wichtig den grundsätzlichen Unterschied zwischen Fantasie und Realität beizubehalten, d.h. jeden Tag so zu organisieren dass eigenes Gefühl von Raum und Zeit weiter gut strukturiert bleibt. Seine Affekte sollte man versuchen zu erkennen, wenn möglich in Worte fassen. Natürlich sollten ein paar persönliche Träumereien nicht fehlen, einen gewissen inneren Spielraum sollte man sich durchaus gewähren, sozusagen als Übergangsbereich: etwa vorübergehend Zuflucht in einen guten Film finden, oder einen schönen Roman lesen, ja mal öfters die eigene Lieblingsmusik anhören.

ZUR PERSON

Dr. Andrea Zäh Die Dipl.-Psych. Dr. Andrea Zäh arbeitete 40 Jahre im Gesundheits- und Bildungswesen, in der Forschung, in psychosozialen Helferinstitutionen sowie in eigener Praxis als Psychoanalytikerin. In Paris an der Universität Paris 10 als klinische Psychologin durch praxisbezogenes Hochschuldiplom zum Master ausgebildet, hat sie an der Universität Paris 7 als Freud-Expertin promoviert. Weitergebildet in Sciences-Po Paris durch ein Executive Master der gerontologischen Politikwissenschaften und an der Universitätsklinik Nizza in der psychiatrischen Phänomenologie. Sie war hauptsächlich in Einrichtungen der Behindertenhilfe, Kindertagesstätten, in der Jugendund Familienhilfe sowie Kinderheilkunde tätig. Als Dozentin wirkte sie an der Universität Paris 13, in École Centrale Paris der allgemeinen Ingenieurwissenschaften, als Erasmusgastdozentin an der Charité in Berlin und als leitende Pädagogin an der Psychopädagogischen Fachoberschule zur Erzieher-Ausbildung in Nizza. Sie lebt weiterhin in Frankreich, widmet sich heute persönlich in Nizza besonders der Philosophie, dem Yoga und der Meditation. Kontakt: andreazah@sfr.fr miz

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Corona-Tagebuch | 4. April 2020

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Rauchende Colts Marshall Matt Dillon hat früher die Banditen gejagt, die ein Halstuch vor Nase und Mund hatten. Wer damals im Röhren-TV zusah, ist heute in der Risikogruppe. Wie auch die Ärzte, denen millionenfach Schutzausrüstung fehlt. Von Michael Zäh

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enn es so käme, dass der deutsche Bürger nur noch mit Mundschutz durch die Gegend laufen darf, weckt dies bei manchem Zeitgenossen ganz klar Erinnerungen: Rauchende Colts, ein gewisser Marshall Matt Dillon, der all jene gejagt hat, die sich ein Halstuch vor Nase und Mund gebunden hatten, sprich: die Banditen. Damals im staubigen Wilden Westen, und sehr lange vor dem World-Wide-Web. Auch vom Virus keine Spur, damals. Die Vorstellung, dass wir alle vom „Gunsmoker“ durch die Prärie gejagt werden, weil wir schnell zu Pferde eine Postkutsche ausgeraubt haben, ist durchaus tröstlich. Weil das ist ja Kindheitserinnerung. Doch die Vorstellung, dass wir bald alle unser Gesicht banditengleich hinter einer Maske verstecken müssen, um außer Haus gehen zu dürfen, hat dafür eher den Hauch des Bösen. Da wüsste der Marshall Matt Dillon ja gar nicht mehr, welche Schurken er zur Strecke bringen soll. Man könnte auch sagen, dass es etwas irre wirkt, wenn heuer über solche Mundschutzmasken für die gesamte Bevölkerung gesprochen wird, während ja derzeit genau solche Masken dort millionenhaft fehlen, wo sie wirklich dringend gebraucht würden. Laut einer Liste der AOK fehlen schon allein bei den niedergelassenen Ärzten (also ohne die Kliniken, Krankenhäuser oder auch Pflegeheime etc.) rund 115 Millionen Mund-Nasen-Schutzmasken, außerdem 47 Millionen Masken der FFP2-Qualität sowie zusätzlich noch mal 7,5 Millionen FFP3-Masken der noch höheren Qualität. Was außerdem fehlt: 63 Millionen Schutzkittel, 55 Millionen Packungen Einmalhandschuhe, sowie 3,7 Millionen Schutzbrillen.

