ZAS MAGAZIN, 303. Ausgabe, Juli 2021

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Wie die Politik die Experten übergeht Die Bundeskanzlerin und MinisterpräsidentInnen der Länder beschlossen, dass sich seit dem 7. Juni auch Kinder ab 12 Jahren impfen lassen können. Dabei wurde eine Einschätzumg der Ständigen Impfkommission gar nicht erst abgewartet. Ein Unding! Von Michael Zäh

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ollen Eltern ihre Kinder impfen lassen? An dieser Frage scheiden sich die Geister. Es ist geradezu unerträglich, wie sich hier Politik und sogar Wahlkampf in die Belange der Wissenschaft einmischt. Eine Empfehlung der „Stiko“ (Ständige Impfkommission), die als Experten dafür zuständig sind, in Deutschland die Impfrisiken einzuschätzen, wurde von Spahn und Co. gar nicht erst abgewartet. Nach dem Motto: Sollen die doch empfehlen, was sie wollen. Wir jedenfalls empfehlen die Spritze für die Kids! Das erinnert entfernt an einen Werbeslogan von früher (Togal-Kopfschmerztabletten). Ist aber trotzdem nicht lustig, weil die Abwägung für Eltern und Kinder dann doch zu ernst ist. Es kann ja nicht sein, dass jetzt die Politiker die Ärzte ersetzen, nur weil ihnen das in den Kram passt. Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsident/Innen der Länder haben sich darauf verständigt, dass sich Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren mit Ablauf der Priorisierung seit 7. Juni impfen lassen können. Die Europäische Arzneimittelagentur hat den

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Politik und Gesellschaft

Impfstoff zuvor auch für Kinder ab zwölf Jahren freigegeben. Und so wurde also die Last der Risikoabschätzung mal eben auf die Schultern der Eltern abgewälzt. Die Stiko sprach eine Empfehlung dann nur für Kinder mit Vorerkrankungen aus und nicht für alle Kinderund Jugendlichen. Denn es ist schlicht und einfach so, dass längst nicht genug Daten darüber vorliegen, ob es bei Kindern und Jugendlichen nicht doch zu seltenen, schweren Nebenwirkungen kommen kann. Von Erkenntnissen über Langzeitfolgen ganz zu schweigen. Weil ja bei Jugendlichen das Immunsystem noch ausreift, können Daten der Erwachsenen nicht berücksichtigt werden. Da hingegen das Risiko in dieser Altersgruppe, schwer an Covid 19 zu erkranken, sehr gering ist, könnte das Impfen gefährlicher sein als das Ansteckungsrisiko. „Die Zahl der geimpften Kinder ist einfach zu gering, um eine belastbare Aussage über die Sicherheit in dieser Altersgruppe zu machen,“ so Stiko-Chef Thomas Mertens. Immerhin 1,3 Prozent der 1100 in einer Studie geimpften Kinder hätten schwere Reaktionen gezeigt. „Den Kindern bietet man ja kein Lakritz-

bonbon an, das ist ein medizinischer Eingriff“, so Mertens. Die nach Gabe von BionTech aufgetretenen Herzmuskelentzündungen waren bei den 16- bis 19-Jährigen am häufigsten. Dem gegenüber steht also das politische Ziel, möglichst rasch die Corona-Pandemie in den Griff zu kriegen. Man könnte auch sagen: Wo die Politik bisher völlig versagt hat, soll nun die Impfung diese Fehler kaschieren. Bestes Beispiel ist da die Schulpolitik. Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) möchte, dass sich vorerkrankte Jugendliche ab zwölf Jahren bis zum Beginn des neuen Schuljahres gegen Corona impfen lassen können. Damit könne diesen Kindern der Schulalltag nach den Sommerferien erleichtert werden. Ja, schon klar! Der Schulalltag war nun seit über einem Jahr praktisch ausgesetzt. Lösungen für Probleme gab es kaum. Die digitale Ausstattung an Schulen war quasi vorsintflutlich. Karliczek winkte mit dem Zaunpfahl. Die „Erleichterungen“ in der Schule und im Alltag, bei wieder möglichen Treffen mit den Freunden oder auf Reisen mit den Eltern sind eine große Sehnsucht vieler Kinder. Ein guter Impfgrund? ZAS MAGAZIN


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