Diese Mängel sind nicht etwa durch das plötzliche Auftreten des Coronavirus entstanden, sondern werden dadurch nur sichtbar. Die bittere Wahrheit ist nämlich, dass es bereits 2005, also vor 15 Jahren (ist ja natürlich nix sind im Vergleich zu den Hochzeiten von „Rauchende Colts“) einen Pandemieplan gab, den damals schon das Robert-Koch-Institut (heute ja in aller Munde) im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums erstellt hat. Dieser Plan sieht vor, dass benötigte Materialien „rechtzeitig vor Eintreten einer Pandemie“ von der Bundesregierung bevorratet werden müssen. Sprich: All das, was jetzt fehlt, hätte eigentlich nach dem Pandemieplan auf Vorrat sein müssen. Das hat der Bund aber nicht so ernst genommen. Man schlug solche ungeheuren Pläne in den Wind, weshalb man heute umso entschiedener darüber nachdenkt, wie eben dieses Ungeheuer mit dem Namen Coronavirus durch private Initiativen noch gebändigt werden könnte. Bayerns Ministerpräsident Söder hat doch prompt vorgeschlagen, dass Bayerns Bürger zehn Millionen Masken selbst nähen sollen. Wie im Krieg, sozusagen. Da wir hier schon mal in Bayern sind, hört man den Kaiser rufen: „Ja ist denn jetzt schon Weihnachten?“ Aber gut, das ist eine ganz andere tragische Geschichte. Heuer würde es heißen: „Ja ist denn jetzt schon Ostern?“ Denn bis dahin regiert ja Marshall Söder als Gunsmoker mit unbeirrter Hand. Diskussionen über eine „Exit-Strategie“ hat er sich verbeten. Erst muss der Bandit erlegt sein. Ein Schuss, ein Treffer, mitten ins Virus, und dann raucht der Colt. Und danach also soll es all die selbstgenähten Mundschutzmasken geben, quasi als Geste der Unterwerfung des Volkes, wenn es denn wieder raus darf. Lieber als Bandit auf der Arbeit als nur immer zu Hause im beengten Homeoffice. Der praktische Nutzen solcher Masken ist laut WHO äußerst umstritten. Könnte medizinisch sogar mehr Schaden anrichten als es Nutzen hätte. Aber darum geht es offenbar längst nicht mehr. Eher scheint es um den Gleichklang der Herde zu gehen (hier also: die deutschen Bürger in Panik), weil die Autorität derer zementiert werden soll, die zuvor fahrlässig versagt haben, als sie sich nicht an bestehende Pandemie-Vorsorge hielten. Na klar schauen jetzt diejenigen in die Röhre, die Matt Dillon im Röhren-TV sahen. Sprich: Risikogruppe!


Corona-Tagebuch | 13. Juni 2020

Bloß nicht lumpen lassen Die Konjunktur will angekurbelt werden und deine Lieblingsgeschäfte brauchen jetzt deinen Einkauf. Aber nach acht Wochen der Einkehr weißt du gar nicht, was du denn wirklich brauchst. Na ja, vielleicht ein paar neue Laufschuhe? Von Michael Zäh

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uf gehts, die Konjunktur will angekurbelt werden. Nach der zweimonatigen Zeit der Einkehr ins Innere soll nun  der Ausritt in die Stadtmitte folgen. Das ist quasi Pflicht. Denn die Läden brauchen dich jetzt, um nicht pleite zu gehen. Und der Staat päppelt mit seinem Konjunkturprogramm ja auch nach Kräften. Da wollen wir uns nicht lumpen lassen. Aber was soll man kaufen? Für ein neues Auto ist es doch noch zu früh – denn wer weiß, wann Corona wieder um die Ecke biegt? Also sorry! Buisiness-Klamotten braucht man wahrscheinlich auch nicht mehr. Im Home-Office geht es eher leger zu. Da genießt man Freiheiten, von denen Karl Lagerfeld gesagt hat, dass man die Kontrolle über sein Leben verloren habe. Außerdem soll es etwas Sinnvolles sein, was man kauft. Der reine Spaß am Einkaufen, die leichte Freude am Überflüssigen, gar die psychologische Tiefenentspannung durch den eigentlich unsinnigen Einkauf von schönen, nutzlosen Dingen ist nicht mehr. Das war vor Corona. Das war, als wir noch dachten, dass unsere Jobs sicher sind. Das war, als ein Einkauf quasi ein Ausgleich dafür war, dass sonst alles nach Strich und Faden lief. Das waren lauter kleine Fluchten ins herrliche Reich der Kaufhäuser, Drogerien, Buchläden, Sportgeschäfte. Ja, das war einmal. In den acht Wochen der Einkehr hat sich gezeigt, dass es keine kleinen Fluchten braucht, wenn alle voreinander auf der Flucht sind. Und wie die Haare so vor sich hin wuchsen, schwand auch die Lust, überhaupt aus dem Haus zu gehen. Weil eh alles zu war, reichte Balkonien oder der Garten, um sich genügsam mit der aus unerfindlichen Gründen zumeist scheinenden Lockdown-Sonne zu verabreden. Nun aber raus, es muss doch vorwärts gehen! Und ja, die Laufschuhe haben tatsächlich einen Schlenzer an der Seite und auch leidlichst abgelaufene Sohlen. Komm, das könnte man jetzt wagen. Denn Laufschuhe brauchst du ja mit und ohne Corona. Nämlich zum Weglaufen in freier Natur. Das passt. Das kann ja gar nicht falsch sein.

Auf zum Fachgeschäft, wo man die letzten Laufschuhe gekauft hat. Doch das hat zu. Läden runter, fertig aus. Schade, aber da kann man wohl nix mehr machen. Gleich weiter, um zwei Ecken, ist ja das nächste Sportgeschäft. Maske auf und rein. Zwei Etagen, kein Mensch da. Lange Gänge voller Regale. Hunderte von Laufschuhen, schön nach Marken sortiert. Du lässt das Läufer-Auge schweifen, weil alles so schön bunt ist. Ein Mann mit Maske kommt und fragt, ob er helfen kann. Ja klar, man hat ja keine Hektik, so als einziger Kunde im Laden. „Dieser Schuh da, der wird ja viel gelobt. Ist er so gut oder ist das nur Marketing?“ „Ist gut.“ „Gibt es eine Alternative von einer anderen Marke?“ „Nein.“ „Können Sie mir noch etwas empfehlen, also Schuhe, die im Preis-Leistungsverhältnis vielleicht besonders gut sind?“ „Nein.“ Na gut, dann probierst du mal von der Marke, die so hoch gelobt wird. Der Mann mit Maske stellt dir zwei Modelle zur Auswahl hin. Es sind die teuersten Modelle im ganzen Laden. Welches Modell soll ich nehmen? Das eine hat eine gute Farbe, ist aber nur für Asphalt und nicht für den Wald geeignet. Das zweite geht im Wald, ist aber so blöd grün. „Was meinen Sie?“ „Sie brauchen zwei paar Schuhe!“ Du zögerst. Ja okay, zwei paar Schuhe, wenn du schon mal da bist. Dazu bist du bereit. Du frägst nach einer zweiten Marke, weiße Lederschuhe, legendär. „Gibt es jetzt nur noch im Schuh-Discounter.“ Tja. Der Mann mit Maske muss kurz mal weg. Deine Entscheidung ist gefallen: Du nimmst die teuren Grünen für den Wald. Du wartest. Der Mann kommt nicht zurück. Ist wahrscheinlich zum Lachen in den Keller gegangen. Also gehst du ohne die grünen Schuhe zum Discounter. Dort ist eine Schlange weit in die Straße hinaus. Nee, oder?

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GESELLSCHAFT

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Ausgabe 287 am 4. Samstag, 18. April 2020

Bis zum nächsten Friseurtermin Coronavirus. Das 750-Milliarden Hilfspaket des Staates gegen die Folgen des Coronavirus ist schon ein fettes Butterbrot, nachdem zuvor das Knallen der Peitsche dafür gesorgt hat, dass gesellschaftliche und wirtschaftliche Aktivitäten zum Stillstand kamen. Von Michael Zäh

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ie wird Deutschland in den kommenden Wochen (oder gar Monaten) frisiert sein? Das ist keine kleine Frage, da ja alle Friseur/innen-Betriebe schließen mussten. Wird unsere Mutti Merkel dann plötzlich graue Strähnen im Haaransatz aufweisen, werden Olaf Scholz die (bisher nicht vorhandenen) Haare zu Berge stehen? Und wie wirkt es sich aus, wenn bei über 80 Millionen deutschen Bürgern die Matte wächst, wo sie es gar nicht soll, das Grau und gar das Weiße sprießt, während das akkurate Kurzhaar wie auch der schön gestutzte Bart nur noch eine ferne Erinnerung sind. Vielmehr sogar eine Sehnsucht, die unerreichbar in den Weiten des Seins dahin schwebt. Nun ja, je länger das deutsche Haar wird, desto mehr Milliarden Steuergelder wird das kosten. Weil es ja so ist: Der Staat nimmt es, der Staat gibt es ­– das ist quasi

ZUR SACHE

Einschneidende Eingriffe, überall Die Bundesregierung und die Länder haben gemeinsam die Schließung einer Vielzahl von Geschäften und Institutionen beschlossen. So sollen „Zusammenkünfte in Kirchen, Moscheen, Synagogen und die Zusammenkünfte anderer Glaubensgemeinschaften“ verboten werden, auch Gottesdienste können nicht mehr stattfinden. Ebenso sind Zusammenkünfte in Vereinen und sonstigen Sport- und Freizeiteinrichtungen untersagt, Angebote in Volkshochschulen, Musikschulen und sonstigen öffentlichen und privaten Bildungseinrichtungen sowie Reisebusreisen sollen eingestellt, Spielplatzbesuche unterlassen werden. Bars, Clubs, Diskotheken sollen geschlossen bleiben, desgleichen Theater, Opern, Konzerthäuser, Museen, Messen, Ausstellungen, Freizeit- und Tierparks und Anbieter von Freizeitaktivitäten, Spezialmärkte, Spielhallen, Spielbanken, Wettannahmestellen. Auch der Betrieb öffentlicher und privater Sportanlagen, Schwimm- und Spaßbädern sowie Fitnessstudios muss eingestellt werden. miz


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Samstag, 18. April 2020

steht (ein Arzt, der sie geimpft hat, hatte das Coronavirus intus), stellte der Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz die Pläne der Regierung vor. „Vor uns liegen harte Wochen und doch: Wir können sie bewältigen“, sagte Scholz. Quasi ein bisschen Zuversicht verbreiten. Um dann fortzufahren: „Wir erleben eine Krise, die in der Geschichte der Bundesrepublik ohne Vorbild ist“, und für die Krisenbewältigung gebe es „kein Drehbuch“. Und erst recht nicht die passende Frisur, möchten wir an dieser Stelle hinzufügen. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt (lange nix gehört von ihm) bezifferte das Volumen des Hilfspakets der Bundesregierung gar auf etwa 1400 Milliarden Euro. Das sei in etwa die Gesamtsumme an Krediten, Garantien und Hilfen. Je länger die Haare wachsen müssen, desto größer sind die Zahlen. Oh je, Schwindel, lass nach. Es lässt sich noch gar nicht bis in jede Haarspitze darstellen, wer denn nun welche Gelder erhalten soll. Klar ist aber schon mal der Löwenanteil (nein, bitte nicht mit der Löwenmähne verwechseln): Es wird einen 600 Milliarden Euro umfassenden Schutzschirm für größere Firmen geben. Der Staat will in großem Umfang Garantien geben und notfalls wichtige Unternehmen auch ganz oder zum Teil verstaatlichen. Wenn die Krise vorbei ist, sollen sie wieder privatisiert werden. Profitieren können nicht alle Unternehmen, sondern nur solche mit hohen Umsatzerlösen oder mehr als 250 Mitarbeitern. Unter diesen Schutzschirm können kleinere Firmen nur im Einzelfall schlüpfen - wenn sie für die Infrastruktur besonders wichtig sind. (Wie Friseure, möchte man rufen). Aber da wären dann noch die 50 Milliarden, die für kleine und kleinste Unternehmen ausgegeben werden sollen, inklusive den sogenannten Solo-Selbstständigen. So hat etwa das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit

und Wohnungsbau Baden-Württemberg ein Soforthilfeprogramm aufgelegt: „Gewerbliche Unternehmen, Sozialunternehmen und Angehörige der Freien Berufe, die sich unmittelbar infolge der Corona-Pandemie in einer existenzbedrohenden wirtschaftlichen Lage befinden und massive Liquiditätsengpässe erleiden, werden mit einem einmaligen, nicht rückzahlbaren Zuschuss unterstützt“, heißt es dort. Ausgezahlt über die Länder (wie hier BW) sollen kleine Firmen und Selbstständige, Musiker, Fotografen, Heilpraktiker oder Pfleger direkte Finanzspritzen erhalten. Je nach Unternehmensgröße sind das für drei Monate 9.000 bis 15.000 Euro. Dies wären keine Kredite, sondern Zuschüsse, die nicht zurück gezahlt werden müssen. Die Anträge hierfür können bereits digital gestellt werden. Ausgezahlt werden die Zuschüsse dann direkt über die Landesbank. Millionen Menschen in Deutschland, die sich durch die Maßnahmen des Staates gegen die Ausbreitung des Corona-Virus in existenzieller Not wiederfinden, werden sich über solche Programme freuen (falls diese dann auch wirklich so unbürokratisch funktionieren wie versprochen), und sich zumindest mal kurz entspannen. Aber Vorsicht: Experten warnen, dass diese „Soforthilfen“ hohe Hürden haben und es sich daher um Augenwischerei handeln könnte. Es wäre allerdings skandalös, so laut und unfrisiert die Hilfe ins Land zu posaunen, riesige Hoffnungen zu wecken und am Ende doch für die meisten Kleinen nicht infrage zu kommen! Es wäre ein staatlicher und politischer Schwindel, wenn das Soforthilfeprogramm quasi Hartz IV ist, nur nicht so heißt. Ist ja schon verwunderlich genug, wie schnell über Jahre tragende Grundsätze wie die „schwarze Null“ oder die im Grundgesetz veranker-

te „Schuldenbremse“ von einem Tag zum anderen plötzlich über Bord sind. Zack, zack, oder sagen wir: Schnipp Schnapp! Ewig kann trotz Milliardenschirm das komplette Runterfahren des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens nicht dauern. Höchstens bis zum nächsten Friseur-Termin.

ZUR SACHE

Der Streit um die Deutungshoheit In Berlin mahnte Gesundheitsminister Jens Spahn weiterhin die Einhaltung aller Regeln an. „Noch ist das die Ruhe vor dem Sturm“, sagte er. Natürlich werde es „eine Zeit nach Corona geben“. Das Leben werde sich aber erst schrittweise wieder normalisieren müssen. Unter Medizinern und Politikern gibt es aber auch welche, die sich öffentlich dahingehend äußern, dass das Corona-Virus in Wirklichkeit gar nicht so schlimm sei. Diesen Thesen gegenüber hat nun Innenminister Horst Seehofer Stellung bezogen: Er lehne die These der Herdenimmunisierung ab, nach der möglichst viele Menschen vom Corona-Virus befallen werden sollen, um zügig immun zu werden. Das halte die Kosten der Pandemie zwar vergleichsweise niedrig, sei aber nur um den Preis hoher Sterberaten zu erreichen. „Erstens hat mir noch kein Wissenschaftler in die Hand versprochen, dass man dann wirklich immun ist“, sagte Seehofer. „Und zweitens heißt das, dass man Opfer in Kauf nimmt. Das halte ich für eine unvertretbare Strategie.“ Es gibt Zyniker, die berechnen, was ein Menschenleben kostet. miz

Montagen: Viktor Lukanow

ein alter Zopf. Wenn nun also Scholz, Kretschmann, Söder, Laschet und Konsorten sich darin übertreffen, die aufgemotzte Bazooka in Anschlag zu bringen, dann vergessen staatliche Kurzhaardackel ja gerne, dass dieses Geld nicht wie ein Sternenregen vom Himmel fiel, sondern es sich um genau jene Kohle handelt, die zuvor der gut frisierte Steuerzahler (und danach wirds auch so sein) an den Staat bezahlt hat. Das ist also ungefähr so, als ob der Friseur das Trinkgeld spendiert, das er soeben vom Kunden für die tolle Tolle bekam. Mit dem kleinen Unterschied freilich, dass derzeit keine Frisuren welcher Art auch immer zu haben sind. Der Transfer von insgesamt rund 750 Milliarden Euro zurück an die Wirtschaft und die Steuerzahler ist ein bisschen ein Ablasshandel dafür, dass der Staat ja das wirtschaftliche Leben von oben herab eingestellt hat. Ja, es ist vielleicht sogar womöglich so, dass damit auch die Demokratie geschützt werden kann. Denn der Staat, der Verbote erlassen hat und die Freiheit seiner Bürger extrem einschränkt, gibt so auf der anderen Seite Millionen Menschen etwas Hoffnung, dass sie nicht völlig pleite gehen in den nächsten Wochen. Es ist schon ein fettes Butterbrot nach der knallenden Peitsche des Zusperrens allen gesellschaftlichen Lebens. Der Bundestag hat also ein großes Rettungspaket für die deutsche Wirtschaft beschlossen. Die Abgeordneten stimmten einem Nachtragshaushalt in Höhe von 156 Milliarden Euro und dem Rettungsschirm WSF im Volumen von 600 Milliarden Euro zu. Die Schuldenbremse des Grundgesetzes soll vorübergehend ausgesetzt werden. Selten einhellig: Es gab gegen das gesamte Paket nur drei Gegenstimmen. Weil Bundeskanzlerin Angela Merkel unter häuslicher Quarantäne


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GESELLSCHAFT

Samstag, 18. Corona-Tagebuch

DEUTSCHL AND

Ausgabe 287 am 4.

Eine Hand wäscht die andere, oder wie?

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Coronavirus. Die drastischen Maßnahmen der deutschen Behörden gegen die Verbreitung des Virus könnten am Ende zu einer paradoxen Reaktion führen: Gelingt die Eindämmung auf einige Zehntausend Fälle mit anschließend flacher Kurve, wird es heißen: Und deswegen all die Verbote? Gelingt dies trotz aller Maßnahmen nicht, heißt es: Wofür der ganze Zauber? Hat ja eh nichts genutzt! Von Michael Zäh

E

s ist nicht so, wie man denkt, sondern so, wie es kommt. Das sagte Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse und einer der größten Denker der Menschheit. Dies ist keinesfalls zu verwechseln mit dem rheinischen Grundgesetz: „Et kütt wie et kütt.“ Denn dieses „Es kommt wie es kommt“ ist eher fatalistisch lässig gemeint, bis hin zum unvermeidlichen Untergang, während Freud sein Leben lang Wissenschaftler war, der sich Gedanken darüber machte, was den Menschen helfen könnte. Niemand von uns hat derzeit die Macht, auch nur zu wissen, was kommt und wie es kommt. Wohl auch unsere Wissenschaftler nicht, denen aber in der derzeitigen Situation zunächst einmal Glauben geschenkt werden sollte. Und diese haben denn auch eine recht klare Formel in Umlauf gebracht: Siebzig Prozent der deutschen Bevölkerung werden sich über kurz oder lang mit dem Corona-Virus anstecken. Dies wären rund 58 Millionen Menschen in Deutschland. Die Frage sei nur, in welchem Zeitraum dies geschehe. Und genau diese Frage sei entscheidend dafür, wie schlimm es kommt. Entweder zur Katastrophe und dem gesellschaftlichen Zusammenbruch, oder zu einer gewaltigen Aufgabe, die aber bewältigt werden könnte. Die Wissenschaftler gehen bei ihren Prognosen von zwei Prämissen aus: Erstens wird sich das Corona-­ Virus so lange von Mensch zu Mensch weiter verbreiten, in Deutschland wie in der Welt, bis es keine neuen Wirte mehr findet, die nicht schon immun sind. Und zweitens würde die Kurve der Ansteckungen in kurzer Zeit steil nach oben gehen, wenn keine einschneidenden Maßnahmen ergriffen würden. Wenn wie bisher knapp ein Sechstel der Infizierten einen schweren Verlauf der Lungenkrankheit bekämen und daher im Krankenhaus behandelt werden müssten, dann wären dies also knapp neun Millionen Menschen. Dieses Szenario ist so, wie Wissenschaftler es heute denken. Nein, keiner weiß, ob es so kommt. Weil aber allein die Möglichkeit besteht, dass es –

ohne all die Gegenmaßnahmen, die bereits ergriffen wurden – zu einem Kollaps in Kliniken führen könnte (weil natürlich nicht neun Millionen Menschen dort gleichzeitig behandelt werden könnten) alles rechtfertigt, was man dagegen tun kann, kommt es im Moment bei der Gesellschaft – uns allen – ganz gut an, wenn nun der Ausnahmezustand ausgerufen ist. Noch dazu, weil die Wissenschaftler ja darauf hinweisen, dass es hauptsächlich eine bestimmte Gruppe ist, die durch den Rest der Gesellschaft – uns alle – geschützt werden müsse: Ältere und bereits erkrankte Menschen, also unsere Eltern oder Großeltern (insofern wir das nicht selbst schon sind). Und wer möchte nicht seine eigenen Eltern schützen? Ohne die Bereitschaft aller käme es laut Hochrechnungen bis zu 1,8 Millionen Toten in kürzester Zeit durch das Corona-Virus. Hinzu kämen vermutlich noch viele weitere Tote, die an ganz anderen Krankheiten (wie etwa Herzinfarkte, Krebs und dergleichen) leiden, aber wegen des Zusammenbruchs des Gesundheitssystems nicht mehr entsprechend versorgt werden könnten. Dass es nicht so kommen darf, wie sich das die Wissenschaftler vorsorglich denken, überzeugt auch jene von uns, die ungern auf all das verzichten, was unser Leben schon auch ein bisschen ausmacht: Soziale Kontakte, Kultur, Sport, Kneipen, die Freiheit, sich dort bewegen zu dürfen, wo man will. Man übt sich in Solidarität, es fühlt sich ja auch an wie zwischen den Zeiten (verwandt mit den wenigen Wochen zwischen den Jahren), ist mal etwas Neues und schweißt im Abstandhalten sogar zusammen. Eine Weile geht das gut. Es sind Coronaferien, die man gar nicht beantragen musste (ja, die man nicht mal auf die eigene Kappe nehmen muss), eine überraschend geschenkte Zeit im Kreise seiner Nächsten. Und es kann sogar sein, dass man dann in neun Monaten den „Corona-Baby-Boom“ feststellt. Ja, was soll man auch machen, wenn man mal nicht gestresst ist? Eine Weile lang ist es ein Test, der seinen Reiz entfaltet. Das sonstige gesellschaftliche Leben in Deutsch-

ZUR SACHE

Die „Bazooka“ soll nun also helfen Es ist eine seltsame Wortwahl, die Finanzminister Olaf Scholz und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier in Anschlag bringen: Der Bund werde die „Bazooka“ gegen die Auswirkungen des Corona-Virus einsetzen. Nun ja, das ist wohl als Beruhigung gemeint, obwohl das „Ofenrohr“ im Zweiten Weltkrieg als eher grobschlächtige Waffe der US-Streitkräfte galt, die nicht selten die Schützen selbst zu Tode verbrannte. In Übersetzung heißt dies, dass der Bund in unbegrenzter Höhe Kredite für Firmen bereitstellen will, die durch das Corona-Virus in Not geraten sind. „Das ist ein Schritt, den es so in der Nachkriegsgeschichte noch nicht gegeben hat. An fehlendem Geld und fehlendem Willen soll es nicht scheitern“, so Altmaier. Man sitze auf gut gefüllten Kassen und habe deshalb auch großes Durchhaltevermögen, sagte Scholz. „Wir können alles stabilisieren, was stabilisiert werden muss“, so der Finanzminister weiter. Dies soll für kleine wie für große Unternehmen gelten, so heißt es. Wenn man dies aber die „Bazooka“ nennt, rennen viele Firmen gleich davon. Ver­brennungsgefahr! miz


Samstag, 18. April 2020

h. April | 21.2020 März 2020

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Samstag, 18. April 2020

land ist ausgeknipst – was können wir an dessen Stelle rücken? Manche machen vielleicht den Couch-Potato vor der Glotze, dem Computer oder dem Handy. Ist bequem und tut nicht weh. Wann hat man das schon, dass es auch noch ohne schlechtes Gewissen gemacht werden kann? Ist zum Schutz der Großeltern und ja auch staatlich verordnet. Andere nutzen die Auszeit dafür, mal das zu machen, an das sie sonst gar nicht denken dürfen. Nachdenken übers eigene Leben und das der Nächsten. Sogar über Politik und Ethik. Mal ein Buch lesen, das tausend Seiten hat. Mal raus aus der ewigen Beschleunigung des sonstigen Alltags, um zu sich selbst zu finden. Quasi eine Erfrischungskur für Geist und Seele. Und dann soll es auch jene geben, die ganz konkret helfen wollen. So gibt es bereits spontan gegründete Nachbarschaftshilfen für ältere Menschen, damit diese nicht selbst einkaufen gehen müssen. Oder es gibt Leute, die vorübergehend arbeitslos geworden sind und sich als Babysitter anbieten, um jene zur Arbeit gehen zu lassen, die dringend benötigt werden, vor allem im Gesundheitssystem. Wenn wir alle immer schön unsere Hände waschen und es dann auch noch stimmt, dass offiziell eine Hand die andere wäscht, weil die Regierung einfach allen Betroffenen finanziell unter die Arme greift, könnte am Ende etwas ganz Großartiges stehen. Das wäre fast wie das deutsche Wirtschaftswunder in der Folge des Zweiten Weltkriegs. Die Frage ist allerdings, wie lange diese Solidarität gutgehen kann. Denn angesichts existenzieller Nöte von all jenen, die freischaffend tätig sind oder auf öffentliches Publikum angewiesen sind, wird es wohl nicht allzu lange dauern, bis es sogar soziale Unruhen geben wird. Wenn in vier Wochen alles unter Kontrolle wäre und die rigorosen Beschränkungen mit Pauken und Trompeten alle wieder aufgehoben werden könnten, wäre dies noch machbar. Dann würde sich die Gesellschaft ob ihres Zusammenhalts vielleicht

sogar feiern. Wenn es nach acht Wochen immer noch heißt, dass kein Ende absehbar sei, sondern immer noch neue unzumutbare Restriktionen erlassen würden, rauscht die gesellschaftliche Depression heran. Wenn es ein halbes Jahr, gar ein Jahr oder länger dauern sollte, wäre die Gesellschaft und die Wirtschaft, wie wir sie heute kennen, nicht mehr wieder zu erkennen. Dann wäre es nicht so, wie es von heute aus gedacht war, sondern so, wie es dann gekommen ist. Es wäre der Absturz ins Bodenlose, mit allen politischen Verwerfungen, die das mit sich brächte. Kurzfristig könnte es zu einer paradoxen Reaktion kommen: Sollte es nämlich gelingen, dass durch die drastischen Maßnahmen des Staates die Zahl der Infektionen recht konstant auf einem niedrigen Niveau gehalten würde und dann flach verläuft, dann würden die Millionen Menschen, die ihre wirtschaftliche Existenz verloren haben, sagen: Wie bitte, wegen nur ein paar zehntausend Infektionen wurde vom Staat der Ausnahmezustand verfügt und habe ich alles verloren? Sollte aber umgekehrt eine gesundheitliche Katastrophe über das Land herein brechen, weil alle Maßnahmen es nicht verhindern konnten, dann werden Millionen Menschen sagen, dass man dann diese wirtschaftlich vernichtenden Verbote auch hätte sein lassen können, da sie ja nichts bewirkt haben. Man kann sich das ausdenken wie man will. Derzeit werden selbst frohgemute Geister verunsichert sein und daran zweifeln ob ein „Et hätt noch immer jot jejange“ zutrifft. Es stimmt ja außerdem auch nicht, dass es noch immer gut gegangen ist. Eher könnte sein, dass das Jahr 2020 ein einschneidendes in der Geschichte der Menschheit sein wird. Womöglich kommt es so, dass der Virus irgendwann kontrolliert wird, aber die Weltordnung und die globale Wirtschaft sich zwischenzeitlich stark verändert haben werden. Könnten wir uns denken, wenn wir nicht wüssten, was Freud gesagt hat.

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